TTIP: Dann unterschreibt doch einfach nicht!

Die Verhandlungen über das Abkommen namen Transatlantic Trade and Investment Partnership, besser bekannt als TTIP, haben vom 2. bis 6. Februar die achte Runde durchlaufen. Man traf sich in Brüssel, um über Themen wie Lebensmittel, Nachhaltigkeit, Energie und Rohstoffe, Dienstleistungen und den umstrittenen Investitionsschutz zu verhandeln. Letzterer Gesprächspunkt wurde dann aber anscheinend wieder ausgeklammert. Von den Ergebnissen der Verhandlung drang an die Öffentlichkeit: Nichts! Die Unterhändler von EU und USA lobten die erzielten Fortschritte, ohne konkret zu werden. US-Vizepräsident Biden sagte, man müsse das amerikanische Volk davon überzeugen, dass Europa sich für das Abkommen ebenso interessiere wie die USA. Analog dazu sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass die Politik den Bürgerinnen und Bürgern TTIP besser erklären müsse.

Man darf gespannt sein, wie „die Politik“ es hinbekommen will, etwas besser zu erklären, das so geheim verhandelt wird wie TTIP. Gesundes Misstrauen ist angesagt. Insbesondere in der Frage der Schiedsgerichte prallen politische Kulturen aufeinander, die nicht gut vereinbar sind. Während der Staat in den USA als eine Art notwendiges Übel betrachtet wird, das sich am besten aus allem heraushalten sollte, wird er in Europa weithin als notwendige Kraft betrachtet, die Ausgleich schafft und Rahmenbedingungen setzt, mit einem Wort: reguliert. Mit Regulierung aber haben die US-Amerikaner traditionell Probleme. Der gegenwärtige Präsident ist da ein bisschen anders, aber obwohl er regulierend ins Gesundheitswesen und die Wall Street eingegriffen hat, ist auch er von einem Staatsverständnis wie dem unseren weit entfernt.

Dieses traditionelle Unbehagen der US-Amerikaner äußert sich in der Forderung, dass Konzerne in ihrem wirtschaftlichen Handeln vor dem regulierenden Eingriff von Staaten geschützt werden sollen – der Knackpunkt in den Verhandlungen über TTIP. Das Misstrauen geht so weit, dass Klagen von Konzernen gegen solche Staaten nicht vor ordentlichen Gerichten dieser Staaten verhandelt werden sollen, sondern vor privaten und geheimen Schiedsgerichten, deren Urteile nicht anfechtbar sein sollen. Aus europäischer Sicht ist dies eine völlig unsinnige Forderung, denn natürlich müssen sich Konzerne den Gesetzen der Länder beugen, in denen sie aktiv sind, und zum anderen sind die Justizsysteme Europas unabhängig. Europäische Staaten, auch Deutschland, verlieren regelmäßig Prozesse vor ihren Gerichten. Es gibt keinen einzigen nachvollziehbaren Grund, warum neben diesen funktionierenden Justizsystemen ein solches Schiedsgerichtswesen aufgebaut werden sollte.

Der Bundeswirtschaftsminister hält diese Probleme für lösbar. „Wir können Menschen zum Mond fliegen, also können wir auch die Frage der Schiedsgerichte lösen“, sagte er in Davos. „Vielleicht ist die Debatte in Deutschland manchmal schwieriger als in anderen Ländern, weil wir ein Land sind, das reich und hysterisch ist“, fügte Gabriel hinzu. Es gibt eine einfache Lösung, und die ist außerdem auch noch denkbar unhysterisch: Lasst diesen Unsinn mit den Schiedsgerichten. Wir brauchen sie nicht. Sie sind schlicht überflüssig.

Peter Boettel aus Göppingen meint:

„Die Verfasser des Gastbeitrags („Von Europa lernen“, online nicht verfügbar) plädieren zu Recht für die Stärkung der EU sowie der Parlamente und schlagen hierzu gewisse organisatorische Spielregeln vor. Wenn der Leser sich jedoch dann den Bericht sowie den Kommentar über die geplatzte Aufklärung der Luxleaks-Affäre verinnerlicht, wird deutlich, wie das europäische Parlament sich seine Rechte wie das Recht der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses selbst beschneidet und somit als zahnloser Tiger wirkt. Diese von Peter Riesbeck benannte Selbstentmachtung, die der Demokratie in Europa keinen guten Dienst erweist, wird sich unweigerlich fortsetzen, wenn die Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership, Anm. d. Red.), Ceta (Comprehensive Economic and Trade Agreement, Anm. d. Red.), Tisa (Trade in Services Agreement, Anm. d. Red.) etc. in Kraft treten sollten.
Es tauchen inzwischen nahezu täglich neue Horrormeldungen auf, welche Einschränkungen von Verfassungsorganen diese Abkommen im Falle einer Zustimmung nach sich ziehen werden. So beabsichtigt die EU-Kommission, durchzusetzen, dass nationale Parlamente künftig von der Finanzmarktregulierung weitgehend ausgeschlossen werden; ebenso wird damit einer Einführung der von Schäuble ohnehin ständig verzögerten Finanztransaktionssteuer zur Verminderung kurzfristiger Spekulationen der Todesstoß versetzt. Als besonders schlimm in diesem Zusammenhang erweist sich jedoch die geplante Einführung einer „regulatorischen Kooperation“, womit im Rahmen eines sogenannten Forums Regelungen getroffen werden, an die die Parlamente bei ihren Entscheidungen gebunden sind. Auf diese Weise werden die Parlamente gänzlich überflüssig, wobei die im Gastbeitrag vorgeschlagene Einführung organisatorischer Regeln, wann z.B. der Bundestag vor der Wahl zum Europarlament tagt, oder ob feste Abstimmungszeiten eingeführt werden,  eine kaum ernst zu nehmende Alibifunktion haben.
Es ist für den Normalbürger in keinster Weise mehr nachvollziehbar, dass sich Politiker für TTIP, Ceta, Tisa oder ähnliche Seuchen aussprechen, indem sie damit ihre eigenen Rechte aufgeben. Noch beschämender mutet es  dabei an, wenn angesichts des berechtigten Widerstandes gegen derartige undemokratische Vorhaben ausgerechnet der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten beim Weltwirtschaftsforum in Davos sein Land als reich und hysterisch bezeichnet.“

Gregor Wellmann aus Mainz:

„In dem Artikel steht, dass der EU vage damit gedroht wird, dass ein Herausnehmen des Schiedsgerichtsverfahrens (ISDS) aus dem TTIP sehr teuer kommen würde. Was genau soll das heißen? Wie bei allem, was sich um das Thema TTIP dreht, werden die Karten nicht offen auf den Tisch gelegt, sodass man sich als Bürger kein wirkliches Urteil bilden kann. Mein Eindruck ist: das soll auch gar nicht sein! Täglich gibt es neue Schreckensmeldungen wie die der „regulatorischen Kooperation“, was doch nichts anderes bedeutet, als dass die USA im Vorfeld von geplanten gesetzlichen Regelungen oder Verboten, z.B. von genmanipulierten Pflanzen, mitreden kann. Die (ohnehin schon geschwächte) Souveränität der europäischen Staaten wird damit noch weiter untergraben. Dies alles kann ich nicht gutheißen, selbst wenn die (angeblichen) Vorteile des Abkommens noch so groß wären.“

Georg Linde aus Frankfurt:

„Es gehört zum Verdienst der FR, dass unter den (berechtigten) Aufschreien über die Morde in Paris die Berichterstattung über andere, hinterhältige Angriffe gegen demokratische Grundwerte nicht unter den Tisch fallen: Die weitgehend geheim geführten Verhandlungen über das Freihandelsabkommen nebst Investitionsschutz. (Zum Beispiel „Ein bisschen Transparenz – Was die von der EU-Kommission veröffentlichten TTIP-Dokumente verschweigen“, FR vom 9. Jan.) In den Veröffentlichungen finden sich keine klaren Aussagen, ob Schutzbestimmungen nationaler Staaten gegen Gennahrung und Klimabelastung durch Investitionsschutzklauseln mit Milliarden-Klagen verhindert werden können.
Ein erschütterndes Lehrstück hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) geliefert. Er kolportiert das „Entgegenkommen“ der US-Verhandlungspartner, wonach die Bürger per Smartphone die Markierung auf den Produkten scannen könnten und so Informationen über mögliche genveränderte Anteile erhalten können. Das ist an Unverschämtheit nicht zu überbieten. Es zeigt, wie leichtfertig von unseren Politikern das Grundrecht der Informations- und der Entscheidungsfreiheit weggegeben wird. Der Minister ist weiter unbehelligt im Amt.
Wenn dank der Investitionsschutzklauseln (eigentlich ein Instrument der Planwirtschaft) deutsche und europäische Erzeuger von der hoch subventionierten US-Agrarindustrie vom Markt geschwemmt oder geklagt werden und weggefegt wie eine Würstchenbude vom Tsunami, dann werden Politiker wie Frau Merkel, Herr Gabriel und Herr Schmidt wahrscheinlich sagen: Ja, das haben wir leider nicht gewusst… Wenn nach Privatisierung der Wasserversorgung Leitungswasser nicht mehr trinkbar ist (London) die Menschen nur noch Wasser in Flaschen kaufen können und Coca Cola einheimische Anbieter vom Markt klagt, dann werden diese Politiker sagen: Das haben wir natürlich nicht gewollt. Wacht auf, auch hier gilt es demokratische Grundwerte zu schützen!“

