Moralische Selbstaufgabe?

Karikaturenstreit, nächste Runde. Der renommierte Wissenschaftsverlag Yale University Press veröffentlicht ein Buch namens „The Cartoons That Shook the World“. Autorin ist die dänisch-stämmige Politik-Professorin Jytte Klausen, die in dem Werk die sorgfältig organisierte, verheerende Protestwelle gegen die Mohammed-Karikaturen beschreibt. Die waren 2005 in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten veröffentlicht worden; wir erinnern uns alle sicher noch an den Rabatz von Teilen der islamischen Welt und an die Diskussion darüber, ob die freie Presse solche Karikaturen bringen darf. Nun steht außer Zweifel, dass der Protest von politisch interessierter Seite initiiert war. Rund 200 Menschenleben hat er gekostet – völlig sinnlose Opfer.

Und jetzt der Clou: Das Buch von Jytte Klausen erscheint OHNE die Karikaturen. Und mehr noch: Zugleich wurden alle Darstellungen des Propheten aus dem Buch verbannt. Der Grund für diese Selbstzensur: Der Abdruck der Zeichnungen sei ein ernsthaftes Risiko und könne möglicherweise zu Gewaltausbrüchen anstiften. Wie das?, fragt der US-amerikanische Autor Christopher Hitchens in der FR. Publizisten sollen verantwortlich sein für organisierten Aufruhr? Er schreibt dazu in der FR: „Es war schlimm genug, dass während des Karikaturenstreits die meisten Nachrichtenorgane sich weigerten, die Zeichnungen zu zeigen, und zwar aus Angst. Inzwischen sitzt das Problem tiefer. Jetzt müssen wir uns eingestehen, dass das Chaos, das wir fürchten, auch unsere Schuld ist, wenn nicht sogar unsere alleinige Verantwortung. Wir haben uns ins eigene Fleisch geschnitten und dabei nicht nur unsere Sprache missbraucht, sondern auch das unterlaufen, was wir bisher als unsere moralische Verantwortung betrachtet haben.“

Helge Nyncke aus Mühlheim am Main meint:

„Christopher Hitchens in der FR – eine Sternstunde im Ringen für Meinungsfreiheit und menschliche Werte! Und wie Recht er hat: Die subalterne Anbiederung und freiwillige Übernahme von hierzulande eigentlich seit der Aufklärung längst im Abfall der Geschichte entsorgten Moralvorstellungen ist wirklich kaum mehr zu ertragen. Diese Erodierung unseres Wertesystems durch vorauseilendes Duckmäusertum ist reines Gift für die freiheitlichen Grundlagen unserer westlichen Gesellschaften, und es macht fassungslos, mit welcher grenzenlosen Naivität Politiker, Publizisten und selbstverständlich ganz zuvorderst die Vertreter der  Kirchen in ihrer Anbiederung erkämpfte Fortschritte den radikalen Fundamentalisten dieser Welt quasi zum Verramschen anbieten. Man fragt sich dann, ob diese Leute ihr freundlich lächelndes Einknicken eigentlich mal zu Ende gedacht haben. Wenn  muslimische Maßstäbe nun schon freiwillig und in hohem Maße einschränkend auf nichtmuslimische Publikationen ausgeweitet werden, kommt dann demnächst auch der Kopftuchzwang für christliche Frauen oder ein erweitertes Verständnis für prügelnde Ehemänner nichtmuslimischer Frauen, nur damit nicht vielleicht irgendein aufgehetzter Islamist sich genötigt sieht, korrigierend den Rotstift anzusetzen? Wie weit würden sie noch kriechen, anstatt selbstbewusst zu unseren bürgerlichen Grundsätzen zu stehen und unsere Freiheit zu verteidigen?“

Kathrin Ehrenspeck aus Darmstadt:

„Wir unterlaufen das, was wir bisher als unsere moralische Verantwortung erachtet haben“, ist im Text zu lesen. Gut, wenn Sie das meinen, ist das Ihre Sache, aber bitte schreiben Sie nicht „wir“! Ich möchte mich ganz ausdrücklich aus diesem, Ihrem Wir ausgenommen sehen!
Der Autor (und offensichtlich auch die Redaktion) sehen in dem Versuch der Yale-University-Press (und vorher dem mancher Medien), muslimische Menschen nicht dadurch noch einmal zu verletzen, dass sie die umstrittenen Mohammed-Karikaturen zum x-ten Mal abdruckt, einen Akt moralischer Selbstaufgabe. Ich dagegen sehe darin den Ausdruck eines Taktgefühls, das ich umso höher schätze, weil es Werte schützt, die nicht die eigenen sind. In einer angeblich christlichen Welt, in der die beschämendsten Jesuskarikaturen ihre Lacher, aber keine Kritiker finden, wird man natürlich auch die Leitfiguren anderer Religionen nicht höher als die eigenen achten.
Ich persönlich würde  von einer Karikatur erwarten, dass sie sich mit einem konkreten Vorwurf an konkrete Adressaten richtet, ich käme nicht auf die Idee, den Wert der Meinungsfreiheit als Freibrief für die globale Diskreditierung ganzer Ethnien, Religionen oder Kulturen zu missbrauchen und das auch noch moralisch zu nennen. Insofern ist das moralische Verdienst, das darin liegen soll, die Karikaturen erneut zu verbreiten, für mich nicht erkennbar. Und mein moralisches Verantwortungsgefühl ist durch das Verhalten der Yale-Universitiy-Press gestärkt.“

Gunter Waize aus Berlin:

„Mit dem vorauseilenden Gehorsam der Universität und der  aufflammenden Diskussion, ob Muslime in der Burka in öffentliche Schwimmbäder  dürfen, bewegen wir uns gesellschaftlich und kulturell wieder ins Mittelalter. Alle Errungenschaften der Moderne, auf die wir stolz sind, werden aus unverstandener Toleranz aufgegeben und intoleranter (vorgeschobener) Religiosität geopfert. 200 Jahre Kulturkampf waren umsonst. Wir sollten langsam wieder davon ausgehen, dass die Erde eine Scheibe ist.“

Dietrich Puchstein aus Kronberg:

„Leider gehört die von Christopher Hitchens erwähnte Angst der meisten Nachrichtenorgane vor dem religiösen, islamischen Fanatismus, der sich in unserem Kulturkreis ausbreitet, auch ohne provozierende Karikaturen, zum täglichen Arbeitsablauf deutscher Medien. Leider gibt es nicht nur das Recht, Karikaturen wie in Dänemark zu veröffentlichen, sondern sollte jeder Journalist so viel Verantwortung besitzen, dass er auch an die Folgen für vrefolgte Minderheiten wie die Christen in der islamischen Welt denkt. Dies ist jedoch kein Grund für die Presse, eine kritische Haltung gegenüber den einbürgerungswilligen Migranten in unserem Land zu verweigern. Wir können nicht früh genug damit beginnen, die Bestrebungen islamistischer Kreise in Europa abzuwehren, wie Frauenunterdrückung, Scharia-Gesetzgebung, Verfolgung religiöser Minderheiten, wie sie von uns in Afghanistan und dem Irak seit Jahren erfolglos bekämpft werden.“

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23 Kommentare zu “Moralische Selbstaufgabe?

  1. Das wär was für den Valentin:

    Man muß scho wiss’n wos verbotn is, weil man sonst nebenbei was Verbotenes tun könnt.
    I denk den ganzen Tag an’s Verbotene, dass I’s net verpass‘, wenn I was tu!
    Schon vorher denk I dran, dass I’s nochher net bereu’n muss, wenn mir was Verbotenes auskommen is‘.
    Nochher muss I’s gar no beichten, wann I net den ganzen Tog an’s Verbotene denkt hob‘!!!

    War schon besser, wenn man alles verbieten tät, dann müßt man sich nicht schämen, wenn man an was ander’s denkt.

  2. Helge Nyncke hat es in seinem Kommentar treffend hinterfragt:“Wie weit würden sie noch kriechen, anstatt selbstbewusst zu unseren bürgerlichen Grundsätzen zu stehen und unsere Freiheit zu verteidigen?”

    Ich bin schon dafür, Religionen gegenüber mit Respekt zu begegnen. Doch das, was hier wohlorganisiert in best. Ländern angeprangert wird, ist lediglich Gesellschaftskritik! Und diesbezüglich dürfen keine Einschränkungen ausgehandelt werden.

  3. Die „Empfindlichkeit“ der islamischen Welt gegenüber westlicher Kritik führe ich zum großen Teil auf die fortwährenden Demütigungen zurück. Die Nahostpolitik, der Irakkrieg sowie der Afghanistan-“Einsatz“ sind einige der prominentesten Beispiele hierfür. Solange diese Konflikte nicht gelöst sind, tut der Westen meiner Meinung nach gut daran dafür zu sorgen, dass er keine Munition für neue Eskalationen liefert. Deshalb finde ich, dass die Zurückhaltung der Yale University Press bezüglich der erneuten Veröffentlichung der Karikaturen ganz und gar nichts mit „Duckmäusertum“ oder „moralischer Selbstaufgabe“ zu tun hat, sondern eine vorausschauende Maßnahme ist wie ich sie von Vertretern einer Bildungselite auch erwarte.

