Postfach: Mit gestärktem Vertrauen in dieses Rechtssystem

Herzlich willkommen zum

Postfach vom 19. Oktober 2016

Ich bringe hier Leserbriefe, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Mehr über die Hintergründe? –> HIER.  Anfangs wie immer ein kleiner Überblick.

  • Im heutigen Postfach wird viel geschimpft. Auch mit der FR. Ganz aktuell: Wir hatten auf FR-online.de einen Kommentar zum TV-Event „Terror – Ihr Urteil“ mit der Überschrift „Der Mob fällt ein Urteil“. Das findet Michael Dallapiazza aus Bologna irritierend. Er argumentiert: „Wie immer das Publikum auch entscheidet, es sollte eigentlich nach der Aufführung mit gestärktem Vertrauen in dieses Rechtssystem das Haus verlassen – oder den Fernseher ausschalten.“ Den Leserbrief kann ich nicht im Print bringen, weil dieser Kommentar nur online zu finden ist.
  • Leserin Roselinde Arndt aus Frankfurt ärgert sich „über Formulierungen für ‚Fachidioten‘ oder auch über Endlos-Sätze, die ein Verständnis unmöglich machen“.
  • Außerdem im neuen Postfach: Leserbriefe zu Tempo 30 in Frankfurt, zu Straßen- und Fluglärm von Friedhilde Scholl, Hans Jägemann und Klaus Philipp Mertens.
  • Ewald von Hagen aus Großkrotzenburg hält dem Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier, vor: „Ich sehe auch darin eine besondere Aufgabe, endlich den Banken mehr auf die Finger zu schauen.“ Altmaier ist nämlich auch Bundesminister für besondere Aufgaben.
  • Und noch einmal Klaus Philipp Mertens: Winfried Kretschmann „war schon immer so“ sagt er und gibt einen Exkurs in die Geschichte der Grünen. Trotzdem findet Helmut Leichner, dass man jetzt alles klar machen sollte für Rot-Rot-Grün.

Und nun geht’s los!

fr-balkenMit gestärktem Vertrauen in dieses Rechtssystem

Zu: „Terror – Ihr Urteil: Volkes Stimme fällt ein Urteil – vor dem Fernseher

„Selten hat mich ein Titel der FR so irritiert wie dieser. Zwar unterscheidet der online-Autor zwischen Schirachs Stück und der Fernsehausstrahlung, aber sein Urteil betrifft eben auch den für das Theater geschriebenen Text. Eine rasche Suche führt dann zum Artikel in der regulaeren Ausgabe der FR, in der zum Glück sachkundig (Judith von Sternburg, natuerlich) und sachlich berichtet wird. Was bitte soll ein solcher Satz im online Text: „In einer repräsentativen Demokratie werden politische Entscheidungen nicht von einer emotionalen Masse getroffen, wie es die AfD gerne hätte, sondern von gewählten Volksvertretern“? Und selbst wenn man einen Bezug zur AfD herstellen könnte (kann man nicht!) und hier wirklich eine „politische“ Entscheidung gefaellt wuerde oder, besonders grotesk, verschiedene Todeszahlen gegeneinander aufgerechnet wuerden: Wie kann man pauschal die Zuschauer eines Fernsehspiels als den „Mob“ beschimpfen? Hat der Autor das Stück gesehen (in Frankfurt letztes Jahr, von Sternburg erwaehnt das ), hat er versucht, zu begreifen, was der Jurist von Schirach auf die Buehne bringen wollte? Im Verhör der Staatsanwältin wird dem, was der vermeintlich gesunde Menschenverstand glaubt, rasch entscheiden zu können, in der moralisch-juristischen Argumentation der Boden entzogen. Zuallererst durch das Prinzip, dass Menschenleben nicht gegen Menschenleben aufzurechnen ist, dass die Würde von 164 Menschen nicht weniger schwer wiegt, als die von 70.000. Daran ändert sich nichts nach dem vom Publikum gesprochenen Urteil! Die Einbeziehung des Publikums vor allem hat die Presse, die dem Stück seinerzeit kaum gerecht wurde, als genialen Schachzug feiern wollen, allerdings weniger in seiner dramatischen Funktion, sondern fast als gut funktionierenden Gag. Die Aporien in der demokratischen Rechtsauffassung, auf die dieser extreme Fall am Ende zusteuert, stellen dieses Rechtssystem keineswegs infrage: sie demonstrieren seine Stärke und Kraft gegenüber allen anderen juristischen Traditionen, und vor allem gegenüber dem vielzitierten, hoechst problematischen gesunden Menschenverstand. Wie immer das Publikum auch entscheidet, es sollte eigentlich nach der Aufführung mit gestärktem Vertrauen in dieses Rechtssystem das Haus verlassen – oder den Fernseher ausschalten. Dies ist der geniale Wurf von Schirachs Stück, gerade in einer Zeit, in dem der Rechtsstaat von vielen Seiten in Zweifel gezogen und herausgefordert wird, nicht allein durch die Bedrohung seitens monströser terroristischer Aktionen.“

