Liebe Freundinnen und Freunde des FR-Blogs,
in lockerer Folge, so habe ich es versprochen, unterhalte ich mich in Blogtalks mit Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Am kommenden Montag geht es damit in eine neue Runde. Sieben Jahre nach dem aufsehenerregenden und wirbelverursachenden Urteil (pdf) des Kölner Landgerichts im Fall der Beschneidung (Zirkumzision) eines Jungen frage ich nach:
Was hat sich getan in Sachen Knabenbeschneidung?
Zu Gast im Blogtalk sind Victor Schiering und Önder Özgeday vom Verein MOGiS e.V. – Eine Stimme für Betroffene, der sich für die Belange von Menschen einsetzt, die von sexuellem Missbrauch, sexueller Ausbeutung und sexualisierter Gewalt betroffen sind. Im MOGiS-Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener engagieren sich Jungen und Männer, die von chirurgischen Eingriffen an ihren Genitalien negativ betroffen sind. Ihr Ziel: die politische und gesellschaftliche Ächtung aller Formen nicht-therapeutisch indizierter chirurgischer Eingriffe an einwilligungsunfähigen Menschen. (Bilder: privat)
Victor Schiering ist Jahrgang 1973 (Bild rechts oben), geboren in Bremen. Der Diplom-Musiker engagiert sich seit 2012 im Facharbeitskeis Beschneidungsbetroffener im MOGiS e.V. Seit 2014 ist er im Vorstand, seit 2017 Vorsitzender von MOGiS e.V.
Önder Özgeday (Bild rechts unten), geboren 1983 in Heidelberg, studiert Sozialwissenschaften, ist seit 2012 im Facharbeitskreis Beschneidungsbetroffener und seit 2017 Mitglied im Vorstand von MOGiS e.V.
Beide machen für MOGiS Medienarbeit und halten Fachvorträge. Victor Schiering kümmert sich außerdem um die internationale Vernetzung des Vereins.
Das Thema ist sensibel und diffizil, und ich hoffe, es gelingt mir, den richtigen Ton zu treffen und die richtigen Fragen zu stellen. Es handelt sich um ein Thema, das – abgesehen vom Radau im Jahr 2012 – keinen großen Nachhall in der Öffentlichkeit findet. Warum eigentlich nicht? Darüber wollen wir sprechen, aber natürlich auch über die vielen kleinen Schrittchen, mit denen sich dieses Thema eben doch im Hintergrund des großen, weiten Nachrichtenrauschens etabliert hat. Das ist nicht zuletzt der Arbeit solcher Menschen wie Önder Özgeday und Victor Schiering zu verdanken.
Im FR-Blog kam dieses Thema seit 2012 mehrfach zur Sprache. Vier Threads gab es unmittelbar auf das Urteil (Verletzung der körperlichen Unversehrtheit vom 30. Juni 2012, Am Schneideweg vom 18. Juli 2012, Das Primat des Männlichen vom 21. Juli 2012, Alle Aufklärung scheint machtlos vom 15.12.2012), außerdem immer wieder in Debatten über Religion – und nicht zuletzt in zwei großen Blogtalks. Vom 23. April 2014 an habe ich mich im Talk Beschneidung in Deutschland nach 2012 mit Dr. Meike Beier unterhalten, Gründungsmitglied des Vereins intaktiv e.V., der für genitale Selbstbestimmung eintritt. Und vom 26. September 2015 an habe ich mit dem Buchautor Clemens Bergner im Talk ‚Ent-hüllt!‘ – Autor Clemens Bergner im Gespräch gesprochen. In diesem Zusammenhang wurde auch immer wieder das Thema Antisemitismus berührt. Die FR hatte 2012 einen ziemlich eindeutigen Aufschlag in diese Richtung geübt: In einem viel diskutierten Leitartikel hatte damals Christian Bommarius, der inzwischen im Ruhestand ist, konstatiert, dass unter dem Deckmantel einer juristischen Frage antisemitische Affekte erkennbar würden. Diese Frage haben wir hier im FR-Blog zusammenfassend noch einmal ab 20. Dezember 2017 diskutiert, unter der provozierenden Überschrift Der Antisemitismus-Vorwurf als ideologische Waffe. Dabei ging es dann allerdings überwiegend um den Linken-Politiker Dieter Dehm.
Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass das Thema Beschneidung seit Jahren zum FR-Blog gehört. Am 25. März möchte ich den Faden wieder aufnehmen und das Thema erneut aktuell besprechen, denn es gibt durchaus Neuigkeiten.
Kurz auch zu mir: Ich bin Lutz „Bronski“ Büge, Redakteur der Frankfurter Rundschau, zuständig für das Leserforum, FR-Blogger und Romanautor, geboren 1964 in Eutin, bei der FR seit 2001. Zurzeit arbeite ich nebenher an der Fertigstellung meines „Virenkrieg“-Romanzyklus. Alle fünf Romane sind geschrieben. „Incubus – Virenkrieg III“ erscheint im Mai als Ebook und im September als gedrucktes Buch. Auf meiner Webseite Ybersinn.de veröffentliche ich wöchentlich Artikel, die sich thematisch mit den vielfältigen Hintergründen der Romane befassen, beispielsweise mit Biowaffen, dem Konflikt zwischen islamischer und westlicher Welt, der Weltmacht USA und vieles andere mehr.
Bei Blogtalks im FR-Blog gilt diesmal wie sonst auch: Jeder kann mitreden und Fragen stellen. Ich als Gesprächsleiter nehme mir aber das Privileg heraus, Ihre Fragen zu ordnen, eventuell zurückzustellen und zu einem späteren Zeitpunkt einzuflechten, wenn sie mir besser in den Gesprächsfluss zu passen scheinen.
Es geht los am 25. März 2019 gegen 10 Uhr. Zu dieser Uhrzeit wird dieser Thread eröffnet, indem die Kommentarfunktion freigegeben wird, die bis dahin geschlossen bleibt.
Kleiner organisatorischer Tipp: Ein unverzichtbarer Helfer beim Blogtalk ist die F5-Taste. Sie aktualisiert die Webseite und zeigt, ob es neue Kommentare oder Fragen und Antworten gibt.
Vielen Dank an Önder Özgeday und Victor Schiering! Ich freue mich, dass die beiden zu diesem Talk bereit sind und Zeit dafür freigeschaufelt haben, und bin gespannt auf unser Gespräch! Bis dahin!