  4. Ach… *seufzt*

    ich habe auf meiner rechten Pobacke immer noch den „Nazi“ aus diesem Blog stehen, dafür aber auch auf der linken Pobacke ein „kisses-smilie“ kleben. Das eine kommt nicht ohne das andere 😉

    Man muß nicht weit reisen, immer nur auf andere deuten… die „Selbstaufgabe“ sieht nun so aus, wegen einem Glauben lasse ich mich außerhalb meiner vier Wänden nicht mehr aufs übelste von irgendwelchen labilen, psychisch geschädigten Leuten im Internet beschimpfen. Deswegen nur noch noch der hinweis auf die Schlake-Hymne (nachzulesen im FR-Archiv).

    Ob Bild, Ton, Schrift, Welt ist krank im Kopf.

  5. Berichtigung: … kam nicht ohne das Andere (Vergangenheit)

    und.

    Schalke-Hymne, also diese Fußballliedgutgeschichte.

    Danke, und angenehme nicht ausfallende Diskussionsrunde euch zu diesem Thema. (ich lese nur mit)

  6. rü, ich muss ja mal sagen, mich juckt es seit langem, dir mal stilistisch auf den pelz zu rücken 😉

    aber ich glaub, das krieg ich nit hin. obwohl alle welt um mich herum sagt, ich bin der meister im mich-unklar-ausdrücken. wenn ich dich lese, krieg ich aber zweifel. du schaffst es aber im gegensatz zu mir, trotzdem amüsant zu bleiben

    das will ich trotzdem sagen: über deine pobacken will ich, glaub ich, nicht allzu viel wissen

    ach ja, noch was zum thema, damit bronski mich nit basht: kuscht nicht vor den agitatoren! macht euer ding. und wenn die sich da gegenseitig umbringen, dann ist das deren sache. die ganze organisierte aufregung zielt sowieso nur darauf, die massen hinter dem politisch missbrauchten islam zu scharen. gegen diesen missbrauch muss mal einer anrennen

  7. Ich teile eher die Meinung von Frau Kathrin Ehrenspeck und Anna. Auch für mich ist Pressefreiheit ein hohes Gut. Aber es gibt einen Unterschied zwischen der Schere im Kopf und journalistischer Sensibilität.

    (Wie oft funktioniert die Schere, wenn es ums eigene ökonomische Überleben geht?)

    Ich mache mir keine Sorgen, dass wir morgen ins Mittelalter zurückfallen, nur weil es Publizisten gibt, die auch an die Empfindlichkeiten ihrer Mitmenschen denken.

    Einen Salman Rushdie gilt es schützen und es darf in solchen Fällen keine Publikationseinschränkungen geben. Auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem jeweils praktizierten Islam in unseren Ländern ist zu führen. Hassprediger dürfen wir nicht dulden. Dafür sind Gespräche notwendig, am besten im täglichen Miteinander. Bereits vorhandene Ängste weiter zu schüren, führt uns aber gesellschaftlich kein Stück weiter.

    <> Wer sind sie, die da KRIECHEN? Was ist das für eine diffamierende Ausdrucksweise? Unsachlich und unbrauchbar für eine fruchtbare Debatte.
    Ich gebe außerdem zu bedenken, dass unsere bürgerliche Freiheit so alt noch nicht ist und vielleicht schon wieder von ganz anderer Seite bedroht wird. Schleichend. Aber da dämmern wir lieber fröhlich vor uns hin.

  8. „Wie weit würden sie noch kriechen, anstatt selbstbewusst zu unseren bürgerlichen Grundsätzen zu stehen und unsere Freiheit zu verteidigen?“ (letzter Versuch)

  9. @ #7

    Sehr geehrte Frau Werner,

    „wir“ sind selbst in Europa dem Mittelalter mehrheitlich mental nicht wirklich entwachsen. Eine mehr als ansatzweise rational-sienzistische Weltsicht ist da leider nicht zu erkennen.

    Allerdings sehe ich Ihre Sicht der Würdigung von Pressefreiheit und implizit auch Meinungsfreiheit etwas anders.

