Nicht weit weg von Herrn Fritzl

In nur vier Verhandlungstagen ist der Prozess gegen das „Monster von Amstetten“ über die Bühne gegangen. Josef Fritzl kommt in die Geschlossene, und alle Betroffenen sind zufrieden. „Paradox, aber wahr“, schreibt Christian Schlüter im FR-Leitartikel: “ Alle am Fritzl-Verfahren Beteiligten haben ein gut begründetes Desinteresse am Fall Fritzl. Ja, sogar die Staatsanwaltschaft!“ Und zwar: „Das Keller-Verlies da unten wie die Spießer-Idylle da oben gehören zu ein und derselben Ordnung, nur mit der entscheidenden Besonderheit, dass sie eine in ihre Extreme getriebene Kleinbürgerlichkeit darstellen: Gemütlich, wohnlich, behaglich soll es für den Familienpatriarchen in allen seinen Welten sein; die Frauen sind ihm zu Diensten und dürfen auch geschlagen werden; für seine Sexualität verfügt er über kaum mehr als ein gewaltgeprägtes, dominanzorientiertes Verhaltensrepertoire; nach außen gibt er sich spendabel und tolerant, nach innen aber diktatorisch und penibel bis zur Neige… An Fritzl ist nichts monströs, außer dass er einer von uns ist – er ist von allem nur ein wenig mehr als der Durchschnitt.“

Dazu meint Hannah Erben aus Hamburg:

„Wir hier in Deutschland sind ebenfalls nicht so weit weg von der Gewalttätigkeit eines Herrn Fritzl, wie wir uns gerne vormachen möchten! Die Frauenhäuser sind mehr als voll, jeden Tag können wir lesen, welcher Mann wieder seine Frau und immer wieder auch die gemeinsamen Kinder umgebracht hat, wenn sich die Frau trennen möchte oder wenn dem „Ernährer“ der finanzielle Ruin droht. Es gibt immer noch genug Männer, die nicht dazu in der Lage sind, sich und die anderen als getrennte Wesen mit eigenen Rechten und Wünschen wahrzunehmen. Frust und Enttäuschung, mangelndes Selbstbewusstsein, kein Mitgefühl – dazu dürfen wir auch die Amokläufe junger Männer zählen: Es scheint sich um eine massive Identitätskrise des Mannes in unserer Gesellschaft zu handeln, die sich bei einigen entlädt in grausamer Gewalt.
Wir alle sind gefragt in dieser Frage und sollten es uns nicht so einfach machen, uns die Täter als Monster von einem anderen Stern vom Leibe zu halten. Die gleiche Tendenz des Verdrängens und Ausgliederns können wir bei der Diskussion der sog. ‚Ehrenmorde‘ beobachten: Die anderen tun es – wir nicht! Es stimmt aber nicht. Ich kann sehr wohl Parallelen und Gemeinsamkeiten erkennen in der Gewalttätigkeit von Männern; gleich ob ‚Familiendrama‘, ‚Amoklauf‘ oder ‚Ehrenmord‘.“

Bernhard Wagner aus Berlin:

„Ein sehr guter Leitartikel. Das Phänomen, dass in diesem Fall überdurchschnittlich viele Mädchen getroffen wurden, ließe sich zwar vordergründig dadurch erklären, dass auch ein Amokschütze, der gezielt schießt, wohl einfach dennoch eher auf die Personen in den ersten Reihen zielt, weil er sie einfach sicherer trifft. Aber wie auch Frauke Haß schreibt, dürfte das zu kurz greifen, vor allem angesichts der auch sonst häufigen Gewalt, die Männer gegen Frauen verüben. Mir scheint dabei zentral, worauf z.B. schon Adorno hinwies: Härte als Ideal. Das anerzogene Verbot, Schwäche zu zeigen, wobei Gefühle, vor allem Liebe oder Mitleid als Schwäche gelten; und wie für den kleinen Jungen die Mutter, so stehen später allgemein Mädchen und Frauen quasi repräsentativ für diese „Schwäche“, die ein „Mann“ in sich „ausrotten“ soll – in sehr vielen Kulturen. Kommen andere Faktoren dazu, z.B. Frustration wegen Ablehnung, wird diese Aggression gegebenenfalls nicht nur gegen diese inneren „Feinde“ gerichtet, sondern auch gegen vermeintliche „Feinde“ in der Außenwelt, vor allem solche, die das repräsentieren, was es „auszurotten“ gilt. Ähnlich funktioniert vermutlich auch Antisemitismus.
Hinzu kommt aber immer, dass die Muster des Verhaltens (Aggression etc.) in hohem Maße „erlernt“ sind, ebenso dass Männer dazu erzogen werden, dass sie auf keinen Fall einer Frau „unterlegen“ sein dürfen. Hier können z.B. Killergames gewaltaffirmativ wirken, aber auch sonst „belohnte“ Gewalt, z.B. in Peer Groups.“

Verwandte Themen

3 Kommentare zu “Nicht weit weg von Herrn Fritzl

  1. @Hannah Erben

    „Es scheint sich um eine massive Identitätskrise des Mannes in unserer Gesellschaft zu handeln, die sich bei einigen entlädt in grausamer Gewalt.“

    Falsch.

Kommentarfunktion geschlossen