Lutz „Bronski“ Büge
Update 6. Mai 2019: In der morgigen FR, also der vom 7. Mai, der auch „Welttag der genitalen Selbstbestimmung“ ist, erscheint ein Extrakt aus diesem Blogtalk als zweiseitiges Interview in der FR. Ich verlinke hier schon mal ein pdf-Dokument des FR-Magazins von morgen.
Guten Morgen, Herr Schiering und Herr Özgeday! Willkommen zum Blogtalk. Sind Sie frisch und unternehmungslustig?
Guten Morgen Bronski!
Ja, alles gut. Vielen Dank für die Einladung zum Blogtalk!
Willkommen auch alle Userinnen und User, die mitlesen oder auch mitreden wollen. Jeder kann mitreden und Fragen stellen. Ich als Gesprächsleiter nehme mir aber das Privileg heraus, Ihre Fragen zu ordnen, eventuell zurückzustellen und zu einem späteren Zeitpunkt einzuflechten, wenn sie mir besser in den Gesprächsfluss zu passen scheinen, so wie ich es in meiner Einleitung oben schon angekündigt habe. Ich möchte bei dieser Gelegenheit natürlich auch auf unsere Blog-Regeln hinweisen.
Guten Morgen auch von mir
Dann können wir einsteigen. Sieben Jahre sind vergangen, seit das Kölner Landgericht einen Arzt wegen Körperverletzung verurteilt hat, der einen muslimischen Jungen beschnitten hatte. Was hat sich aus Ihrer Sicht seitdem getan in Deutschland?
Erst einmal gab es ja diese kurze heftige politische und mediale Debatte, die mit dem Rekordtempo-Gesetzesverfahren abgewürgt wurde. Nach der gesetzlichen Legalisierung von nicht-therapeutischen Vorhautamputationen an Jungen vom 12.12.2012 wurde auf Seiten der Politik und Medien bis auf wenige Ausnahmen das Thema nicht mehr aufgenommen. Ganz anders sieht es in der Zivilgesellschaft aus: immer mehr Verbände nehmen die Impulse dazu auf und sehen, dass hier dringend Handlungsbedarf im Sinne des Kinderschutzes und Beratungsangeboten besteht. Bzw. dass man Jungen nicht weiter aus einer notwendigen Debatte um die genitale Selbstbestimmung von Kindern ausschließen kann. Und wenn man die (zu wenigen) geschützten und informiert begleitenden Räume für Jungen und Männer mit nutzt, um auch über dieses Thema zu sprechen, dann melden sich auch zunehmend Betroffene. Von Zeugnissen in sozialen Netzwerken ganz zu schweigen! Man muss nur hinhören und –sehen wollen – oder eben auch nicht. Alles ist eine Frage des Willens und der Information. Besonders viel getan hat sich auf medizinischer Seite, die ja die mit Abstand größte Anzahl von Vorhautamputationen an Jungen in Deutschland zu verantworten hat – mit häufig sehr zweifelhafter Indikation. Auf die wichtigen neuen Leitlinien zu kindlichen Vorhautengen kommen wir sicher noch genauer zu sprechen. Auf juristischer Ebene wurde das Kölner Urteil ja bereits damals überwiegend begrüßt und die dann beschlossene und leider noch immer aktuelle Gesetzeslage als mehrfach verfassungswidrig bewertet. Diese ist ja mittlerweile schon an juristischen Fakultäten ein beliebtes Thema geworden, um gesetzliche Widersprüche darzustellen, wie mir mehrfach berichtet wurde.
Ja, in den Medien taucht das Thema immer nur dann auf, wenn es mal wieder irgendwo Probleme oder sogar einen Todesfall im Zusammenhang mit einer Beschneidung gegeben hat, so wie in diesem Fall, wo ein kleiner Junge aus Nigeria an den Folgen einer solchen Operation gestorben ist. Das Thema wird nachrichtlich behandelt, selten geht es um Hintergründe. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
An der Tabuisierung. Und das man dieses Thema den Interessen Erwachsener überlässt. Seien es religöse Interessen, Bräuche, Kultur. Es ist einfach im öffentlichen Bewusstsein wahrgenommen als eine Sache die Gemeinschaften unter sich entscheiden sollen bzw. die Eltern für ihr Kind. In keinem anderen Bereich wird ein körperlicher Übergriff auf diese Art toleriert. Auch körperliche Züchtigungen sind beispielsweise oft kulturell erklärbar oder Geschlechterbilder. Doch dort wird debattiert. Wir haben eine Kopftuchdebatte etc.
es kommen sehr viele Faktoren zusammen. Es geht um männliche Verletzlichkeit. Nur wenige Männer sind dazu fähig diese zu kommunzieren bzw. selbst erst einzugestehen. von daher hört man immer wieder „ich kenne niemanden der sich an seiner Beschneidung stört“. man spricht nicht darüber.
Zudem wird BEschneidung stark mit dem Judentum in Verbindung gebracht. Natürlich tut sich Deutschland dann umso schwerer jegliche Kritik zu äußern. Doch da erfordert es Mut. Es geht hier nicht um Religionen oder Gemeinschaften etc. Es geht auch nicht um Religionsfreiheit oder kulturelle Toleranz. Diese Argumente greifen nicht. Das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit geht vor. Es ist traurig, dies noch diskutieren zu müssen.
Traurig, aber offenbar doch notwendig. Stichwort körperliche Unversehrtheit. Es geht doch nur um ein Stückchen Haut, oder?
Wissen Sie…ich könnte jetzt jegliche anatomische und sexuelle Funktionen der Vorhaut auflisten (und es sind etliche). DIe Eichel ist ein internes ORgan, dass befeuchtet werden muss und empflindlich bleibst. Das Innere Vorhautblatt besteht aus erogenem Gewebe und das Frenulum ist wie ein männlicher G-Punkt etc etc.