Michael Dallapiazza, Bologna (I)

fr-balkenFür wen schreiben die Kritiker eigentlich?

„Salomé“: „Abgründe der Liebe“, FR-Online vom 12. September

„Beim Lesen der Mammutsätze in der Kritik von Hans-Klaus Jungheinrich bekomme ich Schnappatmung. Die meisten seiner Sätze sind zehn bis 15 Zeilen lang. Ich fange ein zweites Mal von vorne an, um zu kapieren, was uns denn eigentlich „der Dichter sagen will“.
Ob mir ein Konzert gefällt oder nicht, kann ich selber beurteilen. Aber ich lese gerne die Kritiken (Interpretation von Musikwissenschaftlern?), um noch einiges zu lernen und auf Dinge aufmerksam zu werden, die ich als Laie gar nicht beurteilen kann. Aber es wird einem oft schwer gemacht.  Ich frage mich manchmal, für wen die Kritiker eigentlich schreiben. Für ihre Kollegen? Denn um deren Sprache zu verstehen, müsste man oftmals selbst Musikwissenschaft studiert haben. Ich selbst bin nicht Konzert-unerfahren. Musik ist mein Hobby, spiele auch selbst ein Instrument. Aber ich ärgere mich oft über Formulierungen (für „Fachidioten“) oder auch über Endlos-Sätze, die ein Verständnis unmöglich machen.“

Roselinde Arndt, Frankfurt

fr-balkenDer Lärm über unseren Dächern

Zu: „Deutlich weniger Lärm durch Tempo 30„, FR-online vom 23. August

„Schön, vom Grünen-Fraktionsvorsitzende Manuel Stock nach so langer Zeit wieder etwas zum Verkehrslärm zu hören. Sein Vorschlag, die neugeschaffene Frankfurter Stabstelle Fluglärm solle sich auch um die Lärmreduzierung durch Tempo 30 auf der Straße kümmern, ist voll zu unterstützen. Natürlich muss man Lärm ungeachtet wodurch er erzeugt wird bekämpfen. Egal ob er als störend empfunden wird oder nicht, er gefährdet nachweislich die Gesundheit. Zehn Jahre hatten die Grünen in der Regierungsverantwortung mit der CDU Zeit, sich um die Lärmreduzierung an der größten Fluglärmstelle nicht nur Hessens sondern ganz Deutschlands, zu kümmern. Aber still und leise war nur wie sie dieses Thema all die Jahre im Frankfurter Stadtparlament umschifft haben. Deshalb ist der jetzige Vorstoß von Herrn Stock auf Lärmreduzierung durch Tempo 30 zu bestehen richtig! Er muss diese Geschwindigkeitsreduzierung aber aus Gründen der Fairness auch für die Flugzeuge über unseren Dächern fordern.“

Friedhilde Scholl,  Frankfurt

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Das menschliche Ohr ist kein Messgerät