    „Religion und Glaube“ sind individuelle und damit willkürliche Sichtweisen die sich faktisch dem demokratischen Diskurs entziehen bzw. verweigern. Als Maßsstab für Einflussnahme auf die demokrtische Meinungbildung ist sie ungeeignet! Selbstverständlich trete ich für das Recht ein dass sich Jeder beledigt fühlen darf wann immer es ihm seine“persönlichen Wahnvorstellungen“ gebieten.

    Aber, aus dem beleidigt sein einen Anspruch auf politisches Gehör herzuleiten, was faktisch so umgesetzt und hingenommen wird!, das ist tödlich für den demokratischen Diskurs! Denn es handelt sich um eine unlegitimierte Selbstaufwerteung, vergleichbar mit dem Selbstverständnis der RAF insofern als dass sich diese „Armee“ selbst zum Völkerrechtssubjekt erhoben hat.

    Was, um zur Zensur“ zu kommen, irgendwelche „Beleidigten“ engeblich empfinden ist bestenfalls das Resultat einer gründlichen Gehirnwäsche soweit es dabei um Implikation von denk- und Schreibverboten geht.
    Solche Versuche ungerechtferigter Einflusnahme auf die FDGO, unter dem Deckmantel der individuellen Freiheit zu und von Religion, sind eigentlich ein Fall den Staatsschutz. Nicht für falsche, unnötige und demokratieschädliche Selbstzensur!

    MfG

    Karl Müller

  10. In dem betreffenden Buch “The Cartoons That Shook the World” wird „die sorgfältig organisierte, verheerende Protestwelle gegen die Mohammed-Karikaturen“ beschrieben und keiner hat sich hier doch gegen das Aufarbeiten dieses Themas per se ausgesprochen. Nur
    inwiefern ein abermaliges Abdrucken der Karikaturen notwendig sein soll, bzw. der Verzicht darauf „demokratieschädlich“ sein soll, müsste mir tatsächlich jemand erklären.

  11. Hallo Anna,

    im Zuge der Dokumententation muss es einfach problemlos möglich sein auch die graphische Ursache der Propagandawelle umfassend zu dokumentieren. Selbstzensur ist hier der falsche Weg und eindeutig Selbstdemontage.

    Es darf an dieser Stelle schon im Allgemeininteresse nicht nachgegeben werden; denn auch verwirrte recht oder linke Gewalttäter, Religionsinstrumentalisierung ist für mich nur Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln, bekommen eine entsprechende, verhältnismäßige Antwort.
    Hier untergräbt jedes Nachgeben die Legitimation eines säkular, demokratischen Staates.

    MfG
    Karl Müller

  12. Ich fürchte, das kann mich immer noch nicht überzeugen, Karl.
    Es ist doch anzunehmen, dass der beabsichtigte Zweck des Buches auch ohne das „illustrierende Beiwerk“ erhalten bleibt, da es ja mehr um die Darlegung der Hintergründe des Konfliktes als um die Karikaturen selbst geht. Wenn mit dieser doch eher milden Form der Selbstzensur, ein nochmaliges Hochkochen des Konfliktes vermieden werden kann, so hat hier für mich erfreulicherweise mal die Vernunft über das dickköpfiges Beharren auf ein Recht gesiegt. – Ausserdem kann auch jeder der möchte, die Karikaturen im Internet einsehen.

  13. Ich habe zwar das Buch nicht (gelesen), möchte aber zur Diskussion doch beitragen. Man kann zwar die Rezeption einer als/für Kunst bzw. journalistische Freiheit deklarierte Karikatur diskutieren, das bedeutet jedoch nicht, daß die Publikation eine glückliche Sache war. Wie in meinem Kommentar #22219 vom 20.05.2009 02:09 schrieb: Denn jeder […] hat etwas Heiliges und sieht nicht gerne, wenn es auch nur einfach ironisiert wird. Mein Fazit: „Du sollst die Fahne deines Mitvolkes nicht verspotten!“

    Da hat es mal Urteile in Deutschland gegeben, wonach die Darstellung des Bundesadlers mit Krücke und Piraten-Augenbinde weder witzig noch spaßig war. Kann man nun den dänischen Fall zur Wiederaufnahme solcher Verfahren aufgreifen?!

    Andere Länder, andere Humor-Kulturen bzw. Sitten… Im US-Wahlkampf wurde folgender Spaßtext am 30.09.2008 veröffentlicht:
    [H]tech.mit.edu/V128/N43/drinkinggame.html ([H]= http://)
    (MIT= Massachusetts Institute of Technology)

  14. Hallo Anna,

    es steht mir fern „überzeugen“ zu wollen, da mag ein jeder nach seiner Einsicht handeln.