Doch das werde ich nicht tun. Nehmen wir also an es wäre nur ein Stückchen Haut. Das ändert nichts an meiner Argumentation. Selbst dann hätte ich über dieses Stückchen Haut selbst verfügen wollen/müssen. Wir leben in einem Rechtsstaat. Wenn ein Säugling einen Ohrring bekommen soll ist es NICHT EINMAL ein Stückchen Haut doch empört sind wir dann alle. Nein…es geht hierbei ums Prinzip. Ich hatte das Recht meine körperliche Anatomie und Beschaffenheit im Ganzen erfahren zu dürfen so wie jeder andere Mensch auch dieses Recht besitzt. Und nein! Die Vergleiche mit Impfen und Zahnartzbesuche etc. greifen auch nicht. Sicher treffen Eltern für ihre unmündigen Kinder Entscheidungen doch eine Beschneidung ist ein Übergriff
Ist das die Art und Weise, wir wir Jahrzehnte nach der sexuellen Revolution wieder über Genitalien sprechen wollen? Ihnen einen „Wert“ oder „Nichtwert“ zusprechen, der kollektivistisch festgelegt wird, und den man hinzunehmen hat? Na Prost Mahlzeit… wir müssen uns überlegen, wo wir als Gesellschaft zusammen hinwollen. Und mit der Sprache beginnt Vieles.
Die männliche Vorhaut macht ca. 50% der Haut des Penis aus und ist aufgrund ihrer nervalen Beschaffenheit der empfindlichste Teil des Penis. Das ist kein Ergebnis exklusiver MOGiS-Recherchen, sondern medizinischer Forschungsstand. Sie ermöglicht den „Gleitmechanismus“, den die Natur offensichtlich vorgesehen hat. Man sehe sich einmal an, wie und mit was Männer mit vollständigen Genitalien sich selbst Lust verschaffen.
Kurzum: Es ist einfach unethisch und sexistisch, so über Teile von Genitalien zu sprechen. Das gilt besonders, wenn es in der (manchmal sicher auch unbewusst und in einer Schutzhaltung) Intention geschieht, zu rechtfertigen, dass man Menschen mit Penis einfach das Recht absprechen könnte, darüber selbst zu entscheiden, was sie an ihren Genitalien für wichtig oder weniger wichtig betrachten. Wenn man sie um die Erfahrung bringt, sich selbst in ihrem ganzen Potential zu entdecken.
Unsere Kritik gilt natürlich genauso Ärzt*innen, die anatomische Fakten und Folgen verschweigen. Die gibt es leider immer noch nicht selten. Uns erreichen immer wieder haarsträubende Berichte z.B. von Eltern.
Bleiben wir erst mal noch bei der Frage nach der Haltung. Beschnittene Männer wissen in der Regel nicht, was ihnen fehlt, denn meistens wird die Operation im Kindesalter durchgeführt, noch vor Geschlechtsreife und ausgeprägter sexueller Aktivität. Oft haben sie kein Bewusstsein davon, dass ihnen überhaupt etwas fehlt. Ihnen beiden hingegen ist dies bewusst geworden. Wie kam das?
Meine nächste Frage kommt nicht vor 12 Uhr.
Sie schildern es richtig, und genau das ist ja das Zynische dabei: es werden Tatsachen an Kindern geschaffen, die überhaupt nicht begreifen können, was mit ihnen geschieht, und sie damit einfach für den Rest des Lebens allein lassen. Denn jede weitere sachliche Beschäftigung damit ist ja nicht vorgesehen und wird stark tabuisiert. Das gilt übrigens bei weitem nicht nur für rituelle „Beschneidungen“, auch z.B. auf Seiten der Urologie wird wie gesagt immer noch sehr oft trivialisiert und zwingende und mögliche Spätfolgen einfach abgestritten. Was sollen Betroffene denn tun? Was ist naheliegender, als sich damit abzufinden, was man eh nicht ändern kann? Sich an intimster Stelle zu hinterfragen, für möglich zu halten, dass die eigene Sexualität nur defizitär erlebbar sein könnte, dass man als wehrloses Kind aus dem engsten Umfeld heraus verletzt wurde, sind nicht gerade attraktive Gedanken. Darauf „ruhen“ sich kinderrechtsverletzende Schweige-Strukturen aus, das ist nicht nur bei Genitalverletzungen so. Aber dieses häufige Schweigen trügt. Ich selbst habe mich immer unwohl damit gefühlt, dieses ständige schmerzhafte Herumgezerre an mir im Vorschul- und Schulalter durch Ärzte ohne dass ich krank war. Viel später nach der Pubertät fühlte ich mich unvollständig. Hasste mein Entblößtsein, jeder sieht es auf zehn Meter Entfernung dass ich dort mit einem Messer traktiert wurde, und die Narbenwulste. Konnte es aber lange noch nicht konkretisieren, es war ja angeblich so wahnsinnig notwendig gewesen und dann auch noch so „normal“. Ich habe aber immer alle Vollständigen um ihre Vollständigkeit beneidet. Dass man sie einfach so gelassen hat wie sie sind bzw. dass man ihnen wenn sie tatsächlich Beschwerden hatten (manchmal sprach man darüber) ohne Amputation geholfen hat. Viele Verdrängungs-Prozesse kenne ich aus eigener Erfahrung. Bis es irgendwann 2011 nicht mehr ging. Ich wollte wissen, ob ich etwa der einzige bin, der so empfindet. Und dann lernte ich immer mehr Betroffene kennen, die ähnlich fühlen, und eins kam zu anderen.
Selbst wenn man sich als Erwachsener beschneiden lässt, und hinterher über Einschränkungen beim sexuellen Empfinden und erleben, dem Orgasmuserleben, Schmerzen klagt…Man(n) wird von Ärzten, Therapeuten nicht ernst genommen…so meine Erfahrung. Alles nur auf die Psyche des Betroffenen zurückzuführen…was ich mir schon alles anhören durfte „Alles nur Verlust und Kastrationsängste…“, „Eine psychopathologische Fehlverarbeitung…“, „Juden, Moslems, Amerikaner, alle machen das, wenn es da irgendwelche Probleme gäbe, die sie da beschreiben, dass würde doch kein Mensch mehr machen…“, so als kleiner Ausschnitt, was mir alles schon vorgeworfen wurde…aber eine offizielle Anerkennung eines möglichen Schadens durch Beschneidung…Fehlanzeige, würde ja gegen ein Gesetz „verstoßen“?
Wie alt waren Sie, als die Amputation bei Ihnen durchgeführt wurde?
Ich war sechs Jahre alt.
In Ihrem Fall war die Amputation also medizinisch indiziert?
