Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit in Online-Debatten

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Sie setzen sich vielfach mit Ihren Leserbriefen für Gerechtigkeit ein, wie auch im Print-Leserforum immer wieder zu erkennen ist. Sie wollen die Welt mit ihren vielen Ungerechtigkeiten nicht einfach so hinnehmen. Als Individuum hat man allerdings nicht viele Möglichkeiten, etwas gegen diese Ungerechtigkeiten zu tun. Man kann sich politisch oder in Hilfsorganisationen engagieren, man kann spenden, man kann alle paar Jahre mal wählen – und man kann mitzureden versuchen. Aus diesem Antrieb heraus werden im Internet viele Debatten bestritten.

Doch gerade solche Online-Debatten haben vielfach einen schlechten Ruf, und viele Menschen haben sich wieder von dieser Möglichkeit der Partizipation distanziert – sei es, weil viele Teilnehmer nur im Schutz von Anonymität posten, sei es wegen des teilweise rauen Umgangstones, der da herrscht, oder auch wegen der Wahrnehmung, dass missliebige Meinungen verdrängt werden sollen. Auch Journalisten bekommen das zu spüren.

Werner EngelmannBuch- und Leserbriefautor Werner Engelmann und ich wollen uns ab heute im FR-Blog über dieses Phänomen unterhalten. Herr Engelmann hat diverse Online-Debatten, die während der Ukraine- und Krimkrise in verschiedenen Foren, so beispielsweise auf faz.net, geführt wurden, dokumentiert und analysiert. Wir wollen uns dieses Kommunikationsverhalten mal näher ansehen. Sie sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.

Zum Warmwerden hier ein Gastbeitrag von Werner Engelmann:

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Internetforen und kommunikatives Verhalten

Neue Erfindungen, besonders im kommunikativen Bereich, faszinieren, wirken auf das Verhalten vieler Menschen ein und verändern es. So ermöglichte die Erfindung des Buchdrucks die Verbreitung von Humanismus und Reformation, revolutionierte das Denken der Zeit. Nicht zu unterschätzen die Faszination des neu aufgekommenen Rundfunks für die Ausbreitung des Faschismus: Ein einzelner wirkte unmittelbar auf Massen ein, hypnotisierte sie. Nicht anders später beim Fernsehen.

Zugleich aber rief die Erfahrung von Massenbeeinflussung Kritik und Gegenbewegungen hervor, besonders deutlich bei der 68er-Bewegung, etwa der Anti-Springer-Kampagne: Sie sah den Leser bzw. Hörer als hilfloses Opfer von Propaganda und Manipulation.

Und wie steht es mit dem Internet und dessen Wirkung? – Zunächst scheint sich diese Tendenz weltweit fortzusetzen. So etwa beruhte der Erfolg Obamas bei der ersten Präsidentschaftswahl weitgehend auf perfekter Nutzung der Neuen Medien für seine Wahlkampagne. Zugleich aber bewirkt das Internet grundlegende Veränderungen im Verhältnis von Lesern zu Medienproduzenten, deren Tragweite noch kaum begriffen ist: Erstmals treten durch Interkommunikation in Internetforen und Sozialen Medien in großem Maßstab dezentrale Gegenkräfte auf den Plan, lehren – so beim „arabischen Frühling“ – sogar totalitär regierenden Potentaten das Fürchten. Es gibt kein Meinungsmonopol mehr, und in Internetforen ist aus der ehemals einseitigen Abhängigkeit des Konsumenten von Medienmachern ein zweiseitig verlaufender Dialog geworden.

Ist also die Gefahr der Manipulation durch Medienmacht gebannt und dem demokratischen Meinungsaustausch der Weg bereitet? – Erfahrungen von Journalisten in Internetforen sprechen eine ganz andere Sprache.  So etwa beklagt sich FR-Redakteurin Katja Thorwarth in einer Kolumne am 28.7.2014 über Hassmails und Medienbashing und nennt zahlreiche Beispiele für Verbalausfälle von Foristen. Dies muss Betroffenheit und Empörung bei Lesern auslösen, sollte man meinen. – Doch stattdessen trifft Hohn und Häme die Kolumnistin. 60 % der Kommentatoren sieht die Gründe für Verbalausfälle in „Mediengleichschaltung“ und „Zensur“. Noch schlimmer trifft es Faz.net (Andrea Diener,„Meine Tage im Hass“, Faz, 11.07.2014, online kostenpflichtig). Hier sind sogar 82 Prozent dieser Meinung.

Die Begründungen offenbaren oft eine Neigung der Kommentatoren zu Selbstüberhebung, Verachtung und Pauschalurteil: „Medien als Werkzeug zur Meinungsmache und Manipulation.“ „Das ist Fakt! Es existiert in dieser BRD keine Meinungsfreiheit.“ – „Sie betreiben Konzernjournalismus, im eigentlichen haben Sie Ihr Recht auf Ihren Job verloren.“ – „Überwiegend nur USA- und Nato-Propaganda. Das, obwohl jeder gesund Menschenverstand weiß, dass die USA generell Lügen.“ – „Jetzt heulen sie wieder rum.“ – „Der Faschismus kommt zurück.“

Solche Kommentare machen deutlich: Diese neue Form von „Medienbashing“ sagt wenig aus über die deutsche Medienlandschaft, umso mehr dagegen über Voreinstellungen und Geisteshaltung der Kommentatoren selbst. Dabei handelt es sich hier nicht einmal um die erwähnten Verbalausfälle selbst, sondern um – vergleichsweise moderate – Äußerungen dazu. Als ideologische Rechtfertigung stellen sie aber das Umfeld dar, aus dem Hassmails und Beschimpfungsorgien erwachsen. Und die treffen nicht nur Journalisten. Gegenüber politischen Repräsentanten, vor allem der EU (allen voran Martin Schulz), ist dies schon lange Usus.

Woher diese Aggressivität? – Dies bedarf, über kommunikationstheoretische Ansätze hinaus, auch der psychologischen Betrachtung. Einen Ansatz hierzu bietet eine Äußerung zur Kolumne von Katja Thorwarth: „Wow, mein linksversifftes Geschwätz wird in einem Artikel erwähnt. Bin immer wieder stolz, wenn ich Fässer zum überlaufen bringe.“ Hier wird deutlich: Die Erwartung einer hilflosen Reaktion auf die Provokation befriedigt aggressive Machtinstinkte. Journalisten sind zum Symbol einer vermeintlich meinungsunterdrückenden Macht geworden. Nun wird der Spieß umgekehrt. Und die „Manipulatoren“ in der Opferrolle zu sehen bereitet diebisches Vergnügen.

Die Verhaltensbiologie spricht bei instinktivem Vermeiden von zu großer Nähe bei bestimmten Tieren (etwa bei Vögeln auf Telegrafendrähten zu beobachten) von „Individualdistanz“. Dem entspricht bei Menschen die „Intimdistanz“, nach dem AnthropologenEdward T. Hall „jener Bereich, in den sich ausschließlich die von ihm geduldeten Personen nähern dürfen.“ (Wikipedia). Der Ausdruck „jemandem zu nahe treten“ macht deutlich, dass dies auch in übertragenem Sinn zu verstehen ist: Sie dient als Schutz der eigenen moralischen Integrität. Diese gezielt zu verletzen, dadurch aggressive Gefühle hervorzurufen ist offensichtlich Ziel solcher verbaler Provokationen. Anonymität und mediale Distanz erlauben zudem, die erwünschten Effekte völlig gefahrlos und genüsslich vom heimischen Sofa aus zu beobachten.

Die Wirkungsweise von Internetkommunikation ist also ambivalent: Sie erweitert einerseits enorm die Informationsmöglichkeiten, befördert potentiell wechselseitige, partnerschaftliche Kommunikation, ermöglicht die Emanzipation des Nutzers von einseitig wirkender Medienmacht. Sie birgt aber andererseits – sofern dem nicht Einhalt geboten wird – auch die Gefahr in sich, die Hemmschwelle für Aggressivität zu senken und geistige Verrohung zu befördern – vergleichbar etwa mit der Senkung der Tötungshemmung durch Distanzwaffen. Ihr wohnen auch antizivilisatorische Momente inne. Die grauenerregenden, jüngst von ISIS-Terroristen ins Netz gestellten Hinrichtungsszenen lassen erahnen, dass dies bis zur Rückkehr in Barbarei führen kann.

Nach Habermas bildet die in der Sprache angenommene kommunikative Rationalität die Grundlage sozialen Handelns. Von solcher „kommunikativer Rationalität“ scheinen wir im Internet-Zeitalter weiter entfernt denn je.

Und drängender denn je ist es, Internetkommunikation als weltumspannende Herausforderung zu begreifen. Nicht allein für Medienschaffende, die neu zu lernen haben, die durch Soziale Medien und Internetforen entstandene Kontrolle nicht nur anzuerkennen, sondern auch produktiv zu nutzen. Es ist auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, den ihr innewohnenden destruktiven Möglichkeiten und Tendenzen wirkungsvoll zu begegnen.

***

Am Mittwoch, 15. Oktober, geht es los!

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PS: Es war ziemlich schwierig, diesen Termin festzuzurren. Deswegen konnte ich ihn nur kurzfristig kommunizieren. Erschwerend kommt obendrein nun noch hinzu, dass ich meinen Internet-Anbieter gewechselt habe. Hätte nicht gedacht, dass es dabei zu solchen Komplikationen kommen kann. Im Klartext: Ich kann zurzeit nicht von zu Hause aus arbeiten und weiß auch nicht genau, wann das wieder möglich sein wird. Ich werde aber versuchen, die Einschränkungen, die mir damit beim Führen dieses Talks auferlegt sind, durch ein paar kleine Kunstgriffe auszugleichen. Daher kann es passieren, dass ich mehrere Fragen zunächst en bloc stelle und sie später, wenn ich wieder uneingeschränkten Internetzugang habe, nachträglich aufdrösele.

Die Kommentarfreischaltung erfolgt daher unmoderiert. Ich möchte alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen dringend darum bitten, die Regeln des FR-Blogs zu beachten, da ich nicht gern zur Moderierung zurückkehren möchte.

PPS: Werner Engelmann und ich kennen uns nicht persönlich, sondern nur durch den Umgang per Mail in Sachen Leserbriefe. Wir sind schon vor längerem zum zwangloseren Du übergegangen. Dieses Du möchte ich auch in unserem Blogtalk beibehalten.

Ihr / Euer Bronski

 

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113 Kommentare zu “Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit in Online-Debatten

  1. Schönen guten Morgen, Werner!

    Für den Einstieg in unsere Unterhaltung habe ich mich zu einem etwas drastischen Schritt entschlossen. Als redaktioneller Mitarbeiter der FR, der für die Leserbriefseiten zuständig ist, bekomme ich natürlich nicht nur freundliche Mails. Manche sind sogar ausgesprochen unfreundlich, ohne direkt etwas mit der FR zu tun zu haben. Normalerweise würden diese Mails sofort gelöscht werden, aber ich sammle sie schon seit einiger Zeit, und immer, wenn mich mal Zweifel an meiner Arbeit überkommen, z.B. weil ich angefeindet worden bin, krame ich sie hervor und störbere darin. Danach weiß ich in der Regel wieder, warum ich diese Arbeit mache und warum ich sie auch mag. (Solche schwachen Momente kennt wohl jeder.) Eine solche Mail bekam ich zum Beispiel am 29. April 2013. Zur Erinnerung: Es ging um die Verlosung der Pressesitze beim Münchner Oberlandesgericht, wo der NSU-Prozess starten sollte. Dazu folgende Mail, ohne den Absender zu nennen:

    „Wie schön ,dass die verlogénsten der Schmierfinkenmafia, die Prantelprawda ( SZ ).. Welt, FAZ und taz rausgeflogen sind.. Kein Mensch wird diese überbezahlte, verlogene , Journaille,der Prantls, Seidls, Bahners, Kiyaks etc. auch nur annähernd vermissen…..
    Aber macht euch nichts daraus, die kleinen Gazetten lügen für euch mit…
    Jetzt wollen diese linksversiften Medienschisser,wo sie doch wegen der Türkischen Presse wochenlang herum jaulten wie Straßenköter bei Vollmond, auch noch klagen… Das schlägt dem Fass den Boden aus !!!!!!!!“

    Ich denke, es ist relativ klar, aus welcher ideologischen Ecke diese Mail – und Dutzende weitere in dieser Diktion – kommt. Ich würde vorschlagen, die unverhohlene Aggressivität dieses Schreibens zunächst einfach mal nicht zu beachten. Die Stoßrichtung dieser Mail ist klar: Der Autor empfindet Schadenfreude, weil etablierte Medien bei der Verlosung der Pressesitze leer ausgegangen waren. „Schmierfinkenmafia“ und „Prantelprawda“, überbezahlt und verlogen – ist aber nicht schlimm, denn die „kleinen Gazetten lügen für euch mit“ – hier kommt dann noch der Vorwurf der „Gleichschaltung“ hinzu, der den etablierten Medien immer wieder gemacht wird, zuletzt auch in der Ukraine-Krise. (Damit wir uns nicht missverstehen: Es geht hier nicht um Kritik in der Sache, wie sie auch gegen die FR vorgebracht wurde und die argumentativ untermauert wird, sondern es geht um pauschale Kritik wie die in der Mail geäußerte, die jedes Argument vermissen lässt.)

    Was denkst Du, Werner – was geht in einem Kopf wie dem dieses Mailautors vor?

    PS: Meine nächste Frage wird erst so gegen elf Uhr kommen.

  2. Guten Morgen, lieber Lutz,

    zu so nachtschlafener Zeit – wenn andere sich dem Schlaf des Gerechten hingeben – willst/musst Du geplagter Journalist gleich durchstarten! Und gleich so in die Vollen! Oder, um es gelehrter auszudrücken: medias in res.
    Doch erst einmal möchte ich auch alle Mitblogger herzlich begrüßen und allen einen schönen Tag wünschen.

    Nun aber zu Deinem Problem – das ja auch unser aller Problem ist.
    Gleich vorneweg: Die Frage erscheint mir etwas unglücklich gestellt. Denn m.E. geht im Hirn dieses guten oder weniger guten Mannes (ich nehme mal an, dass es einer ist) nämlich gar nichts vor. Zumindest nichts von Bedeutung. Das ist es ja!
    Die Frage müsste wohl eher lauten: Was geht in seinem Bauch vor? Oder, um es wissenschaftlicher zu formulieren: in seinem Unterbewussten. Welche persönlichen und gesellschaftlichen Umstände bewirken, dass sein „Es“ so dominieren kann, seine atavistischen Instinkte so ungebremst und unkontrolliert nach außen dringen können?
    Denn wenn Freud Recht hat, wird unser Handeln zu 90 % vom Unterbewussten bestimmt. Und ich zweifle nicht daran, denn seit Jahrzehnten benutzt die gesamte Werbeindustrie diese Erkenntnis, und offenbar recht erfolgreich. Und Lehrer wissen, dass wesentliche Urteile über sie, welche ihr Verhältnis zu Schülern über Monate bestimmen, in der ersten Begegnung, nach ca. 1 Minute feststehen – viel zu wenig Zeit, als dass sich da „im Kopf“ etwas abspielen könnte.
    Warum also sollte es ausgerechnet auf politisch-gesellschaftlichem Terrain, das mehr als andere von Macht- und Ohnmachtsgefühlen, Illusionen und Frustrationen, Konkurrenz und Hinterhältigkeit bestimmt ist, grundsätzlich anders sein?

    Eine Teilantwort auf diese Bauch-Frage gibt schon Katja Thorwardt im oben verlinkten Beitrag „Online-Kommentare Im Land der „gleichgeschalteten Medien“:
    „Doch die User, um die es hier geht, sind die stereotypen Krawallmacher der jüngeren Vergangenheit. Sie bilden politisch das gesamte Spektrum ab und lieben neben dem Streit die stete Benennung von Feindbildern und die Provokation der FR-Redaktion.“
    Wichtig und richtig erscheint mir dabei zu sein, dass sie nicht von politischen Zuordnungen ausgeht, sondern vom beschriebenen Phänomen. Denn, um mit Freud zu sprechen: Das „Es“ orientiert sich nicht an politischen Programmen. Es sucht sich vielmehr die Programmatik nach seinen Bedürfnissen aus. Nach diesem Verständnis ist es dann gar nicht mehr so überraschend, wenn man – z.B. in der Ukraine-Diskussion – vielfache Übereinstimmung von Bloggern extrem rechter und extrem linker Position feststellt.
    Die Frage müsste demnach weiter lauten, welches diese Bedürfnisse sind, die oft an Beiträgen unverblümt zum Ausdruck kommen. Dies wird im Laufe der Diskussion noch zu thematisieren sein.
    Und es bleibt noch die Frage, woher dieser Hass auf die Medien im Allgemeinen, die „bürgerliche“ Presse im Besonderen kommt, oder besser: Welche Funktion dies für das „Es“ des Verfassers von Hassmails besitzt.
    Ich möchte es hier aber fürs erste mit der Frage bewenden lassen und mir die Antwort für später aufsparen. Es sind ja noch einige Sachverhalte aufzuklären, welche diese besser verständlich machen.
    Und schließlich sollen ja auch andere zu Wort kommen!

  3. Da nun noch keine weiteren Beiträge eingegangen sind, möchte ich die Zeit nutzen für ein paar Hinweise darauf, wie es überhaupt zu diesem Blog-talk gekommen ist. Das kann das Verständnis des Folgenden erleichtern.
    Eigentlich war es bloße Neugier, die mich bewegte, mich umzusehen, was sich denn so in anderen Foren tut. Das war einige Wochen vor den Europawahlen. Bei Faz.net ließ mich einiges gleich stutzen. Der Zustimmungs-Button lässt nämlich Rückschlüsse auf „Beliebtheit“ bestimmter Positionen zu. Und auf der Beliebtheitsskala ganz oben rangierten regelmäßig Beiträge, die – um es vorsichtig auszudrücken – nicht gerade von geistigen Höhenflügen bestimmt waren.
    Ich versuchte zu ermitteln, welch Geistes Kind denn die Anführer dieser Hitliste sind. Die sehr gute Dokumentation bei Faz.net macht es einem leicht: Alle Beiträge der User, sauber sortiert nach Eingangszeit, sind hier dokumentiert, mit Link zum jeweiligen Artikel.
    Nicht bei allen ließ sich die politische Positionierung zweifelsfrei ausmachen. Schnell aber war klar, dass dies nicht das Entscheidende ist. Wichtiger sind die Zusammenhänge in der Sicht auf gesellschaftliche Grundfragen. Dazu geben auch Wortwahl und bestimmte Terminologien Aufschluss.
    Nun sollen in diesem Zusammenhang nicht die jeweiligen inhaltlichen Positionen thematisiert werden. Sehr wohl aber stecken diese ein geistiges Umfeld ab, aus dem heraus auch Medien-Bashing und Hassmails erwachsen. Daher im Folgenden einige Beispiele.

    Bei vielen zu verbalen Exzessen neigenden Beiträgen ließ sich ein Zusammenhang ausmachen: Der zwischen Homophobie, Fremdenfeindlichkeit und EU-Hass. Hierzu einige Kostproben. Ich beschränke mich ausschließlich auf Beiträge mit höchsten Zustimmungsquoten (in Klammern die Artikel, auf die sich die Foreneinträge beziehen):

    Homophobie:
    – „Was kommt? Quote? Homosexualität als Religion? Und viele empfinden beim Gedanken an die Praktiken Ekel. Das kann man nicht steuern. Und die Mehrheit? MUSS Toleranz üben, sonst Strafrecht?“
    ->(Wo bleibt die Freiheit der anderen?, FAZ, 20.2.2014, Gastbeitrag von Christian Hillgruber, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn)
    – „Genderfanatismus, Gleichmacherei, Queer-Bejubelung, Opferfetischismus etc. – man findet dort alles, nur die wahren Unterdrückten werden vergessen.“
    ->(Lehrpläne in Baden-Württemberg Landesschülerbeirat gegen Panikmache über „sexuelle Vielfalt“, FAZ,10.01.2014)
    – „Russland scheint eine ganz normale Haltung zu Homosexualität zu haben. Hoffentlich lässt Putin sich nicht mainstreamen.“
    ->(Olympische Winterspiele in Sotschi Putin: Homosexualität ist nicht verboten FAZ, 17.1.2014)

    Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit:
    – „Die Einheimischen sind doch schon längst nicht mehr Herr im eigenen Haus, die Heimat ist längst verloren! Es ist die Angst das Fremde die Macht in der Heimat übernehmen. Um sich aus den Fesseln der dekadenten EU-Diktatur zu befreien, gibt es momentan nur eine Möglichkeit, und das ist die Alternative für Deutschland (AfD).“
    ->(Schweizer Votum – Europas Populisten frohlocken, FAZ, 11.2.2014)
    – „Wir wollen weder die ganze Armut der Welt aufnehmen, noch haben wir eine Freude an der Islamisierung. Also- Grenzen dicht, und rückführung ist das probate mittel. Und das ist nur demokratisch, und gut, und verdient kein übles Attribut.“
    ->(Bootsunglück vor Lampedusa Europa diskutiert über Umgang mit Migranten, FAZ, 5.10.2013)

    EU-Hass:
    – „Diese EUktaren, undemokratisch bis ins Mark, arbeiten an einer EU-Diktatur, in der kein Bürger eine abweichende Meinung und Ansicht haben darf.“
    ->(Votum für begrenzte Einwanderung – Merkel sieht erhebliche Probleme mit der Schweiz, FAZ, 10.2.2014)
    – „Destruktiv, Menschen-feindlich, machtgierig etc. sind die EU-Zentralismusbefürworter (…) vernichten zugunsten eines Unrechtsherrschaftssystems, in dem sie in faschistischer Manier über die Untertanen (ehemals Bürger) herrschen.“
    ->(Euroskeptiker Hunger auf Zerstörung, Faz.net, 22.3.2014)
    – „Es ist viel mehr als Hunger auf Zerstörung. Es ist Hunger auf Vernichtung. Es geht nicht mehr um Wahlen, sondern um die härtest vorstellbare Bestrafung der EU-Verbrecher.“ (ebd.)

    Bewunderung für autokratische Herrschaftsformen:
    – „Auch ich bin ein Fan Putins, in diesem Fall sogar aus Überzeugung. Ich wäre eigentlich FÜR JEDEN, gegen den unsere Eliten (also Politik und Medien) zu Felde ziehen. Wer von unseren Herrschern angefeindet wird, muss per Definition gut sein.“
    ->(Deutschland und die Krim-Krise – Unter dem Strich: Morast Faz.net, 20.3.2014)
    – „Ich hoffe inständig auf einen grandiosen Erfolg von Le Pen, denn dann ist endlich Schluß mit diesem EUdSSR- und Euro-Unsinn.“
    ->(http://www.faz.net/aktuell/politik/europawahl/umfrage-zur-europawahl-franzoesische-front-national-baut-vorsprung-aus-12942090.html ,15.5.14)
    – Die Ungarn haben sich auch eine christliche Verfassung gegeben, in der explizit die Ehe nur für Mann und Frau bestimmt ist. Finde ich super!“
    ->(Ungarn Viktor Orban ist klarer Sieger der Parlamentswahlen Faz.net, 6.4.2014)

    Nun kam die Ukraine-Krise dazwischen, und damit geriet alles aus dem Ruder. Das aber für einen anderen Beitrag. Es reicht wohl fürs Erste. Muss ja erst mal verdaut werden.

  4. Werner, da ich zurzeit zu Hause ohne Internet bin – bzw. nur Zugang über das Redaktionsnotebook meines Gatten habe, was nur dann funktioniert, wenn er nicht in der Redaktion eingeloggt ist -, war ich wohl oder übel gezwungen, zu nachtschlafender Zeit die Einleitung zu versuchen. Aber danach habe ich zur Entspannung noch eine Stunde „Patrizier“ gespielt.

    Wenn ich Dich richtig verstehe, siedelst Du also den Sitz des Unterbewusstseins im Bauch an? Kleiner Scherz, nicht wahr? 😉

    Auf solche Mails wie die eingangs zitierte reagiert mein Gerechtigkeitsgefühl sehr sensibel. Es kann doch nicht sein, dass es tatsächlich Menschen gibt, die sich mit einem derart in sich geschlossenen Weltbild zufrieden geben. Ich kann darin nur einen einzigen Vorteil für den Betreffenden erkennen: Diese Weltbild bestätigt sich quasi ständig von allein, denn es erfährt scheinbar von überallher Bestätigung. Als Inhaber eines solchen Weltbildes braucht man sich mit der Komplexität der Realität nicht weiter zu befassen, und das ist natürlich sehr bequem. Und es ist weitgehend sinnlos zu versuchen, dieses Weltbild aufzubrechen und für Lüftung zu sorgen, wie ich seit der Zeit meiner Auseinandersetzungen mit Politically Incorrect weit. (Dazu gebe ich hier mal einen Link.)

    Wir Journalisten sind die Zielscheibe solcher … hmmm … Botschaften. Als Angriffe würde ich das nicht bezeichnen. Mich machen sie zunächst einfach nur fassungslos. Wie geht es Dir ganz persönlich, wenn Du mit solchen Zeitgenossen konfrontiert wirst? Ich meine, bevor Du analytisch darüber nachzudenken beginnst?

  5. Lieber Lutz,
    zum „Bauchgefühl“: Das ist natürlich nur eine umgangssprachliche und symbolische Umschreibung für einen wissenschaftlichen Begriff, m.E. aber sehr treffend. Das ist ja das Schöne am Deutschen, dass es – im Unterschied etwa zum Französischen – dass es sehr anschauliche Begriffe zur Verfügung stellt. Mein Sohn hat das schon mit 3 Jahren begriffen. (Unsere Kinder sind zweisprachig aufgewachsen.) Bei „hippopotame“ etwa (einem seiner Lieblingstiere) hatte er verständlicher Weise so seine Probleme. Und es kam dann: „Hippo- Hippo – Nilpferd!“
    Was die offensichtliche Sinnlosigkeit angeht, ein festgezurrtes Weltbild aufbrechen zu wollen, nimmst Du mit Deiner Bemerkung das vorweg, was ich dazu sagen wollte. M.E. hängt das auch damit zusammen, dass dieses vorwiegend „aus dem Bauch“ kommt, von Gehirnströmen somit nur schwer erreichbar ist.
    Was Deine ganz persönliche Frage auf meine emotionale Reaktion auf solche „Botschaften“ (wie Du es euphemistisch umschreibst) betrifft, ist „fassungslos“ wohl das richtige Wort. Es bleibt mir buchstäblich das Wort im Munde stecken. Und hinterher bin ich dann wütend auf mich selbst, dass ich mich nicht in „souveräner“ Weise dagegen zu wehren verstand. „Souveränität“ und Sensibilität schließen sich da (zumindest momentan) wohl aus. Und die Sensibilität für „Gerechtigkeit“ fordert, in Form von momentaner Hilflosigkeit, eben ihren Tribut.
    Daher bin ich nach Reflexion durchaus geneigt, auch solche „Hilflosigkeit“ positiv zu bewerten. Man muss eben lernen, damit umzugehen. Und es kommt vor allem darauf an, sich nicht vorzeitig „Schach matt“ setzen zu lassen. (Das ist wohl das Ziel solcher vergifteter „Botschaften“.) Und dabei hilft die Verbalisierung, evt. auch Thematisierung der eigenen Hilflosigkeit. Freilich gehört dazu auch Mut, Ängste zu überwinden, sich vor anderen „bloß zu stellen“. Man kann aber auch lernen, solche Scheu zu überwinden. Und ich meine, es ist ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu Reflexion und Bewusstwerdung.
    Daher bin ich auch vom Mut etwa von Katja Thorwardt beeindruckt, dies in dieser Weise zu thematisieren. Dazu würde ich mich dann noch später äußern.

  6. Ja, auf die Online-Kommentare und Kollegin Thorwardt kommen wir noch. Mir geht’s zunächst darum, meine eigene Position und meinen Umgang mit solchen Botschaften zu thematisieren, damit ich mich nicht ebenfalls dem Vorwurf der Larmoyanz aussetze.
    Wenn es nicht möglich ist, mit solchen Leuten zu reden, dann bleibt vermutlich nur das, was wir hier tun wollen: über sie reden. Thema Gerechtigkeit: Diese Leute glauben möglicherweise tatsächlich, einer gerechten Sache zur Geltung verhelfen zu wollen, greifen dabei aber zu sprachlichen Mitteln, die den Straftatbestand der Beleidigung erfüllen und daher ganz offensichtlich justiziabel und nicht rechtens sind. Was ist das für eine Gerechtigkeit, die diese Leute umtreibt?
    Wenn Du willst, kannst Du Deine Antwort auch an einem anderen als an dem von mir gegebenen Beispiel festmachen.

  7. (7)
    Den Vorwurf der „Larmoyanz“ kann man wohl gelassen sehen. Es kommt ja wesentlich darauf, wer so etwas äußert und mit welcher Absicht.
    – „Diese Leute glauben möglicherweise tatsächlich, einer gerechten Sache zur Geltung verhelfen zu wollen (…). Was ist das für eine Gerechtigkeit, die diese Leute umtreibt?“ –
    Wer zu Hassbotschaften neigt, fühlt sich zweifellos in der Regel auch „im Recht“. Nicht nur das: Er fühlt sich allen anderen auch moralisch und geistig überlegen.
    Typisch dafür ist der (vor allem in rechtspopulistischen Kreisen) immer wieder bemühte Topos des „gesunden Menschenverstands“. Den haben sie für sich bzw. Gleichgesinnte gepachtet. Andersdenkenden wird er generell abgesprochen. Nicht im Entferntesten kommt dabei eine Reflexion über ähnliche Nazi-Terminologie auf, und auf den Vorwurf der „Intoleranz“ reagieren sie mit Empörung.
    Alles Indizien für subjektive Überzeugung von der Berechtigung des eigenen Tuns. Das ist für die objektive Beurteilung aber unerheblich. Es dient ja lediglich der Abwehr möglicher Gegenargumente, um das eigene, so schön zurechtgebastelte Weltbild vor einem möglichen Zusammenbruch zu „schützen“. Denn das käme dann – subjektiv – etwa einem Weltuntergang gleich.
    Der Schriftsteller Erich Loest etwa (in der Jugend in der Hitlerjungend, später überzeugter Kommunist, und am Ende Regimekritiker) hat diese Weltuntergangsstimmung, etwa in der Schrift „Pistole mit 16“ schön beschrieben.
    Sinn für „Gerechtigkeit“ würde ich das allerdings nicht nennen. Es ist wohl eher eine Form von Selbstbehauptung – freilich von im Prinzip wenig selbstbewussten Menschen, die ohne eine Anlehnung an ein „starkes“, mit Autorität versehenes „Über-Ich“, ohne die ständige Bestätigung der „Masse“ kaum zu recht kommen. –
    Die permanenten – und wohl auch gelinkten – wechselseitigen „Bestätigungen“ gerade in Internetforen sprechen hier eine deutliche Sprache.

  8. Du sprichst von Selbstvergewisserung im buchstäblichen Sinn? Also einem Prinzip, bei dem solche Zeitgenossen sich selbst rechtgeben, indem sie unter wechselnden Namen Kommentare schreiben? Das bleibt aber bisher nur ein Verdacht, oder?

