Es hakt im deutschen Wissenschafts- und Forschungswesen. Das hat ein junger Wissenschaftler beobachtet und erfahren. Schuld daran sei die nicht zu Ende gedachte Exzellenzinitiative. Die „Wissenschaft als Lebensform“ werde mittelfristig auf der Strecke bleiben, meint der junge Wissenschaftler, der anonym bleiben möchte, mir aber bekannt ist. Ich veröffentliche seine Zuschrift hier als Gastbeitrag.
Drei Fragen zur Situation junger Wissenschaftler in Deutschland
Ein offener Brief an Frau Bundesministerin Annette Schavan
Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
bitte verzeihen Sie, wenn ich mich an dieser Stelle nur ganz kurz vorstellen kann: Ich bin Geisteswissenschaftler und habe soeben meine wissenschaftliche Arbeit und Ausbildung im Rahmen der Exzellenzinitiative mit Promotion abgeschlossen. Nach dem Ende meines Studiums bewarb ich mich an einer jener Institutionen, die zurzeit durch die Mittel und Rückendeckung der Exzellenzinitiative in Deutschland aufblühen, um ein Stipendium. Ich war davon angetan, in einem gelehrten Umfeld forschen und mich dabei wissenschaftlich weiter qualifizieren zu können. Die Entscheidung fiel mir aufgrund dieser Bedingungen nicht schwer. Weiterhin trugen mich die Begeisterung für wissenschaftliches Arbeiten und die Aussicht, ein finanziell gut ausgestattetes eigenes Projekt drei Jahre lang unabhängig verfolgen zu können, in diese Richtung. Ich konnte als einer der ersten meinen Weg innerhalb der Initiative gehen und in einer der neueren Einrichtungen forschen, die sich selbst als „herausragend“ verstehen. Als Teil der ersten Generation habe ich sie jetzt verlassen.
Diese knappen Bemerkungen dienen nur dazu, das Entrée‐Billet für die folgenden Zeilen zu lösen. Ich wähle die anonyme Form, um den individuellen Fall in den Hintergrund rücken zu lassen und damit auf die ganz ähnliche Situation vieler junger Wissenschaftler in Deutschland hinweisen zu können.
So wohlfeil es also war, sich in der Exzellenzinitiative als Doktorand zu bewerben, so verschwenderisch könnten die nächsten Schritte sein, die ich nun möglicherweise gehe. Der Weg hinein in die Wissenschaft als Beruf war schon immer ungerade und unsicher, davon hat bereits Max Weber im letzten Jahrhundert Zeugnis gegeben. Webers Analyse trifft aber noch immer zu, trotz oder gerade wegen der Reformen und Umstellungen, welche die Universitäten in den letzten Jahren durchlaufen haben. Heute vielleicht sogar mehr denn je. Das deutsche Universitätswesen findet sich nachhaltig verändert, doch der Weg in die Wissenschaft ist prekär geblieben. Ihn einzuschlagen mag allerdings wegen der oben genannten Verlockungen zunächst leicht fallen. Darüber neu nachzudenken ist geboten. Dabei stellen sich aus Sicht vieler junger Wissenschaftler drei grundsätzliche Fragen.
Welches Verständnis von Wissenschaft haben wir?
Deutschlands Politiker und Universitäten halten viel auf die große Tradition unserer höchsten Bildungseinrichtungen. Ein umfassender, in Teilen selbstverständlicher und auch notwendiger Strukturwandel hat über die Zeiten Veränderungen bewirkt. Der klassische Dualismus von Forschung und Lehre findet sich heute durch eine dritte Ebene ergänzt: das „Projekt“. Alle Welt arbeitet mittlerweile an Projekten, also an Forschungsthemen, die in Finanzierungsanträgen für Projektstellen – wie sollten sie auch sonst heißen – vorab peinlich genau abgezirkelt worden sind. Fragestellung und Hypothesen sind hier skizziert (was sinnvoll ist). Sie werden durch einen peniblen Zeitplan, detaillierte Kostenaufstellungen und Ergebnisvermutungen flankiert (was cum grano salis absurd ist).
Unter diesen Voraussetzungen verfassen Wissenschaftler Projektanträge, die vom Hauch des Rationalen durchweht sind und häufig mit aktuellen Trends der „scientific community“ (Interdisziplinarität, Internationalität …) überzuckert werden. Am Ende steht eine Prosa, die nicht nur trocken ist, sondern deutliche Stilelemente der Science Fiction aufweist. Nur dass deren Wahrheits- und Realitätsgehalt deutlich unter dem eines beliebigen Romans aus jenem Genre steht und sie leider nicht so spannend zu lesen ist.
