Im Vorfeld des Papstbesuchs

Der Papst wird vor dem Deutschen Bundestag reden, eingeladen von eben diesem – ein Ereignis, dass die Schar der Parlamentarier spaltet. Ein Teil von ihnen will der Rede fernbleiben und so Protest ausdrücken – dagegen, dass der Papst als Vertreter eines autokratischen Regimes vor einem demokratisch gewählten Plenum sprechen darf. Etwas zugespitzt: Wenn der Papst das darf, dann muss dies auch ein Lukaschenko dürfen. Oder? Ach so, ich vergaß – die christliche Leitkultur. Nun, es dürfte weitgehend unerheblich sein, was Benedikt sagen wird, denn es wird anschließend keine Debatte darüber geben – und das an einem Ort der Debatten.

Arno Widmanns Leitartikel zur noch nicht gehaltenen Papstrede hat die FR-Leserinnen und -Leser zu vielen Leserbriefen animiert. So meint Reinhard Moysich aus Karlsruhe:

„Für mich ist es ein Riesen-Skandal, dass ausgerechnet der Papst eine Rede vor dem Deutschen Bundestag halten darf. Denn die Auffassung dieses Menschen ist in wesentlichen Bereichen des Lebens krass menschenrechtswidrig, insbesondere gegenüber allen anderen etwa 400 gleichberechtigten religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen, indem er auf massiver Bevorzugung seiner speziellen Weltanschauung besteht. Aber auch seine Meinung z.B. zu Frauen, Homosexuellen, Eheschließung von Priestern und der Notwendigkeit einer effektiven Geburtenkontrolle finde ich alles andere als menschenfreundlich. Ich finde es sogar sehr gefährlich, wenn sich die meisten Bundestagsabgeordneten bisher dem Boykott nicht anschließen wollen. Sie ignorieren die Verpflichtung des Bundesverfassungsgerichts zur Weltanschauungsneutralität und provozieren so geradezu Schaden für Deutschland!“

Gerd Kallweit aus Mainz:

„Der Papst will im Bundestag reden; im Haus interessiert das nicht jeden. Für einhundert Plätze gibt’s einfach Ersätze. Wer spannte denn da bloß die Fäden?
Im Vorfeld des Papstbesuchs im Bundestag haben etwa hundert Abgeordnete wissen lassen, sie zögen es vor, während seiner Rede nicht anwesend zu sein. Die dadurch frei bleibenden Plätze, so ist der Nachrichtenlage zu entnehmen, sollen mit Ersatzleuten besetzt werden. Wem damit vorgegaukelt werden soll, der Papst werde vom gesamten Plenum willkommen geheißen, sei dahingestellt. Allen Abgeordneten gegenüber ist das ein kaum zu übertreffender Affront.
Der Sitzung absichtlich fernzubleiben, ist eine Meinungsäußerung. Das Recht, seine Meinung zu äußern, steht jedem Bundesbürger laut Grundgesetz zu. Den betroffenen Abgeordneten wird dieses Recht verweigert. Sie dürfen eine Meinung haben, sie aber nicht durch einen leeren Stuhl äußern.Die Ersatzleute spielen eine Statisten-Rolle. Dadurch werden die Abgeordneten, die an der Veranstaltung teilnehmen, ebenfalls zu Statisten degradiert, denn es ist offenbar egal, wie sich das Auditorium zusammensetzt. Selbst schuld, wer das mit sich machen lässt.“

Thomas Müller aus Regensburg:

„Sie schreiben: „Der Papst wird im Bundestag reden. Ich bezweifle, dass das sein gutes Recht ist.“ Wie Sie an anderer Stelle erwähnen, kommt der Papst als Staatsoberhaupt zu Besuch nach Deutschland. Einer guten Tradition folgend hat ihn der Deutsche Bundestag in seiner Funktion als Vertreter des Vatikanstaates eingeladen, dort eine Rede zu halten. Ist es nicht sein Recht, dieser Einladung nachzukommen? Was hätten Sie geschrieben, wenn er die Einladung ausgeschlagen hätte?
„Der Boykott ist die unter diesen Umständen höflichste Form des Protestes. (…) Was hat er getan, dass ich Respekt haben soll vor ihm?“ Eine demokratische Diskussion – und der Bundestag ist doch per se einer der Plätze dafür – leben u.a. von der Einhaltung bestimmter Grundregeln. Dazu gehören: Ich lasse zu, dass eine andere Meinung vorgetragen wird, und ich höre diesem Vortrag zu; ich respektiere mein Gegenüber, gerade dann wenn er/sie anderer Meinung ist. Meine Gegenfragen: Wenn Boykott, also das demonstrative Weghören, eine höfliche Form des Protests ist, was ist dann Ihrer Meinung nach eine unhöfliche Form des Protestes? Und was muss man getan haben, dass Sie Respekt vor einem Menschen anderer Meinung haben?
„Es ist für viele Menschen eine Zumutung, wenn andere ihnen sagen wollen, was richtig und falsch ist.“ Ihrem Leitartikel entnehme ich, was Sie für richtig und falsch halten. Ihr gutes Recht. Ihr Leitartikel steht unter der Überschrift Meinung, aber er müsste eigentlich unter der Überschrift „Zumutung“ stehen.“

Stephan Koliwer aus Heidelberg:

„Ich bin an dem Satz „Seine Einmischung in das Leben anderer ist eine Zumutung“ hängengeblieben. Unabhängig davon, ob man Katholik ist und was man von den Ansichten des Papstes hält, verdient er Respekt (ebenso wie der Dalai Lama, Gregor Gysi oder Arno Widmann). Die sogenannte Einmischung des Papstes besteht letztlich lediglich darin, dass er entschieden seine Meinung sagt. Diese Meinung kann man teilen oder nicht. Auch wenn sich der Papst z.B. entschieden gegen Sexualität ausserhalb der Ehe ausspricht, hat in Deutschland jeder Mann und jede Frau die Freiheit, es anders zu sehen und zu leben. Aus dem Wort „Zumutung“ spricht nicht gerade ein Respekt vor der Meinung eines anderen Menschen. Die Meinungen des Papstes braucht man nicht zu teilen. Sie sich anzuhören kann aber kaum schädlich sein. Im Gegenteil – sie hilft, den eigenen Standpunkt zu überdenken, ihn zu verstärken oder ggf. auch zu ändern.“

Günter Wädermann aus Halle:

„Der Artikel war genau getroffen, für manche wirkte er sehr betroffen. Doch es war eine freie Meinung, die sollte doch in diesem demokratischen Lande jeden zugestehen. Die, die dagegen wettern, sind vielleicht intoleranter und undemokratischer. Heißt es nicht irgendwo, Du sollst Deine Feinde lieben? Eine Demokratie muss von der Vielfalt der Meinungen leben, sonst haben wir eine Diktatur.
Zu den christlichen Werten in unserem Lande, wo sind die denn? Die gehen doch sofort verloren, wenn es um Profit geht. Dann noch eins. Die 10 Gebote, kennt keiner mehr oder will sie garnicht mehr wissen, die stören doch nur. Minütlich, stündlich, täglich wird dagegen verstoßen im zusammenleben der Menschen auf der Welt. Da solle mal die Christenheit ansetzen und nicht nur nach außen mit lippenbekenntnissen christlich sein. Die Realität ist nämlich furchtbarer.“

Roland Klose aus Bad Fredeburg:

„Wer sich auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruft, wo doch in der Präambel „die Verantwortung unseres Volkes vor Gott und den Menschen“ ausdrücklich betont wird, der kann und darf nicht einfach behaupten, die geplante Rede von Papst Benedikt XVI., Stellvertreter des Apostels Petrus, vor dem Deutschen Bundestag in Berlin verletze die weltanschauliche Neutralität des Staates. Aus diesem Grunde würde ich ebenfalls die Rede eines Oberhauptes des Islams und des Judentums im Reichstag begrüßen. Allerdings sollten nach Beendigung der Rede von Papst Benedikt XVI. auch diesbezügliche Fragen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages an das Oberhaupt der Katholischen Kirche erlaubt sein.“

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24 Kommentare zu “Im Vorfeld des Papstbesuchs

  1. Wer die Frage stellt, ob der Papst „das Recht“ hat, vor dem Bundestag zu reden, oder ob die Abgeodneten „das Recht“ haben, die Rede des Papstes zu boykottieren, verkennt, dass es hier nicht um Rechte geht, sondern un die Frage, wie man sich gegenüber einem eingeladenen Gast verhalten sollte. Es geht um eine Frage der Höflichkeit.

    Ein Recht im juristischen Sinne, vor dem Bundestag zu reden, haben nur gewählte Abgeordnete und Mitglieder der Bundesregierung (wenn diese keine Abgeordneten sind). Und selbstverständlich haben Abgeordnete das Recht, Sitzungen des Bundestages (oder Zusammentreten anlässlich des Besuches eines auswärtigen Staatsoberhauptes) fernzubleiben, wie es ihnen beliebt. (Tatsächlich machen die Abgeordneten von diesem Recht regen Gebrauch; nicht selten finden Sitzungen des Bundestages vor einem weitgehend leeren Plenum statt.)

    Aber darum geht es hier doch gar nicht.

    Der Papst kommt nach Deutschland als Oberhaupt eines auswärtigen Staates, nämlich des Vatikanstaats. (Zugleich ist er oberster Kleriker einer Kirche, der in Deutschland – zumindest auf dem Papier – ca. ein Drittel der Bevölkerung angehört.) Staatsoberhäupter pflegen nicht „einfach so“ in ein anderes Land auf Staatsbesuch zu kommen. Es ist davon auszugehen, dass der Papst auf Einladung kommt. Zumindest wurde er offenbar vom Bundestagspräsidium eingeladen, vor dem Bundestag eine Rede zu halten. Der Bundestag hätte die Möglichkeit gehabt, eine solche Rede im Vorfeld zu untersagen. Hiervon hat der Bundestag keinen Gebrauch gemacht.

    Und hier kommt die Höflichkeit ins Spiel. Wenn ich einen Bekannten zu mir nach Hause zum Abendessen einlade, dann erwirbt der Eingeladene natürlich nicht das juristische Recht, meine Wohnung zu betreten. Gleichwohl wäre es grob unhöflich und beleidigend, wenn ich den erschienenen Gast dann nicht einlasse, sondern vor der Tür stehen lasse. Das Gleiche gilt, wenn ich während des Abendessens demonstrativ das Esszimmer mit der Begründung verlasse, die Anwesenheit des Gastes widerstrebe mir generell.

    Der geplante Boykott der Papstrede durch Abgeordnete ist unhöflich, respektlos, um nicht zu sagen beleidigend. Es zeugt auch von fehlendem Stil. So geht man mit einem eingeladenen Staatsoberhaupt nicht um, wenn man als Abgeordneter selbst den einladenden Staat und Gastgeber repräsentiert. Respektlos auch gegenüber der Kirche und ihren in Deutschland lebenden Mitgliedern, deren (kirchliches) Oberhaupt der Papst ist.

    Der Papst, immerhin vom Konklave der Kardinäle gewählt, ist kein blutrünstiger Diktator. Er hat eine größere demokratische Legitimation als beispielsweise die britische Monarchin, die ihr Amt einfach nur ererbt hat. Einem laizistischen Staat obliegt Neutralität in Religionsangelegenheiten. Es ist daher nicht Sache des Verfassungsorgans Bundestags (oder eines Teils seiner Mitglieder), eine Religion „zu bewerten“. Auch dies lässt den bebsichtigten Boykott in einem fragwürdigen Licht erscheinen.

    Schließlich handelt es sich bei der geplanten Aktion um nutzlosen Symbolismus, der praktische Politik ersetzt. Die Abgeordneten, die jetzt die Rede boykottieren wollen, hätten es doch schon seit längerem in der Hand gehabt, Gesetzesinitiativen in den Bundestag einzubringen, um die vielfältigen Überbleibsel eines faktischen Staatskirchentums in Deutschland zu beseitigen, als da wären: staatlich eingezogene Kirchensteuer, Abschaffung des Religionsunterrichts in staatlichen Schulen, Kirchenvertreter in Kontrollorganen des öffentlich-rehtlichen Fernsehens oder Beseitigung der staatlichen Besoldung von Geistlichen der evangelischen und katholischen Kirchen. Vón Initiativen diesen Inhalts hat man bisher nichts vernommen und wird es wohl auch in Zukunft nicht.

  2. Der letzte intelligente Mensch dieser Welt war ja der ägyptische Pharao Echnaton. Seinen Satz, dass die Sonne der
    einzige Gott ist, könnte sogar ein heutiger Biologe unterschreiben.

    Seine Nachfolger (Juden, Christen, Muslime) waren
    leider weitaus dümmer als Echnaton, und glaubten, einen weiteren Gott neben der (sichtbaren) Sonne erfinden zu müssen.
    Das Resultat ist ja bekannt: Terror, Fundamentalismus, Kriege, etc.

    Lieber also wieder ein solcher Echnaton, als einen
    jüdisch-christlich-deutschen Papst!!!!

    Und: einen Atheismus hat es nie wirklich gegeben! Selbst in Erfurt gab es noch zu DDR Zeiten Pastoren (wie Frau Merkels Vater), Stalin war ein griechisch-orthodoxer Georgier, Mao war ein Schüler des jüdischen Marxisten Marx, und Hitler war ein Erzkatholik aus Braunau…

  3. Es ist nachdenkenswert, wenn ein so profilierter Vertreter des Antiparlamentarismus, ein Autokrat, vor einem Parlament mit vom Volk gewählten Abgeordneten seine Ansichten vortragen will. Wobei bekannt ist, dass jener Verteter Frauen von einer mitbestimmenden Teilnahme an der Schöpfung Gottes ausschließt und hierzulande Rechte beansprucht, die der Verfassung und den Menschenrechten zuwiderlaufen, wie Beschäftigung Geschiedener in Betrieben der katholischen Kirche, jedes von Gott geschaffene Kind wird mit dem Fluch und Stigma der Erbsünde belastet geboren u.v.w. Zudem mussten Demokratie, Rechtsstaat mit Meinungsfreiheit, Menschenrechten des Individuums, politische Vertretung durch Abgeordnete im Parlament gegen den erbitterten Widerstand jeder Institution freigekämpft werden. Nun will deren derzeitiges Staatsoberhuapt im Bundestag seine Ansichten vortragen, ein Witz der Geschichte.