  9. Der Vorwurf der gezielten Manipulation von Beiträgen und wechselseitiges Hochpushen von Bewertungen durch „Putinversteher“ im Ukraine-Konflikt ist bei Faz.net verschiedentlich geäußert worden, auch hinsichtlich von bezahlten Beiträgen, wie etwa von der „Welt“ 2012 von der Putin-Jugend berichtet (vgl. meinen Beitrag #28 mit Link im Thread „Die Putinversteher verstehen Putin nicht“).
    Ich habe selbst in Faz.net die Verwendung von verschiedenen User-names beobachtet, ebenso eine erstaunliche Frequenz mancher User, manchmal im 2-Minuten-Takt, bis zu 30 Beiträge am Tag. Dazu auch auffällige Ähnlichkeiten in Wortwahl und Redewendungen, ebenso auffällige Gleichheit grammatischer Unrichtigkeiten bei sehr deutsch klingenden Namen mit offensichtlicher unvollkommener Beherrschung des Deutschen. (Angabe des Klarnamens ist bei Faz.net Pflicht. Anfragen dazu bei der Redaktion sind aber sinnlos, werden nicht beantwortet.)
    Mir scheint das aber kein Ansatz zu sein, der nennenswerte Erkenntnisse befördern würde: Sicherlich wird es ähnliche Versuche, Herrschaft über das Internet zu erlangen, auch anderswo geben, sicher in den USA. Entscheidend ist wohl eher die Frage, warum so viele von durchgehender Manipulation und Zensur in deutschen Medien überzeugt sind – wenn auch eine erhebliche Diskrepanz zwischen Meinungsumfragen in der Gesamtbevölkerung und scheinbaren Mehrheiten in Internetforen besteht.

  10. „Mir scheint das aber kein Ansatz zu sein, der nennenswerte Erkenntnisse befördern würde“

    Nun, immerhin ließe sich das scheinbar massenhafte Auftreten gleichlautender oder sich gegenseitig rechtgebender Kommentare auf ein realistisches Maß herunterrechnen, wenn man wüsste, dass hinter Beiträgen mit verschiedenen Namen derselbe Autor steckt. Das würde die vorgespiegelte Meinungsmacht doch erheblich reduzieren, oder?
    So etwas ist übrigens auch schon hier im FR-Blog passiert: In der Debatte über Israel „… wenn ich sah, wie israelische Soldaten mit Palästinensern umgehen“ schalteten sich Ende Juli mehrere scheinbar unterschiedliche Kommentatoren ein, die in Sprache und Gestus sehr verwandt wirkten, um es vorsichtig auszudrücken, aber unter verschiedenen Namen posteten. Ich habe dann deren Mail-Adressen überprüft mit dem Ergebnis, dass diese nicht existierten. Da die Angabe einer funktionierenden Mailadresse Mindestkriterium fürs Posten im FR-Blog ist, wurden alle diese Kommentare gelöscht (zu besichtigen etwa –> HIER). Die Diskussion verlief danach in ganz anderen Bahnen, als es sich zunächst angedeutet hatte.
    Siehst Du die Moderatoren bzw. Betreiber solcher Online-Foren in der Pflicht, so etwas zu unterbinden?

  11. Ergänzung zu Beitrag #7:
    Mir ist da noch ein literarischer Bezug eingefallen, der deutlich macht, warum viele (in gewissem Sinn vielleicht auch alle) so sehr an liebgewonnenen Vorurteilen kleben, aus denen man Selbstbestätigung erfährt (besonders deutlich bei der Aufstellung von verallgemeinernden Urteilen unter #3):
    Der Dramatiker Ibsen führt im Drama „Die Wildente“ vor, wie ein Mensch zusammenbricht und nicht mehr lebensfähig ist, der seiner „Lebenslüge“ beraubt wird.
    In dieser Hinsicht wären vor aufklärerischen Versuchen die Konsequenzen der Übermittlung der „Wahrheit“ zu überprüfen – auch und gerade in psychologischer Hinsicht.

  12. Zu #10:
    Ich habe dieses Geschehen mit Interesse und Respekt beobachtet, vor allem vor Deiner offen emotionalen Stellungnahme dazu.
    Ich halte es nicht nur für richtig, sondern für absolut notwendig, solchen Missbrauch zu unterbinden. Allerdings – und das zeichnet ja Deinen Blog auch aus – muss das klar begründet und auf der Grundlage der Blogregeln geschehen. Ein großer Teil der – noch deutlich stärkeren – Kritik an Faz.net beruht auch auf Beobachtungen, dass der Grund von Löschungen oft nicht nachvollziehbar ist. Das kann ich so teilweise auch bestätigen. Und das führt dazu, dass viele User, die sonst nicht dazu neigen würden, sich auf die Seite der pauschalen Medienkritiker schlagen.
    Den „Zensur“-Vorwurf in dieser Hinsicht – übrigens oft geäußert von rechtsradikaler Seite – kann man getrost übergehen.
    Prinzipiell aber sollten wir aber auf das Spannungsverhältnis zwischen Grenzziehung zu Beleidigungen einerseits und Meinungsfreiheit andererseits noch genauer eingehen, wenn über Möglichkeiten nachgedacht wird, dieses Problem über das einzelne Forum hinaus in den Griff zu bekommen (ich spreche im Einführungstext von „gesamtgesellschaftlicher Herausforderung“).
    Zur Bedeutung des Nachweises von Manipulationen in Online-Foren nur so viel: Das ließe sich bestenfalls vom Provider, vereinzelt vielleicht vom Moderator schlüssig beweisen. Und es fragt sich welches Interesse daran besteht. (Da weißt Du sicher besser Bescheid.)
    Zudem hätte das eher statistischen Wert. Man könnte vielleicht auch AfD-Jüngern etwas entgegentreten, die sich mit Gier auf eigene Zustimmungswerte und jeden neuen Bericht über prozentuale Fortschritte ihrer Partei stürzen, ebenso aber jede Umfrage, die ihnen nicht passt, als „manipuliert“ erklären. –
    Aber was soll’s? Am eigentlichen Problem, den Ursachen für solche Entwicklungen nachgehen zu müssen, ändern das nicht viel.
    Übrigens habe ich beobachtet, dass außerhalb von Reizthemen wie etwa Ukraine die Fieberkurve sehr rasch absinkt.

  13. Der Zensur-Vorwurf hat mich noch nie gekümmert. Seit es Internet-Foren gibt, wird mit teils harten Bandagen Meinung verfochten, oft auch in Tonlagen, in denen die meisten von uns einem realen Gegenüber niemals zu begegnen wagen würden. Dabei ist der Grenzbereich zur Beleidigung schon immer ein Problem gewesen, weil es dabei oft auch um persönliches (Gerechtigkeits-)Empfinden geht. Das FR-Blog hat nun ein relativ scharfes Regelwerk, das gesittete Debatten ermöglichen soll, was aber natürlich im Umkehrschluss auch dazu führt, dass User lieber dorthin wandern, wo nicht so scharf moderiert wird und wo sie Entgleisungen eher hingenommen werden. Doch überall gibt es normalerweise eine „Netiquette“, meist in dem Duktus: Geh mich anderen so um, wie Du willst, dass auch mit Dir umgegangen wird. Das reicht offenbar nicht, oder?

  14. Entschuldige bitte, Lutz, wenn ich mich für 15 Minuten zurückziehe. Ich bin allein, auch für meinen „Bauch“ zuständig – von dem wir es ja schon hatten. Und der meldet nun auch sein Ansprüche an. Also bis gleich!

  15. Zu #13, Bronski
    So. Ich bin wieder da. Bauchgefühl befriedigt.
    Auch wenn Du Dich erst später wieder zuschaltest: Ich gehe davon aus, dass Du die vorausgehenden Beiträge ansiehst und formuliere schon einmal das Problem, auch wenn die Antwort später kommt.
    „Netiquette“:
    Nach dem umgangssprachlichen Sinnspruch „Was du nicht willst…“ reichlich schwammig formuliert, wenn die Vorstellungen davon immer weiter auseinanderdriften, was angemessen und im Rahmen des „Anstands“ ist – wo doch so gut wie keine „Anstandsregeln“ mehr existieren. – Auch ein Nebenprodukt des Internets?
    Wenn schon so allgemein, dann zumindest im Sinn des „kategorischen Imperativs“: Der schließt zumindest die gesellschaftliche Perspektive mit ein.
    Nun lässt sich am konkreten Fall besser diskutieren. Daher im Folgenden ein konkret von mir als User erlebtes Problem. Und mir wäre sehr an Deiner Meinung dazu als Moderator gelegen.

    Kontext: Ukraine-Konflikt.
    Ich zitiere die problematischen Äußerungen in Faz.net wörtlich – entnommen den Kommentaren im Forum zu: „Anti-Terror-Operation“ Ukrainische Armee rückt in Donezk-Region vor, Faz,15.4.2014:
    Ich lese folgenden Beitrag, der sich auch auf mich bezieht, da ich mich wenig vorher als EU-Befürworter zu erkennen gegeben habe:
    „Endlich – Es stünde jetzt den Nationalsozialismussympatisanten und Eurofaschisten gut an sich jetzt freiwillig an die Ostfont zu melden. Um ihren Brüdern im Geiste im heroischen Kampf um Lebensraum beizustehen. Auf denn …. die Fahne flattert euch voran.“
    Ich protestiere öffentlich in einem Beitrag, gerichtet an die Faz.net-Redaktion, dass eine solche Hetze veröffentlicht wird, die EU-Befürworter als „NS-Sympathsanten“ denunziert, plädiere auf sachliche Diskussion.
    Großer Aufschrei im Forum über meine „Attacke gegen die Meinungsfreiheit“.
    Wenig später folgende Antwort, unmittelbar an mich gerichtet, wieder „unzensiert“ veröffentlicht:
    „Sachlich Diskutieren mit Kriegshetzern, mit Menschen die Bürger eines Landes mit Panzern niederrwalzen lassen wollen, und dann Beifall klatschen. Tut mir leid, das ich den gezielten Kriegsvorbereitungen im Wege stehe.“
    Im Übrigen stellt sich später heraus, dass sich der betreffende Forist selbst für einen „Antifaschisten“ hält. –
    Liberalität oder unverantwortlicher Umgang der Redaktion mit ihrem Forum?

  16. Ich selbst habe auch schon erlebt, dass Antifaschisten hier und da alle, die nicht ihrer Meinung sind, schlicht als Faschisten abbürstet. Auch auf der Linken gibt es solche hermetisch in sich geschlossenen Weltbilder wie in meinem Anfangsbeispiel.
    Kam jemals Antwort von der Faz.net-Redaktion? Irgendeine Reaktion?

  17. Wenn es Dir Recht ist, würde ich jetzt gerne auf den Umgang mit dem Problem in der Faz.net-Redaktion und auf den Vorwurf der Zensur kommen, wie Katja Thorwardt es schildert.
    Zum Umgang in der Faz.net-Redaktion:
    Andrea Diener schreibt dazu in der Kolumne „Meine Tage im Hass“ (FAZ, 11.7.2014):
    „Doch auf Dauer geht es nicht spurlos an einem vorüber, so sehr man sich bemüht, sie greifen einen an. Ich lese diese Kommentare voller Hass, voller Herablassung jeden Tag.“ Und sie schildert dann „therapeutische Strategien“ unter Kollegen:
    „Ein Kollege sammelt die widerwärtigsten Hassschriften, wir freuen uns über den gröbsten Unflat, wir lesen ihn laut vor und lachen gemeinsam darüber. Es geht nicht anders.“

    Ein solcher Umgang mit der eigenen Betroffenheit wirkt zunächst überzeugend: Um sich der Wirkung verbaler Aggressionen zu entziehen, bedarf es der Distanz zu diesem Akt. Ironisierung, Lächerlich machen schafft solche emotionale Distanz.
    Auch als Lehrer, etwa unfairen Angriffen von Schülern ausgesetzt, habe ich die Erfahrung gemacht, wie wichtig es ist, zwischen der eigenen Person und der Rolle zu unterscheiden, die man gerade „spielt“: Die Angriffe (Du würdest hier richtig sagen: Botschaften) gelten der Rolle, nicht der Person. Nur wenn man dies zu verinnerlichen sucht, kann man sie an sich abprallen lassen.
    Allerdings bleibt das von Andrea Diener genannte Verfahren im Fall medial getrennter Kommunikanten unvollständig. Es erreicht nicht die im Unbewussten bleibenden Verletzungen. Und vor allem bezieht es den Aggressor nicht mit ein.

    Hier ein Verfahren, das ich (zusammen mit Eltern) in einer 10. Klasse angewandt habe, in der von vielen Kollegen und Schülerinnen „aggressives Verhalten“ seitens einiger Schüler beklagt wurde: In einem Rollenspiel sollten alle zum Erleben der durch Aggression ausgelösten Gefühle aus drei verschiedenen Perspektiven gebracht werden: Täter, Opfer, unbeteiligter Beobachter. Wobei die erlebten Gefühle im Anschluss daran zu beschreiben waren.
    Bemerkenswert war die Ernsthaftigkeit, mit der gerade „aggressive“ Schüler mitarbeiteten: Der Zwang zum Perspektivenwechsel und das damit verbundene emotionale Erleben machte ihnen erst bewusst, in welchem Maße aggressive Akte (verbaler oder nonverbaler Art) aus eigenen Unsicherheitsgefühlen und der damit verbundenen Fixierung auf eine einzige, festgefahrene Perspektive resultiert. (Ähnliche Strategien werden auch zur Resozialisierung straffälliger Jugendlicher angewandt.)

    Das Verfahren der FAZ-Redakteure allerdings erreicht die aggressiven Beleidiger nicht. Und selbst ihre „Macht“, die Unflätigkeiten mittels Netiquette zu „zensieren“, hilft da nicht weiter: Die Schreiber haben ihr Ziel erreicht: Sie sind nicht nur sicher, dass die „Botschaft“ den Adressaten erreicht, dieser sich also (vielleicht wutentbrannt, vielleicht völlig verunsichert) damit auseinandersetzen muss. Und sie bekommen die Bestätigung ihres „Zensur“vorwurfs dann gleich mitgeliefert – und damit (zumindest subjektiv) die Rechtfertigung für ihre Aggressionen. –
    Der angegriffene Journalist ist also auf jeden Fall der Dumme: Was er auch tut – er muss das perfide Spiel mitmachen. Und der Aggressor sitzt auf seinem Sofa und lacht sich ins Fäustchen. Kein Grund also für ihn, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und das eigene Verhalten in Frage zu stellen.

    Die Struktur der Internetkommunikation, Blogregeln inbegriffen, welche Kommunikation befördern sollte, wirkt in diesem Fall also wie eine Trennwand, welche eben Kommunikation und damit auch Problemlösungen verhindert.

    Aus diesem Grund erscheint mir ein Perspektivenwechsel auch von Seiten einer Online-Redaktion notwendig, um das „Spiel“ mit sehr ungleichen Chancen zu durchbrechen. Und ich halte es für mutig von den FR- und FAZ-Redakteurinnen, mit dieser Offenheit an die Internet-Öffentlichkeit zu treten. Sie verdienen dafür den Respekt von Bloggern, die an sachlichem Meinungsaustausch interessiert sind.
    Freilich riskiert man dabei zunächst, vom Regen in die Traufe zu kommen: Macht man die Sache öffentlich – so die Erfahrung von Katja Thorwardt und Andrea Diener -, pflichten viele andere, unbeteiligte Blogger der „Zensur“behauptung bei und reichen den schwarzen Peter an die Redaktion weiter (vgl. Einführungstext: Ich habe hier 60 bzw. 82 % Zustimmung zur gezählt).

    Das freilich ist nur der erste Befund, von dem man sich nicht abschrecken lassen sollte. Wird auch das wieder thematisiert – wie wir das jetzt tun – wird man wohl oder übel Stellung beziehen und argumentieren müssen. Ich habe aber noch keinen von diesen Maulhelden getroffen, der dazu bereit oder in der Lage wäre: Der Trumpf der Vorhand ist ihnen genommen.
    Freilich ist das „Reden über sie“ kein Ersatz für das „Reden mit ihnen“ – letzteres ist aber wohl so lange eine Illusion, als die Bereitschaft dazu fehlt. Und wenn ich mir deren Psyche vorzustellen suche, dann wird das Schweigen-Müssen wohl auch als eine Art Demütigung empfunden.

    So weit nun, was ich eine Art journalistischer Selbstverteidigung nennen möchte. Das ist nun noch keine Lösungsstrategie. Dazu müssten noch andere Kreise einbezogen werden. Und darüber, meine ich, sollten wir noch später reden.

  18. Zu #17:
    Reaktion: nein.
    Ich habe dann nochmal beim Schreiber nachgehakt, der sich auf seine Großeltern berief, die unter den Nazis gelitten hätten.
    Ich entgegente, diese hätten Respekt verdient, aber gerade dieser Respekt verbiete solches Verhalten. Ich verwies auch auf meine Führungen mit Schülern in Sachsenhausen.
    Eine Antwort darauf kam auch nie.
    Wie aber schätzt Du das Verhalten der Redaktion ein? Was würdest Du tun?

  19. zu # 19: Ich würde einen solchen Kommentar entfernen. Auf diesem Niveau ist keine Diskussion möglich. Das ist dasselbe Niveau wie die „Prantlprawda“. Es geht nicht darum, Argumente auszutauschen und jemanden zu überzeugen, sondern es geht darum, ihn mundtot zu machen.

    zu # 18: Solche Einlassungen lächerlich zu machen, mag Distanz schaffen, aber das kann nur der erste Schritt sein. Ich persönlich neige dazu, mich ernsthaft mit den Argumentationsmustern auseinanderzusetzen, um vielleicht auch daraus zu lernen. Was meinst Du – was ist ein „Eurofaschist“?

  20. Ich stelle diese Frage mal in die Runde: Was mag ein Eurofaschist sein?

    Denn bei mir gibt’s jetzt Abendessen – Choucroute de la mer. Aber natürlich schaue ich später noch mal hier rein. Morgen geht es dann richtig weiter.

  21. „Solche Einlassungen lächerlich zu machen“ – Meinst Du damit die Methode der Faz.net-Redakteure? (Die Zuordnung ist nicht klar.)

    „Was ist ein ‚Eurofaschist‘?“ –
    Ja, wenn man Gedanken lesen könnte!
    Ich kann mich nur aus der Rückschau auf die 68er-Bewegung beziehen. Da wurde auch sei freizügig mit dem Faschismus-Begriff um sich geworfen. Dennoch ist das nicht mit heute vergleichbar.
    Wir stießen auf eine Front totaler Kommunikationsverweigerung, bei unseren eigenen Eltern, mussten (oft zu Recht) versteckte und verdrängte Schuldgefühle dahinter vermuten, an die nicht heranzukommen war. Dann der 2. Juni 67 und Benno Ohnesorg, der Schah und deutsche Sorayerei, Springer und das Dutschke-Attentat, natürlich Vietnam, Laos und Kambodscha, dann Pinochet in Chile: Da vermutete man Faschismus überall, musste das wohl tun.
    Mich selbst hat vor allem Chile bewegt. Wir hatten studentische Freunde, die gerade im Aufbruch dahin waren, was natürlich ausfiel. Ich lauschte der Stimme Allendes aus der Moneda, unmittelbar vor seinem Tod, las Pablo Neruda, starrte auf das zum KZ umfunktionierte Stadion in Santiago de Chile, war erschüttert von der grausamen Ermordung des Sängers der Unidad Popular (ich habe seinen Namen leider vergessen). Wir verbreiteten die „Chile Nachrichten“ der evangelischen Studentengemeinde mit allen genauen Informationen, waren natürlich bestens über alle Machenschaften des CIA und die Beteiligung am Putsch informiert. (Kann also nur lachen, wenn man mich darüber „aufklären“ will.) Und dann lernten wir auch die ersten Chilenen kennen, die nach Deutschland geflohen waren, einer davon aus dem Stadion.
    Betroffenheit pur, aus der Rückschau vielleicht Naivität – siehe W.F. Haug: Der hilflose Antifaschismus. In der Emotionalität ist man nicht in der Lage, so genau zu differenzieren.

    Mit all dem hat der heutige Gebrauch des „Faschismus“-Begriffs in Zusammenhang mit EU nicht das Geringste zu tun. In den Blogs wird er als Zusammenfassung und Steigerung aller möglichen Vorwürfe gebraucht, verallgemeinernd und unhinterfragt: Bürokratie, Regelungswut, Vetternwirtschaft, Demokratiedefizit, Bankenherrschaft – und europäischer „Zentralstaat“. Ähnlich wie „EUdSSR“ – nur eben sehr viel mehr mit persönlichem Schuldvorwurf, pubertärer Empörung unterlegt.
    Auffällig, dass in der Negativsammlung zwar sehr häufig Merkel, nie aber Empörung über Steuerung der EU durch Nationalstaaten auftaucht, natürlich nicht „Nationalismus“ – wie auch, wenn die meisten eben dahin zurück wollen? Auch niemals in diesem Zusammenhang Kritik an Putin oder Le Pen – nur Ausdrücke der Bewunderung.
    Fazit: Was da vielleicht im „revolutionären“ Gewand daher kommt (wie Le Pen), sich vielleicht gar „antifaschistisch“ gibt, ist m.E. erzreaktionär. Für mich eine Beleidigung der Studentenbewegung, vor allem aber des wirklichen Antifaschismus und der Opfer des Faschismus.

  22. Zu #21:
    Ich möchte um 22h45 Anne Will mit der Diskussion um IS nicht verpassen, bin sonst verfügbar.
    Und guten Appetit für die Runde!

  23. # 22

    Ich habe die 68er zwar nicht persönlich miterlebt, denke aber doch, dass, wenn damals jemand als Faschist bezeichnet wurde, ebenfalls eine klare Zuordnung im Sinne eines Freund-Feind-Schemas beabsichtigt war. Okay, daneben gab es noch den „pädagogischen“ Effekt, verkrustete Strukturen mit Macht aufbrechen zu wollen, aber im allgemeinen war „Faschist“ ein Schimpfwort, mit dem sich Kleinbürger- und Spießertum ebenso bezeichnen ließ wie ein Bundeskanzler Kiesinger oder ein Ministerpräsident Filbinger – oder irre ich mich?

    Nun, wie dem auch sei – vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass es sich jedenfalls um einen Kampfbegriff handelt. Der Antifaschist aus dem Faz.net-Kommentar, der sich selbst vermutlich als wackeren, aufrechten Streiter empfindet, sieht sich einer Übermacht gegenüber, die er bekämpfen muss. Wenn er darauf aufmerksam gemacht wird, dass die Realität vielleicht ein bisschen komplizierter ist, reagiert er gereizt und will davon nichts wissen. Für so einen wird man ganz schnell zum „EUdSSR-Kommissar“. Differenzierungen stören da nur. Na gut, könnte man sagen, wenn’s dich glücklich macht … Mit solchen Platitüden kann man auf Stammtischniveau gut auftrumpfen.

    Hast Du diese Leute auch damit zu konfrontieren versucht, dass sie sich mal überlegen sollten, für wen sie da Partei ergreifen? Denn gegen etwas, hier die EU, Partei zu ergreifen, bedeutet ja im Umkehrschluss oft, zugleich für etwas, in diesem Fall Putin, Partei zu ergreifen – also für ein zunehmend nationalistisches Regime mit autokratischen Zügen.

  24. Erst mal schönen Morgen!
    Schon so früh am Morgen mit Fragestellungen konfrontiert zu sein, dazu muss man doch zuerst sein Erinnerungs- und Konzentrationsvermögen etwas mobilisieren. Ich schlage daher vor, dass wir der Gründlichkeit den Vorzug geben sollten vor Schnelligkeit und es etwas ruhiger angehen lassen.
    Auf Deine Hinweise bzw. Fragen bez. Kampfbegriffe, besonders des „Faschismus“-Begriffs, will ich gerne eingehen. Sie bedürfen m.E. doch noch der Präzisierung. Allerdings sollten wir das Thema nicht aus dem Auge verlieren und zuerst bestimmen, in welchen Zusammenhang die gegenwärtigen Erörterungen einzuordnen sind. M.E. geht es nun um die Beleuchtung des gesellschaftlich-politischen Umfelds, aus dem verbale Übergriffe erwachsen. Dazu müssen auch die dabei verwendeten „Kampfbegriffe“ hinterfragt werden.
    In eben dieser Hinsicht verstehe ich auch meine Ausführungen über die 68er, die der inhaltlichen Abgrenzung dienen, um sich nicht durch verbale Verschleierungen in die Irre führen zu lassen. Konkret: nicht dem Trugschluss zu erliegen, dass hinter Menschen, die mit Begriffen um sich schmeißen, die im antifaschistischen Kampf entstanden sind, auch tatsächlich Antifaschisten stecken müssten.
    Das erfordert allerdings eine noch etwas genauere Analyse, die ich im nächsten Beitrag posten möchte. Hier möchte ich erst mal signalisieren, dass ich wieder da bin.
    Dazu noch eine Rückfrage: Wie steht es mit Deiner Präsenzmöglichkeit angesichts Deiner Internetprobleme?

  25. Guten Morgen bzw. guten Tag!

    Heute habe ich keine Probleme mit dem Internetzugang.

    Konkrete Frage: Siehst Du im Auftauchen solcher Kommentare eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung – oder sind solche Kommentare nicht vielleicht ein Zeichen dafür, dass irgendetwas mit der FDGO nicht mehr stimmt?

  26. Zuerst, da es etwas schneller geht, zu Deiner Frage, ob ich versucht habe, Menschen mit etwas festgefahrenem Weltbild zu kontaktieren. Globale Antwort: sporadisch ja.
    Es kommt m.E. auf den Einzelfall an, wie sinnvoll eine Intervention ist. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass verbale oder ideologische Hämmer nicht einfach stehen bleiben dürfen und man der Selbstbeweihräucherung etwas entgegensetzen muss, auch wenn man bei der gegenwärtigen Forumsmehrheit damit durchfällt. Das sagt ja nichts über die Richtigkeit aus, ist also kein Kriterium.
    Im Fall des Ukrainekonflikts etwa stößt man auf völlige Verbissenheit. Viele geben sich im Netz putinistischer als Putin selbst. So etwa, als man immer noch mit der Behauptung der „freien“, von Putin völlig unbeeinflussten Wahl auf der Krim hausieren ging, als Putin längst zugegeben hatte, die ganze Welt mit seinem Märchen von den Uniformen (und Waffen) aus Second-hand-Shops genarrt zu haben. Klar, dass ich da meinen Senf dazugeben musste.
    Ich beschränke mich aber darauf, auf Widersprüche hinzuweisen. Mehr ist nicht drin.
    In einem Fall gab es sogar eine positive Rückmeldung. Da hat jemand noch nach Wochen, als die Frage längst erledigt war, behauptet, die ukrainische Regierung wolle Russisch als Sprache verbieten. Der hat dann tatsächlich auf meine Intervention hin zugegeben, sich hier „geirrt“ zu haben.
    In der Frage der „Faschisten“ auf dem Majdan allerdings beißt man sich die Zähne aus. Das ist offenbar so eine Art Glaubensbekenntnis.

    Insgesamt etwas mehr verspreche ich mir vom Kontakt mit AfD-Sympathisanten, wo die Widersprüche, auch etwa zwischen Lucke und der „Basis“ sehr deutlich sind. So, wenn Lucke sich die Fraktionsgemeinschaft mit den britischen Konservativen im EU-Parlament zu Gute hält (nach außen hin guter Coup!) und er sich gegen den Front National abgrenzt. Der hat offenbar noch nicht die Jubelstürme und Wünsche seiner Gesinnungsgenossen für Le Pen in Online-Foren zur Kenntnis genommen.
    Die Bereitschaft zur Kommunikation ist da allerdings mehr als beschränkt (wobei ich mich mehr auf einen recht regen EU-Befürworter bei Faz.net als auf mich selbst beziehe).
    Ein konkreter Fall: Ich habe gezielt eine AfD-Bekennerin, die sich auf ihren „gesunden Menschenverstand“ berief (und ihn Andersdenkenden absprach), um eine Erklärung dafür gebeten, dass in dem Wahlprogramm der AfD für die das EU-Parlament dieser Begriff gar nicht auftaucht (genauer: im Kurzprogramm gar nicht, im Langprogramm nur in einem Passus).
    Antwort: Ich solle das doch gefälligst im AfD-Programm nachlesen. – Auskunft genug darüber, wie es mit dem „gesunden Menschenverstand“ in der „Professorenpartei“, die sich das zu Gute hält, bestellt ist.

  27. Da ist ja schon die nächste Frage, und ich habe die alte („EU-Faschisten“) noch gar nicht beantwortet.
    Wie Du aus dem Interview über „Gerechtigkeit“ weißt, ist für mich die Frage nach der FDGO (die ich für ausgezeichnet halte!) mit gewissen belastenden Assoziationen verbunden.
    Wer selbst schon einmal des „verfassungsFEINDLICHEN) Denkens (nicht: des verfassungsWIDRIGEN) Handelns bezichtigt wurde, der hat zumindest gelernt, mit solchen Fragen sehr differenziert umzugehen und sich vor pauschalen Verdächtigungen anderer gegenüber zu hüten.
    Ich bitte Dich daher um etwas Geduld. Ich möchte erst einmal die Antwort auf oben genannte Frage vorbereiten (was etwas dauern wird). Vielleicht ergibt sich daraus ja auch die Antwort auf diese Frage.
    Also bis gleich!

  28. Zunächst zum Gebrauch des „Faschismus“-Begriff bei den 68ern.
    Du sprichst auch hier von einem „Freund-Feind-Schema“ und führst dann weiter aus:
    „…aber im allgemeinen war “Faschist” ein Schimpfwort, mit dem sich Kleinbürger- und Spießertum ebenso bezeichnen ließ wie ein Bundeskanzler Kiesinger oder ein Ministerpräsident Filbinger – oder irre ich mich?“ –
    Beides bedarf m.E. der Präzisierung.

    Zu 1)
    Von „Freund-Feind-Schema“ kann man hier nur bedingt sprechen. Der Ausgangspunkt war ja neben weltpolitischen Konflikten (Vietnamkrieg) vor allem auch der innere Generationenkonflikt, also Auseinandersetzungen mit den eigenen Eltern. Schon hierauf ist das Freund-Feind-Schema nicht anwendbar.
    Es ging auch in erster Linie darum, die ältere Generation, die in Verdrängung verharrte, (Eltern, aber auch Professoren), z.T. mit sehr unschönen Mitteln (faule Eier u.a.) zur Auseinandersetzung zu zwingen. Es ging also in erster Linie um die Vergangenheit, in zweiter Linie um das Aufbrechen verkrusteter Strukturen („Unter den Talaren Muff von tausend Jahren“), erst in dritter Linie um politische Konzepte für die Zukunft. Die waren entweder sehr vage („herrschaftsfreie Gesellschaft“) oder realisierten sich lediglich in einzelnen Projekten (WG’s, antiautoritäre Kinderläden).
    Unter dem Strich ist auf allen drei Ebenen doch eine Menge Positives übrig geblieben – auch wenn die erträumte Revolution ausblieb und man sicher auch heute nicht von „herrschaftsfreier Gesellschaft“ reden kann.

    Auf der ersten Ebene hat die wirkliche, breite Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der Vergangenheit (auf literarischer Ebene allerdings durch Autoren wie Böll, Grass, Lenz, Walser schon Mitte der 60er Jahre vorbereitet) erst nach 68 richtig eingesetzt.
    Auf der zweiten Ebene war sie besonders erfolgreich: In vielen Bereichen, nicht nur auf universitärer Ebene, sind die Strukturen heute völlig andere. Studentische Mitbestimmung in Gremien ist längst selbstverständlich, und der schulische Unterricht ist heute ein anderer. (Freilich mit der für Lehrer unangenehmen Nebenerscheinung, dass dem heutigen Journalisten-Bashing schon seit den 80er Jahren ein Lehrer-Bashing vorausging.)
    Auf der dritten Ebene sind vor allem konkrete gesellschaftliche Lebensformen und Projekte übrig geblieben: WG’s und Kinderläden haben längst ihre ideologische Bedeutung verloren und sind zu konkreten gesellschaftlichen Lösungsformen (bis hin zu Alten-WG’s) geworden.
    Heftigen, etwa familiären Auseinandersetzungen zum Trotz: Ein Freund-Feind-Schema in heutiger Bedeutung hat hier keine primäre Rolle gespielt. Das kam erst durch die Verhärtungen und Verirrungen der RAF-Terroristen herein. Die sind zwar (was nachdenklich stimmen sollte) AUCH aus der Studentenbewegung hervorgegangen (vor allem wegen der unklaren Positionierung zur Gewalt-Frage), sind aber keineswegs für diese typisch.
    Wenn heute, vorwiegend im Dunstkreis sehr rechter Parteien, die 68er immer noch zu einem Art Feindbild dienen (und entsprechend ihr Bild verzeichnet wird), dann hat das vor allem mit deren eigenem Weltbild zu tun. Nicht anders etwa als bei der Identifikation von Islam mit Islamismus.

