In einer verwirrten Zeit ist alles möglich

Unsere Kanzlerin ist bekanntlich besonders gut darin, sich gerade im Unkonkreten konkret wohlzufühlen. Man könnte auch sagen: Wenn’s konkret werden müsste, wird sie unkonkret, aber alternativlos. Windelweich, unsere Kanzlerin, aber knallhart. Auch in der Snowden-Sache hat sie es erst mit Ausflügen ins Unkonkrete versucht: Von den Vorwürfen, die NSA greife in Deutschland massiv Daten ab, habe sie erst aus den Medien erfahren. Pofallala, wo warst Du denn?, fragte sich da schon der kritische Geist, der darüber informiert ist, dass der Kanzleramtsminister die Geheimdienste koordiniert und dass die Geheimdienste vielfach kooperieren, auch BND und NSA. Und der Kanzleramtsminister ist der Kanzleramtsminister ist der Kanzleramtsminister. Aber Merkel musste offenbar erst Rundschau lesen, um zu erfahren, was die NSA so treibt. Na, hoffentlich haben ihr die Ohren so geklingelt, dass sie den Minister jetzt austauscht. Oder hat er ihr berichtet, und sie sagt nicht die Wahrheit?

Nun soll man nicht alles ans Licht zerren, was die Geheimdienste so treiben. Angesichts der Gefahren durch internationalen Terrorismus ist ihre Arbeit zweifellos sinnvoll, und es ist auch sinnvoll, dass sie dabei in einer Grauzone agieren, in der es – sagen wir mal: Ermessensspielräume gibt. Ich persönlich habe mich schon oft gefragt, warum zum Beispiel auf dem Frankfurter Weihnachtsmarkt noch keine Bombe hochgegangen ist. Jedes Jahr wurde ich gewarnt, dort hinzugehen, und jedes Jahr bin ich nicht hingegangen, und jedes Jahr ging keine Bombe hoch. So gesehen: Gute Arbeit, lieber BND, liebe NSA!

Aber auch wenn man nicht alles ans Licht zerren soll, was die Geheimdienste so treiben, sollte man doch annehmen dürfen, dass zumindest unsere Regierenden darüber informiert sind, was die Geheimdienste so treiben, oder? Ich persönlich will das alles gar nicht wissen. Die werden dafür bezahlt und kriegen am Ende ihre Pensionen, und alle hatten was davon. Aber dass eine Merkel sich hinsetzt vor die Bundespressekonferenz und sagt, sie habe davon nichts gewusst, das ist – erstaunlich für unsere Bundesmutti. Erstaunlich konkret! Vermutlich bin ich nicht der einzige, der misstrauisch ist, denn sonst drückt sie sich unkonkreter aus. Selbst wenn es um Alternativlosigkeiten geht.

Und diese Frau will in etwa zwei Monaten wiedergewählt werden. Soll man das zulassen? Die schwarz-gelbe Regierung der Jahre 2009 bis 2013 war die schlechteste Regierung, die wir je hatten – das ist eine in Leserbriefen häufig geäußerte Einschätzung, und dafür gibt es bezwingende Argumente. Gar nicht mal in erster Linie wegen der Snowden-Sache. Ach, ich lasse einfach mal die FR-Leserinnen und -Leser selbst zu Wort kommen, die sich zur Kolumne von Klaus Staeck geäußert haben – Scan anbei.

So meint Nelly Böhmert aus Rodenbach:

„Es ist so wohltuend, hin und wieder Stimmen zu hören, die sich von dem momentan erschreckenden Einheitsbrei medialer politischer Berichterstattung abheben. Den Herren Staeck, Hebel, Schimmek und Herl sei gedankt. Die mediale Behandlung des aktuellen Wahlkampfes stellt in der Geschichte unseres Landes eine traurige Neuerung dar. Es wird in der Tat vorrangig über den vermeintlich sicheren positiven Ausgang für die Kanzlerin und die Unmöglichkeit einer Wende durch den SPD-Kandidaten berichtet, aber nicht über politische Inhalte. Dazu wird gelegentlich suggeriert, dass Unterschiede in den Inhalten so gut wie nicht vorhanden sind.
HALLO, es ist kein Unterschied zwischen einem flächendeckenden und einem nur in Bereichen geltenden Mindestlohn zu erkennen? Es ist kein Unterschied, ob die angekündigten Maßnahmen durch Steuererhöhungen finanziert werden sollen oder unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt werden? Ja, sind denn so viele kluge Menschen auf einmal blind und taub geworden? Was ist denn clever daran, sich kurz vor der Wahl sozialdemokratische Themen anzueignen, ihre Durchsetzung aber unter den Vorbehalt der Finanzierbarkeit zu stellen? Das ist durchsichtig, dreist und plump und ganz offensichtlich der Versuch, die Wähler für dumm zu verkaufen. Das jetzige ziemlich lustlos und hilflos wirkende Engagement der Kanzlerin und ihrer Regierung im Zusammenhang mit dem Abhör-Skandal geht ebenfalls in Richtung Volksverdummung. Es ist schwer vorstellbar, dass die Mehrheit der Wähler das nicht erkennt. Vielleicht sind die Menschen ja cleverer als die Meinungsforscher sich das vorstellen können und machen bei ihren Befragungen bewusst falsche Angaben. Das wäre doch ein Knaller und würde gut in diese merkwürdige Zeit allgemeiner Verwirrtheit passen. Warum sollte jemand offen und ehrlich Auskunft über seine politische Orientierung geben, wenn um ihn herum geschnüffelt, spioniert, vertuscht oder sogar gelogen wird? Unsere demokratisch gewählte Regierung denkt nicht daran, sich energisch für die Achtung unserer Bürgerrechte einzusetzen und die Medien wollen uns weismachen, dass es bei Wahlen nicht um politische Inhalte, sondern um die Verpackung geht. In einer derart verwirrten Zeit ist alles möglich.“

Peter Zwilling aus Mörfelden-Walldorf:

„Man sollte nicht mit dem Finger auf andere zeigen, denn mindestens 3 Finger zeigen zurück“. Diesen Spruch beherzigen wenige. Vor allem sollten sich Politiker und Parteien sich daran halten. Es wäre doch wohl einmal interessant die Schwarzgeldaffären der CDU mitsamt dem „Brutalstmöglichen Aufklärer“, dem „Ehrenwortkanzler“, der SED-Vergangenheit der Beliebigkeitskanzlerin“, den Gründen des Herrn Schäubele für das zum Glück geplatzte Abkommen mit der Schweiz usw., usf. zu durchleuchten. Auch bei der SPD sind bestimmt etl. Dinge zu hinterfragen, aber m.E. nicht so gehaltvolle.“

Peter Boettel aus Göppingen;

„In der FR vom 08.07.2013  hat der von mir wegen seiner Kommentare und des Buches „Mutter Blamage“ geschätzte Stephan Hebel einen bemerkenswerten Beitrag über die aktuelle Situation der Medien zutreffend beschrieben. Zwangsläufig fällt mir dabei eine Tafel im Berliner DDR-Museum ein, auf der unter dem Titel „Einheitsprogramm Ost“ geschrieben stand: „39 Zeitungen, zwei TV- und vier Radiosender – eine Meinung“. Bedenkt man, dass in der DDR rd. 17 Mio. Menschen immerhin 39 Zeitungen zur Verfügung hatten, müssen sich jetzt rd 80 Mio. in der gesamten Bundesrepublik mit der gleichen Anzahl von Zeitungen begnügen, die überwiegend ebenso wie die TV-Anstalten mit fragwürdigen Meinungsumfragen die Kanzlerin als Heilige in den Himmel erheben.
Dankenswerterweise haben in den vergangenen Wochen viele Leser sich über manche einseitige Äußerung – auch in der FR – über den SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück beschwert, und insbesondere im Leserbrief von Wolfgang Fladung vom 29.06.2013 wird die berechtigte Frage gestellt, was denn außer der Armut bei den Schwachen und dem Reichtum bei den oberen zehn Prozent tatsächlich gewachsen ist. Auch mir wird schlecht, wenn ich daran denke, was uns angesichts der zahlreichen und sich weiter mehrenden Skandale erst recht nach einer Wiederwahl der jetzigen Regierung erwartet.“