  4. Ich protestiere hiermit ausdrücklich gegen die Einladung des Papstes, vor der deutschen Volksvertretung im Reichstag sprechen zu können; vorweg betone ich, dass der Papst in seiner Funktion als „Staatsoberhaupt“ dieses Recht wahrnimmt.

    Ein Staatsoberhaupt mit einem – bezogen auf die Shoa – derart defizitären Geschichtsverständnis, das zugleich Staatsoberhaupt eines von ihm absolutistisch und autoritär regierten Staates ist, darf kein Recht haben, vor einer deutschen Volksvertretung eine Rede halten zu dürfen. Sie kämen gewiss ja auch nicht auf die Idee, Herrn Lukaschenko vor der deutschen Volksvertretung sprechen zu lassen.

    Das von Papst Benedikt formulierte Geschichtsverständnis hinsichtlich der Schuldverstrickungen der katholischen Kirche während der NS-Zeit bleibt äußerst defizitär; besonders deutlich wurde diese Beobachtung bei seinem Aufenthalt in Auschwitz im Juni 2006.

    „Es war und ist eine Pflicht der Wahrheit, dem Recht derer gegenüber, die gelitten haben, ein Pflicht vor Gott, als Nachfolger von Johannes Paul II. und als Kind des deutschen Volkes hier zu stehen – als Sohn des Volkes, über das eine Schar von Verbrechern (sic !!!) mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheißung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, so dass unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und der Herrschens gebraucht und missbraucht werden konnte…“ – Auszug aus einer Rede Benedikts bei seinem Auschwitz-Aufenthalt.

    • War es wirklich nur eine (kleine?) Schar von Verbrechern? War nicht das deutsche Volk in erheblichem Maße involviert? Hat ein Großteil des deutschen Volkes z.B. in der Nacht vom 9./10. Nov. 1938 und in den folgenden Tagen nichts gesehen?

    • Welche Rolle spielten eigentlich die Bischöfe und große Teile des Klerus?

    Die Verharmlosung der deutschen Schuld (und der Schuld der Kirche!!!) bei seiner Rede in Auschwitz stellt für mich ein Hinderungsgrund dar, diesen Papst vor der deutschen Volksvertretung sprechen zu lassen. Der Papst hat mit seinem defizitären Geschichtsverständnis bezüglich der Rolle des deutschen Volkes und insbesondere der Rolle der Kirchen hinsichtlich der Verantwortung für die Shoa eine Grenzlinie überschritten, die sich keine frei und demokratisch gewählte deutsche Volksvertretung bieten lassen darf, weil dieser Papst mit seinen einer Geschichtsklitterung Nahrung gebenden Äußerungen genau den Parteien Wasser auf ihre Mühlen sein dürfte, die keine Demokrat im Reichstagsgebäude sehen möchte. Ich protestiere hiermit aufs Deutlichste gegen die Einladung durch Parlamentspräsident Lammert, Papst Benedikt vor der deutschen Volksvertretung sprechen lassen zu dürfen.

    Dass der Papst im Zusammenhang mit der Aufhebung der Exkommunikation der Piusbrüder zudem einen Auschwitz-Leugner rehabilitierte, verleiht dem päpstlichen Desaster noch eine weitere tragische Dimension.

    Wenn Benedikt XVI. glaubt, den Holocaust auf „eine wahnwitzige, neuheidnische Rassenideologie“ zurückführen zu können, so wird er der verhängnisvollen und schuldbeladenen Rolle der christlichen Kirchen in den zurückliegenden Jahrhunderten, aber vor allem auch ihrer Rolle während der Nazizeit, nicht in ausreichendem Maße gerecht. Denn nicht nur der rassenideologisch begründete Völkermord der Nationalsozialisten ist für den einzigartigen Kulturbruch der Menschheit und die unvergleichbare Verletzung von Menschenrechten und Menschwürde verantwortlich, sondern auch der von den christlichen Kirchen seit Jahrhunderten gepredigte und praktizierte Antijudaismus hat in den Köpfen der Nazischergen eine unverwechselbare Spur der Verantwortungs- und Gewissenlosigkeit bei der Exekution des Völkermordes hinterlassen.

    Ein Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim Zentralkomitee der Deutschen Katholiken unter der Leitung von Werner Trutwin stellte 2002 zusammenfassend fest:

    „Der kirchlicherseits oft gehörten Behauptung, der Antisemitismus habe seine Wurzeln nur außerhalb des Christentums, ist zu widersprechen : Zwar hat der Antisemitismus des Nazi-Regimes mit seiner Rassenlehre und seinem Vernichtungswillen gegenüber dem kirchlichen Antijudaismus eine neue Dimension erreicht, doch wäre der heidnische Antisemitismus ohne die Grundlegung des christlichen Antijudaismus nicht möglich gewesen. Die unheilige Allianz beider Überzeugungen führte zu Auschwitz.“

    Hinzu kommt, dass der Papst – er kommt ja in seiner Funktion als Staatsoberhaupt nach Deutschland – das letzte absolutistisch regierende Staatsoberhaupt in Europa ist. Kein Führer der Welt hat eine ähnlich totalitäre Herrschervollmacht. Der Führer des Vatikans vereinigt in einer Person die Legislative , Exekutive und Judikative. Jesus von Nazareth sagte hingegen: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18, 36). Deshalb steht das Papsttum und die Kirche auch in diesem zentralen Punkt (wie auch in allen wesentlichen anderen) im krassen Gegensatz zu dem Mann aus Nazareth.

    Kein noch so ausgefeiltes antidemokratisches Rechtssystem wird auf Dauer die kritischen Geister in der katholischen Kirche mundtot machen können. Wenn die katholische Kirche im Bereich ihrer Organisations,- Ämter- und Verwaltungsstrukturen ihren Weg der Unglaubwürdigkeit, Menschenverachtung und Unrechtmäßigkeit verlassen will, gibt es nur den einen Weg, den alle Demokratien auch zuvor gegangen sind : Einführung von Gewaltenteilung, Verfassung und Beachtung der Menschenrechte!

    Als Beispiel für die Missachtung der Menschenrechte sei der vom Vatikan praktizierte Umgang mit Hans Küng angeführt:

    Muss man Hans Küng nicht recht geben, wenn er hinsichtlich seiner vom Vatikan praktizierten juristischen Behandlung feststellt: „Mit Trauer und Unverständnis habe ich den Ausgang der römischen Verhandlungen zur Kenntnis genommen. Der Papst verurteilt einen Mann, den er nicht gehört hat. Die römische Devise ‚audiatur et altera pars’ (auch der andere Teil soll gehört werden) gilt im päpstlichen Rom nicht. Obwohl ich mehrere Male an den Papst geschrieben und zuletzt durch den Bischof von Rottenburg dringend um ein Gespräch mit ihm gebeten hatte, fand der Papst es nicht nötig, einen katholischen Theologen persönlich anzuhören, der seiner Kirche durch ein Vierteljahrhundert nach bestem Wissen und Gewissen zu dienen versuchte. Ein unbequemer Kritiker soll mit allen Mittel geistliche Gewalt zum Schweigen gebracht werden.“ (Umstrittene Wahrheit : S. 621-622) ….„ Gegen alle falschen Behauptungen stelle ich deshalb in den säkularen Medien richtig …..Ich habe mich nur einem Inquisitionsverfahren verweigert, wo Untersuchende, Anklagende und Richtende identisch sind, wo mir Einsicht in die Akten verweigert wird, ich keinen Verteidiger benennen darf, in meiner Abwesenheit verhandelt wir und keine Appellationsmöglichkeit besteht. Das verstößt gegen die Menschenrechtserklärung des Europarates, Artikel 6.“ ( Umstrittene Wahrheit : S. 628)

    Heute haben fast alle europäischen Staaten – ausgenommen der Vatikan und Weißrussland – die Menschenrechtskonvention des Europarats unterzeichnet und ratifiziert.

    Weder ein politisches System noch die kath. Kirche darf unterstützt werden in ihren autoritären, undemokratischen und menschenrechtsverletzenden Strukturen!

    Paul Haverkamp, Lingen

  5. Der Papst hat als Redner im Bundestag nichts verloren. Er ist zwar das Staatsoberhaupt eines Zwergstaates. Als solches tritt er aber nicht in erster Linie vor den Bundestag, sondern als Oberhaupt der katholischen Kirche. Ich hätte ehrlich gesagt auch keine Lust dazu, mir seine Belehrungen anzuhören. Denn um nichts anderes handelt es sich ja- schließlich ist die Rede nicht als Impulsvortrag mit Gegenargumentation konzipiert. Wer Interesse an einem Papstvortrag hat, sollte doch einfach den Petersdom aufsuchen. (oder zu gegebener Zeit nach Freiburg fahren).
    maat

  6. @Haverkamp,

    ihre Vorwürfe sind völlig absurd.

    Selbstverständlich hat eine Schar von Verbrechern damals in Deutschland die Macht erlangt, wie der Papst das in dem von ihnen gebrachten Zitat schildert.

    „War es wirklich nur eine (kleine?) Schar von Verbrechern? War nicht das deutsche Volk in erheblichem Maße involviert?“

    Bei der Machtausübung? Sicher nicht! Bei der Machterlangung? Sicher, 1933 haben 43,9% die NSdAP gewählt.

    Was Sie aber wohl mit „Involvierung des deutschen Volks“ meinen, wird doch vom Papst überhaupt nicht in Abrede gestellt, denn ich wüsste nicht, wie man ein Volk „als Instrument gebrauchen“ (so der Papst) kann, ohne es zu involvieren. Wenn Verbrecher andere Personen als Instrumente für ihre verbrecherischen Ziele gebrauchen, so ist das überhaupt keine Entschuldung dieser anderen Personen, denn sie verfolgen ja dann ebenfalls die verbrecherischen Ziele. Daß der Papst mit dem von Ihnen zitierten Satz eine Entschuldung des deutschen Volkes vornehmen wollte bilden Sie sich also ein.

    Allerdings scheint der Papst wohl, wie ich jedenfalls, der Meinung zu sein, daß ohne diese Gruppe von Verbrechern, also z.B. unter einer SPD-Regierung, die Geschichte Deutschlands anders verlaufen wäre, und insbesondere Katastrophen wie z.B. die Judenvernichtung so nicht stattgefunden hätten. Dass also daher diese Gruppe von Verbrechern eine ganz wesentliche Anstiftungsfunktion hatte, das abzustreiten wird nur ganz leidenschaftlichen Deutschenhassern möglich sein.

    Was das „absolutistisch regierende Staatsoberhaupt“ angeht: Dieser Staat hat 572 Staatsangehörige. Diese sind nahezu sämtlich „Firmenangestellte“ der katholischen Kirche. Störte sie die Tatsache, daß sie den Firmenchef nicht in demokratischen Wahlen selber bestimmen können, dann könnten sie ja gern die Firma verlassen. Mein geheimer Verdacht ist aber, daß alle diese Angestellten es DRINGEND WÜNSCHEN und VÖLLIG DAMIT EINVERSTANDEN sind, daß sie ein absolutistisch regierendes Oberhaupt haben. Hier den Maßstab eines deutschen Demokraten anlegen zu wollen ist nun wirklich völlig absurd.

    „er kommt ja in seiner Funktion als Staatsoberhaupt nach Deutschland“

    Ist das wirklich so? Oder besucht uns der „Heilige Stuhl“? Ein Staatsoberhaupt ist VERTRETER eines Staates, also eines Völkerrechtssubjektes, der „Heilige Stuhl“ (nicht zu verwechseln mit dem Vatikan) IST SELBER ein Völkerrechtssubjekt, und vertritt nicht nur ein solches. Lesen Sie sich mal in die völkerrechtlichen Details ein.

    Ohne jetzt die Berichterstattung dazu verfolgt zu haben bezweifle ich jedenfalls, daß der Papst als (autokratisch herrschender, nichtdemokratisch bestimmter) Vertreter des Völkerrechtssubjekts „Vatikanstaat“ zu uns kommt (wen interessieren diese 572 fernen Staatsangehörigen und ihre Befindlichkeiten hierzulande schon), sondern denke, daß er als Völkerrechtssubjekt „Heiliger Stuhl“ zu uns kommt. Die Befindlichkeiten des „Heiligen Stuhls“ hingegen interessieren im Gegensatz zum Vatikanstaat und seinen Wünschen und Zielen eine ganze Menge Menschen hierzulande. Wenn es ebensoviele Menschen hierzulande gäbe, die ebenso eng mit den Befindlichkeiten Weißrusslands und seiner Menschen verbunden wären wie mit dem Heiligen Stuhl und seinen Auffassungen, dann sollte selbstverständlich auch Lukaschenko im Bundestag reden können. Diese ganze Kritik an „Autokratie“ usw. läuft m.E. völlig ins Leere.

    Ich persönlich bin nicht Anhänger einer christlichen Religion (sondern der Religion des fliegenden Spaghettimonsters). Trotzdem bin ich entsetzt darüber, wie durch das Genörgel am Auftritt im Plenum des Deutschen Bundestags die Interessen unzähliger Christen im Land ignoriert werden. Dass das „Gutsein“ des Gutmenschen äußerst selektiv ist, ist ja schon bekannt, dieser Tage merkt man aber deutlich, daß Christen außerhalb der Gruppen stehen, zu denen man sein Gutsein unbedingt demonstrieren muß.

  7. Für Max Wedell!

    I. Zum geschichtlichen Aspekt Ihrer Kritik an meinen Einlassungen:

    Leider haben Sie sehr selektiv meinen Beitrag gelesen; ich unterstreiche noch einmal die Einlassungen des Gesprächskreises „Juden-Christen“:

    „Der kirchlicherseits oft gehörten Behauptung, der Antisemitismus habe seine Wurzeln nur außerhalb des Christentums, ist zu widersprechen : Zwar hat der Antisemitismus des Nazi-Regimes mit seiner Rassenlehre und seinem Vernichtungswillen gegenüber dem kirchlichen Antijudaismus eine neue Dimension erreicht, doch wäre der heidnische Antisemitismus ohne die Grundlegung des christlichen Antijudaismus nicht möglich gewesen. Die unheilige Allianz beider Überzeugungen führte zu Auschwitz.“

    Als weiteres möchte ich Ihnen ein Gebet Johannes XXIII. zur Kenntnis bringen:

    Kurz vor seinem Tod formulierte Johannes XXIII. ein Bußgebet, das um Sinnesänderung der Christen in ihrem Verhältnis zu den Juden bittet:

    „ Wir erkennen heute, dass viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen verhüllt haben, so dass wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wiedererkennen. Wir erkennen, dass ein Kainsmal auf unserer Stirn steht. Im Laufe der Jahrhunderte hat unser Bruder Abel in dem Blute gelegen, das wir vergossen, und er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben, weil wir Deine Liebe vergaßen. Vergib uns den Fluch, den wir zu unrecht an den Namen der Juden hefteten. Vergib uns, dass wir Dich in ihrem Fleische zum zweiten Mal ans Kreuz schlugen. Denn wir wussten nicht, was wir taten.“

    Dieses Gebet ist ein wahres – die kath. Kirche als Ganzes in Haftung nehmendes – Schuldbekenntnis; ein solcher Text käme Benedikt wohl nie über die Lippen; das ist das, was ich beklage.

