Die sprachlichen Kleinkariertheiten des Ministers Schmidt

Wenn jemand noch Zweifel daran hatte, dass Deutschland über hochtalentierte Politiker verfügt, kann er diese jetzt endgültig fahren lassen. Solches Talent hat nämlich kürzlich Christian Schmidt (CSU) bewiesen, seines Zeichens Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung. Man muss es ihm neidlos zugestehen: Er hatte einfach den richtigen Riecher zur richtigen Zeit. Begriffe wie “ vegetarisches Schnitzel“ oder „vegane Currywurst“ seien „komplett irreführend und verunsichern die Verbraucher“, sagte er der „Bild“. „Ich setze mich dafür ein, dass sie im Sinne einer klaren Verbraucherkennzeichnung verboten werden.“ Niemand dürfe „bei diesen Pseudo-Fleischgerichten so tun, als ob es Fleisch wäre.“ Richtig so! Hätte ja sonst auch niemand gemerkt, dass in diesen Fleischersatzprodukten kein Fleisch ist.

Wie, das haben Sie nicht gewusst? Es ist wirklich wahr: Nicht einmal das geringste Fitzelchen Fleisch ist da drin! Könnte das unter Umständen der Grund dafür sein, dass auf den Verpackungen immer groß „vegetarisch“ oder „vegan“ draufsteht? Oder womit könnte das zusammenhängen? Ich fühle mich schlagartig erheblich verunsichert. Es ist wirklich höchste Zeit, dass mal einer für Klarheit sorgt. Für diese Glanzleistung schlage ich vor, Minister Schmidt für die „Kandierte Schweineschwarte“ zu nominieren, den Oscar unter den Lebensmittelpreisen. Für seine Verdienste um die Verbraucherverunsicherung.

fr-balkenLeserbriefe

Gitta Matthes aus Bad Nenndorf meint:

„Schweineohren = Blätterteiggebäck; Rehrücken = Schokoladenkuchen gespickt mit Mandelstiften; Quarkroulade = Biskuitrolle mit Quarkfüllung; Halve Hahn = halbes Roggenbrötchen mit Käse; Hackschnitzel = Brennstoff aus zerkleinertem Holz.
Alles „Pseudo-Fleischgerichte“? Irreführend im Sinne einer klaren Verbraucherkennzeichnung? Da hat Herr Schmidt aber ordentlich zu tun, wenn er mittels Verbot die deutsche Sprache von derartigen Begriffen bereinigen will!
Nach meinem Eindruck eröffnet Herr Schmidt jedoch mit seinen sprachlichen Kleinkariertheiten tatsächlich nur einen Nebenkriegsschauplatz, um vom eigentlichen Problem abzulenken. Die meisten fleischessenden Menschen wissen, dass die Tiere, die sie essen, letztlich aus einer Fleisch-Industrie stammen, dass diese Tiere weder ein langes, noch ein schönes Leben hatten und am Ende unter großem Stress gewaltsam zu Tode gekommen sind. Bilder und Berichte über Mastställe, Massentierhaltung und über z.T. unsägliche Zustände auf Tiertransporten und in Schlachthöfen sind heutzutage überall verfügbar und lassen sich kaum noch ignorieren. Da muss man schon über einen guten Verdrängungsmechanismus verfügen, um diese Umstände auszublenden, wenn man genussvoll sein Schnitzel verzehren will. Ich glaube, dass die wenigsten Fleischesser Massentierhaltung, Kükenschreddern, Schlachtung von nur halbbetäubten oder tragenden Tieren appetitanregend finden. Da hilft es also nur schönreden, damit der tägliche Fleischverzehr erträglich bleibt.
Was aber, wenn die stetig zunehmende Zahl von Vegetariern und Veganern provokant vor Augen führt, dass es auch anders geht? Denn der Mensch kann sich im Gegensatz zum fleischfressenden Tier frei entscheiden, ob er Fleisch isst oder nicht – er kann auch ohne zu verhungern und ohne gesundheitlich Schaden zu nehmen auf den Konsum tierischer Produkte verzichten und damit den Wahnsinn der Fleisch- und Nutztier-Industrie boykottieren und nicht länger unterstützen.
Man stelle sich das mal vor: Dann müsste sich Herr Schmidt, statt sprachliche Spitzfindigkeiten von sich zu geben, um die tatsächlich anstehenden Probleme kümmern – Verbot von Massentierhaltung und Kükenschreddern, wirksame und echte Tier“schutz“gesetze, vernünftige Subventionierung und Unterstützung von Landwirten, damit sie mit wirklich artgerechter Tierhaltung auskömmlich existieren können, Lebensmittelampel, aussagekräftige Zutatenliste.
Aber nein, frei nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ hebt Herr Schmidt drohend den Zeigefinger gegen die Hersteller von vegetarischen und veganen Produkten. Ich werde den Eindruck nicht los, dass es da unter dem Deckmäntelchen des Verbraucherschutzes in Wirklichkeit um die wirtschaftlichen Interessen der Fleischindustrie geht – nicht dass noch mehr Fleischesser auf die Idee kommen, ins Veggie-Lager überzulaufen!“