    Zu 2)
    Auch betr. der ideologischen Auseinandersetzung der 68er sind verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Verhärtungen auf individueller Ebene sind vor allem auf Theorielastigkeit zurückzuführen, die oft zu deduktiven Schlüssen aus der theoretischen Analyse auf individuelles Verhalten führte (statt umgekehrt).
    Auf gesellschaftspolitischer Ebene sind bestimmend:
    1. Antifaschismus, 2. Antikapitalismus, 3. Antiimperialismus.
    Der Antifaschismus stellt hier gewissermaßen die moralische Komponente dar, daher auch Schlussfolgerungen auf individueller Ebene wie Kampagnen gegen „Faschisten“ in politischen Diensten (wie Filbinger, dem „furchtbaren Juristen“, der sich ja nie von seinen Todesurteilen zur NS-Zeit distanzierte oder auch Kiesinger). Da es sich hier ja um konkrete Fälle von konsequenzlosem Weiterwirken wirklicher Faschisten auf politischer Ebene handelt (so auch Globke), hat das mit „Feindbildern“ nichts zu tun.
    Antikapitalismus und Antiimperialismus stellen die Systemfrage. Das Engagement im Vietnamkrieg etwa galt als „antiimperialistischer Kampf“, ähnlich in Lateinamerika.

    Zu Vermischungen mit „Antifaschismus“ kam es aus zwei Gründen:
    1. Die historische Erkenntnis, dass „Faschismus“ und „Kapitalismus“ miteinander verknüpft waren, Nazis eben nur der Rhetorik nach „antikapitalistisch“ eingestellt waren: Harzburger Front, bereitwillige Einordnung der Industriellen in das faschistische System
    2. Die Erfahrung, dass insbesondere der US-Imperialismus nicht nur mehr oder weniger feudalistische Marionetten-Regime wie in Saigon oder Kuba installierte bzw. stützte, sondern auch handfeste, zumindest faschistoide Systeme wie das Pinochet-Regime in Chile. Zudem hatten da ja auch noch das Franco-Regime in Spanien und das Salazar-Regime in Portugal die faschistische Periode überlebt.

    Konsequenz: Slogans wie der folgende lagen da nahe: „Kapitalismus führt zu Faschismus“.
    Dass dies als eine Art Automatismus begriffen wurde, lag wohl vor allem an einer vereinfachenden Rezeption der Marxschen Gesellschaftsanalyse, was in der Folge ja auch zu Aufsplitterung in sektiererische Gruppierungen und Zirkel der verschiedenen K-Gruppen (insbesondere „ideologiekritische“, Moskau- und Peking-orientierte) führte.

    Weil Du noch eine andere Ebene angesprochen hast: die Auseinandersetzung mit „Kleinbürger- und Spießertum“: Hier muss ich Dir widersprechen.
    Zwar gab es in verschiedenster Weise Auseinandersetzungen mit dem, was man später den „alltäglichen Faschismus“ nannte, d.h. das Weiterleben von Einstellungen und Verhaltensweisen, die ihren Ursprung im Faschismus hatten. Doch hat, so viel ich mich erinnern kann, in der Auseinandersetzung mit Spießertum der Faschismus-Begriff niemals eine nennenswerte Rolle gespielt.
    Als Beispiel sei hier Franz-Josef Degenhardt genannt: Der geißelt das Spießbürgertum (so etwa in den „Schmuddelkindern“ oder dem „Notar Bolamus“). Niemals aber fällt hier das Wort „Faschismus“ oder „faschistisch“. Nicht einmal beim „Notar Bolamus“, wo es u.a. heißt: „Doch Auschwitz, meint er, das war ein bisschen zu viel.“ Degenhardt beschränkt sich auch hier auf die Entlarvung des vermeintlich ausgewogenen Mittelwegs der steten Mäßigung.
    Auch hier wird die scharfe Kritik nicht mit dem Mittel der pauschalen Diffamierung und Denunziation Andersdenkender ausgetragen, wie es bei dem für mich unerträglichen, der bloßen Denunziation dienenden Wortschöpfung „EU-Faschisten“ der Fall ist.

    Die Ausführungen waren zwar etwas lang, m.E. aber notwendig, um eine klare Abgrenzung zwischen gesellschaftlichen Analysen der 68er, oft im aufklärerischen Impetus überzeichnend, aber durchaus intellektuell und begründet, und manchen heute verwendeten, bloßem dumpfem Bauchgefühl entsprungenem – und ich meine, in mancher Hinsicht auch demagogischen – Begriffen vorzunehmen.

    So, das wär’s zunächst, und jetzt gehe ich essen. Zum Problem „Gefahr für die FDGO“ dann am Nachmittag. –
    Mahlzeit!

  29. Nun also zum Problem „Gefahr für die FDGO“.
    Hier stutze ich schon, beginne daher mit einer Analyse der Frage.
    Die Frage ist einerseits sehr weit gefasst, erfordert die Berücksichtigung vieler Zwischenstationen, denn verbale Exzesse führen zu keiner unmittelbaren Bedrohung. Und mit Kassandrarufen in bloß rhetorischer Absicht ist niemandem gedient, nur mit klarer, sachlicher Analyse.
    Zugleich erscheint sie mir zu eng. Denn die FDGO bezieht sich ja auf die politisch-rechtliche Verfasstheit des Landes, nicht auf gesellschaftliche Bereiche, die keiner Regelung dieser Art bedürfen oder sich dieser entziehen. Und mit einem solchen Problem haben wir es bei unserem Thema Missbrauch von Online-Kommunikation ja primär zu tun.
    Zudem schränkt sie das Problem auf Deutschland und deutsche Perspektive ein.
    Ich möchte die Fragestellung daher dahingehend verändern:
    Mögliche Gefahren für die gesellschaftliche Entwicklung in nationaler wie auch europäischer Hinsicht.

    Nichtsdestotrotz, wieder zur Abgrenzung, ein paar Bemerkungen zum politischen System in Deutschland.
    Die föderale Verfasstheit erscheint mir, zumindest was die Abwehr extremistischer Bewegungen und Parteien angeht, fast ideal. Dies lässt sich auch im europäischen Vergleich leicht zeigen. Anders als in zentralistisch verfassten Ländern haben diese, wenn sie auf dem aufstrebenden Ast sind, erst einmal mehrere Probeläufe in den Ländern zu absolvieren. Zeit genug, um entzaubert zu werden oder auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden.
    Das ist auch gut so, und ich sehe hier, nicht zuletzt in Hinblick auf vergangene Erfahrungen (NPD, Schill-Partei u.a.) keine konkreten Gefahren. Auch für die AfD schätze ich das ähnlich ein. (Und sollte sie sich, wie die Grünen, auf realistische, rechtsstaatliche Wege im Einklang mit europäischen Grundwerten im Sinne der Kopenhagener Kriterien besinnen – umso besser.)
    Ich würde in dieser Hinsicht auch eine gewisse Vorbildfunktion für künftige europäische Entwicklung sehen. Diese wird m.E. zu mehr Europa und zu einem demokratischer verfassten Europa führen müssen und sicher auch werden (schon aufgrund weltpolitischer Verflechtungen wie Klima oder Krisenmanagement), keinesfalls zu einem europäischen Zentralstaat. Es wird sich m.E. auch langfristig auf ein Gebilde zwischen Staatenbund und Bundesstaat zubewegen.

    Gefahren sehe ich weit mehr für die europäische Entwicklung als für die demokratische Verfasstheit in Deutschland, wenn die Verbreitung des Unfugs vom „europäischen Zentralstaat“, von „EUdSSR“, „EU-Diktatur“, „Eurokratur“, „Eurofaschismus“ u.s.w. Verbreitung findet – allesamt Reizwörter mit eindeutig nationalistischer Zielrichtung, die Bauchgefühle verschiedenster Art zu bloßen Antireflexen zusammenführen sollen.
    Ob sich dies, unter dem Einfluss sich zuspitzender weltpolitischer Konflikte und Migrationsbewegungen, zu einer wirklichen Gefahr auswachsen kann, hängt m.E. vor allem von der Fähigkeit zur Krisenbewältigung und dgl. ab.
    Aber auch hier ist in der Realität zu relativieren. So werden ja in Frankreich bereits mehrere Städte vom FN regiert. Keine davon hat aber bisher etwa durch mehr Bürgernähe auf sich aufmerksam gemacht – im Gegenteil: In Städten wie Orange oder Toulon, nun wohl auch Hayange kann man getrost von kulturpolitischem Kahlschlag reden. (Trauma meines Sohns, er heißt Frédéric: Der Bürgermeister von Hayange, ein bekennender Rassist, heißt F.Engelmann.)
    Gegenbeispiel Avignon: Hier drohte nach dem 1. Wahlgang die Machtübernahme durch den FN. Die Festspielleitung drohte, in diesem Fall abzuwandern. Ergebnis: Klarer Erfolg für die Sozialisten im 2. Wahlgang. – Man kann selbst Kleinlädenbesitzer nicht für ganz so dumm verkaufen. Auch ihnen sitzt das Hemd näher als die Hose.

    Ich möchte mich im Folgenden auf mögliche Gefahren für gesellschaftliche Bereiche wie etwa die unabhängige Berichterstattung konzentrieren: Angriffe auf das Informationssystem unter dem Banner des „Zensur“vorwurfs könnten gerade zu dem führen, was hier beschworen und angeblich bekämpft wird. Indiz dafür ist Blindheit für das, was als Gegenentwurf (sofern überhaupt vorhanden) eingebracht wird. So die totale Abstinenz, wenn solche Bannerträger etwa zur Stellungnahme zu Putins Informations- und Gesellschaftspolitik aufgefordert werden. Eine Haltung, die m.E. durchaus mit der Verdrängung der Vergangenheit bei unseren Eltern (bzw. für viele: Großeltern) zu vergleichen ist.

    Gegenstrategien sind m.E. vor allem in zweierlei Hinsicht möglich:
    1. Regelmäßiges Konfrontieren mit den Widersprüchen.
    2. Regelmäßiges Nachfragen nach den positiven, konkreten Gegenperspektiven.
    3. Aufzeigen des tatsächlichen Charakters solcher „Bewegungen“: so etwa bloße Negativität ohne realistische Gegenentwürfe, Verdrängen und Kommunikationsverweigerung statt Aufklärung und Kooperation

    Beispiel zu 2:
    AfD-Jünger beschwören als einzige Perspektive De Gaulles Begriff vom „Europa der Vaterländer“. Noch nie habe ich erfahren, wie das denn ausgesehen haben soll. Und noch nie habe ich eine Antwort bekommen, wenn ich darauf verwies, dass (1) De Gaulle nie eine konkrete Idee dazu entwickelt hat und (2) Robert Schuman nicht nur in sein Kabinett aufgenommen hat, sondern auch in dessen viel weitsichtigere Europapolitik eingeschwenkt ist, konkret: der Schaffung gemeinsamer politischer Strukturen über Montanunion, gemeinsamen Markt, Austausch (wie z.B. dt.-frz. Jugendwerk: Hier habe ich selbst in dessen Gründungszeit mitgewirkt).

    Was die Gefahren speziell für oder ausgehend von Online-Kommunikation und mögliche Gegenmaßnahmen angeht, das wäre noch in einer ganzen Reihe von getrennten Beiträgen zu erörtern.

  30. „… die FDGO bezieht sich ja auf die politisch-rechtliche Verfasstheit des Landes …“

    Natürlich, aber dazu gehören auch „westliche Werte“ wie Meinungsfreiheit, Menschenwürde – Werte also, die in dem von Dir in # 16 gebrachten Beispiel mit Füßen getreten werden. Ich bringe dieses Beispiel hier noch mal, damit nicht alle zurückscrollen müssen:

    „Endlich – Es stünde jetzt den Nationalsozialismussympatisanten und Eurofaschisten gut an sich jetzt freiwillig an die Ostfont zu melden. Um ihren Brüdern im Geiste im heroischen Kampf um Lebensraum beizustehen. Auf denn …. die Fahne flattert euch voran.“

    Dieser Kommentar zielte ganz offensichtlich darauf ab, Dich in eine Ecke zu stecken und auf diese Weise zu diskreditieren. Du bist nicht der Meinung, dass „westliche Werte“ – enger gefasst: FDGO – hier mit Füßen getreten wurden?

  31. Du hast in #26 gefragt: „Siehst Du im Auftauchen solcher Kommentare eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung?“
    Jetzt fragst Du: „Du bist nicht der Meinung, dass “westliche Werte” – enger gefasst: FDGO – hier mit Füßen getreten wurden?“
    Das ist etwas anderes. Die erste Frage zielt auf die FDGO als Ganzes, also das demokratische System (und so habe ich sie auch verstanden), die zweite auf einzelne Verletzungen.
    Natürlich werden bei dem Beispiel, wie Du sagst, auch westliche Werte „mit Füßen getreten“. Das ist aber bei täglich 1000fach vorkommenden Verbrechen nicht anders, ohne dass dadurch die FDGO als solche in Gefahr geriete. Denn sie hat auch das Instrumentarium zur Eindämmung von Rechtsbrüchen geschaffen.
    Die Frage ist aber – und hierauf gehe ich im letzten Abschnitt ein – ob dazu die Intervention staatlicher Instrumentarien notwendig ist (bei einer Gefahr für die FDGO wäre dies zweifellos der Fall) oder ob dies – und zwar vorzugsweise – durch die Gesellschaft selbst erfolgt, als Gefahrenabwehr durch das Handeln freier Bürger. Eben darin sehe ich das begründet, was wir gerade tun.

    Ein ähnliches Problem stellt sich bei der Frage des NPD-Verbots. Es besteht kaum Zweifel, dass auch von dieser die FDGO mit Füßen getreten wird. Die Unterschiede bestehen in der Frage des pragmatischen Umgangs damit: etwa, ob ein Verbot nicht der NPD gerade nützt (etwa durch Opfer-Nimbus), also die Gefahr noch erhöht. Dazu kommt – und das war die Crux des ersten Verbotsverfahrens -, dass auch diese Abwehr mit einwandfreien rechtsstaatlichen Mitteln erfolgen muss (Verfassungsschutz lässt grüßen!).

    Um zu dem von mir und nun von Dir zitierten Fall zurückzukommen.
    Zum Fall von Beleidigung, § 185 StGB, stellt Wikipedia fest:
    „So erfüllt man beispielsweise den Straftatbestand der Beleidigung, wenn man den an sich nicht strafbaren Ausspruch ‚Soldaten sind Mörder‘ direkt an eine kleine Gruppe anwesender Soldaten richtet und gleichzeitig den Vorsatz hat, genau diese Soldaten zu beleidigen.“
    Tucholsky wurde ja seinerzeit für diesen Ausspruch auch von einem Weimarer Gericht frei gesprochen, weil der letzte Sachverhalt, die direkte Wendung an konkrete Personen, nicht erfüllt war.

    Gesetzt den Fall, ich würde gegen diese zweifellos beleidigende Aussage in einem Online-Forum klagen, so wäre ich beweispflichtig, dass sie auch direkt an mich oder andere Blogger gerichtet war.
    Freilich geht der Herr (dessen Namen ich ja kenne – und dessen sonstigen Ergüsse auch) hier noch etwas weiter: Der Ausdruck „Eurofaschisten“ und die Ansprache „euch“ könnten hier gegen ihn gewertet werden.

    Selbst ein – durchaus zweifelhafter – Erfolg würde aber nur auf persönlicher Ebene wirken. Die Frage, welche Gefahr eine solche Aussage darstellt, wäre damit nicht beantwortet. Ebenso wenig die Frage, ob dies nicht auf andere Weise – etwa durch klare Blogregeln und deren eindeutige Umsetzung – besser zu erreichen wäre.
    Ich glaube, dass wir uns in der Einschätzung in dieser Hinsicht wohl einig sind.

  32. Du liebe Güte, jetzt haben Sie also die ganze Zeit munter miteinander gechattet und keiner der schlimmen Finger hat sich gemeldet? Tja, ich weiß nicht wodran das liegen mag, muss aber gestehen, bevor ich mich versuchsweise zur Sache äußeren werde, dass ich nicht alle Beiträge von Ihnen gelesen habe, irgendwie war es ja auch mehr oder weniger immer das Gleiche, nicht wahr? Zur Sache: erstens, meiner Meinung nach spricht der/die Wissenschaftler/In vom Unbewussten und nicht vom Unterbewussten, weil im Wort „unter“ eine pejorative Wertung enthalten ist, welche der ideale Wissenschaftler und auch die meisten Wissenschaftlerinnen zu vermeiden versuchen, weil sie ja das Unbeussste aufsuchen um kranken Menschen zu helfen, was man von Ihnen freilich nicht hehaupten kann, sie suchen das Unterbewusste auf, um gekränkte Menschen noch mehr zu beleidigen. Das ist ein schönes Bon Mot mit dem ich den ersten meiner Beiträge beenden möchte. Will sagen, die beleidigenden Kommentare kommen natürlich von zuvor selbst beleidigten, gekränkten und in ihrer Identität bedrohten und in ihrer prekären Lage allein gelassenen Menschen.

  33. Ja, leider komme ich nicht dazu, meine Beiträge in der Vorschau Korrektur zu lesen, weil es ewig dauert bis die Vorschau erscheint, jedenfalls auf meinem Gerät.
    Zur Sache zweitens:
    Zensur… ja, die gibt es reichlich und die ist sehr ärgerlich und verletzend, bei vielen Zeitungen wird sie übrigens in meiner Erfahrung vollkommen willkürlich und brutal betrieben, so dass auch sher schnell ganze Accounts gelköscht werden, und der User weiß nicht warum. So ging es mir übrigens auch selbst bei der FR. die im allgemeinen ansonsten eine schönes weites Spektrum zulässt.
    Genauer: Ich habe den Eindurck als Katufusz nicht mehr schrieben zu dürfen, vielleicht habe ich auch nur mein Passwort vergessen, aber es ist möglich, dass mein Alais gesperrt wurde, ohne dass mir dies mitgeteilt wird, das scheint mri auch beim SPIEGEL USus zu sein, das schreibe ich fats gar nicht mehr, lese auch niuchts mehr, nehem auch keien Werbung mehr entgegen, weil ich mich dauernd neu anmelden musste, was Zeit und Mühe kostet und es echt widerlich ist, wenn der Kommentar im Maul eines Zensors verschwindet um nie wieder aufzutauchen. Hier darf man sein Ergebnis wenigstens noch betrachetn, ehe es gelöscht wird. Aber wie gesagt als Katzfuss komme ich nur noch hier rein, schade, weil ich die Verbeugung vor Fontane geliebt habe und Frit Katzfuss wirklicn ein alter ego ist, aber Göthe gilt auch nichts mehr in dieser Welt.

  34. Ja, die Zensur, sie muss sein, das stimmt, aber sie sollte ultima ratio bleiben und nur begründet und womöglich belegt werden und ganze Accounts sollten nur nach Ankündigung gelöscht werden.Wenn man sich daran halten würde, könnte man die Kommentarfunktion glaube ich sogar verkaufen. Nicht teuer, aber immerhin, ich würde 5 Euro dafür zahlen, wenn ich nur mit Begründung gelöscht werde.

  35. Da ist die Süddeutsche übrigens führend, die begründet, wenn auch nur allgemein. Die Zeit auch, die sit sehr höflich, nur das Publikum ist zu langweilig. Ja, bei der Taz war ich auch, die haben versprochen ihre Kommentarseite zu erneuern, die hatten nicht genug Leute für die na sagen wir das Lektorat. Ja, also zur FR bin ich gekommen als sie in Not war, denn ich habe mir gedacht, die Häufigkeit der Aufrufe einer Seite und die Intensität der Kommentierung könnte einen positiven Effekt auf potentielle Werbe-Kunden haben, davon ab, hab eich hier zumeist auch gute Erfahrungen gemacht, wie gesagt, das Beste ist, das man erst eine gewisse Zeit mit jedem Sch… erscheinen darf, ehe man gelöscht wird. da wird natürlich nicht nur Sch… (ich weiß nicht, Bronski, wie sie das fragliche Wort berachten, viele Lektoren sehen es als tabu an, vielleicht sind das auch seelenlose Programme, wer weiß?) gelöscht. Das macht einen dann natürlich wütend, zum Beispiel gab es einen fürchterlich dummen Beitrag in der FR über ein Lied von Bushido, in dem behauptet wurde Bushido hätte was weiß ich heute noch wer´s war… Oliver Kahn oder Jogi Löw beleidigt… ein krasser Fall von mangelndem Lesevserständnis, wie mir nach einem Gespräch mit meinem Sohn, ausgewiesener Kenner der Rapper und Hiphopszene, klar wurde, das habe ich versucht deutlich zu machen, auch vielleicht etwas scharf betont, wenn Buch und Kpf zusammenstoßen und es klingt hohl usw., he he erst lesen, dann verreißen, neun Kommentare von mir ,immer weichgespülter wie verrückt, aber in der Sache natürlich richtig bleibend, es wird nämlich in dem Lied nicht Jogi Löw sondern der Spießervater der Gangstabraut (sic) beleidigt, der sich füpr Jogi Löw hält.. usw. das sind ershcütternde Erfahrungen, da denkt man an Kündigung des Abos usw.

  36. Meine neun Kommentare in der Sache goldrichtig und im Ton immer sanfter wurden alle innerhalb von Sekunden gelöscht, der hirnlose Zensor machte sich einen Spaß daraus, … tja, das macht einen fertig, das können Sie mir glauben, hier a andern Ende der Fahnenstange.-

  37. Naja, es ging ja nur um Bushido, auf den alle einhackten, beknackter Weise, denn er ist ziemlich in Ordung und nobody ist perfect. Ja, aber da fällt mir ein, das ich auch sehr gerne im Internet einfach die Gegenposition übernehme, besonders , wenn ich Mobbbing wittere und Ausländerhass wie bei Bushido, ja, da hat sagir die FR mitgemacht, will sie natürlich nicht zugeben, ist aiuch verletzend so was zu hören, aber bei Bushido wars so, wenn auch sonst nicht Politik der FR ist, das ist klar, sonst wär ich auch nicht hier.

  38. Naja, also, im Internet, anonym zu schreiben, eine Plattform nutzen zu dürfen, die andere geschaffen haben, das ist toll, dafür Dank auch, aber es ist blöd, wenn da jetzt jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden soll. Dampf ablassen, mal probeweise eine andere Meinung vertreten, das macht Spaß, das kann man sogar verkaufen wie gesagt, wenn man es richtig macht. Wär doch geil, Kommentarfuinktion nutzen, nur gegen Entgelt, einmalig bitte! Undd ann Begründung, Waruzng und Beleg, hey, darauf sollte ich copyrigt erheben, aber man braucht eine Öffentlichkeit, mindestens so groß wie die der kleinen FR.

  39. So, jetzt muss ich zu Bett:…ich schreib nur noch kurz was, zum Thema Gleischschaltung und selber schuld, Journalist… erstens: jeder der Augen hat und liest, muss feststellen,das es keine große Meinungsvielfalt in der Presse der BRD gibt, wenn Sie das nicht sehen, sind Sie betriebsblind geworden. Nehmen Sie sich … und sagen Sie das auch den Kollegen als Vorbild immer die NYT, da wird sachlich geschrieben und auch was nicht passt erwähnt.
    Ansonsten : ja Unparteilichkeit sieht oft anders aus, also Nordhausen scheint mir z.B. selber Jurde zu sein und Sie sind Bronski sind wohl schwul verheiratet, sei´s drum, wenn ich es nur anders, hetero kommentieren darf … und auch mal etwas schärfer , bitt sehr, immer nach Wehner schreien und den guten alten zeiten mit Allvater Strauß aber jedes böse Wort weglöschen das geht gar nicht. Nordhusen hat mir aber eins der beglückensten Erlebnisse beschert, er hat auf meinen Beitrag eine Erdoganbashende Überschrift… ja auch absolut Mainstream in Deutschland en großen Türken klein zu machen… tatsächlich geändert, das hat mich tierisch gefreut. In diesem Sinne: Gute Nacht.

  40. Pardon: Frank Nordhausen scheint mir Kurde zu sein. Jurde nein, das geht nicht, Freudsche Fehlleistung oder was? Doktor?!! Also ohne Witz: er schreibt sehr aus der kurdischen Perspektive, das ist direkt lächerlich zu bekemerken, übrigens auch Mainstream in Deutschland, total die haben eine goßartige Presse, tolle Lobby, nicht nur die Kurden auch kommunistische, stalinistische sogar, Terrororganisationen man kann nur staunen, Kommunisten, die von den Amis rausgehauen werden… wenn sie nur kurdisch sind.. der IS dagegen ist der Satan in Menschengestalt, das lässt niemand kalt… tja, die journalistische Qualität hat sehr gelitten, und das liegt nicht am Internet. Oder doch… alle Journalisten amchen copy and paste, jeder sollte sich Guttenberg nennen. Wieso waren die letzten Worte von PSL: Alles Desinformationskampagnen; wieso denn bloß?

  41. @ Fritz Katzfuß

    Erst mal guten Abend. Schön, dass Sie hier reinschauen.
    Nun posten Sie hier ja eine ganze Menge, zu dem man nicht Stellung nehmen kann und wohl auch nicht soll. Daher ein paar ausgewählte Zitate mit Anmerkungen bzw. Fragen.

    # 34
    Unbewusstes – Unterbewusstes
    Bei Freud heißt der wissenschaftliche Begriff „das Unbewusste“, und der ist auch zu verwenden. Da bedarf es keiner Spekulation darüber, welche Assoziation damit verbunden sein könnte. Das hat auch nichts mit Psychiatrie oder Kranksein zu tun, denn es ist die – in der Wertung neutrale – Beschreibung der Psyche jedes Menschen.
    Warum im Volksmund auch der Begriff „Unterbewusstes“ verwendet wird, ist in der Schnelle nicht zu ermitteln. Es könnte evt. mit vereinfachendem Blickwinkel zu tun haben, da Freud auch von „Über-Ich“ spricht, und da bietet sich ein Gegensatz an. Bei Wikipedia werden Sie übrigens, wenn Sie das eintippen, automatisch zu „Unbewusstes“ weitergeleitet.
    Übrigens bin ich kein Wissenschaftler, aber Psychologiekenntnisse gehören schon zu meinem Job.

    # 34
    „Will sagen, die beleidigenden Kommentare kommen natürlich von zuvor selbst beleidigten, gekränkten und in ihrer Identität bedrohten und in ihrer prekären Lage allein gelassenen Menschen.“ –
    Woher wollen Sie das wissen? Sie können ja nur Aussagen über andere Menschen machen, wenn Sie konkrete Fakten oder Hinweise über deren Situation haben, und das ist in der Allgemeinheit schon gar nicht möglich.
    Noch weniger sind Aussagen über innere Befindlichkeiten wie „allein gelassen“ möglich, wenn derjenige nicht selbst eindeutige Hinweise darauf gibt.
    Und angenommen, es wäre so: Was folgt dann daraus? – Sollte ich dann über Internet Psychiater spielen? – Das wäre wohl alles andere als seriös.

    #40
    „Naja, also, im Internet, anonym zu schreiben, eine Plattform nutzen zu dürfen, die andere geschaffen haben, das ist toll, dafür Dank auch, aber es ist blöd, wenn da jetzt jedes Wort auf die Goldwaage gelegt werden soll. Dampf ablassen, mal probeweise eine andere Meinung vertreten, das macht Spaß, das kann man sogar verkaufen wie gesagt, wenn man es richtig macht.“ –
    Da müsste man schon präzisieren, was Sie unter „Dampf ablassen“ und „auf die Goldwaage legen“ verstehen. Mal in der Eile etwas unklar formulieren ist etwas anderes als andere zu beleidigen.
    Und gehen Sie mal abends vor dem Schlafengehen kurz zu Ihrem Nachbarn, um da „Dampf abzulassen“ – und was würde der dazu sagen?
    Am Computer am anderen Ende sitzt auch ein Mensch wie Ihr Nachbar. Und warum soll der nicht das gleiche Recht haben wie Ihr Nachbar, dass man auf vernünftige Weise mit ihm kommuniziert – nur weil Sie ihn nicht sehen und er dann auch nicht tags darauf zu anderen Nachbarn rennt, um zu erzählen, was für ein Kerl Sie sind?
    #41
    „(…) erstens: jeder der Augen hat und liest, muss feststellen, das es keine große Meinungsvielfalt in der Presse der BRD gibt, wenn Sie das nicht sehen, sind Sie betriebsblind geworden.“
    Das ist nun eine sehr verallgemeinernde Wertung, die zumindest konkreter Belege und Vergleiche bedürfte. Und Ausdrücke wie „betriebsblind“ für andere, die eine andere Einschätzung haben, haben darin schon zweimal nichts verloren.

    Einen schönen Abend noch!

  42. Entschuldigung, hab ich nach Wehner geschrien? Ich bin mir, ehrlich gesagt, keiner solchen positiven Schuld bewusst …

    Ich möchte etwas klarstellen. Ich bin nicht „wohl schwul verheiratet“, sondern ich bin verpartnert. Das ist der diskriminierende „Fachterminus“ für diese Art von staatlich sanktionierter Beziehung, die immerhin inzwischen weitgehend der Ehe gleichgestellt ist, ohne allerdings auch so genannt zu werden. Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich Sie in diesem Punkt korrigiere, Herr Katzfuß.

    Bleiben wir mal beim letzten Punkt, den auch Werner Engelmann aufgegriffen hat.

    „jeder der Augen hat und liest, muss feststellen, das es keine große Meinungsvielfalt in der Presse der BRD gibt, wenn Sie das nicht sehen, sind Sie betriebsblind geworden.“

    Da sind wir wieder, freundlicher formuliert, bei der „Prantelprawda“, einem Begriff, der in der Lage ist, fundamental unterschiedliche Zeitungen wie „Welt“ und „taz“ unter einem Dach zu vereinen – siehe mein Eingangskommentar. Ich frage mich wirklich, wie das geht. Meine Theorie ist folgende: Dieser Eindruck kann eigentlich nur bei Online-Usern entstehen, die flüchtig über die Seiten huschen und überall mehr oder weniger gleichlautende Agenturmeldungen entdecken. So kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass in den Zeitungen überall dasselbe drinsteht. Dass dieser Eindruck entstehen konnte, daran sind die Zeitungen keineswegs unschuldig, denn wer einfach nur Agenturtexte raushaut, um online präsent zu sein, macht sich natürlich verwechselbar. Doch anders herum wird ein Schuh draus: Wenn User meinen, aus dem Online-Angebot einer Zeitung auf die Zeitung selbst schließen zu dürfen, müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, oberflächlich zu sein. Auch online unterscheiden sich die Zeitungsauftritte durchaus, nämlich vor allem dann, wenn man sich die Meinungs-Auftritte ansieht.

    Herr Katzfuß, Sie sind wirklich Abonnent? Von Ihren Statements her zu urteilen, drängte sich mir nämlich die Frage auf, wann Sie zum letzten Mal eine Zeitung im Print gelesen haben. Legen Sie mal „Welt“ und FR nebeneinander. Dann möchte ich mal sehen, was Sie in Sachen „Gleichschaltung“ – unsägliches Wort – dann noch sagen.

    Werner, was meinst Du dazu?

