Merkel bekennt sich nicht zu dem, was sie vorhat

Angela Merkel macht Wahlkampf, der eigentlich keiner ist. Inhaltliches lässt sie souverän an sich abperlen. Etwa als Franz Müntefering, SPD-Vorsitzender, ihr vorwarf, sie interessiere nur ihr Amt, und „unverschämt“ sei sie auch noch, da gibt sie aus präsidialer Ferne zurück: „Wir sollten nicht sinnlos aufeinander rumhacken, sondern den anderen zumindest eine gute Absicht unterstellen.“ Inhalte sucht man bei ihr vergebens – und da, wo ein Hauch dieser Inhalte aufkommen könnte, macht sie intern Druck und sorgt dafür, dass beispielsweise ein Minister zurückrudert. So hatte unser bis dahin weitgehend nicht weniger inhaltsleer brillierenden Wirtschaftsminister ein Papier zur Wirtschaftspolitik schreiben lassen, das vor neoliberaler Ideologie nur so tropfte. Angela Merkel aber erinnert sich noch zu gut an das Debakel von 2005, das ihr der „Professor aus Heidelberg“ verursacht hatte, und geht auf maximale Distanz zu diesem toxischen Papier, gegen das die SPD schon auf die Barrikaden gestiegen war. Bloß keine Angriffsfläche bieten!

Dr. Hans-Ulrich Hauschild aus Gießen meint dazu:

„Einmal mehr machte Steinmeier klar, dass das Land seiner Ansicht nach vor einer Richtungswahl steht. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und der Union warf er vor, sich durch unverbindliche Versprechen und unseriöse Ankündigungen von Steuersenkungen durch den Wahlkampf mogeln zu wollen. ‚Die Union verschweigt ihre Absichten‘ und die FDP lasse keinen Zweifel an ihren marktradikalen Zielen. Mit einer schwarz-gelben Koalition, so Steinmeier, gebe es eine Rückkehr ‚in die Bräsigkeit der neunziger Jahre‘. So hieß es in der Motivationsrede des Kanzlerkandidaten vor einigen Wochen.

Eben, eine Richtungswahl. Die SPD aber  ist gefangen, eingesperrt und befreit sich nicht mehr. Grund dafür ist wohl die Tatsache, dass die SPD für das Prinzipelle, für öffentliches Handeln, für Zumutungen, für das Eintreten für Minderheiten steht, die CDU – eben mit der unfassbaren Kanzlerin – für das unverbindliche Plaudern, z.B. aber auch für eine Staatsferne, die nur dann nicht gilt, wenn plötzlich die Interessen der Klientel berührt sind. Ich fürchte, solche Positionen werden – natürlich von vielen gefühlt – mehrheitlich geteilt. Der Feind ist der Staat, unbeliebt sind Bekenntnisse zu öffentlichen Aufgaben, Grundsätze und Prinzipien, die auch Minderheiten, Arme, Hilflose leben lassen wollen oder – noch schlimmer – sie gar fördern möchten. Vor solchen Bekenntnissen hütet sich Merkel, aber eben auch vor Aussagen zu den einschneidenden Aufgaben öffentlichen Handelns. Sie bekennt sich nicht zu dem, was sie wirklich vorhat. Frau Merkel weiß, dass die Mehrheit nicht in Anspruch genommen werden will, weshalb sie störende Grundsatzfragen der SPD überlässt. Die von mir vermutete Mehrheit will aber wohl ihren Lebensstil ungestört leben. Und eben ihre Renditen ohne Risiko einfahren. Das aber garantiert, wo überhaupt, nur – wie irgendjemand bei Ihnen so schön sagt – die „Blackbox ohne Inhalt“ Merkel mit Anhang Westerwelle, der über Gutmenschen, also über Moral in der Politik,  so erhellend sich auslassen kann.

Da setzt die SPD zwar sicherlich etwa mit ihrem Vorschlag zur Förderung der Beschäftigung den richtigen Hebel an, wenn auch zu spät. Das was da jetzt vorgeschlagen wurde, hätte man bei Anwendung der Überlegungen des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB der BA)  zu Ende der 80 er und zu Anfang der 90 er Jahre (2 Mio. Arbeitsplätze durch einen Mix an Angebots- und Nachfragepolitik) längst haben können. Schon Kanzler Kohl wurde dafür ausgelacht, obwohl die Ansätze richtig waren: etwa Arbeitszeitverkürzungen, mehr öffentliche Investitionen, moderate Lohnsteigerungen. Gut durchgerechnet war das, man hätte zugreifen müssen. An Stelle dieses Policy-Mixes hat man dann zur Agenda 2010 gegriffen – was für ein Missgriff.

Das bedeutet – zusammenfassend: wird die SPD intellektuell redlich und prinzipiell, also sie selbst, hat sie strukturell keine Chancen. Kopiert sie die Wirtschaftsliberalen und die Unverbindlichkeit, was sie ausreichend versucht hat, wendet sich der Rest der Wählerschaft ab; keine Chance außer der, irgendwann wieder sie selbst zu werden: ein Wert an sich selber.“

Alan Searle aus Köln:

„Also, die Wahlkampfstrategie von Angela Merkel wird langsam klar: Den Mund halten, lächeln, und durch. Und diese Strategie wird höchstwahrscheinlich Erfolg bringen. Ja, alle anderen diskutieren ‚unangenehme Themen‘ während Angie auf einem höheren Niveau souverän sich fern von den Auseinandersetzungen hält. Sehr geschickt.

