Widerspruch auf Widersprüche und wie das Private politisch wurde

Frankfurter Rundschau Projekt

Widerspruch auf Widersprüche und wie das Private politisch wurde

Von Iris Welker-Sturm

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Natürlich fielen die Veränderungen nicht vom Himmel. Plötzlich interessierte ich mich für Politik. Wollte gar bei einer Demonstration mitlaufen. Das war den Eltern suspekt und schien ihnen für ihre Tochter zu gefährlich. Schließlich war ich immer eine brave, angepasste, eifrige Schülerin gewesen und das sollte so bleiben. Es war auch notwendig. Vater vertrat zwar die Meinung, dass Mädchen sowieso heiraten und deshalb kein  Abitur brauchen; aber auch mir war klar, dass ich nur durch mein Stipendium die Schule beenden und an ein Studium denken konnte. Meine Mutter erinnerte mich daran und als das nichts fruchtete, verbot sie die Teilnahme.

Zwiespalt, denn wie kriegt man die Diskussionen im Geschichtsunterricht über den Kadavergehorsam im Dritten Reich, die Forderung von Hannah Ahrendt ‚Keiner hat das Recht zu gehorchen‘ und die von uns verfassten aufrührerischen Artikel in der Schülerzeitung damit unter einen Hut? Die Notstandsgesetze, Kriegsdienstverweigerung und der Vietnamkrieg waren heiße Themen. Und Studenten der nahegelegenen Uni riefen zur Aktion auf.

Die Demo in Frankfurt ließ ich mir noch verbieten. Das hat meinem Ruf zwar ein bisschen geschadet, aber für Mädchen galt es schon als mutig, überhaupt öffentlich den Mund aufzumachen. Nur zwei waren in meiner Klasse übriggeblieben von ursprünglich dreizehn Mitschülerinnen, und ich war die, die sich in der Untersekunda gegen einen schlagenden Lehrer zur Wehr gesetzt hatte; und auch die, die einst vom Direktor ‚ausgezeichnet‘ wurde durch eine öffentliche Rüge, weil ich ‚händchenhaltend‘ in der Stadt gesehen worden war. Wir von der Schülerzeitung halfen den Mitschülern bei der Formulierung ihrer Kriegsdienstverweigerung. Außerdem hatte ich mich für die Lektüre von Brechts Stücken im Unterricht eingesetzt. All das galt damals als Zeichen einer revolutionären Gesinnung. Zudem gab meine Herkunft aus dem Arbeitermilieu frau einen Hauch von Exotik und die hüftlangen roten Haare taten ein Übriges in der Phantasie der Schulkameraden.

Iris Welker Sturm 1968Und dann kam Erika, eine Studentin aus den Niederlanden auf den Schulhof und warb für eine Aufklärungskampagne. Und natürlich gingen wir zu den Vorträgen, wo man etwas über die Pille erfahren konnte. Darüber hatten wir bis dahin wenig Informationen, denn über Körper und Sexualität sprach man nicht, schon gar nicht als weibliches Wesen. Schließlich hatte sogar der Frauenarzt meiner Mutter auf meine Frage, ob ich Tampons für den Schwimmunterricht benutzen könne, gesagt, das könne man erst, wenn man verheiratet sei. Bravo und die Aufklärungskolumne von Dr. Sommer wurden erst 69 populär. Von Erika erfuhren wir nun, welche Ärzte auch jungen Frauen ohne Kinder die Pille nicht verweigerten. Solche Adressen wurden als kostbares Gut gehandelt. Und vor dem Arztbesuch haben wir uns sorgfältig eine Argumentation zurechtgelegt und schamhaft die medizinische Bezeichnung ‚orales Kontrazeptivum‘ auswendig gelernt. Die Forderung nach einem Kondomautomaten in den Schultoiletten hätten wir uns noch nicht getraut. Dazu brauchte es ein weiteres Jahr und da war ich schon an der Uni. Und die Pille galt ja auch zunächst als das Mittel zur Befreiung der Frau. Keine Angst mehr vor unerwünschter Schwangerschaft, vor sozialer Ausgrenzung, vor dem ‚verpfuschten‘ Leben. Für ein sog. uneheliches Kind stand der Mutter noch nicht einmal das Sorgerecht zu. Dass wir für diese Freiheit andere Zwänge eintauschten, mussten wir erst langsam herausfinden. Der Spruch ‚wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment‘ war ja nicht nur witzig. Und manch einer wechselte die Bettgenossin häufiger als die Bettwäsche. Natürlich probierten sich auch Frauen in den neuen Freiheiten aus. Auch die sog. offene Ehe wurde versucht mit unendlichen nächtlichen tränenreichen Beziehungsdiskussionen. Zum Establishment gezählt zu werden, war jedenfalls das Allerletzte.

