Gut die Hälfte der Wahlberechtigten sind in Hamburg am vergangenen Sonntag nicht zur Wahl gegangen. Von denen, die ihre Stimme abgaben, votierten knapp die Hälfte für Olaf Scholz, SPD, seit 2011 Erster Bürgermeister der Hansestadt. Pi mal Daumen wurde er also von einem Viertel der Hamburgerinnen und Hamburger gewählt. Er nennt das ein „starkes Mandat“. Ich nenne es Desinteresse an Politik.

Man muss gar nicht mit der berühmten Politikverdrossenheit kommen, um dieses Wahlergebnis zu verstehen. Ich glaube sogar, dass Politikverdrossenheit nicht zur Erklärung angeführt werden kann, denn es gab für Protestwähler eine klare Option, die sie hätten wahrnehmen können: Die „Alternative für Deutschland“ war zum ersten Mal in Hamburg angetreten und hat es tatsächlich in die Bürgerschaft geschafft, und zur Not hätte man auch dem PR- und Klamaukwahlkampf der Frau Suding (FDP) auf den Leim gehen und der FDP die Stimme geben können.

Nein, die niedrige Wahlbeteiligung lässt sich ganz anders erklären: Es gab schlicht nichts zu entscheiden. Kaum kontroverse Themen, die die Menschen mobilisiert hätten. Olaf Scholz hat die Hansestadt wie eine männliche Merkel durch die vergangene Legislaturperiode geführt. Er ist so etwas wie der Gegenentwurf zum Bundesvorsitzenden der SPD: Ruhig, gelassen, fast langweilig – in Zeiten, die immer unübersichtlicher werden, setzen die Menschen offenbar gern auf Politik-Typen wie Scholz, die unaufgeregt und pragmatisch an die Themen herangehen und dabei verlässlich wirken. Dafür wurde Scholz mit einem bemerkenswerten Wahlsieg belohnt. Die Wahlenthaltung von fast der Hälfte der Wählerinnen und Wähler könnte man auch als Zustimmung für Scholz verstehen: Wir interessieren uns nicht groß für das, was Du da machst, aber wie Du es machst, ist ganz okay, weil wir nicht das Gefühl bekommen, dass wir uns dafür interessieren müssten. Du lässt uns in Ruhe, wir lassen Dich in Ruhe – Deal!

Rasmus Ph. Helt aus Hamburg meint:

„Der Siegeszug der Hamburger SPD kommt nicht überraschend. Denn letztlich hat das Team um Olaf Scholz hier sehr clever die Kampagne von Angela Merkel aus dem letzten Bundestagswahlkampf kopiert. Indem der Fokus vor allem darauf gelegt wurde, auf den Plakaten einen augeprägten Personenkult zu pflegen, sich auf Wirtschaftsthemen zu konzentrieren sowie der zunehmenden sozialen Spaltung, die sich an der Elbe gerade zwischen sehr reichen und sehr armen Stadtteilen zeigt, inhaltlich aus dem Weg zu gehen. Womit man insbesondere der Mittelschicht vordergründig ein starkes Angebot gemacht hat, auch wenn es außer dem Hochglanzprojekt der Olympia-Bewerbung an echten Visionen für eine postmoderne Metropole im 21. Jahrhundert fehlt. Da nach wie vor die Hafenwirtschaft im Denken der Politiker im Rathaus dominiert, während man hingegen dem digitalen Wandel – siehe die mickrigen Wlan-Pläne lediglich in der City oder das Schattendasein des Informatikunterrichtes im Schulunterricht – nur eine Nebenrolle einräumt!“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg macht sich schon mal Gedanken über die Kanzlerkandidatur:

„Sigmar Gabriel versieht als SPD-Parteivorsitzender und gegenwärtiger Wirtschaftsminister der Großen Koalition seine Aufgaben mit großem Engagement. Wie aber die niedrigen Umfragewerte der SPD zeigen, wird er offenbar in der Bevölkerung für das Bundestagswahljahr 2017 nicht als möglicher Kanzlerkandidat wahrgenommen. Die SPD sollte 1917 mit einer kompetenten Frau auftreten. Entweder doch Hannelore Kraft oder eben Manuela Schwesig. Als „Parteisoldat“ der SPD wird sich Sigmar Gabriel den Notwendigkeiten nicht verschließen.“

Roland Klose aus Bad Fredeburg:

„Die unspektakuläre und fast inhaltslose Bürgerschafts- und Karnevalswahl in Hamburg hat die SPD mit ihrem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz klar gewonnen. Das Erfolgsrezept von zwei Siegertypen: Olaf Scholz verkleidete sich als charismatische Rautenmutti Angela Merkel und FDP-Spitzenfrau Katja Suding brachte als „unser Mann für Hamburg“ Sex in the City of Hamburg und hauchte der FDP als Wiederbelebung 50 Shades of Grey ein. Eigentlich das ideale Traumpaar für Hamburg, Scholz und PR-Katja Suding, denn mit der FDP ist sogar im Gegensatz zu den Grünen die Elbvertiefung zu machen, was der Wirtschaft und König Olaf nützt. Einziger Knackpunkt bei Hamburger Wahl ist die niedrige Wahlbeteiligung von nur 57,3%. Aber dagegen will die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi ja mit ihrer Wahlreform punkten und so lange wählen lassen bis der Arzt kommt. Moin, moin.“

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3 Kommentare zu “Hamburg: Keine echten Visionen

  1. Wer nicht wählen geht, drückt damit aus, dass es ihm gleichgültig ist, wer da regiert. Und wenn nur zehn % einst ihre Stimme abgeben, bestimmen eben nur diese die Richtung.
    Statt Religion wäre gut, Demokratie in den Schulen zu lehren.

  2. @ 1 werner.h

    Ich teile keinesfalls Ihre Auffassung, daß, wer nicht wählen geht, ausdrückt, daß es ihm egal sei, wer da regiert.

    Viele Nichtwähler fühlen sich gut aufgehoben, so, wie ist. Sie brauchen keine Veränderung und gehen deshalb nicht zur Wahl.

    Andere Nichtwähler sagen sich, egal, wen wir wählen, es ändert sich doch nix, und gehen auch nicht zur Wahl. Und gerade diese Hoffnungslosen hätten im Falle einer geringen Wahlbeteiligung der Zufriedenen ihre Chance! Das klingt jetzt dramatisch; aber es wird sich so schnell nichts ändern.

    Demokratie in der Schule statt Religion tönt mir zu sehr nach: „Religion gut, Kopfrechnen schwach!“

    Ich versuche gerade, mir ein Schulfach vorzustellen, in dem folgendes miteinander verwoben ist: Ethik, Sozialkunde, Religionslehre – nicht an Konfessionen gebunden – und eine Rechtskunde, die dem Lernenden ermöglicht, das zu vertiefen, was er in den vorgenannten Fächern gelernt hat. Klingt kompliziert, lassen wir’s!

  3. # Manfred, Scholz wurde aber nicht von den Nichtwählern bestätigt, die zufrieden sind mit dem, was ist, sondern doch von denen, die zur Wahl gingen.
    Im übrigen halte ich deine Vorschläge für gut, aber es ist immer die Umsetzung, die so ungemein schwierig ist.

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