Siegfried Schwarzer aus Lampertheim

„Agrarminister Schmidt hat wunderschön gezeigt, wie es um die Politiker steht: Sie halten den Verbraucher / Wähler für so dumm, dass er nicht in der Lage sei, echte Wurst von vegetarischer zu unterscheiden – auch wenn sie im Kühlregal weit genug auseinanderliegen, so dass es keine Verwechslung geben kann. Und er bezeugt, wie erfolgreiche Lobbyarbeit aussieht. Da haben die (Billig-) Fleischproduzenten mal wieder einen Sündenbock gefunden, den man pressewirksam durchs Dorf jagen kann und holt sich dafür den Agrarminister, der mal Front machen soll gegen alles Vegetarische, was so in Aussehen und Bezeichnung der Wurst ähnlich ist und den Absatz der eigenen Produkte gefährden könnte.
Dann sollte er doch konsequenterweise auch den Schweinelachs, den Lammlachs oder den Kalbslachs verbieten. Das sind nämlich keine Fische. Also auch falsche Etikette. Vermutlich hat die Fischfanglobby nicht so viel Einfluss beim Herrn Agrarminister wie die Fleischlobby. Die Vegetarier und die Veganer haben schon mal gar keine Lobby. Aber sie können und sollten wählen. So einen „Fleischkumpel“ muss man ja nicht wählen.“

Jürgen Koenig aus Hirschberg:

„Sehr geehrter Herr Ernährungsminster Christian Schmitt: Meinen Sie das ernst? Ein vegetarisches Schnitzel würde mich als Verbraucher verunsichern? Da lachen ja die Hühner. Wenn ich vegane Currywurst o.ä. lese, weiß ich doch ganz genau, dass da bestimmt kein Fleisch drin ist, oder? Was ist aber z.B. mit Erdbeerjoghurt, vielleicht sind da ja gar keine Erdbeeren drin, sondern nur das Aroma von Sägespänen australischer Bäume? Oder was ist eigentlich in der sogenannten Erbswurst? Sind da überhaupt noch Erbsen drin? Fleisch wohl sicher auch nicht.
Wenn Sie ernsthaft daran arbeiten wollen, dass die Lebensmittelindustrie uns Verbraucher wahrheitsgemäß und auch verständlich informiert, dann bin ich ganz auf Ihrer Seite. Wenn Sie aber weiter so daherquatschen, dann empfehle ich Ihnen eine Anstellung als Hanswurst der Fleischindustrie im Zirkus oder als Kabarettist auf deutschen Bühnen. Sie hätten dabei den Vorteil kein Programm entwickeln zu müssen. Bleiben und handeln Sie einfach so wie bisher, das ist Kabarett pur.“

Diskussion: frblog.de/veggieschnitzel

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5 Kommentare zu “Die sprachlichen Kleinkariertheiten des Ministers Schmidt

  1. @ Bronski:
    Vielleicht sollten Sie lieber darstellen, dass ein Mehrwertsteuersatz von 7% auf tierische Lebensmittel keine Subvention darstellt (siehe ihr Artikel: Umweltbundesamt isoliert)

  2. @Deutscher Michel
    Sie haben das mit den Subventionen nicht verstanden. Alles was nicht oder weniger als Vergleichbares besteuert wird, wird subventioniert. Es gibt eine Kraftfahrzeugsteuer, aber keine Fussgängersteuer. Also werden Fussgänger subventioniert. Da es keine Wasser- aber eine Sektsteuer gibt, wird Wasser subventioniert. Auch Katzen und Kanarienvögel werden subventioniert, da sie nicht wie Hunde besteuert werden.
    Was ich immer schon mal gern von Vegetariern und Veganen wissen wollte. Strenge Katholiken essen (aßen) am Freitag kein Fleisch. Ich habe nie gehört, dass man für sie einen Fleischersatz kreiert hat. Wieso braucht man als Vegetarier / Veganer einen Fleischersatz, wenn man kein Fleisch essen will.

  3. @ Henning Flessner

    Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, hat Ihnen Ralph Michael Lübbers in einem früheren Thread die gleiche Frage schon einmal beantwortet. Ich tue es aber gern noch einmal.
    Wenn sich ein Jugendlicher oder Erwachsener dazu entscheidet, auf Fleisch zu verzichten, tut er dies meist aus ethischen, ökologischen, ernährungspolitischen oder auch gesundheitlichen Gründen und nicht, weil ihm dessen Geschmack missfällt. So kann es durchaus sein, dass er/sie den Fleischgeschmack ab und zu vermisst und etwas essen möchte, das ähnlich schmeckt. Das wäre vergleichbar mit jemandem, der keinen Alkohol oder kein Coffein zu sich nehmen möchte oder darf und deshalb zu alkoholfreiem Bier oder zu entcoffeiniertem Kaffee greift.
    Was das freitägliche Abstinenzgebot für Katholiken anbetrifft (es ging ja nur um einen Tag in der Woche), so wählte man statt Fleisch Fischgerichte oder Eierspeisen. Für Veganer auch keine Alternative.

    Es geht also nur um den Geschmack, und da sind Alternativen zum meist recht faden Tofu als Proteinliferanten durchaus willkommen, auch etwas, das ähnlich wie Fleisch schmeckt, aber keines ist.
    Alles klar?

  4. @Brigitte Ernst
    Wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, trügt Ihre.
    Das hatte ich mir schon gedacht, dass es nach Fleisch schmecken soll, aber kein Fleisch sein soll.
    Jetzt muss ich gestehen, dass nicht sehr viel Fleischersatz probiert habe. Dass dieser Fleischersatz wie Fleisch schmeckt, war mir neu.

  5. @ Henning Flessner

    Auch ich esse so etwas so gut wie nie, aber da diese Produkte offenbar Absatz finden, müssen sie wohl vielen Vegetariern und/oder Veganern schmecken. De gustibus non est disputandum.

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