  43. Ich zögere, mich an dieser Meinungsäußerung zu beteiliegen. Es scheint mir eher ein Forum für Dialoge oder Monologe zu sein.

    zu 24 # Bronski
    „Ich habe die 68er zwar nicht persönlich miterlebt, denke aber doch, dass, wenn damals jemand als Faschist bezeichnet wurde, ebenfalls eine klare Zuordnung im Sinne eines Freund-Feind-Schemas beabsichtigt war. Okay, daneben gab es noch den “pädagogischen” Effekt, verkrustete Strukturen mit Macht aufbrechen zu wollen, aber im allgemeinen war “Faschist” ein Schimpfwort, mit dem sich Kleinbürger- und Spießertum ebenso bezeichnen ließ wie ein Bundeskanzler Kiesinger oder ein Ministerpräsident Filbinger – oder irre ich mich? “

    Diese Ihre Einschätzung ist schon recht zutreffend, aber damals wurde auch der „Nazi“ schon immer wieder in die Diskussion – eigentlich waren es meist keine Diskussionen sondern ein verbaler , hitzig erregter und von Sendungstbewusssein durchdrungener Schlagabtausch. „Bürgerliche Kontrahenten“ waren nie vorhanden.

    zu 27 # Werner Engelmann
    „etwas mehr verspreche ich mir vom Kontakt mit AfD-Sympathisanten, wo die Widersprüche, auch etwa zwischen Lucke und der „Basis“ sehr deutlich sind. So, wenn Lucke sich die Fraktionsgemeinschaft mit den britischen Konservativen im EU-Parlament zu Gute hält (nach außen hin guter Coup!) und er sich gegen den Front National abgrenzt. Der hat offenbar noch nicht die Jubelstürme und Wünsche seiner Gesinnungsgenossen für Le Pen in Online-Foren zur Kenntnis genommen.“

    Offen gestanden, Herr Engelmann und Herr Bronski, mich bewegt eine andere Frage:
    Weshalb haben Le Pen und andere Parteien einen solchen Erfolg erzielt? In Schweden sind die Sverige Demokraterna zu drittstärksten Partei aufgestiegen. Reiner Zufall? Oder treten nicht Defizite in der Politik der etablierten Parteien zutage? Sind wirklich alle Wähler der Sverige Demokraterna rechtsradikale Unmenschen? Oder ganz einfach Leute, die sich mit der praktizierten Politik nicht mehr einverstanden erklären wollen?
    In diesem Zusammenhang verweise ich auch auf den beigefügten Link.
    http://www.youtube.com/watch?v=nbkmhYQDJH4

    Dass Schweden innerhalb der EU die meisten Flüchtlinge und Asylanten bezogen auf die Einwohnerzahl aufgenommen , bedarf wohl keiner separaten Erwähnung.
    In Deutschland zeichnet sich eine analoge Entwicklung ab, ohne dass eine Diskussion über die Folgen geführt wird bzw. geführt werden darf.
    Wenn ich höre und lese, dass Hooligans sich ein neues Feindbild auserkoren haben … nämlich die Salafisten, dann erweist sich das – weil angeblich mehrheitsfähig – als eine neue Bruchstelle in unserer Gesellschaft.
    Gespannt sein darf man auch, wie die Flüchtlingsströme innerhalb der EU verteilt werden.
    Da wird sich die europäische Solidarität anderer Staaten offenbaren. Es wird nur eine minimale Bereitschaft geben, Flüchtlinge und Asylanten aus dem angeblich so „reichen Deutschland“ aufzunehmen.
    Das kostet einfach Geld, was man nicht aufwenden kann oder will, abgesehen von den übrigen Problemen wie Integration, Schulen Kindergartenplätze, ärztliche Versorgung, für die die normalen Bürger aufkommen müssen, ohne zuvor gefragt worden zu sein. Denn der Staat hat kein eigenes Geld, sondern nimmt das den Bürgern und verteilt es … nach eigenem Gutdünken.

    Ich hoffe, nicht durch meinen Beitrag die Zweisamkeit von den Herren Engelmann und Bronski und die Monologe von Herr Katzfuß gestört zu haben.
    Falls das der Fall sein sollte, werde ich mich zurückziehen, um kompetenteren Gesprächspartnern das Feld zu überlassen.

  44. #44
    Muss man das wirklich so genau verstehen wollen?
    Mit dem Satz „Dieser Eindruck kann nur bei Online-Usern entstehen, die flüchtig über die Seiten huschen“ ist m.E. schon alles gesagt. Und das ist sicher keine Unterstellung, denn unter #34 steht das so ähnlich ja auch schon.
    Und irgendwie ist es ja auch richtig, dass das, was wir geschrieben haben, „auch mehr oder weniger immer das Gleiche“ war. – Waren ja alles nur Wörter!
    Damit möchte ich mich, ohne viele neue Wörter zu produzieren, für heute verabschieden.
    Bis morgen!

  45. Sie stören nicht, runeB. Ich möchte darauf hinweisen, dass das Thema dieses Blogtalks nicht die europäische Politik selbst ist, sondern die Tonlagen, in denen über diese Politik gestritten wird. Ob Deutschland mehr Flüchtlinge aufnehmen kann oder nicht, ist schlicht nicht das Thema. Dazu hatten wir hier im FR-Blog andere Threads. Daher greife ich mir eine absolut berechtigte Frage aus Ihrem Kommentar heraus und gebe sie an Werner Engelmann weiter: Weshalb haben Le Pen und andere Parteien einen solchen Erfolg erzielt?

  46. Hallo, runeB,
    ich habe gerade erst Ihren Beitrag entdeckt, darum noch eine vorläufige Antwort zu den Erfolgen „rechtspopulistischer Parteien“ in Europa – wie sie nun mal genannt werden, womit deren Wähler noch keineswegs als „rechtsradikale Unmenschen“ abgestempelt werden.
    Um das zu erklären, wird man sicherlich eingehende Motivforschung betreiben ein ganzes Bündel von Erklärungen heranziehen müssen, wozu nicht einmal die üblichen Wahlanalysen in den jeweiligen Ländern ausreichen. Noch weniger wird man eine pauschal eine Antwort für verschiedene Länder mit recht unterschiedlichen Voraussetzungen und Politikansätzen finden können.
    Besonders hüten sollte man sich vor einlinigen Erklärungen, die von solchen Parteien – deutlich emotionalisierend – angeboten werden, wie etwa Asylpolitik.
    Auch hier gibt es genügend Gegenbeweise. So auch beim Schweiz-Referendum, wo die höchsten Zustimmungsraten zum Ruf der SVP, den Ausländeranteil zu stoppen, aus Gegenden mit den vergleichsweise niedrigsten Ausländeranteilen stammen.
    Ich habe 20 Jahre in Berlin gelebt und gearbeitet, dabei schon vor vielen Jahren eine Befragung in verschiedenen Stadtteilen zum Verhältnis zu Ausländern geleitet. Das gleiche Bild auch hier.
    Und die meisten Vorurteile gegen Türken habe ich in Ost-Berlin erlebt, wo man kaum einen Türken kannte.

    „In Deutschland zeichnet sich eine analoge Entwicklung ab, ohne dass eine Diskussion über die Folgen geführt wird bzw. geführt werden darf.“
    Wo „darf“ hier keine „Diskussion über die Folgen geführt“ werden und wer verhindert das? –
    Allein dieser Blog wäre schon ein Gegenbeleg.
    Alles Weitere dann morgen.

  47. Erst mal schönen Morgen allerseits!
    Zu #47:
    „Daher greife ich mir eine absolut berechtigte Frage aus Ihrem Kommentar heraus und gebe sie an Werner Engelmann weiter: Weshalb haben Le Pen und andere Parteien einen solchen Erfolg erzielt?“ –

    Ja, wenn ich die Patentlösung für die Frage bereit hätte, dann stünden alle möglichen Parteienvertreter bei mir Schlange, um mich als Berater anzuwerben.
    Scherz beiseite:
    Die Frage geistert schon seit Jahren, in Frankreich verstärkt seit dem Wahlabend zur Europawahl, durch die Landschaft, ohne dass jemand eine befriedigende Antwort gegeben hätte. (Ich habe den Wahlabend im französischen Fernsehen verfolgt.)
    Man könnte es, wie von runeB (#45) angesprochen, mit einfachen Antworten der Art bewenden lassen: „Oder treten nicht Defizite in der Politik der etablierten Parteien zutage? (…) Oder ganz einfach Leute, die sich mit der praktizierten Politik nicht mehr einverstanden erklären wollen?“
    Das ist deswegen wenig hilfreich, weil es trivial ist, für Frankreich angesichts fortgesetzter Korruptionsskandale und zunehmender ökonomischer Probleme evident – aber eben nur eine von vielen Teilantworten und sehr wahrscheinlich nicht die Wichtigste.

    Um nun – mit aller Vorsicht – eine wohl noch wichtigere Teilantwort zu wagen, die für den europäischen Bereich auch verallgemeinerungsfähig scheint:
    Da wird nun – verstärkt und allenthalben seit nunmehr gut 6 Jahren – von „Krise“ in jeder möglichen Hinsicht gesprochen. Ich wundere mich, dass man sich darüber wundern kann, dass solches sich auch massiv im Bewusstsein und damit im Wahlverhalten niederschlägt.
    Man könnte, angesichts historischer Erfahrungen mit wahrscheinlich größerer Berechtigung, ebenso fragen, warum noch viel mehr Menschen (immer noch die deutliche Mehrheit) den verführerischen Vereinfachungen populistischer Parteien widersteht.

    Es lohnt sich, einige solcher Vereinfachungen etwa im Programm des Front National herauszugreifen:
    – „Les Français d’abord!“ – Frankreich zuerst! Gemeint ist: Franzosen sollen bei der Arbeitsplatzsuche und bei Sozialleistungen gegenüber Nicht-Franzosen besser gestellt werden.
    Im Klartext: Beteiligung an Privilegien nach Nationalprinzip. Würde freilich das Grundrecht der Gleichbehandlung außer Kraft setzen
    – „Ni Droite ni Gauche – français!“ – Weder rechts noch links, sondern französisch.
    Im Klartext: Überwindung von Parteien in der „Volksgemeinschaft“ – Hat seine historischen Vorbilder, die nicht kommentiert zu werden brauchen.
    – Einführung von Schutzzöllen – also ökonomische Abschottung bereits erfolgter Globalisierung
    – Austritt aus dem Schengener Abkommen, der Euro-Zone und der NATO – auf Wahlplakaten noch einfacher und plakativer: „Non à Bruxelles – oui à la France“ (Nein zu Brüssel – ja zu Frankreich)
    – Wiedereinführung der Todesstrafe (bedarf keines Kommentars)
    – gegen gleichgeschlechtlichen Ehe (der Sündenbock im Nachbarhaus)
    – Islamfeindlichkeit, Warnung vor „Islamisierung“
    – Konzept der Assimilation: der FN soll auch für Einwanderer offenstehen, wenn diese ein Bekenntnis zur französischen Nation und zur Assimilation ablegen (neu seit Marine Le Pen).

    Sich über die Attraktivität solcher „Konzepte“ gerade in Krisenzeiten zu wundern, hat man m.E. gerade in Deutschland wenig Veranlassung.

    Ergänzend hierzu noch einige Beobachtungen und persönliche Beobachtungen:
    – extrem niedrige Wahlbeteiligung (in Frankreich ca. 40%), was immer Protestparteien fördert
    – völliges Desinteresse und Unkenntnis über Europapolitik, z.T. gezielter Boykott in den Medien
    (So weigerte sich der private Sender TF1, die erste Wahlsendung zu übertragen, Begründung: kein Interesse;
    in der Stadt, in der ich lebe, standen auch am Wahltag die für Wahlwerbung vorgesehenen Stellwände noch leer herum)
    – Mit Sicherheit hat der Erfolg bei der Europawahl fast ausschließlich nationale Ursachen, hat mit europäischer Politik sehr wenig zu tun: Bei Diskussionen mit Bekannten hatte keiner – über die Standardvorwürfe der „Reglementierung“, also „Bevormundung“ hinaus – eine Vorstellung davon, was in der Europapolitik überhaupt passiert).
    – Sehr vereinfachend ist der Hinweis auf das soziale Problem (das sicher eine Rolle spielt): Dem widerspricht z.B., dass das Elsass (besonders Mulhouse) eine Hochburg des FN ist, obwohl es ökonomisch gut dasteht und keineswegs einen sozialen Brennpunkt darstellt. Auch kenne ich Menschen mit bester ökonomischer und sozialer Situation, die FN gewählt haben.

    So weit fürs erste. Über mögliche Zusammenhänge mit dem Thema des Blog-talks (das sollten wir wohl nicht aus dem Auge verlieren!) in einem anderen Beitrag.

  48. In meinen Augen sind wir damit immer noch beim Thema, denn die Vereinfacher sind eben überall unterwegs. Solche Positionen wie die des FN finden im Netz weite Verbreitung und kehren auch im „Eurofaschisten“ wieder. In der EU-Kritik treffen sich extreme Linke und extreme Rechte und haben Probleme der gegenseitigen Abgrenzung.
    Übrigens: Ich bin nicht der Meinung, die Katja Thorwardt in ihrem Artikel vertrat. Du hast oben eine Passage daraus zitiert, die ich hier noch einmal bringen möchte:

    „Doch die User, um die es hier geht, sind die stereotypen Krawallmacher der jüngeren Vergangenheit. Sie bilden politisch das gesamte Spektrum ab und lieben neben dem Streit die stete Benennung von Feindbildern und die Provokation der FR-Redaktion.“

    Stereotype Krawallmacher? Das klingt beinahe verharmlosend. Was meinst Du, Werner – geht es diesen Leuten nur um den Krawall?

  49. #50
    (1) „In meinen Augen sind wir damit immer noch beim Thema, denn die Vereinfacher sind eben überall unterwegs. Solche Positionen wie die des FN finden im Netz weite Verbreitung und kehren auch im “Eurofaschisten” wieder.“
    (2) „Was meinst Du, Werner – geht es diesen Leuten nur um den Krawall?“

    Zu 1)
    Auch ich bin zu dieser Einschätzung gekommen. Bedarf aber der Überlegung und Begründung – so wie ein Exkurs über 68er, der sich im Zusammenhang mit Protestformen und verbalen Exzessen anbietet.

    Zu 2)
    Antwort: Nein – eingeschränkt durch Hinweise auf psychologische Analyse zu einem „Spaß“verständnis bei Online-Kommunikation, wie ich sie im Einleitungstext angeführt habe (ist ja hier in #40 auch wieder angesprochen worden).
    Natürlich bedarf das wieder der genaueren Analyse und damit entsprechender Ausführungen. Was mir freilich wieder den Vorwurf des „Monologisierens“ einbringen wird. Das lässt mich aber ziemlich kalt, denn nach dem Prinzip „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!“ kommt man nicht weiter – oder schlimmer: man landet bei eben solchen Umgangsformen, wie wir sie zu analysieren suchen.

    Im Kontext der großen „Vereinfacher“:
    Lange hat man über die „schweigende Mehrheit“ philosophiert – tut es bei Erklärungsversuchen zu beängstigend zunehmender Wahlenthaltung immer noch. Und traditionelle Protestparteien wie Neuankömmlinge unter der Populisten nehmen für sich in Anspruch, dieser eine Stimme zu verleihen. Tun sie in gewisser Hinsicht auch tatsächlich. Fragt sich nur: wie und mit welchen Folgen?

    Darum auch meine Hinweise zum FN-Programm.
    Natürlich wirken solche Heilsversprechungen auf eine Masse ein, die – aus welchen Gründen auch immer – sich zurückzieht, anderen das Geschäft und die Diskussion überlässt, um sich dann übergangen zu fühlen, sich über Monologisieren zu beschweren, bestenfalls mit sarkastischen Zwischenrufen auf sich aufmerksam zu machen, mit Behauptungen über „Zensur“ und angeblich „verbotenen“ Meinungen aufzutreten. Schuld am eigenen Verhalten sind prinzipiell andere.

    Vereinfacher bieten solchen Menschen nicht nur eine Plattform für Identifikation, sie verändern und präformieren auch die Erwartungshaltung: Je undurchsichtiger und bedrohlicher die Wirklichkeit wahrgenommen wird, je geringer die eigene Bemühung, wenigstens ein bisschen Licht zu schaffen, desto drängender und aggressiver der Schrei nach einfachen Lösungen. Hinweise, dass es einfache Lösungen nicht geben kann, werden nicht mehr nur mit Enttäuschung und Rückzug quittiert, sondern zunehmend auch mit Aggression.

    Zusammengefasst:
    Populistische Parteien präformieren die gesellschaftliche Wahrnehmung, liefern darüber hinaus die Folie für aggressiven Diskurs und Rechtfertigung zugleich.
    Ähnlich wie man in Verhaltensweisen im Alltag einen „alltäglichen Faschismus“ ausgemacht hat, werden so totalitäre Tendenzen im alltäglichen Umgang miteinander und auch im Diskurs geprägt. (Was natürlich nicht als Gleichsetzung zu verstehen ist!) Und die durch die Erwartung einfacher Lösungen präformierte Wahrnehmung sorgt dafür, dass dies nicht zum Bewusstsein kommen kann und – bei subjektiver Überzeugtheit – vehement bestritten wird.

    So weit nun die thesenartige Darlegung der Zusammenhänge, die einiges an den angesprochenen Verhaltensweisen erklären könnte.

    Damit ziehe ich mich für die nächsten ca. 4 Stunden zurück, bin dann wieder am späten Nachmittag verfügbar.

  50. Nun ist die Wirklichkeit ja schon immer so komplex gewesen, dass sie wohl kaum mit den begrenzten Möglichkeiten, die einem einzelnen Menschen zur Verfügung stehen, erfasst und verstanden werden könnte. Die Zahl solcher „Universalgelehrten“, die das vielleicht könnten bzw. gekonnt hätten, kann man in der Geschichte der Menschheit an den Fingern zweier Hände abzählen, schätze ich. Trotzdem führen sich manchen User in diversen Online-Foren auf, als hätten sie die Weisheit gepachtet. Sind das Allamchtsphantasien eines „Es“, das im Alltag von einem übermächtigen Über-Ich (TINA-Syndrom*) unterdrückt wird und das nun befreit im Schutz der Anonymität von Online-Foren zu toben und zu tosen beginnt? Was mag das für eine Art von Befriedigung sein, die solche Zeitgenossen aus ihrem Tun ziehen?

    * TINA-Syndrom: TINA steht für „There is no alternative“ und ist eine politische Formel und Methode, bestimmte Sachverhalte, z.B. in Sachen Euro-Rettung, so zu verkaufen, als spiele man gerade den letzten Trumpf aus und habe ansonsten keine Wahlmöglichkeiten mehr.

  51. @ all

    So richtig durchgedrungen zu dem Punkt, wo es wirklich interessant wird, sind wir in diesem Blogtalk noch nicht. Vielleicht setzen wir das Projekt noch ein wenig fort – wenn Du einverstanden bist. Für heute Abend und für den morgigen Samstag allerdings melde ich mich ab. Ich schaue allerdings gelegentlich rein, damit niemand Unfug treibt, so wie ich das als Moderator hier im FR-Blog machen muss. Vielleicht haben ja Teilnehmer aus dem Kreis der User ein paar Anmerkungen. Die Aufforderung, sich in dieser Sache zu Wort zu melden, ergeht hiermit direkt an: Rudi und A.H.

    Einen schönen Abend Euch allen!

  52. Hier muss ich klar sagen, dass ich passen muss:
    „Was mag das für eine Art von Befriedigung sein, die solche Zeitgenossen aus ihrem Tun ziehen?“
    Dazu will und kann ich nichts sagen, weil mir sowohl das Material als auch die Kompetenz dazu fehlt. Das wäre eine Frage für einen Therapeuten, der mit dem einzelnen Individuum arbeitet. Und der könnte das wohl auch erst nach vielen Sitzungen zweifelsfrei erschließen. Ich möchte aber grassierenden Irrtümern keinen Vorschub leisten.

    Wir müssen uns an das halten, was zweifelsfrei an Äußerungen vorliegt. Die Psycholinguistik macht eben das, wenn sie Sprache analysiert. Sie interessiert sich vorwiegend für den Sprecher. Sie macht aber keine Aussagen über ihn, schon gar nicht über seine Psyche. Sie analysiert vielmehr die von ihm gebrauchten Wörter: deren sachlich-bezeichnenden Inhalt (Denotation) und die zugleich überlieferten emotionalen Assoziationen (Konnotation).

    Wenn man verstehen will, was da passiert, kommt man nicht darum herum, diese Methode anzuwenden.
    Das ist zwar sachlich abgesichert, schützt aber nicht vor Unterstellungen.
    Also geben wir uns keinen Illusionen hin: Wir bewegen uns auf gefährlichem Terrain. Wir beschäftigen uns mit verbalen Übergriffen. Das heißt: Wir sind Spaßverderber, vermiesen anderen den „Spaß“ daran. Verstehen-Wollen wird als aggressiver Akt gedeutet.

    Dies wird in #34 mehr als deutlich:
    „…weil sie (Wissenschaftler) ja das Unbeussste aufsuchen um kranken Menschen zu helfen, was man von Ihnen freilich nicht hehaupten kann, sie suchen das Unterbewusste auf, um gekränkte Menschen noch mehr zu beleidigen.
    Das ist natürlich starker Tobak, gleich mehrere Unterstellungen auf einmal. Aber eben symptomatisch.

    Bleiben wir bei einem Beispiel von Katja Thorwardt: „Fickt euch in den Arsch, ihr links-grünen Homo-Faschisten“.
    Der Satz besteht ausschließlich aus extrem abwertenden Assoziationen. Die politische Begründung („links-grün“) ist nur vorgetäuscht, verweist aber auf den Dunstkreis des Sprechers.
    Wer dies äußert, wird oben zum „gekränkten Menschen“ erklärt. Wer aber diesen armen Menschen „beleidigen“ will, das bin ich. („Ihnen“, groß geschrieben, wird man wohl nicht anders deuten können.)
    Da gibt es nichts mehr zu „verstehen“ und habe auch keine Lust dazu. Die Fakten sind aber nicht wegzuschieben, und das muss man erst mal verdauen.
    Dringend zu verstehen wäre aber, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen sich Derartiges verbreiten kann.
    – Ich meine, eine Verdauungspause ist notwendig.

  53. # 48
    „So auch beim Schweiz-Referendum, wo die höchsten Zustimmungsraten zum Ruf der SVP, den Ausländeranteil zu stoppen, aus Gegenden mit den vergleichsweise niedrigsten Ausländeranteilen stammen.“
    Wenn ich der gute Herr Engelmann wäre, würde ich jetzt fordern, dass diese Behauptung doch bitte belegt werden sollte.
    Scherz beiseite. Es würde gut ins Bild passen, aber eine Analyse bis auf Gemeindeebene hat gezeigt, dass es eine kleine Abhängigkeit geben könnte. Aber man kann darüber streiten, ob sie wirklich statistisch signifikant ist. Ich habe Bronski, der die gleiche Behauptung schon mal anderer Stelle gemacht, damals den Link zur Auswertung geschickt.

  54. #55 Henning Flessner
    Es ist richtig, dass in der Schweiz eine sehr präzise Analyse des Referendums erarbeitet wurde, mit genauer Dokumentation der Unterschiede zwischen deutscher und französischer Schweiz sowie dem Stadt-Land-Gefälle. Dies steht mir gegenwärtig nicht mehr zur Verfügung.
    Mein Hinweis bezieht sich vor allem auf das Stadt-Land-Gefälle. Ich habe den Hinweis aber bewusst allgemein gehalten, um keine neue Diskussion hierzu zu eröffnen. Denn dies gehört, worauf Bronski hingewiesen hat, erstens nicht zum Thema und wurde zweitens in einem besonderen Thread bereits erörtert. Es bestand also keinerlei Veranlassung zu übertriebener Präzision.
    In diesem Zusammenhang geht es allein darum, einer einlinigen Argumentation populistischer Parteien, die so ziemlich jede problematische Entwicklung auf Überfremdung zurückführen, nicht auf den Leim zu gehen. Deutlich bei der schwedischen Abgeordneten im von runeB angebotenen Link (#45), die willkürlich und im Empörungston Zuwanderung, Kriminalitätsentwicklung und Verfall schwedischer Identität miteinander verknüpft. Sich mit solchen, für populistische Parteien typischen Umgang mit Fakten auseinanderzusetzen, das gehört allerdings zu unserem Thema.
    Übrigens wüsste ich nicht, an welcher Stelle ich mich als besonderer Liebhaber von Haarspaltereien geoutet hätte.

  55. lieber Herr Engelmann,
    ich möchte jetzt nicht alle ihre Äusserungen durchsuchen. Ich hatte das Gefühl, das Sie bereits mehrmals daraufhin gewiesen haben, dass man seine Behauptungen doch bitte belegen sollte. Das ist mir positiv aufgefallen. Jetzt habe ich ihre Behauptung gelesen (wie bereits mehrmals von anderer Seite(Bronski, andere Zeitungen, etc.). Sie sagen, dass sie den Hinweis allgemein gehalten haben. Diese Pauschalität hat mich gestört und ich halte diese Aussage in ihrer Pauschalität auch für falsch.
    Wenn meine Meinung, dass ihre Aussage falsch ist, nicht zum Thema gehört, wie kann dann die Aussage zum Thema gehören?
    Ich bin mir sicher, dass wir uns einig sind, dass man seine Behauptungen belegen sollte.
    Ich wollte Sie nicht persönlich angreifen. Das Problem bei nicht-verbaler Kommunikation ist, dass man die Reaktion des Gegenüber nicht sieht und nicht darauf nicht sofort reagieren kann. Ein gutes Beispiel ist, wie Sie sich bei einem anderen Thema kürzlich angegriffen gefühlt haben. (Auf die Idee, dass die Aussage Ihnen galt und nicht den IS-Leuten, wäre ich niemals gekommen.) Bei verbaler Kommunikation hätte man es sofort klargestellt. Ich weiss, dass man daher in nicht-verbaler Kommunikation nicht ironisch sein sollte. Aber ich kann es manchmal einfach nicht lassen.
    Bevor sie zu Recht sagen, dass das hier nicht das Thema ist; es kommt noch ein Beitrag zum Thema.

  56. Ich bin mir nicht ganz sicher, worum es in diesem Blog geht. Mein Thema sind Leute, die Hasstiraden in Foren schreiben und die Empörung bzw. Betroffenheit der Journalisten.
    Wenn das nicht das Thema ist: Bronski, bitte löschen Sie!
    Es geht mir nicht um die verängstigten Kleinbürger, die AfD oder FN wählen.
    Einige Thesen und Anmerkungen:
    1. Die Anzahl der Schreiber in Internetforen ist sehr gering. Wie viele mögen es sein, ein paar Hundert? Herr Kratzfuss hat uns dazu ja schon ein Indiz geliefert, indem er erwähnt, dass er in mehreren Foren tätig war. In Schweizer Foren wird immer wieder der Verdacht geäussert, dass eine Person unter mehreren Namen schreibt. Ausserdem wird behauptet, dass gewisse Parteien Schulungen anbieten.
    2. Dass diese Leute ihren Hass in Internetforen abladen, ist mehr dem Zufall zu verdanken oder weil es so einfach ist. Briefe schreiben ist schon ein grösserer Aufwand. Man muss zum Briefkasten laufen. Zum Fussballstadium gehen und Hassgesänge anstimmen, ist noch mehr Aufwand. Ich verstehe, die Empörung der Journalisten. Aber sie haben einfach sehr lange in einem geschützten Bereich gelebt. Andere Menschen müssen ganz andere Dinge aushalten oder sind in ihrer Redaktion schon jeden Samstag Menschen aufgetaucht, die Affen nachahmen und sie mit Bananen und Feuerzeugen bewerfen, wie es Oliver Kahn jahrelang passierte. Ich wurde als harmloser Jogger am Rheinufer unflätig beschimpft oder mit Cola-Dosen aus fahrenden Autos beworfen. Ich arbeite seit knapp 30 Jahren in der Energiewirtschaft, aber das sage ich nur Leuten, die ich schon bzw. die mich schon kennen. Sonst sage ich etwas Unverbindliches wie „internationaler Anlagenbau“. Ich habe keine Lust mich weiter von Greenpeace-Anhängern als potentiellen Massenmörder bezeichnen zu lassen.
    3. Es geht den Schreibern nicht um das Thema. Man will seinen Hass abladen und ist der erste Beste gerade recht, ob es die EU ist oder Oliver Kahn ist eigentlich egal. Die Gründe liegen sicherlich nicht in der aktuellen Politik, sondern mehr im psychologischen Bereich, was natürlich auch gesellschaftspolitische Gründe haben kann. Aber die sind sicherlich nicht so simpel wie runeB sie vermutet.
    4. Was aber tun? Eigentlich müsste man die Menschen bedauern. Wie dreckig muss es einem gehen, wenn man so voller Hass steckt? Leider habe ich kein Talent zum Therapeuten. Wenn mir so ein Mensch begegnet, mache ihr mir manchmal das Vergnügen und überbiete ihn mit meinen eigenen vollkommen absurden Rassentheorien. Ob das es etwas bewirkt? Keine Ahnung. Mache ich dadurch vielleicht noch schlimmer? Sonst ignoriere diese Äusserungen nach dem Motto: „Was kümmert es eine stolze Eiche, wenn eine Wildsau sich an ihr reibt?“
    5. Noch einen Tip für Herrn Kratzfuss: Wenn sie mal Dampf ablassen müssen, kaufen sie sich ein paar Laufschuhe, falls sie keine haben, und stampfen sie ihre Wut in den Waldboden. Das ist gut für Sie und ihre Mitmenschen und der Waldboden nimmt es ihnen auch nicht übel.

  57. #57 Henning Flessner

    Lieber Flessner, danke für die offenen Worte.
    Äußerungen, die mögliche Missverständnisse aufklären, damit eine vernünftige Diskussionsebene geschaffen wird, gehören m.E. immer zum Thema.
    Ich stimme Ihnen auch völlig zu, was das Belegen der eigenen Äußerungen angeht. Nun ist das nicht immer möglich, etwa aus Platzgründen, weil das Material nicht verfügbar ist oder Ähnliches. Für eine vernünftige Diskussion muss aber Vertrauen herrschen, dass die Äußerungen auch in diesem Fall belegbar sind, sorgfältig umgegangen wird. Dies ist leider oft nicht der Fall.
    Mehr stört mich aber, wenn willkürlich verallgemeinert oder irgendwelche nicht erwiesenen Zusammenhänge erstellt werden (Hinweis auf die schwedische Abgeordnete). Auf einer solchen Ebene lässt sich alles Mögliche behaupten, können keine Meinungsverschiedenheiten mehr seriös ausgetragen werden.
    Zum Themenbezug: Auch ich empfinde es manchmal als Hemmschuh, dass Bronski dies in den Blogregeln hat. Ich habe das aber zu schätzen gelernt, seit ich mich längere Zeit mit Verhaltensweisen in den Foren bei Faz.net befasst habe. Die schlimmsten, provokantesten Äußerungen sind oft die, welche in keinem erkennbaren Zusammenhang zum Thema stehen. Ich habe sogar schon den gleichen Mist unter ganz verschiedenen Themen gelesen.

    Zu Ihrem Beitrag #58 komme ich später noch, dazu bedarf es noch einiger Überlegungen. Im Vorgriff nur so viel: Ich empfinde ihn als sehr hilfreich.

  58. Korrektur zu #59:
    Anrede natürlich „Herr Flessner“ (fiel beim Reinkopieren wieder weg). Entschuldigung.

  59. Das Internet ist ebenso irreal wie es Zeitungen, Radio und Fernsehen sind.
    In jedem Käfig finden sich die Narren ein, die in ihn passen, aber sie alle halten sich für Panther, oder für Eichen oder werden für Säue gehalten, die sich an denen reiben oder was noch alles…oder alle sind irgendwie krank.

    Vielleicht sind wir alle bloß Schnecken.

    Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst

    Soll i aus meim Hause raus?
    Soll i aus meim Hause nit raus?
    Einen Schritt raus?
    Lieber nit raus?
    Hausenitraus –
    Hauseraus
    Hauseritraus
    Hausenaus
    Rauserauserauserause . . .

    (Die Schnecke verfängt sich in ihren eigenen Gedanken oder
    vielmehr diese gehen mit ihr dermaßen durch, daß sie
    die weitere Entscheidung der Frage verschieben muß.)