    Über 90 Schuldeingeständnisse hat man in den beiden letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gezählt – zu den Kreuzzügen, der Inquisition, dem Fall Galilei, den Kirchenspaltungen, den Religionskriegen, dem Verhalten gegenüber Indianern oder dem Sklavenhandel. Diese Schuleingeständnisse und Vergebungsbitten waren gewiss mehr als bloße Lippenbekenntnisse. Und doch blieben sie seltsam wirkungslos ; zur Begründung verweise ich auf folgende Zusammenhänge :

    Allen Schulderklärungen zeichnen sich durch folgende Gemeinsamkeit aus : Die Päpste schieben die Schuld an den im Namen Gottes verübten Verbrechen einzelnen „Söhnen und Töchtern“ der Kirche zu, oder wie Papst Benedikt in Auschwitz „einer Schar von Verbrechern“. Die päpstlichen Schulderklärungen vermeiden es konsequent, von kirchlicher Schuld zu reden. Die Erklärungen achten auf die strenge Trennung zwischen Antijudaismus und Antisemitismus und stellen dann, wie in der Erklärung von 1998 die These auf, dass die Shoa das Werk eines „typisch modernen neuheidnischen Regimes“ gewesen sei und der Antisemitismus selbstverständlich seine Wurzeln „außerhalb des Christentums habe“.

    Alle Schuldbekenntnisse – von Päpsten ausgesprochen – sprechen von einer „Kirche der Sünder“ und nicht von einer „sündigen Kirche“. Nach meinen Recherchen gibt es kein Beispiel für ein päpstliches Dokument, das von einer „sündigen Kirche“ spricht.

    In den Blick zu nehmen ist somit nicht bloß das Problem einer Kirche aus Sündern, sondern pointiert formuliert : die sündige Kirche. Zu Recht fordert deshalb Hans Küng :

    „Keine fadenscheinige Unterscheidung zwischen der ‚heiligen’ Kirche und den sündigen Gliedern, wo, um die Heiligkeit ‚der Kirche’ nicht zu kompromittieren, völlig abstrakt unterschieden wird zwischen den Gliedern und der Kirche selbst, die angeblich sündlos bleibt. Aber : Kirche gibt es nicht in abstracto, sondern in concreto!“

    II. Zu meiner Kritik am Auftritt des Papstes vor der deutschen Volksvertretung

    Papst Benedikt kommt als Staatsoberhaupt der letzten Diktatur in Europa. Der Beweis dafür, dass es so ist, steht sogar in der Verfassung des Vatikanstaats selbst. Darin heißt es nämlich in Artikel 1:

    „Der Papst besitzt als Oberhaupt des Vatikanstaates die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt.“

    Kein Führer der Welt hat eine ähnliche totalitäre Herrschervollmacht. Auch ein Führer eines islamischen Gottesstaates würde niemals eine solche absolute Gewalt bekommen. Der Führer des Vatikans ist nämlich „Legislative“, „Exekutive“ und „Judikative“ (die Prinzipien der so genannten Gewaltenteilung in Demokratien, die „Gesetzgebung“, die „Ausführung“ und die „Rechtssprechung“, also Parlament, Regierung und Richter) in einem. Jesus von Nazareth sagte hingegen: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18, 36). Deshalb steht das Papsttum und die Kirche auch in diesem zentralen Punkt (wie auch in allen wesentlichen anderen) im krassen Gegensatz zu dem Mann aus Nazareth.

    Und in Artikel 16 der Verfassung des Vatikan heißt es weiter, der Papst kann „nach Billigkeit“ jedes Urteil fällen, das er will. Wörtlich heißt es: „Der Papst kann in jeder Zivil- oder Strafsache und in jedem Stadium des Verfahrens die Untersuchung und die Entscheidung einer speziellen Instanz übertragen, auch mit der Berechtigung, die Entscheidung nach Billigkeit unter Ausschluss jedweden weiteren Rechtsmittels zu fällen.“

    Und gibt es im Vatikan die Möglichkeit, Klage zu erheben, z. B. gegen Verwaltungsmaßnahmen? Ja, aber nur mit Genehmigung des Papstes (Artikel 17). Davon kann jeder Politiker mit einem Hang zur Machtbesessenheit nur träumen.

    Über das Papstamt sagt der Codex Iuris Canonici (CIC) von 1983, das Gesetzbuch der röm.- kath. Kirche, Folgendes :

    Can. 331
    Der Bischof der Kirche von Rom, in dem das vom Herrn einzig dem Petrus, dem Ersten der Apostel, übertragene und seinen Nachfolgern zu vermittelnde Amt fortdauert, ist Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden; deshalb verfügt er kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann.

    Can. 333
    § 2. Der Papst steht bei Ausübung seines Amtes als oberster Hirte der Kirche stets in Gemeinschaft mit den übrigen Bischöfen, ja sogar mit der ganzen Kirche; er hat aber das Recht, entsprechend den Erfordernissen der Kirche darüber zu bestimmen, ob er dieses Amt persönlich oder im kollegialen Verbund ausübt.

    § 3. Gegen ein Urteil oder ein Dekret des Papstes gibt es weder Berufung noch Beschwerde.

    Der Papst hat somit absolute diktatorische Vollmachten und ist letztlich nicht an Gesetze und Gremien (etwa Organe der Kurie) gebunden. Zu keinem historischen Zeitpunkt war der Papst mit einer solchen universalen Machtfülle und Durchsetzungskraft ausgestattet wie heute.

    Es kann bezweifelt werden, dass sich Gott nur von einem autoritär, absolutistisch und männerbündisch regierenden Hierarchen gut vertreten sieht.

    So hat der Vatikanstaat in moderner Weise das von Gregor VII. 1075 formulierte Prinzip bestätigt: „Der Papst wird von niemandem gerichtet“, er ist keiner Staatsgewalt untergeben. Der Papst übt hingegen im Vatikanstaat absolute Staatsgewalt aus und ist damit (neben dem Fürsten von Monaco) der letzte absolute Herrscher in Europa, der selbst an keine Verfassung gebunden ist (sondern auch Verfassungsgesetzgeber ist).

    Die juristischen Defizite im Vatikan – dargestellt am Fall Küng

    Hans Küng, geboren 1928 in Sursee/Schweiz, studierte an der Päpstlichen Universität in Rom Philosophie und Theologie, nahm als Experte am Zweiten Vatikanischen Konzil teil, ist katholischer Priester und Professor emeritus für Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen und Präsident der Stiftung Weltethos. Ihm wurde 1979 – wegen kritischer Äußerungen – vom Papst die kirchliche Lehrbefugnis entzogen.

    Hans Küng, selbst Opfer eines kirchlich vordemokratischen Justizapparates innerhalb der katholischen Kirche, beschreibt in seinem Buch „Umstrittene Wahrheit“ seine Erfahrungen mit der Justiz innerhalb der katholischen Kirche wie folgt :

    „Mit Trauer und Unverständnis habe ich den Ausgang der römischen Verhandlungen zur Kenntnis genommen. Der Papst verurteilt einen Mann, den er nicht gehört hat. Die römische Devise ‚audiatur et altera pars’ (auch der andere Teil soll gehört werden) gilt im päpstlichen Rom nicht. Obwohl ich mehrere Male an den Papst geschrieben und zuletzt durch den Bischof von Rottenburg dringend um ein Gespräch mit ihm gebeten hatte, fand der Papst es nicht nötig, einen katholischen Theologen persönlich anzuhören, der seiner Kirche durch ein Vierteljahrhundert nach bestem Wissen und Gewissen zu dienen versuchte. Ein unbequemer Kritiker soll mit allen Mittel geistliche Gewalt zum Schweigen gebracht werden.“ (Umstrittene Wahrheit : S. 621-622)
    ……
    „ Gegen alle falschen Behauptungen stelle ich deshalb in den säkularen Medien richtig …..Ich habe mich nur einem Inquisitionsverfahren verweigert, wo Untersuchende, Anklagende und Richtende identisch sind, wo mir Einsicht in die Akten verweigert wird, ich keinen Verteidiger benennen darf, in meiner Abwesenheit verhandelt wir und keine Appellationsmöglichkeit besteht. Das verstößt gegen die Menschenrechtserklärung des Europarates, Artikel 6.“ ( Umstrittene Wahrheit : S. 628)

    „Artikel 6 – Recht auf ein faires Verfahren

    1 .

    Jedermann hat Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang

    2 .

    Bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld wird vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

    3 .

    Jeder Angeklagte hat mindestens (englischer Text) insbesondere(französischer Text) die folgenden Rechte:

    a
    in möglichst kurzer Frist in einer für ihn verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über die Art und den Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung in Kenntnis gesetzt zu werden;

    b
    über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen;

    c
    sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;

    d
    Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken;

    e
    die unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers zu verlangen, wenn der Angeklagte die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder sich nicht darin ausdrücken kann.“

    Das Urteil des Befreiungstheologen L. Boff zum Papst bzw. zur Kirche ist eindeutig:

    Sie ist eine totalitäre Religionsgemeinschaft, autoritär, zentralisiert und monosexuell, weil nur zölibatäre Männer in ihren Dienst eintreten können. Aus Sicht der Kirche ist es sehr bequem, dass sie völlig über Menschen verfügen kann, die ihr auch noch alles ausliefern – Leben, Bindungen, Familie.“

    Sehr geehrter Herr Wedell – ich hoffe, dass diese meine Ausführungen Ihnen dazu dienen, Ihre mir gegenüber vorgetragene Kritik an meinen Einlassungen (die Sie als „völlig absurd“ bezeichnen) noch einmal zu überdenken!

    Paul Haverkamp, Lingen

  8. @5 Paul Haverkamp

    Die Auschwitzrede Benedikts, insbesondere die von Ihnen, sehr geehrter Herr Haverkamp, zitierte Passage, konnte und kann ich immer noch nicht fassen. Demnach, so hörte es sich nicht nur an, sondern so war es offenbar auch gemeint, ist eine Schar von Verbrechern sozusagen über das arme, deutsche Volk hergefallen, um es zu ge- bzw. zu missbrauchen. Schier unglaublich, wie dieser beispiellose Zivilisationsbruch, wie er von Deutschen erdacht, geplant, und in unvorstellbar grausamer Form durchgeführt wurde, durch den deutschen Papst, in einer unerträglichen Weise relativiert und verharmlost wurde. Nach dem Motto: Hier die paar Verbrecher, und dort die zig-Millionen bedauernswerten Verführten und Missbrauchten, die nix gehört, nix gesehen, nix gewusst, und die sich natürlich auch nicht schuldig gemacht haben. Benedikts Rede war ein Beispiel für verheerendes intellektuelles und moralisches Versagen. Es war der Versuch, aus Tätern Opfer zu machen, und die Geschichte des Holocaust umzudeuten. Schon der Moment, als Benedikt sozusagen Ausschwitz betrat, war bezeichnend für den ganzen Auftritt. Ohne auch nur einen Moment innezuhalten, latschte Benedikt regelrecht im Eilschritt durch das Tor mit der weltweit bekannten Aufschrift. Verneigungen oder Ähnliches habe ich bei seinem „Auschwitz-Rundgang“ nicht bemerkt. Benedikt erinnerte mich fatal an den allseits hoch beliebten Altkanzler, Helmut Schmidt, immer noch gerne gesehener Gast bei den Inszenierungen, die sich Talkshows nennen. Noch im Jahre … 2005 hatte Schmidt allen Ernstes behauptet, „von den Greueltaten der Nationalsozialisten, der deutschen Wehrmacht, anderer „Einsatzgruppen“ und Verbrecher, also von dem, was die Shoah genannt wird, nichts gewusst zu haben“. Doch damit nicht genug. Schmidt will nicht nur von Auschwitz, sondern auch von Konzentrationslagern in Deutschland nichts mitbekommen haben. Am 8. April 2005 antwortete der Altkanzler, im Interview mit Stefan Aust und Frank Schirrmacher, nachdem er zuvor jegliche Kenntnis des Genozids an den Juden bestritten hatte, auf deren konsternierten Einwand, aber man hat doch gewußt, dass es Konzentrationslager gab: „Ich habe davon nichts gewußt.“ Auf nochmaliges Insistieren, daß mit Neuengamme und Bergen-Belsen Konzentrationslager praktisch vor Schmidts Hamburger Haustür lagen, beharrte er darauf: „Wir alle haben davon nichts gewußt.“ Und das, obschon ihm, als es für die Wehrmacht in Russland nur noch rückwärts ging, die für einen Frontsoldaten ungewöhnliche Gunst zuteil wurde, sich ins Zentrum der Macht nach Berlin absetzen zu dürfen. Seit 1943 im Range eines Oberleutnants, Referent im Reichsluftfahrtministerium, galt er bei seinen Vorgesetzten als derart zuverlässig, daß man ihn mit der Rolle eines „Beobachters“ des Volksgerichtshof-Tribunals gegen die 20.Juli Attentäter betraute. Eines Tribunals wohlgemerkt, dessen Todeskandidaten vor allem wegen ihrer Gewissensnot angesichts „der vielen Morde“ des Regimes (so der Angeklagte Graf Schwerin von Schwanenfeld) vor dem rasenden Vorsitzenden Roland Freisler standen. Gleichwohl will „Beobachter“ Schmidt auch als Zeuge dieser in brutaler Offenheit inszenierten Verbrechensbilanz der braunen Diktatur vom „Genozid an den Juden“ nicht ein Sterbenswort erfahren haben.

    Was mich immer wieder besonders irritiert, dass Relativierungen, Verharmlosungen und Verschwurbelungen, wie sie Benedikt in seiner Auschwitzrede zum Schlechten gab, oder gar die beispiellose zeitgeschichtliche Ignoranz, wie sie Schmidt in aller Krassheit offenbarte, gerade von Zeitzeugen kommt, also Menschen aus der Generation, die es doch eigentlich besser wissen müssten. Aber vielleicht ist das genau der Grund für … nix gesehen, nix gehört und nix gewusst.

