Nein, ein Anruf bei Bild-Chefredakteur Dieckmann ist nichts, wofür man strafrechtlich belangt werden kann. Selbst wenn man Bundespräsident ist, darf man jederzeit versuchen, Dieckmann zu erreichen. In der Regel wird man allerdings erfolglos bleiben. Selbst wenn man in dem Anruf darum bittet, Berichterstattung zu verschieben oder zu verhindern, die belegen soll, dass man den niedersächsischen Landtag getäuscht hat, ist dies nicht strafbar. Bitten darf man ja. Ob man sich allerdings so verhalten sollte, wenn man Bundespräsident ist, Strafrecht hin oder her? Jeder würde das tun, nicht wahr? Darüber haben wir damals ja lang und breit diskutiert.

Nun geht es nicht mehr um diese Dinge, sondern es geht um eine Hotelübernachtung und Bewirtungskosten im Zusammenhang mit einer München-Reise. Von den 21 Vorwürfen, die die Staatsanwaltschaft Hannover auf strafrechtliche Relevanz geprüft hat, ist dieser eine Vorwurf übriggeblieben: Wulff soll diese Übernachtung, diese Bewirtung quasi als Geschenk des Filmproduzenten Groenwohld angenommen haben. Später soll er dann einen Bettelbrief an Siemens-Chef Löscher mit der Bitte geschrieben haben, Groenewohlds Filme zu sponsern. Nur diesen einen Anklagepunkt hält die Staatsanwaltschaft also für belegbar. Pipifax oder nicht? Man hat Herrn Wulff also einen Deal angeboten: Niederschlagung der Anklage gegen Zahlung von ein paar Euro. Wulff hat abgelehnt. Er hält sich für unschuldig. Auch im Lauf der ganzen Debatte um seine Präsidentschaft vor gut einem Jahr hat er, der Rechtsanwalt, stets darauf beharrt, sich rechtlich einwandfrei verhalten zu haben. Jetzt will er seinen guten Ruf zurück. So kommt es, dass wahrscheinlich bald zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Bundespräsident a.D. vor Gericht stehen wird.

FR-Leitartikler Christian Bommarius zieht Bilanz:

„Am Ende aber ist das gewaltige Gebirge aus Verdächtigungen, Gerüchten und Vermutungen, das sich monatelang über Wulff türmte, geschrumpft zu einem Sandkorn, der Sumpf der Korruption, in dem die Ermittler Wulff versinken sahen, rückstandslos verdampft bis auf einen kleinen trüben Fleck. Aber der Fleck darf kein Fleck, sondern muss ein Sumpf sein, weil nur der Vorwurf der Korruption die Verbissenheit rechtfertigt, mit der die Staatsanwaltschaft noch immer das Verfahren gegen Wulff betreibt, und die Entschlossenheit erklärt, den Mann vor Gericht zu zerren. So drehen die Ermittler aus der Bezahlung einer Übernachtung durch einen befreundeten Filmproduzenten Wulff den Strick der Bestechlichkeit.“

Pipfax oder nicht?

Eberhard Drück aus Wachtberg meint:

„Sehr geehrter Herr Bommarius, Ihr Leitartikel verwundert mich schon. Es geht nicht mehr darum, ob der Vorwurf zu einem Sandkorn oder einem Felsbrocken geschrumpft ist. Ob 200 oder 7000 Euro als Geschenk ist doch völlig egal. Die Staatsanwaltschaft sieht einen Zusammenhang zwischen Geschenk und Einsatz für den Film, dann ist es doch völlig legitim, dies vor Gericht klären zu lassen. Sie sehen keinen Zusammenhang – okay. Aber offensichtlicher Schwachsinn ist das Bohren der Staatsanwaltschaft auf jeden Fall nicht. Wer glaubt, im Bayerischen Hof für 200 Euro übernachten zu können, ist blind oder naiv.
Nach Ihrer Logik kann Wulff doch gar nichts Besseres passieren. Der Vorwurf ist Ihres Erachtens so absurd, dass der Freispruch zwangsläufig ist, und Wulff steht völlig rehabilitiert da.
Was sagen die Kritiker der Staatsanwaltschaft eigentlich dem kleinen Beamten, der 200, 300 Euro aus „Freundschaft“ genommen hat und dafür bei irgendeinem Vorgang Fünfe gerade hat sein lassen?
Aber es wird anders kommen: Jetzt wird das Gericht bombardiert, die Anklage erst gar nicht zuzulassen – das passiert fast nie. Aber bei einem Prominenten wie Wulff vielleicht doch. Es geht ja nur um … xy Euro.
In einem Fall wie diesem, wo alle Welt inzwischen fasziniert zuschaut, sollte man das Gericht in Ruhe lassen, es soll sorgfältig und unbeeinflusst den Fall untersuchen und dann sein Urteil sprechen. Und dann ist der Rechtsfriede zu aller Zufriedenheit wieder hergestellt.“