„Die Einführung von Tempo 30 während der Nacht auf Hauptstraßen in Frankfurt hat zu einer Absenkung der gemessenen Lärmwerte um 3 dB(A) geführt. Dies hat Verkehrsminister Al-Wazir zu der Kommentierung veranlasst: “ …. es ist …. deutlich leiser geworden.“ Und Stadträtin Ursula Fechtner wird mit der Behauptung zitiert, „Anlieger empfänden drei Dezibel weniger als Halbierung des Lärms.“
Dies ist beides – mit Verlaub – Unsinn. Drei Dezibel weniger entsprechen z. B. einer Halbierung der Zahl vorbeifahrender Autos oder von Flugbewegungen und damit einer Halbierung des gemessenen Schalldrucks. Und es erfordert schon einschneidende Maßnahmen, um dies zu erreichen. Nur ist das menschliche Ohr kein Meßgerät. Es fängt erst bei etwa drei dB an, überhaupt einen Unterschied wahrzunehmen. Für eine Halbierung wären zehn0 dB erforderlich, und das wäre erst durch eine Reduzierung der Verkehrsmenge um 90 Prozent zu erreichen.
Sicherlich ist es für Politiker und Planer unerfreulich, wenn selbst einschneidende Maßnahmen von den Betroffenen nicht wahrgenommen werden. So ist das aber.“

Hans Jägemann, Darmstadt

fr-balkenWir sind der größte Klimakiller

Frankfurter Flughafen: „Passagiere gestrandet„, FR-online vom 24. Juli

„Die Forderung von Fraport nach mehr „Flexibilität beim Nachtflugverbot“ ist dreist. Wegen heftiger Gewitter hätten 25 Maschinen trotz Ausnahmegenehmigung einen Start bis Mitternacht nicht mehr geschafft.
Allein schon das Erteilen einer Ausnahegenehmigung ist ein Angriff auf die Menschenrechte tausender Anwohner, deren ohnehin knapp bemessene Nachtruhe um eine weitere Stunde gekürzt wurde. Obendrein werden mit solchen Begehrlichkeiten Ursache und Wirkung in manipulativer Absicht verdreht. Denn die Luftfahrt zählt zu den größten Mitverursachern der Klimaveränderung, welche die von Jahr zu Jahr heftiger werdenden Unwetter hervorruft. Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber genießen sogar noch ein weiteres Privileg: Kerosin wird im Gegensatz zu anderen fossilen Brennstoffen nach wie vor nicht besteuert.
Jetzt möchte Fraport noch eines draufsetzen und leitet aus der systematischen Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen sogar einen Anspruch ab, den man so beschreiben könnte:
Wir sind der größte Klimakiller, deswegen ist es recht und billig, dass wir auch für die Folgen nicht herangezogen werden. Der Flugverkehr (korrekterweise das in ihn investierte Kapital) ist auf einen unbegrenzt verfügbaren Luftraum angewiesen. Dem haben sich andere Interessen unterzuordnen. Denn Geld regiert die Welt. Das halten die Schwarzen für richtig, mittlerweile auch die Grünen und die Rosa-Roten klammheimlich auch. Der Rest ist zu vernachlässigen.
Das zuständige Verkehrsministerium signalisierte bereits Bereitschaft, sich mit den Beteiligten an einen Tisch zu setzen. Unter Beteiligten versteht man dort selbstverständlich nicht die um ihre Gesundheit und Lebensqualität Betrogenen. Eben jenen Rest, auf den es nicht anzukommen scheint.“

Klaus Philipp Mertens, Frankfurt

fr-balkenAltmaiers besondere Aufgaben

Minister für besondere Aufgaben: „Altmaier, Peter, Scholz: Auf zum Gillamoos 2016„, FR-online vom 5. September

