Was sind das für gesetzliche Vorgaben, an denen sich die Behörden angeblich orientierten, als sie den Bundestrojaner einsetzten? Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls können dies nicht sein, denn die hatten sehr enge Grenzen für Einsätze der Wanzensoftware definiert. Kümmert uns nicht? Das Bundeskriminalamt will den Bundestrojaner, der vom Chaos Computer Club auf mehreren Festplatten entdeckt und eindeutig staatlichen Stellen zugeordnet wurde, jedenfalls nicht eingesetzt haben. Er ist inzwischen in mehreren Bundesländern entdeckt worden – dann waren es wohl die Landesbehörden.

Das Programm kann wesentlich mehr als es dürfte. Es belauscht nicht nur Telefonate, die mit Programmen wie Skype über das Internet geführt werden, sondern soll auch in der Lage sein, in schneller Folge Screenshots von den Inhalten des Webbrowsers oder von Chat- und E-Mail-Programmen zu machen. „Auch niemals versendete Nachrichten oder Notizen könnten so kopiert werden. Intime Notizen gehörten aber zu dem strikt geschützten Kernbereich, den das Bundesverfassungsgericht bewahrt sehen wollte“, schrieb CCC-Sprecher Frank Rieger in der FAS. Die Software könne nicht nur einen infiltrierten Computer kontrollieren, sondern auch neue Programme aus dem Netz nachladen und installieren. Die Experten des CCC befürchten, dass dabei auch der Manipulation von Ermittlungsergebnissen oder der fälschlichen Beschuldigung von Unschuldigen Tür und Tor geöffnet werde. So könne man belastendes Material wie kinderpornografische Bilder oder Videos auf einem Rechner einschleusen, ohne dass der ahnungslose Anwender davon etwas mitbekommt.

Und die Firma DigiTask hat gut daran verdient. Konsequenz: Machen wir uns keine Illusionen vom Rechtsstaat mehr!

Michael Beitz aus Frankfurt meint:

„Festplatten, die offensichtlich mit der Spionage-Software infiziert waren …“ – es täte der FR gut, die Begriffe „offensichtlich“ oder „offenbar“ nur dort zu verwenden, wo sie zutreffen. Opfer der Maßnahmen hatten einen Verdacht, der nur mit großer Mühe und ordentlichem Sachverstand vom CCC bewiesen werden konnte. Weder war der Einsatz offensichtlich noch war die Infektion mit dem Trojaner offensichtlich („Ihr Malware-Scanner hat ein gefährliches Programm gemeldet!“) – in beiden Fällen wäre der Einsatz sinnlos gewesen.
Zweitens: „Schließlich können Dritte beispielsweise falsches Beweismaterial auf dem betroffenen Rechner deponieren.“ Dass Dritte dies tun könnten, scheint mir ein untergeordnetes Problem zu sein. Viel problematischer ist, dass der Auftraggeber des Trojaner-Einsatzes dies tun kann. So können sich die Ermittlungsbehörden den Beweis für die Notwendigkeit des Einsatzes selbst generieren.
Staatlichen Stellen ein derart kriminelles Verhalten zu unterstellen, ist durchaus begründet und beruht auf Erfahrungen. Der Agent provocateur ist ein bekanntes Einsatzmittel, gerade wieder in Ägypten im Einsatz. Einige Leser werden sich bestimmt noch an das „Celler Loch“ erinnern: Der niedersächsische Verfassungsschutz ließ 1978 ein Loch in die Außenmauer der JVA Celle sprengen, um einen RAF-Anschlag vorzutäuschen und einen Informanten in die RAF einzuschleusen. Bekannt wurde der Einsatz auch 2007 bei den Demonstrationen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. Auch bei den S21-Demos in Stuttgart wurden Steine und Flaschen werfende Agent provocateurs eingesetzt.
Momentan wird der Eindruck erweckt, es seien (nur) Landeskriminalämter in den Einsatz des Bundestrojaners verwickelt – die Landesämter für Verfassungsschutz hingegen hüllen sich in tiefstes Schweigen. Man wird ja wohl noch Zweifel anmelden dürfen.“
Jörg Tauss, Ex-MdB, aus Kraichtal:

Die Mitteilung, dass geplant sei, auf einen Proxy in den USA zurückzugreifen, machte das BKA bereits in der letzten Legislaturperiode gegenüber dem Bundestag. Sie ging auch aus Folien hervor, mit der das BKA gegenüber interessierten Abgeordneten damals das technische Konzept der Bundeswanze erläuterte. Hierfür wurden auf meine kritische Nachfrage „technische Gründe“ angegeben. Allein dieser in der Öffentlichkeit unbekannte Vorgang kann als weiterer Beleg für die Richtigkeit der Darstellungen des CCC angenommen werden.“