Iris Welker-Sturm im Jahr 1968.
Bild: privat

Die Widersprüche deutlich machen und die doppelte Moral anprangern, das war angesagt. Die Eltern und Großeltern zu befragen über die Rolle, die sie in der Nazizeit gespielt hatten; und zu verurteilen. Wir hätten das alles besser gemacht, oder wenigstens nicht mit uns machen lassen, glaubten wir. Und wir stellten neue Studienpläne auf, bestreikten reaktionäre Seminare oder Vorlesungen, arbeiteten in den Gewerkschaften mit DKP, KPD, Trotzkisten und Maoisten gleichermaßen zusammen und gingen für die ‚gute Sache‘ auf die Straße.  Wir politisierten uns trotz oder wegen des sog. Radikalenerlasses und des drohenden Berufsverbots. Und wir bemerkten, dass auch das Private politisch ist. Was in der Wohngemeinschaft  nur selten davon abhielt, uns als Putzhilfe, Tippse oder als sozialen Schmierstoff missbrauchen zu lassen. Die anwesenden Jungs hatten es auch nur witzig gefunden, dass mir der Lehrstuhlinhaber seinen Assistenten als Heiratskandidat vorstellte, als ich mich nach den Möglichkeiten von Frauen in seinem Studienfach erkundigt habe. Ich weniger.

Auch nach dem Wechsel meines Hauptfachs Psychologie zu Germanistik/Romanistik waren Frauen in der Uni Mannheim mit etwas über 20 Prozent deutlich in der Minderheit. Trotz Industriearbeiterstadt blieben Töchter von Arbeitern unter der Drei-Prozent-Marke. Es gab eine einzige Professorin, deren Vorlesungen noch verstaubter waren als die ihrer Kollegen. Tutorinnen und vereinzelte weibliche wissenschaftliche Hilfskräfte  gab es nur bei den Romanisten. Dort durften sogar neue reformpädagogische Lehrmethoden mit den Erstsemestern ausprobiert werden. Aber dieser Prof kam ja direkt aus Berlin. An den Lehrstühlen selbst tauchten Frauen höchstens als Sekretärin auf. Eine davon hat mir verraten, dass ich mit Foto auf der schwarzen Liste für gefährliche Subjekte stehe. Wenn man Staatsexamen und Referendarstelle für eine mögliche Beamtenlaufbahn plante, war das von Belang. Und hat mich zum Referendariat in das damals noch liberalere Hessen emigrieren lassen.

Dass wir Frauen auch gemeinsame Interessen haben, die nicht unbedingt die gleichen sind wie die der männlichen Studenten, haben wir erst langsam erkannt. Und dass es nicht reicht, die Texte von Marx bis Marcuse nur gelesen zu haben, auch. Dass wir unsere Forderungen öffentlich vertreten und durchsetzen können, mussten wir als Minderheit in diesem Betrieb erst lernen. Dass es vielleicht auch kreativere Formen der Bewegung geben könnte als endlose Theoriediskussionen, auch.

Aber den Marsch durch die Institutionen, wie ihn die Gruppe um Rudi Dutschke geplant hatte, den haben wir damals begonnen. Getragen von der Vorstellung, dass alles, was von Menschen gemacht ist, auch von Menschen anders und besser gemacht werden kann. Und wenn der lange Atem besonders strapaziert wurde, sangen wir mit John Lee Hooker ‚a better world to live in‘ oder mit der Gruppe Bots, ‚das weiche Wasser bricht den Stein‘. Wie sagt Gretchen Dutschke in ihrem Buch über die 68er: ‚Darauf können wir stolz sein‘. Natürlich nur, wenn wir weiter daran arbeiten. Sage ich.

iws www.wortstellerin.de


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Die Autorin

Iris Welker-Sturm lebt in Darmstadt. Sie verknüpft Wort, Bild und Objektkunst in Ausstellungen und Lese-Konzerten. Studium der Kommunikationswissenschaften. Mehrere Jahrzehnte als Lehrkraft tätig und in der Lehrer!nnenausbildung. Neben der künstlerischen Tätigkeit arbeitet sie zurzeit mit geflüchteten Frauen. Zahlreiche Ausstellungen, Lesekonzerte und Veröffentlichungen in Anthologien und  MATHILDE, dem nicht-kommerziellen Frauenmagazin. Zwei eigenständige Gedichtbände, zuletzt: das unerhörte zwischen. gedichte & mokka kaos. Auszeichnungen: u.a. Dagmar-Morgan-Preis (2016), Landschreiber-Preis (2014),
ver.di: Stimmen gegen rechts (2013) Webseite: www.wortstellerin.de

Bild: privat

 

 

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