Sie sind unter uns. Mitten in dieser riesigen Wüste namens Europa, deren gierige Staaten die Steuern hilfloser Bürger nur so aufsaugen, selbst hier gibt es Steueroasen – auch in Europa. Man muss nicht bis nach Singapur oder auf die Caiman Islands fliegen, um sein sauer, aber vielleicht nicht ganz sauber verdientes oder erzocktes Geld vor dem Fiskus in Sicherheit zu bringen. Es reicht, zu einer der in Deutschland real existierenden Banken zu gehen und zart anzudeuten, dass man da ein paar Milliönchen hat, die man aber gern für sich allein hätte, am besten in einer Form, in der sie sich weiter vermehren. Mit gewisser Wahrscheinlichkeit wird man Angebote für Anlagemodelle, etwa in Stiftungen, in der Schweiz, in Liechtenstein, Luxemburg oder Österreich bekommen. Darüber regt sich kaum noch einer auf, es sei denn, aus einem dieser Steuerparadiese taucht mal wieder eine CD mit Steuerdaten auf. Dann kann es durchaus sein, dass 1000 deutsche Leistungsträger vorsorglich Selbstanzeige erstatten, wie gerade erst wieder in Hamburg geschehen. Ist ja alles auch nicht neu. Es gibt jedes mal eine Erregungswelle, die den Gesetzen des Shitstorms folgt – drei Tage tobt er, dann wandert das Empörungspotenzial zum nächsten Thema, und gut ist.
„Das Halali auf Steuerflüchtlinge geht in die nächste Runde“, warnte Christof Wörndl von der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers in Österreich bereits 2011 seine Kunden. Der Mann ist Hellseher. Einem Journalistennetzwerk wurde jetzt ein Datensatz namens „Offshore Leaks“ zugespielt – wobei der Begriff „Datensatz“ euphemistisch wirkt: Die Datenmenge aus insgesamt zehn Steueroasen umfasst 260 Gigabyte, es handelt sich um 2,5 Millionen Dokumente. 130000 Personen aus mehr als 170 Ländern würden in den Unterlagen aufgelistet, heißt es. Die Dokumente stammten von zwei Firmen, die auf die Errichtung sogenannter Offshore-Gesellschaften spezialisiert sind. Sie gehörten zu den größten Anbietern weltweit. In den Unterlagen finden sich die Namen von Oligarchen, Waffenhändlern und Finanzjongleuren, aber auch hunderte deutsche Fälle, unter ihnen der 2011 verstorbene Millionenerbe Gunter Sachs.
Sie sind ja auch wirklich arm dran, diese „Steuerflüchtlinge“. Flüchtling zu sein ist ein hartes Schicksal. Wer sich dessen vergewissern will, muss nicht bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zurückgehen, wo Ströme von Menschen aus Osteuropa auf der Flucht vor der Roten Armee waren. Er kann das Flüchtlingsschicksal auch aktuell besichtigen, etwa in Syrien. Es ist die Wortwahl solcher Protagonisten wie Wörndl von Pricewaterhouse Coopers, die mich auf die Palme bringt, denn sie markiert die auf Steuern angewiesenen Staaten als raubgierige Aggressoren, vor denen das gute Geld in Sicherheit gebracht werden muss. Stellen wir es richtig: Diese Leute sind keine „Steuerflüchtlinge“, sie sind Steuerhinterzieher! Und sie profitieren davon, dass die Nationalstaaten gegen die multinationalen Verschleierungs-Strukturen der Finanzwirtschaft vergeblich anrennen. Wie das im Detail geht – hier ein Artikel am Beispiel des Playboys Gunter Sachs.
„Die Wut über das Milliardenverbrechen Steuerflucht vereint alle Parteien“, schrieb Markus Sievers in seinem FR-Leitartikel „Einig gegen Steuerflucht„. Ja, in Form von Lippenbekenntnissen. Ohne den Leserbriefen vorgreifen zu wollen, möchte ich den zarten Verdacht äußern, dass es in Deutschland mindestens zwei Bundesländer gibt, die in dem Verdacht stehen könnten, mit wenig Steuerfahndern und seltenen Steuerprüfungen als besondere Art der Wirtschaftsförderung zu werben und so Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu leisten, nämlich Hessen und Bayern. Beide werden von einer schwarz-gelben Koalition regiert. Ach ja, und wer hat das gesagt mit der Wirtschaftsförderung? Das war der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der jetzt – Achtung Wahlkampf! – zusammen mit Peer Steinbrück eine bundeseinheitliche Steuerfahndung fordert. Das wäre ja schon mal was. Genauer gesagt: Das ist mal wieder so was, wo man sich fragt, warum es das nicht längst gibt. Ja, der deutsche Föderalismus!
