Ein lebensfähiger Palästinenserstaat soll verhindert werden

Auf außenpolitischem Terrain ist die EU ja eine Meisterin in Symbolpolitik. Klar, denn die verschiedenen Interessen der EU-Staaten so auf einen Nenner zu bringen, dass man das Ergebnis als Außenpolitik verkaufen könnte, ist schier unmöglich. Aber was war das, was die EU da plötzlich fabriziert hat – einen Erlass, wonach künftig alle Kooperationen mit Israel mit einem Passus versehen werden sollen, dass mit den aus Brüssel fließenden Geldern keine Siedlungsprojekte gefördert werden dürfen? Ein erstaunlich konkretes Stück EU-Außenpolitik. Man reibt sich die Augen. Hat da wer geschlafen? Waren maßgebliche Verantwortliche in Urlaub? War einfach das Sommerloch schuld? Oder hat man in der EU-Kommission etwa die Nase voll von der Hartleibigkeit der Regierung Netanjahu, aus der auch sofort Kritik kam: Vize-Außenminister Zeev Elkin warf der EU vor, sie gefährde die Bemühungen von US-Außenminister John Kerry um eine Wiederbelebung des Nahost-Friedensprozesses? Denn nichts liegt der Regierung Netanjahu bekanntlich mehr am Herzen als die Wiederbelebung des Friedensprozesses, nicht wahr?

Die FR-Leser halten die neue Direktive für sinnvoll – siehe unten. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, hält sie für eine „Schnapsidee“. Wenn das so ist, dann muss ich mal nach Brüssel und den Schnaps dort probieren. In einem Interview des Deutschlandfunks äußerte sich Graumann sehr eindeutig: „Das ganze ist ungerecht, unausgewogen, aus meiner Sicht sehr unfair und schädlich obendrein, also ein schlechter Schritt aus Brüssel.“ Aber die Siedlungspolitik ist gerecht, ja?

Dr. Ernst Niemeier aus Wentorf meint:

„Die israelischen Grenzen müssen nicht, wie Netanjahu es behauptet, durch Verhandlungen festgelegt werden. Es gibt international anerkannte Grenzen, die Israel allerdings durch seinen rechtswidrigen Siedlungsbau verletzt und ständig weiter hinauszuschieben versucht. Diese Politik ist das entscheidende Hindernis, das dem Friedensprozess im Wege steht. Deshalb ist es richtig, dass die EU eine solche Aktivität nicht unterstützt. Fast muss man aus diesem neuen Leitfaden ableiten, dass die EU die rechtswidrige Bautätigkeit Israels bislang unterstützt hat.
Erschrocken bin ich über die unglaubliche Reaktion Graumanns, des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, der für eine ungerechte und schädliche „Schnapsidee aus Brüssel“ hält, was selbstverständlich sein sollte und nur dem Friedensprozess dienen kann. Jedenfalls kann nicht ungerecht und schädlich sein, was der Anerkennung des internationalen Rechts dient. Palästinenser, die das ihnen nach internationalem Recht zustehende Gebiet fordern, sind nicht die Friedensverweigerer. Friedensverweigerer sind jene Israeli, die dieses Recht ständig neu verletzen und dadurch die Gründung eines eigenen Palästinenser-Staates allmählich unmöglich machen.“

Eric Boule aus Amsterdam (NL):

„Praktisch unmittelbar nachdem Europa beschlossen hat, endlich nach langer Zeit seine Gesetze für Zoll undSubventionen mal durchzusetzen Israel gegenüber, nachdem diese viele Jahre absichtlich vernachlässigt wurden, sind die Parteien im Nahost plötzlich bereit zu verhandeln. Hiermit ist praktisch der Beweis geliefert, dass die fahrlässige Haltung der EU-Politiker für die große Stagnation in Nahost gesorgt hat.
Das Ganze hat sehr viel Geld gekostet, weil Israel von allen Seiten viel Geld, Subventionen, günstige Handelsverträge, gratis Waffen zugestopft wurden. Daraus kam dann automatisch die Verpflichtung, auch den Palästinensern Geld zuzustopfen. Also beide Seiten wurden belohnt für das Nichtverhandeln für Frieden. Europameister im Geldverschwenden waren Merkel, Westerwelle, Blair, Hague, Rosenthal.
Natürlich sind die Friedensverhandlungen noch nicht positiv ausgegangen, aber hoffentlich haben die EU-Politiker endlich verstanden, was gemacht werden muss um die riesige Geldverschwendung der EU- Steuergelder in Nahost zu beenden“