    Jutta Rydzewski

  9. Das katholische Menschenbild, seine Vorstellung vom Guten und Bösen in der Welt, von Gott und von Teufel, von Liebe und Sünde, von Erlösung – Paradies und Hölle ist einfach nur schlicht und einfältig. das wird in den Diskussionsbeiträgen und Fragen der „Gläubigen“ gerne unterschlagen, lässt sich aber zwischen den Zeilen ableiten. Auch alle schriftlichen und mündlichen Beiträge von Benedikt-Ratzinger lassen sich aus diesem Blickwinkel heraus widerspruchslos lesen und interpretieren. Ein zeitgenössisches Gedicht von Kurt Bündig trifft es meiner Meinung nach recht gut:

    Weltbild-Vertreter

    Der alte Mann ist nicht ganz bei Trost,
    sehr oft hat er mich und and´re erbost.
    Ein Buch hilft ihm sein Weltbild zu wahren:
    Ein Flickwerk von Schriften aus zwölfhundert Jahren.
    Mit Märchen und Mythen, meist wohlfeil erfunden,
    auch Krisenratgeber für ganz schwere Stunden.
    Gott hilft Dir im Leben, glaub´ nur an den Einen,
    dafür braucht´s Gehorsam für sich und die Seinen.
    Der Teufel jedoch, wird wie eine unsichtbare Macht,
    als das böse, menschenbefallende Alien gedacht.
    Zwar steht auch geschrieben: „Deinen Feind sollst Du lieben“; aber wie?
    Für die Bekehrung des Teufels betet man nie.
    Warum auch – schließlich muss es ihn geben,
    hält er doch, als Böses, die Kirche am Leben.
    So ist nun der Teufel für ihn überall,
    paranoid ist die Vorstellung auf jeden Fall.
    Und hat mal ein Priester mit Kindern verfehlt,
    so hat nur Körper und Teufel gequält.
    Die Seele des Kindes macht das Beten schon heil,
    und sie kommt in den Himmel, ist das nicht geil?

    Sein Weltbild von Sünde, sein Menschenbild von Recht
    hält Sex mit Kondomen per sé schon für schlecht.
    Geburtenkontrolle führt uns´re Welt ins Verderben,
    den Samen der Christen gilt´s weiter zu erben!
    Die große Sünde heute – heißt Demokratie,
    in Himmel und Kirche, da gab es sie nie.

    Nur muss auch der alte Mann bald von uns gehen,
    ob Seele unsterblich ist, ist nicht zu sehen.
    Die Augen sind weg –
    der Körper ist Dreck,
    „Jüngstes Gericht“,
    – nicht?

  10. Ich bin froh, wenn das Gezerre um den Papst endlich vorüber ist. Man mag über Benedikt denken, was man will, aber es ist in höchstem Maße unfair, ihn schon im Vorfeld so niederzumachen, wie man es zur Zeit tut. Man braucht kein Katholik zu sein, um das zu beanstanden. Selbst als Atheist könnte man den Standpunkt vertreten: lasst ihn kommen, lasst ihn im Bundestag reden – das ist sein gutes Recht, wennn er eingeladen wird. Man sollte zuhören, auch wenn man seine Ansichten nicht teilt. Es ist albern, sich darüber so aufzuregen. Wenn es der Dalai Lama wäre, würden alle sich in höchstem Lob ergehen und sich lieber mit China anlegen. Schließlich kommt der Papst in sein Heimatland und kann daher erwarten, dass man ihn dort mit Anstand empfängt und behandelt. Das ist wohl nicht zu viel verlangt. Die jetzige Polemik lässt alle Sachlichkeit und Toleranz vermissen.

  11. Warum kommt der Papst? Sie schreiben, Deutschland sei den meisten Bischöfen und Kardinälen im Vatikan „abgrundtief fremd“, und auch die katholische Kirche hierzulande werde mit Misstrauen beobachtet, sie sei „zu bunt, zu modern und zu aufmüpfig“. Der Schlüssel zur Motivation des Papstbesuches in Deutschland dürfte sein Vorhaben der Neuevangelisation von säkularisierten Ländern sein. Dazu gründete er 2010 eigens einen Päpstlichen Rat, in den er auch den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Zöllitsch berufen hat. Die Strategie ist, die „Einübung in den praktischen Glauben“ zu verstärken. In einer diesbezüglichen Presseerklärung (1.6.2011) stellt der Erzbischof fest, dass Glaubenspraxis, Glaubenswissen und Kirchenbindung abnehme, gleichzeitig aber „eine Offenheit für Spiritualität und Sinndeutungen keineswegs nachgelassen“ habe. Hier genau setzt die Neuevangelisierung an. Geplant sind u.a. Glaubenskurse, Missions-Events, Urlauberseelsorge, Präsenz im Internet und – so sollte man ergänzen – der Papstbesuch. Im Berliner Olympiastadion ist eine Messe geplant, deren Kosten denen eines Konzertes der Rolling Stones wohl in Nichts nachstehen. Für die Besucher/innen ist somit ein spirituelles Erlebnis garantiert. „Hier wird der Einzelne hineingenommen in den Vollzug der anderen und kann ihren Glauben mitglauben“ (ebd.). Die angekündigte Abwesenheit von ca. 100 Abgeordneten bei der Papstrede im Bundestag konterkariert diese Strategie. Diese Abgeordneten signalisieren ihren Bürgern, dass sie auch als Mitglieder einer anderen Kirchengemeinschaft, als Atheisten und als „bunte, moderne und aufmüpfige“ Katholiken Mitglied der Gemeinschaft des deutschen Volkes sind und keiner päpstlichen Dogmen bedürfen, um sich „hineingenommen“ zu fühlen. Neuevangelisierern ausgerechnet den Deutschen Bundestag als Bühne anzubieten – dazu mag sich Jede/r ein eigenes Urteil bilden.

  12. Für @ 11:

    Ich habe kein Problem damit, den Papst in Deutschland willkommen zu heißen. Doch dieses Willkommen ist nicht frei von kritischen Untertönen; denn im deutsprachigen Raum gibt es sehr viele kritisch denkende Christen gibt, die sich einsetzen für ein Ankommen der kath. Kirche in der Gegenwart notwendige Reformen, für Freiheit, Gleichheit, Menschenwürde, Demokratie und Verfassung – auch und vor allem in den vatik. Ämterstrukturen!

    Amtsinhaber der kath. Kirche können nicht verstehen, dass auch sie in ihren Einstellungen einer kritischen Analyse unterzogen worden. Wer Kritik in der Sache mit Majestätsbeleidigung verwechselt, der hat jedoch in der Tat die „Zeichen der Zeit“ nicht verstanden.

    Wer konstruktive Kritik hinsichtlich der Organisations-, Verfassungs- und Ämterstrukturen als „feindselige Angriffe“ bezeichnet, muss seine Defizite hinsichtlich eines Ankommens in der Gegenwart aufarbeiten. Zur Klarstellung: Es geht nicht um Kritik an fundamentalen Glaubensartikeln, wie z.B. Auferstehungs- oder Trinitätsglauben.

    Es geht ausschließlich um Reformen von Traditionsbeschlüssen, die keine bibl. Legitimität besitzen und ausschließlich zur Stabilisierung von unjesuanischen
    Machtstrukturen dienen!!!

    Solange der Papst und die ihn unterstützende Hierarchie weiterhin

    • das vom Konzil geforderte Communio-Prinzip verweigern,

    • die Kritiker und Querdenker zwar nicht mehr auf dem Scheiterhaufen verbrennt (welch ein Fortschritt!), sondern sie mit Amtsenthebungen und Bußschweigen mundtot machen,

    • nicht die Leib-, Frauen- und Sexualfeindlichkeit auf dem Müllhaufen der Kirchengeschichte entsorgen,

    • den unbiblischen Pflichtzölibat nicht abschaffen,

    • die Frauenordination zu einer Gottesfrage hochstilisiert und den Frauen endlich die Gleichberechtigung ermöglicht;

    • ein „Aggiornamento“ als Teufelswerk diskriminieren und desavouieren,

    solange wird die Kirche in den Negativschlagzeilen bleiben und immer mehr werden keinen anderen Ausweg für sich sehen, als die Betonkopf-Mentalität der kath. Kirchenhierarchie mit ihrem Austritt aus derselben zu begegnen.

    Vertreter der rom- und papsttreuen Kreise raten den basiskritischen Stimmen
    stets aufs Neue, doch zu einer Kirche der Reformation überzutreten. Man
    müsse halt die Kirchenrechtsbestimmungen der kath. Kirche anerkennen – das
    sei schließlich in jedem anderen Verein genauso. – Basta!

    Dabei jedoch vergessen sie das, was Kant vor über 200 Jahren
    bekanntlicherweise so formulierte:

    „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten
    Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne
    Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit,
    wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der
    Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu
    bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
    ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

    Konstruktive Kritik bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil eines jeden
    Staatsbürgers und eines jeden Glaubensangehörigen von heute. „Es kann Sünde
    sein, wenn um des Wohls der Kirche willen nicht Kritik geübt wird.“
    (Pastoraltheologe Paul Zulehner in der Wiener Zeitung vom 7. Februar 2009)

    Paul Haverkamp, Lingen

  13. @Herr Haverkamp,

    leider haben Sie Ihre These, Papst Benedikt würde die Schuld der Deutschen relativieren wollen, in Ihrer Entgegnung nicht erhärten können. Das von Ihnen zuerst gebrachte Zitat gibt dies aus den von mir beschriebenen Gründen nicht her, bzw. nur dann her, wenn man böswillig dem Papst dies anhängen MÖCHTE und das geäußerte daher absichtlich missverstehen MÖCHTE (wie es ein anderer Teilnehmer hier ja macht)… und das andere Zitat, daß sie wiederholten, war ja zu einem ganz anderen Thema, zur Frage, inwieweit christlicher Antijudaismus den Antisemitismus beförderte, und kann daher überhaupt nicht beweisen, daß Papst Benedikt die Schuld der Deutschen relativieren will oder nicht angemessen erkennt.

    Zum zweiten Zitat nur soviel: Über die längste Zeit des Bestehens nahezu aller Religionen haben ihre Deuter in der täglichen Praxis die Ansicht zum Ausdruck gebracht, daß der wahre Mensch nur der Anhänger der eignen Religion ist, alle Anhänger anderer Religionen Menschen zweiter Klasse sind, um das Wort „Untermenschen“ zu vermeiden, wobei je nach Zeitalter daraus auch das Gebot oder auch nur das Recht entstand, den Fremdgläubigen oder Ungläubigen totzuschlagen, und ihn nicht nur wie ansonsten üblich in milderen Formen ins Unrecht zu setzen. Bei islamischen Extrem-Fundamentalisten bestehen solche Anschauungen bis in die heutige Zeit.

    Ich verfolge nun wirklich nicht die kirchlichen Positionen und ihren Wandel mit der Zeit, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß a) die heutige katholische Kirche solche Unrechtshandlungen gegenüber den Anhängern anderer Religionen immernoch anstiftet, gutheißt oder auch nur still duldet, und b) daß die heutige katholische Kirche ihren Anteil an diesen vergangenen Unrechtshandlungen und ihre Mitverantwortung daran abstreitet. Was verlangt man also jetzt… ein regelmäßiges Entschuldigungsritual? „Kirchlicherseits oft gehört“ ist dabei übrigens ziemlich vage ausgedrückt, vermutlich mit gutem Grund… Es gibt offizielle kirchliche Positionen, sind die gemeint?

    Zur „Diktatur“-Frage, zunächst was den Vatikanstaat angeht: Diktatur als Staatssystem per se, vollautomatisch und bedingungslos zu kritisieren halte ich für falsch. Diktatur als Staatssystem ist selbstverständlich zu kritisieren, wenn die ihr unterworfenen Menschen sie nicht wollen, oder wenn sie dazu verwendet wird, auf den Rechten der Menschen herumzutrampeln, sie auszubeuten oder sonstwie zu drangsalieren. Beides sehe ich im Vatikan nicht: Weder scheint es im Vatikan Menschen zu geben, die das dortige politische System ablehnen, d.h. alle sind mit ihm einverstanden, noch mißachtet die de-facto-Diktatur dort die universellen Menschenrechte ihrer Staatsbürger. Unter diesen Bedingungen sich über „Diktatur“ aufzuregen ist in meinen Augen wirklich seltsam. Gerade vor kurzem habe ich diese Aufregung auch von einem Bekannten vernommen, der sich schon lange vorher über den Demokratieimperativ der westlichen Welt, ihren manischen Demokratieexport o.ä. in aller Herren Länder aufgeregt hatte, wie ich mich deutlich erinnerte… unter dem Stichwort „Überheblichkeit des Westens“. Dem Vatikan vorschreiben zu wollen, wie sie ihren Kleinstaat organisieren sollen, scheint hingegen gar nicht überheblich zu sein… eine verworrene Ansicht.

    Was die Diktaturfrage unabhängig vom Vatikan angeht, auf autoritäre oder diktatorische Strukturen innerhalb der Katholischen Kirche bezogen… so denke ich (immer von der Position eines Außenstehenden aus), daß Vereine dieser Art hier auch die weitgehende Hoheit darüber haben können sollten, wie sie sich organisieren. Als Anhänger der Marktphilosophie sehe ich es ganz einfach: Wenn die katholische Kirche etwas anbietet, was nicht nachgefragt wird, dann wird sie halt pleite gehen. Da es genügend Konkurrenzvereine gibt, kann jeder Kunde, der vom Angebot enttäuscht ist, den Anbieter wechseln, in diesem glücklichen Fall sogar ohne den Gott mitwechseln zu müssen, an den er glaubt, also im Grunde recht problemlos. Ein Anrecht auf eine bestimmte „Demokratiebeimengung“ im Verein hat er genausowenig wie ich ein Recht darauf habe, das VW mein Traumauto baut. Küng hat versucht, für sich Sonderrechte in der Mitbestimmung des Vereinsprodukts zu erhalten, und hat nun mal auf Granit gebissen. Der Platz ist hier zu knapp, um das im Detail zu diskutieren.

