Seehofer: Das Krähen des Alphatiers

Manche nennen ihn den „bayerischen Löwen“, und was er so von sich gibt, soll „Brüllen“ sein. Das ist eines dieser Bilder, wie Nachrichtenleute sie lieben. Man sucht ja gern nach Umschreibungen, um nicht ständig Seehofer sagen zu müssen oder „der bayerische Ministerpräsident“ oder „der CSU-Chef“. Ja, so kann man ihn außerdem auch noch „der bayerische Löwe“ nennen, und nachdem das oft genug in den Medien platziert wurde, wissen auch alle, wer gemeint ist. Aber kommt Ihnen das nicht auch unstimmig vor? Horst Seehofer – ein Löwe? Passt doch nicht, oder? Dieser sanfte Ehebrecher – ein Löwe? Nicht einmal vom Sternzeichen her passt’s. Groß isser ja, der Horst. Und Bayer ist er auch, unbestritten. Aber Löwe? Dieses Schnuckelbubu?

Es war ja zu erwarten, dass Seehofer den Störenfried geben würde. Vielleicht muss er das sogar. Im Personalpoker um die Bundesministerien hat seine CSU schlecht abgeschnitten, keines der drei Ministerien Landwirtschaft, Entwicklung und Verkehr gehört zu den wirklich bedeutenden Ministerien. Und so war es wohl abzusehen, dass er sich den Mindestlohn vorknöpfen würde. Aber welches Ziel verfolgt Seehofer damit? Der Koalitionsvertrag, das ist zumindest mein Eindruck, ist sauber ausverhandelt. Alle drei Parteien haben Zugeständnisse machen müssen und dafür ihre Vorzeigeprojekte durchgebracht. Was CSU und SPD betrifft: Gibst du mir meine Pkw-Maut, geb ich dir deinen Mindestlohn. Will Seehofer das wirklich infrage stellen? Oder schlägt er nur Krawall, um seine Bedeutungslosigkeit zu übertünchen? Denn CDU und SPD könnten schließlich auch ohne die CSU regieren.

Dass der Mindestlohn kommen wird, ist eine gute Sache. Manchen kommt er zu spät: Voll eingeführt wird er, wenn es nach dem Koalitionsvertrag geht, erst 2017, denn zunächst wird es Ausnahmen geben. So hat die Wirtschaft Zeit, den Mindestlohn zu verknusen. In drei Jahren haben wir ihn dann, und er wird als historische Leistung der SPD und wirtschaftspolitische Großtat gefeiert werden. Diese Butter darf sich die SPD nicht vom Brot nehmen lassen.

Was gibt es also für Seehofer zu meckern? Ach, es ist der Rede nicht wert. Die Ausnahmen vom Mindestlohn, die er fordert, sind im Koalitionsvertrag ebenfalls schon angedacht; er fordert also etwas, was eigentlich bereits verabredet ist. Für Saisonarbeiter etwa sollen Sonderregeln gelten. Man könnte fragen: Gilt er denn nun flächendeckend in ganz Deutschland, der Mindestlohn, oder gilt er nicht? Darüber werden wir uns sicher noch unterhalten. Nur mit seiner Forderung, Rentner sollten keinen Mindestlohn erhalten, darf Seehofer sich keinesfalls durchsetzen, denn sonst entsteht ein neuer Niedriglohnsektor aus Leuten, deren Altersarmut ausgenützt würde. Hier ist eine der Grenzen, an denen die SPD sich gegen Seehofer und andere behaupten muss. Aber im Grunde macht Seehofer es der SPD leicht. Sein „Gebrülle“ ist nichts weiter als Theaterdonner; und je öfter er brüllt, desto schneller nutzt sich dieses Quertreiber-Instrument ab. Also lasst ihn einfach „brüllen“ – oder was er dafür hält.

Niklas Sujan aus Mörfelden-Walldorf meint:

„Ist es nicht erstaunlich wie sehr Politiker an ihren eigenen Worten hängen? So zumindest wirkt nun die Aussage Seehofers zum Mindestlohn und seiner „Ausnahmepolitik“ für bestimmte Beschäftigungsgruppen kurz vor Heiligabend. Ist es kluge Taktik bzw. Klientelpolitik, um die besinnlichen Tage für die CSU-Anhänger noch besinnlicher zu gestalten oder doch nur ein harmloses krähen des Alphatiers der CSU, Horst Seehofer?
Die GroKo scheint mit solchen Fragen kurz nach ihrer Vereidigung erst mal überfordert. Ein langsames umhertappen wie beim Spiel „Der Fuchs geht um“, könnte man meinen. Das Sigmar Gabriel und der Rest der SPD-Führungsebene im Wahlkampf und während der Koalitionsverhandlungen vehement einen Mindestlohn von 8,50 Euro für alle Beschäftigten gefordert haben, steht nun so im Koalitionsvertrag. Zumindest entsteht so die beschriebene Außenwirkung:
Die starke SPD, von vielen eigenen Anhängern verhöhnt – obwohl das Mitgliedervotum so glimpflich ausgegangen ist – zeigt nicht nur die Zerrissenheit hinter der Fassade über den Argumentationsverlust der eigenen Partei im Kampf mit Kanzlerin Merkel, sondern auch die Beschaffenheit der GroKo. Schon im Artikel und von Hubertus Heil bestätigt heißt es, man soll das Ganze gelassen angehen und nicht jedes Wort auf die goldene Waage legen. Nun sieht aus dieser Perspektive die Aussage Seehofers eher wie Taktik aus, als Klientelpolitik. Im Detail steckt der Teufel, wie weiter gut analysiert wurde. 8,50 Euro für alle Beschäftigten? Laut Artikel sind im Koalitionsvertrag bereits Ausnahmen im Bereich der Saisonarbeit, bei Praktikanten und Zeitungsausträgern festgeschrieben. Hinzu kommt: Übergangsfristen bis Ende 2016. Wie war das im Wahlkampf der SPD: Wir brauchen sofort einen Mindestlohn, dafür werden wir kämpfen. So in etwa die Zusammenfassung der Aussagen während des Wahlkampfes.
Ist das sozial gerecht? Es scheint eher ein weiteres Beispiel für die Machtgier der SPD zu sein, die lieber regiert, als wie viele eigene Parteimitglieder sich wünschen, in die Opposition zu gehen. Die Tatsache, das bereits Saisonarbeiter, Praktikanten und Rentner unter sozialen Missständen leiden, unterstreicht den lapidaren Verhandlungswillen der SPD. Am Ende ist dann doch wieder alles gut, wenn Horst Seehofer sagt: „Dieser Gedanke ist doch nicht abwegig.“ Also kräht der Hahn weiter und die SPD spielt herunter was nicht herunter zu spielen ist, während Millionen im Niedriglohnsektor weiter hoffen, dass ihre Arbeits- und Lohnbedingungen sich verbessern. Denn Tatsache ist auch, das Saisonarbeiter, Praktikanten, Zeitungsausträger etc. der Wirtschaft nicht schaden. Spätestens bei diesem Satz sollten mindestens 90% der Politiker die Ohren spitzen, da in der Bundesrepublik soziale Gerechtigkeit am Arbeitsplatz anscheinend nur über wirtschaftspolitische Fragen erörterbar ist. Es bleibt in den nächsten Jahren daher abzuwarten, ob und inwieweit sich die SPD vom krähenden Hahn der CSU beeinflussen wird und wie sie ihren Kernthemen nachkommt.“

Brigitte Deininger aus Memmingen:

„Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag ist noch nicht trocken, da beginnt das Gerangel um Ausnahmen, aber was hat man eigentlich erwartet? Zuerst den Mund vollnehmen und dann Gespräche über Ausnahmen.
Besonders hat mich die erwogene Ausnahme für Zeitungsausträger geärgert, bzw. die Begründung dafür. Wenn es keine typisch reguläre Beschäftigung ist, was denn dann?
Zum besseren Einblick: die „Nachtschwärmer“ sind an sechs Nächten in der Woche, bei jeder Witterung unterwegs, also auch bei Schnee, die Wege sind dann weder geräumt gestreut oder gesalzen, damit der Kunde seine Zeitung pünktlich vorfindet. Auch jene Politiker, die zum Frühstück gerne ihre Zeitung lesen wollen. In vielen Zustellgebieten wird mittlerweile zweimal zur normalen Zeitung ein kostenloses Wochenblatt verteilt, eben für die Bewohner des Zustellbezirks, die keine Zeitung im Abo haben. Früher gab es dieses kostenlose Wochenblatt, es enthält in der Hauptsache Werbung, nur einmal in der Woche und es war, außer vor Weihnachten, recht dünn. Zur besseren Vorstellung: gab es damals Packen mit 40, 50 oder 60 Wochenblättern, so sind es jetzt meistens 25, wenn man Glück hat, 30 Exemplare pro Packen, und sie sind randvoll mit Werbung gestopft. Jetzt kam nochmals ein Zustelltag für dieses Wochenblatt, wieder voll mit Werbung, dazu und es muß in der Nacht von Freitag auf Samstag zugestellt werden. Diesmal war die „Freude“ besonders groß, da in der Nacht zu Heilig Abend ein knüppeldickes Wochenblatt verteilt werden mußte. Frohes Fest!
Die Zeiten sind vorbei, in denen man angeblich um ein paar Häuserblocks laufen konnte und alles gesteckt war. Das Zeitungsaufkommen ist in den letzten Jahren immer weniger geworden, die Zustellbezirke blieben aber immer gleich und somit die Zeit, die benötigt wurde. Außerdem gibt es Bezirke mit vielen Einzelhäusern, eine „Gartentürchentour“. Man stelle sich eine Straße mit 20 Einzelhäusern vor und es gibt in dieser Straße nur noch sechs Zeitungsabos …
Viele Zeitungszusteller arbeiten als solche, da sie keinen anderen Job mehr gefunden haben oder die Zustellung ist einer von mehreren Jobs, um sich ein regelmäßiges Einkommen zu sichern.
Aber vielleicht müssen sich die Damen und Herren Koalititionspartner bald keine Gedanken mehr über eine anständige Bezahlung machen. In naher Zukunft wird es immer weniger „Nachtschwärmer“ geben, denn der Altersdurchschnitt wird immer höher und es gibt keine jungen Leute mehr, die für eine geringe Bezahlung an sechs Tagen in der Woche arbeiten wollen und sich auch noch anhören müssen, sie leisteten keine typisch reguläre Arbeit.“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:

„Nun schließt sich Volker Bouffier Horst Seehofer an. Daß Beide ihr Herz plötzlich für Rentner, Schüler und Studenten entdecken, deren „Arbeits- bzw. Praktikantenplätze gefährdet seien“, wenn der Mindestlohn von € 8,50 zur Anwendung gelange ist eine getürkte Argumentation. In Wirklichkeit will die CSU und jetzt auch die hessische CDU unter Bouffier das Konzept des Mindestlohnes generell kippen, weil Teile der Wirtschaft laut murren. – Die SPD hat aber den Mindestlohn zum Ankerpunkt ihrer Bereitschaft gemacht, mit der Union zu koalieren. Die SPD darf hier nicht nachgeben. Kurz nach Antritt der neuen Bundesregierung kommt es also schon zum „show-down“. Das kann ja munter werden, weil es natürlich noch weitere Soll-Bruchstellen gibt!! – Eine solche – personalpolitisch- ist übrigens auch, daß Angela Merkel unbedingt Martin Schulz als Nachfolger von Barroso in Brüssel verhindern will. Auch das wird die SPD keineswegs hinnehmen können!“

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6 Kommentare zu “Seehofer: Das Krähen des Alphatiers

  1. Bewusst provokativ gefragt: Wollt Ihr den totalen Mindestlohn?
    Jaaaa!!
    Angenommen, es gäbe einen totalen Mindestlohn, also einen Mindestlohn, der allgemein verbindlich wäre. Wären damit die Probleme wegen schlechter Bezahlung gelöst? Ich fürchte nur zum Teil, nämlich in den Fällen, wo dieser Mindestlohn auch erwirtschaftet werden kann.
    In vielen anderen Fällen, wird die Beschäftigung in die Schattenwirtschaft abwandern … mit der Folge von Schwarzarbeit.

    Man wird, um dies zumindest ein wenig zu verhindern, Ausnahmeregelungen genehmigen müssen.
    In Frankreich, einem Land mit recht hohem Mindestlohn liegt die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch. Zufall?
    Eine Frau aus Vietnam sagte vor der Kamera des französischen TV, sie dürfe sich selber ausbeuten und als „Selbstständige“ für 1.- € Stundenlohn ihre Arbeit anbieten.
    Sollte das die Alternative eines zu hohen Mindestlohns sein?

    Sollte es gelingen, mit einem Mindestlohn einen großen Prozentsatz Geringverdiener zu einem besserem Verdienst zu verhelfen, so wäre schon ein kleiner Schritt in Richtung mehr Gerechtigkeit getan.

    Ein Letztes:
    Mindestlohn stellt einen Eingriff in die Tarifautonomie dar. Mich würden die Positionen der Gewerkschaften dazu interessieren.

