Die Krise ist hausgemacht

Die Wirtschaft betreibt wieder das Geschäft des Jammerns. Einerseits boomt sie und stellt Leute ein; die Arbeitslosenquote lag im Mai 2011 unter sieben Prozent. Es geht ihr prächtig. Einerseits. Andererseits könnte es ihr aber noch wesentlich besser gehen. Die gute Entwicklung lege nämlich auch offen, welche Bremsen angezogen seien, sagte DIHK-Präsident Hans Heinrich Driftmann der Frankfurter Rundschau: „Der wachsende Fachkräftemangel steht hier an erster Stelle. Mit 43 Prozent sehen ihn in der Gesundheitswirtschaft noch deutlich mehr Unternehmen als in der Gesamtwirtschaft als größtes Risiko für ihre künftige wirtschaftliche Entwicklung – gegenüber 30 Prozent zu Beginn des vergangenen Jahres.“

Der Fachkräftemangel also hindert die deutsche Wirtschaft daran, noch kräftiger zu wachsen. Das Problem ist seit langem bekannt, und ebenso lange wurde wenig in dieser Sache unternommen. Die Politik diskutiert nun mal wieder darüber, wie hochqualifizierte ausländische Spezialisten leichter angeworben werden können, soll heißen: Da man es nicht geschafft hat, die eigenen Leute angemessen zu qualifizieren, muss man im Ausland Ausschau halten, in Ländern, die eine bessere Bildungspolitik betreiben als die Bundesrepublik, und muss versuchen, Werte abzuschöpfen, die anderswo geschaffen worden sind. Das wiederum kann man wohl so übersetzen: Die Deutschen sind mit ihrer Bildungspolitik gescheitert. Einerseits. Andererseits wandern gut ausgebildete Fachkräfte aus Deutschland ab, wie der Leserbrief von Dr. Florian Seger aus Kerns (CH) belegt:

„Der Fachkräftemangel ist Folge einer jahrelang verfehlten Beschäftigungs- und Ausbildungspolitik. Die Entwicklung ist ja bekannt. Hätte man vor ein paar Jahren bereits begonnen, mehr Leute auszubilden, gäbe es nun keinen Mangel. Wieso gibt es noch einen Numerus clausus für Medizin? Jetzt holen wir die Leute von sonst woher, während viele engagierte junge Leute mehrere Jahre auf einen Studienplatz warten müssen. Ich selbst bin mit zwei Facharzttiteln vor zehn Jahren in die Schweiz emigriert, weil es in Deutschland keine berufliche Zukunft gab. Viele Kollegen aus Deutschland arbeiten in der Schweiz, Holland, Großbritannien und Skandinavien, nachdem man sie mit schlechten Arbeitsbedingungen weggeekelt hat.
Die Krise ist hausgemacht. Anscheinend hofft man nun auch, qualifizierte Leute aus eher armen oder politisch brisanten Ländern zum Dumpingpreis einkaufen zu können. In anderen Bereichen fließen die Boni bei Null Verantwortung. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und jetzt, statt an den Ursachen zu arbeiten, Flickwerk betrieben. Bei den Ingenieuren ist es wohl ähnlich. Vor 30 Jahren gefragt, dann wieder nicht, jetzt werden sie wieder gebraucht. Alles wie die Diktatur der Wirtschaft es haben will. Bitte mehr Weitblick und Politik für die Menschen statt für den eigenen Vorteil.“

Harald Will aus Frankfurt sieht die Verantwortung durchaus auch bei der Wirtschaft:

„Herr Dr. Seger beschreibt in seinem Leserbrief den Fachkräftemangel sehr gut aus Sicht eines Arztes. Ich möchte die Perspektive eines Ingenieurs anfügen. Auch hier ist der Fachkräftemangel, der hier bedauert wird, hausgemacht. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen die Betriebe ihre Fachkräfte selber aus- und weitergebildet haben. Für das Studium wurden Fachkräften aus den Betrieben Stipendien angeboten. So waren die Unternehmen dann auch in der Lage, diese hoch qualifizierten Mitarbeiter an sich zu binden.
Später gingen die Betriebe dann dazu über, lieber die Kosten für die betrieblichen Weiterbildungen zu sparen und statt dessen von anderen Firmen ausgebildete Fachkräfte mit erheblich höheren Gehältern zu sich herüberzulocken. Damit haben sich Weiterbildungskosten nicht mehr gerechnet – man kam von nun an nicht mehr in den Genuss der Investition in Fortbildung. Auch für die Fachkräfte rechnete sich die Bindung an den Betrieb nicht mehr.
Bei immer weiterer Spezialisierung und fortschreitender Technik und wachsender Nachfrage war das Wissen der abgeworbenen Kräfte bald auch überholt – es mussten wieder neue Arbeitskräfte angeworben werden. So war das Wissen eines Ingenieurs ohne Weiterbildung in wenigen Jahren nicht mehr viel wert, der Berufsstand des praxisbezogenen Technikers starb ganz aus.
Damit einher ging die bevorzugte Nachfrage nach jungen Arbeitskräften. Lange und einschlägige Erfahrung wurde nicht mehr sehr hoch eingeschätzt. Viele Firmen werden inzwischen von fachfremden, oft jungen Managern gelenkt. Fachliche Einwände von alten und damit erfahrenen Kräften werden als querulatorisch und betriebswirtschaftlich störend empfunden, lieber ruft man nach qualifizierten Kräften aus dem Ausland, die ihre zugewiesene Arbeit ohne Identifikation mit dem Unternehmen machen und denen es egal ist, was später mal aus dem Unternehmen wird, weil sie sowieso dort nicht alt werden wollen.
Dies kann nicht förderlich für die deutsche Wirtschaft sein. Stattdessen sollte sich wieder auf alte Tugenden besonnen werden. Fachkräfte sollten innerbetrieblich weitergebildet und an den ausbildenden Betrieb gebunden werden. Die Leitung von Unternehmen gehört nicht in die Hände von fachfremden Managern. Fachliche Einwände von erfahrenen Mitarbeitern müssen wieder Gewicht erhalten. Die Wiederaufwertung von älteren Fachkräften darf kein Lippenbekenntnis bleiben.“

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3 Kommentare zu “Die Krise ist hausgemacht

  1. Ein Fachkräftemangel kann ich noch nicht einmal im Ansatz erkennen. Es gibt bestenfalls keinen schier unendlichen Überhang an Fachkräften mehr. Als Indiz dafür muss man sich nur ansehen wie schwerr es jungen Menschen fällt erstens einen Ausbildungsplatz und anschließend einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu bekommen. Am anderen Ende der Alterspyramide gibt es weitgehend keinen Arbeitsmarkt für über 50 jährige. Wenn so Facharbeitermangel aussehen soll habe ich wohl ein Wahrnehmungsproblem.Ansonsten kann ich den Leserbriefschreibern nur recht geben.

  2. Völlig richtiger Hinweis auf die Bildungspolitik.
    Der Wirtschft ist es wichtiger , dem Nachwuchs ihrer Vertreter die Pfründe auch in Zukunft zu sichern und sich die Konkurrenz aus der Normalbevölkerung vom Leib zu halten.

    Daher der auf Druck der Lobbies durchgesetzte Bolgna-Prozeß , der den Zugang zum Studium durch die Hintertür erschwert.
    Wahrscheinlich stehen auch andere Ausbildungsgänge auf der Abschußliste, bei Schulen fängt es bereits an.

    Und die mittelständische Wirtschaft?
    Möchte willfährige Arbeitssklaven, beschwert sich aber , wenn diese nicht richtig rechnen und schreiben können.

  3. Ein Arbeitsmarkt ist ein Markt: wenn die Nachfrage (= Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen) das Angebot (= die Arbeitssuchenden) zahlenmäßig übersteigt, müssen die Unternehmen dem Arbeitssuchenden eben mehr Geld oder bessere Bedingungen bieten, damit sie den Zuschlag erhalten. Solange aber überhaupt noch Angebot auf dem Markt ist – und das gilt auch für Fachkräfte – macht es keinen Sinn, ausländische Fachkräfte zuzulassen – ausser man will den Mechanismus von Angebot und Nachfrage manipulieren, damit man inländischen Bewerbern die eigentlich marktgerechte Enlohnung versagen kann. Das aber zeugt nicht gerade von einer lupenreinen Marktwirtschaft.

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