    Christian Morgenstern

    http://www.youtube.com/watch?v=5oeWdr-1W-E

  60. Zu 48 # Werner Engelmann

    „Auch hier gibt es genügend Gegenbeweise. So auch beim Schweiz-Referendum, wo die höchsten Zustimmungsraten zum Ruf der SVP, den Ausländeranteil zu stoppen, aus Gegenden mit den vergleichsweise niedrigsten Ausländeranteilen stammen.“

    Falls ich das Schweizer Referendum richtig in Erinnerung habe, hatte die SV gerade im Tessin mit die höchste Zustimmung erhalten. Grund soll nicht ein besonders hoher Ausländeranteil gewesen sein, sondern die Sorge, an die vielen italienischen Arbeitnehmer aus der Nachbarschaft die Arbeitsplätze zu verlieren.
    Der Arbeitslohn im Tessin liegt angeblich etwa 40% über dem italienischen Niveau.
    Anreiz in das Tessin einzuwandern.
    Sollte das zutreffen, dann erhält ihre Aussage doch einen etwas anderen Stellenwert.
    Sollte ich mir geirrt haben, so bitte ich um entsprechende Belege.

    zu 56 # Werner Engelmann
    „Deutlich bei der schwedischen Abgeordneten im von runeB angebotenen Link (#45), die willkürlich und im Empörungston Zuwanderung, Kriminalitätsentwicklung und Verfall schwedischer Identität miteinander verknüpft. Sich mit solchen, für populistische Parteien typischen Umgang mit Fakten auseinanderzusetzen, das gehört allerdings zu unserem Thema.“
    Möglicherweise haben sie Herr Engelmann und ich zwei unterschiedliche Beiträge gesehen. Nach meinem Empfinden (und das auch von schwedischen Bekannten) war dieser Beitrag eher von einer tiefen Trauer und Verzweiflung getragen, wohin Schweden gekommen ist. Es gibt in Malmö z.B. Stadtteile in denen die Polizei nur sporadisch präsent ist.
    Die sprechen von „typischen Umgang mit Fakten“ (immerhin scheinen Sie Fakten zu erkennen) und verknüpfen das aber mit „willkürlich“.

    Diese Art der Betrachtung erscheint mir – ich bitte, das mir nachzusehen – als ziemlich oberflächlich und der ernsten Sache nicht angemessen. Zusammenhänge dieser Art nicht sehen zu wollen, Zusammenhänge als unzulässig brandmarken und in einer Diskussion von vorneherein nicht akzeptieren zu wollen, kommt einer Negierung dieser damit zusammenhängenden Probleme gleich.

    Eine Frage sei mir noch gestattet: Woher kommt Ihre Information, dass Frau Carlqvist eine Abgeordnete ist? Und welchem Parlament bzw. Abgeordnetenhaus gehört sie an?

    Es werden in Schweden – ebenso wie in Deutschland – keine Angaben über die Nationalität von Straftätern gemacht – von Einzelfällen abgesehen. Das zieht sich durch den gesamten „mainstream der Presse“.

  61. zun 62 # runeB

    Es muss heißen „Sie sprechen von „typischen Umgang mit Fakten“

    Entschuldigung, ich bin ein schlechter Schreiber auf der Tastatur.

  62. zu 58 Henning Flessner
    „3. Es geht den Schreibern nicht um das Thema. Man will seinen Hass abladen und ist der erste Beste gerade recht, ob es die EU ist oder Oliver Kahn ist eigentlich egal. Die Gründe liegen sicherlich nicht in der aktuellen Politik, sondern mehr im psychologischen Bereich, was natürlich auch gesellschaftspolitische Gründe haben kann. Aber die sind sicherlich nicht so simpel wie runeB sie vermutet.“

    Ich stimme Ihnen zu.
    Sollte ich meinen Hass abgeladen haben, dann wäre ich hier nicht an der richtigen Stelle und müsste mich konsequenterweise rasch verabschieden.
    Allerdings vermag ich nicht die Simplizität meiner Vermutungen zu erkennen. Ich habe lediglich Fragen nach den Ursachen gestellt, aber keine Analyse (die von Land zu Land völlig andere Ergebnisse zutage fördern würde), abgegeben.
    Dazu sind kügere Köpfe berufen.

  63. zur Einleitung von Werner Engelmann

    „Doch gerade solche Online-Debatten haben vielfach einen schlechten Ruf,…“

    Auch deshalb, weil die Themen nicht die Aktualität des Weltgeschehens wiederspiegeln, sondern erscheinen und geschlossen werden nach freiem Belieben der Redaktionen. So nimmt hier z.B. eine Rückschau auf die DDR breiten Raum ein, und das Ukrainethema wird gleichzeitig beerdigt. Hier wird Raum gegeben, eine geschichtliche Leiche zu besichtigen, aber das fürchterliche Leben der Menschen in Donezk und Lugansk ist keine Behandlung wert. Für eine Zeitung wie die FR nicht sehr imagefördernd, in deren Fokus das aktuelle Geschehen stehen sollte. Die FR ist kein Blatt mit Hauptaugenmerk auf Geschichte und Geschichtchen, sondern sie sollte ganz vorrangig dem aktuellen Geschehen verpflichtet sein. Auch in einem Blog wie diesem.

  64. Guten Morgen allerseits!

    Schön, dass sich nun so einige Aktivitäten entwickeln, auch wenn sich bei mir gestern gewisse Ermüdungserscheinungen breit machten und ich nicht gleich alle Anregungen aufgreifen konnte. Ich möchte erst auf die Beiträge eingehen, die sich schneller beantworten lassen, und dann, wie versprochen, auf den Kommentar #58 von Henning Flessner eingehen.

    Zu #62 runeB
    Das Arbeitsplatzargument spielt beim Schweiz-Referendum sicher eine wesentliche Rolle und ist ernst zu nehmen. Es wurde auch bei Online-Diskussionen, so auch hier im Blog immer wieder angesprochen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die SVP sich, mit Hilfe von Stimmungen im Volk, gegen Regierung, praktisch alle anderen Parteien und auch den Arbeitgeberverband durchsetzte, die alle schwerwiegende Konsequenzen, vor allem im Verhältnis zur EU, befürchteten. Wie die Schweizer Regierung aus diesem Schlamassel wieder herauskommt, wird sich zeigen.
    Es geht also nicht um einzelne Abstimmungsergebnisse in irgendwelchen Städten oder Regionen, sondern darum, welche Konsequenzen eine Politik auf der Grundlage von Volksstimmungen – als „direkte Demokratie“ immer wieder als Vorbild hingestellt – mit vielen Unwägbarkeiten, Widersprüchen mit sich bringt (insbesondere, da das Ergebnis sehr knapp war). Vor allem auch wären die Befürchtungen im Volk auch gegenüber den herbeigeführten Unsicherheiten für Industrie und Volkswirtschaft, das Hü und Hot, abzuwägen, die eine vernünftige Planung kaum ermöglichen.
    Das alles befindet sich auf einer anderen (m.E. weit höheren) Ebene als etwa die Frage von Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren in (die sich rechtlich gar nicht verhindern ließe) und die entsprechende Polemik in Deutschland, u.a. von Seiten der CSU.
    Dazu ein einzelnes Faktum:
    Eine Freundin von mir gibt regelmäßig an der Universitätsklinik in Köln Deutsch-Unterricht speziell für rumänische Ärzte und Ärztinnen, von der Klinik organisiert. So groß ist der Bedarf. Wenn diese plötzlich ausblieben, würde da der gesamte Betrieb zusammenbrechen. Außerdem zeigen statistische Erhebungen, dass – im Unterschied zu Behauptungen unter Populisten – rumänische Zuwanderer im Schnitt überdurchschnittlich qualifiziert sind.

    Zum Problem in Schweden:
    Ich habe mich, in der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit, natürlich nicht so intensiv damit befassen können. Dass es sich um eine Abgeordnete handeln würde, habe ich aus dem Kontext erschlossen, lasse mich gern über Irrtümer aufklären, wenn es von Bedeutung ist.
    Die Emotionalität des Vortrags kann man sicher unterschiedlich bewerten. Problematisch ist aber, wenn dies mit einem selektiven Verfahren der Wirklichkeitsbetrachtung verbunden ist und Zusammenhänge hergestellt werden, die keineswegs erwiesen sind: Warum soll das Fehlen von Polizisten in Malmö ursächlich mit Zuwanderung zu tun haben (nicht z.B. eher mit Sparpolitik), umso mehr, da (wie Sie selbst schreiben) Erkenntnisse über den Anteil vn Ausländerkriminalität fehlen. Dies nenne ich (da auch anderes, bei populistischen Parteien Übliches mit erfasst werden soll) möglichst neutral „Umgang mit Fakten“. Sie können es meinetwegen auch „Umgang mit Problemen“ nennen.

    Zu #65 V.Grebe:
    “Doch gerade solche Online-Debatten haben vielfach einen schlechten Ruf,…” –
    Diesen Teil der Einleitung hat Bronski geschrieben, die Frage muss also an ihn gehen.

    Meine Einschätzung aber zu folgender Äußerung:
    „Die FR ist kein Blatt mit Hauptaugenmerk auf Geschichte und Geschichtchen, sondern sie sollte ganz vorrangig dem aktuellen Geschehen verpflichtet sein. Auch in einem Blog wie diesem.“ –
    Dem möchte ich widersprechen. Ich schätze diesen Blog gerade deshalb, weil er nicht – wie die meisten anderen – um jeden Preis aktuell sein will, und auch Reflexionen und zusammenhängende Argumentationen über längerfristige Probleme und Entwicklungen ermöglicht. (Siehe auch Bronskis Ausführungen dazu unter „Über Bronski“ auf der Hauptseite des Blogs.)
    Bei 600 Zeichen (FR.online) oder auch 1000 Zeichen (Faz.net) ist das praktisch nicht möglich. Außerdem kann man sich einen Kommentar schon am nächsten Tag (bei Faz.net handelt es sich um Stunden) gleich sparen.
    Folge: Bei Faz.net scheinen fast nur noch Rentner damit beschäftigt zu sein, ihre mehr oder – meist weniger – tiefschürfenden Einsichten hinauszuposaunen, nach meinen Ermittlungen bis zu 30 am Tag. – Keine Chance für Sie, wenn Sie einer einigermaßen geregelten Arbeit nachgehen.

  65. Guten Morgen auch von mir!

    @ V.Grebe

    Werner Engelmann hat Sie schon auf die Eigenarten dieses Blogs hingewiesen. Abgesehen davon, dass das FR-Blog gerade nicht tagesaktuell sein will, sondern sich traut, eine Debatte auch mal erst dann aufzuwachen, wenn sie dem öffentlichen Kurzzeitgedächtnis schon wieder entfleucht ist, ist dieses Blog auch deswegen anders als die meisten anderen, weil es kein Autorenblog ist. Ausnahmen bestätigen die Regel – hin und wieder schreibe ich einen längeren Solo-Text. In der Regel aber schreibe ich nur Einleitungen, die natürlich auch als Meinungsbeiträge zu lesen sind. Darüber hinaus ist das FR-Blog das Blog der FR-Leserinnen und -Leser. Die Diskussionen, die ich hier eröffne, werden durch Leserbriefe angestoßen, die ich in der Print-Zeitung veröffentliche – und im zweiten Schritt dann hier, um die Diskussion darüber zu ermöglichen.

    Sie vermissen eine Diskussion über die Ukraine-Krise. Zu diesem Thema gab es im FR-Blog fünf oder sechs ausführliche Diskussionen. Zurzeit kommen dazu keine neuen Leserbriefe herein. In der Wahrnehmung der FR-Leserinnen und -Leser scheint dieses Thema derzeit keine große Rolle zu spielen. Aber die Ukraine-Krise spielt auch in diesem Blogtalk eine Rolle, auch wenn es hier nicht um aktuelle politische Entwicklungen geht, sondern eher um innenpolitische Verwerfungen hier bei uns. Um die sollten wir uns noch ein wenig kümmern – oder was meinst Du, Werner?

    In diesem Sinne: V.Grebe, vielen Dank für Ihre Kritik. Im FR-Blog gehen die Uhren ein wenig anders.

  66. Nun, Herr Flessner, zu Ihren ausführlichen Anmerkungen unter #58:

    Zur Thematik (wie ich sie verstehe):
    Thema im engeren Sinn sind, wie Sie richtig schreiben, Hasstiraden in Foren, ausgehend von dem Artikel von Katja Thorwardt (und einer Kolumne in Faz). Die Analyse kann dabei nur auf sprachlicher und psycholinguistischer Ebene stattfinden (da wir ja die Sprecher nicht kennen). Sie schließt aber auch die Adressatenseite, also die Betroffenheit der Journalisten, mit ein, um deren Wirkungen mit zu erfassen: Dazu kann sich ja Bronski als Mitbetroffener authentisch äußern. Für mich ist das nur insofern möglich, als ich dies nachvollziehen kann, da ich als Lehrer ähnliche Situationen auch erlebt habe.
    Im weiteren Sinn (in meinem Einleitungstext angesprochen) gehört aber auch die Analyse des gesellschaftlichen Umfelds dazu, dem die Hasstiraden entwachsen. Dies erscheint mir notwendig, um es nicht auf der bloßen subjektiven Erfahrungsebene zu belassen.
    Der politische Standort der Sprecher ist nur teilweise aus der Wortwahl zu ermitteln (durch Vergleichstexte bei meinen Recherchen in Faz.net etwas besser). Dies erscheint mir aber nicht so wesentlich. Wichtiger sind erkennbare ideologische Positionen zu gesellschaftlichen Problemen (auszugsweise in meinem Beitrag #3 –vgl. auch Ihr Beispiel unter 2).
    Ich würde das Problem vorwiegend auf gesellschaftlicher Ebene (Umgangsformen und ihre Folgen) und auf politischer Ebene (mögliche politische Konsequenzen) ansiedeln.
    Daher gehört auch die Analyse dazu, wie populistische Parteien eben dies ausnutzen und welche (möglichen) politischen Konsequenzen sich daraus ergeben.
    Die inhaltliche Auseinandersetzung mit einzelnen Positionen ist in diesem Zusammenhang kaum möglich, soll also in den Hintergrund treten, aber nicht abgewürgt werden. So weit meine (und wohl auch Bronskis) Vorstelungen dazu.

    Im Verlauf der Debatte kann (und soll) das natürlich nicht so schön sortiert werden. Und es kann auch sein, dass – ausgelöst durch eine Frage – der eine oder andere Punkt (so Front National) mehr Raum einnimmt als eigentlich vorgesehen.
    Wichtig erscheint mir (ich hoffe, dass es dazu kommt), dass, aufbauend auf diesen Analysen, Vorschläge thematisiert werden können, wie denn mit der Onlinekommunikation allgemein und solchen verbalen Übergriffen im Besonderen umgegangen werden soll.
    Ihre genauen Anmerkungen erscheinen mir dazu sehr hilfreich.

    Zu diesen Anmerkungen im Einzelnen:

    Zu 1: Zahl der Schreiber:
    Die Anzahl der Schreiber mag zunächst gering erscheinen, ist aber in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen. (Zu Einzelheiten hierzu müsste wohl eher Bronski Stellung nehmen.)
    Ich habe selbst bei meinen Recherchen in Faz.net mit dem Beginn der Ukraine-Debatte einen sprunghaften Anstieg solcher hasserfüllten Mails festgestellt, in denen es nur noch äußerlich (wenn überhaupt) um die Ukraine ging, im Kern vor allem um EU-Bashing. Ebenso sprunghaft stieg das Hochpushen gerade der übelsten Beiträge mittels Bewertungsfunktion an.
    Die Frage der gezielten Manipulation haben wir hier schon erörtert (# 8-12). Mir scheint das nicht das Wesentlichste zu sein. Wichtiger erscheint mir, dass sich daraus, im Zusammenhang mit populistischen Stimmungen, unvorhersehbare Konsequenzen ergeben können.

    Zu 2/4: Umgang mit Hassmails:
    Sicher richtig ist, dass sich Schreiber von Hassmails (sofern aus den vorliegenden Anspielungen ermittelbar) nicht eindeutig in ein Rechts-links-Schema einordnen lassen, wenn auch die Rechtslastigkeit durchaus deutlich ist. Gleiches gilt auch für die Motive der Schreiber. Hier, meine ich, müssten wir noch mehr differenzieren. Ich werde dies in meinem nächsten Beitrag für Bronski aufgreifen.
    Was den Umgang mit Hassmails angeht (Sie schlagen eine für die geschilderte Situation m.E. überzeugende Lösung vor), haben wir dies auch schon erörtert (# 16-20, auch 27). Allerdings betrifft dies nur den jeweils persönlichen Umgang damit im Einzelfall. Die gesellschaftliche und politische Dimension (siehe #31-33) haben wir m.E. noch nicht ausreichend erfasst.

    Zu 3: Motivation von Hassmails-Schreibern:
    Unterstreichen würde ich Ihre folgende Äußerung:
    „Die Gründe liegen sicherlich nicht in der aktuellen Politik, sondern mehr im psychologischen Bereich, was natürlich auch gesellschaftspolitische Gründe haben kann.“
    Hier, meine ich haben Sie das Problem erfasst. Alle populistischen Parteien versuchen nämlich, einen direkten Bezug zu politischen Entscheidungen herzustellen (bis hin zur – längst ad acta gelegten – Gurkenverordnung der EU), damit nicht nur, derartige Tendenzen zu rechtfertigen, sondern auch, sie sich zunutze zu machen. (Ob die Kritik im Einzelnen berechtigt ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber dieser Weg zu einer Korrektur als falsch eingeschätzter Entscheidungen wird praktisch nie gegangen, es geht immer nur um generelles Bashing.)
    Die psychologische Ebene mit zu erfassen, empfiehlt sich auch aus historischer Sicht, weil nämlich Demagogen immer damit arbeiten. So war Josef Goebbels ein hervorragender Psychologe, die „Sportpalastrede“ (ich habe sie mehrfach analysiert) in dieser Hinsicht ein grauenhaftes Meisterstück.
    Auch die psychologische Ebene (so etwa bei Wilhelm Reich: Massenpsychologie des Faschismus) ist aber, wie Sie richtig schreiben, dann wieder auf „gesellschaftspolitische Gründe“ hin zu befragen.
    Problem: Man darf das keinesfalls mit individualpsychologischen Vorgehensweisen verwechseln. Da bewegen wir uns mangels ausreichender Erkenntnisse m.E. auf sehr dünnem Eis. Daher auch meine – durchaus emotionale – Weigerung, mich auf diese Ebene näher einzulassen (# 54). Das würde nämlich u.U. bedeuten, auf beleidigende Äußerungen mit gleicher Münze zurückzuschlagen. Das löst das Problem nicht. Wir sind auch keine Psychotherapeuten (wie Herr Katzfuß, #34) zu meinen scheint. Und das via Online-Forum versuchen zu wollen, da würden sich bei jedem Psychotherapeuten die Haare sträuben.

  67. Lieber Lutz,
    es scheint sinnvoll, übers Wochenende so viel wie möglich hier rein zu schauen. Auch wenn das für mich nur zeitweise möglich ist. Ich erwarte in Kürze meinen Sohn mit Schwiegertochter – z.Zt. ziemlich seltener Besuch.

    #67:
    „Aber die Ukraine-Krise spielt auch in diesem Blogtalk eine Rolle, auch wenn es hier nicht um aktuelle politische Entwicklungen geht, sondern eher um innenpolitische Verwerfungen hier bei uns. Um die sollten wir uns noch ein wenig kümmern – oder was meinst Du, Werner?“ –

    Zur Ukraine-Debatte online habe ich natürlich jede Menge Material. Habe ich bei meiner Auswahl unter #3 bewusst weggelassen, da es ein Fass ohne Boden ist. Es bietet sich für Untersuchungen zu „innenpolitischen Verwerfungen“ natürlich an. Ich wäre auch bereit, dieses Material dahingehend zu sichten – allerdings unter der Voraussetzung, dass dies nicht ein Einstieg in eine uferlose inhaltliche Debatte sein kann. Um das zu verhindern, müssten wir das Erkenntnisinteresse vorher doch noch genauer bestimmen und eingrenzen.

    Vorher noch, aufbauend auf Anmerkungen von Herrn Flessner (#58, #68, zu 2/4), noch Fragen an Dich bez. Motiven bzw. Zielen von Hassmail-Schreibern.
    Wenn wir mögliche Reaktionen darauf diskutieren wollen, müssen wir m.E. erst einmal eine Unterscheidung treffen einerseits zwischen reinen Hassmails ohne erkennbaren inhaltlichen Bezug (wie bei Katja Thorwaldt zitiert) und anderen, die sich wohl zu politischen Fragen (sehr allgemein und polemisch) äußern, dabei aber fast immer auch Hassausbrüche und Verunglimpfungen unterbringen, vorwiegend gegen die EU. Die bei Faz.net dokumentierten „Beiträge“ von Usern dieser Art geht bis über 4000. Manchen dieser Spezialisten habe ich auch schon gelegentlich Kommentare zu ihren Auslassungen gepostet, aber nie eine Antwort bekommen.
    Der Umgang mit diesen Gruppen müsste sich m.E. unterscheiden. Dazu kommt die Frage der Trolle, und inwieweit eine Abgrenzung der bloßen Hassmails möglich ist. Bei Trollen (oft auch unter verschiedenen Usernames) wird allgemein Ignorieren empfohlen, um sie nicht unnötig aufzuwerten und wie seriöse Gesprächspartner zu behandeln.
    Bei den äußerlich politischen Mails ist m.E. eine gelegentliche Kontaktaufnahme sinnvoll, und sei es auch nur, um ihre Methodik in eben dem Medium zu entlarven, das sie für sich instrumentalisieren.

    Frage: Hast Du eine Sammlung solcher Mails oder genauere Erkenntnisse dazu, nach denen eine präzisere Einschätzung möglich wäre?

  68. Zuerst einen schönen Sonntag allerseits!

    Ich will es mit einem anderen Ansatz versuchen, von dem ich mir mehr verspreche als von einem Eingehen auf die Ukraine-Debatte. Bei der käme vermutlich (bestenfalls) nicht mehr heraus als dies, dass der gegenwärtige öffentliche Diskurs unter bestimmten Bedingungen und bei bestimmten Themen regelmäßig zu dem führt, was der Franzose „dialogue de sourds“ (Taubstummendialog) nennt. Eine reichlich triviale Erkenntnis, zu der es einer solchen Beweisführung kaum bedarf.

    Ausgangspunkt:
    Viele Versender von Hassmails, namentlich an die Adresse der EU, gehen ohne Beweise von der These aus (die sie als realistische Wirklichkeitsbeschreibung empfinden), dass in den von „Zensur“ bestimmten westlichen Medien die Formulierung und Diskussion bestimmter „verboten“ oder nicht möglich sei. (Einen klaren Nachweis dafür habe ich noch nie gelesen). Ebenso einlinig und unvermittelt wird vor allem die EU als Haupt„schuldiger“ ausgemacht.
    Um zu verstehen, wie es dazu kommt, muss man diese Behauptung an konkreten Beispielen untersuchen.

    Ich beziehe mich im Folgenden nicht auf bloße Hassmails, die aus Lust und Jux entstanden sind, sondern um Manifestationen, die sich selbst in einen gesellschaftspolitischen Kontext einordnen.

    Im EU-Vertrag (konsolidierte Fassung von Lissabon – auch „Kopenhagener Kriterien“) heißt es unter Artikel 2:
    „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“

    Populisten kommen aufgrund ihrer weltanschaulichen (und unhinterfragten) Voraussetzungen vor allem mit den Postulaten der „Nichtdiskriminierung“, „Toleranz“, Achtung von Minderheitenrechten sowie gelegentlich – so der Front National („Français d’abord!“ – „Franzosen zuerst!“) mit dem Gleichheitspostulat in Konflikt.

    Ich greife das Nichtdiskriminierungsgebot heraus und untersuche dazu Beiträge zur Homosexuellendebatte. Beispiele dazu habe ich unter #3 unter dem Stichwort „Homophobie“ aufgeführt. Ich beschränke mich darauf, hier den ersten Beitrag zu wiederholen:
    „Was kommt? Quote? Homosexualität als Religion? Und viele empfinden beim Gedanken an die Praktiken Ekel. Das kann man nicht steuern. Und die Mehrheit? MUSS Toleranz üben, sonst Strafrecht?“

    Die Äußerung bezieht sich auf einen Gastbeitrag von Christian Hillgruber, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn, in der FAZ vom 20.2.2014: „Wo bleibt die Freiheit der anderen?“
    Unter „Freiheit der anderen“ versteht Prof. Hillgruber die „Freiheit“ derjenigen, die sich ihre lieb gewonnenen Vorurteile nicht durch Toleranzgebote von (für sie) ominösen politischen Instanzen rauben lassen wollen. Kurz: Das „Recht“ auf Vorurteile und die „Freiheit“, diese auch ungeniert zu äußern.
    Es versteht sich, dass der Herr Professor dies etwas verschleierter auszudrücken versteht:
    „Unter der Fahne der ‚Antidiskriminierung‘“, werde dieser Minderheit die „Freiheit“ genommen, „die homosexuelle Praxis für unsittlich zu halten und dies auch auszusprechen“. Tradierte Vorurteile zum Gegenstand der Besprechung in Schulen zu machen hält er für unerträglich. Dies ist für ihn „Umerziehung mit staatlichem Befehl und Zwang“.

    Hier werden Topoi, stereotype, vereinfachende (und die Realität verdrehende) Sprachbilder vorgegeben, die sich im populistischen Diskurs tausendfach wiederholen.
    Besonders perfide die Berufung des Herrn Professors auf Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“, während er das Gebot der „Toleranz“ zur „Freiheit“ für Intoleranz umdeutet.

    Die Reaktionen, so der oben genannte, mit höchsten Zustimmungsraten versehene Userbeitrag, sprechen eine eindeutige Sprache. Sie verdeutlichen, welche Richtung via „freie unzensierte Meinungsäußerung“ über Online-Foren eingeschlagen werden kann (und auch wird).

    Wer sich je Gedanken gemacht hat über Stimmungen bei Ausbruch des 1.Weltkriegs (wie das gerade jetzt anhand zahlreicher Beiträge möglich war), dem können schon Schauer über den Rücken laufen: Krieg als „Befreiung“ aus einer als stickig empfundenen Bürgerlichkeit dort (was sie in mancher Hinsicht auch war). „Befreiung“ aus den „Zwängen“ einer gesellschaftlich per Menschenrechte vorgegeben „Moral“, „Freiheit“ für ungehemmten Ausdruck jeder Form von atavistischen Instinkten heute? Ungehemmte Verbreitung derselben via bisher unbekannter Möglichkeiten von Internet und Online-Foren?

    Die Frage nach der Verantwortung für diejenigen, welche solche Verbreitung ermöglichen, liegt m.E. auf der Hand. Ebenso die, mit welchen Mitteln derartigen Tendenzen Einhalt geboten werden kann.

  69. Korrektur zu #70:
    Unter Absatz „Ausgangspunkt“ ist einzufügen:
    Formulierung und Diskussion bestimmter MEINUNGEN „verboten“:::

  70. was mir an FAZ.net und an ähnlichen Foren auffällt , das abstruse Kommentare die grösste Zustimmung finden. So zum ermordeten Journalisten durch die IS erhielt der Kommentar Rest in Peace große Zustimmung, das einfache Weltbild erhält die Zustimmung durch den Button. Schön diesen Blog zu lesen, der es sich dann doch nicht so ganz einfach macht, mit den Zusammenhängen und den Geschehnissen.Es ist ganz sicher auch ein Schutz vor solchen Anfeindungen intellektuell zu sein, möglich ist ein Hass auf die Intellektuellen allgemein, die dem einfachen Weltbild widersprechen, weil sie dieses eben nicht einfach sehen.

  71. #72
    Hallo, Herr Vollmershausen, schön, dass Sie hier reinschauen.
    Ihrem Eindruck, dass bei Faz.net „abstruse Kommentare die grösste Zustimmung finden“, kann – oder besser: muss ich uneingeschränkt zustimmen. Nachdem ich die Kommentare über mehrere Monate und nach unterschiedlichsten Themen beobachtet habe, kann ich allerdings eines hinzufügen: Es sind, je nach Erregungsgrad des Themas, durchaus Unterschiede festzustellen. Die übelsten und hasserfülltesten Kommentare sind bei Themen zur EU sowie in der Ukraine-Debatte festzustellen.
    Zu letzterer ein Beispiel: Zu den Gewaltfantasien der Frau Timoschenko überschlugen sich die Kommentare geradezu: 416 Kommentare innerhalb weniger Stunden (Telefonat Timoschenkos abgehört – Dem Bastard in den Kopf schießen, FAZ, 25.3). Für die zeitgleich gemeldeten 519 Todesurteile in Ägypten interessieren sich gerade 11 Foristen (Ägypten – Schauprozesse im Schnellverfahren, FAZ, 25.3.2014). Die höchste Zustimmung bei ersterem gab es für folgenden Beitrag „EU und USA paktieren mit Mordbrennern“. (722 Empfehlungen).
    Hinzuzufügen ist aber, dass im Verlauf der Ukraine-Debatte eben dies auch zunehmend von Faz.net-Foristen beklagt wurde, die offenbar schon längere Zeit als Foristen tätig waren und sich oft als treue FAZ-Leser outeten, die „ihre Zeitung“ nicht mehr wieder erkannten.
    Demnach würde ich damit nicht das Forum als solches charakterisieren und würde eher von Erregungswellen sprechen, die vermutlich im Fall der Ukraine künstlich hochgepusht wurden (siehe #9, 10, 12).

    Ihre zweite Vermutung, Intellektuellenhass, ist angesichts des Materials nicht so ohne weiteres nachzuweisen. Viele Schreiber von abstrusen Kommentaren (besonders solche, die sich als AfD-Sympathisanten zu erkennen geben), halten sich selbst für intellektuell und überdurchschnittlich informiert, sprechen anderen, die ihre Sicht nicht teilen, gern den „gesunden Menschenverstand“ ab. Ich würde eher von Pseudointellektuellen sprechen.
    Hier ein Beispiel eines ziemlich regen Foristen, dessen eingebildet-verschwurbelte Sprache kaum zu übertreffen ist (er outete sich als Sohn eines 68-ers -was mir sehr zu denken gegeben hat):
    „Den unzähligen kriegstreiberischen US-imperialistischen Lohnschreibern, den Europa in rechtlose US-Arbeitssklaven verwandeln wollenden neo-feudalen Freihandels¬befürwortern, den bezahlten EUdSSR-Claqueuren und den toleranztotalitaristischen PseudoMenschrechtsaktivist-Mietmäulern, glaubt mittlerweile niemand in Europa mehr auch nur ein Wort.“ – Höchste Zustimmungsraten: 624 – (Ukraine-Kommentare im Internet – Meinungsschlacht um die Krim, FAZ, 26.3.2014)-

    Gute Nacht!

  72. Eines der Grundprobleme scheint zu sein, dass weithin ein Mangel an Empathie herrscht. Ich meine dies nicht nur in Online-Foren zu beobachten, sondern auch im nicht-virtuellen Leben: Es scheint eine gewisse Verrohung um sich zu greifen. Die Bereitschaft, sich in andere Menschen und ihre Standpunkte hineinzuversetzen und zunächst einfach mal zuzuhören, scheint zu schwinden – wobei sie bei solchen Leuten wie dem in # 70 zitierten Homophobiker vermutlich ohnehin nie vorhanden war. Da geht’s – Du sagst es ja – nur darum, an Vorurteilen festzuhalten.

    Spiegeln sich in solchen Kommentare und Diskussionsstrategien also gesellschaftliche Veränderungen wider? Wenn ja, entsteht das Problem einer Rückkopplung, denn die Entwicklung, deren Ausdruck diese Kommentare sind, wird von ihnen ja möglicherweise angefeuert …

  73. # 74 Bronski:

    Du stellst zwei Fragen:
    1) Die Frage nach „Mangel an Empathie“, möglicherweise einer Tendenz zur „Verrohung“
    2) Die Frage nach „Rückkopplung“, also gegenseitiger Verstärkung zwischen ungeniertem Ausdruck von Vorurteilen und politischen Akteuren

    Zu 2)
    Diese Frage erscheint mir eindeutiger zu beantworten zu sein, und ich möchte daher damit beginnen. Zur ersten Frage dann in einem anderen Beitrag.