Heinz Weitzel aus Frankfurt:

„Seit langer Zeit sauge ich alles auf, was in Leitartikeln, Kolumnen, Leserbriefen und anderen Veröffentlichungen über unsere Regierung, insbesondere deren Frontfrau Angela Merkel gesagt, gemeint und schwadroniert wird. Ganz besonders hat mich die im Leserforum abgedruckte Meinung aus dem FR-Blog von Herrn Wolfgang Fladung Ende Juni beeindruckt, der unter der Überschrift ‚Auch mir wird schlecht‘ am heutigen 18. Juli im Leserforum seine Fortsetzung findet.
Unsere Verfassung sieht vor, dass das Staatsoberhaupt, also der Bundespräsident, nur einmal wiedergewählt werden kann. Für den Chef/die Chefin der Regierung gibt es kein Limit. Ich behaupte jetzt einfach, nach allem, was ich bisher gelesen habe und lesen musste, dass am Abend des 22.09.2013 nicht die Parteien, die für das Volk Politik machen und eine Umkehr des Neoliberalismus verwirklichen wollen, sondern die Partei, an deren Spitze die höchsten Sympathiewerte (warum auch immer) erzielt werden, die Regierung stellen wird.
Was würde denn passieren, wenn ein Kanzler/eine Kanzlerin nach zwei Legislaturperioden nicht wiedergewählt werden könnte? Wie würde denn die anstehende Wahl ausgehen, wenn die im Moment Regierenden einen neuen Kanzlerkandidaten zu präsentieren hätten, der ja durchaus auch von der Schwesterpartei aus Bayern kommen könnte? Wer könnte das und wer würde das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen, um der Konkurrenz Paroli bieten zu können? Für einen Erfolg erforderlich ist auf jeden Fall überzeugende Sachpolitik. Bevor Regierungsarbeit zum Personenkult verkommt, möchte ich im Sinne des gerade Gesagten für eine Änderung des Grundgesetzes eintreten. Es würde das politische Arbeiten beleben und der allgemeinen Verdrossenheit eine Alternative bieten.“

Dr. Ursula Samann aus Frankfurt:

„Angesichts der Umfragewerte hat man den Eindruck, dass Millionen erwachsener Deutscher das Trugbild einer „Mutti“ brauchen. Eigenes Denken erscheint da nicht erforderlich, da die Wischwaschi je nach Windlage versprechende Frau Merkel sich als Projektionsfläche unbewußter infantiler Wünsche anzubieten scheint. Die große Vera…. der Steuerzahler, die auf den Kosten dieser Politik sitzenbleiben werden, kann ungeniert weitergehen.“

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14 Kommentare zu “In einer verwirrten Zeit ist alles möglich

  1. Also ich weiß garnicht mehr was mich mehr schockt.

    Die vollumfängliche Schnüffelei?

    Die weitgehend abstrusen Rechtfertigungsgründe v.a. „Terror“?

    Die seltsame Nichtreaktion der Bevölkerung?

    Ein Irrenhaus!

  2. „Einheitsprogramm Ost“ (Peter Boettel)

    Interessanter Vergleich mit den gleichgemachten Medien des Westens , und man fragt sich , was eigentlich bedenklicher ist , die erzwungene oder die freiwillige Selbst-Gleichschaltung?

    Die Propaganda der DDR hat die Menschen irgendwann immunisiert und hat ihren gewünschten Effekt ins Gegenteil verkehrt , ich könnte mir vorstellen , daß unsere Form der medialen Volksverdummung dieselbe Wirkung hervorbringen wird.