Jutta Rydzewski aus Bochum:

„Die Enttarnung des Bundes-Bayern-Trojaners oder, zumal die Bayern ja sowieso immer die erste Geige spielen wollen, des Bayern-Bundes-Trojaners, macht mal wieder deutlich, erschreckend deutlich, wie Politik, insbesondere bayerische Politik, mit den Bürgerrechten gemäß Grundgesetz meint umgehen zu können. Zunächst die „gängigen“ drei Möglichkeiten des „Umgangs“:
1) Das Grundgesetz passt in die jeweilige ideologische Verbohrtheit, dann ist es natürlich gut, und es wird sogar über den grünen und sonstigen Klee gelobt.
2) Es passt nicht, dann wird es passend gemacht. Das geschieht auch deshalb immer öfters, weil das Bundesverfassungsgericht bei seinen Entscheidungen aus meiner Sicht zu viel Interpretationsspielraum lässt.
3) Es passt nicht, kann auch nicht passend gemacht werden, dann wird es, wie ein lästiges Relikt aus uralten Zeiten, schlicht zur Seite gelegt.
In der aktuellen Trojaner-Affäre geschah das still und heimlich. Dennoch sind die Herrschaften aufgekippt, was sie nicht davon abhalten konnte, zunächst einmal empört alle Vorwürfe zurückzuweisen und die Unschuld vom Lande zu mimen. Dieses Spielchen ist ja hinreichend bekannt. Wenn es aber unmöglich wird, die Tatsachen zu leugnen und sich dumm zu stellen, wird beschwichtigt, beschönigt, abgelenkt, relativiert und … unbedingte Verfassungstreue beschworen, dass sich die Balken biegen.
Wer nun erwartet, dass es personelle Konsequenzen geben wird, darf sich das abschminken. Nein, natürlich wird es das nicht geben, weder bei den Politikern noch bei den involvierten sogenannten Diensten. Es wird alles so weitergehen wie bisher. Allerdings wird auch die Politik(er)verdrossenheit weitergehen, die zunehmend die Demokratie gefährdet. Irgendwann werden „piratische Verzweiflungswahlen“ wie in Berlin den Menschen nicht mehr ausreichen, und wenn es sogar der gehorsame, staatsgläubige deutsche Michel einmal leid ist, was lange, sehr lange, zu lange dauert, dann nützen auch alle Bayern-Bundestrojaner nichts mehr. “

Albert Alten aus Wernigerode:

„Staatliche Schnüffel-Software im digitalen Einsatz, die jederzeit den großen Lausch- und Spähangriff am privaten Computer rund um die Uhr möglich macht, sollte keinen überraschen. Schon heute sind die Profile der Millionen der Google- und Facebook-Nutzer irgendwo auf dieser Welt sofort abrufbar. Im Internetzeitalter ist von Privatsphäre keine Spur mehr. Auch der totale Überwachungsstaat sollte keinen mehr überraschen. Bereits 1948 (!) hat George Orwell in seinem Roman „1984“ die Methoden eines allgegenwärtigen Überwachungsstaates („big brother ist watching you „) exakt dargestellt. Anonymität im Internet ist längst ein Widerspruch in sich.“

Florian B. aus München:

„Ich bin mit Ihrem Kommentar voll und ganz einverstanden und danke Ihnen für diesen Beitrag. Die Aufdeckung des Chaos Computer Clubs hat gezeigt, dass es nur schwer oder fast nicht möglich ist, über ein einmal installiertes Ausspähprogramm die Kontrolle zu bewahren. Da auch noch das technische Know-how bei den Behörden (und offensichtlich auch bei den Privatunternehmen, die für das Programm ordentlich Kohle eingestrichen haben) fehlt, müsste man sich dringend von diesem Weg verabschieden. Am gravierendsten fand ich jedoch, dass das Vergehen des Herrn aus Bayern in keinster Weise ein Schwerverbrechen darstellte. Das Argument, man habe ja nichts zu verbergen, zählt nun noch weniger als zuvor eh schon. Das Vertrauen in unseren Staat und seine freiheitlich-rechtliche Ordnung wird nach und nach untergraben. Leider wird viel zu wenig berichtet, wie breit das Ausmaß dieses Skandals reicht.“

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6 Kommentare zu “Die Unschuld vom Lande