    Nur eben genau dieser von Dir angesprochene Konflikt ist es gerade der m.E. eben nicht zu vermeiden ist. Genau das Vermeiden ist eben falsch, weil damit sowohl das Neutralitäs- wie auch das Säkularitäts-Prinzip staatlichen Handelns ausgehölt werden.

    Es ist grundsätzlich nicht tragbar das sich irgendeine, demokratisch nicht legitimierbare Gruppe, durch „Beleidigt Fühlen“ und mit daraus sich ergebenden „Konsequenzen“ freiheitsbeschränkend auf die Öffentlichkeit einwirkt. Das ist schlicht Nötigung von verfassungsorganen…..

    Übrigens kann auch invers argumentiert werden, dass sich niemand die veröfentlichten Abbildungen ansehen muss!

    Mit Dickköpfigkeit hat für mich das Beharren auf den Prinzipien der Aufklärung und der FDGO nichts zu tun. Wenn ich hier schon Grundsätzliches wegen der nicht überprüfbaren Wahnvorstellungen von Partikularinteressen zu Disposition stelle, was kommt dann noch?

    Gruß

    Karl

  15. Viele, die sich hier äußern, haben da etwas völlig falsch verstanden: Sie glauben, die Karikaturen hatten religiöse Gefühle verletzt. Das stimmt aber überhaupt nicht, die Karikaturen selber sind überhaupt nicht in der Lage, religiöse Gefühle zu verletzten. So richtig klar wurde mir das, als ich in der empfehlenswerten Dokumentation „Teuflische Karikaturen“ von Karsten Kjaer z.B. sah, wie der Organisator gewalttätiger Proteste durch Studenten im Iran, der selber natürlich die Karikaturen nie gesehen hatte, von Kjaer mit den Zeichnungen konfrontiert wurde, nachdem ihn dieser mühsam im ländlichen Iran aufgefunden hatte. Der iranische Agitator musste sich beim Anblick der Zeichnungen den Bauch halten vor Lachen, und fragte: Wie, das war alles? Konsterniert war auch ein in der muslimischen Welt führender Imam (Name hab ich leider vergessen), der eine leitende Rolle bei der Aufhetzung der Massen gespielt hatte, als man ihm die Karikaturen zeigte, die er vorher natürlich auch noch nie gesehen hatte. Der Imam konnte natürlich nicht ganz so deutlich machen, daß er die Reaktionen in Anbetracht des jetzt Erblickten für übertrieben hielt, aber es wurde deutlich genug. Ebenso auch die Tatsache, daß unzählige Muslime in Dänemark nichts gegen die Zeichnungen einzuwenden hatten, bis der Protest Monate später aufgekocht wurde.

    Die muslimische Welt regte sich also nicht über die Karikaturen auf (die ja auch nicht in dortigen Zeitungen abgedruckt werden konnten, die also kaum jemand überhaupt kannte), sondern sie regte sich auf über:

    a) die von politisch interessierter Seite erlogene Behauptung, die Karikaturen würden ihren Propheten aufs schwerste beleidigen und herabwürdigen,

    b) gefälschte Bilder, die abgedruckt wurden, z.B. ein Bild eines Mannes mit einer Schweinsnasenmaske, das in Ägypten veröffentlicht wurde mit der Behauptung, dies sollte gemäß der dänischen Zeitung Mohammed sein… Recherchen ergaben: das Bild war eine Aufnahme von einer französischen Karnevalsveranstaltung, und wurde nie irgendwo in einem religiösen Kontext gebracht… außer dann durch muslimische Fälscher in Kairo.

    Also nochmal, wohl fast alle Muslime könnten über die Karikaturen selber lachen. Nicht lachen können sie, wenn sie die Karikaturen nicht kennen und wenn man sie gleichzeitig belügt und behauptet, die Karikatüren würden Mohamed aufs schwerste beleidigen und herabsetzen.

    Was soll man bei so einer Sachlage von der Idee halten, die Karikaturen ja doch weiter irgendwie geheim zu halten bzw. ihren Abdruck möglichst generell zu verhindern? Es sollen also hier Zeichnungen nicht gedruckt werden, nicht weil das Anschauen des Gedruckten zu Aufregung führt (weil es das nicht kann), sondern weil bei denjenigen, die das Gedruckte nie sehen werden, ja überhaupt nicht sehen wollen, Aufregung entsteht rein aus der Information heraus, irgendwo würden diese Dinge gedruckt, über die man völlig falsche Vorstellungen hat.