Ich kann Herrn Schierings Erfahrungen 1:1 bestätigen. Bei mir wurde die OP mit 8 Jahren durchgeführt, nachdem mein Kinderarzt darauf drängte. Ich würde später massive Probleme bekommen, weil meine Vorhaut bis dahin noch nicht in dem Zustand war, wie sie bei einem Erwachsenen normal ist. Probleme hatte ich aber als Kind keine, das bestätigt mir auch meine Mutter. Es war also reine Panikmache, basierend auf einem völlig falschen „Wissenstand“ der Medizin damals. Ich werfe das dem Arzt damals nicht vor, es war wohl gängige Lehrmeinung. Aber heute sollte das anders sein, ist es aber noch immer vielfach nicht.
Was mir die OP gebracht hat sind massive Empfindungseinbußen, mit denen ich den Rest meines (Sexual-)Lebens werde umgehen müssen.
Ja. Die Schulmedizin handelte damals meist nach dem Motto: wenn sich eine Vorhaut zu Schuleintritt nicht voll bewegen lässt, wird sie abgeschnitten. Meine hielt sich wie unzählige andere einfach auch nicht an dieses Zeitschema. Die Ärzt*innen erlebte ich als durchaus hartnäckig dabei. Ein Drittel aller Jungs in meiner 1. Klasse wurde in die Chirurgie überwiesen.
Ich hatte nie eine Entzündung oder Ähnliches.
Offenbar sind Sie nicht der Einzige, der so empfindet. Clemens Bergner, mit dem ich mich 2015 in einem Blogtalk über sein Buch „Ent-hüllt!“ unterhalten habe, hat einen Suizidversuch im letzten Moment abgebrochen. Auch andere Betroffene berichten von suizidalen Gedanken als Folge ihrer Beschneidung.
Ich ließ mich als junger Mann beschneiden, weil mir gesagt wurde, es sei die einzige Möglichkeit, meine rel. Phimose zu „heilen“. Erst hinterher habe ich erfahren, dass mich die Ärzte belogen haben, es viele andere Möglichkeiten gegeben hätte. Mit den Folgen, die dieser Eingriff für mich meine Sexualität und mein Leben hatte, fühlte ich mich von allen Ärzten, Therapeuten, Psychologen alleingelassen, unverstanden…ich sei das Problem, nicht meine Beschneidung…auch ich habe 2mal versucht mir das Leben zu nehmen…
Ich bin in Kontakt mit anderen Betroffenen, Depressionen, suizidale Gedanken sind da leider Thema…ein Sumpf aus Scham, nicht darüber reden können, das Gefühl mit dem Problem allein zu sein…aber auch das Unverständnis und die Unkenntnis von Ärzten und Therapeuten
Zur med. Indikation…eine beschwerdefreie Phimose ist NIE Indikation für eine Totalentfernung der Vorhaut, was auch die neue Leitlinie sagt…
Traurige Realität ist aber, das der Ulmer Kinderarzt Dr. Christoph Kupferschmid in einem Artikel mal von ca. 28.000 med. unnützen Beschneidungen pro Jahr sprach…wegen der „Scheindiagnose“ Phimose.
Während wir darauf warten, dass Herr Özgeday noch was zu meiner Frage von 11:22 Uhr sagt, hake ich hier schon mal nach: Martin Z. nennt die Zahl von 28.000 unnötigen Beschneidungen pro Jahr. In Deutschland? Was für Zahlen haben Sie, Herr Schiering?
Z.T. sind wirklich sehr gravierende psychische Folgen festzustellen. Das macht es Betroffenen auch nicht leichter, sich öffentlich zu äußern und für den Schutz von Kindern zu kämpfen. Die Verharmlosungen und wie Betroffene oft lächerlich gemacht werden kann extrem triggern. Und sowas kommt ja nicht nur aus anonymen Kommentarspalten in sozialen Netzwerken. Sondern von Kanzeln und Parlamentsredepulten, von namhaften Journalisten und aus bequemen Professor*innensesseln. Das kann immer wieder aufs Neue verletzen. Die Debatte 2012 hat da natürlich bei vielen Betroffenen Spuren hinterlassen und das Vertrauen in den Rechtsstaat und an faire politische Prozesse extrem erschüttert. Eigentlich stehen wir immer noch ungläubig davor, was damals geschehen ist, dass Menschenrechte wieder relativierbar sind auf höchster gesetzlicher Ebene. Und wie Kinder heute jeden Tag dafür den Preis zahlen, während Erwachsene von „Rechtsfrieden“ reden. Fragt sich nur, für wen. Für die Kinder jedenfalls nicht.
Zurück zu den psychischen Folgen: Sie variieren natürlich stark. Das ist hier nicht anders als bei anderen Kinderrechtsverletzungen. Deshalb sind Pauschalisierungen immer problematisch. Aber man muss auch ganz klar sagen: Das Tabu wird sich nicht weiter aufrecht erhalten lassen. Im Zeitalter der Informationen können sich Mythen immer schwerer halten. Niemand, der so etwas heute mit seinen Kindern macht, kann später einmal behaupten, er habe nichts von möglichem Leid durch Vorhautamputationen wissen können. Ein Klick im Internet ergibt sofort unzählige Infos und Zeugnisse. Und eben auch im erwähnten Buch „Ent-hüllt“ sind viele Stimmen von leidvoll Betroffenen zu lesen. International gibt es ja auch viel Literatur dazu.
Diese Zahlen sind die, die uns auch vorliegen. Es sind alles etwas ungefähre Zahlen, weil ja viele MGMs gar nicht registriert werden. In diesem Winter gab es ja auch einen sehr gut recherchierten Artikel dazu, der in verschiedenen Zeitungen (u.a. Berliner Morgenpost) veröffentlicht wurde und auf die gleichen Zahlen kam.
Zugleich hat das Kölner Urteil dazu geführt, dass dieses Thema überhaupt mal öffentlich besprochen wurde – oder wie sehen Sie das? Die FR-Leserinnen und -Leser hat es jedenfalls sehr beschäftigt, was sich an der Vielzahl der Leserbriefe zeigte, die mich damals erreicht haben. Eine Sensibilisierung für das Thema ist nur möglich, wenn man drüber spricht.
Bemerken Sie einen Rückgang von Beschneidungen, etwa infolge des Kölner Urteils und einer wachsenden Sensibilisierung für dieses Thema?
Ich muss jetzt zum Zug – weiter in etwa einer Stunde, okay?
Gerne!