„Herr Bundesminister Peter Altmaier hat zwar in seinem Leben so manches Amt bekleidet, aber denkt er bei seiner jetztigen Tätigkeit auch einmal an sein eigenes Volk? Welche Aufgaben obliegen ihm heute als „Bundesminister für besondere Aufgaben“? Wäre eine besondere Aufgabe die Steuerreform, welche schon seit Jahren in Angriff genommen werden soll? Wann werden die seit Jahren diskutierten „Schlupflöcher“ endlich geschlossen? Oder etwa die Rentenreform, die zwar seit Jahren geändert wird, allerdings nur zum Nachteil der Rentner. Wie stehen unsere zukünftigen Rentner da, welche Zeiten von Arbeitslosigkeit, Kurz- und Jobarbeit, Niedriglohn usw. in ihrem Arbeitsleben nachweisen müssen? Wer kann im Niedriglohn-Sektor Gelder für private Rentenansprüche abzweigen? Ist hier nicht eine besondere Aufgabe darin zu sehen endlich eine Rentenkasse aufzubauen in die alle Arbeitnehmer, Angestellte sowie auch Beamte, einzahlen?
Ich sehe auch darin eine besondere Aufgabe, endlich den Banken mehr auf die „Finger“ zu schauen. Auch hier sind wieder tausende Angestellten-Entlassungen im Gespräch! Haben die Arbeitgeber Freibriefe für Entlassungen, wenn sie selbst durch Misswirtschaft dies verursacht haben? Auch hierfür werden nicht die „Leitenden“ zur Rechenschaft gezogen, sondern die Steuerzahler tragen im Endresultat mal wieder alles. Ist unsere Regierung durch die vergangene „Bankenkrise“ nicht aufmerksamer geworden? Nein!
Eine besondere Aufgabe sehe ich auch darin, den Beamten, welche teure Marken-Kugelschreiber in größeren Mengen von den Steuergeldern kaufen, ebenso auf die „Finger“ zu schauen bzw. die entsprechenden Anweisungen zu ändern. Dies ist allerdings nur ein Fall, der mal in die Öffentlichkeit gedrungen ist.
Eine besondere Aufgabe liegt auch bei den  Mieten und -Nebenkosten, welche extrem in die Höhe steigen. Wer soll das noch alles bezahlen?
Es liegt in unserem Land noch mehr „im Argen“ mit dem sich unser „Bundesminister für besondere Aufgaben“ befassen müsste und auch entsprechende Lösungen finden, denn dann wäre dieses Amt gerechtfertig!“

Ewald von Hagen, Großkrotzenburg

fr-balkenDer Mann war schon immer so

Winfried Kretschmann: „Der Mann mit dem falschen Parteibuch„, FR-online vom 26. August

„Stephan Hebel mutmaßt, dass irgendwann jemand versehentlich Wilfried Kretschmann ein grünes Parteibuch untergejubelt haben muss. Nein, lieber Herr Hebel, der Mann war schon immer so und das gilt zumindest auch für große Teile des Landesverbands Baden-Württemberg.
Diesen habe ich in der Gründungs- und Konsolidierungsphase der Partei von 1980 bis 1983 in Singen, Radolfzell und Konstanz unmittelbar erlebt. Zunächst gaben Leute aus der konservativen „Grünen Aktion Zukunft GAZ“ des ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl den Ton an. Während auf der Bundesebene linke Kräfte (vor allem ehemalige SPD-Mitglieder) den Grünen-Parteitag am 21./22. Juni 1980 in Dortmund noch dominierten, sah das im „Ländle“ anders aus. Teile der GAZ zogen sich zwar bald wieder zurück und beteiligten sich an der Gründung der ÖDP, doch ihre Stelle nahmen vor allem in Baden-Württemberg und Bayern Mitglieder und Anhänger der „Aktion Unabhängiger Deutscher AUD“ ein. Diese Partei löste sich im April 1980 zu Gunsten der Grünen auf. Ihr Vorsitzender August Haußleiter wurde Parteisprecher und Herausgeber der Parteizeitung „Die Grünen“.
Die AUD gehörte unzweideutig dem rechtsnationalen Spektrum an; denn sie war hervorgegangen aus der „Deutschen Gemeinschaft“, der „Deutschen Freiheitspartei“ und der „Vereinigung Deutsche Nationalversammlung“. Zu ihren Gründungsmitgliedern zählte u.a. Wolf-Rüdiger Schenke, ein ehemaliges Mitglied der Reichsleitung der Hitler-Jugend und Herausgeber des HJ-Schulungsbriefs „Wille und Macht“. Bereits 1973 bezeichnete sich die AUD als „Partei des Lebensschutzes“ und erhob den Umweltschutz zu einem wesentlichen Teil ihres Programms.
Rudi Dutschke, der während seines letzten Lebensjahrs (1979) mit den Grünen bzw. Alternativen Listen sympathisierte und an der Gründung einer bundesweiten neuen Partei mitarbeitete (unterstützt vom DDR-Dissidenten Rudolf Bahro), warf den Vorläufern der Grünen vor, die soziale Frage nicht zu stellen und die Umweltzerstörung nicht als Begleiterscheinung der kapitalistischen Produktion zu begreifen.
Vor diesem Hintergrund hatte Kretschmann sogar Recht wenn er sagte, Schwarz-Grün passe einfach in unsere Zeit. Ströbele und Co. waren und sind die Ausnahmen. Der grüne Mainstream rekrutiert sich aus angepassten Aufsteigern, die, selbstverständlich naturbelassen, die Republik ins Schwarze steuern.
Warum die SPD in den Grünen noch immer einen Bündnispartner sieht, erklärt sich ausschließlich durch deren Willen zur Macht, nicht aber durch das Streben nach einer qualitativ neuen Politik.“