In diesem mittlerweile etablierten System scheint eines jedoch völlig ausgeschlossen: dass man mit Fragestellung und Projekt scheitern könnte, sei es, weil der Zeitplan nicht eingehalten werden kann, sei es, weil die zuvor aufgeschriebenen Ergebnisse sich nicht untermauern lassen. Solcherart eingerahmte und festgezurrte, üblicherweise auf zwei Jahre finanziell abgesicherte Studien können zur freien, forschenden Suche des Wissenschaftlers erheblich in Widerspruch geraten.
Diese Projektfokussierung leistet auf breiter Front einem Denken Vorschub, das zu einem guten Teil nach Gutachterbedürfnissen, Zielvorgaben und Möglichkeiten oder Rhythmen der Finanzierung fragt. Damit verschieben sich sukzessive die Prioritäten des berufenen Wissenschaftlers. Ein Kern unseres Wissenschaftsverständnisses gerät dabei aus dem Blick: die Idee der freien, universalen Bildung und die Ansätze dessen, was in der Gründerzeit der Bundesrepublik noch Studium generale hieß. Schlüsselaufgabe der Universitäten ist es jedoch diesen Kern nach innen und außen zu vertreten. Herfried Münkler hat vor kurzem in einer großen Tageszeitung auf diese Zusammenhänge hingewiesen: Die Universität erfüllt auch auf lokaler Ebene eine bedeutende soziale Funktion. Sie soll in ihren Umgebungsraum hineinstrahlen und die breite Gesellschaft durch Foren und Vorträge zum Diskurs einladen und so auch – im klassischen Sinne – als ganze Bildungseinrichtung wirken. Das kann das das örtliche Bürgertum zu idealistischer und, um ausgesprochen zeitgenössisch zu argumentieren, finanzieller Rückendeckung der Universitäten anregen.
Diese Ideale von Wissenschaft und Bildung können die deutschen Universitäten aber nur unter bestimmten Voraussetzungen erfüllen. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass Wissenschaftlern Raum für ein freies und selbstbestimmtes Wirken gegeben wird. Das Ideal der Wissenschaft verlangt nach einem gehörigen Idealismus – nur so kann Bildung als Erlebnis vermittelt werden. Dies hängt unmittelbar mit der zweiten Frage zusammen.
Wie ist Wissenschaft als Beruf gestaltbar?
Es ist nicht zwingend erst eine Inspiration durch Stéphane Hessel nötig, um sich schließlich auch über die disparaten Perspektiven junger Wissenschaftler hinsichtlich Arbeitswelt und Lebensplanung empören zu können. Dennoch sollte man mit den positiven Valuta beginnen. Wissenschaft als Beruf heißt für viele in einem Bereich zu arbeiten, dem die ungeteilte persönliche, die intellektuelle Begeisterung gilt. Es lassen sich thematische Schwerpunkte wählen. Das Arbeitspensum ist zwar hoch, aber oftmals flexibel einteilbar. Die Bedingungen der Kinderbetreuung haben sich verbessert.
Die Begeisterung für Wissenschaft heißt für viele allerdings auch, auf angemessene Gehälter zu verzichten, viel zu reisen und gegebenenfalls bis in die späten Abendstunden oder auch am Wochenende zu arbeiten. Diese Grundgegebenheiten wissenschaftlichen Lebens sind landläufig bekannt, und wer wollte sich darüber beschweren? Anzuklagen ist jedoch die strukturelle Zukunftslosigkeit, die sich im Zuge des Umbaus der Universitäten in die Wissenschaft als Lebensform mindestens im letzten Jahrzehnt eingeschlichen hat. Selbst beantragte Projektstellen, Post-Doc-Stipendien, Positionen für wissenschaftliche Mitarbeiter – sie alle sind auf wenige Jahre befristet. Diesen skandalösen Zustand hat das Wissenschaftszeitvertragsgesetz sanktioniert. Bereits vor dem absehbaren Auslaufen der Finanzierung müssen Vorkehrungen für den Bau einer neuen Brücke in die Zukunft getroffen werden. Dies bedeutet eine unbeschreibliche Belastung der individuellen Lebensentwürfe. Das monetäre Auskommen ist nicht gesichert, die fortgesetzte Stellensuche verlangt eine permanente Mobilität ohne Aussicht auf eine feste Bleibe. Solche Rahmenbedingungen setzen Partnerschaften unter Druck; die Frage nach Kind und Familie gerät zur Frage nach dem Fortbestand von Jahresverträgen.