  2. Die schwache Reaktion von Politik und Presse auf die Äußerungen der Dumpfbacken in der CSU ist enttäuschend! Ich sehe dieses „Papier zur Armutszuwanderung“ in einem politischen Zusammenspiel mit dem immer noch fehlenden „Papier zur Ausländermaut“ und den Lügen zur „Unterdeckung“ der Straßenerhaltungsinvestitionen!
    Ich darf an den Sommer dieses Jahres erinnern, da hörten wir von Sozialbetrug (meine Interpretation) etlicher CSU-Landtagsabgeordneter, die sich und ihre Angehörigen bereicherten. Die Zitate aus dem FR-Artikel kann ich genau auf diese Personen anwenden: „Wer Dokumente fälsche oder zu Unrecht (Sozial-)Leistungen beziehe, müsse dauerhaft ausgewiesen werden: „Wer betrügt, der fliegt““. Die CSU erkläre mir, welcher Unterschied für den Steuerzahler zwischen Politiker einerseits und Hartz-IV-Empfänger oder Arbeitslosen in Deutschland (egal welcher Nation) andererseits besteht? Für mich, den Steuerzahler, sind die Politiker mindestens genauso teuer!
    Man tobt mit übergroßer Entourage von Konferenz zu Konferenz und bringt kaum etwas zu Wege! Beispiel sei der Stand der „Energiewende“ nach vier Jahren „Tätigkeit“: nicht einmal 10% der nötigsten Stromnetzerweiterungen wurden begonnen!
    Dafür wurden kriminelle Aktivitäten „befreundeter“ Geheimdienste vom bisher zuständigen Minister (CSU!) weggeleugnet. Warum hat niemand den Mut dazu, was Dumpfbacke ist, auch so zu nennen? Oder sollte das schon wieder Majestätsbeleidigung sein? Prost Neujahr!

  3. Horst Seehofer muss an den eigenen Maßstäben gemessen werden.
    „Wer betrügt, fliegt“, meint Seehofer.
    Dann soll er mal selbst herausfliegen.

    Reiner Wolf

  4. zu runeB
    Auch hier wieder drei Bemerkungen zu ihrem Beitrag 1. Könnte nicht die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Frankreich ihre Ursache darin haben das die Geburtenraten schon immer höher ist als in D. und nicht am Mindestlohn liegen? 2. Mir ist noch keine Meldung untergekommen nach der in Ländern mit Mindestlohn und das sind fast alle, die Schwarzarbeit besonders hoch ist.3. Was sollen die Gewerkschaften denn dazu sagen . Den Mindestlohn wird es nur in Bereichen geben in denen die Gewerkschaft schwach ist. Das beste Beispiel ist die Exportindustrie, die zuckt beim Mindestlohn noch nicht einmal weil da die Gewerkschaft wesentlich höhere Löhne durchgesetzt hat. Ich bin gespannt wer die Fenster der Banken putzen wird wenn es sich bei dem Mindestlohn von 8,5 Euro nicht mehr rechnet. Es werden auch nicht all zu viele ins Ausland zum Haareschneiden fahren. Der Mindestlohn wird wenn er durchgesetzt wird zum Erfolg werden, das sehe ich als relativ sicher an.

  5. zu 4.# Hans
    Die hohe Jugendarbeitslosigkeit an höheren Geburtenraten festzumachen, klingt verlockend. In Frankreich sind gerade im ländlichen Bereich viele Kleinstunternehmer wegen des Mindestlohns nicht mehr aktiv.
    Eine offizielle Schwarzarbeitstatistik gibt es nicht, auch keine Meldepflicht für Schwarzarbeit. Der Umfang von Schwarzarbeit beruht lediglich auf Schätzungen.
    Die Gewerkschaften verteidigen immer ihre Tarifautonomie, dann sollten sie sich auch um Lohnuntergrenzen bemühen.
    Sollte der Export nicht mehr brummen, zucken auich dort die arbeitgeber in Sachen Mindestlohn zusammen.
    Ich wäre schon zufrieden, wenn es einem Großteil im Niedriglohnsektor Beschäftigten mit einenm Mindestlohn besser gehen würde.
    An einen durchschlagenden Erfolg – wie er immer wieder mit dem Mindestlohn verbunden wird, quasi als deus ex machina – glaube ich nicht, da es immer wieder Schlupflöcher gibt. Siehe Schwarzarbeit.

    Im Bereich der Friseure sei daran erinnert, dass schon vor vielen Jahren Friseusen ins Haus kamen und schwarz gearbeitet hatten.

  6. Am 16. März 2014 sind in Bayern Kommunalwahlen. Und in den Kommunen schwächelt die CSU. Schwächelt auf ihrem Fundament. Das ängstigt die Führung der CSU.

    Frau Merkel kann in der Groko ohne Zustimmung der CSU regieren. Also Bedeutungsverlust für Seehofer.

    Ferner muss die AfD in Bayern in die Schranken gewiesen werden und auch die Freien Wähler.

    Grund genug lauthals zu brüllen.
    Dafür hat Seehofer ein instinktsicheres Gefühl.

    Jetzt will die CSU Bayern Grenzen besser sichern. (Fällt ihr aber recht spät ein.)

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