Ja, natürlich, das Kölner Urteil war ein großartiges Signal. Kinderrechtler*innen weltweit haben es begrüßt. Der Jahrestag des Kölner Urteils wird ja auch seitdem als „Weltweiter Tag der genitalen Selbstbestimmung“ für alle Kinder unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Tradition und Religion gefeiert. Über 50 Organisationen aus zwölf Ländern auf fünf Kontinenten unterstützen ihn.
Seitdem arbeiten wir ja in großen Bündnissen dafür, dass man weiter darüber spricht! Aber wenn man das versucht, stößt man auch auf sehr viele Widerstände. Das berichten alle, die es in ihrem Wirkungskreis versuchen. Vom Kind her wird da natürlich nicht gedacht, da geht es nur im Interessen von Erwachsenen.
Rückgang? Es gibt noch keine neuen Zahlen. Hoffnung machen Meldungen wie ein Essener Klinikum, dass seine Raten aufgrund von kindlichen Vorhautengen um 90% senken konnte – einfach weil sie anfingen, hier mal seriöse Diagnosen zu stellen und nicht beschwerdefreie natürliche Zustände zu pathologisieren. Das muss weiter Schule machen. Eltern informieren sich auch zunehmend. Wir bekommen immer wieder Nachrichten von Eltern, die durch unsere Infos kritisch wurden und ihre Söhne sich nun einfach weiter natürlich entwickeln können. Dafür lohnt sich alles! Jedes Kind zählt.
Ein Rückgang von Beschneidungen…kulturell oder med. indiziert?
Ärzte/Urologen sehen Beschneidungen leider nicht sehr differenziert, sehen in der Vorhaut meist nur ein Stück unnützes Haut, dass sie getrost wegschneiden können…mögliche neg. Folgen wollen die genauso wenig hören und sehen, wie viele beschnittene Männer…und raten Eltern/Männern bei Vorhautproblemen oft zu einer Beschneidung.
Ich kenne selber Eltern von Freunden meiner Kinder, die ihre Jungen auf ärztliches anraten wegen „zu langer Vorhaut“ oder „Phimose“, alle waren beschwerdefrei…radikal beschneiden ließen…
Eine Sensibilisierung kann ich nicht feststellen, eher eine Verharmlosung, „ist doch nicht schlimm“, „sind doch viele“…
Darüber reden…ja wäre wichtig…aber es ist ein Tabuthema auf mehreren Ebenen…Sexualität und Männlichkeit (als Mann offen über Gefühle, Verletztheit, eingeschränkte Sexualität sprechen?), dann noch die „Keulen“ Antisemitismus und Islamophobie die bei vielen Versuchen auf Sachebene zu diskutieren geschwungen werden…sogar viele Journalisten scheuen das Thema männliche Beschneidung, so mein Eindruck und eigene Erfahrung.
An dieser Stelle meinen Dank an Sie, für Ihre Offenheit und Ihr Interesse
Noch zu den psychischen Folgen…es gibt eine Studie an philippinischen Jungen, die im Alter von 11-16 beschnitten wurden. Nach der Beschneidung „erfüllten“ 70% der rituell beschnittenen (ohne Narkose) und 51% der medikalisierten (also nach den Regeln der „ärztlichen Kunst“)beschnittenen die Kriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung. die traumatischen Folgen des Übergriffes…
Und das in einer Kultur, wo das doch eigentlich „normal“ ist…
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-1-4757-3351-8_14
Ist das hier der Artikel der Morgenpost, den Sie oben angesprochen haben? Darin wird von einer neuen Phimose-Leitlinie (Vorhautverengung) von sechs deutschen Ärzteverbänden berichtet, die von voreiligen und vorbeugenden Vorhautamputationen abrät. Wie kommentieren Sie diesen Vorstoß der Ärzte?
Und noch was Organisatorisches: Wir sind ja für die ganze Woche zum Talken verabredet. Je nach Lust und Zeit kann das Gespräch auch abends weitergehen.
Ich wurde mit 10 Jahren beschnitten. Ungefähr zum Eintritt der Pubertät, als ich langsam verstand was wirklich geschehen war hatte ich massive PTBS und führte einen Suizidversuch durch.
Noch heute werde ich die Bilder nicht los
Herr Özgeday, Ihre Beschneidung erfolgte aus rituellen Gründen?
Ich entdeckte bei Freunden und auch in Filmen die natürliche Anatomie eines Penis. Verglich es mit meinem vernarbten, trockenen Geschlechtsteil. ICh war schockiert.
Es war kein „Unfall“ der mich entstellte. Sondern meine liebenden Eltern hatten bewusst jemanden beauftragt im guten Willen. Dieser Konflikt hat mich meiner Herkunftskultur entrissen und mein Urvertrauen tief erschüttert.
Ich selbst bin nun Vater eines 5 jährigen Sohnes. Es schnürt mir die Luft ab beim Gedanken, dass jemand an ihm herum manipuliert.
In meinem Fall wurde es sogar groß und mit viel Trara in einem Saal gefeiert. Bei Speiß, Getrank und Musik. Ich empfinde einen großen Ekel.
Ich würde es „kulturell“ nennen. Mein Vater war Atheist, wie auch ich selbst. Der Islam war nie Teil meiner Erziehung. Es war eher eine „Mannwerdung“..von daher ist „rituell“ gar nicht mal so falsch. In jeglichen anderen Bereichen waren/sind meine Eltern hochgradig empathische Menschen und liebevoll. Die B. ist einfach so extrem in den Köpfen verankert. Dass es Vorteile bringt. medizinisch, ästhetisch, Präferenz des anderen Geschlechts. Aber das beobachte ich nicht nur bei meinen Landsleuten. Generell ist es einfach Bewusstsein dass es harmlos und vorteilhaft ist.
Bei Ihnen gab es Komplikationen bei der Heilung der Operationswunde?
Allerdings. Die „Heilung“ dauerte ca. 3 Monate. Es gab zahlreiche Entzündungen. Ich habe bis heute oft Schmerzen und Missempfinden. Oft vermeide ich mich unten anzuschauen. Die Bagatellisierung der B. ist für mich auch persönlich sehr verletzend.
Dann hoffe ich, dass ich Ihnen hier nicht zu viel zumute.
Wann beschlossen Sie, sich öffentlich gegen Beschneidung zu engagieren?
Nachträglich noch eine Frage zu Ihrer Sünnet – korrigieren Sie mich, wenn der Begriff falsch ist oder ich ihn falsch einsetze -: Geschah es unter lokaler Betäubung?