    Dann noch ein Wort zur „Trennung von Staat und Kirche“. Als Atheist bin ich selbstverständlich auch für diese Trennung. Der Papst sollte genausowenig regelmäßig im Bundestag sprechen wie ein mit religiösen Symbolen, Kopftüchern o.ä. behängter Lehrer regelmäßig in der Schule unterrichten sollte. Wenn aber diese Trennung dazu führen sollte, daß eine Schule nicht auch einmal(!) im Schülerleben einen Imam oder Priester zum Vortrag einladen darf, oder eben der Bundestag einmal(!) in einer Menschengeneration den Papst zu einer Rede, dann halte ich das für eine extreme, gedankenlos-hysterische Prinzipienreiterei, die im übrigen auch kontraproduktiv ist, d.h. den Zielen, die mit dem Trennungsgedanken verfolgt werden, schon auch widerspricht.

    Gehirnwäsche ist immer Resultat einer DAUERexposition, wie sie z.B. dadurch entsteht, daß man während des Großteils der Kindheit eine verschleierte Klassenlehrerin hat, und nicht Resultat eines Einmalereignisses wie einer einmaligen, kurzen Rede (oder eines einmaligen Besuchs einer verschleierten Muslimin in der Schulklasse). Eine Einmalexposition wird statt Gehirnwäsche oder sonstiger subliminaler Beeinflussung eher eine Bereicherung des Weltbildes ergeben, in der Schule wie im Bundestag.

  14. Nach meiner Ansicht gab es vermutlich eine Kungelei zwischen den Fraktionsführern, nach dem Motto: Wir unterschreiben die Einladung an den Papst, wenn ihr künftig einmal die Einladung an einen Religionsführer des Islam unterschreibt (nach dem Motto: Muslime hat Deutschland ja auch inzwischen eine ganze Menge, denen ist man das jetzt schuldig).

    Da also m.E. diese Einladung, nicht heute, nicht morgen, aber doch in den nächsten Jahren, erfolgen wird, wird mit Spannung zu beobachten sein, wie die Abgeordneten links der Mitte reagieren werden… werden sie ebenso protestieren und lamentieren, teilweise der Veranstaltung fernbleiben, auf Trennung von Staat und Religion pochen, an Frauenrolle und Sexualmoral im Islam herumnörgeln, an autoritären Strukturen im Islam? Oder werden sie nicht vielleicht eher die Rede eines Muslim im Bundestag für eine ganz tolle Sache halten? 😀 😀 😀

    Wird das bunte Völkchen, daß gestern gegen die Einstellung der katholischen Kirche zur Sexualität, speziell Homosexualität demonstrierte, sich wieder einfinden und gegen die Einstellung zur Sexualität, speziell Homosexualität im Islam demonstrieren?

  15. @ Jutta K. #11

    Aus Ihrem Beitrag könnte man den Eindruck gewinnen, irgendwelche intoleranten Menschen wollten dem Papst den Mund verbieten. Den Gipfel bildete dabei die Schmähung – gleichermaßen aus politischen und religiösen Kreisen – derjenigen Abgeordneten, die bei dieser Rede nicht anwesend sein wollten (und deren leere Plätze an Claqueure vergeben werden sollten). So war in der FR von Kardinal Lehmann zu lesen: „Umso schäbiger und primitiv finde ich es von Volksvertretern, wenn sie der Papstrede einfach fernbleiben wollen.“

    Abgesehen davon, dass es nicht nur ureigenstes Recht, sondern sogar die grundgesetzliche Pflicht der Abgeordneten ist, nur ihrem Gewissen zu folgen: niemand ist gezwungen, sich mit dem religiösen Geschwurbel von irgendwem auseinanderszusetzen. Zumal dann, wenn eine reine Propagandarede gehalten wird, zu der keine Diskussion zugelassen ist. Der Versammlungsort der Abgeordneten, also das Diskussionsforum des Souveräns, ist dafür tatsächlich nicht der richtige Ort.

    Dass nicht einmal Die Linke geschlossen gegen diese Einladung aufgetreten ist bzw. geschlossen dieser Rede ferngeblieben ist: was für ein Trauerspiel! Welche Kraft steckt doch in dem Satz „Es rettet uns kein höh’res Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun!“ Und dann gibt man einem 84-jährigen verknöchert-dogmatischen „Stellvertreter Gottes“ die Gelegenheit zu einer Rede im Bundestag. Pfui!

    Man könnte fast meinen, die katholische Kirche hätte überhaupt keine Möglichkeit, sich in Deutschland bemerkbar zu machen, wenn ihr Oberhaupt nicht im Bundestag reden dürfte. Genau das Gegenteil jedoch ist der Fall.

    Wie weit sich der kirchliche Lobbyismus in alle gesellschaftlichen Bereiche hineingefressen hat, zeigt ja allein bereits die Tatsache, dass deutsche Politiker – interfraktionell abgesegnet – einem hohen religiösen Vertreter die Möglichkeit eingeräumt haben, im Bundestag zu reden.

    Jeden Tag werden Tausende von Kindern in bekenntnisorientiertem Religionsunterricht durch die Ideologie des Katholizismus indoktriniert – finanziert von allen Steuerzahlern, bereits die Ausbildung der religiösen Agitprop-Agenten wird von allen Steuerzahlern finanziert. Universitätslehrstühle für rein religiöse Zwecke und kirchlich unterwanderte „Konkordatslehrstühle): von allen Steuerzahlern finanziert. Das Führungspersonal der Kirchen (Bischöfe) mit gut 11.000 Euro pro Person nebst Dienstwagen etc.: von allen Steuerzahlern finanziert. Die Missionswerke der Kirchen und die satten Zuschüsse zu Kirchentagen: ebenso von allen Steuerzahlern bezahlt.

    Aus den Zwangsgebühren der Rundfunk- und Fernsehnutzer werden nicht nur die kirchlichen Vertreter in den Rundfunkräten alimentiert, sondern auch umfangreiches religiöses product placement betrieben. Da sind das Wort zum Sonntag und die allsonntägliche Übertragung ritueller religiöser Veranstaltungen nur die Spitze des Eisbergs. In nachmittäglichen deutschen Seifenopern wird kirchlich geheiratet und gebetet und das Kreuz im Krankenhaus gezeigt, dass es nur so kracht. (Hingegen sieht man kaum noch jemand im Fernsehen rauchen.)

    Verlage bringen die christliche Botschaft durch eigene Veröffentlichungen unters Volk (oder durch Beilagen in Zeitungen wie der „Chrismon“ in der Zeit), eine katholische Nachrichtenagentur versorgt die Medien mit Material, eine katholische Journalistenschule bildet den Nachwuchs aus (Die FR meldete im August 2010 übrigens: „Offene Worte unerwünscht Der Leiter der katholischen Journalistenschule, Michael Broch, wird abgelöst – wegen Kritik am Papst.“) Dass in den deutschen Medien häufig nicht nur vom Papst, sondern vom Heiligen Vater die Rede ist, ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die die Trennung von Kirche und Staat ernstnehmen – und im übrigen ja auch theologisch falsch, da der Papst nicht heilig ist.

    Ich glaube also, dass die 70% nicht-katholischer Menschen in diesem Lande bereits ausreichend Toleranz gegenüber den Papst und seinen Angriffen auf den säkularen Staat gezeigt haben.

  16. Als was hat der Papst gesprochen?

    Holger Schmale wiederholt in der FR die häufig gestellte Frage: „Als was hat der Papst gesprochen?“, also ob Herr Ratzinger in seiner Eigenschaft als Religionsführer oder als Oberhaupt des Vatikanstaates im Bundestag aufgetreten sei. Der Papst beantwortete diese Frage selbst: „Die Einladung zu dieser Rede gilt mir als Papst,…“

    Nun mag sich jeder seine eigene Vorstellung davon machen, was „Papst“ eigentlich bedeutet. Ratzinger fuhr fort „…, als Bischof von Rom, der die oberste Verantwortung für die katholische Christenheit trägt.“ Das hört sich genauso unverfänglich an, als würde man sich als „Staatsratsvorsitzender“ oder „Generalsekretär der XYZ-Partei“ bezeichnen. Man muss also schon ein wenig genauer hinschauen, um welche Art von Staat und/oder Partei usw. es sich handelt.

    Zuvörderst ist Ratzinger natürlich nur ein halbseniler 84-Jähriger, der mehr an Altersstarrsinn denn an Altersweisheit aufbringt. Seine Fürze stinken genauso wie die von unsereinem.

    Daneben gibt es allerdings drei verschiedene Rollen, in denen Herr Ratzinger auftritt, die in der Wirklichkeit nicht voneinander zu trennen sind. Sie sind eher wie die drei Seiten einer Medaille.

    1. Die erste Funktion ist die als Oberhaupt des von Mussolini in den Lateranverträgen von 1929 geschaffenen Vatikanstaates („Stato della Città del Vaticano“), dem „zur Sicherstellung völliger und sichtbarer Unabhängigkeit eine unstreitige Souveränität auch auf internationalem Gebiet verbürgt“ werden sollte. In dieser Funktion kommt dem Papst eine absolute Souveränität zu, die durch keinerlei Gewaltenteilung, wie sie moderne Rechtsstaaten auszeichnet, eingeschränkt ist. Man könnte den Vatikanstaat also als einen theokratischen Zwergstaat bezeichnen.

    Wurden vor Jahren die italienischen Straf- und Zivilgesetze weithin übernommen, gibt sich der Vatikanstaat in neuerer Zeit immer mehr eigene Gesetze. Der Vatikanstaat ist kein UN-Mitglied, (viele Völkerrechtler sprechen ihm allerdings eine eigene völkerrechtliche Subjektivität zu,) er ist jedoch in einer ganzen Reihe internationaler Organisationen vertreten.

    2. Die zweite Funktion ist diejenige, die durch das geltende röm.-katholische Kirchenrecht codifiziert wird. Der Papst ist Haupt des Bischofskollegiums, Oberhirte der allein seligmachenden katholischen Kirche in direkter Nachfolge des Apostels Petrus und natürlich Stellvertreter Christi hier auf Erden. Er unterliegt damit keiner anderen weltlichen oder religiösen Autorität. (Daneben ist der Papst auch noch „Patriarch des Abendlandes“, „Primas Italiens“, „Metropolit der römischen Kirchenprovinz“ und allererster „Diener der Diener Gottes“.)

    In Fragen des Glaubens und der Lebensführung ist er allerhöchste Autorität, die unter bestimmten Voraussetzungen sogar als „unfehlbar“ anzusehen ist.

    Der zur Zeit oft gehörte Hinweis, der Papst repräsentiere 1,2 Mrd. Katholiken, läuft allein schon deswegen ins Leere, weil der Papst keineswegs die Gläubigen „repräsentiert“, sondern Gott und die Röm.-Kath. Kirche. Wie man aus der Geschichte sehen kann, fühlen sich viele Gläubige auch überhaupt nicht vom Papst repäsentiert (man denke nur an die Reformation und die Diskussionen unter vielen deutschen Katholiken). Schon gar nicht steht der Papst für die Vielzahl christlicher Glaubensgemeinschaften.

    3. Die dritte Funktion ist die des Repräsentaten des Völkerrechtssubjekts (VS) „Heiliger Stuhl“ (HS). Der HS (oder auch: Apostolische Stuhl) ist die Bezeichnung für den Papst und/oder die in seinem Namen tätigen Stellen der römischen Kurie.

    VS sind in der Regel Staaten, (die durch bestimmte Merkmale wie Staatsvolk, Staatsgebiet, Verfassung usw. gekennzeichnet sind,) aber auch Institutionen oder Organisationen wie das IKRK. Bereits dabei jedoch sieht man, dass neben dem Roten Kreuz weitere Organisationen wie der Rote Halbmond existieren, die eine vergleichbare Arbeit leisten.

    Würde man die FIFA, die ja ebenfalls weltweit vertreten ist und viel Gutes tut (abgesehen von Schmiergeldskandalen usw.) oder zumindest zu tun glaubt, zum VS erklären, bliebe die Frage: Warum erhalten die Fußballer eine völkerrechtliche Sonderbehandlung (analog zur Frage: Warum erhält der Papst eine Sonderbehandlung)? Wäre (abgesehen von den Schmiergeldskandalen) ggf. das IOC ein weiteres geeignetes VS? Und welche Folgerungen ergeben oder ergäben sich daraus?

    2. und 3. sind Vorder- und Rückseite der Medaille, 1. ist der dünne Rand. In keiner anderen europäischen Institution sind höchster religiöser und knallharter politischer Anspruch derart unauflösbar ineinander verschränkt. Die durch das Völkerrecht geschützte – also politische – Macht nutzt der HS konsequent (aus), um seine – religiösen – Vorstellungen in vielen anderen Staaten zu propagieren und sich ständig in die inneren Angelegenheiten aller anderen VS einzumischen. Die Gewieftheit der Jungs in den katholischen Think Tanks und Geheimbünden, die sie im Kampf gegen die Aufklärung jahrhundertelang trainieren konnten, sollte man nicht unterschätzen.

    (So ist wegen der Unauflöslichkeit der verschieden Facetten des Papsttums jede Kritik an dessen religiösen Aussagen immer auch gleichzeitig ein Angriff auf ein ausländisches „Staats“oberhaupt (genauer: VS) – auch wenn es sich dabei um einen theokratischen Glaubensstaat handelt.)

    Für das Gebot einer weltanschaulichen Neutralität, also die Trennung von Kirche und Staat, wie es unsere Verfassung vorsieht, gibt es im Papsttum kein Gegenstück: eine derartige Erwartung an den Papst zu richten ist also schlichtweg naiv. Die Unschuld der weltanschaulichen Neutralität hat die BRD – wie bereits ihre Vorgänger von Preussen bis Kaiserreich – u.a. auch dadurch verloren, dass sie mit dem HS diplomatische Beziehungen aufgenommen hat.

    Wenn man „dem“ Islam vorwirft, er könne zwischen Religiösem, Politischem und Privatem nicht unterscheiden, dann trifft dieser Vorwurf in besonderem Maß auf das Papsttum (und die es anerkennenden Katholiken) zu. Es ist genau diese Kritik, die ich seit langem auch in diesem Blog vertrete – die Erfahrungen mit der katholischen Kirche sollten uns in Bezug auf den Islam sehr vorsichtig werden lassen. Beide stammen schließlich aus demselben Schoß. Das Christentum ist zwar durch die Reformation und „das Fegefeuer der Aufklärung“ ein wenig eingehegt, aber dank seiner Millionen Lobbyisten und Profiteure immer noch sehr stark. Dass Muhammed Metin Kaplan, der sog. „Kalif von Köln“ [1], 2004 in die Türkei abgeschoben wurde, ist natürlich begrüßenswert. Aber statt islamischen Gruppen und Organisation mehr Zugriff auf unseren Staat und andere gesellschaftliche Strukturen (z.B. Medien) zu geben, sollte man den bereits bestehenden Zugriff der christlichen Kirchen auf unseren Staat radikal beschneiden und in die Privatsphäre des Einzelnen zurückverweisen. Nichts ist so privat wie die religio (ausser vielleicht die sexuelle Orientierung und Hämorrhoiden).