Reinhard Wöbke aus Berlin:

„Ex-Bundespräsident Wulff, Sie tun recht daran, wenn Sie den schmutzigen Deal nicht eingehen. Sie haben gute bis sehr gute Karten, Ihre Unschuld durch Gerichte zu beweisen, die „selbstherrlich agierenden“ (übrigens auch eine Variante der Korruption im eigentlichen Sinne) Staatsanwälten zwar nicht das Handwerk legen, aber vielleicht die so ersehnte Beförderung aufschieben. Dass infolge der Amtshaftung auch Beamte zur Rechenschaft gezogen werden können, kommt übrigens intern doch schon das eine oder andere Mal vor.
Schauen wir uns schließlich den „Preis des Deals“ an. Millionen zahlten Ackermann und Co., hier bietet die Staatsanwaltschaft 20000 Euro an. So lächerlich wie dieser Betrag ist, so lächerlich wird auch das Ermittlungsergebnis sein. Und dafür stürzen beförderungsgierige Staatsanwälte Deutschland in eine Vertrauenskrise? Wie verkommen ist unser Land, wenn so die Staatsanwaltschaften sind!“

Diskussion: frblog.de/wulff3

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10 Kommentare zu “Das Fällchen Wulff

  1. Tja, wie schon damals in der Diskussion von mir angemerkt, sind wir auf einem Niveau der Kandidatenzerstörung angelangt, das geeignet ist, den Rechtsstaat auf die Qualität des Rufmords herabzusetzen.
    Man hat verlangt, bei Wulff, bei Köhler und auch bei Gauck, daß der Kandidat und der Präsident über jeden Verdacht erhaben sein muß, ganz gleich, von welcher Seite, mit welcher Intension und mit welchem Wahrheitsgehalt dieser erhoben wird.
    Köhler hat damals die richtige Entscheidung und die richtige Begründung für seinen Rücktritt gefunden, denn es fehlte am Respekt vor dem Amt und vor dessen Inhaber.
    Leider hat sein Rücktritt nicht den nötigen Denkprozess bei den Kritikern ausgelöst, sondern nur die Lust daran befördert, daß man per Medium ein Amt und einen Amtsträger demontieren kann. Diese zutiefst undemokratische Haltung, die dabei offenbar wurde und auch von mir kritisiert wurde, hat bis heute angehalten.

    Wulff hat gefordert, sich im Amt gegen die Verdächtigungen zur Wehr setzen zu dürfen und den einfachsten und wichtigsten Grundsatz des Rechtsstaates für sich (und alle) eingefordert, daß nämlich der für unschuldig zu gelten hat, dessen Schuld nicht erwiesen und richterlich festgestellt worden ist.
    Viele sind weiterhin der unbesonnenen medialen Wirksamkeit gefolgt und haben die Meinung zum Knecht der politischen Intension gemacht, einige haben sogar offen die Abschaffung dieses Amtes gefordert, das für sie nur ein lächerliches Konstrukt war.

    Gauck hat es geschafft, die Würde des Amtes halbwegs wiederherzustellen, wenn auch nur auf dem Wege, daß man ihm nichts vorwerfen kann.
    Die demokratische Erkenntnis hat er aber nicht befördert, die da heißt, daß man die höchste Autorität im demokratisch verfassten Staate nicht zu kritisieren hat, es sei denn, man wünscht sich eine wirksamere.

    Endlich bleibt von den Vorwürfen gegen Köhler, Wulff und Gauck nur heiße Luft und ein Autoritätsproblem derer, die mit einer so komplexen und wohldurchdachten Autorität wie einem Verfassungsorgan „Präsident“ nicht leben können.

    Die wichtige Erkenntnis wie immer zum Schluss: Über jeden Verdacht erhaben zu sein heißt auch, keinen unbegründeten zu erheben.

  2. @BvG
    Formal haben Sie ja Recht mit Ihrer „die höchste Autorität im demokratisch verfassten Staate“. Aber was ist es denn wirklich? Eine Fachkraft für Sonntagsreden und Staatsempfänge, im Volksmund auch gern Grüßaugust genannt. Wieviel Würde das Amt hat, ist gut an den Schachereien der Parteien zu sehen, wenn es darum geht, es neu zu besetzen, dann sieht man die nicht in der Verfassung fixierten Funktionen: Versorgungs- und Ehreneinrichtung für altgediente Parteigenossen, Einwegbeförderung für Konkurrenten u.s.w..