Vielen Dank für ihre sensiblen Worte. Nein ich entschließe mich ja aus freien Stücken dazu, denn ich habe mit den Jahren erfahren dass ich damit nicht alleine bin (dies dachte ich meine gesamte Jugend über)
in meiner Kultur beobachtete ich nur den Stolz. Man idealisierte diese Geschichte und gab es dann an die eigenen Kinder weiter. Es wurde nicht hinterfragt. Und das auch von intelligenten Menschen.
Nun ja engagiert habe ich mich eigentlich schon immer. Das geht Jahre zurück. Nur gab es damals hierzulange noch keine Bewegung. Die Amerikaner sind da ja länger dran. Nichtsdestotrotz habe ich bereits mit ca. 14 Jahren schon in Foren meine Erfahrungen geschildert und kommentiert. Bei mir gab es nicht dieses „Erwachen“ wie bei anderen. ich spürte schon von Beginn an, dass hier etwas nicht stimmt. Dass das was geschehen war Unrecht ist
Der Begriff ist richtig.
Lokale Betäubung und ich konnte das Blut spritzen sehen. Eine Assistentin bekam es ins Gesicht. Das Geräusch der Instrumente hörte ich. ich war chick gekleidet und war stolz. ich wollte mutig sein für meine Eltern.
Der Ausführende war ein Fachmann? Ein Arzt?
Ja…eine kleine Privatpraxis in der Nähe von FFM
Für mich aber ein Pfuscher. Wobei es mir persönlich schwerfällt nicht alle als solche zu bezeichnen. Denn eine B. ist bei Kindern in den wenigsten Fällen nötig. Für mich war es jemand, der den WIllen meiner Eltern vollstreckt hat. Ohne Ethik und Moral.
Jetzt berühren wir gerade bei mir den Bereich des fixen Halbwissens. Ich dachte bisher, türkischstämmige Jungen würden meist in die Türkei gebracht, um den Eingriff vornehmen zu lassen?
Das kommt sicher immernoch oft vor. Da verbindet man den Urlaub in der Heimat mit der Sache und es ist schnell erledigt und die Verwandten sind dabei für die Feier.
Doch gerade die jüngere Generation der Eltern denke ich lässt es eher hierzulande professionell durchführen im Krankenhaus und macht auch keine große Feier mehr. Und das Ganze auch in einem früheren Alter. Das ist modern und nicht so „barbarisch“ wie die alte Generation es tut. Die „Bauern“ etc…
Ich zitiere hierbei. Man versteht nicht, dass der Eingriff an sich das Problem ist. Deshalb rede ich auch nicht gerne großartig über den Ort, die Motivation, die Betäubung etc.
Es ist Unrecht! Außer es geschieht aus völlig eigener Entscheidung und zwar im Erwachsenenalter. Es zählen keine manipulierten Kinder die sich freiwillig entblößen weil die Eltern und COusins etc dann stolz sind und ihn für einen Mann halten. Weil Geldgeschenke kommen. Das ist Verführung, das ist Missbrauch. Nicht weniger.
Wie sehen Ihre Eltern das heute?
Mein Vater ist vor einigen Jahren verstorben. Doch er las mein Zeitungsinterview und hat auch schon vor längerer Zeit eingesehen, dass sie mir sehr wehgetan haben. Nur habe ich mit ihm nie wirklich drüber reden können. Meine Mutter bereut sehr tief und aufrichtig. Wir hatten viele Gespräche. Sie leidet. Es ist das letzte was sie wollte. Ihrem Kind Schmerzen zufügen. Das ist das traurige und schlimme dabei. DIese Sache hat der gesamten Familie geschadet. Es hat mich niemand fremdes entführt und misshandelt. Da könnte man einfach „hassen“ oder „verurteilen“. Das ist es ja: Man liebt seine Eltern und von daher können auch viele nicht den Schritt machen und die B. verurteilen. Gerade in muslimischen Kulturen. Denn die ELtern sind dort heilig.
Ich erinnere mich an einen Bericht in der FR aus dem Jahr 2012 über junge jüdische Eltern in London, die die Brit Mila, also das jüdische Beschneidungsritual, an ihrem Säugling hatten durchführen lassen und die sich hinterher fragten, warum sie ihrem Kind diesen Schmerz zugefügt haben. Ich schaue mal nach, ob der Text noch online ist, aber für meine Frage ist er letztlich unerheblich: Warum stellen sich die betroffenen Eltern die Frage, warum sie ihrem Kind Schmerz zufügen werden, nicht vorher?
@ Önder Özgeday
Ist die Beschneidung wenn keine medizinische Indikation vorliegt, ein Ritual zur Mannbarkeit?
Der Stolz basiert worauf? Das man zum Mann wird, oder die Schmerzen aushält? Oder wird einem Kind Schmerz zugefügt, damit es zum Mann wird?
Stolz auf diese Tradition?
Verzeihen Sie bitte, wenn meine Fragen blöd klingen. Über dieses Thema habe ich nie nachgedacht, bzw. mir war nicht bewusst, welche Auswirkungen dieser Vorgang haben kann.
Vielen Dank für Ihre Offenheit und den Mut darüber zu schreiben.
Ich schätze mal genau. Man bewährt sich, man hält aus. Man ist dann ein Mann. in meiner Kultur wird ein intakter Penis auch als schmutzig angesehen. Aber nicht nur das. Es ist auch ein „Kinderpenis“. Man verbindet das mit Babies und Kindern. Es ist kein männliches Organ.
ich will nicht behaupten, dass man heutzutage direkt mit dem Anliegen, dass sein Kind sich bewähren soll und SChmerzen ertragen soll an die Sache rangeht aber das sind nunmal die Ursprünge der Praktik. Und dies in einer Zeit wo wir diese alten Strukturen doch immer kritischer sehen. Selbst männlich-weiblich ist nur noch ein soziales Konstrukt etc. Wir tolerieren hier eine Opfergabe. Die medizinischen Argumente sind für mich nur Vorwand. Für mich ist MGM im Ursprung stets rituell. Es hätte sonst den Weg in die Medizin nicht gefunden.
Vieles, was ich hier gelesen habe, hat mich zum Nachdenken gebracht, gerade das Thema des Rituals, der Tradition.