    Wer vor solch einem Hintergrund sich gegen einen Abdruck ausspricht, egal ob aus ehrlichem Mitgefühl oder demonstrativer Gutheit, der spricht sich in meinen Augen dafür aus, daß falsche Vorstellungen zementiert werden.

    Nicht zuletzt spricht er sich auch dafür aus, daß im Westen bei vielen der Eindruck bleiben kann: „Die Muslime“, was für Idioten, können noch nicht mal so eine Karikatur aushalten… obwohl auch diese Idee völlig falsch ist… sie könnten die Karikaturen sehr wohl aushalten, wenn sie sie denn kennen würden!

  16. @ Max Wedell
    So wie ich es verstanden habe, soll ja das Buch (das übrigens erst im November herauskommen soll) gerade darüber aufklären, dass es –wie Sie ganz richtig aufzeigen – nicht die Karikaturen selbst sind, die für die Aufregung gesorgt haben, sondern wie diese von „politisch interessierter Seite“ dazu benutzt wurden, einen Streit zu entfachen.
    Trotzdem (oder gerade deshalb) ist es meiner Meinung nach vernünftig und vorausschauend, wenn sich ein wissenschaftlicher Verlag dafür entscheidet, die Karikaturen nicht (nocheinmal) abzubilden. Da die Karikaturen mit Beleidigung und westlicher Respektlosigkeit gegenüber dem Islam in Verbindung gebracht worden sind und auch so in den Gedächtnissen haften geblieben sind, wäre es doch für die „interessierten Seiten“ ein Leichtes, damit eine neue Protestwelle auszulösen.
    Bei der Diskussion hier ging es ja nie darum, dass die Karikaturen generell nicht mehr veröffentlicht werden sollten bzw. öffentlich zugänglich bleiben dürfen, sondern nur darum, ob ein wissenschaftlicher Verlag nicht gut daran tut, soviel wie möglich dafür zu tun, dass nicht ein neuer Streit ausbrechen kann.