    Mutti wirds allerdings nicht mehr betreffen , die dürfte recht genau wissen , was sie tut , und genau den Zeitpunkt erwischen , an dem es Zeit wird , die Folgen der – allerdings nicht nur von ihr zu vertretenden – aktuellen Politik den Nachfolgern zu überlassen , Teflon eben , business as usual.

    Und sollte der Druck aus der Bevölkerung eben doch zunehmen , so wird uns niemand anders genauer erklären können als Mutti höchstpersönlich , daß ein Richtungswechsel ihrer eigenen Politik jetzt aber sowas von alternativlos sei .

    Das Thema NSA sollte sie allerdings nicht unterschätzen , das hat eine lange „Inkubationszeit“ und ist noch lange nicht durch , irgendwann nach der Wahl könnte dieses Thema das erste sein , was sie nicht einfach hinwegschweigen kann.

  3. Ich möchte auf diverse Kommentare von Albrecht Müller und Wolfgang Lieb auf den Nachdenkseiten verweisen. Müller erinnert mal wieder daran, daß wir eigentlich immer noch, was die Übermittlung jedweder Daten betrifft, Vasall der Allierten sind. Den Paragraph 10 unseres GG können wir daher, da ausgehebelt, in der Pfeife rauchen.

    Ergibt ja auch einen Sinn, weil die USA immer schon am besten wußten, was unter „marktkonformer Demokratie“ zu verstehen ist. Eben „for the economy, stupid“.

  4. @ Wolfgang Fladung #3:
    Der Vasallenstatus ist genau das Problem – nicht nur im Zusammenhang mit der Rundumüberwachung. Fraglich ist nur, welche politische Partei/Richtung Willens bzw. in der Lage ist, dessen Beendigung einzufordern.
    Ich bin davon überzeugt, es ist zumindest keine der momentan im Bundestag vertretenen Parteien.

  5. @ Katja Wolf,

    Wenn sich nun dem Wähler der Eindruck aufdrängt, alle Parteien seien der Ansicht es sei für das Wohl eben dieser Parteien das Beste von der Rundumüberwachung auch profitieren zu können und zu wollen?

    Zudem wissen die entsprechenden Parteimiglieder sicher dass eben auch die eigenen Mauscheleien (Stichwort der Staat las Beute der Regierungsparteien) mit aufgezeichnet worden sind und die Verursachen bei Unbotmäßigkeit eben dann auch schnell „weg vom Fenster“?

    KM

  6. @ Karl Müller:
    Genau dieser Eindruck drängt sich auf. Ich nehme an, dass auch die Rosenholz-Dateien, die sich eine zeitlang in US-amerikanischen Händen befanden, ihre Wirkung auf den einen oder anderen deutschen Politiker nicht verfehlt haben. Möglicherweise ließe sich damit – neben der Erpressung Schröders mittels Vertrauensfrage – so manche Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr erklären.

  7. @ Katja Wolf,

    „Rosenholz“ ist sicher das Sahnehäubchen. Allerdings dürften durch Kontrolle der Bankgeschäfte sowie des Zahlungsverkehrs und die Kommunikationsüberwachung auch so ausreichend entscheidungskrutische Informationen anfallen.

    KM

  8. @Klaus Staeck

    Es dürfte auch Ihnen eine bekannte Tatsache sein, daß die, die man wählt, in kürzester Zeit zu denen werden, die man nicht wählen würde. Oben und unten sind sich halt treu geblieben:
    Unten vergehen einem die Sinne, weil die Luft zu dick, oben vergehen einem die Sinne, weil die Luft zu dünn wird. Deshalb gibt es auch kein Halten auf dem Weg zur Macht.

    „Sieh‘ zu, daß Du weiterkommst!“ wird halt allenthalben mißverstanden.