Als vor vielen Jahren mein Sohn geboren wurde, stand die Frage nach der Taufe im Raum. Ich selbst bin Atheist und hätte es gerne gesehen, wenn wir die Entscheidung sich taufen zu lassen ihm überlassen hätten. Meiner Frau jedoch war es sehr wichtig ihn taufen zu lassen, obwohl sie selbst keine fleißige Kirchgängerin mehr ist. Aber neben dem „wenn ihm ungetauft was passieren würde, könnte ich mir das nie verzeihen“ kamen auch Argumente wie „was werden die Leute sagen“, „was werden unsere Familien sagen“, „er wird im Kindergarten und in der Schule gehänselt werden“. Obwohl ich das für Unsinn hielt und noch immer halte hab ich zugestimmt, weil es ihr so wichtig war.
Natürlich kann man beide Themen nicht gleichsetzen, doch es gibt Parallelen: der gesellschaftliche Druck, etwas zu tun, das erwartet wird. Insofern kann ich gut verstehen, wenn es muslimischen und jüdischen Eltern besonders schwer fällt, sich für das Recht des Kindes und gegen die Erwartungshaltung der Community zu entscheiden, auch wenn die Sache bei logischer Abwägung an sich klar wäre.
Ich denke, hier sind deshalb mehrere Dinge nötig, um eine umfassende Änderung zu erreichen:
Es muss klar werden, dass die Operation eben nicht harmlos oder gar gut ist, denn dahinter verstecken sich sicher die meisten. „Ist doch nicht schlimm!“ – Doch, ist es.
Es muss auch klar werden, dass natürlich der Junge willkommen geheißen werden darf und soll, es eine Feier geben darf zu seinen Ehren. Aber eben ohne Schmerzen und Verletzung.
Und es muss wohl auch ein gewisser Druck durch Abschreckung her. Wenn die „Beschneidung“ verboten wäre, bei Strafe, gäbe es sicher vor allem anfangs Eltern, die es trotzdem machen lassen würden. Aber ich denke auch, dass Eltern grundsätzlich niemals ihrem Kind schaden wollen und wenn das, was sie mit ihm vorhaben, illegal ist, dann würde sie das zum Denken bringen. Denn nichts ist ohne Grund verboten.
@Herr Özgeday, wie sehen Sie das? Würde ein Verbot helfen? Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden um die Jungen zu schützen? Grad in Bezug auf rituelle oder traditionelle Genitalbeschneidungen?
MGM steht für Male Genital Mutilation, analog zu FGM für Female Genital Mutilation, zu Deutsch: Genitalverstümmelung von Mann/Frau. Damit starten wir in den härteren Teil der Diskussion. Den würde ich gern bis Mittwoch oder auch Donnerstag aufschieben und morgen, Dienstag, lieber erst noch über die Veränderungen reden, die sich seit dem Kölner Urteil in Deutschland ereignet haben. Dazu steht noch eine Antwort aus auf meine Frage von heute, 17:33 Uhr, betreffend den Kommentar zur neuen Richtlinie der Ärzte. Die Frage richtete sich an Herrn Schiering, aber selbstverständlich können auch Sie was dazu sagen, Herr Özdegay: Wie kommentieren Sie diesen Vorstoß der Ärzte? Konkreter: Ist das eine wesentliche Neuorientierung unter dem Einfluss des Kölner Urteils? Und gleich weiter gefragt: Bedeutet das, dass 28.000 Beschneidungen im Vorjahr medizinisch indiziert waren?
Für heute verabschiedet sich Bronski aus der Unterhaltung. Bin morgen ab 10 Uhr wieder online. Sie können aber auch vorher kommentieren/antworten.
Gute Nacht!
Die 28000 fälschlich medizinisch indizierten Vorhautamputationen ergeben sich als Durchschnittswert aus der KiGGS-Studie von 2007 und dem heutigen Wissen um tatsächliche Indikationen.
Ob die Leitlinie tatsächlich mit von der Diskussion nach dem Kölner Urteil geprägt wurde, ist schwer zu sagen. Medizinische Leitlinien haben den wissenschaftlichen Forschungsstand zu sammeln und daraus Handlungsrichtlinien herzuleiten.
Die Leitlinie „Phimose und Paraphimose“ unter der Leitung der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie von 2017 bedeutet einen großen Fortschritt. Endlich flogen die ganzen Behauptungen (Pathologisierungen) zu beschwerdefreien kindlichen Vorhautengen heraus, für die es nie wissenschaftliche Daten gegeben hatte.
Zugleich wird jetzt die sexualsensorische Bedeutung und die natürliche Entwicklung der Vorhaut mit zahlreichen Quellen dargestellt.
Die für diese Leitlinien verantwortlichen Verbände und Fachgesellschaften stellen sich damit ihrer großen Verantwortung und geben wichtige Impulse für eine Neuorientierung insgesamt für dieses Thema.
Sie sagen „fälschlich medizinisch indiziert“. Woran machen Sie dieses Urteil – „fälschlich“ – fest?
Wenn der medizinische Forschungsstand auf ca. 1-3% mögliche Indikationen hinweist – tatsächlich aber rund 10% aller Jungen in Deutschland aus angeblich medizinischen Gründen „beschnitten“ werden – muss man das wohl so schlussfolgern.
Ich erinnere auch an das Essener Klinikum, wo eine strenge Indikation die OP-Raten um 90% senkte.
@Bronski: Auf Ihre Frage nach der fälschlichen medizinischen Indikation:
Die Vorhaut ist quasi bei allen Neugeborenen und Kleinkindern zunächst mit der Peniseichel verklebt. Natürlich nicht vollständig. Das Urinieren ist problemlos möglich. Aber schon das Zurückziehen der verklebten Vorhaut ist eine falsche Behandlung, weil sie normalerweise die Vorhaut von der Eichel abreißt, wodurch Narben auf der Eichel und dem Vorhautinnenblatt entstehen, die dann wiederum zu Folgeproblemen führen können.
Diese natürliche Verklebung wird Synechie genannt (). Sie löst sich normalerweise bis zum Erreichen der Pubertät von allein oder durch das „an sich herumfummeln“ der Jungen in der Pubertät. Es ist auch völlig normal, wenn die natürliche Vorhautverklebung sich erst bei Erreichen des Erwachsenenalters löst – solange das Urinieren problemlos geht.