    Das Papsttum, in seiner juristischen Form des HS samt seiner internationalen Untergliederungen, könnte man vermutlich durchaus als eine Art „christliches Kalifat“ bezeichnen. Ein solches auch noch durch diplomatische Anerkennung, milliardenschwere staatliche Subventionen und den ungehinderten Zugang zu den Seelen und Köpfen unserer Kinder zu unterstützen – das ist der eigentliche Skandal, nicht die läppische Papstrede im Deutschen Bundestag.

    [1] Näheres durch Benutzung einer handelsüblichen Internet-Suchmaschine. Oder, als Einstieg, bei Wikipedia reingucken

  17. Fazit der Papstreise: Enttäuschungen auf breiter Front

    Mit seiner Reformverweigerungsrede in Freiburg am letzten Tage seines Deutschlandbesuches macht der Papst deutlich, dass die kath. Kirche bis auf weiteres nicht in der Gegenwart ankommen soll. Alle kritischen Einwürfe, die vor dem Papstbesuch geäußert wurden, können am Ende seines Aufenthaltes weitgehend verifiziert werden.

    Der Papst hat es nicht nötig,

    • auf das Memorandum von über 200 Theologen auch nur mit einem Wort einzugehen

    • den wiederverheiratet Geschiedenen einen Strohhalm von Hoffnung hinsichtlich des gemeinsamen Abendmahles hinzuhalten

    • den konfessionsverbindenden Ehepaaren ein Zeichen der Hoffnung auf einen
    gemeinsame Eucharistieempfang zu vermitteln

    • den Kirchen der Reformation auch nur in Ansätzen Kompromisslinien anzudeuten, um den ökumenischen Dialog auch mit diesen Kirchen voranzubringen; offensichtlich ist sein ganzes Augenmerk nur auf die orthodoxen Christen gerichtet

    • auf die dramatisch zurückgehenden Priesteramtskandidaten in Deutschland und Europa einzugehen und nach Möglichkeiten der Überwindung Ausschau zu halten (z.B. Weihe von viri probati, Abschaffung des Pflicht(!)zölibats)

    • auf die pastoralen Nöte von Gemeindechristen (aber auch von kirchlichen Mitarbeitern) einzugehen vor dem Hintergrund der keine Seelsorge vor Ort mehr zulassenden Gemeindezusammenlegungen

    • auch nur mit einem Wort auf die ca. 200.000 Kirchenaustritte in Deutschland im Jahre 2010 zu reagieren

    • auch nur mit einem Wort das Communio-Prinzip des 2. Vatikanums zu bekräftigen und eine Ermunterung zum Dialog auszusprechen, der Verkrustungen, Gleichgültigkeiten und Ablehnungen mildern könnte; gefordert ist nur blinder Gehorsam dem Papst gegenüber. – Die Kirche ist eben nicht von dieser Welt, zumindest nicht in den Augen des Papstes. Die Kirche als „Mysterium Christi“ muss sich von allen weltlichen – sprich menschlichen – Einflüssen und Forderungen fernhalten. Das päpstliche Wort zählt – basta!

    • kein Wort hinsichtlich der Gleichberechtigung von Laien mit dem Klerus

    • kein Wort hinsichtlich der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Kirche

    Das Einzige, was dieser Papst anzubieten hat, ist die Einforderung von Papsttreue, Glaubensfestigkeit, Gehorsam, Arkandisziplin, Unterwerfung, Kritikabstinenz. Damit verifiziert der Papst all das, was im Vorfeld befürchtet worden war. Diesem Papst wird es mit solchen Einstellungen und Forderungen nicht gelingen, der kath. Kirche in Europa neue Hoffnungen zu vermitteln mittels der Durchführung eines von Johannes XXIII. geforderten „aggiornamentos“ bzw. eines vom Konzil eingeforderten Kirchenverständnisses einer „ecclesia semper reformanda“.

    Dieser Papst verordnet seiner Kirche eine Abschottung von dieser Welt (societas perfecta); die Katholiken sollen über das Mysterium Christi nachdenken und keine Anforderungen anmelden bezüglich eines menschenwürdigen, demokratisch geprägten Zusammenlebens von Klerus und Laien, von Männern und Frauen. Papst Benedikt hat kein Interesse daran, – wie Johannes XXIII. es formulierte – aus dem Mausoleum der kath. Kirche einen blühenden Garten zu machen. Dieser Papst negiert, dass Gott nicht nur vor 2000 Jahren zu den Menschen gesprochen hat, sondern dass er auch in der Gegenwart seine Botschaft in neuem Gewande an uns Menschen richtet.

    In einem Deutschlandradio-Interview formulierte Präses Schneider als EKD-Vorsitzender die Relevanz der Gegenwarts-Gottes-Nähe wie folgt:

    „Der Garant für die Wahrheit ist niemals die menschliche Erkenntnis, sondern ist immer die vom Geist Gottes geführte menschliche Erkenntnis, also am Ende das Wirken, die Präsenz, das Gegenwärtige des Geistes Gottes selber, und hier darf menschliches Dogma dessen wirksam werden nicht einschränken.
    …..
    Nein, dieses auch nicht. Nur: Der Heilige Geist ist immer der rechte Zeitgeist. Es kommt darauf an, beim Zeitgeist zu unterscheiden, was sozusagen zeitgeistliche Beliebigkeit ist, oder was die Gegenwärtigkeit der Wahrheit Gottes in Jesus Christus ist.“

    Christliches Selbstverständnis und christlicher Glaube basieren nicht ausschließlich auf einem „regressiven Identitätsgedächtnis“ (Werbick). Kirche darf ihren „Honig“ nicht nur aus Vergangenheitserinnerungen saugen, sondern es gilt deutlich zu machen, dass Gott seine segnende und heilende Begegnung in jeder Gegenwart seinem Volk aufs Neue macht; Gott widerfährt seinem Volk immer wieder neu. Es muss also – wie der in El Salvador lebende Jesuit und Befreiungstheologe Jon Sobrino formuliert – immer wieder daran erinnert werden, dass „Gott ein ‚Heute’ hat, nicht nur ein bereits bekanntes und interpretiertes ‚Gestern’, weil er mit der Gegenwart seiner Schöpfung eine Absicht verbindet, nicht nur in der Vergangenheit.“

    Es gilt, die normativen Zeugnisse der Selbstoffenbarung Gottes so auszulegen, dass diese auch im Hier und Heute zum Glaube finden und die Veränderung des Lebens und der Welt auf Gottes Herrschaft hin inspirieren können. Im Heute muss es gelingen, das damals im Geiste Gottes Gesagte und Gehandelte im Kontext des Selbst-, Welt- und Gottesverständnisses inspirierend und beziehungsreich neu zur Sprache zu bringen.

    Paul Haverkamp, Lingen

  18. @ Max W. und @ Paul H.

    Mir ist der Verbleib von Kritikern in der römisch-katholischen Kirche (rkK) ebenso unverständlich wie Max Wedell, aber dafür muss es ja nachvollziehbare Gründe geben. Wenn eine dogmatische Organisation, wie es die rkK nun einmal ist, einen ganz wesentlichen Teil meines Lebensentwurfs oder meiner persönlichen Überzeugungen nicht mitträgt – was könnte mich dazu bewegen, trotzdem bei der Stange zu bleiben?

    Die einfachste Erklärung wäre: Bequemlichkeit. Viele Kirchenkritiker sind allerdings keineswegs bequem, sondern ausgesprochen aktiv. Wäre irgendeine Form des Masochismus eine Erklärung? Dass man also die fortwährende Demütigung durch die kirchliche Hierarchie in irgendeiner lustbetonten Weise genießt? So ähnlich, wie man den Schmerz genießt, den man beim Abpuhlen von Schorf von einer Wunde „genießt“.

    Warum kämpft ein Mensch gegen eine schier übermächtige Institution an? Liefert der Verbleib in der Kirche ein so großes Maß an Vorteilen, dass gravierende Nachteile in Kauf genommen werden? Welche Vorteile – materieller und/oder immaterieller Art – könnten dies sein?

    Was hindert Katholiken daran, ihre geistig-seelische Heimat z.B. bei den Protestanten zu finden? Dort muss man sich nicht am Papst reiben oder die Mariendogmen annehmen. In der Eucharistiefeier symbolisieren Brot und Wein den Leib und das Blut Christi – bei dem Katholiken nimmt man den Leib und das Blut Christi tatsächlich zu sich (Stichwort: Transsubstantiation [1]). Naja, dieses Dogmatikergedöns mögen andere diskutieren, vielleicht ist es ja gerade die Unbeugsamkeit der rkK (oder, in einer anderen Religion: die der Salafisten), die Menschen anzieht. Vielleicht könnte Erich Fromms Begriff des „autoritären Charakters“ [1] hier weiterhelfen?

    Ist es einfach eine Selbstüberschätzung, man könnte als Interessengruppe die Dogmen der rkK ins Wanken bringen? Will oder kann man nicht sehen, dass andere Katholiken es 1.500 Jahre lang ergebnislos versucht haben und schließlich die Zeit für die Reformation reif war? Ohne genauere Kenntnis der Kirchengeschichte und der katholischen Dogmen: Ist jemals ein Dogma aufgegeben worden oder sind nicht im Gegenteil stets neue Dogmen hinzugekommen? Wohin hat sich die rkK in den 500 Jahren seit der Reformation bewegt?

    Glaubt eine Katholikin tatsächlich, irgendwann zu ihrer Lebzeit würden Frauen zu Priestern ordiniert? Glaubt irgendein Katholik tatsächlich, irgendwann zu seiner Lebzeit würde der Papst seine Rolle als Stellvertreter Gottes in Frage stellen? Glaubt irgendjemand tatsächlich, die Ökumene könnte verwirklicht werden, ohne sich dem Diktat des Alleinvertretungsanspruchs der rkK zu unterwerfen? Was soll eine „Gleichberechtigung von Laien und Klerus“?

    Der Papst KANN Dogmen nicht über den Haufen werfen. So einfach ist das. Würde er z.B. von früheren Päpsten verkündete Dogmen „aufheben“, wäre damit implizit das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensdingen aufgehoben. Das aber würde das ganze dogmatische Kartenhaus der rkK zum Einsturz bringen. Der Papst KANN eine Ordination von Frauen gar nicht in Betracht ziehen, ohne das Dogma von der direkten Nachfolge Jesu (ausgehend von Petrus) aufzuheben. Frauen haben halt nur eine Art „privilegierter Partnerschaft“, aber keine Vollmitgliedschaft. Basta! Was kratzt es denn die rkK, wenn ein paar Hanseln in Deutschland sich an ihr reiben?

    Vorbereitet wurde das Terrain für die Enttäuschung über die diversen Papstansprachen ja schon durch Matthias Matusseks Buch „Das katholische Abenteuer“. Darin erklärt er u.a.: „Ich bin so leidenschaftlich katholisch, wie ich vor vierzig Jahren Marxist war. Warum? Weil mein Verein angegriffen wird“, den er in höchster Gefahr sieht, wenn er zu sehr mit dem Zeitgeist geht. Matussek ängstigt es keineswegs, wenn die rkK auf eine kleine schlagkräftige, ideologisch gefestigte Gruppe ohne die Lauen zusammenschrumpfen würde. Braver Papstanhänger, Matussek!

    Aber das ist katholisches, theologisches Gedöns, das für den Normalbürger keine unmittelbare Relevanz hat. Wer Demokratie will, muss die rkK verlassen – man kann sich ja nicht einmal für ihre Abschaffung einsetzen. Auch die Rückstufung auf einen weltanschaulichen Verein ist nicht möglich, da das Vereinsrecht i.d.R. Wahlen erfordert. Wahl der katholischen Bischöfe durch die gläubigen Laien? Das will ich sehen! Man kann der rkK allerdings die steuerlichen Privilegien und Subventionen entziehen und endlich die Staatsleistungen ablösen, wie es das GG vorschreibt. (Siehe auch den unter SpOn publizierten Auszug aus Matusseks Buch „Matusseks Leben als Katholik – Weg mit der Kirchensteuer!“ [http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,761854,00.html])

    Das einzige, was die rkK verändert hat, sind Äußerlichkeiten. In der Zeit meiner jesuitischen Prägung (die Striemen waren oft deutlich sichtbar, die Narben auf der Seele weniger) zwischen 1959 und 1964, davon 4 Jahre am Canisius-Kolleg in Berlin, lautete der Anfang des Apostolischen Glaubensbekenntnisses noch: „Ich glaube an Gott den Allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erden, aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge, und an den einen Herrn Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn …“

    Allerdings bekam ich auf meine Fragen der Art „Aha, also hat Gott Picassos Werke erschaffen?“, „Hat Gott auch den VW Käfer meines Vaters erschaffen?“, „Wieviel Kilowatt Strom erschafft Gott jeden Tag?“ keine Antwort, sondern einen Schlag mit dem Bambus-Zeigestock auf die Fingerspitzen.

    Die neue Fassung lautet nun: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, …“ Wow! Welch‘ Fortschritt! Wer den Hirtenstab des „Guten Hirten“ (der das kleine Schäfchen auf seinen Schultern trägt) in Form eines Knüppels oder eines blaugeäderten Penis kennengelernt hat, macht sich über die rkK so schnell keine Illusionen mehr!

    Bleibt eine weitere Erklärung für das Verhalten von Kirchenkritikern, die ich bei Alice Miller in ihrem Buch „Das Drama des begabten Kindes“ (S. 134 alte Fassung, S. 122 neue Fassung) gefunden habe.

    „Dazu gehört das zentrale Bedürfnis jedes Menschen, sich frei zu artikulieren, d.h. als das, was er ist, nach außen treten zu können – im Wort, in der Geste, im Verhalten, in jedem echten Ausdruck, der zwischen dem Schrei des Säuglings und dem künstlerischen Werk liegen kann.

    Bei Menschen, die ihr wahres Selbst als Kinder vor anderen und vor sich selber verbergen mußten, ist dieses erste Heraustreten mit großer Angst verbunden.