  1. Anfang der siebziger Jahre kommentierte ein SPD-Bundestagsabgeordneter den Gang der CDU vor das Bundesverfassungsgericht gegen die Ostverträge: Wir lassen uns von den Arschlöchern aus Karlsruhe doch nicht unsere Ostpolitik kaputt machen.
    Diese Meinung über das BVG scheint nun auch bei unserer schwarz-gelben Horrorkoalition angekommen zu sein.
    Klare Vorgaben: Wen interessierts. Eine Fristsetzung, innerhalb derer das Wahlrecht verfassungskonform neu gestaltet werden muss, werden ignoriert. Gleiches galt für die Neuregelung der Hartz-IV-Regelsätze.
    Und nun der Bundestrojaner. Und wäre nicht der Chaos-Computer-Club gewesen, wir hätten nie davon erfahren. Gelten Recht und Gesetz nur für uns Untertanen, der Staat kann machen was er will? Wird es nicht höchste Zeit, diesen Rechtsbrechern das Handwerk zu legen?

  2. Interessanter Hinweis auf DigiTask, zeigt das doch das uralte Phänomen , daß sich für jede Schweinerei auch eine Firma findet , die bereit ist , auch die übelsten Vorgaben eins zu eins umzusetzen.

    Solche Vorgänge haben auch ihr Gutes. Ganz offensichtlich haben es „interessierte“ Kreise erfolgreich geschafft , das Thema Rechtsstaat und Datenschutz wieder ans Licht zu bringen.
    Danach sah es bekanntlich lange Zeit nicht aus, und derlei Geschichten sind auch eine Spätfolge der weitgehend kritikfreien 90er Jahre.

    @ Reinhold Hinzmann

    Es wird in der Tat Zeit und ist wohl keine Frage von Jahren mehr.

  3. Hier darf auch ein Blick auf die Unternehmensstruktur und den personellen Hintergrund des Lieferante der Malware nicht fehlen:

    http://www.heise.de/tp/artikel/35/35683/1.html

    Spannend, wenn Stoiber, Schily und Bertelsmann dabei vorkommen.

    Dazu die von Herrn Tauss angeführte, bewußte Auslagerung des Traffics außerhalb des Geltungsbereichs des GG wirft weitere Fragen auf.

    Hat ein Geschmäckle von Landesverrat und Sabotage; in wie weit dabei auch Dienstgheimnisse durch billigende Inkaufnahme verraten werden, müsste auch geprüft werden.

    MfG Karl Müller

  4. @agent 2010

    Für jede Schweinerei findet sich nicht nur eine Firma, sondern auch stets ein „Wissenschaftler“. Brecht hat (im „Leben des Galilei“) gesagt: „Ich halte dafür, daß das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeiten der menschlichen Existenz zu erleichtern.“ Wer weiss, wie viele Tausend Wissenschaftler damit beschäftigt sind, das Leben oder die Existenz von Menschen zu vernichten? Dabei geht es nicht nur um die technisch-militärische Forschung (konventionelle Rüstung nebst ABC-Waffen), sondern auch die medizinische oder psychologische. Zum Beispiel: die Verfeinerung von Verhör-, Erniedrigungs- und „spurenlosen“ Foltermethoden. Abu Graib, Bagram und Guantanamo sind die bekanntesten Beispiele der letzten Jahre – aber beileibe nicht die einzigen.

    @all

    Als Korrektiv zum Schutz des Bürgers wird stets der sog. „Richtervorbehalt“ ins Spiel gebracht, demzufolge solche Grundrechtseinschränkungen durch einen Richter (bzw. ein Gremium aus drei Richtern) angeordnet werden müssen (siehe Art. 13 GG). In der Realität heisst das allerdings einfach: abnicken!

    Bekanntlich sind die Richter auch nur Menschen und oft chronisch überlastet. Einen Antrag auf (Quellen-)Telekommunikationsüberwachung TKÜ zu genehmigen, geht innerhalb weniger Sekunden durch simples Unterschreiben, die Ablehnung hingegen müsste gegenüber der antragstellenden Stelle (Staatsanwaltschaft) ausführlich begründet werden. Folglich wird so gut wie jeder Antrag, deren Zahl in die Zehntausende [1] geht, genehmigt.

