Die wirklichen Gefahren drohen von woanders

Neulich in der Buchhandlung am Marktplatz in meiner Stadt, Offenbach. Palim palim. Erst mal orientieren: Wo haben wir denn … Eine Verkäuferin fragt, ob sie helfen könne. Sicher, sagt mein Mann, er suche das Buch „Der Zwerg reinigt den Kittel“ von Anita Augustin. Ein Strahlen geht über das Gesicht der Verkäuferin.
„Haben Sie das gelesen?“, will sie wissen.
„Ja, und ich hab mich weggeschmissen! Sehr komisch.“
„Vor allem das Ende, wo …“
„Psst, nichts verraten, er will es auch noch lesen“, sagt mein Mann und zeigt auf mich.
Leider hatte sie das letzte Exemplar gerade verkauft – aber bestellt war das Werk gleich. Und am nächsten Tag abholbereit.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich „Der Zwerg reinigt den Kittel“ noch immer nicht gelesen habe. Doch seitdem gehe ich in die Buchhandlung am Marktplatz, wann immer ich ein Buch anschaffe. Der freundliche Ton, die kompetente Beratung, die kleinen Diskussionen am Rande – das ergibt insgesamt eine entspannte Atmosphäre, die mich an Aussagen wie dieser zweifeln lassen:

„Die Welt des Buches wird durchgeschüttelt, und ein Beruf droht zu verschwinden – der des Buchhändlers.“ Entnommen dem Text „Buchläden in Zeiten von Amazon und Co.

Der Buchhandel ist seit Jahrzehnten in der Krise, aber kleine Buchläden wie der am Offenbacher Marktplatz haben meiner Meinung nach gute Chancen, noch eine ganze Weile zu bestehen.

Dazu meint Klaus Phlipp Mertens aus Frankfurt vom Verein PRO LESEN e.V.:

„Alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht.“ Mephistos berühmter Satz aus FAUST 1 könnte helfen, die Veränderungen im Verlagswesen, im Buchhandel und in den Medien korrekt zu analysieren und zu bewerten.
Der Buchhandel, weder der herstellende (die Verlage) noch der verbreitende (die Sortimente), war nie eine Idylle. Verlage mit ambitionierten Kulturprogrammen konnten diese Wagnisse nur finanzieren, weil es ihnen der Erlös aus den eigenen Fachbuchproduktionen gestattete. Was wäre beispielsweise Carl Hanser ohne sein Technik-Programm, C. H. Beck ohne sein riesiges Angebot an juristischen Informationen, Klett-Cotta ohne das Schulbuch? Solange Investoren aus der Schweiz und aus Baden dem Suhrkamp Verlag den Rücken stärkten, konnte sich dieser als irdisches Paradies der Literaten verstehen.
Die Liste lässt sich erweitern und mancher Leser anspruchsvoller Belletristik wird möglicherweise sehr erstaunt darüber sein, dass ihm sein schöngeistiges und auch formal ästhetisches Vergnügen erst durch den Verkauf von Handbüchern für Ingenieure, Mediziner, Rechtsanwälte oder Steuerberater ermöglicht wird. Wobei anzumerken ist, dass sich die Verlage der Kultur nicht nur aus reiner Liebe zur selbigen angenommen haben, sondern weil sich auch in diesem Segment durchaus Geld verdienen lässt – falls bereits ein gesundes Fundament vorhanden ist.
Der kleine Buchladen an der Ecke, in dem sympathische Menschen ihren Lieblingsschriftstellern und Lieblingsthemen frönen und davon kaum bis gar nicht leben können, war und ist eher ausnahmsweise in der Lage, normale Gehälter zu zahlen oder finanzielle Rücklagen zu bilden, um in Lagerbestände oder Geschäftsausstattungen zu investieren. Und es lässt sich auch nicht beweisen, ob er tatsächlich ein bedeutender Träger einer Lesekultur war und ist. Hingegen lässt sich beobachten, dass die Literaturläden Treffpunkte jener waren und sind, die ihre kulturelle Sozialisation im bildungsbürgerlichen Familienkreis, in Schulen oder Universitäten erlangt haben. Ob diese Liebe ausreicht, eine fragwürdige Struktur zu stabilisieren, steht dahin.
Jahrzehntelang haben die kleinen und mittleren Buchhandlungen aus ihrer Not eine Tugend gemacht: Sie haben nicht mehr viel in den Regalen stehen, können aber die Wünsche der Kunden in den meisten Fällen innerhalb Tagesfrist erfüllen, weil ihnen die Buchgrossisten (Barsortimente) das Lagerrisiko abnehmen. Ihre wesentliche Beratung bestand und besteht im Durchforsten der Verlags- und Barsortimentskataloge und des umfassenderen Verzeichnisses Lieferbarer Bücher (VLB). So ist ein konsequentes persönliches Marketing (z.B. durch das Versenden von eigenen oder fremden Rezensionen) leider nicht typisch für diese Läden.
Im Zuge der Entwicklung des Internets stehen die Rechercheinstrumente des Handels auch den Kunden unmittelbar, also online, zur Verfügung. Diese Gunst der Stunde nutzte der traditionelle Versandbuchhandel, der sich noch bis in die frühen 1990er Jahre im Wesentlichen als Spezialitätenanbieter auf Printkatalogbasis (z.B. Weltbild) verstand, und offeriert seither ein Komplettprogramm – mit zunehmendem Erfolg bei den Kunden.
Dieses Käuferverhalten geht mittlerweile auch zu Lasten der so genannten Buchkaufhäuser, die ab Mitte der 1980er Jahre aus alteingesessenen Großbuchhandlungen entstanden waren und sich anfangs durch tiefgefächerte Sortimente auszeichneten, was eine erste Verdrängungswelle zum Nachteil kleiner und mittlerer Buchhandlungen auslöste. Mittlerweile erwecken die Filialisten jedoch vielfach den Anschein, dass sie sich zu Verkaufsstellen von Bestsellerlisten zurückgebildet haben. Auch soll die Präsentation von anscheinend unendlich vermehrbaren Kochbuchserien und in Hochglanz verpackten Peinlichkeiten („Geschenkbücher“) retten, was möglicherweise längst verloren ist. Die vermeintlichen Branchenriesen belegen, dass ein rein betriebswirtschaftliches Denken ohne Bezug zu Wareninhalten, ohne Pflege von Kundenkontakten und ohne Beachtung der Entwicklung technischer Kommunikationsmittel katastrophal enden kann. Hugendubel und andere sind Opfer ihrer hausgemachten Fehleinschätzungen geworden. Doch den kleinen Buchhandlungen nützt das das Ausdünnen der Filialnetze in den meisten Fällen vermutlich nichts.
Denn der Internetbuchhandel (innerhalb dessen auch die Direktvertriebe der Verlage kräftig mitmischen) ist mittlerweile dabei, neben einem faktisch unbegrenzten Angebot an Büchern und Hörbüchern auch Download-Stationen für eBooks zu implementieren. Es darf bezweifelt werden, dass die „gemütlichen Buchhandlungen“, so wie sie in dem Artikel exemplarisch beschrieben werden, das leisten können, wenn sie es denn überhaupt leisten wollen.
Nicht zuletzt sind sie auch von ihrem Verband, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels, nur dilettantisch unterstützt worden. Dessen 2006/2007 geschaffene zentrale Schnittstelle LIBREKA (Verkauf elektronischer Bücher über den stationären Handel) droht an technischen Problemen bzw. an falsch eingeschätzten Kosten zu scheitern.
So bleibt zu vermuten, dass weder das Internet noch die eBooks das Ende der Literatur einläuten werden. Denn sowohl für den Gebrauch des einen als auch des anderen ist eines die Grundvoraussetzung: Nämlich verstehend (!) lesen zu können. Und das bedeutet, in der Lage zu sein, sämtliche Vorgänge des Lebens durch das Denken und die Sprache abstrahieren zu können, was sich neben der Wissenschaft auch in der Literatur abbildet.
Die wirklichen Gefahren, die dem Denken, der Sprache und damit auch der Literatur drohen, drohen von woanders: Nämlich aus einer Gesellschaft, die sich intellektuell zurückentwickelt, weil sie zunehmend das Schlichte für das Normale erklärt und den Menschen zum Objekt in einer Warenwelt degradiert. Die Kultur ist der Überbau einer jeden Gesellschaft. Wo sich aber an der Basis nichts mehr entwickelt, kann auch auf einer Metaebene nichts reflektiert und zurückgegeben werden.“