Klaus Philipp Mertens, Frankfurt

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Eingefahrene Grundprinzipien gehören auf den Prüfstand

„Jetzt wird es Zeit, dass sich die Genossen ebenfalls nach Alternativen im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017 umsehen. Um endlich einen Wechsel zu vollziehen, kann es dabei nur um „Rot-Rot-Grün“ gehen, wenn die SPD nicht weiter Steigbügelhalter für die CDU sein will. Dabei gilt es auf allen Seiten eingefahrene Grundprinzipien auf den Prüfstand zu stellen und Kompromisse zu suchen. Gemeinsamkeiten /Schnittmengen oder programmatische Überschneidungen wie z:B.Vermögenssteuer, Bekämpfung der Altersarmut, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum oder mehr Geld für Bildung sind vorhanden. Die „Denkfabrik“ ein kreativer Impulsgeber innerhalb der SPD bietet dafür Gelegenheit. Hier werden Denkanstöße erörtert und gemeinsam mit Politikerinnen und Politiker der „Grünen“ und „Linken“ diskutiert. Jetzt gilt es am Ball zu bleiben und möglichst Fehler wie 2008 in Hessen zu vermeiden. Zur Erinnerung: Auch die Grünen wurden bis Mitte der 80er Jahre für nicht „regierungsfähig“ gehalten. Die CDU sollte sich daran erinnern, mit welcher Mehrheit der 1.Bürgermeister von Hamburg Ole von Beust im Jahre 2001 gewählt wurde.“

Helmut Leichner, Nidderau

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6 Kommentare zu “Postfach: Mit gestärktem Vertrauen in dieses Rechtssystem

  1. Sehr geehrter Herr Dillmann, wie wollte ich Ihnen zujubeln im ersten Moment. Unethisches Medienspektakel, gekitzelter Mob, schlimm usw. Dann allerdings kam ich ins Nachdenken. Im Kern halten Sie es nämlich für verwerflich, einen „emotionalen Mob“ zum Richter zu machen. Ganz so, als wären Abgeordnete und Juristen per se gehindert, anders als auf Grundlage von Sachlichkeit und Fachwissen zu entscheiden, und ihr Urteil daher notwendig ein anderes. Ob das stimmen mag? Mir entging nicht, dass die gesamte TV-Inszenierung gleichsam eine nachträgliche Absegnung des politischen Mainstreams ist, der seit Jahrzehnten jede, aber wirklich jede Maßnahme als gerechtfertigt durchsetzt, die sich irgendwie als Instrument im „Kampf gegen den Terror“ qualifizieren lässt. Seien es Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Totalüberwachung aller Bürger, die Hinnahme nachrichtendienstlicher Übergriffe aus dem Ausland, die maßlose Genehmigung von Waffenexporten usw. usw. Im Ergebnis weicht das Urteil des tobenden Mobs doch keineswegs von dem der Professionellen ab, was meinen Sie? Womöglich haben Sie sich ein bisschen in die Irre führen lassen, weil die Inszenierung eine einfache moralische Fragestellung im Gewand einer komplexen juristischen Feinheit präsentiert (et vice versa). Aber, sehen Sie: Ich fürchte, genau diese Verwirrung war das Ziel. Wenn Sie mögen, lesen Sie bei Gelegenheit einmal Bonhoeffers Gedanken „Von der Dummheit“, die „doch dies Tröstliche für sich (haben), daß sie ganz und garnicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen“.