  9. Mehr und mehr erfreuen den langjährigen FR-Leser die Zuschriften und Briefe anderer FR-Treuen zum Thema Angela Merkel. Möge die FR noch lange bestehen, der Kanzlerschaft der „superwendigen“ Dam aber am 22. Spetember ein Ende bereitet werden. Nur stark gegen die Schwachen zu sein, dazu sollte sich die Mehrheit der klar denkenden Wählerinnen und Wähler in Deutschland zu schade sein.

  10. Nicht alle demokratischen Wahl-Ärgernisse erfahren so viel Aufmerksamkeit wie Nicht-Wähler. Während NSU, NSA, GHCQ, Finanzmärkte, Globalisierung, Politiker-gestützte Lobbys etc. an unserer Demokratie knabbern und nicht nur Medien zu Recht auf die Palme bringen, kommt ein anderer Antidemokrat als Thema so oft vor wie die Sieben auf einem Würfel: nie. Er trägt den hehren Titel „Stammwähler“ (natürlich: Die Eingeschriebenen gehören nicht dazu). Eigentlich betrifft es doch einen ganz elementaren Teil von Demokratie:den Normalbürger als Wähler und als Ziel- und Aktivposten. Als letzterer ist sein Wahlverhalten auch für die politische Kultur sehr mitverantwortlich: Durch überlegtes und verantwortungsvolles Abwägen der endenden Wahlperiode, um dann mit dem Gesamtresultat z.B. auch unerwünschten Lobby-Politikern eine Art demokratischen Spiegel vorhalten zu können und zu zeigen, dass auch sein/ihr eventueller „Rauswurf“ durchaus immer ein gezieltes Wählerkalkül sein kann. Das wird aber nur über einen Langzeiteffekt erzielt und dabei verinnerlicht zur politischen Kultur. Diesen Stand haben wir bisher in Deutschland nicht erreicht, verhindert nicht allein durch Hirtenbriefe: Viele übernommene Unkulturen addieren sich. Also: Stammwähler – ein demokratisches Missverständnis über freie Wahlen?
    An dieser Stelle sollte vergleichend an unsere jüngste deutsche Geschichte erinnert werden – oder besser: an deren Irrwege. Adolf hatte bei 43,9 Prozent für seine NSDAP die Nase voll, dieses Resultat seiner „Stammwähler“ war ihm zu mager. Bei Erich waren die „geführten Wanderungen“ zu Wahllokalen sehr erfolgreich: 98 Prozent SED – eine Art Stammwähler für den pseudo-sozialistischen Endsieg.
    Ist es nicht so, dass die demokraische Wahl hauptsächlich sachlich die gerade ablaufende Periode zu bewerten hat in Bezug auf persönliche und gesellschaftliche Belange? Und steht die dabei auch zu bestätigende Demokratie u.a. nicht auf drei Beinen: Alternative, Vielfalt, Toleranz? Warum interessiert es z.B. die Medien kaum, wenn Stammwähler als vorgepolte Homunkuli ihr Kreuzchen abliefern und damit Alternative und Vielfalt – also die „Seele“ der Demokratie – eigentlich ablehnen und mit ihrer Anbonnement-Stimme der politischen Kultur und der demokratischen Weiterentwicklung schaden? Und kommen sie mit einem erhöhten Stammwähler-Beitrag in manchen Städten nicht auch an Zahlen heran (eventuell um die 50 Prozent in deutschen „bible belts“), bei denen sich die Frage aufdrängt: Wie viel Ein-Partei-Stimmen nicht noch demokratieverträglich und ab wann beginnt ein Missverhältnis?
    Eine Statistik über Stammwähler scheint es nicht zu geben. Doch die geschätzte Menge als „educated guess“ wird immer noch eine Unmenge sein. Wenn das stimmt, ist der Einfluss dieser unqualifizierten Menge auf die Politik riesig.
    Man kennt seine Pappenheimer, also habe ich einige mit diesen Zusammenhängen konfrontiert. Es waren keine berauschenden Antworten, die mehjrmals auf meinen Vorwurf des unqualifizierten Monopolverhaltens aufgerufen wurden: „Die Anderen machen’s ja auch nicht besser.“ Mit anderen Worten: Sie brauchen oder wollen keine Demokratie auf Schmelbeinen, das ist ihnen zu mühsam und zu kompliziert, Erich und Adolf waren leichter zu verstehen. Dieses Stammwählerverhalten erklärt einiges.
    Klaus Staeck hat es angedeutet: Vorwahlzeit mit politischen Auseinandersetzungen gibt es nicht mehr („Welcher Wahlkampf?“. Das dominierende Parteienspektrum hat’s begriffen: Sie brauchen keinen Fakten-Wahlkampf – ihre Stammwähler funktionieren noch. Staeck: „Bundestagswahlen, ein Fall für den Bundesrechnungshof“.
    In diesem Zusammenhang ist auch der FR-Bericht von Mira Gajevic („Deutscher Gemeinsinn ist nur Mittelmaß“ vom 17. Juli) über eine Studie interessant. Sie schreibt: „Alarmiert zeigen sich die Forscher besonders über ein Ergebnis: die sinkende Bereitschaft hierzulande, Vielfalt zu akzeptieren.“ Und dann: „Die Akzeptanz von Vielfalt sei in modernen und heterogenen Gesellschaften ein wichter Aspekt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Nachtigall ick hör dir trapsen!
    Stammwähler sind nicht neu. Sie sind sogar am Abnehmen. Aber deren Langzeitschäden bleiben erst mal. Addiert mit inneren gesellschaftlichen Traditionsschäden (rechte Gesinnungen) und Einwirkungen von außen (Finanzdiktatur) machen sie mir Angst – nach zwei erfahrenen Diktaturen. Darüber schreiben könnte man ja mal, oder nicht?