Hier bin ich überzeugt, dass die CDU/CSU (vielleicht in einer Koalition mit der FDP) gewinnen wird. Für mich wird das ein Sieg der ‚Vertuschung der Themen‘ sein.

Ja, wir sind gerade in der größten Krise seit den 30er Jahren, und gerade dieser Wahlkampf sollte die Bühne sein für das Ausdiskutieren von zentralen gesellschaftlichen Themen: freier oder regulierter Markt, Umgang mit den Banken, Wege zur Vollbeschäftigung, die Schuldenberge des Staates, Sicherheit für die Schwächsten in den Zeiten der Krise, ob Wachstum das richtige Ziel ist, USW. Diese Liste ist endlos aber es findet keine echte Debatte statt. Nur eine ohrenbetäubende Stille von der Bundeskanzelerin.

Der Grund kann man sich aber leicht ahnen: Die Auslöser der Finanzkrise und vieler weiteren Probleme (z.B. Klimaerwärmung, Zerstörung der Umwelt und prekäre Arbeitsbedingungen) haben ihre Quellen in den Grundprinzipien der CDU/CSU und FDP, die für ungezügelte und ungeregelte Wirtschaft (à la von Guttenberg) plädieren. Also, wenn Angie sich in konkrete Debatten einlassen würde, dann würde sie auf verlorenen Posten kämpfen.

Ein zweiter Grund ist aber auch die allgemeine momentane Lage: Trotz der Krise ist alles doch nicht so schlimm, oder? Arbeitslosigkeit ist nicht so schnell gestiegen und jetzt haben wir wieder Wachstum. Alles im grünen Bereich, oder? Und wem müssen wir dafür danken? Angie, selbstverständlich … oder?

Aber das wahre Gesicht der Krise haben wir noch nicht gesehen: Rettungspakete für Banken, Konjunkturpakete für die Wirtschaft, Abwrackpremien für die Autoindustrie und die Finanzierung von Kurzarbeit halten die schlimmste Auswirkungen der Krise fern. Zurzeit. Diese Maßnahmen kosten aber Unmengen von Geld und können nur für begrenzte Zeit eingesetzt werden. Wenn sie zu Ende gehen, dann wird sich die Krise doppelt so schlimm ‚zurückmelden‘, denn weitere Schulden sich gebildet haben und die Restrukturierung (z.B. wenige Autos bauen), die vorher hätte stattfinden sollen sich mit voller Wucht dann durchsetzt.

Das Tragische daran ist, dass die Oppositionsparteien jetzt versuchen diese lebenswichtige Debatte zu starten aber die Bundeskanzlerin sich weigert ‚einzusteigen‘. Sie weiß, dass sie nur ein paar Wochen aushalten muss und dann, nach ihrer Wiederwahl, ist sie auf sicherem Boden. Danach kann sie ausatmen und man kann eine Reihe von künstliche konjunkturmaßnahmen bequem abschaffen. Dann können die Sparmaßnahmen und die Arbeitslosigkeit kommen und das Volk kann keinen Widerspruch einlegen, denn sie (das Volk) Angie ihr Mandat gegeben hat.

Und die Argumente der Opposition, obwohl sie absolute begründet sind, werden vom Winde verweht.“

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2 Kommentare zu “Merkel bekennt sich nicht zu dem, was sie vorhat

  1. Dr.Hausschild hat die Lage der SPD und ihrer Führungsmannschaft gut beschrieben.

    Die SPD tut sich schwer, trotz Krise irgendwelche Themen griffig zuzuspitzen. Wie denn auch, da sie ja selbst gestaltend mit in dieser Regierung sitzt.
    Selbst wenn es ihr noch gelingen sollte, Schwarz/Gelb zu verhindern, bliebe nur noch
    eine Wiederauflage der Großen Koalition, mit deutlichem Übergewicht der Union.
    SPD dann mit ein oder zwei Ministern weniger und ein „weiter so.“

  2. Das wäre doch eine kleine Revolution, wenn Politiker, die das Wahrheitsgebot von Werbung längst in die Mottenkiste der populären Irrtümer verschoben haben, ihre Amnesien durch Taten an absurdum führen würden. Können Sie sich diese Folgen ausmalen? Und dann eine Blockflöte, im Osten groß geworden, die sich durch immense Geschmeidigkeit auszeichnet? Die letzte handfeste Diktatur auf westdeutschem Boden scheint schon solange her zu sein, dass sich niemand daran erinnert, wie man unter solchen Bedingungen überlebt. Wie gut, wie schade, dass die Lehren daraus mehr weiß. Wir werden es anhand der Seilschaften, die wir noch zu spüren bekommenm, wieder lernen.
    Rolf Schuh

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