  2. Ein interessanter Aspekt ist von Herrn von Schirach wahrscheinlich bewußt außen vor gelassen worden, um sein Kammerspiel nicht zu überfrachten. Bei einem Länderspiel Deutschland-England kann man davon ausgehen, daß es bei 70 000 Zuschauern einen Block von ca. 10 000 Engländern im Stadion gibt. In England wäre der Pilot mit Sicherheit als Held gefeiert worden. Wie aber wäre die Reaktion englischer Medien und Politiker gewesen, hätten deutsche Soldaten mit Hinweis auf ein deutsches Gesetz vorsätzlich 10 000 englische Zivilisten töten lassen? Wie ist die Rechtslage im Noch-EU-Land Großbritannien und wie in anderen Ländern in der viel beschworenen Wertegemeinschaft EU? Vielleicht hätten Sie sich besser mal damit beschäftigt als Fernsehzuschauer pauschal als Mob zu bezeichnen und sich langwierig mit der in der Tat fragwürdigen Abstimmung auseinanderzusetzen. Das Abstimmungsergebnis war natürlich vorher schon klar.

  3. Vielen Dank für Ihren Kommentar zu dem Schirach Film „Terror“ und der abschließenden Abstimmung im Fernsehen. Sie sprechen mir aus der Seele!
    Ich dachte zunächst, das kann doch nicht wahr sein. Ich bin Österreicherin, habe das Spektakel aus dem Ausland verfolgt. In Österreich diskutierte nach Ausstrahlung des Films sogar der österreichische Justizminister in einer ORF Runde!
    Heute, am Tag 2 danach schwirren noch alle Foren mit der Frage – richtig oder falsch, schuldig oder nicht schuldig. Der Arme Pilot. Dröhnende Stille allerdings zur zentralen Frage. Nur Sie haben es auf den Punkt gebracht! Der eigentliche Skandal ist, dass in Zeiten wie diesen so ein emotionalisiertes Larifari aufgeblasen wird zu einer Pseudo-Entscheidung, als ob wir keine anderen Sorgen hätten! Wir Europäer sind tatsächlich traumatisiert von echten Morden in unserer Mitte. Dann wird für reine Fiktion Stimmung aufgewühlt – wozu – und alle Sendestationen blasen aus allen Rohren, um Quote zu bringen? Spinnen denn jetzt alle?
    Und irgendwo sitzt jetzt vielleicht auch noch ein krankes Hirn und lässt sich den ganzen Aufruhr zur Inspiration für künftige Taten dienen. Brot und Spiele, kann man da nur sagen.
    Und der österreichische Justizminister (!) setzt sich dazu und diskutiert mit! Statt eine Stimme der Vernunft abzugeben und sich mit der Würde seines Amtes einem solchen abgeschmackten Spektakel zu verweigern. (Ganz abgesehen einmal davon, sich im Jahr 2016 als Repräsentant der österreichischen Demokratie vor den PR Karren eines gewissen Herrn Schirach spannen zu lassen. Ja, ja, mir ist schon klar, das ist ein anderer. Doch gewisse Symbole schwingen einfach mit.)
    Das Thema des Schauspiels ist übrigens gar nicht so originell. Ein altbekanntes moralisches Dilemma (s.u., Wikipedia). Mister Schirach hat es nur auf sexy und grusel ins neue Terrorgewand gekleidet.
    Für mich grenzt es an Sittenwidrigkeit, ein ganzes Volk dazu aufzupeitschen, sich gemütlichen Gedanken hinzugeben, welchen Leuten man nun den Tod zudenken würde und welchen das Leben. Und huch, hoffentlich kommt nicht bald ein Terrorflugzeug und erwischt uns auch! Als reines Gedankenspiel – wohlgemerkt. Als Zeitvertreib.