Kommen wir zu den Leserbriefen und dem Hohn, den die FR-Leser über Wolfgang Schäuble ausgießen, der sich nach Bekanntwerden von „Offshore Leaks“ bemerkenswerterweise „überrascht“ gezeigt hatte. Herbert G. Just aus Wiesbaden schreibt:
„Seit mehr als zehn Jahren weist Attac unermüdlich darauf hin, dass erhebliche Mengen Geldes unversteuert in Steueroasen verschoben werden. Und jetzt zeigt sich unser Finanzminister davon überrascht! Offenbar ist dieser Mann deutlich weniger fähig als gemeinhin angenommen. Aber jede Wette: Ändern wird sich daran, an den Steueroasen, nichts, denn wie das Beispiel Frankreich zeigt, sind auch Politiker Nutznießer dieses Systems.“
Peter Boettel aus Göppingen
„Laut lachen musste ich, als ich von der Reaktion der Bundesregierung, sie sei über den Umfang der Steuerflucht „überrascht“. Diese Reaktion ist ebenso heuchlerisch und pharisäerhaft wie die Äußerung von Minister Schäuble, der Kampf gegen Steuerhinterziehung sei „unendlich mühsam“ .
Seit Jahren (Beispiel Zumwinkel) ist bekannt, wie die Größen, Bosse ihr Geld in Steuerparadiesen horten. Im Juli 2012 hat Spiegel Online, das gewiss nicht im Verdacht steht, der Linken nahezustehen, gemeldet, dass „die Reichen der Welt Finanzvermögen von 21 bis 32 Billionen Dollar in Steueroasen gebunkert haben. Dies entspricht mehr als dem gesamten Bruttoinlandsprodukt der USA“. Eine jährlich erscheinende Rangliste von Deutschen in der Schweiz zählt über 50 prominente Hoteliers, Modezaren oder Spitzensportlern auf, die sich ihrer staatsbürgerlichen Pflicht entzogen haben, wobei Letztere vorher mit Steuer- und Spendengeldern gefördert wurden.
Nach aller Erfahrung kann festgestellt werden, dass wirksame Maßnahmen überhaupt nicht gewollt sind. Belegt wird dies durch die zögerliche Haltung der Regierung zur Einführung der Finanztransaktionssteuer, vor allem aber durch das dilettantische Abkommen mit der Schweiz, mit dem ein Ablassgeschäft zugunsten weiterer Steuerhinterziehungen geplant war.
Ebenso beweist die Reduzierung von Steuerfahndern und Betriebsprüfern in einigen unionsgeführten Bundesländern, wie wenig eine gerechte Erhebung von Steuern wirklich gewollt ist. Dabei wurden in Baden-Württemberg im Jahre 2012 10 weitere Steuerfahnder und 45 weitere Betriebsprüfer eingestellt. Die Fahnder erbrachten im Vergleich zum Vorjahr 22,6 Mio Euro und die Prüfer 438 Mio. Euro an Mehreinnahmen gegenüber dem Vorjahr.
Jeder ehrliche Staatsbürger muss sich betrogen fühlen, wenn ihm aus nichtigen Gründen Sanktionen verhängt werden, während seitens des Ministers nicht ernsthaft versucht wird, den großen Steuersündern das Handwerk zu legen.“
Wolf-Jürgen Deckert aus Ottobrunn:
„Ich finde es ziemlich dreist, wenn gerade der frühere Finanzminister Eichel bei Günther Jauch die Behauptung aufstellt, dass der Wähler über die künftige Steuerpolitik im Staat entscheidet. Er scheint vergessen zu haben, was sich 2009 abgespielt hat. Im Wahlkampf vertrat Frau Merkel die Absicht, die Mehrwertsteuer um zwei Prozent anzuheben. Die SPD sprach sich gegen jegliche Erhöhung aus. Heraus kam dann aber eine Erhöhung um drei Prozent. Deutlicher kann man als Politiker nicht zeigen, dass man auf Wahlkampfaussagen nichts geben kann, sondern dass Politiker nach der Wahl nach eigenem Gusto und nicht nach dem Wählerwillen entscheiden.