Gerold Hefele aus Staufen:

„Nachdem seitens der USA bzw. Präsident Obamas und jetzt durch ihn beauftragt Außenminister Kerrys nur geredet wird, anstatt massiven Druck auf Israel auszuüben, wagt es endlich wenigstens die EU, Israel gegen seine Expansions- und Friedensverhinderungspolitik ein Stoppschild entgegenzuhalten. Da sollte EU-Kommissionspräsident Barroso nicht gleich wieder Nachgiebigkeit signalisieren.
Allerdings: Dieses „starke Signal“ dürfte kaum ausreichen, Israel zu einer grundlegenden Änderung seiner Politik zu bewegen. Den Palästinensern durch den Siedlungsbau immer mehr Land zu stehlen, ist nicht nur im Wortsinn illegal, Unrecht, sondern auch unmoralisch und zeugt mit jedem weiteren Haus von der Absicht, einen lebensfähigen Palästinenserstaat zu verhindern. Es ist auch nicht so, dass die nationalreligiösen Siedler die Bösen sind, deren sich der israelische Staat kaum erwehren kann. Die Siedlungsaktivitäten sind Regierungsprogramm. Die Siedler sind nur die vom Staat geduldeten bzw. geförderten Pioniere.
Herr Graumann muss sich fragen lassen, ob für ihn das internationale Recht und die Menschenrechte, wenn es um Israel geht, auch Schnapsideen sind. Und Ministerpräsident Netanjahu bemüht die alte Leier, dass Grenzen erst in Verhandlungen festgelegt werden können. Seit Jahrzehnten haben Verhandlungen, sofern welche stattfanden, zu nichts geführt. Sollte es aufgrund der Bemühungen des US-Außenministers wirklich zu neuen Verhandlungen kommen, werden auch diese zu nichts führen, so lange es in Israel nach wie vor am Willen zu einem gerechten Ausgleich mit den Palästinensern mangelt, wovon nicht nur der Siedlungsbau beredtes Zeugnis ablegt.
Nicht verschwiegen werden soll, dass auch Maximalforderungen auf palästinensischer Seite, wie sie von der Hamas vertreten werden, zurückgewiesen werden müssen. Der Einfluss der palästinensischen Ideologen dürfte aber schwinden, wenn Israel seine Expansionspolitik zurücknähme. Aber Israel muss den Anfang machen, da die Palästinenser machtlos und von dessen gutem Willen abhängig sind.
Nicht nur der Siedlerlobby, dem israelischen Staat bzw. seinen Bürgern muss unmissverständlich klargemacht werden, dass der Staat Israel keineswegs einen Anspruch auf die besetzten Gebiete hat. Im 21. Jahrhundert müssen das internationale Recht, die Menschenrechte, einfach der Sinn für Gerechtigkeit Vorrang haben vor nationalistisch-chauvinistischen bzw. religiös-ideologischen Verblendungen. Die hier formulierte Kritik an Israels Politik stellt das Existenzrecht Israels innerhalb international anerkannten Grenzen nicht in Frage.“

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5 Kommentare zu “Ein lebensfähiger Palästinenserstaat soll verhindert werden

  1. Kann es sein, dass es keine weiteren Kommentare git. weil die Beiträge so schlüssig und nachvollziehbar sind. Und es häufen sich die sich überschlagenden Meldungen zu den aktuellen Geschehnissen, – vor allem zu den Folgen der EU Beschlüsse… Also?

  2. Israels Reaktion ist unglaublich! Nach Jahren des Laissez-faire hat die EU endlich Rechtstsstaatlichkeit eingefordert und die illegalen Siedlungen in der Westbank von EU-finanzierungen ausgenommen. Schon heißt es aus Israel, dass sei „Rassismus“ der EU! Und dann werden auch noch die Opfer des israelischen Siedlungsbaus bestraft, die Palästinenser, als hätten sie die Schuld daran. Wie hängt das nun zusammen? Ist das verhältnismäßig? Verhält sich so eine „Demokratie im Nahen Osten“?

  3. Im Prinzip ist der EU-Erlaß nicht verkehrt , aber das ist ein zweischneidiges Schwert.
    Will die EU künftig alle Unterstützungen auf solche Schieflagen hin abklopfen? Wie steht es mit der langjährigen Unterstützung für palästinensische Kreise , von denen die Spatzen es genauso lange von den Dächern pfiffen , daß da nicht wenig bei Fanatikern landete?
    Auf Israel wird gerne kräftig eingedroschen , auf die benachbarten Staaten jedoch wenig , dabei sind die genauso am Konflikt beteiligt.
    Israel hält eigentlich nur einen schmalen Streifen Land am Meer und ist umringt von Ländern , aus denen seit Jahrzehnten eine klare Ansage kommt , nämlich die gewünschte Auslöschung des Staates Israel.
    Das macht den Wunsch verständlich , sich auch geographisch ein wenig Platz zu verschaffen , vor allem , wenn sich , wie 1967 , die Chance dazu ergibt.