Katharina Rodriguez aus Rodgau meint:

„Ich habe den Artikel mit großem Interesse gelesen da ich selbst Buchhändlerin bin und mir nicht mehr vorstellen kann, eine Anstellung in meinem Beruf zu finden. Ich kenne Herrn Riegers Situation, habe selbst 8 Jahre bei Buch Habel (jetzt Hugendubel) gearbeitet, die Umstrukturierung und Geburt der DBH am eigenen Leib mitgekriegt.
Die Großen denken, der stationäre Buchhandel ist tot, weil er bei ihnen nicht funktioniert. Das passt zur typischen, markt- und kundenfernen Arroganz von Nina, Max und Co, und dass Fräulein Hugendubel einmal im Monat am Stachus an der Kasse steht, hat nichts mit Interesse am Kunden zu tun. Offizielle Zahlen (Börsenverein des dt. Buchhandels) sagen folgendes: Je größer der Jahresumsatz, desto größer der Einbruch. Je kleiner der Jahresumsatz, desto größer das Wachstum. Klar, dass man sich das nicht erklären kann, wenn man so völlig den Kontakt zum Kunden und dessen Bedürfnissen verloren hat. Und uns Buchhändler von der “Front” fragt ja keiner. Witzig, dass all die wichtigen Entscheider mit ihren BWL-Abschlüssen keine besseren Ideen haben, als zu sparen, wo es nur geht. Geht man für solch eine Erkenntnis 4 Jahre zur Uni? Irgendwann wird es den Hugendubels und Thalias gehen wie den Schleckers, völlig ahnungslos, wie es soweit kommen konnte.
Ich werde nicht mehr angestellt als Buchhändlerin arbeiten und mich zum Bücherwegräumer degradieren lassen. Ich eröffne im Januar selbst. Meine Kunden bekommen auf 90 qm Orientierung, Inspiration, Unterhaltung und Persönlichkeit. All das, was es bei Thalia und Amazon nicht gibt.“

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7 Kommentare zu “Die wirklichen Gefahren drohen von woanders

  1. Ja, ich empfinde ein leichtes Unbehagen dabei, amazon wöchentlich reicher zu machen. Einfach, weil Großkonzerne immer ein wenig bedrohlich erscheinen. Dennoch: Ich liebe mein E-Book. Abgesehen von illustrierten Büchern, Ausstellungskatalogen, Kochbüchern und „Sammlerstücken“ lese ich alles darauf. Ich finde es ausgesprochen befreiend, dem Genuss des Buches zu frönen ohne weitere Gegenstände anhäufen zu müssen. Das Buch wird durchs E-Book quasi immateriell. Der passende Ort dafür wäre die Klosterzelle. Kein bleischweres Buch in Händen- das Wort wird zum Gedanken, als ob es nie einen Autor, eine Buchindustrie gegeben hätte- der Inbegriff der Konzentration auf die vergänglichen Gedanken des Autors. An kleinen Buchläden mag ich, dass die Auswahl individuell ist und man dort Schätze findet, die es sonst nirgends gibt. Meistens nehme ich dann gleich 5 Bücher auf einmal mit (adieu, du schöne Klosterzelle!). Ich mag an kleinen Buchläden nicht:die freundlichen Leser mit ungewaschenen Händen, die in meine Lieblingsbücher Plätzchenkrümel streuseln, ich verabscheue die Staubkanten an den altgewordenen Büchern- Ladenhütern genannt-,die mich zwar inhaltlich locken, deren Geruch nach Zigarettenrauch mir aber den Atem verschlägt. Ich liebe das E-Book- es ist einfach nur der Text und will nicht mehr sein.

  2. IF I get older, loosing my NET,
    many CLICKS from now,
    will you still be MAILING me an APPLE-tine,
    birthday greetings, VIRTUAL LINES?

    If I’d been OFFLINE
    Till 1/4 >3
    Would there be a DOOR?
    Will you still need me
    Will you still FEED me
    When I’m IP4?

    You’ll be OUTSOURCED too
    And if you say the WORD
    I could stay with TUBE

    I could be HANDY
    Mending a FUZZ
    When your CELLS have gone
    You can knit a sweater by the KNITTING APP
    SOMEDAY mornings using a NAV

    Doing the PIXELS
    LOADING the TWEETS
    Who could GOOGLE more?
    Will you still need me
    Will you still FEED me
    When I’m IP4?