Rosemarie Ochs aus Hanau:

„Dem Leserbrief von Herrn Linde kann ich nur zustimmen. Minister Schmidt möchte die Bürger mit dem Scanner zum Einkaufen schicken, damit die verantwortlichen Politiker beim Freihandelsabkommen später sagen können: Das haben wir nicht gewusst, oder das haben wir nicht gewollt. Dann unterschreibt doch einfach nicht! Ihr müsst den Investoren doch nicht noch zu mehr Einkommen verhelfen. Was wäre, wenn sich die Politiker nach den nächsten Wahlen im letzten Resultat der FDP wiederfinden würden?“

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6 Kommentare zu “TTIP: Dann unterschreibt doch einfach nicht!

  1. Hallo,

    die EU-Kommission verweigert uns eine offizielle Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA. Jetzt organisieren wir sie zusammen mit 340 Organisationen aus ganz Europa einfach selbst! Das Ziel: Wir wollen die größte jemals gestartete Europäische Bürgerinitiative werden – damit die Handels- und Investitionsabkommen politisch nicht mehr durchsetzbar sind.

    Ich habe gerade die selbstorganisierte Bürgerinitiative unterschrieben. Unterzeichne bitte auch Du:

    https://www.campact.de/Stop-TTIP-EBI

    Beste Grüße
    Manfred Petersmark

  2. Ich habe alles, was es bisher an aehnlichen initiativen gibt, unterschrieben und tu‘ auch bei der obigen.
    danke!

  3. Die Information wie solche Verfahren ablaufen ist in der deutschen Presse mehr als dürftig. ‚Privat und geheim‘ und schon denkt man an die Inquisition und die Schauer laufen einem über den Rücken. Man liest auch nur selten, dass es gerade Deutschland war, das auf den Abschluss von Investitionsschutzabkommen gedrängt hat.
    In internationalen Verträgen ist es gang und gäbe, dass man den Rechtsweg ausschliesst und sich auf ein Schlichtungsverfahren einigt. Im Streitfall ernennt jede Partei einen Richter und der dritte Richter wird von einer unabhängigen Institution ernannt. Dies kann z.B. die Internationale Handelskammer sein. Beide Parteien verpfichten sich im Vertrag die Entscheidung der Schlichtung zu akzeptieren. Diese Schlichtungsvefahren sind in der Regel nicht öffentlich. Sie sind erheblich schneller und billiger als ordentliche Gerichte. Warum dieses Verfahren, dass sich seit Jahrzehnten bewährt hat, jetzt den Untergang des Abendlandes heraufbeschwört, erschliesst sich mir nicht.

  4. @ Henning Flessner

    Wenn all das, was Sie als Tatsache behaupten, bereits auf internationale Verträge zuträfe, so wäre schon dies ein schlagendes Argument gegen TTIP und CETA!

    Wäre ein nicht öffentliches Verfahren im Streitfall eher zu akzeptieren, weil es schneller und billiger wäre als ein Verfahren vor einem ordentlichen Gericht? Mir ist nicht bekannt, daß sich ein solches Verfahren seit Jahrzehnten bewährt habe. Und der Untergang des Abendlandes dürfte von anderen Faktoren abhängen.

    Deutschland hat schon Investitionsschutzabkommen abgeschlossen, um deutsche Unternehmen im Ausland vor Enteignung zu schützen. TTIP hingegen würde es einem US-amerikanischen Investor ermöglichen, vor einem nicht öffentlich agierenden Schiedsgericht einen Schadenersatz zu erstreiten, wenn zum Beispiel eine Landesbehörde diesem Investor verwehrte, auf dessen Claim im Rheinischen Schiefergebirge per Fracking Erdgas zu fördern.

    In der aktuellen Situation hat sich unser Wirtschaftsminister öffentlich so geäußert, als würde er sich für die reichen und hysterischen Deutschen schämen. Und wir Deutsche als Souverän lassen uns, wie es aussieht, diese Illoyalität auch noch gefallen! Der Sigmar (…) gehört auf den Mond geschossen!

    (…) Passage gelöscht, Anm. Bronski

  5. Das schlimme an dem Ganzen ist, das man mit absoluter Selbstverständlichkeit voraussetzen muss, das gewählte Politiker nicht die Interessen ihrer Wähler sondern die einiger Lobbygruppen vertreten.

  6. Zu 4

    Ach ja, Bronski, schon wieder habe ich mich daneben benommen. Aber so gering schätze ich den dicken Siggi doch nicht ein, daß er gegen mich Strafanzeige wegen Beleidigung erstattet hätte. Trotzdem danke für’s Löschen der Passage!

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