    Mit einer schlafwandlerischen Sicherheit wird sich der Analysand Menschen aussuchen, die genauso wie seine Eltern (wenn auch aus anderen Gründen) nicht die Möglichkeit haben, ihn zu verstehen. Und gerade bei diesen wird er sich – im Wiederholungszwang – anstrengen, sich verständlich zu machen, das Unmögliche doch noch möglich zu machen.“

    Manche katholischen Kirchenkritiker betteln geradezu, der Papst möge die Schreie ihrer gequälten Seelen (er)hören. Aber der alte Mann ist taub. Er muss die Kirche retten, nicht die Gläubigen. Er muss die „Wahrheit“ der reinen Lehre bewahren, nicht in den Niederungen des Jammertales wandeln.

    Religiöse Indoktrination seit frühester Kindheit im Elternhaus und durch staatlich organisierten bekenntnisorientierten Religionsunterricht in der Schule ist zerstörerisch. Natürlich ist es bequem, Kindern den „lieben Gott“ als Erklärung anzubieten, natürlich ist es bequem, die Kinder vor der Glotze abzustellen, natürlich ist es bequem, die Kinder mit Fast Food vollzustopfen. Aber es macht sie kaputt – ohne dass sie (und die Eltern) das unmittelbar merken. Später kann man sie dann im Namen der Humanität (!) in Kriege schicken und dort verheizen.

    Wer schützt Menschen in Lebenskrisen (z.B. Jugendliche in der Pubertät) davor, sich Heilsversprechungen – man könnte auch sagen: geistiger Versklavung – hinzugeben, die sie im „Normalzustand“ mit einem Lachen links liegen lassen würden?

    Noch einmal Erich Fromm:

    „Der Mensch hat ein Bedürfnis nach Freiheit. Der Mensch kann zwar zu allem gebracht werden – auch dazu, daß er die Sklaverei liebt – doch immer nur unter der Bedingung: Er wird störrisch, aggressiv, dumm und ängstlich. Man kann den Menschen nicht versklaven und ihn gleichzeitig heiter, glücklich und unaggressiv machen wollen. Geht man über eine gewisse Schwelle der Unterdrückung hinaus, dann rächt sich der Mensch damit, daß er entweder rebelliert oder ganz destruktiv oder unbrauchbar wird oder daß seine Vitalität langsam abstirbt.“ (Erich Fromm / Interview Reif 1975 – Sinnerfüllte Wege / Befreites Leben)

    In aller gebotener Kürze sei auch noch einmal auf die Worte von Karl Marx aus dem Jahr 1844 [1] hingewiesen – meist auf einen kleinen verfälschend zitierten Satz verkürzt:

    „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen. Und zwar ist die Religion das Selbstbewusstsein und das Selbstgefühl des Menschen, der sich selbst entweder noch nicht erworben, oder schon wieder verloren hat. …

    Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.

    Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf. Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist.“

    [1] Näheres durch Benutzung einer handelsüblichen Internet-Suchmaschine. Oder, als Einstieg, bei Wikipedia schauen.

  19. @ Schnippsel – Nr. 19
    Warum ich in der Kirche bleibe

    Text des katholischen Theologen Hans Küng – zitiert aus einem Hanauer Gemeindebrief

    … Warum bleibe ich in der Kirche? Weil ich in dieser Glaubensgemeinschaft, kritisch und solidarisch zugleich, eine große Geschichte bejahen kann, aus der ich mit so vielen anderen lebe. Weil ich als Glied der Glaubensgemeinschaft Kirche bin und nicht daran denke, Kirche mit dem Apparat und den Administratoren zu verwechseln und ihnen das Gestalten der Gemeinschaft zu überlassen. Weil ich hier, bei allen heftigen Einwänden, in bezug auf die Fragen nach dem großen Woher und Wohin, Warum und Wozu des Menschen und der Welt meine geistige Heimat habe, der ich ebensowenig den Rücken zukehren möchte wie im politischen Bereich der Demokratie, die auf ihre Weise nicht weniger als die Kirche missbraucht und geschändet wird. Selbstverständlich: Es gibt auch die andere Möglichkeit. Und ich habe gute Freunde, die sie gewählt haben: Bruch mit dieser Kirche wegen ihres Abfalls um höherer Werte willen, vielleicht um eines echten Christseins willen.

    Und doch: Der Sprung vom Boot – für jene ein Akt der Ehrlichkeit, des Mutes, des Protestes oder auch einfach der Not und des Überdrusses – wäre für mich persönlich ein Akt des Verzagens, des Versagens, der Kapitulation. Dabeigewesen in besseren Stunden, sollte ich das Boot im Sturm aufgeben und das Stemmen gegen den Wind, das Wasserschöpfen und eventuell den Kampf ums Überleben den anderen überlassen, mit denen ich bisher gesegelt habe? Zuviel habe ich in der Glaubensgemeinschaft empfangen, als dass ich hier so einfach aussteigen könnte. Zuviel habe ich mich selbst für die Veränderung und Erneuerung engagiert, als dass ich je die enttäuschen dürfte, die sich mit mir engagiert haben. Diese Freude möchte ich den Gegnern der Erneuerung nicht machen, diesen Kummer den Freunden nicht bereiten.

    Auf die Effizienz in der Kirche werde ich nicht verzichten. Die Alternativen – andere Kirche, ohne Kirche – überzeugen mich nicht: Ausbrüche führen zur Vereinzelung des Einzelnen oder aber zu neuer Institutionalisierung. Alles Schwärmertum beweist dies. Ich halte nichts von elitärem Christentum, das besser sein will als die vielen da, und nichts von Kirchenutopien, die mit einer Idealgemeinschaft von reinen Gleichgesinnten rechnen. Sollte es da nicht in dieser konkreten Menschenkirche, wo ich wenigstens weiß, mit wem ich es zu tun habe, spannender, herausfordernder und in allem Durchleiden letztlich doch auch erfreulicher und fruchtbarer sein, den Kampf für ein „Christentum mit menschlichem Antlitz“ zu kämpfen? Eine ständig neue Aufforderung zur Verantwortung, zu aktivem Einsatz, zu hartnäckiger Ausdauer, zu gelebter Freiheit, zum Widerstand in Loyalität? Ich bleibe in der Kirche, weil mich die Sache Jesu Christi überzeugt hat, und weil die Kirchengemeinschaft trotz und in allem Versagen doch Sachwalterin Jesu Christi geblieben ist und es auch bleiben soll. Mein Christentum habe ich so wenig wie die andern, die sich Christen nennen, aus den Büchern, nicht einmal aus dem Bibelbuch. Ich habe es von dieser Glaubensgemeinschaft, die sich durch zwanzig Jahrhunderte leidlich durchgehalten hat und die immer wieder schlecht und recht Glauben an Jesus Christus geweckt und Engagement in seinem Geist herausgefordert hat.

    Dieser Ruf der Kirche ist weit davon entfernt, reiner Karg, reines Gotteswort zu sein. Es ist ein sehr menschliches, oft allzu menschliches Rufen. Aber was die Botschaft ist, lässt sich auch bei vielen falschen Tönen und schiefen Taten vernehmen und ist auch immer wieder vernommen worden. Was nicht zuletzt die Gegner bezeugen, die die Kirche – zu Recht – auf diese ihre Botschaft behaften, mit der sie oft so wenig übereinstimmt: Großinquisitorin, Tyrannin, Krämerin statt Sachwalterin…

    Es liegt an der Kirche, wie sie die Krise übersteht. Am Programm fehlt es nicht. Warum bleibe ich in der Kirche? Weil ich aus dem Glauben Hoffnung schöpfe: dass das Programm, dass die Sache Jesu Christi selbst wie schon bisher stärker ist als aller Unfug; der in und mit der Kirche angestellt wird. Dafür lohnt sich der entschiedene Einsatz in der Kirche, dafür der besondere Einsatz im kirchlichen Dienst – trotz allem. Nicht obwohl ich Christ bin, bleibe ich in der Kirche. Ich halte mich nicht für christlicher als die Kirche. Sondern weil ich Christ bin, bleibe ich in der Kirche.“

    Begründung von Teihard, warum er trotz großer
    Konflikte aus der Kirche nicht austrat.

    „Wäre es für mich logisch, wenn ich, durch einen Bruch mit meiner Kirche, ungeduldig das Wachsen des christlichen Triebes forcierte, von dem ich überzeugt bin, daß sich in ihm die Saft der Religion von morgen vorbereitet? Ich bin Gefangener der Kirche, aufgrund eben der Anschauungen, die mir ihr Unzulänglichkeit aufdecken …“ Teilhard war überzeugt, “ daß meine besten Anstrengungen nutzlos wären, wenn ich mit dem religiösen Strom bräche, bei dem das Problem nicht darin besteht, ihn zu bekämpfen, sondern ihn umzuwandeln. Auf einem solchen Schlachtfeld kann ich nicht aus politischen Überlegungen, sondern aus reiner Überzeugung, nur von innen her wirken“.

    (Aus Christ in der Gegenwart Nr. 7/06 S. 54)

    Paul Haverkamp, Lingen

  20. @ 18,20 Paul Haverkamp, @ 19 Schnippsel

    Zunächst begrüße ich es, dass die Diskussion endlich von der Papstrede im Bundestag zu Themen übergeht, die mir wesentlich bedeutsamer erscheinen. Dank an Paul Haverkamp für das prompte und sehr hilfreiche Fazit der Papstreise. Emotional stimme ich auch durchaus Schnippsels kritischen Bemerkungen zu. Allerdings halte ich Spekulationen über die psychischen Befindlichkeiten von Papstkritikern als falsche Richtungsvorgabe und daher eher kontraproduktiv.
    Produktiver erscheint mir eine Diskussion
    (1) über Ergebnisse und Konsequenzen der Papstreise aufgrund einer sachlichen Analyse
    (2) über Einstellungen der anvisierten Zielgruppe von „Gläubigen“, also sich bedingungslos päpstlichen Vorgaben unterwerfenden Menschen
    (3) über Erfolgsaussichten, Widersprüche und Gefahren des von Benedikt eingeschlagenen Wegs
    (4) über Gegenstrategien innerhalb UND außerhalb der Kirche.

    Zu (1) Ergebnisse und Konsequenzen der Papstreise:
    Haverkamps Einschätzung als „Enttäuschungen auf breiter Front“ erscheint mir fast zu euphemistisch. Dies setzt voraus, dass tatsächlich berechtigte Hoffnungen bestanden, dass ein Benedikt überhaupt bereit oder in der Lage wäre, auf Kümmernisse, Ängste und Hoffnungen der ihm anvertrauten „Schäfchen“ einzugehen. Wer dies glaubte, der wurde nun freilich eines Schlechteren belehrt. Er wird sich fragen müssen, wie er/sie mit der Desillusionierung umzugehen hat.
    Dazu erscheint mir der von Haverkamp erstellte Negativkatalog von Punkten, über die jegliche Diskussion verweigert wird, allein unzureichend:
    Die Gleichsetzung von kirchlichem und göttlichem Auftrag (also Bekräftigung der Alleinvertretungsanmaßung) macht jegliche Ökumene mit Protestanten generell unmöglich. Und die emphatische Beschwörung des „Glaubens“, (wie in # 18 richtig festgestellt) konkretisiert allein als bedingungslose Unterwerfung und kirchliche Hierarche, macht die Zielrichtung klar: Es geht offenbar um gezielte Ausgrenzung und Diffamation Reformwilliger – etwa im Sinne einer Verschlankung der Kirche auf die ihr „unverbrüchlich treuen“ Elemente. Die Begrüßung durch den Berliner Benedikt-Adlatus in der Stadt der „Gottlosen“ spricht Bände: Eine solche Kulturkampf-Terminologie, die Andersgläubige und Andersdenkende als moralisch defizitär diskreditiert, entspricht unverkennbar dem islamistischen Gebrauch des Wortes „Ungläubige“ (auch wenn die möglichen mörderischen Konsequenzen noch nicht erkennbar sind).
    Zu (2) Einstellungen der anvisierten Zielgruppe von „Gläubigen:
    Diese Zielgruppe lässt sich an Äußerungen etwa von Vertretern der „Generation Benedikt“ festmachen.
    Was aber sind das für (junge) Menschen, die dem Personenkult frönen und Starrsinn für „authentisch“ halten, die ihre Identität in moralisierend-elitärer Abgrenzung vom „Zeitgeist“ suchen, die, auf ihre Widersprüche hin befragt, (so bei der Messe in Freiburg) die verfolgte Unschuld mimen und sich mit verfolgten Christen in totalitären Staaten vergleichen? Wie zahlreich sind sie? Welche Chance haben sie, den Charakter fundamentalistischer „Glaubens“beschwörungen im Sinne von Durchhalteparolen zu durchschauen, und unter welchen Bedingungen? Vor allem aber: Welches sind die politischen Konsequenzen?
    Zwar sind mir die Glaubensüberzeugungen solcher Menschen ziemlich egal, doch es liegt auf der Hand, dass (partieller) Wirklichkeitsverlust im Kampf gegen den „Zeitgeist“ und totale Bindung an eine richtungweisende Instanz, die selbst unter den Bedingungen vielfältigen Missbrauchs nicht hinterfragt wird, auch politische Folgen zeitigen. Dies belegen auch die offensichtlichen Bezüge zwischen „wiedererweckten Christen“ und der reaktionären „Tea-Party-Bewegung“ in den USA.
    Dennoch bedürfen diese Fragen der genauen Beobachtung und können m.E. noch nicht abschließend beantwortet werden.
    Zu (3) Erfolgsaussichten, Widersprüche und Gefahren des von Benedikt eingeschlagenen Wegs:

    Hans Küng beschreibt im letzten „Spiegel“ den von Benedikt eingeschlagenen Weg, führende Positionen mit ergebenen Getreuen zu besetzen, Bischöfe zu Befehlsempfängern zu degradieren und Kritiker kalt zu stellen, als „Putinisierung der Kirche“. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass einer der klerikalen Hardliner nach eigenem Bekenntnis vom letzten Roman ausgerechnet von Esther Vilar fasziniert war: Sie beschreibt darin den Niedergang einer reformorientierten Kirche, die nach und nach ihre Identität verliert. Dies lässt ein Trauma fundamentalistischer Katholiken erkennen, das nicht auf die Person Benedikts beschränkt ist.
    Aus der Fixierung auf seine Person, etwa aus der Erklärung mit Altersstarrsinn, wird sich also keine haltbare Einschätzung ergeben. Hinter dessen Strategie steht erkennbar – da gebe ich Schnippsel Recht – der Wille der Aufrechterhaltung und Stärkung der vatikanischen Hierarchie auf Teufel komm raus, auch um den Preis der Abschreckung eines Großteils der Gläubigen, um Schrumpfung zur Sekte: „Reinheit“ geht vor Einheit. Auch wenn mich persönlich Benedikts „Glaubens“appelle an Durchhalteparolen im sich auflösenden 3. Reich erinnern, ausgeschlossen erscheint der Erfolg dieser Strategie wohl nicht. In einer globalisierten und zugleich sich immer mehr differenzierenden Welt, in der selbst die Machtbasis autokratischer und klerikaler Potentaten der arabischen Welt entschwindet, erscheint dies aber eher unwahrscheinlich. Unterstellt, alle Kirchenkritiker der Gegenwart würden zum Schweigen gebracht: der immanente Widerspruch autokratischer Systeme zur „Moderne“ muss immer neue Widersprüche hervorbringen.
    Zu (4) über Gegenstrategien innerhalb UND außerhalb der Kirche:
    Schnippsels Appell an die Kritiker zum Verlassen der Kirche erscheint mir zu individualistisch gedacht und zumindest voreilig. Wie unter (1) und (3) angemerkt, scheint dies gerade der Strategie eines Benedikt entgegenzukommen – analog zum Bannstrahl gegen kritische Theologen, der sie ihres Einflusses innerhalb der Kirche berauben sollte. Erfolgversprechender erscheinen mir koordinierte Aktionen von Kritikern innerhalb UND außerhalb der Kirche: Wenn der Schäfer seine Schäfchen schnöde im Stich lässt, dann ist es an der Zeit, dass diese sich auf sich selbst besinnen. Die Initiativen in der Schwangerschaftsberatung nach dem skandalösen Austritt der Kirchen aus dem Beratungssystem könnten ein Vorbild sein.
    Nach Spiegel-Bericht hat die Zahl der Priesterkandidaten seit 1990 um 62,1 % abgenommen. Was (außer eigenem Pflichtgefühl) zwingt etwa die Frauen, den schändlichen Umgang mit ihnen auch noch dadurch zu honorieren, indem sie Dienste leisten, ohne die Gottesdienste und andere kirchliche Veranstaltungen zusammenbrächen? Wie wäre es etwa mit einer koordinierten kollektiven Dienstverweigerung?
    Die Pius-Brüder sind in den Provokationen gegenüber dem Vatikan so weit gegangen, auf eigene Faust Bischöfe zu weihen, die dieser nun zähneknirschend anerkannt hat. Wer zwingt Menschen, die vom Gedanken der Ökumene überzeugt sind, bei allen Aktionen den Segen von oben einzuholen?
    Zwei Beispiele nur, die zeigen sollen, dass sich Kritik von außen und innerkirchliche Aktionen keineswegs ausschließen, sondern eher ergänzen.
    Über Reaktionen würde ich mich freuen.
    Mit freundlichen Grüßen
    W.Engelmann

  21. Roma locuta causa finita

    Der Papst hat gesprochen und damit ist der Käs‘ gegessen. Basta.

    Zwei Vorbemerkungen: natürlich habe ich Respekt vor den je individuellen Beweggründen, die einen Menschen dazu bewegen, Mitglied der römisch-katholischen Kirche (rkK) zu bleiben. Hier im Blog geht es ja auch nicht um das Niedermachen eines Gegenübers, sondern um die Klarstellung zweier gegensätzlicher Positionen. Zweitens finde ich den Ansatz einer (basis-)demokratischen Glaubensgemeinschaft durchaus ehrenwert und sympathischer als eine hirnlose Kaderorganisation samt Kadavergehorsam.

    Aber genau in Letzterem liegt das Problem der Reformkatholiken. Sie wollen aus ihrer Glaubensgemeinschaft so etwas wie eine Partei, eine Gewerkschaft oder einen Kleingartenverein zur Pflege seelischer Befindlichkeiten machen, die nach demokratischen Regeln von unten nach oben funktionieren. Eine Organisation, deren Programmatik mit dem Zeitgeist und dem Empfinden und Wollen der Mehrheit ihrer Mitglieder änderbar ist. Man vergleiche nur einmal die (Änderungen der) Parteiprogramme von 1945 bis heute.

    Die rkK hingegen ist eine streng hierarchisch von oben nach unten durchregierte, nach dem Führerprinzip organisierte Gemeinschaft, die auf einer Reihe von unveränderbaren Grundsätzen („Dogmen“) beruht. Eines dieser Dogmen ist allein schon die hierarchische Struktur („das Mysterium der Kirche“). Dieses Mysterium beschwört im Übrigen auch das II.Vatikanische Konzil (siehe Abschlußdokument „Lumen Gentium“).

    In Deutschland muss man ja immer ein bisschen Hitler in die Debatte streuen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Auseinandersetzung der Reformkatholiken mit dem Papst hört sich so an, als hätten sich NSDAP-Mitglieder um die Forderung geschart: „Wir wollen Nationalsozialismus, aber ohne (den) Führer!“. Oder – und das hat es ja massenweise während des Tausenjährigen Reiches und danach gegeben – die Sätze: „Der Nationalsozialismus ist eigentlich ganz toll! Wenn es nur diese blöde Sache mit den Juden nicht gegeben hätte.“ Auch auf der Linken findet man diese Reinwaschungen der Art „Der Kommunismus, einschließlich des Stalinismus und Maoismus, ist eine ganz tolle Sache – wenn man mal von den Gulags absieht.“

    Wie borniert oder größenwahnsinnig oder masochistisch müssen Menschen denn sein, wenn sie meinen, sie könnten Gott (in seiner irdischen Form seines Stellvertreters: des Papstes) erklären, wie er zu funktionieren habe?!

    Wie überheblich sind diese katholischen Laien eigentlich, wenn sie meinen, die rkK könnte aufgrund ihrer Diskussionen einige der grundlegendsten Dogmen aufgeben? Ein paar Quengeler in Deutschland gegen den Rest der katholischen Welt – soll auch diesmal am deutschen Wesen die Welt(kirche) genesen?

    Wie lange werden diese Reformkatholiken noch brauchen, bis sie endlich verstehen: die rkK ist nicht dazu da, ihnen die Last ihrer Nöte und Sorgen in dieser Welt zu erleichtern?! Das Heil wartet – aber im Jenseits!

    Meinen sie wirklich, Herrn Wulff zuliebe würde die rkK den Kern ihrer Lehre (z.B. von den 7 Sakramenten [1]) aufgeben? Sie würde die Unauflöslichkeit der Ehe mal so eben zur Disposition stellen und das Sakrament der Ehe streichen? Die strikte Treue passt zwar nicht in die Lebenswirklichkeit des modernen, langlebigen Menschen, aber die wie lautet für die Reformkatholiken die Konsequenz daraus? Überspitzt gesagt: wenn unsere Lebenweise nicht mit den göttlichen Ge- und Verboten und Regeln übereinstimmt, muss Gott halt sich und seine Regeln ändern!

    Wie viele Klatschen müssen sie sich (nach 1.500 Jahren Auseinandersetzung bis zur Reformation und weiteren 500 Jahren seitdem) eigentlich noch einfangen, bis sie endlich kapieren: diese eine, heilige, katholische Kirche ist grundsätzlich nicht reformierbar?! Wann werden sie merken: entweder Papst oder Pippi Langstrumpf („Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“)?

    Auf die Forderungen (brav „Wünsche“ genannt) der Reformkatholiken antwortet der Papst stets „Njet!“ Ihr Ärmsten: wer nicht hören will, muss fühlen! Wer wider besseres Wissen, als Reformkatholik in der rkK bleiben will, hat es nicht anders verdient. Wer seine Kraft in einem so aussichtslosen Kampf verschleissen will: bitte sehr!

    Damit erreichen die Reformkatholiken jedoch vielleicht das genaue Gegenteil von dem, was sie sich wünschen: die rkK stellt sich in aller Öffentlichkeit als der unverbesserliche, dogmatische und hierarchische Haufen dar, der sie tatsächlich ist. Und damit schreckt sie all jene ab, die sich eine auf Gleichberechtigung beruhende, den Nöten der Menschen verpflichtete Kirche wünschen.

    Wer eine derart „weichgespülte“ Gemeinschaft der Gläubigen möchte, hat eine überreichliche Auswahl anderer Möglichkeiten. (Die evangelische Kirche in Deutschland hat allerdings einen noch stärkeren Mitgliederschwund gehabt als die rkK.)

    Wie gesagt: Roma locuta causa finita. Basta!

    [1] Die 7 Sakramente sind (Katechismus der Katholischen Kirche, § 1210):

    Taufe – „Sakrament der Wiedergeburt“
    Firmung – „Sakrament der Versiegelung, der Reife und Mannbarkeit“
    Eucharistie – „Sakrament der Vereinigung mit Christus“
    Buße (Beichte) – „Sakrament zur Vergebung der Sünden“
    Krankensalbung – „Sakrament zur Aufrichtung und Stärkung der Seele“
    Weihe (Diakon-, Priester- und Bischofsweihe) – „Sakrament zur Weiterführung des Priester- und Mittleramtes Christi“
    beruhend auf den sog. „3 Evangelischen Räten“ Armut, Keuschheit und Gerhorsam
    Ehe – „Sakrament zur Mehrung des Gottesvolkes“

    Dabei ist es völlig unerheblich, ob diese 7 Sakramente tatsächlich biblisch begründet bzw. begründbar sind: sie sind nun einmalTeil der Dogmen der rkK.

  22. Hallo, Schnippsel,
    ich finde Ihre Ausführungen ja wie immer interessant und kenntnisreich. Allerdings meine ich, dass sich daraus nicht notwendigerweise nur eine Schlussfolgerung ergeben muss.
    Nun habe ich die von Ihnen verlangte Konsequenz für mich schon lange gezogen und kann daher auch nicht für Reformkatholiken sprechen. Aber wenn ich mich auch öfter frage, wie weit ihre Leidensfähigkeit wohl geht, so versuche ich doch, ihr Anliegen ernst zu nehmen und ihren Ansatz zu verstehen. Wie weit die Kompromissbereitschaft geht, hängt wohl davon ab, in welchem Kontext man (vor allem in der Kindheit) Katholizismus erlebt hat und welche emotionale Befindlichkeiten man dementsprechend damit assoziiert.
    Meine religiöse Sozialisation in den 50er Jahren in Bayern war Ihren sicher nicht unähnlich, wenn sich die traumatischen Erfahrungen (verglichen mit denen vieler anderer) auch in Grenzen hielten. Es gibt aber auch viele, für die religiöse Erfahrungen mit Mitmenschlichkeit und Aufgehobenheit in einer Gemeinschaft verbunden sind. Und dies gibt man dann nicht wegen ein paar hirnrissiger Dogmen (wobei ich die Mariendogmen an erster Stelle nennen würde) nicht auf, wo doch sowieso niemand kontrollieren kann, ob man das alles tatsächlich alles glaubt oder nicht. Solche Einstellungen habe ich z.B. bei französischen Katholiken der Taizé-Bewegung erlebt.
    Ich glaube nicht, dass man weiter kommt, wenn man Kirche nur als monolithische Hierarchie sieht (was sie sicher auch ist), nur oder vor allem die Dogmen ins Auge fasst und auf der Ebene der strukturellen Defizite diskutiert.
    Nach meinem Eindruck geht es „Reformkatholiken“ (ich weiß nicht, ob man sie überhaupt pauschal so benennen kann) gar nicht primär um Anzweiflung von Dogmen – anders als Theologen wie z.B. Küng Drewermann, vom Unfehlbarkeitsdogma vielleicht abgesehen. Es geht wohl eher um ganz praktische Lebensfragen (wie Paul Haverkamp sie unter #18 benannt hat) und die nicht aus Dogmen und schon gar nicht aus der Bibel ableitbar sind. Hier aber ergeben sich ganz andere Handlungsstrategien als die von Theologen. Die Schwangerschaftsberatungen in eigener Regie als Antwort auf die Obstruktionspolitik der katholischen Bischöfe erscheint mir als typisches und auch richtungweisendes Beispiel. Das ist so viel effektiver und lebensnäher als eine Diskussion um „unbefleckte Empfängnis“.
    Allerdings sehe ich natürlich (und habe mich daher in meinem Roman eindringlich damit befasst), dass solche Dogmen (so man denn daran glaubt) sehr wohl das Menschen-und Selbstbild derart prägen können (und wohl auch sollen), dass eine zwanghafte psychische Abhängigkeit entsteht. So etwa wird bereits im Märchen „Marienkind“ (Nr.4 der Grimmschen Sammlung, von Drewermann auch psychoanalytisch interpretiert) die im „Jungfräulichkeitswahn“ (wie ich es nenne) verankerte Pädagogik der Angst entlarvt. Daher auch mein Erschrecken über Bewegungen wie die „Generation Benedikt“, bei denen sich solche psychische Mechanismen m.E. erkennen lassen.
    Eine solche Auseinandersetzung muss sicherlich geführt werden, und das kann ich auch von außen tun. Sie kann aber nicht Aktionen ersetzen wie die von „Wir sind Kirche“, die z.B. ökumenische Gottesdienste einfach praktiziert, egal, was Benedikt und die deutschen Bischöfe davon halten.
    Nun werde ich mich daran wohl nicht beteiligen, weil es mich gar nicht mehr betrifft. Ich stehe dem aber mit großer Sympathie gegenüber und meine, dass man innerkirchliche Kritik und die von außen nicht gegeneinander ausspielen sollte, da diese sich (worauf ich unter #21 hingewiesen habe) durchaus ergänzen können.
    2 Worte noch zu Ihren Ausführungen: Erstens verstehe ich nicht den Grund Ihrer Ausführungen zu den 7 Sakramenten, die ja nicht identisch sind mit katholischer Dogmatik, die weit darüber hinausgeht. So wäre z.B. zum Sakrament der Ehe zu fragen, ob dies denn tatsächlich die vatikanische Praxis rechtfertigt (worüber sich die Theologen streien mögen). Es ist auch nirgendwo erkennbar, aus welchem Sakrament etwa die abartige Sexualfeindlichkeit sowie die Verteufelung von Homosexualität sich ergeben sollte.
    Und zweitens zu den von Ihnen angeführten Gefahren reformkatholischer Aktionen: Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn dies dazu führen würde, dass sich die katholische Amtskirche „in aller Öffentlichkeit als der unverbesserliche, dogmatische und hierarchische Haufen dar(stellt), der sie tatsächlich ist“?
    Freundliche Grüße
    W.Engelmann

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