  11. @Dieter Denhard

    Auch dazu gab es ja schon genügend Ansätze, von der Räterepublik bis zu den plebiszitären Sachentscheidungen.
    Hat alles wenig genutzt und häufig sehr geschadet. Vielleicht kann man froh sein über diese so unwirksame Demokratie, denn sie funktioniert von unten so wenig wie von oben.

    Nutzlose Politiker in nutzlosen Gremien sind vielleicht der beste Schutz gegen Extremismus. Möglicherweise weiß das System selbst am besten, wie das System funktioniert. Man muß nur die Chaoten daran hindern, das Chaos zu ordnen. Da sind mir die Schweige- und Bestechungsgelder, die die machthungrigen Chaoten sättigen, noch lieber, als die unermeßlichen Schäden, die die Idealisten anrichten.

    Nichtwähler und Stammwähler sind mir da gleichwertig. Die einen wie die anderen sind im Kern ganz demokratisch: Sie legitimieren „denen da oben“ ihre Unwirksamkeit. Man hat dann in der Realität wenigstens Ruhe vor denen.
    Dabei fällt den Nichtwählern allerdings ein gewisse Schuld zu: Sie tragen dazu bei, die eingelullten Politiker aufzuwecken. Das bißchen Sonntagsspaziergang sollte ihnen die Freiheit schon wert sein. Man hat dann wenigsten eine Legislaturperiode lang wieder Ruhe.

  12. @Dieter Denhard
    Gerhard Schröder hat es geschafft das die Gruppe der Stammwähler kleiner geworden ist.