Das Argument, das sei in anderen Berufen ähnlich, sticht hier nicht. Denn: Diese Situation scheint in weiten Teilen vermeidbar. Eine sorgfältigere Personalplanung und -entwicklung, wie sie in anderen Zweigen des öffentlichen Dienstes oder in der Wirtschaft praktiziert wird, ist auch an den Universitäten möglich. Und noch ein Unterschied tritt hinzu: Spätestens nach einem letzten großen wissenschaftlichen Beitrag, der beruflichen Qualifizierungsmaßnahme Habilitation, droht die endgültige Entscheidung. Der Weg weist auf die Professur, die nun innerhalb weniger Jahre erreicht werden muss – oder in die prekäre Situation, sich mit einzelnen Lehraufträgen und schließlich mit einem Arbeitslosengeld über Wasser halten zu müssen. Die systematische Abschaffung des akademischen Mittelbaus – ein Universitätspräsident erklärte es jüngst zu seinem Ziel, das Verhältnis von fest Angestellten und wissenschaftlichen Zeitarbeitern müsse an seiner Universität „umgekehrt werden“ – bedeutet einen weiteren folgenschweren Schritt in die beschriebene Richtung.
Auf diese Weise gleicht die Laufbahn des Wissenschaftlers einem hindernisreichen Weg bergan, die Kuppe stets fest im Blick, und doch ohne Ahnung, wie es dahinter ausschauen könnte. Die jetzige Situation lässt nur einen Schluss zu: Offensichtlich können deutsche Universitäten es sich leisten, langfristig die Begeisterung, die Motivation und das Engagement junger Wissenschaftler unter den oben skizzierten Bedingungen systematisch zu ersticken – oder sie gleich an das Ausland zu verlieren. Und offensichtlich kann die deutsche Gesellschaft es sich leisten, gut und teuer ausgebildete Menschen in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. Mit dem Verdacht, dass die deutschen Universitäten so letztlich auf die schiefe Bahn geraten müssen, komme ich zur letzten Frage.
Quo vadis Exzellenzinitiative?
Es entsteht der Eindruck, dass die Exzellenzinitiative an dieser Stelle zu kurz gedacht ist. Viele junge Forscher werden dazu ermuntert, eine Dissertation anzufertigen. Schließlich aber haben sich am Ende die beruflichen Perspektiven weiter verfinstert. Eine wachsende Zahl von Doktoren ringt darum, durch einen Flaschenhals hindurch zur begehrten unbefristeten Stelle vordringen zu können. Es ist in diesen Kreisen schon lange nicht mehr anmaßend, von einer Professur zu sprechen, denn andere Stellen dieser Art gibt es nicht mehr. Nur mit den neuen Sondereinrichtungen, die zweifelsohne wichtige Impulse gebracht und notwendigen frischen Wind durch manche Institute haben wehen lassen, sind die strukturellen Schwierigkeiten, in denen die althergebrachten Institute stecken, nicht zu lösen.
Die Politik müsste jetzt Bereitschaft zeigen, einen zweiten Schritt zu gehen und die Universitäten in ihrer Breite personell und finanziell wieder besser aufstellen. Dies verlangt nicht zuletzt das häufig im Munde geführte Ideal von Bildung und Wissenschaft. Sondereinrichtungen können die moderne Aufgabe der Universität, einer immer noch wachsenden Zahl von Studenten neben Wissenselementen ein kritisches, gewandtes Denken zu lehren, nicht erbringen. Wird dieser zweite Schritt nicht gegangen, arbeitete man den Grundideen der Exzellenzinitiative entgegen. Man nähme der vielbeschworenen Exzellenz die Spitze.
Nicht zuletzt die Probleme der Bologna-Reform haben viele dazu angehalten, einen Nekrolog auf Wissenschaft als Lebensform anzustimmen. So weit scheint es noch nicht zu sein. Dennoch bewegt sich das deutsche Wissenschaftssystem einen Schritt vom Wege hin in eine Richtung, der es an Bedenklichkeit nicht fehlt. Kaum auszudenken wäre es, wenn die Universitäten endgültig allein in wirtschaftlichen Kategorien (was sich auch semantisch bereits auf den Institutsfluren bemerkbar gemacht hat) gemessen würden und damit der jüngst diagnostizierte „Akademische Kapitalismus“ in Politik, Präsidial- und Planungsstellen endgültig obsiegte. Denn dann droht die lebendige Wissenschaft, eine herausfordernde und lange geübte Lebensform, sukzessive zu verschwinden.