    Nach derartigen Machtspielchen kann dieses Amt immer nur soviel Würde besitzen, wie derjenige mitbringt, den es gerade dahin verschlagen hat, und wenn der zu dämlich ist, auch nur den Grüßaugust zu geben, ohne lächerlich zu werden, ist es nicht die Schuld, sondern die Aufgabe der Presse, wenn sie davon berichtet.

    Und da hatten wir ein bisschen Pech in letzter Zeit: Der eine hatte einen Hang zu unglücklichen Formulierungen und, was ich schlimmer fand, zur christlichen Missionierung dieser Republik, und konnte es nicht vertragen, wenn man ihn darauf hinwies. Der andere war trotz der guten Ausstattung dieses Amtes ein Schnorrer vor dem Herrn bis hin zum Anschein der Käuflichkeit und damit nur noch peinlich in seinem Schaulaufen und wollte dann auch noch demonstrieren, wie die Boulevardpresse nach seiner Pfeife tanzt und hatte sich verrechnet.

    Ich würde das alles nicht so wichtig nehmen: shit happens – besonders auch in hohen Positionen, zu deren Erreichen ein bisschen Soziopathie nicht unbedingt schädlich ist. Und ob der Wulff sich jetzt einen Wolf strampelt oder die Linde rauscht …. wenn letztere doch nur endlich ihre Blätter entfaltete. Das wäre mir wirklich wichtiger.

  3. Für mich waren die letzten Jahre doch nichts anderes als der Beweis das dieses Amt ein lächerliches Konstrukt ist. BvG, was würde wohl ein Staatsbürger der USA denken wenn er ihren Beitrag liest? Was ich glaube das er denkt schreibe ich jetzt hier nicht.

  4. @hans, wohlgemuth

    Was das Amt ist und was es sein sollte, wäre zur richtigen Zeit eine Diskussion wert gewesen, die ich auch angeregt habe, leider ist es dazu nicht gekommen.
    Trotzdem bin ich noch immer der Meinung, daß die Wähler sich dieses Amt zurückerobern sollten und ihm mehr Gewicht verleihen sollten.
    Ich halte es für ein Symptom, daß gerade dieses Amt politisch so mißbraucht und in Mißkredit gebracht wird, denn es stellt de facto die einzige personalisierte Autorität dar, die dem Parlament, der Regierung und dem Volk gegenübersteht.
    Es bloss lächerlich zu machen und letztlich nur die eigene Unwirksamkeit auf das Amt zu reflektieren ist nicht genug.

    Solche despektierlichen Aufkleber wie „Grüßaugust“ sprechen nur dafür, daß die Bedeutung des Amtes eher unterschätzt wird.
    Was ein amerikanischer Staatsbürger dazu sagen würde weiß ich nicht, aber gerade die amerikanischen Wahlkampfmethoden und die amoralische/moralinsaure Durchleuchtung der Kandidaten stoßen mir besonders sauer auf. Über solche Kulissenschiebereien muß man hier ja wohl nicht reden.
    Für mich auffällig ist jedenfalls, daß Präsidenten ohne Parteien-„Hausmacht“ sehr schnell den politischen Alltagsgeschäftlern zum Opfer gefallen sind, wenn sie die Regierung oder sonstige Staatslenker kritisiert haben.

    Was ist aber die wirkliche „Hausmacht“ des Bundespräsidenten?

  5. zu @ BvG
    Ganz einfach, es gibt keine. Deshalb ist er auch überflüssig. Jemand der in Wirklichkeit nichts umsetzen kann und von der jeweillig stärksten Partei eingesetzt, gesteuert und /oder nicht ernst genommen wird muß auch keine schönen Reden halten.

  6. Ach, Leute, wir haben keinen Kaiser mehr, auch keinen König, lasst uns doch den Luxus eines Präsidenten. Wer sollte denn sonst all die Empfänge geben, Ehrungen vornehmen und Orden verleihen ?

    Zum „Fall Wulff“ : Hier haben „die Medien“ ihre Macht demonstriert und damit gezeigt, dass niemand, wirklich niemand, vor ihnen sicher sein kann.

  7. „Zum “Fall Wulff” : Hier haben “die Medien” ihre Macht demonstriert und damit gezeigt, dass niemand, wirklich niemand, vor ihnen sicher sein kann.“ (maderholz #6)
    Das glaube ich nicht – die Medien haben – zumindest in den oberen Etagen – nicht mehr Macht über Menschen, als diesen ihnen von sich aus geben. Nur wer seine Attraktivität für das breite Publikum nur von den Medien bekam, anstatt seine Bekanntheit durch Leistung zu erarbeiten, fällt ins Bodenlose, wenn ihm die Medien ihre Gunst entziehen.