Wie damals bei der Mehrwertsteuer ergeht es jetzt der sog. kalten Progression, mit deren Abmilderung Wahlkampf gemacht wurde. Das Thema wurde still und heimlich beerdigt. Wenn in diesem Zusammenhang noch gesagt wird, derzeit habe man kein Geld, um Steuern zu senken, dann zeigt dies, wie der Bürger hinters Licht geführt wird, denn es geht bei dieser Problematik nicht um eine Steuersenkung, sondern auf den Verzicht einer Erhöhung! Kein Wunder, dass die Politikverdrossenheit immer mehr zunimmt.“
Henning Möller aus Freinsheim:
Einspruch, Herr Sievers! Ich spreche mindestens einer, eher zwei Parteien diese Einigkeit ab. Ein Blick zur Hessen-Redaktion der FR genügt, um die (partei-)politische Realität zu erkennen. Danke, Pitt von Bebenburg & Co., die hartnäckig den Steuerfahnder-Skandal recherchiert haben! Und wenn Vizekanzler Rösler von der „Steuern senken“-Partei die Medien zur Herausgabe der Steuer-„Optimierer“-Daten auffordert, dient das nur dazu, den Medien die „Schuld“ in die Schuhe zu schieben und dem Wahlvolk Sand in die Augen zu streuen. In Wahrheit fürchtet er die Offenlegung. Denn beim Abgleich mit Mitglieder- und Spenderlisten seiner FDP gäbe es sicher viele Dopplungen. Wenn er wirklich an die Steuerhinterzieher ran will – ein Anruf bei Parteifreund Leif Blum genügt.“
Das eigentlich Interessante an offshore-leaks ist die internationale Zusammenarbeit der beteiligten Journalisten.
Das zeigt einen Weg auf , den der Journalismus in Zukunft gehen könnte , die Globalisierung kritischer Kräfte als Reaktion auf die globalisierte Wirtschaft und nicht zuletzt auf die Krise des Journalismus selber.
Eine Entwicklung , die auch in anderen Bereichen einer potentiellen Gegenöffentlichkeit Schule machen könnte und für bestimmte Kreise durchaus nicht ungefährlich werden könnte…
Als besondere Art von „Wirtschaftsförerung“ werden Hessen und Bayern genannt, die wegen wenigen Steuerfahndern und seltenen Steuerprüfungen Steuerhinterziehungen erleichtern. Pitt von Bebenburg hat das für den Fall Hessen ausführlich dokumentiert. Aber weshalb die Landesregierung bzw. einzelne Politiker an der Behinderung der Aufdeckung dieser kriminellen Steuerhinterziehungen interessiert sind, welche Vorteile sich für sie davon ergeben (Parteispenden?), darüber erfährt man zu wenig. Henning Möller erwähnt den sicher interessanten Abgleich der Mitglieder- und Spendenlisten z.B. der FDP. Es bleibt zu hoffen, dass- noch vor der Wahl- Journalisten bei solchen Abgleichen fündig werden.
Herr Bronski – sind Sie auch ein „Neidhammel“?
Gewöhnlich wird bei derartigen Gelegenheiten, allen voran von der Steuersenkungspartei, moralisch aufgeplustert, auf eine „Neiddebatte“ verwiesen – getreu dem Motto, nicht der Verursacher von Missständen ist schuld, sondern, wer darauf verweist. Nun traut man seinen Augen kaum:
In der gemeinsamen „Wut“ finden sich selbst FDP und Linkspartei zusammen („Einig gegen Steuerflucht“, FR, 6.4.13). Sollte der „Neidhammel“-Virus sogar die Sachwalter der Besserverdienenden angefallen haben?
Und nun stellen Sie sich auch noch hin, und wollen den armen Gunter-Sachs-Erben auch noch den legitimen Anspruch auf die Bezeichnung „Flüchtlinge“, also von Verfolgten, abspenstig machen!
Im Ernst:
Natürlich ist die Bezeichnung „Steuerflüchtling“ nicht nur verharmlosend und grotesk, sondern für Millionen von Menschen, die erfahren haben, was „Flüchtling“ zu sein heißt, höchst beleidigend. –
Aber Klappern gehört wohl zum Geschäft, und Wortverdrehungen zu einem politischen Geschäft, das Bemühungen um Abhilfe vortäuschen will, an die es gar nicht denkt. Oder von Politikern, die erst zum Jagen getragen werden müssen. Man denke z.B. nur an den Euphemismus „Entsorgungspark“. (Was haben die Wendländer eigentlich gegen einen „Park“?)
Wer in irgendeinem europäischen Land die zulässige Geschwindigkeit nur um 5 km/h überschreitet, findet prompt in seinem Briefkasten einen Zahlungsbefehl vor. Warum tut sich ein Herr Schäuble eigentlich so schwer mit der der Verfolgung von Steuerhinterziehern, deren Betrugsmanöver er auch noch als „legal“ tituliert? Was ist eigentlich „legal“ an der Gründung einer Briefkastenfirma in einem „Steuerparadies“ (noch so ein Euphemismus!) zum Zwecke der Geldwäsche, zumindest aber des Betrugs an der Allgemeinheit? Und warum ist es so unendlich schwer, die tatsächlichen Tätigkeiten – und Steuerzahlungen – einer solchen „Firma“ ausfindig zu machen?