  17. Dank an Max Wedell, dass er die Diskussion weg von der pseudoreligiösen Ebene zu den wirklichen politischen Hintergründen gebracht hat. Dazu ein weiteres Detail: Pünktlich zum Ausbruch der Pogrome und koordiniert standen in mehreren „islamischen“ Ländern haufenweise dänische Fahnen zum Zwecke der Verbrennung zur Verfügung. Wurden die von spontaner Empörung über „westliche Respektlosigkeit“ produziert und so schnell herbeigeschafft?
    Islamistischer Fundamentalismus instrumentalisiert Religion zu totalitären politischen Zwecken, scheut sich daher auch nicht, Massenmörder als Märtyrer zu bejubeln (wie jüngst in Libyen den Attentäter von Lockerbie). Er bedarf für Gewaltausbrüche keines Anlasses oder einer „Demütigung“ von außen, denn er schafft sie selbst. Er fühlt sich grundsätzlich von allem bedroht und „beleidigt“, was seiner Geisteshaltung nicht entsprícht und das er daher für „Teufelszeug“ hält (siehe Iran). Eine unabhängige, demokratisch legitimierte Justiz, die auch zu einem Gnadenakt fähig ist, gehört dazu ebenso wie Pressefreiheit. Die gilt es für ihn zu beseitigen, und zwar weltweit.
    Unterlegenheitsgefühl und Gefühl der „Demütigung“ entsteht aus den Widersprüchen des totalitären Denkens selbst. Daher bedarf es in regelmäßigen Abständen der Gewaltausbrüche zu seiner Selbstvergewisserung. Äußere Einmischung, wie etwa im Zuge des Irak-Kriegs, kommt erschwerend hinzu, ist aber keineswegs notwendig. Dies zeigte sich beim Krieg der beiden „islamischen“ Staaten Iran und Irak gegeneinander – einem der mörderischsten der Geschichte – und wird auch gegenwärtig beim krampfhaften Versuch bei den iranischen Schauprozessen deutlich, westliche „Einmischung“ zu konstruieren.
    Was islamistische Fundamentalisten für „wahr“ und unverrückbar halten, was sie für „moralisch“ halten und worüber sie sich empören, ist vorwiegend eine politisch-strategische Frage im Kampf gegen „Ungläubige“. So bedeutet „Djihad“ bald Terror gegen „Ungläubige“, bald innere Vervollkommnung – wie man es eben braucht. Man beschlagnahmt die Deutungshoheit für den Islam insgesamt (den es so gar nicht gibt) und lässt für naive Gemüter verbreiten, dass Islam „Frieden“ bedeute.
    (Scheinbar triviale andere Beispiele: Mir entgegneten Schüler aus islamistischem Elternhaus in Berlin, beim Lügen ertappt, dies sei „Ungläubigen“ gegenüber schließlich erlaubt, und Kopftuchträgerinnen, nach ihren religiösen Überzeugungen befragt, erklärten, sie würden das Kopftuch so lange tragen wie deutsche Mädchen Miniröcke trügen. – Wie schön, dass Jugendliche nicht so perfekt im Verschleiern sind.) –
    Wie Max Wedell richtig aufzeigt, ist auch das Bild des Propheten – konkret: was man als „beleidigend“ empfindet – durchaus taktisch bestimmt. Was hat das mit „religiösen Überzeugungen“ in unserem Sinne zu tun, wie Kathrin Ehrenspeck meint? Und wie soll da das von ihr postulierte „Taktgefühl“ gegenüber „Werten, die nicht die eigenen sind“, anders erfolgen als durch Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien? Sie exerziert dies selbst vor, indem sie die „Empörung“ islamistischer Gewalttäter mit „muslimischen Menschen“ generell gleichsetzt (wie Max Wedell richtig anmerkt, eine Beleidigung für Millionen hier lebender friedlicher Moslems) und indem sie eine ihrer Meinung nach berechtigte „Satire“ so definiert, dass diese sich selbst abschafft: Verfehlungen einzelner nachzugehen ist Sache der Justiz. Satire zielt notwendigerweise auf allgemeine gesellschaftliche Missstände. „Was darf Satire? – Alles“, sagte Tucholsky, der Pazifist und Meister der Satire. Und 1932 wegen seines Ausspruchs „Soldaten sind Mörder“ angeklagt, sprach ihn selbst der alles andere als liberale Preußische Gerichtshof frei und wertete es als legitime Meinungsäußerung.
    Gewiss ist ein Bestreben wie das von Anna, eigene Positionen selbstkritisch zu überdenken und andere Überzeugungen zu verstehen zu suchen, durchaus ehrenwert. Fatal ist es aber, wenn das zu angstbestimmter Selbstverleugnung führt, die auch auf die Sprache durchschlägt. So etwa durch überzogene, emotionsgeladene Kritik bei der Selbstwahrnehmung einerseits („fortwährende Demütigungen“, „Munition für neue Eskalationen“ Nr.3, „dickköpfiges Beharren“, Nr.13), Schwammigkeit und Flüchten ins Passiv andererseits, wenn es um die Gewalttäter geht („nochmaliges Hochkochen des Konflikts“, „da die Karikaturen mit Beleidigung … gegenüber dem Islam in Verbindung gebracht worden sind“, Nr.17 – von wem und mit welcher Absicht?)
    Weit schlimmer freilich die „Verteidigung“ ihrer Zensurmaßnahme durch Yale University Press: „dass der Abdruck der Zeichnungen … möglicherweise zu Gewaltausbrüchen anstiften (!!) könne“. Eine bessere Legitimation für ihre Pogrome und Ermutigung zu weiteren können Islamisten nicht erfahren!
    Liebe Anna, glauben Sie wirklich, man könne jemanden, dem Pressefreiheit generell ein Dorn im Auge ist, dadurch beschwichtigen, dass man „ein bisschen“ davon zur Disposition stellt und ihm dadurch erst die Ausgangsposition für noch radikalere Forderungen verschafft?
    Alle Erfahrungen mit Terroristen sprechen eine andere Sprache. Auch für die RAF standen am Anfang ihres Terrors Identifikation mit Ungerechtigkeiten und Gefühle der „Demütigung“, was keine ihrer Aktionen rechtfertigt. Doch sie konnten so das Bewusstsein Hunderttausender wohlmeinender „Sympathisanten“ vernebeln.
    Und auch eine Beschäftigung mit Geschichte ist hier nützlich. So haben die Nazis vor der Entfesselung der Pogrome der „Reichskristallnacht“, die sie als „spontane Empörung“ ausgaben, vorher die Reaktion der Bevölkerung getestet. Es waren nicht irgendwelche „Provokationen“, welche die Gewaltausbrüche beförderten. Die flächendeckenden Pogrome wurden erst ausgelöst, als in einer von Angst geprägten Bevölkerungkeinerlei Reaktion erfolgte. Das ließ die Nazihorden zur der zutreffenden Überzeugung kommen, dass kein nennenswerter Widerstand zu erwarten war. (Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um irgendwelche historische Gleichsetzungen, sondern um Kennzeichnung totalitärer Methoden.)
    Um es als Fazit nochmal klar zu sagen: Nicht Verteidigung rechtsstaatlicher Prinzipien – was mit „dickköpfigem Beharren“ nicht das geringste zu tun hat – sondern deren angstbestimmte Denunzierung und Aufgabe befördern den Terror.
    Ich teile angesichts fortschreitender Fundamentalisierung, die Religion als Projektionsfläche für eigene Ängste und Hassgefühle benutzt, rechtsstaatliche Prinzipien durch diffuse „religiöse“ Gefühle ersetzt und Intoleranz befördert – nicht nur in „islamischen“ Ländern – durchaus mit Anna die Angst vor weiteren Exzessen. Doch Angst vor Auseinandersetzung, welche die Verteidigung eigener Werte aufgibt und sich dabei – ohne es zu merken – in einen argumentativen Hinterhalt locken lässt, ist ein schlechter Berater.
    Werner Engelmann, Luxemburg