  13. Ich will einmal die WählerInnen-Typen durch deklinieren, als da wären: Stammwähler, Wechselwähler, Nicht-Wähler, Ungültig-Wähler und nicht zu vergessen die strategisch-Wähler, die z.B. ihr Kreuz bei der FDP machen, damit schwarz-gelb an der Macht bleibt. Jeder hat seine Gründe, und jeder verfügt über eine, mehr oder weniger gesunde, Mischung aus Nicht-Wissen und Vorurteilen. Menschen eben. Ich denke soweit positiv, das ich davon ausgehe, daß sich hier viele der Auswirkungen nivellieren bzw. die Waage halten. Wobei Nicht-Wähler wohl die wenigsten Signale aussenden, oder vielleicht aussenden, aber welche nicht ankommen. Eine schwierige Gratwanderung wäre sicherlich ein Modell mit mehr plebiszitären Elementen. Allerdings kann ich D. nicht mit der Schweiz vergleichen, weil dort in den letzten 100 Jahren andere und mehr demokratische Erfahrungen gemacht wurden, und ich immer noch den, seit der Wiedervereinigung wieder stärkeren Eindruck gewonnen habe, daß – rein mehrheitsmäßig – eher die obigkeitsgläubigen DDR-Bürger die Hoheit über die Meinungen gewonnen haben als alle, die an den runden Tischen saßen. Und bei den Bürgerrechtlern habe ich, siehe Gauck zur NSA-Affäre, eher den Eindruck von geballter Naivitiät. Mir fehlen, bei allen ihm zugeordneten Schwächen, Männer wie Brandt, die von solchen Wendehälsen wie Merkel und de Maziere und im Westen von nach warmen Plätzchen in der Wirtschaft schielenden Manager-Typen wie Schröder, Fischer, Clement oder Riester abgelöst wurden. Vielleicht schleift das heutige Polit-Geschäft ab und rund. Nur ohne ein paar Ecken und Kanten, an denen man sich reiben könnte, wird es nicht nur langweilig, sondern gefährlich. Weil der Bürger dann nämlich die Lust verliert, sich irgendwie und irgendwo einzumischen, und dann zum Stamm- oder Nichtwähler wird.

    Und damit dann den eigentlich Regierenden die Tore weit aufmacht: der neoliberalen Lobby und ihren Finanziers. Aber auch das hat eine gewisse Tradition: Wenn das Kindchen halt Bauchgrimmen hat, bekommt es heiße Milch mit Honig und ein Schlaflied. Und während es dann eingeschlafen ist, können die im Dunkeln gut munkeln.

  14. Seit vielen Jahren bin auch ich Stammwähler. Dauert versuche ich die Partei meiner Wahl zur Übernahme der Regierung in Bund oder Land zu zwingen. Selbst beste Möglichkeiten werden nicht genutzt. Erinnern möchte ich an Hr. Koch der die Lichtenstein- Affäre doch meisterlich überstanden hat. Als Chef der hessischen CDU wahr ihm unbekannt wie mit den Finanzen der Partei umgegangen wird. Das kann vorkommen. Wenn ein Vorstandsvorsitzender einer AG nicht weis wo die Gelder der Firma geblieben sind, wird der Aufsichtsrat wohl nicht lange zögern und ihn wegen Unfähigkeit von seinem Posten entfernen. Politiker haben den Zeitvorteil. Die nächste Wahl ist nach einer solchen Schweinerei weit genug entfernt. In den letzten Jahren wurde uns von der derzeitigen Bundesregierung- meine unmaßgebliche Meinung- einiges an Dummheiten zugemutet. Ein richtiger polternder Wahlkampf wurde aber von Presse und Rundfunk abgesagt. Als Herr Steinbrück anfing Wahrheiten in die Welt zu posaunen, musste er sich unqualifizierten Angriffen erwehren (Fettnäpfchen). Leider hat er sich dadurch beeindrucken lassen und ist seitdem etwas zu nachdenklich geworden.
    Vor ein paar Tagen habe ich von einer Studie gehört über die Glaubwürdigkeit der Deutschen. Demnach lügt jeder Deutsche durchschnittlich täglich zweimal. Ein gläubiger Christ hat damit keine Probleme, denn es gibt für ihn einige Wege der Absolution. Wenn wir aber ein so verlogenes Volk sind, können wir uns dann einen ehrlichen Politiker leisten? Haben wir nach einer Lüge noch ein gutes Gewissen, wenn an der Spitze des Volkes ein wahrheitsliebender Mensch steht?
    Herrn Steinbrück danke ich das er sich, trotz Aussichtslosigkeit, dieser Wahl stellt und Herrn Denhard für den Leserbrief über die Stammwähler- also auch mich.

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