    Every summer we can rent an APPLET
    In the Isle of WIDGETS if it’s not too dear
    We shall SHRINK and SAVE (we shall SHRINK and SAVE)
    SCREENSAVERS on your knee
    Veras, Chucks, and Daves

    Send me a VIRTCARD
    DRAG/DROP me a line
    POSTING points of view, yet REVISITED
    Indicate VAGUELY what you THOUGHT to say
    CUT and DELETE it, waste it away

    Give me STATISTICS
    Fill in a FORM
    Mine for NEVERMORE
    Will you still need me
    Will you still FEED me
    When I’m IP4?

  3. Ich schau bei Amazon rein um mich zu informieren.
    Dann gehe ich in den kleinen Buchladen in meiner Stadt und bestelle und kaufe es dort. Der Preis war bisher gleich.

  4. @3: ja, die Buchpreisbindung ist auch so ein Kuschelfaktor.
    Nachdem Amazon ja keine ebooks verkauft, sondern nur die Nutzung lizensiert, gehört dieses monopolistische Schutzrelikt auch auf den Prüfstand.

    Übrigens ist dieses Verhalten mit umgekehrten Vorzeichen genau das, was den Internethändlern immer vorgeworfen wird: Beratung vor Ort beim Fachhändler und dann kaufen im Internet. Interessanter Gedanke ;))

    Ich könnte mir eher vorstellen, dass eine Buchhandlung umgestaltet wird zu einem „Leseclub“ mit Kaffee, Kuchen und geistigen Getränken, wo Leser nicht nur lesen, sondern auch diskutieren können. Vielleicht gibt es dann auch Themenabende o.ä.
    Bei sowas würde ich gern hingehen und sicherlich auch Geld lassen. Das würde mit Totholz genauso funktionieren wie mit ebooks, der Schwerpunkt wären Gedanken und Getränke …

    Ansonsten ist Amazon (oder Medimops für Gebrauchtes, einfach, um auch mal was anderes zu nennen), schlicht viel zu bequem, um es nicht zu nutzen, insbesondere, weil man eben auch gebrauchte Bücher, Musik etc. kaufen kann.

    Wie beschrieben, hat die Buchhandlung den Nachteil, dass sie in den allermeisten Fällen beim Großhändler ordern muss — ich kann fast nie mein Buch gleich mitnehmen, und mein Lieblingsbuchhändler ist 15 km entfernt. Das ist zeitlich und ökologisch Blödsinn für mich. ebooks befriedigen auch noch das „will ich jetzt“ und den Spontankauf.

  5. Bei alldem hin und her geht es zuletzt doch nur darum, daß Menschen einen Beruf haben und davon leben können.

    Wenn eine Zeitung ein ökologisches Produkt wäre, zahlte ich gern mehr dafür.

  6. Keine Reaktion?
    Eine Zeitung ist ein Tagesprodukt, sie wird nach dem Lesen entsorgt.
    Also
    1. Das entsorgte Produkt muß umweltfreundlich sein. Das heißt, daß die Druckerschwärze ungiftig und biologisch abbaubar sein muß und aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen sein soll. Macht euch dran.

    2. Das Papier. eines der umweltschädlichsten Produkte, muß einer sinnvollen Verwertung zugeführt werden. Ob man es verbrennt oder wiederverwertet, es muß umweltneutral sein. Macht euch dran. Druckerschwärze in einer Zeitung muß nicht dauerhaft sein.

    3. Deutlich und schärfer ist drucktechnisch ein Unsinn. Weniger Dots per Inch machen die Sache billiger. Niemand braucht gestochen Scharfes bei einem Wegwerfprodukt. Ihr seid schlecht beraten. Das Verhältnis von gefühlter Wertigkeit zu Inhalt passt nicht mehr.
    Die Zeitung an sich muß materiell wertlos sein, der Inhalt nicht.

    Dünner, unschärfer, gehaltvoller ist die Lösung für das Zeitungsproblem.

  7. @ sixty-four,
    du kannst doch mitten in der Nacht nicht innerhalb von drei Stunden eine Realtion erwarten.

    Ich schätze mal, die meisten Leute möchten ihre lieb gewordene Gewohnheit nicht missen : Blättern in der Zeitung beim Frühstück – alles andere ist bedeutungslos.

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