  18. @ Werner Engelmann

    Meine hier geäusserten Meinungen haben aber auch gar nichts mit „angstbestimmter Selbstverleugnung“ zu tun und „emotionsgeladen“ bin weder ich noch meine Äusserungen. Wenn ich das wäre, würde ich Ihren Kommentar möglicherweise als islamphobie-getriebenenes War-on-Terrorism-Getöse abtuen.
    Aber so leicht mache ich es mir nicht. Ausserdem bin mir ja durchaus bewusst, dass der islamistische Extremismus eine reale Bedrohung darstellt.
    Wo sich unsere Meinungen aber grundlegend zu unterscheiden scheinen, liegt offensichtlich darin, wo die Ursachen dieser Entwicklung zu suchen sind und wie sich der Westen in dieser schon reichlich angespannten Situation verhalten sollte – womit wir endlich wieder beim eigentlichen Thema sind, nämlich inwieweit die Selbstzensur der Yale University Press gerechtfertigt ist bzw. nicht ist. Welche Position ich dazu habe, brauche ich sicher nicht noch einmal zu wiederholen.
    Worauf ich aber noch kurz eingehen möchte ist, dass Sie, Herr Engelmann, womöglich nicht ganz unvoreingenommen einschätzen bzw. Informationen darüber sammeln, wer denn alles ein Interesse daran hatte, den Karikaturenstreit zu inszenieren und für seine Interessen zu nutzen, worüber das Buch von Jytte Klausen offenbar dezidiert Auskunft geben wird. Das ist zumindest von der Kurzbeschreibung des Buches abzuleiten:
    “She (Jytte Klausen) concludes that the Muslim reaction to the cartoons was not – as was commonly assumed – a spontaneous emotional reaction arising out of the clash of Western and Islamic civilizations. Rather it was orchestrated, first by those with vested interests in elections in Denmark and Egypt, and later by Islamic extremists seeking to destabilize governments in Pakistan, Lebanon, Libya, and Nigeria.”
    Hört sich sehr spannend, finde ich, und vielleicht sollten wir „The Cartoons that shook the world“ alle lesen, bevor wir weiter darüber diskutieren, wer denn nun die wirklich Bösen auf dieser Welt sind.

  19. Aus der Sicht des Verlags war es die richtige Entscheidung die Karikaturen nicht abzudrucken. Welche Aufmerksamkeit hätte das Werk wohl erhalten, wenn still und heimlich auf Seite 195 einige der umstrittenen Zeichnungen abgedruckt worden wären? Wen auf dieser Welt hätte das interessiert? Bestenfalls hätte es die ein oder andere Besprechung im Feuilleton gegeben. Indem man aber verlauten lässt, man habe auf das Abdrucken verzichtet, betont man die Brisanz des Themas und entfacht die Diskussion überall von neuem. Die beste Werbung für das Buch!

  20. Anna, ach Anna

    Was hälst du eigentlich generell von Büchern z.B. über Kunstgeschichte ohne Abbildungen?
    Die wären billiger, und man kann sich die Bilder ja auch im Internet oder vor Ort ansehen

    Beleidigt sein über ein winziges Schniepelchen („Wimmelbuch“ von Rotraut Susanne Berner) könnte dann auch niemand.

  21. Gabriel, ach Gabriel
    In diesem Buch gehts aber nich um Kunst und auch nicht um Kunstgeschichte, sondern um Politik.

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