    Generell meine ich, dass man historische Entwicklungen nur in dialektischer Weise, als gegenseitige Beeinflussung, erfassen kann.
    Das kann man an vielen Beispielen aufzeigen. Im Fall der Nazi-Propaganda ist es nur besonders evident. Dies kann, da gut erforscht, auch zur Veranschaulichung des Mechanismus dienen (was in keiner Weise eine inhaltliche Gleichsetzung impliziert).
    Propaganda wie die eines Josef Goebbels (vgl. # 68, zu 3), baut auf bereits vorhandenen, z.B. antisemitischen Einstellungen auf (etwa religiös begründet, Anti-Intellektualismus, Besitzneid, diffuser Antikapitalismus). Mit pseudowissenschaftlichen Theorien (Rassenideologie) ideologisch aufgeheizt, werden latente Vorurteile virulent und konkrete Existenzängste kanalisiert. Diese wiederum beruhen wesentlich auf realen Erfahrungen einer umfassenden gesellschaftlichen Krise (Inflationsangst, Arbeitslosigkeit). In der Rückwirkung formierten sich so Heilserwartungen und Anfälligkeit für Demagogie u.s.w.

    Nur aus dem dialektischen Zusammenwirken aller drei Faktoren – latente Vorurteile, gesellschaftliche Krisensituation und demagogische politische Akteure – lässt sich eine befriedigende Erklärung erarbeiten. Verabsolutierung einer der Komponenten führt zu einseitigen, oft willkürlichen Erklärungen und Beurteilungen. So die „Verführungsthese“ (zur Abwehr eigener Schuld) wie auch die entgegengesetzte „Kollektivschuldthese“, die im Wesentlichen auch bei Goldhagen in der Behauptung eines bereits vorhandenen „eliminatorischen Antisemitismus“ wieder auftaucht.

    Nach diesem Beispiel zur Veranschaulichung nun zum aktuellen Problem:
    Auch hier sind alle drei oben genannten Wirkungsfaktoren in Betracht zu ziehen. Mit dem Feststellen von Hassausbrüchen und ungeniertem Ausdruck von Vorurteilen haben wir aber nur einen davon erfasst. Hierauf ein Bedrohungsszenario aufzubauen wäre fahrlässig.

    Wie also steht es mit den beiden anderen Faktoren?
    Die Krisenstimmung als gesellschaftliche Voraussetzung ist auch evident. Ein Vergleich mit den 30er Jahren wäre dennoch nur mit Vorsicht anzusetzen. Zu berücksichtigen wären die heute ungleich besseren theoretischen Einsichten und Möglichkeiten des Krisenmanagements, nicht zuletzt aufgrund historischer Erfahrungen. Aber auch die reduzierte Zahl der Hauptakteure (USA, EU, China), was die Chancen für ein koordiniertes Vorgehen erheblich erhöht. Anders als in den 30er Jahren sind diese den undurchschauten „Marktkräften“ nicht mehr so hilflos ausgesetzt – es sei denn, dies ist durch „Deregulierung“ politisch gewollt.
    Aus eben diesem Grund bin ich der Meinung, dass die von populistischen Parteien betriebene Renationalisierung – so sie denn erfolgreich wäre – die Krise und damit die Gefahr für die Demokratie erheblich verschärfen würde. So etwa habe ich in einem Faz.net-Beitrag der polemischen Bezeichnung der EU als „US-Pudel“ die Frage entgegengesetzt: „Statt einem großen Pudel lieber 28 kleine?“

    Und wie steht es mit dem dritten Faktor, den politischen Akteuren und deren Einflussmöglichkeiten, etwa über Multiplikatoren?
    Zurück zum Nazi-Beispiel: Deren Wirkungsmöglichkeiten beruhten, nach der Machtübernahme, wesentlich auf Multiplikatoren, eingebunden in einer straffen hierarchischen Organisation, so Lehrer und Universitätsprofessoren, aber auch besonders im Jugendbereich durch HJ und deren Unterorganisationen. Ergänzend, und bereits vor der Machtübernahme, spielt aber die NS- sowie nationale Presse eine große Rolle, vielleicht mehr noch der erst aufgekommene Rundfunk mit seiner ihm (damals) immanenten Faszination.

    Wendet man diese Studie der Wirkungs- und Verbreitungsmöglichkeiten auf aktuelle Tendenzen an, etwa das unter #70 genannte Beispiel der Homophobie, so erscheint die homophobe Äußerung zunächst als relativ belanglos. Kritischer ist schon die Rolle des Herrn Professor Hillgruber zu sehen, der nicht nur als Multiplikator tätig ist, sondern der den aus dumpfem Bauchgefühl entwachsenen Äußerungen auch noch pseudowissenschaftlichen und pseudodemokratischen Nimbus verleiht – wozu der Online-User schon geistig nicht in der Lage wäre. Entsprechend verständlich die begeisterte Aufnahme der professoralen Ergüsse bei bestimmten Online-Usern.

    Dennoch gilt es, einen wesentlichen, mit den Möglichkeiten des Internets verbundenen, Unterschied der Kommunikationsbedingungen im Vergleich zur Vor-Internet-Zeit zu beachten (dies habe ich in meinem Einleitungsbeitrag angedeutet):
    Dem einzelnen Online-User, der seinem unkontrollierten Bauchgefühl öffentlich Ausdruck verleihen will, stehen (zumindest prinzipiell) nahezu die gleichen Wirkungsmöglichkeiten zur Verfügung wie einem Journalisten – und er ist zudem „freier“, nicht eingebunden in ein auf gemeinschaftliche Verantwortung ausgerichtete Redaktion. Zugleich erhöht dies wiederum die Bedeutung der Hillgruberschen professoralen Aura – und Herr Hillgruber ist bekanntlich nicht der einzige Professor, der in Hinblick auf Entfaltung populistischer Bewegungen auf sich aufmerksam gemacht hat.

    Zusammenfassung:
    Aus den Ausführungen folgt, dass sich aus den Möglichkeiten des Internets auch erhebliche Möglichkeiten für gesellschaftliche Veränderungen, auch für Steuerung ergeben. Diese im Einzelnen zu erfassen und Prognosen zu treffen, setzt eine differenzierte Analyse aller genannten Faktoren voraus. Dies im Alleingang und auf der Grundlage unvollständiger Analysen versuchen zu wollen, wäre mehr als anmaßend.
    Prinzipiell kann man aber wohl davon ausgehen, dass (die Ukraine-Debatte veranschaulicht dies) Einflüsse auf das Verhalten vieler Menschen (also auch von Massen), gerade auch durch Emotionalisierung, unter den Bedingungen der Internetkommunikation sehr schnell verbreitet und verstärkt werden können.

    Schlussfolgerung:
    Sehr wesentlich erscheint mir der Hinweis auf veränderte Kommunikationsbedingungen im Internet-Zeitalter, wenn es um die Diskussion geht, wie solche Tendenzen eingedämmt werden können.
    Und im Vorgriff möchte ich die These aufstellen, dass angesichts der „Demokratisierung“ – sprich: Anpassung der Wirkungsmöglichkeiten – durch das Internet (wenn man will, auch „Waffengleichheit“) bezüglich der Verantwortlichkeit für seine Äußerung zwischen Journalist und Online-User prinzipiell auch die gleichen Maßstäbe anzulegen wären.
    Was das im Einzelnen bedeutet, wäre natürlich zu diskutieren.

  74. Demokratisierung im Netz bzw. durch das Netz – ja, das ist eine schöne Idee. Das Problem dabei ist jedoch, dass im Netz prinzipiell jeder schreiben kann, was er will, ohne dafür verantwortlich sein zu müssen. Das gilt durchaus auch für Blogger wie mich, wobei für mich aber das Presserecht im Boot ist. Wenn ich mir nun mal anschaue, was für eine Unzahl von Verschwörungstheorien im Netz kreisen, wird mir ganz schwindlig. Und wenn ich mir vorstelle, wie viel Anklang dieses teils krude Zeug finden mag, wird mir schlecht. Auch intelligente Menschen sind nicht davor gefeit, dem Reiz solcher Theorien zu erliegen. Ein Beispiel aus meiner Leserbriefpraxis: Vor einer Weile habe ich den Brief einer Leserin veröffentlicht, die einen Zusammenhang herstellte zwischen den Waffenlieferung an die Peschmerga und wirtschaftlichen Interessen von westlichen Konzernen im Kurdengebiet im Nordirak. Ein paar Tage später schrieb mir ein anderer Autor einen Leserbrief, der mit der Feststellung begann: Wie ich aus einem Leserbrief erfahren habe, sind wirtschaftliche Interessen ausschlaggebend für die Waffenlieferungen an die irakischen Kurden. Ich war ehrlich gesagt entsetzt, als ich das las, denn die Leserin hatte keine Tatsachen behauptet, sondern lediglich Vermutungen angestellt, die man für mehr oder weniger glaubwürdig halten konnte. Aber mehr als Spekulation war das zu diesem Zeitpunkt nicht. Der Leser hatte das aber offensichtlich wie eine Tatsachenbehauptung aufgefasst. Anscheinend passte diese Theorie gut in dessen Weltbild. Ich habe diesen Leserbrief nicht veröffentlicht, mich selbst aber gefragt, ob ich mit der Veröffentlichung dieser Zuschrift – sie war außerdem auch noch ziemlich lang – nicht vielleicht einen Fehler gemacht habe. Doch ich kann die Leserinnen und Leser nicht aus der Verantwortung entlassen, sich selbst durch Nachdenken ein eigenes kritisches Bild zu machen (durchaus auch von meiner Arbeit) und ihre eigenen Positionen gelegentlich zu hinterfragen. Das scheint jedoch eine Haltung zu sein, die sich keiner allzu großen Verbreitung erfreut.

    Tendenziell scheint es so zu sein, dass die Userschaft gern wahrnimmt, was das eigene Weltbild bestätigt, und andere Positionen werden ignoriert oder bekämpft, teils sogar mit harten Bandagen. Ich kann nicht erkennen, was man diesem Verführungspotenzial entgegensetzen könnte – außer journalistischer Glaubwürdigkeit, mit der die Kolleginnen und Kollegen mit ihrem Namen für ihre Arbeit einstehen. Aber diese Glaubwürdigkeit scheint immer weniger gefragt zu sein. Die Print-Medien sind seit Jahren in einer Strukturkrise, die auch mit dem hier skizzierten Problem zu tun hat.

    Wie sollte man denn versuchen, diese Tendenzen einzudämmen?

  75. #76:

    „Tendenziell scheint es so zu sein, dass die Userschaft gern wahrnimmt, was das eigene Weltbild bestätigt, und andere Positionen werden ignoriert oder bekämpft, teils sogar mit harten Bandagen.“ –
    Da stimme ich absolut zu, zumindest was die beschriebenen Formen der Kommentierung in Online-Foren betrifft, speziell der im populistischen Umfeld. Darauf kann man aber, wie in #75 ausgeführt, noch keine Handlungsstrategie aufbauen.

    „Demokratisierung im Netz bzw. durch das Netz – ja, das ist eine schöne Idee. Das Problem dabei ist jedoch, dass im Netz prinzipiell jeder schreiben kann, was er will, ohne dafür verantwortlich sein zu müssen. Das gilt durchaus auch für Blogger wie mich, wobei für mich aber das Presserecht im Boot ist.“ –

    Natürlich habe ich das Wort „Demokratisierung“ (in Anführungszeichen) durchaus mit ironischem Unterton gemeint.
    Ironisch daher, weil es sich primär auf Vorstellungen von „Demokratisierung“ bezieht, wie es in populistischen Kreisen gerade Usus ist, äußerlich als Forderung nach „direkter Demokratie“ nach Schweizer Vorbild drapiert.
    Was sich wirklich dahinter verbirgt, lohnt sich zu untersuchen.
    Besonders schön zeigt sich das bei dem wohl „fleißigsten“ User auf Faz.net, von dem schon andere Kostproben hier stammen.
    Da predigt er zunächst – und das klingt alles noch sehr schön:
    „Demokratie wie in der Schweiz, dann ist wurscht, wer bei Wahlen welche Mehrheiten, Koalitionen, udgl., hat.“
    (Schwarz-grüne Sondierung -„Kann mir nicht vorstellen, dass man das vier Jahre tun könnte“,FAZ,10.10.3013).
    Ganz anders hört es sich schon an, wenn es um Zuwanderung geht:
    „VOLKSABSTIMMUNG mit Bindung des Bundestages…dann Abschaffung der ungehemmten Freizügigkeit und Rückführung . SO funktioniert das, wenn der Bürger entscheidet, statt ‚Politikern‘.“
    (Armutseinwanderung – Alarm im Getto Dortmund-Nord, FAZ, 12.10.2013)
    Bei Le Pen freilich kann er seine Begeisterung nicht mehr bremsen und lässt die Katze aus dem Sack:
    „Das wird noch sehr interessant, um nicht zu sagen, schön, wenn LePen es schafft, und Präsidentin in Frankreich wird! SAFTIG ! Und wenn sie dann umsetzt , wofür die gewählt wurde, ist das Kartenhaus EU umgepustet! Aaaah- frische Luft !
    (Marine Le Pen – Eine Frau will an die Macht, FAZ, 14.10.2013).

    Freilich nur Äußerungen eines Users, und nicht jeder entlarvt sich so schön selbst. Doch die Tendenz ist bei vielen ähnlich und zieht sich auch durch alle nur denkbaren Themen. Der jeweilige Artikel oder das Thema spielt meist keine Rolle mehr, dient nur als Aufhänger, um die eigenen Ergüsse über andere zu vergießen.

    Nun würde ich das deswegen noch nicht so pessimistisch sehen. Es sind ja, wie unter #75 ausgeführt, einige Faktoren zu berücksichtigen. Und prinzipiell halte ich es da eher mit Heinrich Heine: „Glauben Sie mir, die Menschen sind keine Esel.“

    Was die Freiheiten und Möglichkeiten eines Online-Users betrifft, die denen eines Journalisten nahezu gleich kommen, ohne dass damit die entsprechende Verantwortung verbunden ist, meine ich: Da liegt der Hase im Pfeffer!
    Das scheint mir auch der Grund zu sein für die oft feststellbare Arroganz und Meinung, Wahrheit und Moral für sich gepachtet zu haben.
    Ich meine daher, dass bei der Diskussion darüber, wie dies eingedämmt werden kann, eben da anzusetzen wäre. Und ganz sicher wären dabei auch die Bestimmungen des Presserechts ins Spiel zu bringen.

    Bevor wir so weit kommen, sollten wir, meine ich auch andere zu Wort kommen lassen und Gelegenheit geben, zu dem bereits Ausgeführten Stellung zu beziehen.
    Außerdem bin ich ja noch die Antwort zur Frage „mangelnde Empathie“ schuldig.
    Das wäre frühestens heute Abend fällig, da ich inzwischen noch einiges zu erledigen habe.

  76. „Tendenziell scheint es so zu sein, dass die Userschaft gern wahrnimmt, was das eigene Weltbild bestätigt,“
    Das gilt doch für uns alle. Ich glaube niemandem, der behauptet, dass er sich freut, wenn seine Theorien falsifiziert werden.

  77. #74
    Nun also zur Frage des „Mangels an Empathie“ und der Tendenz zur „Verrohung“.

    Zunächst zur Definition:
    Wikipedia stellt den Zusammenhang zum Selbstbild her:
    „Grundlage der Empathie ist die Selbstwahrnehmung; je offener man für seine eigenen Emotionen ist, desto besser kann man die Gefühle anderer deuten.“
    Empörung wird dagegen als „empfundene Entwürdigung“ und als „offener Widerstand gegen die Obrigkeit“ definiert.
    Empathie scheint der Empörung geradezu entgegengesetzt zu sein. Sie stellt sich selbst in Frage, ist auf Empfang eingestellt. Empörung dagegen projiziert eigene Gefühle nach außen, sucht dort nach Schuldigen.
    Vielleicht ist eine Kultur der Empathie in eine „Kultur“ der Empörung übergegangen.
    Im 18. Jahrhundert pflegte man im Theater vor Rührung zu weinen, und für Lessing stellt „Mitleid“ (heute eher: Mitempfinden) eine zentrale Kategorie seines Theaters dar. Heute steht man oder setzt man sich selbst unter Zwang, pausenlos „auf Sendung“ zu sein. Und die Sozialen Medien sind daran sicher nicht ohne Schuld.

    So weit die Vorbetrachtung, um zu markieren, dass dies in weiterem Kontext betrachtet werden muss. Der moralische Fingerzeig auf andere wäre da nicht angemessen, umso mehr, als eine im moralischen Empfinden und Bewusstsein eines anderen angesiedelte Kategorie wie „Empathie“ nur bedingt aus Äußerungen erschlossen werden kann.
    Empörung festzumachen stellt dagegen nicht das geringste Problem dar.
    Ich würde daher statt „Mangel an Empathie“ eher von „Empörung als Selbstzweck“ sprechen. Dabei will ich allerdings einem Stéphane Hessel – den ich sehr bewundere – wegen seiner Schrift „Empört euch!“ nicht Unrecht tun. Seine Analyse ist sehr präzise, seine Haltung mit Sicherheit von großer Empathie bestimmt.

    Davon kann bei vielen, fast durchgehend im Empörungston gehalten Online-Beiträgen, vor allem bei der Ukraine-Debatte nicht die Rede sein.
    Apodiktische Urteile wie die Folgenden basieren auf einem völlig festgefügten Weltbild, lassen nicht die geringste Spur von Reflexion oder gar Selbstreflexion erkennen:
    „In Russland ist Putin ein Garant des Friedens.“ (Krise in der Ukraine Putin warnt Organisationen vor „destruktiven Taten“, Faz.net, 7.4.2014)
    „Der Aggressor ist die USA, vertreten durch EU und NATO, das Opfer letztlich die Bevölkerung der Ukraine, und Deutschland, das den ganzen Schaden zahlen muß“ (Krisendiplomatie Keine Vermittlung, FAZ,7.4.2014.
    Noch weniger die schon in #73 zitierte Äußerung: „EU und USA paktieren mit Mordbrennern.“
    Es ist leicht zu erkennen, dass es hier nicht im Geringsten um Empathie mit den Menschen in der Ukraine geht.

    Bedeutet das aber eine allgemeine Tendenz zur „Verrohung“? –
    Verrohung in der Sprache sicher, Vergröberung im Denken wohl auch. Doch muss dies notwendigerweise „Verrohung“ im Handeln bedeuten?
    Weit bedenklicher erscheinen mir Meldungen wie folgende:
    „Viele der Millionen Zuschauer verabscheuen die Terroristen und können auf einen „Islamischen Staat“ gut verzichten; das schreiben sie in die Nutzerkommentare unter die Videos. Aber es fasziniert sie, wie die IS-Kämpfer das Köpfen inszenieren. Nicht maximal blutrünstig, sondern als Unterhaltungsshow. (…) Die Terroristen enthaupten Geiseln und stellen Videos davon ins Netz. Allein die Hinrichtung von James Foley wurde auf einer Internetseite, die solche Filme duldet, bisher 1,3 Millionen Mal angesehen.“
    (Terrormiliz „Islamischer Staat“ – Soziale Netzwerke als Waffen, FAZ, 20.10.14) –
    Hinrichtungen, Grausamkeiten als Unterhaltungsshow, gewissermaßen zum Nachtisch serviert. Allein bei der Vorstellung davon läuft es mir kalt über den Rücken, und es macht mich sprachlos.

    Was das gesellschaftlich bedeutet und wohin es führen kann, lässt sich wohl erst kaum erahnen.
    Sicher erscheint mir aber, dass das, was wir hier beschreiben und zu analysieren suchen, auch in einem solchen Kontext betrachtet werden muss.

  78. zu 80 # runeB
    Sehr geehrter Herr Bronski:

    Das Ergebnis der Moderation ist vorhersehbar.
    Hätte ich die Mitteilung, mein Beitrag würde am Thema vorbeigehen, früher erhalten, hätte ich mir diese Arbeit sparen können.
    Ich bedauere, dass Herr Engelmann, dessen Beiträge ich stes mit Aufmerksamkeit gelesen habe, meine Ausführungen schon etwas einseitig umgedeutet hat und dadurch mich in eine bestimmte Ecke gestellt hat. Ohne dass ich Gelegenheit hatte, eine Richtigstellung vorzunehmen.
    Aber damit werde ich leben müssen und können.

  79. Lieber runeB,

    darüber werden wir vielleicht noch mal bei anderer Gelegenheit reden können. Dass der Beitrag in dieser Form am Thema vorbeigeht, lag doch aber auf der Hand.

    Viele Grüße
    Bronski

  80. zu 84 #

    Sie handeln im Rahmen des blogs recht fair. Dafür danke ich Ihnen.

    Ich will nur Eines sagen, dieses Thema ist so heiß, dass Sie es nicht behandeln werden oder wollen. Sie werden auch Informationen, die dem „mainstream“ nicht entsprechen, nicht wahrhaben wollen. Dabei wäre eine ehrliche, schonungslose Diskussion angebracht. Aber bitte ohne Hassgesänge.
    Ehrlich gestanden, mich graust es auch, auf die Folgen hinweisen zu müssen. Ob mein Beitrag am Thema vorbeigeht, vermag ich nicht wirklich zu beurteilen. Das können Sie besser bewerten, da Sie das Thema gestellt haben.

    Nur sollte Herr Engelmann den Sack, in dem alle als Populisten hineingesteckt werden , die nicht dem „mainstream“ folgen, etwas kleiner machen.

    Herrn Engelmann ist zu danken, dass er sich der Mühe unterzogen hat, dieses blog zu kommentieren. Das steht außer Frage.
    Ich erwarte nicht, dass dieser Beitrag die Moderation ohne Konsequenzen verlässt. Für so wichtig halte ich mich nicht.

  81. #81, runeB

    Ich kann auch nach sorgfältiger Durchsicht meiner Beiträge #48 und 66, die sich auf Anmerkungen von Ihnen beziehen, nicht erkennen, wo darin etwas „umgedeutet“ worden sein soll. Noch weniger, wo ich Sie „in eine bestimmte Ecke“ gestellt haben soll – dies schon deshalb nicht, weil ich mich an keiner Stelle, nicht einmal andeutungsweise, auf Sie als Person beziehe. Ich habe lediglich meine Sicht der von Ihnen angesprochenen Probleme dargestellt. Und das ist wohl der Sinn jeder Diskussion.
    Ich halte es ohne klare Benennung dessen, was Sie meinen, auch nicht für möglich, darüber Klarheit herzustellen.
    Freundliche Grüße
    Werner Engelmann

  82. Ich konnte diese interessante Diskussion zwar nicht vollständig verfolgen, aber ein paar Anmerkungen will ich doch machen.

    1.Insgesamt wird die Diskussion aus einem „erhöhten“ Blickwinkel geführt, eine Geringschätzung weniger intellektuell gestrickter Schreiber ist spürbar.

    2. Die „Verrohung“, die in Sprache und Umgang festgestellt wird, wird allzuleicht aus der Gesinnung und dem angeblich mangelnden Intellekt der Schreiber gefolgert. Im Gegenteil ist seit Jahrzehnten eine Verrohung der Sprache, Bildsprache und Berichtssprache in den Medien zu verzeichnen, gleichzeitig auch eine unbeschreibliche Verrohung der Wirklichkeit, der keine Sprache mehr angemessen werden kann. Medien und Wirklichkeit sind Ergebnisse des Tuns angeblich wohlgesinnter und gebildeter Zeitgenossen! Es hat in der Diskussion den Anschein (ich sagte Anschein!), daß der Grund für die Verrohung der Sprache in der Haltlosigkeit der Menschen und Verantwortungsfreiheit des Internet zu suchen sei. Ich behaupte, sie ist in der Verrohung der Wirklichkeit zu suchen und wird durch die Verrohung der Darstellungen von Wirklichkeit befördert. Nach der moralischen Sprachlosigkeit kommt die unmoralische Sprachgewalt. Medien provozieren Empörung, mit guten Recht, aber sie wissen sie nicht zu lenken.

    3. Ein besonderer Aspekt ist der „Sensationstransport“, der durch alle Medien genutzt, hervorgerufen und manipuliert wird. Die moralische Sprachlosigkeit wird im Wind der Sensation ausser Kraft gesetzt, meist mit dem Verweis auf die Berichtspflicht, tatsächlich aber deshalb, weil ein Medium nicht sprachlos (bildlos etc) existieren kann.

    4. Das (nicht mehr) demokratische Internet wird als Empörungsapparat mißbraucht, der Gesellschaftsfantasien aus der Vornetzzeit erfüllen soll. Das im Ursprung unprätentiöse Internet ist korrumpiert worden, zunächst durch wirtschaftliche, später durch politische, aktuell wieder und grenzenlos durch wirtschaftliche Interessen. Letztlich kommt es aber nicht auf das Medium an, da jeder Unsinn einen Weg finden wird, sich durch die verfügbaren Medien zu verbreiten, es kommt auf die Lebenswirklichkeit der Menschen an. Ich wiederhole und betone deshalb nochmals meine Haltung, daß Internet, Zeitungen und alle anderen Medien nicht den Anspruch auf „Realitätsabbildung“ erheben dürfen. Sie sind und bleiben bewußt (und deshalb eingeschränkt) gestaltende Realitätsverfälscher. Niemand kann die Welt durch Medien wahrnehmen, in den Medien ist die Welt nicht wahr.

    5. Wünschenswert wäre, das Internet von politischen und wirtschaftlichen Interessen zu befreien und es als den virtuellen Raum zu etablieren und zu akzeptieren, den es darstellt. Niemand in der Welt wird die Forderung nach Gedankenfreiheit von dem Gedanken der Freiheit trennen können, aber im Internet und allen anderen Medien ist die Welt nicht wahr. Internet und Medien sollten daher keinen direkten, meinungs- und handlungsbildenden Einfluß haben.

    6. Letztlich gilt in der Demokratie: Die Abgeordneten sind in ihren Entscheidungen frei. Auch frei von Presse , Internet, Demonstrationen, der öffentlichen Meinung. Manchmal scheint mir, daß die Bedeutung dieser Bestimmung vergessen wird.

  83. zu 86 # Werner Engelmann
    Wir sprechen aneinander vorbei.

    Lesen Sie meinen unerlaubten Beitrag 80. Da steht eigentlich alles drin. Sollten Sie meine Ausführungen als unbegründet ansehen, so akzeptiere ich das. Aber teilen Sie es mir mit. Unterschiedliche Meinungen gehören dazu.

    Ich respektiere Ihre Arbeit, weil wirklich altruistisch. Hierfür sei Ihnen ausdrücklich gedankt. Wieviel Zeit haben dafür geopfert?
    Da störe ich mit meinen realistischen Aussagen zu Schweden. Entschuldigung, da habe ich unpassend mich zu Wort gemeldet.
    Gewiss Frau Carlqvist holt weit aus, aber das entspricht — so sehr Sie das und Herr Bronski ins Reich der Fabeln verweisen wollen – einer immer näher rückenden Realität. Das muss gesagt werden dürfen … unter sechs Augen.
    Sie und Herr Bronski sollten sich wenigstens einen kleinen Schritt aus dem Elfenturm Ihrer Rechtfertigungsgefühle herausbegeben. Die Welt besteht nicht nur aus Gutgläubigen.
    Um Missverständnisse zu vermeiden, Europa ist eine gute Ideee, aber entsetzlich schlecht realisiert. Leider … leider.
    Verzeihen Sie bitte, aber das musste gesagt werden.
    Ich erwarte nicht die Zulassung zum blog, also keine Publikation. Das wäre mir etwas peinlich. Danke.

  84. @ all

    Der Kommentar von runeB ist nicht verständlich ohne die Information, dass ich vorher zwei Kommentare von ihm nicht zugelassen habe, weil sie vom Thema wegführten. Die Carlqvist-Sache möge auch bitte nicht weiter vertieft werden. Kommentar # 80 nach Zählung von runeB ist für andere User nicht sichtbar.

    Die Sache mit dem „Elfenturm“ nehme ich gelassen hin, denn wenn man reflektieren und also verstehen will, entsteht vermutlich zwangsläufig der Eindruck, dass man sich über andere erhebt. Dazu will ich etwas sagen.

    Ich habe höchsten Respekt vor Mitmenschen, die, wie es Leserbriefautoren- und autorinnen tun, sich Zeit nehmen, um einen Brief oder eine Mail aufzusetzen, eine Argumentation zu entwickeln und diese darzulegen. Ob das nun anonym oder unter Klarnamen passiert, spielt in meinen Augen eine untergeordnete Rolle; es handelt sich in jedem Fall um etwas, was Michael Maresch von der „Bürgerredaktion“ als „verantwortete Meinung“ bezeichnet hat und was daher jeden Respekt verdient. „Verantwortete Meinung“ ist ein Begriff, der mir sehr gefällt und der auch dem Geist des Presserechts sowie den Grundsätzen der FDGO entspricht, wonach jeder, der seine Meinung sagen will, dies in unserem Land jederzeit tun kann und auch soll – denn davon lebt die Demokratie.

    Wenn Werner Engelmann und ich solche Kommentare wie die zitierten Kommentare untersuchen, möge dies in diesem Blog bitte zunächst niemand auf sich beziehen.

    Kommen wir zum Thema zurück. Wir waren da schon ein bisschen weiter, als die Kommentare 83 bis 86 vermuten lassen. Das Problem mit der Empathie reicht meines Erachtens tiefer, als es zunächst den Anschein hat. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, mit dem ich mich gern noch etwas tiefergehend beschäftigen würde. Es mag ein wenig absurd klingen, aber vor kurzem hatten wir hier im Blog eine Debatte über das Verhältnis von Radfahrern und Fußgängern. Aus den eingegangenen Mails weiß ich, dass dies etwas ist, was die Menschen sehr beschäftigt. Hier gibt es sehr gegensätzliche Standpunkte, die vermutlich niemand nachvollziehen kann, der nicht in einem Ballungsraum wie Rhein-Main lebt. Auch bei diesem Thema ist der Mangel an Empathie für andere Menschen in meinen Augen auffällig. Radfahrer wollen sich nicht in Fußgänger hineinversetzen und Fußgänger nicht in Radfahrer. Wenn ich mir tagtäglich auf dem Weg in die Redaktion und auf dem Heimweg ansehe, wie da miteinander umgegangen wird, überkommt es mich eiskalt. Das ist nicht viel anders als Debatten auf faz.net …

    Wir haben es also mit einem großen Bogen zu tun. Daher finde ich, dass wir das Problem mal ganz klein angehen sollten. Ich schau mal, ob ich irgendwo in den Verliesen meines Archivs einen User-Kommentar finde, den wir mal Wort für Wort sezieren können. Oder, Werner, wenn Du ein Beispiel parat hast …

  85. Zunächst mal guten Morgen allerseits!
    Wenn so spät nachts Beiträge eingehen, die sehr umfassende Einlassungen erfordern, dann ist man am nächsten Morgen (und darüber hinaus) erst mal beschäftigt. Danke an Bronski für die Klarstellung, denn ich kam mit der Nummerierung tatsächlich nicht mehr zurecht und konnte deshalb auch einige Hinweise nicht mehr verstehen.
    Nun ist es mir sehr wichtig, wie in #77 angekündigt, zur Frage zu kommen, wie denn Hassmails und dgl. eingedämmt werden könnten.
    Ebenso wichtig ist es aber, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass Veranlassung bestünde, vor irgendwelchen Fragen oder Einwendungen zu kneifen.
    Ich möchte im Folgenden daher diese zuerst der Reihe nach abarbeiten.