Ich halte die hier aufgeworfenen Fragen für so gravierend, dass sie, wenn sie weiter in der Schwebe gehalten werden, langfristig die Substanz der deutschen Universitäten gefährden. Sie entziehen ihnen – und nicht zuletzt auch der Volkswirtschaft – Menschen, die mit leidenschaftlicher Hingabe forschen und lehren. Die gegenwärtige berufliche Situation junger Wissenschaftler gleicht einem Hazardspiel, zu dem die Exzellenzinitiative – bei allen ihren bemerkenswerten und unbestreitbaren Vorzügen – einlädt.
Eine mögliche Lösung muss nicht zwangsläufig in der Rückverstetigung aller universitären Stellen liegen. Der sinnvolle, akademisch ausgetragene Wettstreit um die besten Köpfe und Ideen kann aber beispielsweise durch einen gesunden Mittelbau und mehr Stellen mit tenure-track-Option pazifiziert und in vernünftige Bahnen gelenkt werden. Hier gilt es, einen Ruhepol im Projektantragsfieber zu schaffen. Wenn die fachliche Qualifikation eines Wissenschaftlers nachgewiesen ist, muss die Aussicht auf ein geordnetes Beschäftigungsverhältnis bestehen.
An diesen Punkten sind unbedingt Veränderungen im Landschaftsbild der deutschen Wissenschaft nötig. Sonst laufen junge Forscher Gefahr, dass es ihnen auf ihrem Weg zum Beruf so ergeht wie jenem Protagonisten, der erschöpft zu Papier gab: „Ich habe den Weg zur Wissenschaft gemacht wie Hunde, die mit ihrem Herrn spazieren gehen, hundertmal dasselbe vorwärts und rückwärts, und als ich ankam, war ich müde.“ Immerhin, er kam an, irgendwie, und in Amt und Würden. Doch wer von uns mag behaupten, es mit einem Lichtenberg aufnehmen zu können?
Das hätte man bestimmt auch kürzer und prägnanter formulieren können.
Dieser Beitrag bestätigt nur, was wohl viele Leute als Vorurteil hegen: viel heiße Luft und eine weitschweifige Textmenge, bei der man schon nahezu automatisch abschaltet.
Mh,
es sollte niemand von „Prosa“ schreiben, der „Inter“ und „Intra“ nicht auseinanderhalten kann. Mann wäre noch fast geneigt dis nachzusehen, wenn der Brief an sich nicht ein so schwer verdauliches Konvolut geworden wäre; Geisteswissenschaftler halt! Nur um ein beliebtes Vorurteil zu bedienen.
Strukturelle Kritik am dt. Wissenschaftsbetrieb ist sicher berechtigt. Die Entlohnung ist ja durchaus auch sehr fragwürdig hat aber den Vorteil das dadurch eine allzugroße Unabhängigkeit zumindest der Naturwissenschaften elegant vermieden werden kann. Aus der Perspektive unsere politischen Klasse kann ein solcher Umstand nur Vorteile hinsichtlich der Steuerbarkeit des Betriebs haben.
Freiräume lassen sich schon länger nur über Drittmittelaquise beschaffen, das ist aber ein hartes Brot.
Aber grundsätzlich: solange Doktoranden nicht in der Lage sind Kausalität und Korrelation zu unterscheiden brauchts auch keine Exzellenzinitiative! Da liegt das Problem tiefer begraben…..
MfG Karl Müller
Wesentlich die Kategorie „lebendig“ im Mund zu führen, wie der letztlich an den Ulmer Wahlkreis von Ministerin Schavan schreibende Anonymus, verlangt begriffsimmanent zuvörderst, lebensweltlich sich deren auch seinem Handeln stets vorausgehender Verfasstheit zu fügen. Ohne solcherlei Pose seinerseits an den Tag gelegt zu haben, bleiben die dortigen Bürger politisch außerstande, gleich welches Schreiben auch nur zur Kenntnis nehmen zu können. (Rest des Kommentars nicht genehmigt, Anm. Bronski).
Gäbe es keine Nationen und Parteien, dann hätte es auch keine Jungsozialisten und keinen Nationalisten gegeben.
Da waren die kosmopolitischen Römer schon viel weiter als der primitive Pöbel überall, der nur „Captain America“ verstehen kann…
Denn: nur der dümmste Pöbel greift zu (oder exportiert) materiellen Waffen…