    Der Siedlungsbau allerdings muß trotzdem gestoppt werden , schließlich muß auch Israel seinen Teil beitragen zu einem möglichen Frieden , außerdem hat der Siedlungsbau selber aggressive Züge , zur Beruhigung der eigenen religiösen Rechten , und das ist fatal , es setzt Israel genauso ins Unrecht wie die religiösen Fanatiker auf der anderen Seite und nimmt Israel damit auch sehr viel Glaubwürdigkeit.

  4. Immer wieder wird von der Zwei-Staaten-Lösung gesprochen. Um das Problem in der Region zu lösen, werden mindestens drei Staaten gebraucht: Israel mit Tel Aviv, Palästina mit vielleicht Ramallah als Hauptstädte. Dazwischen muss das „Heilige Land“ errichtet werden, das die für alle frei zugänglichen heiligen Stätten aller drei Religionen umfasst. Und aufgrund der räumlichen Trennung von Palästina müsste der Gazastreifen auch ein eigener Staat werden.

  5. Der heutige Gastbeitrag von Ilan Baruch „Druck auf Israel muss sein“ erinnert u.a. daran, dass bereits 1980 (also vor 33 Jahren!) die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft in Venedig eine eindeutige Erklärung für eine Zwei-Staaten-Lösung abgegeben haben. Schon damals wurde die Siedlungspolitik als Gegenteil einer Friedenspolitik und Verletzung internationalen Rechts angesehen…“.

    Was ist in diesen 30 Jahren an überzeugenden und vor allem „nachhaltigen“ Massnahmen und Dialogen geschehen, um das Ziel einer friedlichen Kooexistenz zu verwirklichen?
    Bei jeder leisesten Kritik an Israel prasseln platte Antisemitismusvorwürfe über die Deutschen herab. Differenzierungen sind tabu. In kritischen Beiträgen werden Begriffe wie Rassismus und Apartheid selten benutzt. Die perfide und existenzvernichtende moderne Mauer wird mit allen Mitteln verteidigt. Wie können wir – die wir jahrzehntelang durch eine Mauer getrennt waren – ein solches Bauwerk überhaupt rechtfertigen?
    Beim Vergleich mit Südafrikas Apartheidpolitik werden Zähne gefletscht. Wo, bitteschön, ist denn der Unterschied? Ob in Townships am Rande Johannisburgs nur ungenügend Wasser für die Bewohner zur Verfügung stand, dafür aber tausende von Hektolitern für Swimmingpools in den Villen der wohlhabenden Weißen flossen oder:
    ob durch willkürliche Grenzziehung zwischen israelischen Siedlungen und palästinensischen Dörfern die Siedler ihre Rasen mit dem Wasser sprengen, das dazu beiträgt, dass auf der anderen Seite die Felder und Bäume der palästinensischen Bauern vertrocknen… dass hilflose, wütende Bauern versuchen, sich zu diesem Wasser Zugang verschaffen und dafür verhaftet und eingesperrt werden…
    WO IST HIER DER UNTERSCHIED ?
    Warum wehren sich die deutschen bzw. europäischen „Geldgeber“ nicht, wenn mit ihren Mitteln finanzierte Vorhaben in Palästina mit fadenscheinigen Gründen von Israel
    vernichtet werden?
    Soviel wurde darüber in unseren Medien geschrieben, gezeigt, berichtet. Aber ausser dem kleinen Lichtblick, kürzlichen Beschluss der EU hat sich nichts getan… ausser dass Israel erneut tausende von Wohnungseinheiten im besetzten Gebiet beschlossen hat. Ich schäme mich für unsere Politik und ich weigere mich, in die Liste der Antisemiten aufgenommen zu werden. Dahin gehöre ich nicht, aber auch nicht zu denen, die zwischen vergangenem Unrecht und vermeidbarem neuen Unrecht nicht unterscheiden können. Ich bewundere die aufgeschlossenen Israelis in der Friedensbewegung, die tagtäglich mehr Mut beweisen und mit Sanktionen rechnen müssen, an die hierzulande (noch?) in der Friedensbewegung nicht zu denken ist.

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