    Zu #78, Henning Flessner

    „‚Tendenziell scheint es so zu sein, dass die Userschaft gern wahrnimmt, was das eigene Weltbild bestätigt.‘
    Das gilt doch für uns alle. Ich glaube niemandem, der behauptet, dass er sich freut, wenn seine Theorien falsifiziert werden.“

    Sie sprechen hier etwas aus, was mir natürlich klar ist: nämlich dass wir hier ein heißes Eisen anpacken, indem wir versuchen, Verhaltensweisen zu analysieren, die schon ziemlich um sich gegriffen haben. Und dass wir von Leuten, die sich dabei betroffen fühlen, dafür nicht gerade Lorbeeren ernten werden.
    Fragt sich nur, wer sich zu recht betroffen fühlen sollte, und warum Abwehrhaltungen auch bei manchen festzustellen sind, die dazu keine Veranlassung hätten. Man verwechselt Analyse mit Angriff, umso mehr, wenn dies mit einem – absolut notwendigen – intellektuellen Anspruch verbunden ist: in #43 deutlich erkennbar.
    Als Lehrer kennt man solche Situationen. So, wenn in der Klasse jemand etwas ausgefressen hat, der Lehrer Untersuchungen anstellen muss und alle in der Klasse „mauern“ – auch diejenigen, die den Lehrer eigentlich sympathisch finden und ihm Recht geben. Das hat mit Klassendruck zu tun: Man will nicht gern als „Petzer“ dastehen, fürchtet die Reaktion der anderen, wenn man sich „outet“. Also lieber Mund halten.

    Nun gibt es nicht nur Klassendruck, sondern auch gesellschaftlichen Druck, nicht nur schweigende Schüler (und Schülerinnen), sondern auch eine ominöse „schweigende Mehrheit“ in der Gesellschaft, die mittlerweile gar nicht mehr so „schweigend“ ist.
    Dieser sich abzeichnende Umschwung von der „schweigenden“ Mehrheit zu einer rebellierenden ist gerade Gegenstand dieser Untersuchung. Wenngleich sich diese in bestimmten Online-Foren zwar als „Mehrheit“ fühlt und aufführt, zum Glück aber noch lange keine ist.
    Eine durchaus besorgniserregende Entwicklung, welche eine solche Untersuchung nicht nur rechtfertigt, sondern m.E. auch notwendig macht. Und evt. auch erfordert– um im Bild zu bleiben – auch mal „in ein Wespennest zu stechen“.

  86. #87, Bronski

    „Das Problem mit der Empathie reicht meines Erachtens tiefer, als es zunächst den Anschein hat. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, mit dem ich mich gern noch etwas tiefergehend beschäftigen würde.“ –

    Lieber Lutz, ich stimme Dir vollkommen zu, was die Beobachtungen und den Befund angeht.
    Fähigkeit zu „Empathie“ (siehe Definition in #80) ist ein individuelles, im Unterbewusstsein (z.T. auch Bewusstsein) angesiedeltes Problem, aber auch ein zivilisatorisches (und Erziehungs-) Problem.
    In letzterer Hinsicht mein vergleichender Verweis auf die Aufklärungszeit. Ähnlich bei Goethe, wenn er im „Tasso“ zwei „Wahlsprüche“ gegenüberstellt: „Erlaubt ist, was gefällt.“ – „Erlaubt ist, was sich ziemt.“
    Während Goethe eindeutig für letzteren Position bezieht, tendiert unsere Gesellschaft zweifellos zum ersten, zur Beliebigkeit des „anything goes“, was sicherlich einen Mangel an „Empathie“ impliziert. Und was auf seine (notwendigen) Folgen zu befragen ist.

    Ich würde die Analyse sogar noch weiter treiben und vermuten, dass dies mit massiver Überforderung zu tun: auf uns einstürmenden, unverarbeiteten Eindrücken einer als bedrückend empfundenen Welt, die wir nicht mehr erfassen und schon gar nicht begreifen können.
    Und – das erscheint mir das Problematischste – was das Bedürfnis, gar den Schrei nach einer „ordnenden“ Macht befördert, die einfache Weltbilder anbietet, als „Hilfe“, um sich in dem chaotisch erscheinenden Schlamassel zurecht zu finden.
    Was politisch nichts anders heißt als: Schrei nach totalitären Herrschaftsformen – freilich unter dem Banner radikal-„demokratischer“ Lösungen.
    Die entsprechenden Widersprüche und Verschleierungsformen habe ich u.a. unter #77 exemplarisch aufgezeigt.

    Meine Bedenken, dies hier konsequent weiter zu verfolgen, liegen auf einer anderen Ebene.
    In einer Diskussion, die von tatsächlichen Äußerungen und Manifestationen in Online-Foren ausgeht, würde das eine Reihe spekulativer Elemente mit sich bringen, da anhand dieses Materials die These von „mangelnder Empathie“ sich nicht schlüssig erweisen lässt. Wenn wir das in dieser Allgemeinheit behaupten, wird dies mit Sicherheit – und von manchem zu Recht – bestritten werden. Die Beweislage demgegenüber ist ziemlich dünn. Alles würde auf – nicht eindeutig zu erweisenden – Interpretationen beruhen.
    Ein bloßer spekulativer Meinungsaustausch über Eindrücke von unserer Gesellschaft, notwendigerweise ohne konkrete Ergebnisse, erscheint mir in diesem Zusammenhang aber zu wenig.

  87. Da hast Du natürlich recht. Nun, dieser kleine Ausflug ins Spekulative wird schon keinen Schaden anrichten.

    Dieser Schrei nach totalitären Herrschaftsformen, den Du ansprichst … Du lebst ja in Frankreich. Dort gibt es den rechtsextremen „Front national“, der nach und nach zur größten politischen Kraft des Landes zu werden droht. Wenn es einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten von Usern in Online-Foren und der politischen Landschaft geben sollte, müsste das im Umkehrschluss bedeuten, dass die Debattenkultur in französischen Online-Foren noch viel grausiger ist als in deutschen. Konntest Du eine derartige Entwicklung beobachten?

  88. #90:

    Eine kurze Antwort zur „Diskussionskultur in Frankreich“, bevor ich mich an die – weit umfassenderen zuvor angesprochenen Probleme mache.
    Was Online-Foren angeht, muss ich passen, da ich mich darum noch nicht gekümmert habe.
    Nur so viel: Ich habe natürlich auch mit meinem Sohn darüber diskutiert, der in Paris im PS sehr aktiv ist, Partnerschaften zu Berlin-Mitte vermittelt und mehrere Austausche durchgeführt hat.
    Das Problem der „Trolle“ ist hier wie auch in EU-Kreisen ein bekanntes Phänomen, sie werden grundsätzlich ignoriert. Über Diskussionsformen innerhalb des PS berichtet mein Sohn wenig Schmeichelhaftes. Zu kritischen Auseinandersetzungen mit FN-Politik in französischen Städten konnte er mir auch nichts sagen. Es scheint so (da er sich regelmäßig informiert), dass sich da in der öffentlichen Diskussion wenig tut. (Vielleicht – falls ich die Zeit dazu finde – ein Thema für ein späteres Blog.)
    Talk-Shows (die mich anöden) und politische Diskussionen im frz. Fernsehen zu verfolgen, habe ich mir abgewöhnt. Bei dem Durcheinandergerede versteht man sowieso nichts.
    Die allgemein verbreitete Stimmung des „ras-le-bol“ (Schnauze voll) ist, was die Korruptionsskandale bei Regierung wie Opposition angeht, zwar verständlich, hat aber sicher auch mit eigenen irrationalen, sehr verallgemeinernden Einstellungen zu tun. Für Marine Le Pen natürlich Steilvorlagen: Das hier schon diskutierte Phänomen des „Sich-gegenseiten Aufschaukelns“ ist deutlich erkennbar. Ebenso klar, dass das mit EU fast nichts zu tun hat, da man dazu fast nicht weiß – bestenfalls, was die Frage der EU-Subventionen für Landwirtschaft betrifft.
    Das alles unter Vorbehalt, denn mir gegenüber zieht man wenig vom Leder, da man meine Einstellung kennt.

  89. Allgemein. Lese ich Kunstworte wie „Userschaft“, wird mir kulturell schlecht, sprachlich speiübel, fühle ich mich sogar regelrecht entbildet. Lese ich die vielen und wohlformulierten Thesen über die Gründe, warum es zu einer Verrohung in den digitalen Mitteilungswelten gekommen ist, und finde nicht wie selbstverständlich Hinweise darauf, daß es vor allem auch die hoch beschleunigten Reaktionszeiten sind, die sich spezieller Ping-pong-Sprachen bedienen müssen, um in der digitalen Hochgeschwindigkeitswelt mithalten zu können, in der das Diskursive vom Reaktiven verdrängt wird, Abgeklärtheit durch die aufgestachelte Emotion, Reflexion durch orthografieentkerntes Gedröhn, dann ist wohl das Wesentliche beim Erklären verfehlt. Banalität kann höherfrequent als Nachdenkliches (dies ist bewußt schlechtes Deutsch). Das heißt, der Schrittmacher zur Generierung von Klugem wird von dem höherfrequent Banalen deaktiviert. Wer die Sprache durch Panscherei banal macht, überrennt somit (fast) jeden klugen Gedanken, denn er benötigt Zeit, sich zu formen.

    Ein non-Smartphone-User (smartphone non-User ?). Auf deutsch – ich habe keins.

  90. @ V.Grebe

    Danke für Ihre Kritik. Niemand nimmt hier für sich in Anspruch, komplette Erklärungen für die Verrohung im Netz zu liefern. Wir machen uns lediglich im Gespräch Gedanken über die Gründe für diese Verrohung und nähern uns dabei vielleicht einer brauchbaren Erklärung an. Sie haben nun selbst einen ersten kleinen Beitrag zu dieser Debatte geliefert. Warum nicht gleich so? Dabei nehme ich Kritik wie die zum Punkt „Userschaft“ durchaus ernst und an, verweise aber zugleich darauf, dass von niemandem hier – außer vielleicht von mir in meinen Anmoderationen – verlangt werden kann, dass er druckreife Kommentare schreibt. Wenn ich also irgendwo in einem meiner Gesprächsbeiträge ein Wort verwendet habe, das Ihnen übelkeit verursacht, dann tut mir das leid – aber sonderlich schlimm kann ich das nicht finden.

    Werner, greifen wir diesen Punkt mal auf, den V.Grebe eingespeist hat: Zwingt die „digitale Hochgeschwindigkeitswelt“ zu schnellen Reaktionen, bei denen reflektiertes Denken oder auch nur Umgangsformen praktisch gesetzmäßig vernachlässigt werden?

  91. @ runeB

    #86.
    Zunächst danke für Ihre anerkennenden Worte.
    Natürlich war und ist der Zeitaufwand erheblich. Für die Untersuchung bei faz.net, von März bis Juli intensiv, fast täglich mehrere Stunden. Und die letzten 6 Tage, mit einigen Unterbrechungen, fast rund um die Uhr.
    Ist mir natürlich klar, dass das nicht von jedem erwartet werden kann und soll. Es gibt m.E. aber auch gewisse gesellschaftliche Verpflichtungen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden sind.
    Von der Methode, sich möglichst aus allem heraushalten, zu nichts konkret Stellung beziehen, um dann in gelegentlichen, mehr oder weniger ironischen Einwürfen auf sich aufmerksam zu machen, halte ich nicht viel (was ich ausdrücklich nicht auf Sie beziehe.) Da ist mir klares Engagement und klarer Widerspruch schon um einiges lieber.

    Was die Carlqvist – und Schweden-Angelegenheit betrifft, verspreche ich Ihnen, mich damit eingehender zu befassen als es bisher möglich war, sobald es die Zeit erlaubt. Ist leider z.Zt. noch nicht der Fall. Wahrscheinlich ergeben sich auch daraus einige Missverständnisse. Natürlich wäre ich auch bereit, in anderem Zusammenhang ausführlicher darüber zu diskutieren – wenn Bronski mitmacht. (Wobei sich natürlich auch hier das Problem der Nachprüfbarkeit der Informationen ergibt.)

    #83

    „Nur sollte Herr Engelmann den Sack, in dem alle als Populisten hineingesteckt werden , die nicht dem “mainstream” folgen, etwas kleiner machen.“

    Auch wenn ich den Inhalt dieser Aussage natürlich klar zurückweise, kann dieser Hinweis m.E. durchaus weiter führen.
    In der Tat kommt man nicht darum herum, sich mit den Definitionen der verwendeten Begriffe zu befassen und seinen eigenen Umgang damit zu überprüfen.

    Zu den Definitionen bei Wikipedia:

    (1) „Populismus“:
    „Der Duden (21. Auflage) erklärt den Begriff als opportunistische Politik, die die Gunst der Massen zu gewinnen sucht. (…) Einerseits handelt es sich um einen spezifischen Politikstil, eine Form der politischen Rhetorik, andererseits wird Populismus in der Forschung auch als Ideologie eingestuft.
    (2) „Mainstream“:
    „Der Mainstream (englisch für Hauptstrom) bzw. Massengeschmack spiegelt den kulturellen Geschmack einer großen Mehrheit wider. Medialer Mainstream baut auf dem System der Massenmedien auf.“

    Auswertung:
    „Populismus“ und „Mainstream“ beziehen sich also auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche (Politik einerseits, Kultur andererseits), können demnach nicht als Gegensatzpaare angesehen werden.
    Wenn dies dennoch – in bestimmten Online-Kommentaren ganz massiv – geschieht, hat dies offensichtlich ideologische oder propagandistische Gründe. Die liegen m.E. auf der Hand:
    Der vage Gebrauch der Begriffe, der Politik und Kultur miteinander vermischt, macht eine differenzierende Kritik – offenbar nicht intendiert – unmöglich. Die pauschale Zusammenfassung aller anderen Positionen außer der eigenen als angeblich dem „Mainstream“ folgend, stempelt die anderen als die dummen Verführten ab. Durch die eigene Abgrenzung dagegen verleiht man sich selbst den Nimbus des standhaft Widerstehenden. Bei jeder Kritik kann dann (bei AfD-Sympathisanten in Online-Foren massiv zu beobachten) die Selbststilisierung als „Verfolgter“ folgen – natürlich gekoppelt mit Behauptungen über Manipulationen der „Mainstream-Presse“.

    Solche Strategie wird unterfüttert mit Wortungeheuern, als da sind:
    „CDUCSUSPDFDPLinke Grüne“ – „Mainstreamparteien“ –
    „EUUSA“/„EUSA“ – „EU-Diktatur“ – „EU/Euro-Terror“ – „Eurofaschismus“ –
    „ZK der EUdSSR“ – „EU-Apparatschicks“ – „EUktaren“ – „EU-Verbrecher“ –
    „EUdSSR-Claqueure“ – „EU-Fanatiker“ – „US/EU-Faschisten“ – „PseudoMenschrechtsaktivist-Mietmäuler“.
    Wenn die Gelegenheit günstig scheint, wird eine persönliche Diffamierung angefügt:
    „Gourmet-Schulz“, „van Dumpfboy“, „Luegen-Juncker“, „Stammel-Oetti“, „Schwätze-Schulz und Konsorten“.

    Die Unwort-Sammlung entstammt Online-Foreneinträgen zu unterschiedlichen Nachrichten und Kommentaren der FAZ, vorwiegend zum Ukraine-Konflikt. Sehr auffällig, dass sich praktisch alle, unabhängig vom Thema, auf die EU beziehen.
    Das Feindbild ist also völlig klar. Die Funktion solcher Sprache auch: Psychologische Kriegführung fernab vom eigentlichen Geschehen.

    Mit Kritik an gesellschaftlichen Zuständen in Hinblick auf Veränderung hat all das natürlich nichts mehr zu tun. Mit Diskussion darüber ebenso wenig. Es ist Ausdruck von Diskussionsverweigerung.
    Dies lässt sich an mehrfachen Versuchen zu Diskussionsansätzen zeigen, auch bei Faz.net, die regelmäßig gescheitert sind.
    Dies hier zu dokumentieren, würde allerdings ein Eingehen auf die angesprochenen Inhalte erfordern und den Rahmen sprengen. Daher hier nur zwei Einschätzungen eines Users, der dies schon vielfach versucht hat:
    „Hier im Forum lerne ich, wie es einer großen Gemeinschaft gelingt sich in Empörungsschleifen hineinzusteigern und sich zugleich der Diskussion zu verweigern. Thema kreisen fast immer um die Bosheit der Welt und fast nie um mögliche realistische Handlungsalternativen.“
    (EU-Kommissar Olli Rehn im F.A.Z.-Gespräch „Sollte es so weitergehen, wird Russland in die Rezession fallen“, Faz.net, 6.4.2014)
    „Soviel Hass und Irrationalität wie einem aus den bisherigen wenigen Kommentaren zu diesem Artikel entgegenschlagen habe ich bisher im Forum noch nicht erlebt. Ich bin ja sonst immer für Diskussion, aber hier hat es einfach keinen Sinn.“
    (UkraineKiew droht pro-russischen Separatisten mit Militäreinsatz, Faz.net, 9.4.2014)

    Eigener Sprachgebrauch:
    Mein eigener Gebrauch von Begriffen geht davon aus,
    (1) dass Sammelbezeichnungen notwendig sind, weil man sich sonst auf tausend Einzelfälle beziehen müsste,
    (2) dass dies auf der Grundlage einer möglichst neutralen Begriffsbestimmung entsprechend den gängigen Nachschlagewerken zu geschehen hat (s.o.: Duden Wikipedia). Erst dies ermöglicht eine sachliche Diskussion.
    Dementsprechend erfolgt mein Gebrauch des Terminus „populistisch“ jeweils in einem konkreten Kontext mit klarem Bezug: so politische Grundpositionen (Front National, #49, 50, 75), emotionale Kampagnen zur Zuwanderung (#66) oder Beiträge mit Hassbotschaften (#68). In #48 ist er ausdrücklich durch Anführungszeichen als nicht meinem Sprachgebrauch entsprechend gekennzeichnet.
    Angesichts der oben genannten Bezüge eine sachliche, sehr zurückhaltende Bezeichnung, die sich deutlich von dem aufgezeigten massiv ideologisch geprägten Sprachgebrauch unterscheidet.
    Ich wüsste nicht, wie es vernünftigerweise anders geschehen sollte.

  92. # 92/93 V.Grebe/Bronski:

    „Zwingt die ‚digitale Hochgeschwindigkeitswelt‘ zu schnellen Reaktionen, bei denen reflektiertes Denken oder auch nur Umgangsformen praktisch gesetzmäßig vernachlässigt werden?“ –

    Ich kann dieses Argument nur sehr bedingt nachvollziehen.
    Schon früh lernen Kinder, dass der eigene Sprachgebrauch sich der jeweiligen Situation anpasst. Dass man z.B. mit Erwachsenen anders spricht als mit Spielkameraden.
    In den späten 60er und frühen 70er Jahren wurde intensiv zu soziokulturellen Unterschieden des Sprachverhaltens geforscht. Es wurden Strukturunterschiede bei „kontextabhängigem Sprechen“ (Unterschicht) und „kontextunabhängigem Sprechen“ (Mittelschicht) festgestellt (Erika Runge, Bernstein, Oevermann u.a.). Daraus ging das Konzept der „kompensatorischen Spracherziehung“ hervor, mit dem Ziel, das für gesellschaftliche Situationen ungeeignete (nicht unbedingt: defizitäre) „kontextabhängige Sprechen“ auszugleichen, also „kontextunabhängiges Sprechen“ zu üben. Dies wird schon seit Jahrzehnten zumindest in allen Kindertagesstädten praktiziert. (Daher ein wichtiges Argument für den Besuch von Kindertagesstädten gerade bei Zuwandererkindern, um Voraussetzungen für Schulerfolg zu schaffen.)
    Wenn das oben genannte Argument tragfähig wäre, dann würde dies eine allgemeine Tendenz zur Infantilisierung bedeuten. Und unsere gesamte Vorschul- wie Schulerziehung käme einer Bankrotterklärung gleich.
    Man kann wohl davon ausgehen, dass ein jeder die geistigen Fähigkeiten besitzt, zwischen einer SMS an einen Freund und einem Vorstellungsgespräch beim künftigen Arbeitgeber zu unterscheiden – so er denn will. Ich wüsste nicht warum das in einem Blog anders sein sollte – wo dazu ja die Möglichkeit besteht, alles vorzuformulieren, zu korrigieren und hereinzukopieren statt wild darauf loszuposten.
    Die Schaffung von Wortungeheuern, wie ich sie in #94 aufgeführt habe, ist damit schon gar nicht zu erklären.

  93. Das intellektuelle Niveau hier ist beachtlich, aber auch etwas abschreckend.
    Ich befürchte, dass mein Sprachgebrauch (nur naturwissenschaftlicher Zweig des Gymnasium) den Ansprüchen hier nicht genügt.
    Trotzdem:
    Ich habe den Eindruck, dass sie aus den Kommentaren in Internetforen gesellschaftliche Tendenzen herauslesen wollen z.B. eine Verrohung der Gesellschaft.
    Dem möchte ich widersprechen. Es fehlt dafür m. E. jede Datenbasis.
    Ich bezweifle, dass die Menschen früher mehr Empathie hatten.
    Ist dieser Eindruck nicht doch eher einem allgemeinen Pessimismus zu verdanken, der uns angeboren zu sein scheint. Alles wird immer schlimmer und das schon seit Sokrates. Ganze Bibliotheken sind damit vollgeschrieben worden.
    Sicherlich ist die Welt noch nicht gut, aber sie wird besser.
    Unser Eindruck mag oft ein anderer sein, weil uns die Medien (fast) immer nur die schlechten Seiten zeigen. Das ist kein Vorwurf, denn das schlechte fasziniert uns viel mehr als das Gute. „Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten.“ Eine gehässige Zuschrift fasziniert viel mehr als Herrn Engelmanns Analyse derselben.

  94. @ Matthias Borck-Elsner, #85

    Endlich komme ich zu Ihrem sehr ausführlichen Beitrag. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.
    Ich gehe einfach die Punkte einzeln durch.

    Zu 1)
    „Insgesamt wird die Diskussion aus einem ‚erhöhten‘ Blickwinkel geführt, eine Geringschätzung weniger intellektuell gestrickter Schreiber ist spürbar.“ –
    Dem ersten stimme ich völlig zu. Wenn der Nachsatz richtig wäre, täte mir das sehr leid. Es ist mit Sicherheit in keiner Weise intendiert.
    Ein „erhöhter Blickwinkel“ hat etwas mit Überblick zu tun – geradezu eine Notwendigkeit, wenn man eine Fülle von Material mit einzelnen Äußerungen überblicken, nach Strukturen sichten und Schlüsse daraus ziehen will. Jede Analyse ist ein intellektueller Akt, der über Einstellungen zu anderen nichts aussagt.
    Es geht prinzipiell nur um Interpretation des zu analysierenden Materials – welches freilich in gewissem Maß auch Rückschlüsse auf Sprecher zulässt. (Natürlich habe ich eine linguistische Ausbildung hinter mir, sonst würde ich mir das nie erlauben.)
    Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich dabei nirgendwo generalisierend eine „Geringschätzung weniger intellektuell gestrickter Schreiber“ zum Ausdruck gebracht habe. Im Gegenteil: #70 zeigt dass ich mit einem Prof. Hillgruber deutlich schärfer ins Gericht gehe.

    Zu 2/3)
    „Die ‚Verrohung‘, die in Sprache und Umgang festgestellt wird, wird allzu leicht aus der Gesinnung und dem angeblich mangelnden Intellekt der Schreiber gefolgert.“ –
    Hier gebe ich Ihnen absolut Recht. Aus eben diesem Grund lehne ich Schlussfolgerungen auf die „Gesinnung“ generell ab und bin auch mit anderen Schlüssen sehr vorsichtig (vgl. „Empathie“, #80, 89). Politische Einstellungen sind aber etwas anderes als „Gesinnung“, die lassen sich aus dem Sprachgebrauch i.d.R. recht eindeutig erschließen.

    – „Verrohung der Wirklichkeit“ und „Verrohung der Darstellungen von Wirklichkeit“ „Sensationstransport“. –
    Hier gibt es zweifellos Zusammenhänge. Bei „BILD“ etwa besteht das Problem schon seit über 60 Jahren, und die 68er haben dies massiv kritisiert. Vom Presserat gab es dazu schon über 40 strenge Rügen.
    Das Thema hier ist aber nicht „Verrohung“ im Allgemeinen, sondern der Einfluss von Online-Foren auf Sprachverhalten.

    Zu 4)
    „Niemand kann die Welt durch Medien wahrnehmen, in den Medien ist die Welt nicht wahr.“ –
    Das wird man in dieser Absolutheit und Verallgemeinerung wohl nicht sagen können.
    Richtig ist sicher, dass etwa der Blick in Online-Foren kein realistisches Bild von wirklichen Verhältnissen, etwa Mehrheitsverhältnissen abgibt – einerseits wegen der mangelnden Repräsentativität von Usern, andererseits, weil dies leicht manipulierbar ist.
    Was Medien und die Berichterstattung generell angeht, wird man aber wohl differenzieren müssen.

    Zu 5)
    „Wünschenswert wäre, das Internet von politischen und wirtschaftlichen Interessen zu befreien.“ –
    Ein schöner Gedanke, leider aber, wie mir scheint, ziemlich utopisch.
    Im Einleitungstext habe ich z.B. darauf verwiesen, dass Obama seine erste Wahl wesentlich mit Hilfe von Sozialen Medien gewonnen hat. – Wer will Politiker und Interessenvertreter daran hindern, sich dies zunutze zu machen?
    Es geht wohl eher darum zu verhindern, dass sie die völlige Kontrolle über uns erlangen (NSA). Und natürlich auch darum zu lernen, mit diesem adäquat und verantwortlich umzugehen, damit es z.B. seine Faszination und als Ort zum Abladen aller möglichen Hassphantasien verliert. D.h. die Frage nach Kontrollmöglichkeiten, die ich am Ende dieses Blogtalks thematisieren möchte.

    Zu 6)
    „Letztlich gilt in der Demokratie: Die Abgeordneten sind in ihren Entscheidungen frei.“-
    Da sprechen Sie wohl den Unterschied zwischen Theorie und Realität an. – Wenn der so schnell aufzuheben wäre!

  95. @W.Engelmann

    Ein weniger starkes Wort als „Geringschätzung“ fiel mir nicht ein, es ist nur als Tendenz zu verstehen.

    Die Forderungen nach einem interessenfreien Internet und der Hinweis auf die entscheidungsfreien Abgeordneten sind Beispiele für eine an sich existente Normalität (Normentreue), die durch Interessen unterlaufen wird.
    Gerade an solchen Gegebenheiten werden schwer auszuhaltende Widersprüche zu (sozial und medial vermittelten) moralischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Versprechen deutlich, die, wenn sie eingefordert werden, mit dem süffisanten Hinweis auf die sogenannte „normative Kraft des Faktischen“ abgewiesen werden. Eine natürliche, mindestens verständliche Reaktion auf solche Zurückweisungen ist Frustration und die daraus folgenden Reaktionen. Hier könnte man einen Diskussionszweig über Frustrationsverarbeitung aufmachen, der vom kurzfristigen Ärger des kleinen Mannes bis zur psychologischen Ableitung totalitärer Systeme einen weiten Bogen spannen würde.
    (Bitte ersparen Sie mir die „Belegfrage“ 🙂 )

    Als symptomatisch und etwas ironisch führe ich Ihren Satz

    „Da sprechen Sie wohl den Unterschied zwischen Theorie und Realität an. – Wenn der so schnell aufzuheben wäre!“

    an. Tatsächlich verdreht er die Folge der Ereignisse und vertauscht die Verantwortlichkeiten.

    Zum Thema Realitätswahrnehmung: Ich denke, wir sind uns darin einig, daß es eine objektive Wahrnehmung der Welt für den Menschen nicht gibt, darüber muß man wohl nicht mehr streiten. Je vermittelter eine solche Wahrnehmung stattfindet, desto realitätsferner ist sie. Korrigiert werden kann eine solche vermittelte Wahrnehmung nur durch die Einsicht in die Mechanismen und Gründe in Art und Ziel der Vermittlung (Vermittelung?). Gerade deshalb üben kritische Menschen sehr schnell und gründlich „Medienkritik“, die im besten Falle echte Kritik ist, im schlechten Falle bloße Verschwörungstheorie bleibt.

    Interessant fände ich, wenn sie auf den Aspekt des „Empörungsapparates“ eingehen würden, den ich im Punkt 4 angesprochen habe.

    Zum Thema Empathie:
    Selbstverständlich ist Empathie ein positive Eigenschaft, die überall vonnöten ist.
    Aber die quantitative Fähigkeit des Menschen zur Empathie ist eventuell begrenzt. Ich stelle die These zur Diskussion, daß manche Wut- und Protestreaktion ein Ausdruck einer Ausbeutung der Empathiefähigkeit ist und, darüber hinaus, in den angesprochenen Verrohungsszenarien, auf die Empathieverweigerung durch Realität und Medien mit Frustration und Abwehr reagiert wird.

    soviel bis hier

  96. Einen Aspekt von Online-Äusserungen möchte ich noch ansprechen:

    „Nach Habermas bildet die in der Sprache angenommene kommunikative Rationalität die Grundlage sozialen Handelns. Von solcher „kommunikativer Rationalität“ scheinen wir im Internet-Zeitalter weiter entfernt denn je.“ (Einleitungstext W.Engelmann)

    Hier herrscht (oder versucht zu herrschen) der Anspruch, Kommunikation im Internet müsse „rational“ sein. Zugrunde liegt die Überlegung, daß soziales Handeln rational sein solle. Ob dies möglich ist, ist mehr als fraglich, erstrebenswert wäre der Anspruch dann, wenn Rationalität ein Garant für menschlich gutes Handeln sein könnte, also die Kongruenz von Emotion und Ratio gelänge. Auch das ist mehr als fraglich.

    Im rationalen Konzept sind Emotionen keine verläßlichen Entscheidungsgrundlagen, quasi-objektive, überpersönliche oder Mehrheitsentscheidungen werden als Ultima ratio angenommen. Die Crux wäre hier eine Interpretation des Habermas’schen Begriffs der „angenommenen kommunikativen Rationalität“. Ist das Wort „angenommen“ als „vermutend“ oder als „akzeptiert“ und „vereinbart“ zu interpretieren? Leider sind auch die rein rationalen Konzepte wenig ermutigend.

    Soll und muß das Internet überhaupt ein rationaler Raum sein? Dies hinge davon ab, ob es aus der Masse der Äusserungen heraus ein entscheidender Faktor sein soll und darf, dies hinge auch davon ab, ob überhaupt der Anspruch auf rationale politische Entscheidungen aufrechterhalten werden soll oder ob Meinung und Stimmung gestaltende Faktoren der Politik sein sollen.

    Konkret wird hier die Frage nach der plebiszitären Demokratie und der repräsentativen Demokratie wirksam.

    Die „Gretchenfrage“ wäre hier, ob man der plebiszitären Demokratie mehr Rationalität zutraut als der repräsentativen Demokratie oder mit wessen Irrationalität man lieber leben möchte.

    Verfassungsrechtlich ist die Entscheidung aus schlechten Erfahrungen und mit guten Gründen gefallen.

  97. Wieder einen schönen Morgen allerseits und auf zur neuen Runde!

    Nun erinnert mich zunehmende Unruhe meiner Frau daran, dass es langsam Zeit wird, mich aus dieser Gesprächsrunde zu verabschieden und an die Vorbereitungen für nötige Erholungspause in südlicheren Regionen zu denken.
    Ich möchte das aber nicht tun, ohne zumindest anzusprechen, was mir besonders am Herzen liegt: nämlich Möglichkeiten auszuloten, wie die Erscheinungen, die wir nun aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet haben, wenigstens etwas einzudämmen. Dabei, lieber Lutz, möchte ich gern auch auf Deine Erfahrungen als Moderator bauen.