„Betrug“ – so erfährt man bei Wikipedia – „bezeichnet im Strafrecht Deutschlands ein Vermögensdelikt, bei dem der Täter in der Absicht rechtswidriger Bereicherung das Opfer durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen gezielt so täuscht, dass es sich selbst oder einen Dritten am Vermögen schädigt und damit materiellen Schaden zufügt.“
All das trifft wohl auf Steuerhinterzieher zu. Warum nennt man sie dann nicht „Betrüger“, sondern mutiert sie zu „Flüchtlingen“? Etwa weil es sich bei dem „materiellen Schaden“ nicht um ein Brötchen handelt wie bei besagter Verkäuferin, die unverzüglich entlassen wurde, sondern um einen vielfachen Millionenbetrag? Oder weil der Geschädigte nicht ein Geschäftsinhaber ist – von dem vielleicht die Regierungsparteien regelmäßige Zuwendungen als Parteispenden erfahren –, sondern „nur“ die Allgemeinheit, also wir alle?
Herr Schäuble, wir wollen Aufklärung!
Von der FR sollte man vielleicht erwarten – wie im hessischen Steuerfahnderskandal – sich an die Spitze der Fragenden und Nachforschenden zu stellen.
Auch das ZDF sendet ab und zu sehenswerte Beiträge. Dazu folgender Pressetext:
Sie machen Milliarden-Gewinne, sie agieren auf der ganzen Welt, doch sie zahlen immer weniger Steuern. Nicht nur Apple, IKEA oder Starbucks – auch deutsche Konzerne haben ein weitverzweigtes Netz an Finanztöchtern in Steueroasen. Der Schaden für die Gesellschaft scheint gigantisch. (…). Dass internationale Konzerne ihre Gewinne mittels Briefkastenfirmen in Niedrigsteuer-Länder verschieben, dafür hat Bundesfinanzminister Schäuble sogar Verständnis: „Jedes Unternehmen muss versuchen, die steuerlich günstigsten Möglichkeiten herauszukriegen. Wer multinational tätig ist, wird seine Steuerbelastung durch Verlagerung reduzieren. Das ist nicht illegal, sondern legal.“
Quelle Mediathek des ZDF: http://www.zdf.de/ZDFzoom/Flucht-in-die-Karibik-26322778.html
Es ärgert mich immer wieder aufs Neue, wie in unserer Republik eben nicht alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind, sondern die einen als Kriminelle verfolgt werden, andere verharmlosend „Steuersünder“ genannt werden. Also auf der einen Seite die arbeitslosen Hartz-IV-Bezieher die bei geringsten Formfehlern mit Sanktionen belegt werden, dass es nur so kracht. Verlust von Krankenversicherung wegen verhängter Sperrzeiten sind nur ein Detail in diesem erbärmlichen Geschäft.
Unsere „Leistungsträger“ wurden in den letzten Jahren mit Milliarden-Beträgen von Steuerpflichten entlastet, doch auch das ist noch zu viel. Gleichzeitig reklamieren diese Asozialen den schlechten Zustand von Strassen, Schulen, öffentlicher Infrastruktur.
Einmal angenommen, die Bundesregierung würde die Abschaffung aller Unternehmenssteuern beschliessen, was würde passieren?
Die Henkels, Hundts und wie sie heissen würden mit staatstragender Miene erklären, dass sei ein Schritt in die richtige Richtung, der selbstverständlich nicht ausreicht.
Abschliessend möchte ich noch anmerken, dass es der SPD-Finanzminister Eichel war, der seinerzeit den Zollbeamten an den Grenzen, speziell der Schweiz untersagte, bei beträchtlichen Geldfunden eine Kontrollmitteilung an das zuständige Finanzamt zu schicken. Zollbeamte berichten immer wieder, dass sie bei Fahrzeug-Kontrollen teilweise Millionenbeträge im „Reisegepäck“ finden, aber nichts unternehmen dürfen.
Also, nicht nur FDP und CDU sind die Steuerhinterzieher- Patrons, die SPD kann das genauso gut.
Der neueste Fall eines prominenten Fußballclubpräsidenten und Talkshow-Saubermanns wird hohe Wellen der Entrüstung schlagen. Schauen wir mal, wie der Fall weiter behandelt wird. Es bleibt spannend.