    In der Praxis findet sich ausserdem häufig das Vorgehen wegen Gefahr im Verzug, wobei nachträglich die Entscheidung eines Richters einzuholen ist. Viel zu selten erfährt die Öffentlichkeit, oft erst nach entsprechenden Anzeigen der Betroffenen gegen die Urheber der Überwachung, dass das Vorgehen staatlicher Stellen rechtswidrig war. „Nach dem geltenden Recht sind Personen, deren Telefon abgehört wurde, nach Abschluss der Aktion darüber zu informieren. Dies passierte nur in drei Prozent der untersuchten Fälle.“ [2]

    „Die Studie besage außerdem, dass die meisten Abhörmaßnahmen auf Beschlüssen beruhen, die zeigen, dass die Richter ihre Entscheidung nicht „eigenständig“ treffen wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich vorschreibt. In Fällen, in denen die Staatsanwälte dem Richter den Anordnungsbeschluss „vorformulierten“, unterschrieben die Richter ungeprüft, obwohl die Hälfte dieser Vorlagen nicht dem Gesetz entsprachen.“ [2]

    Hier wäre auf jeden Fall eine entsprechende Begründungsumkehr notwendig. Der Richter müsste – mit eigenen Worten, nicht durch simple Übernahme des Antragstextes! – begründen, warum er die Einschränkung von Grundrechten befürwortet.

    Fazit: Es finden tagtäglich, auch unter Missachtung höchstrichterlicher Urteile, massive Verstöße gegen Grundrechte statt. Beteiligt sind daran Behörden der Exekutive und Judikative auf allen Ebenen samt ihrer legislativen Wegbereiter.

    [1] Die Statistik des Justizministeriums weist für 2008 insgesamt 18.320 richterliche Überwachungsanordnungen aus – 13.838 für Handygespräche, 3.821 für Festnetztelefonate und 661 für das Internet. Die Zahl der tatsächlich betroffenen Anschlüsse bzw. Teilnehmer ist weitaus höher, da pro Anordnung eine Vielzahl von Anschlüssen betroffen sein können.

    Erinnert sei an den nur wenige Monate (Februar 2011 in Dresden) zurückliegenden Skandal der massenhaften Funkzellenabfrage von mehreren Hundertausend Telefonanschlüssen nebst Verknüpfung mit sog. „Bestandsdaten“. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat im vergangenen Jahr (also 2010) in laufenden Ermittlungsverfahren insgesamt 1.103.333 Telefongespräche überwacht, rund 16% mehr als 2009 (948.602).

    [2] Drei Viertel aller Lauschangriffe rechtswidrig
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,229958,00.html

    [3] Für weitergehende Nachforschungen seien auch die Stichwörter „Echelon“ und „Indect“ genannt. Ebenfalls sei erinnert an Weitergabe, Speicherung und Auswertung von (Flug-)Passagierdaten, Kreditkartendaten, Überweisungsdaten usw. in den USA. Auch jede in Deutschland operierende US-Firma (z.B. Dell) ist verpflichtet, Ihre Kundendaten in die USA zu übermitteln.

  5. Kapitalismuskritik in Frankfurt (Occupy Wallstreet):

    Solche Idioten!
    Schuld sind ja nicht die Banker-Trottel, sondern jeder einzelne Konsument, der ein UBS-Konto, ein Einfamilienhaus (Kredite!), ein Auto (Kapitalismus) und eine Aktie bei der Pharmaindustrie hat.

    Die grösste Macht hat weder Obama, noch der Protestierende, noch der SVP-Wähler, sondern jeder einzelne Konsument!!!!!!!!!!!!

    Wenn ein Konsument auf Gurken verzichtet, geht in 2 Wochen die ganze Wirtschaft Spaniens kaputt!!!! Konsumenten aller Länder vereinigt Euch und handelt korrekt (indem ihr verzichtet!). Aber leider hat ja kein Konsument mehr Mut…

  6. @ Schnippsel

    Völlig richtig , und man kann nur hoffen , daß solche Vorgänge immer wieder von Neuem die kritischen Kräfte stärken und dazu führen , daß den entsprechenden Leuten ihre Grenzen aufgezeigt werden.

    @verzichter

    Ich fürchte , da gehen Sie auf die falschen Leute los.
    Es ist ja gerade das Problem , daß sich erhebliche Teile der „Masse“ fortwährend unkritisch verhalten und durch die dann folgenden Auswirkungen auch kritische Geister betroffen sind.

    Veränderungen werden fast immer von Minderheiten angestoßen und letztlich von der „Masse“ übernommen.

    Meiner Ansicht nach gibt es da immer eine Verzögerung von vielleicht 20 Jahren, bis auch der Denkfaulste begriffen hat , daß sich was ändern muß, an diesem Punkt befinden wir uns jetzt.

    Es macht Sinn , den Konsumenten zu kritisieren , aber auch da gibt es Grenzen, es ist auch nicht Aufgabe des Einzelnen , jeden Quark auszubügeln , der in Wirtschaftskreisen so ausgeheckt wird.
    Und es macht gar keinen Sinn , ausgerechnet auf jene loszugehen , die den längst fälligen Aufstand initiieren.

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