    Davor aber zu dem, was anhand der bisherigen Beiträge noch abzuarbeiten ist:

    #96, Henning Flessner:

    „Eine gehässige Zuschrift fasziniert viel mehr als Herrn Engelmanns Analyse derselben.“ –
    Da sprechen Sie ein großes Wort gelassen aus! –
    Nun war das ja von vornherein klar und bedurfte keines Beweises. Aber die Gründe hierfür sind ja gerade das Thema.
    Motivation genug für den Versuch – um im Bild zu bleiben – wenigstens ein paar Lichtschimmer auf die im Dunkeln herum irrenden Schattengestalten zu werfen, sie bei ihren Veitstänzen zumindest etwas zu stören. Denn im Dunkeln ist ja gut munkeln. Und „Aufklärung“ heißt französisch „lumière“ (Licht).
    A propos „Veitstanz“: Bei Wikipedia mit „Tanzsucht“ oder „Choreomania“ im Mittelalter umschrieben, eine Form „religiöser Extase“, ausgelöst z.B. durch „Nachtschattengewächse“. – Ein reizvolles Bild für Erscheinungen im Internetzeitalter, das prinzipiell nie gekannte Möglichkeiten für Aufklärung und Erkenntnisse bietet und dennoch das Gegenteil zu bewirken scheint.
    Nun neige ich nicht unbedingt zu Kulturpessimismus und meine daher auch nicht, dass mir dieser „angeboren“ ist. Wenn jemand aus dem Fenster springt, fühle ich mich deshalb nicht ermuntert, es auch zu tun.
    Daher meine Frage nach konkreten Handlungsmöglichkeiten und nach langfristigen Wirkungen.
    Meines Wissens gibt es kaum einen Kulturpessimisten, der viel in der Welt bewegt hätte (von Schopenhauer vielleicht abgesehen, und der auch nur sehr bedingt).
    Und von den Millionen Anpassern im 3. Reich spricht heute kein Mensch mehr (zumindest nicht in anerkennendem Sinn), von einigen wenigen Idealisten dagegen, die den Mut zum Widerstand aufbrachten, noch viele. Und das wird hoffentlich noch lange so bleiben.

    „Das intellektuelle Niveau hier ist beachtlich, aber auch etwas abschreckend.“–
    Solche „abschreckende Wirkung“ liegt wohl in der Natur der Sache, spricht nicht gegen „intellektuelles Niveau“.
    Damit muss und kann man wohl leben – wenn es nicht Ausmaße eines Anti-Intellektualismus annimmt, wie er etwa Antisemitismus prägt.
    Ich erlaube mir also, Ihre Bemerkung als Kompliment zu interpretieren.

  98. @ Matthias Borck-Elsner

    # 98 .

    Zum „Missbrauch des Internets als Empörungsapparat“, entsprechend Punkt 4 in # 85:

    In #94, unter „Unwortsammlung“ und den zitierten Kommentaren, habe ich konkrete Belege dazu aufgeführt, ebenso unter EU-Hass in #3.
    Damit meine ich nun nicht, dass dieser Missbrauch systembedingt und damit notwendig sei. Vielmehr hat dies m.E. mit so gut wie völlig fehlenden Regeln und einem dementsprechend „pubertären“ Umgang damit zu tun. (Ich setze es als bildhafte Bezeichnung in Anführungszeichen, um nicht hinterher dafür geprügelt zu werden.)
    Wenn wir allerdings davon ausgehen, dass Medien generell „Realitätsverfälscher“ wären, dann müssten wir uns jetzt auch als solche bezeichnen und den Dialog sofort abbrechen.

    „Je vermittelter eine solche Wahrnehmung stattfindet, desto realitätsferner ist sie.“

    Das erscheint mir präziser als die These von den „Realitätsverfälschern“. Doch auch hier stört mich der Eindruck, dass dies eine Art Naturgesetz sein müsse.
    Nun ist freilich jede wissenschaftliche Untersuchung in gewissem Sinn auch durch den „hermeneutischen Zirkel“ bestimmt, die Antwort also auch abhängig von der Fragestellung. Sogar in der Physik, wofür etwa die Erklärung von Licht als Wellen oder Quanten steht.
    Das heißt aber nicht, dass eine Annäherung an wirklichkeitsgetreue Abbildung der Realität nicht möglich wäre.
    Wäre das anders, dann würden wir vermutlich alle noch an das geozentrische Weltbild glauben oder gar die Erde als Scheibe betrachten und uns fragen, warum wir nicht von deren Rand herunterfallen. Dass wir das nicht mehr tun, dazu haben u.a. Medien wie das Fernrohr beigetragen.
    Auch ein Spiegel ist ein Medium – nicht anders als das Internet. Dennoch ist er sehr hilfreich, etwa als Rückspiegel, um lauernde Gefahren zu erkennen. Ob er die Wirklichkeit verzerrt abbildet oder nicht, das hängt davon ab, wie sehr ich ihn verkrümme. Und ob mein Weltbild verzerrt ist, vor allem davon, wie sehr ich mich von der – von mir selbst bewirkten – Verzerrung bestimmen lasse.
    Womit der Ball bei diesem Ping-pong zwischen Mediennutzer und Medium wieder beim Mediennutzer wäre.

    Auf die Fragestellung des Themas angewandt, heißt diese nichts anderes als Folgendes:
    Die im Netz herumschwirrenden kruden Thesen von der allgegenwärtigen „Manipulation“ durch „die“ Medien – von Bronski an anderer Stelle zu Recht unter „Verschwörungstheorien“ eingeordnet – erscheinen als nichts anderes denn ein ziemlich billiger Versuch, vom eigenen Anteil an diesen Wirklichkeitsverzerrungen abzulenken. Will heißen: Eigene höchst problematische Neigungen und Tendenzen nach außen zu projizieren und sich vor sich selbst – im Unterschied zu den „tumben“ anderen – in reinerem Licht erscheinen zu lassen.
    Welche Instinkte und Bedürfnisse damit im Einzelnen befriedigt werden, darüber mögen andere spekulieren.
    Mir scheint es erst mal wesentlich, sich an nachweisliche Äußerungen und Manifestationen zu halten, diese mit ausgewiesenen Mitteln der Analyse unter die Lupe zu nehmen und die Ergebnisse öffentlich zur Diskussion zu stellen – wie groß der Aufschrei der sich betroffen Fühlenden auch sein möge.

  99. Lieber Werner,
    wir könnten uns noch lange über dieses Thema unterhalten, aber nun hast Du ein gutes Schlusswort geliefert, und wir wollen Deine Frau nicht noch unruhiger werden lassen.
    Ich habe es an anderer Stelle schon einmal gesagt, und weil Du es ansprichst, möchte ich es noch einmal wiederholen und Dir dabei zustimmen: Meines Erachtens sind die Mediennutzer in der Pflicht, darauf achtzugeben, wem sie Glaubwürdigkeit attestieren und von wem sie Information beziehen. Es gibt eine riesige Fülle von Information im Netz, aber auch viel Desinformation, Meinungsmache und Propaganda bis hin zu Seiten, die offen rassistisch und populistisch sind und trotzdem großen Zulauf haben. Manchmal denke ich, dass wir – ich nehme mich nicht aus – den verantwortungsvollen Umgang mit dieser Masse Information noch immer nicht richtig gelernt haben, auch wenn das Internet mit allen seinen Möglichkeiten inzwischen ein fester Bestandteil unseres Alltags ist. Auf dem Weg in die „Informationsgesellschaft“ sind wir jedenfalls qualitativ kaum vorangekommen. Auf dem Weg in die Meinungsgesellschaft dagegen sehr wohl. Daraus entsteht die Gefahr, dass wir einander nicht mehr zuhören, einfach weil wir rechtbehalten wollen. Phänomene wie jene, die Werner Engelmann unter Kommentar #3 aufgelistet hat, sind eine Gefahr für die freiheitliche Grundordnung unseres Lebens.

    Vielen Dank, lieber Werner, dass Du Dir die Mühe gemacht und uns mit Deiner Analyse bekanntgemacht hast.

  100. # 99, Matthias Borck-Elsner

    „Hier herrscht (oder versucht zu herrschen) der Anspruch, Kommunikation im Internet müsse ‚rational‘ sein.“
    “Nach Habermas bildet die in der Sprache angenommene kommunikative Rationalität die Grundlage sozialen Handelns. Von solcher ‚kommunikativer Rationalität‘ scheinen wir im Internet-Zeitalter weiter entfernt denn je.” „(Einleitungstext W.Engelmann)“

    Ich gehe vom zweiten Zitat aus.
    Das ist natürlich, da als Schluss des Einleitungstextes, nicht als Einführung zu einem philosophischen Traktat, sondern als Denkanstoß über eine durch das Internet in Gang gesetzte Entwicklung gemeint. Das geht aus der letzten Anmerkung, im Vergleich zum Vor-Internet-Zeitalter deutlich hervor. Zugleich ist aber auch durchaus eine kritische Infragestellung der Gültigkeit des Postulats von Habermas angedeutet.
    Was den Begriff ‚kommunikative Rationalität‘ bei Habermas betrifft, so ist dies freilich unter dem Aspekt zu sehen, dass Habermas Philosoph und Soziologe ist, nicht Psychologe. Eine Diskussion darüber hätte also von der bei ihm gemeinten philosophischen Bedeutung auszugehen, was den Rahmen dieser Diskussion sicher sprengen würde.
    Etwa – nach Wikipedia: „Für Habermas bilden kommunikative Interaktionen, in denen rationale Geltungsgründe erhoben und anerkannt werden, die Grundlage der Gesellschaft.“ – Hier wird „Rationalität“ im Sinne von „Denkvermögen“ gebraucht, das an Zwecken ausgerichtet ist.
    „Rationalität“ ist hier also keine psychologische Kategorie, kann demnach auch nicht als Gegenpol zu „Fühlen“ begriffen werden.

    Damit erübrigt sich auch die Antwort auf den vermuteten „Anspruch, Kommunikation im Internet müsse ‚rational‘ sein“, der von mir nie erhoben wurde.
    Aus linguistischer Sicht wäre das auch ein Ding der Unmöglichkeit, denn jeder Begriff wird nicht nur durch „Denotation“ (also eine sachliche Bezeichnung) bestimmt, sondern auch durch „Konnotation“ (also einen dem Begriff vom Sprecher oder Hörer zugeordneten Gefühlswert). Das gilt sogar für einen so trivial erscheinenden Begriff wie „Tisch“ – zumindest dann, wenn Sie keinen haben und ihn dringend nötig hätten.
    Es liegt auf der Hand, dass der Anteil der „Konnotation“ (also des Gefühlswerts) bei Begriffen aus dem politischen Bereich unvergleichlich höher ist und den sachlichen („denotativen“) Anteil sogar ganz verdrängen kann. Das gilt sogar im Alltagsbereich, etwa für die Wörter „cool“ oder „geil“: Das sind reine Konnotationen (Gefühlswerte), die vermittelte Information ist gleich Null. Und der inflationäre Gebrauch solcher „Null“-Begriffe verweist auf das Unvermögen oder den Unwillen, sich mit Dingen überhaupt auseinanderzusetzen, damit auf sprachliche und eben auch geistige Verarmung.

    Dies ist ein Befund, der zweifellos – ohne Spekulation über die intendierte Absicht des Sprechers – auf die von mir zitierten Kostproben aus verarmter Online-Kommunikation anwendbar ist.
    Der Begriff „Verrohung“ betrachtet das gleiche Phänomen aus einer moralischen Perspektive. Das ist sicher berechtigt – nur lässt sich darüber, indem dieser Begriff wieder sehr emotional geprägt ist, darüber nicht so sachlich diskutieren. Ein Umschlag zu bloßer Rechtfertigung einerseits, Kulturpessimismus andererseits ist demnach schon in gewisser Weise vorprogrammiert.

    Hauptziel dieser Diskussion kann wohl nur sein, zur Klärung der Frage beizutragen, wie solchen Tendenzen begegnet werden kann.
    Und das heißt für die Online-Kommunikation vor allem: wie ein konstruktiver Umgang mit dem Medium „Internet“ zu erreichen ist.
    Konstruktive Vorschläge dazu können aber nur aus einer rational bestimmten Diskussion, mit einem hohen Anteil an „denotativen“, also rational bestimmten Elementen erwachsen.

    „Forderungen nach einem interessenfreien Internet“:

    Natürlich fände ich solches sympathisch. Nur muss sich dann auch damit befassen, mit welchen Kräften es durchsetzbar wäre. So wie revolutionäre Gedanken ohne Benennen des „historischen Subjekts“ (wie Marx es nennt) reines Wunschdenken bleiben.
    Das meine ich nun nicht ironisch, fühle mich eher an die Erwartungshaltung von manchem der 68er-Bewegung (auch eigene) erinnert, dass eine radikale Umwälzung (um das Wort „Revolution“ zu vermeiden) zumindest für das folgende Jahrzehnt zu erwarten sei.

    „Die ,Gretchenfrage‘ wäre hier, ob man der plebiszitären Demokratie mehr Rationalität zutraut als der repräsentativen Demokratie oder mit wessen Irrationalität man lieber leben möchte.“ –

    In der Tat, dem würde ich voll zustimmen.
    Meiner Meinung nach sind die beobachteten Widersprüche bei entschiedenen Verfechtern „plebiszitärer Demokratie“, ihren politischen Stellungnahmen, aus denen bisweilen geradezu Vernichtungswut spricht, mehr als nur Warnsignale, sich blauäugig auf solche Forderungen einzulassen. Diese sind alles andere als geignet, mehr Rationalität zugebilligt zu bekommen (vgl. Unwortsammlung in #94, #73, #3:EU-Hass). – Mir macht das, ehrlich gesagt, eher ziemlich Angst.
    Darüber hinaus gehen historische Erfahrungen, bei denen ähnliche plebiszitäre Elemente eine Rolle gespielt haben, in die gleiche Richtung: so etwa der Umschlag der frz. Revolution in Terror. (Vgl. auch Programm des Front National: für Wiedereinführung der Todesstrafe).

  101. zu 95. W. Engelmann

    Ihre Befassung mit meiner „Kurzbeschwerde“ (92.) geht am Punkt vorbei. Es geht um Kognition. Wie verändert sich die Kognition unter den Bedingungen der Digitalisierung der Welt ? Da helfen keine Verweise auf Erkenntnisse aus der vordigitalen Zeit, denn sie dürften kaum auf die heutige Zeit übertragbar sein. Eine Diskussion um die Phänomene der Internetkommunikation kann den Lernhintergrund nicht ausschließen, der sich mit dem Einzug digitaler Instrumente zur Bewältigung von Berufsalltag, Privatleben und Schule ergeben hat. Und der Zug fährt weiter, doch wohin, ob zum Nutzen und/oder zum Schaden, das ist die spannende Frage. Wir sind Zeugen ständigen Lernens mit und herum um das Digitale, denn das Hirn kann eines nicht, „nämlich nicht lernen“ (M. Spitzer). „Wohin“ also lernen wir, wenn wir das Internet zur Kommunikation nutzen ? Und was folgt daraus wiederum für unsere Kommunikation ? Die Veränderungen der Kognition lassen sich nüchtern-sachlich beschreiben (als meßbare Veränderung) oder mit Werturteilen belegen (z.B. „Infantilisierung“). Nur – vor der Bewertung kommt die Wahrnehmung des Sachstands, und den müssen wir zur Kenntnis nehmen, wenn wir denn bewerten und nicht nur raten wollen. Je mehr Parallelebenen unsere Aufmerksamkeit beanspruchen, umso stärker dürfte die Gleichzeitigkeit in unser kognitives Verhalten hineinregieren. Das war mein Punkt, mit einem kleinen Beispiel eingeleitet. Nicht mehr, nicht weniger.

  102. # 103, Bronski

    Lieber Lutz,
    ich konnte Deinen Beitrag vor meinem letzten nicht zur Kenntnis nehmen, da sich beide überschnitten haben.
    Ganz so eilig habe ich es doch nicht, es stehen mir ja noch 2 Tage zur Verfügung. Es war nur als Hinweis gedacht, möglichst (zumindest für mich) keine neuen Fässer aufzumachen, mit denen ich nicht mehr angemessen umgehen könnte und welche die Frage nach Konsequenzen verhindern würden.
    Für ein Schlusswort also noch zu früh. Das würde ich dann z.B. lieber Deinem schönen heutigen Bild der Serie „365 Blicke“ überlassen, das mehr aussagt als viele Worte.
    Nach entsprechender Vorbereitung dann meine Hinweise zu möglichen Konsequenzen.

  103. # 104, V.Grebe:

    „Wie verändert sich die Kognition unter den Bedingungen der Digitalisierung der Welt?“
    „Je mehr Parallelebenen unsere Aufmerksamkeit beanspruchen, umso stärker dürfte die Gleichzeitigkeit in unser kognitives Verhalten hineinregieren.“ –

    Wenn ich die Intention Ihres Beitrags # 92 falsch verstanden haben sollte, tut das mir leid. Ich habe ihn übrigens nicht als „Beschwerde“ aufgefasst, eher als Verkürzung.
    Mit Ihren neuen Erläuterungen nun also der Versuch eines Neuansatzes.
    Meine erste Reaktion hierauf: ein weites Feld. Vielleicht sogar, nach dem Schlusswort des vom Schicksal getroffenen alten Briest in Fontanes „Effi Briest“: „ein zu weites Feld“. Für die Erörterung in diesem Rahmen sicherlich.
    Einen Versuch eines Ansatzes ist es jedenfalls wert.

    Für Ihre These von der wahrscheinlichen Veränderung der „Kognition“ liefern die von mir aufgeführten Beispiele der Online-Kommunikation teilweise Belege, wenn auch in bescheidenem Rahmen. Denn hier ist ja noch nicht der Zusammenhang zu Veränderung der Kognition thematisiert (das wäre noch ein weiterer Schritt), sondern, etwas bescheidener, zu sprachlichem Verhalten.
    Andererseits ist der Bezug zu „kognitivem Verhalten“ auch wieder eine Einengung der Fragestellung, da er den emotionalen Aspekt – der hier sehr wichtig ist – außen vor lässt. Hierzu meine Ausführungen zu „Denotation“ und „Konnotation“ unter #103.
    Ihre erste Version in # 92 schien mir zu anfällig, konnte m.E. leicht als bequeme Rechtfertigung für – vorsichtig ausgedrückt – sprachliche Schlamperei herhalten. Gegen diese Interpretation (und nur gegen diese) habe ich mich in # 95 gewandt.

    Im zweiten oben zitierten Satz schränken Sie nun, durch das Wort „hineinregieren“, die Wirkungsmöglichkeit der digitalen Welt ein – völlig zu Recht.
    Damit wird etwa die Erziehung der „vordigitalen Zeit“ nicht schlagartig eine völlig andere, aber sie ändert sich – und das wäre sehr wohl zu berücksichtigen. Wobei aber, wie Sie richtig feststellen, die Richtung ebenso offenbleibt wie das „Wie“. So etwa würde ich – in Anschluss an meine Ausführungen unter # 95 – vermuten, dass sich die Notwendigkeit für das dort angesprochene Konzept der „kompensatorischen Spracherziehung“ eher erhöht als abschwächt.
    Nach einem Bonmot aus meinem 10jährigen Wirken in Berlin-Kreuzberg, also einem sozialen Brennpunkt, könnte man auch – überspitzt – formulieren: Deutsch ist hier erste Fremdsprache, und zwar nicht nur für Zuwandererkinder, sondern in ähnlichem Maße auch für eine originär deutsche Population.

    Auf jeden Fall kann man wohl festhalten, dass tiefgreifende Veränderungen des Kommunikationsverhaltens (und evt. darüber hinaus) unter den Bedingungen der „digitalen Welt“ stattfinden, die man erst einmal begreifen muss, bevor man Konzepte dafür (oder dagegen) entwickeln kann.
    Dies trifft exakt mein Anliegen in diesem Blog-talk.
    Und in dieser Hinsicht danke ich Ihnen auch für Ihren Beitrag.

  104. Zum gesellschaftlichen Umgang mit Hassmails und dgl. in Online-Foren.

    Vorbemerkung:
    Die folgenden Ausführungen sind AUCH eine Frage der Glaubwürdigkeit. Wer – wie ich, z.T. sehr detailliert – Kritik an „populistischen Positionen“ geübt hat (Entschuldigung, runeB: Wenn Ihnen der Begriff nicht gefällt, schlagen Sie einen anderen vor), der darf nicht selbst Ähnliches als das kritisierte Verhalten zeigen – so emotionale Pauschalkritik und Verweigerung der Diskussion konstruktiver Teillösungen. Wichtiger ist freilich die Sache.

    Zur Problemstellung:

    In verschiedenen Beiträgen ist bereits der mögliche Umgang mit Online-Beiträgen angesprochen worden, die nur oder auch Hassbotschaften enthalten. Diese haben sich aber jeweils aber jeweils auf persönliche Strategien für betroffene Journalisten oder Online-Redaktionen beschränkt, z.T. auch betroffene User. Weitergehende Perspektiven kamen dabei aber nicht in den Blick.
    Die entsprechenden Beiträge sind: # 10, 12/13, 16, 69, vor allem: 18, 20, 58(4), 75, 76, 87.

    Ich wiederhole hier die für die Problemstellung wichtigsten Passagen:
    – „Es ist auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, den ihr (der Kommunikation im Internet) innewohnenden destruktiven Möglichkeiten und Tendenzen wirkungsvoll zu begegnen.“ (Einführung Engelmann)
    – „Sehr wesentlich erscheint mir der Hinweis auf veränderte Kommunikationsbedingungen im Internet-Zeitalter, wenn es um die Diskussion geht, wie solche Tendenzen eingedämmt werden können. Und im Vorgriff möchte ich die These aufstellen, dass angesichts der „Demokratisierung“ – sprich: Anpassung der Wirkungsmöglichkeiten – durch das Internet (wenn man will, auch „Waffengleichheit“) bezüglich der Verantwortlichkeit für seine Äußerung zwischen Journalist und Online-User prinzipiell auch die gleichen Maßstäbe anzulegen wären.“ (Engelmann, #75)
    – „Das Problem dabei ist jedoch, dass im Netz prinzipiell jeder schreiben kann, was er will, ohne dafür verantwortlich sein zu müssen. Das gilt durchaus auch für Blogger wie mich, wobei für mich aber das Presserecht im Boot ist.“
    (Bronski, # 76)
    – „‚Verantwortete Meinung‘ ist ein Begriff, der mir sehr gefällt und der auch dem Geist des Presserechts sowie den Grundsätzen der FDGO entspricht, wonach jeder, der seine Meinung sagen will, dies in unserem Land jederzeit tun kann und auch soll – denn davon lebt die Demokratie.“ (Bronski, # 87)

    Ich fasse in Thesen zusammen:

    1. Die Möglichkeiten der Verbreitung eigener Meinungen durch Online-Journalisten und Online-User haben sich durch Online-Foren erheblich angenähert, sind sogar weitgehend identisch. Dies betrifft weitgehend auch die Möglichkeiten der Information.
    Diese veränderte Kommunikationssituation schlägt sich u.a. in besserwisserischer, intransigenter Haltung mancher User nieder, ermöglicht dabei in verstärktem Maß Hassbotschaften, die in Umkehrung ehemaliger Abhängigkeit Journalisten als Ziel und Opfer eigenen Machtgefühls betrachten.

    2. In der Frage der Verantwortlichkeit für sein Wort ist die Gesellschaft auf dem Stand des Vor-Internet-Zeitalters stehen geblieben: „‚Verantwortete Meinung‘ im Sinne des Presserechts gilt für Journalisten, nicht aber für Online-User.

    3. Vorhandene gesellschaftliche und juristische Regelungen erweisen sich in Bezug auf die genannten Probleme als ungeeignet: Journalisten werden bei der Bewältigung von Problemen allein gelassen, die aus gesamtgesellschaftlichen Veränderungen erwachsen.
    Eigene Möglichkeiten (Blogregeln, Moderation), bei unterschiedlichen Online-Redaktionen sehr unterschiedlich verfasst und gehandhabt, sind für die Problembewältigung unzureichend.
    Vgl.:
    „Ich kann nicht erkennen, was man diesem Verführungspotenzial entgegensetzen könnte – außer journalistischer Glaubwürdigkeit, mit der die Kolleginnen und Kollegen mit ihrem Namen für ihre Arbeit einstehen.“ (Bronski, #76)

    So weit die Problembeschreibung. Im nächsten Beitrag möchte ich presserechtliche Ansätze (Presserat, Pressekodex) dokumentieren, die für Lösungen ggf. herangezogen werden könnten, die über individuelle Problembewältigung hinausgehen.

  105. Recherchen zu Presserat / Pressekodex und Vorschläge:

    1) Bei Wikipedia findet man unter „Deutscher Presserat“, Stichwort „Modernisierung“ folgende Eintragung:

    „Seit längerer Zeit wird im Presserat eine Modernisierung überlegt, denn bisher ist der Presserat auf Printmedien und Printmedien mit Online-Präsenz beschränkt. Zu den Überlegungen gehören ein besonderer Onlinekodex, die Regulierung der von Nutzern eingestellten Formate wie Blogs, Videos und Podcasts. Dies wäre in Deutschland die bisher erste Anerkennung von beispielsweise Bloggern als journalistische Anbieter.“

    Der Link „Onlinekodex“ führt jedoch nicht weiter. Es gibt noch keinen Artikel dazu.

    2) Auf der Homepage des Presserats (http://www.presserat.de/presserat/news/pressemitteilungen) findet man unter dem Datum 10. September 2014 folgende Meldung:

    Bei Facebook & Co. gilt für Redaktionen der Pressekodex –
    Wenn Redaktionen ihre Veröffentlichungen in sozialen Medien verbreiten, unterliegen diese auch dort den ethischen Grundsätzen des Pressekodex. Dies hat der Deutsche Presserat am 10.09.2014 klargestellt. Publizistische Produkte auf Plattformen Dritter werden demnach von der bestehenden Beschwerdeordnung mit erfasst.
    Die Verbreitung ganzer Artikel oder deren Ankündigung und Verlinkung über die Social-Media-Präsenzen von Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien ist gängige Praxis. Der Deutsche Presserat sieht dies lediglich als einen weiteren Verbreitungswege an. Insofern gelten die ethischen Grundsätze auch dort, zumindest für redaktionelle Auftritte.
    Für den Deutschen Presserat ist dies der nächste Schritt einer Entwicklung, die im Jahr 2009 begonnen hat. Seither ist er zuständig für Beschwerden über Online-Veröffentlichungen in Angeboten, die in der Verantwortung der Verlage stehen. Unabhängige journalistische Online-Medien können sich jederzeit mit einer Selbstverpflichtungserklärung zu den ethischen Grundsätzen des Pressekodex bekennen.

    Anmerkungen:

    Zu 1)
    Hier wird ausdrücklich über die mögliche Anwendung des Pressekodex für „Blogger als journalistische Anbieter“ gesprochen. Offenbar sind aber die Überlegungen im Presserat „seit längerer Zeit“ noch nicht zu einem greifbaren Ergebnis gelangt.
    Für eine mögliche Ausweitung in diesem Sinn kämen m.E. folgende Artikel des Pressekodex in Frage:
    (1) Wahrhaftigkeit und Achtung der Menschenwürde
    (8) Persönlichkeitsrechte (Verhalten im öffentlichen Interesse)
    (9) Schutz der Ehre
    (12) Verbot von Diskriminierungen

    Zu 2)
    Hier ist von „Veröffentlichungen in sozialen Medien“ die Rede, aber nur noch bezogen auf „Redaktionen“.

    Ich halte die beiden Eintragungen/ Meldungen als Indiz dafür, dass das Problem im Prinzip zwar erkannt ist, man sich aber nicht so recht an die Sache herantraut oder es sonstige Schwierigkeiten gibt.
    Ein Nachhaken beim Presserat in dieser Sache erscheint mir sinnvoll.

    Vorschläge:

    Meine Idee ist die, dass über den Presserat evt. so etwas wie eine gemeinsame Kriterien, etwa für Blogregeln verschiedener Presseorgane, auf der Grundlage der genannten Artikel des Pressekodex erreichbar wären.
    In einem zweiten Schritt könnten dann ggf. allgemein gültige Blogregeln auf dieser Grundlage erarbeitet werden.
    Ich gehe davon aus, dass die beschriebene Tendenz ohne einen ethischen gesellschaftlichen Minimalkonsens und ohne Anpassung bestehender Normen an veränderte Informations- und Kommunikationsformen kaum eingedämmt werden können.

    Das wäre schon einmal ein wesentlicher Schritt, um einen „Hassbotschaften“-Tourismus zu unterbinden. Gemeint ist damit die Tendenz solcher Schreiber, von Blog zu Blog zu wandern, um ihre Ergüsse jeweils da abzuladen, wo dies am ehesten möglich ist. So würde nicht nur solcher „Spaß“ etwas verdorben werden, auch die Faszination „gehässiger Zuschriften“ (vgl. Henning Flessner, # 96) könnte zumindest etwas eingedämmt werden.

    Fragen – vor allem an Bronski:

    1. Was wäre von dieser Idee generell zu halten?
    2. Welche Schwierigkeiten würden sich vermutlich ergeben (z.B. Grenzen der Möglichkeiten des Presserats)?
    3. Welche Probleme bei der Umsetzung würden sich ergeben (Kooperation der verschiedenen Presseorgane)?
    4. Welche weiteren Probleme wären zu bedenken, z.B. Möglichkeiten und Grenzen von Sanktionen: a. gegen User/Blogger, b. gegen Anbieter?

  106. Statt eines Resümees – mein letzter für diesen Blog-talk vorgesehener Beitrag.

    Ein Resümee setzt einen Endpunkt. Ich möchte mit meinen Anregungen in # 107-108 lieber einen Anfang setzen für neue Überlegungen, die sicher noch der Zeit bedürfen und vielleicht für eine neue Diskussion geeignet wären.

    Ich danke Bronski für seine jederzeit faire Moderation – auch wenn so manche überraschende Frage für mich nicht einfach zu beantworten war. Auch dafür, dass er mir als eher nicht Betroffenem Gelegenheit gab zur Analyse und Stellungnahme zu dem erörterten Problem. Für dessen bloße Thematisierung Betroffene (wie im Einleitungstext aufgezeigt) Häme ernten. Formen der Selbstgerechtigkeit im Umgang, medial transportiert, als solche zu benennen und wenigstens partiell zu durchstoßen, das war demzufolge nur einem relativ Außenstehenden möglich.

    Ich verzichte auf weitere Bewertung, sehe als Kriterium dafür eher an, ob und welche Konsequenzen aus einer solchen Diskussion erfolgen.
    Ein Ergebnis kann freilich jetzt schon festgehalten werden: 7 Tage fast durchgehenden Zwangs zur Konzentration haben mich erneut Respekt vor dieser stressgeladenen Tätigkeit gelehrt.

    Ich verabschiede mich hiermit von diesem Blog-talk.
    Freilich bedeutet das nicht, dass er geschlossen ist. Dafür ist Bronski zuständig.
    Falls die Umstände es zulassen, werde ich vom fernen Andalusien aus mal wieder reinschauen und würde mich freuen, dann das das eine oder andere zu lesen.

    Den Schlusskommentar möchte ich lieber einem Bild überlassen (von Bronski am 22.10. zur Verfügung gestellt), das mehr sagt als Worte und das ich hier verlinke: http://www.frblog.de/wp-content/uploads/2014/10/022-Teaser-3.jpg

    Klarheit und Weite – die beste Antwort auf das, was zu dokumentieren und zu analysieren nicht gerade die reine Freude war.

    Werner Engelmann

  107. zu 87 # bronski

    Dass Teile meiner Beiträge noch in dem Blog erschienen, hat mich überrascht.
    Beitrag 86 mit dem „Elfenturm“, gemeint war der Elfenbeinturm, war, wie aus dem letzten Satz hervorgeht, gar nicht für eine Veröffentlichung gedacht.

    Herrn Engelmann sei nochmals ausdrücklich gedankt für seine aufopferungsvolle Arbeit und es sei ihm ein angenehmer und erholsamer Urlaub gewünscht.

  108. Na, seit meinerIntervention hat sich ja einiges getan, dafür danke ich mir, wenn Sie es schon nicht tun. Dass Sie daran zweifeln können, dass ich Abonnent der FR bin, lässt mich an Ihrer Urteislkraft zweifeln, lieber Herr Bronski, jeden morgen bringe ich meinen Kreislauf damit auf Trab mich über Nordhausen zu ärgern. Aber ich würde mal sagen, Sie sind beide zu alt für dies Medium.

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