Der Münchner Nockherberg ist ein Ort, an dem sich die Politik alljährlich die Leviten lesen lässt. Diesmal jedoch ging Fastenprediger und Kabarettist Michael Lerchenberger zu weit. Jedenfalls sieht das Charlotte Knobloch so, die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Ddeutschland. Lerchenberger hatte den FDP-Vorsitzenden (und Außenminister) Guido Westerwelle scharf angegriffen: In seiner satirischen Rede, wiedergegeben nach dem Spiegel, sagte Lerchenberger, Westerwelle wolle nun alle Hartz-IV-Empfänger in Ostdeutschland sammeln. „Drumrum ein Stacheldraht, das haben wir schon mal gehabt.“ Und über dem Eingang, „bewacht von jungen Ichlingen im Gelbhemd, steht in eisernen Lettern: Leistung muss sich wieder lohnen.“ Damit habe Lerchenberg eine Grenze überschritten, die nicht hinnehmbar sei, so Knobloch. Mehrere Politiker äußern sich ähnlich. Die FR-Leserinnen und -Leser sehen das jedoch anders. So meint Jürgen Böck aus Wasserburg:
„Neulich haben sie sich wieder getroffen: ein paar hundert angeblich reife, politische Erwachsene und ein Bußprediger. Dass er ihnen einen starken Spiegel vorhielt, gehört zur respektablen Tradition der Fastenpredigt, wurde aber nicht von allen akzeptiert. Letztere griffen zur ultimativen Grausamkeit und köpften den Überbringer der unangenehmen Anspielungen. Die zurechtgewiesenen Mächtigen reagieren so uneinsichtig wie kleine Kinder. Sie zeigen weder Einsicht noch Buße oder gar Besserung! So wurde eine beliebte Veranstaltung auf dem Münchner Nockherberg zum Massaker für die Liberalitas Bavariae.“
Manfred und Renate Böttcher aus Bremen:
„Wir halten es für einen Vorwand, daß der Fastenprediger Michael Lerchenberg so massiv kritisiert und zu einem Rücktritt gedrängt worden ist. Die Kritik an der Passage seiner Predigt über Westerwelle ist nur vorgeschoben. Diese Passage war ganz offensichtlich ein willkommener Anlaß, um über Lerchenberg den Stab zu brechen. Seine Kritiker störte in Wahrheit nur die völlig berechtigte bitterböse Abrechnung mit den Niederungen der bayerischen und auch der bundesdeutschen Politik.
Beleg dafür, daß Lerchenberg nicht zu weit gegangen ist, sind die umgehenden spontanen Reaktionen der auf dem Nockherberg anwesenden und anschließend befragten Politiker. Selbst Westerwelles FDP-Kabinettskollege Brüderle wertete die Rede Lerchenbergs als ‚amüsante Unterhaltung‘ – also harmlos. Auch Ministerpräsident Seehofer bezeichnete die Predigt als ’nachsichtig‘. Er habe ‚Schlimmeres erwartet‘. Zwei/drei Stellen seien ‚etwas schwierig‘ gewesen. Ex-Ministerpräsident Stoiber sprach sogar von einer ’sehr gescheiten Rede‘ mit ’sehr vielen kritischen und giftigen Anmerkungen‘. Nach Auffassung des Münchner OBs Ude gibt die Rede Lerchenbergs ‚wirklich etwas zum Nachdenken‘. Da sei ‚vielen das Gelächter im Hals stecken geblieben‘. Im Ergebnis zeigt sich, die Rede war sehr klug und durchaus noch nachsichtig und gab echten Anlaß zum Nachdenken. Damit hat der Kabarettist Lerchenberg seine Aufgabe voll erfüllt, gerade auch wenn Passagen der Rede von einem Ex-Politiker als ‚giftig‘ empfunden werden. Dies liegt in der Natur der Sache, denn Satire darf laut Tucholsky alles. Politiker müssen vom Kabarett nicht geschont werden. Die weiten Grenzen der Satire wurden nicht überschritten, wenn selbst Seehofer nur von ‚etwas schwierig‘ und ‚grenzwertig‘ spricht. Dass das ständige Einschlagen des FDP-Vorsitzenden und Außenministers Westerwelle auf viele allenfalls vom Existenzminimum lebenden Hartz-IV-Empfänger, die keine Lobby haben, mit einem warnenden Bild des Kabarettisten konfrontiert wurde, ist angemessen und akzeptabel. Auf einen groben Klotz gehört auch ein grober Keil. Die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Knobloch muss nicht bei jeder sehr scharfen Kritik an unseren gegenwärtigen Politikern eine Reflexreaktion zeigen, einen Rekurs auf die Vergangenheit machen und von einer Schande reden. Eine Schande ist es, wenn ein schwacher Teil unserer Gesellschaft mit dem durchsichtigen politischen Ziel der Bereicherung der Wohlhabenden permanent verleumdet wird. Knobloch hätte besser geschwiegen, als den vom Fastenprediger angeklagten Politikern den Anlaß zu liefern, den vorzüglichen Fastenprediger und Kabarettisten zu Fall zu bringen. Nichts hat Lerchenberg ferner gelegen, als das Leid der Opfer in den Konzentrationslagern zu verharmlosen. Diese Unterstellung ist absurd.
Für schlimm halten wir es aber auch, daß der Bayerische Rundfunk die Fastenrede auf dem Nockherberg in seiner Wiederholungssendung zenziert und sich damit den kritisierten Politikern ergeben hat. Damit straft der BR der Feststellung des OBs Ude Lügen, daß die Fastenpredigt ‚ein eindrucksvoller Beweis war, daß es hier keine Zensur gibt‘. Die Drohung Westerwelles, nicht mehr zum Nockherberg zu kommen, braucht niemanden aufzuregen. Damit würde er nur sich selbst, aber sonst niemandem schaden.“
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Herr Lerchenberg sollte sich glücklich schätzen, dass er wenigstens selbst die Fädenzieher dazu provoziert hat, seine Marionettenfäden zu durchtrennen.
Das Schlimmste,was der Satire passieren kann ist, wenn das Publikum nicht mitkriegt, wessen Spaß ein Ende haben muss, bevor es Ernst wird.
..und, Satire darf nicht alles, da irrte Tucholsky.
Satire darf nicht zum Feigenblatt werden.
Der Dummheit sind in Deutschland keine Grenzen gesetzt (nur der Satire)
Brender, Sawicki, Lerchenberg – alle abserviert und mundtot gemacht. Woran erinnert mich das nur so fatal?
@4 an Sonnenuntergang :-).
Das politische Kabarett ist doch schon immer dabei, hart an der Grenze des gerade noch Erlaubten zu arbeiten.
Da kommt eben manchmal einer ins Straucheln.
Kolateralschaden – Berufsrisiko der Sparte.
Es sieht aber noch nicht so aus, dass wir wieder in die Ära Joseph Stauß zurückfallen. Dieser Mann hatte ja ständig Prozesse laufen.