    „Wer mit der Bild-Zeitung im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten“ hat der Springer-Chef Mathias Döpfner es einmal sinngemäß beschrieben.

    Die Skandalisierung der Wulffschen Praktiken war PR-technisch in eigener Sache geradezu genial und vom moralischen Standpunkt erheblich weniger problematisch als es ein Verschweigen gewesen wäre – Verschweigen hätte ein journalistisches und moralischen Versagen bedeutet.

    Zum Aufhänger: Ob juristisch aus dem Fall Wulff wirklich ein Fällchen geworden ist, da würde ich das Ende der Verhandlung abwarten. Ansonsten sollte jemand, der zugunsten religiöser Praktiken Menschenrechte relativiert, nicht versuchen, anderen „moralischen Invalidität“ zu bescheinigen. (jetzt habe ich endlich auch einmal ein „ceterum censeo …“. 😉 )

  8. Wulffs Verfehlungen waren nicht die schlimmsten , haben aber gereicht , um den Rücktritt unumgänglich zu machen .
    Auch muß natürlich juristisch verfolgt werden , was juristisch relevant ist ,völlig unverhältnismäßig war jedoch die Hexenjagd , die von Medien und von Teilen der Bevölkerung betrieben wurde , da bleibt ein unangenehmer Beigeschmack.

    Wer geschickt genug ist , seine faktische Korrumpierbarkeit gut zu verstecken , wird in Frieden gelassen , mit Wulff hat es nur den erwischt , der blöd genug war , sich erwischen zu lassen.
    Auch bin ich mir sicher , daß Viele der an anderer Stelle sehr unterwürfigen Mitmenschen sehr viel ruhiger reagiert hätten , wäre Wulff ein Maulaufreißer wie Gauck , Söder oder aktuell Hoeneß.
    Wir leben nach wie vor in einem Volk , wo ein Stück weit Leute für stark und respektabel gehalten werden , wenn sie nach außen hin den Breiten markieren.

    Leistet sich hingegen ein eher ruhiger Zeitgenosse wie Wulff Verfehlungen , so ist das ein Signal für den kleinbürgerlichen Teil der Gesellschaft , jetzt mal so richtig vom Leder zu ziehen.

    Um dann am Montag wieder bis zum Anschlag im Allerwertesten des Chefs zu verschwinden.

    Seriöse Ktitik an Wulffs Gebaren jedoch ist durchaus eine positive Entwicklung.

    Schließlich ist es noch nicht lange her , daß Autoritäten per se unangreifbar waren und sich so ziemlich alles leisten konnten.

  9. Die allererste Regel, die ich aufstellen würde ist, daß ein Bundespräsident nicht aus den Reihen aktiver Politiker kommen darf.
    Die zweite wäre, daß er für die Amtszeit eine vollständige Immunität genießt, abgesehen von Straftaten, die während der Amtzeit begangen werden.
    Diese Immunität erstreckt sich jedoch nicht auf die Zeit nach der Amtszeit.
    Drittens sollte eine Kandidatenüberprüfung nur in sehr engen Grenzen stattfinden dürfen, um das Müllgestöber interessierter Kreise zu unterbinden.
    Viertens soll es während der Amtzeit nicht zulässig sein, eine Kritik in einer Form vorzubringen oder mit dem Ziel vorzubringen, einen Rücktritt oder eine Amtsenthebung am festgelegten Verfahren vorbei zu erzwingen.
    Fünftens sollte jede Kritik sich auf den sachlichen Gehalt der Äusserungen des Präsidenten beschränken und den Erkenntnisgewinn der Gesellschaft befördern und keinesfalls die persönliche Integrität des Präsidenten zum Thema machen.
    Sechstens sollte eine Amtsenthebung oder ein Rücktritt nur dann zulässig sein, wenn Verfehlungen nachgewiesen(!) sind.

  10. Ich empfinde es als ausgesprochen beschämend für die damaligen Protagonisten, daß die, die hier und anderswo eine unreflektierte Hetze gegen Köhler, Wulff und Gauck betrieben haben, nicht die Größe besitzen, ihre Fehler einzugestehen und dies öffentlich zu machen. Solange es ein Opfer gab,(welches die Rundschau präsentierte!), war es ein leichtes, darauf einzuschlagen.

    Die sogenannte Linke krankt noch immer daran, daß sie ihr Verhältnis zur Autorität nicht klärt. Solange wird sie den Autoritären auch nichts entgegenzusetzen haben.

    In dem ganzen Tohuwabohu ist mir eines wieder sehr deutlich geworden: Die sogenannten Linken sind nicht in der Lage, eine selbstgewählte, demokratische Autorität zu akzeptieren und dieser ggf zu gehorchen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, daß sie den selbstgefassten Regeln nicht genügen wollen.

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