  4. Dass die deutsche Bevölkerung keine Ahnung von ihrem Rechtsstaat und ihrem Grundgesetz hat, ist eine Tatsache, die man an vielen Themen erkennen kann. Woher soll das Wissen auch kommen? Vor hundert Jahren gab’s noch einen Kaiser und auch nach 1945 saßen in Judikative und Exekutive nicht die zurückgekehrten Emigranten, sondern die alten Nazis, wie jetzt durch die „Akte Rosenburg“ endlich von Historikern wissenschaftlich belegt ist.
    Es ging für 90% der Bevölkerung nach 1945 um wirtschaftlichen, nicht um rechtsstaatlichen Aufschwung. Als die Studenten 1968 darauf hinwiesen und etwas ändern wollten, wurden sie zusammengeknüppelt und bis zur RAF kriminalisiert oder per Radikalenerlass von Karrieren im Öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Wer da wohl die treibenden Kräfte waren? Bestimmt nicht Politiker wie Heinemann, aber Politiker wie ihn, konnte man damals an einer Hand abzählen.
    Auch wenn man an dem Schirach-Stück und der Präsentation durch die ARD viel kritisieren kann, ist es sehr gut, dass sich Millionen von BürgerInnen nun endlich mit diesen Themen beschäftigen. Der breite Rechtsstaatsdiskurs fehlt seit 70 Jahren. Was jetzt bei der Abstimmung und den Kommentaren dazu an Rechtsbewusstsein ‚des Volkes’ ans Tageslicht kam, kann keinen Verfassungsrechtler freuen. Durch das Stück und die ARD-Diskussion danach haben wir auch erfahren, dass selbst unsere Bundeswehr nicht gewillt ist, sich an Entscheidungen des BVerfG zu halten, denn die Dialoge des Stückes sind teilweise Zitate aus den Akten. Der Bundeswehrmann und Herr Jung, der Ex-Verteidigungsminister sind, wie man bei Plasberg sehen und hören konnte, auch noch nicht bereit, die Sichtweise des BVerfG zu akzeptieren. Das ist ein Aspekt, über den gar nicht diskutiert wird. DAS sollte uns alle sehr beunruhigen. Eine Armee, die mehr oder weniger offen sagt: Was kümmert uns das Grundgesetz und das, was das BVerfG hierzu entscheidet, im Zweifel machen wir doch, was WIR für richtig finden. Kein Wunder, dass die Bundeswehr auch wieder an Kriegen beteiligt ist, an denen sie nicht beteiligt sein dürfte.
    Ein breiter öffentlicher Diskurs über sehr viele Rechtsthemen ist mehr als notwendig. In allen Fragen des Strafrechts ist das kollektive Unbewusste noch fest im Mittelalter verankert. Das ist der Grund, warum die Politik es nicht wagt das Wissen der Humanwissenschaften anzuwenden und in Gesetze umzusetzen.

  5. @Dagmar Schön
    „Auch wenn man an dem Schirach-Stück und der Präsentation durch die ARD viel kritisieren kann, ist es sehr gut, dass sich Millionen von BürgerInnen nun endlich mit diesen Themen beschäftigen.“
    Meine Übersetzung der Kritik von Th. Fischer (@ths: übrigens Richter am Bundesgerichtshof, wo ein Strafrechtler auch hingehört, und nicht am Bundesverfassungsgericht):
    Auch wenn in dem Stück gezeigt wird, dass 2 + 2 gleich 5 ist, ist es sehr gut, dass sich Millionen von BürgerInnen nun endlich mit Mathematik beschäftigen.

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