Bei Kleinkindern ist es also völlig normal und physikalisch, dass eine Vorhautverklebung vorliegt. Die wurde allerdings bis vor kurzem noch oft von Kinderärzten und Kinderurologen als pathologische Phimose fehldiagnostiziert. Ältere Kinderärzte vertreten noch heute den Standpunkt, dass die Vorhaut eines Jungen bis zum Schuleintritt oder spätestens bis zum Erreichen der Pubertät problemlos zurückziehbar sein muss – und testen das durch aktives Zurückziehen der Vorhaut bei Untersuchungen, wodurch sie oftmals erst Schaden verursachen.
Die neue Leitlinie räumt mit diesem veralteten Wissen auf – aber es braucht leider Zeit, bis dieses veraltete Wissen auch aus den Köpfen raus ist.
Gerade im Radio gehört: Aufgrund der wieder vermehrt auftretenden Fälle von Masern diskutiert die Politik eine Impfpflicht. Politiker und Ärztekammern sind dagegen. Interessantes Argument der Politik: „Es ist juristisch nicht leicht, in die körperliche Unversehrtheit von Kindern einzugreifen.“
Diesen Aspekt hat der deutsche Bundestag 2012 bei seiner übereilten Entscheidung, das sog. Beschneidungsgesetz zu verabschieden, völlig außer Acht gelassen. Dieser Widerspruch steht jetzt im Raum und stärkt auch Menschen, die meinen, sie müssten ihre Kinder aus religiösen oder angeblichen hygienischen Gründen genitalverstümmeln lassen. Wir haben jetzt die Situation, dass man Kinder nicht schlagen darf und meint, eine Impfung gegen Masern sei ein nicht vertretbarer Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit, aber das unwiederbringliche Amputieren eines wichtigen Körperteils, der Vorhaut, bei männlichen Kindern ist seit 2012 erlaubt. Absurdistan lässt grüßen.
In keinem Land und keinem Staat auf der Erde ist Körperverletzung gesetzlich erlaubt. Außer in Deutschland für Knaben.
Hier eine wichtige Auswertung dazu:
https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs00120-016-0232-0
Einen schönen guten Tag alle miteinander.
Gibt es Erkenntnisse darüber, wie viele rituell motivierte Beschneidungen zu diesen 28.000 offiziell medizinisch indizierten in Deutschland hinzukamen?
Noch eine Frage hinterher, da ich dann bis ca. 12 Uhr nicht online sein werde: Chirurgen stehen ja in dem Ruf, gern schnell zu schneiden. Was verdienen sie an einer solchen Operation? Und welche Kosten verursacht eine die Vorhaut erhaltende Behandlung von Phimose, und wie sieht diese Behandlung aus?
Es gibt unterschiedliche „Preisangaben“ für eine Phimose-OP, die m.E. zwischen 250 und 500 € liegen. Bei medizinischer Indikation übernehmen anscheinend die Krankenkassen die OP-Kosten.
Rituelle Beschneider rühmen sich oftmals mit mehreren tausend oder gar zehntausenden Beschneidungen, Massenbeschneidungen und zeigen sich je nach Zahlungsfähigkeit ihrer Kunden (der Eltern) manchmal sehr „großzügig“ und unterschreiten die o.g. Kosten dann. Gratis werden Beschneidungen selten gemacht.
Laut KiGGs erfolgen ca. 10% aller Vorhautamputationen an Jungen in Deutschland aus nicht-therapeutischen Gründen. Tatsächlich ist die Zahl wahrscheinlich etwas höher (Urlaubsbeschneidungen etc.).
Die genauen Sätze die abgerechnet werden kenne ich nicht aus erster Hand.
Birgitta vom Lehn hat dazu für die FAZ recherchiert:
https://m.faz.net/aktuell/politik/beschneidungen-in-deutschland-guter-schnitt-12625490.html
Wir haben rund fünf Millionen Muslime und etwa 200.000 Juden in Deutschland; da müsste die Zahl der Beschneidungen doch eigentlich deutlich höher liegen. Aber Sie haben die „Urlaubsbeschneidungen“ ja schon angesprochen …
Der FAZ-Artikel ist von 2013. Da schrieben die Kollegen noch, die Zahl der Eingriffe steige.
Die Empfehlungen der Ärzteschaft scheinen noch nicht bei allen Ärzten angekommen zu sein. Im Jahr 2017 hat ein Arzt einen zwei Wochen alten Säugling auf einem Küchentisch in Nürnberg beschnitten. Das Kind wäre fast verblutet, es bestand Lebensgefahr. Anfang 2019 kam die Nachricht, dass das Verfahren gegen den Arzt eingestellt worden ist; er muss lediglich eine „Geldauflage“ bezahlen. Wie kommentieren Sie das?
@Werner Ich bin tatsächlich für ein Verbot. Auch bei FGM bestünde die Gefahr, dass Eltern dann ihre Töchter in Kenya, Somalie, Ägypten etc. beschneiden lassen doch niemand bestreitet, dass ein Verbot notwendig ist. Das Verbot würde endlich das nötige Zeichen setzen dass Genitalmanipulationen an Kindern eben NICHT das Recht der Eltern ist und die Körperliche Unversehrtheit endlich wie auch im GG verankert geschützt wird! Zusätzlich würde es viele Menschen die noch nicht ganz schhlüssig sind verstehen lassen, dass es hierbei ums Prinzip geht. Eine Diskussion über vermeintliche Vorteile einer B. sind für mich nichtig. Vielleicht haben so einige Dinge Vorteile im Leben. Vielleicht ist es förderlich einige Erfahrungen im Leben zu machen, doch es geht hierbei darum die Erfahrungen einem unmündigem aufzudrücken. Die Art und Weise wie der spätere Mann seine Sexualität erlebt. Seine Anatomie erkundet. Es muss endlich geächtet werden! Natürlich muss parallel aufgeklärt werden. Sensibilisiert werden für das Thema.
Überaus wichtig finde ich auch dass man sich den lächerlichen Totschlagargumenten wie „Antisemitismus“ oder „Islamophobie“ endlich mutig entgegenstellt und nicht einknickt. Ich möchte dass wir stolz sind auf die Menschenrechte. Auf das Recht jedes Individuums nach seiner Facon zu leben. Wir klären Mädchen auf „nein“ zu sagen und selbstbestimmt und unabhängig zu werden etc. doch wirst du als Junge geboren ist der sensibelste Teil deines Körpers quasi der Willkür der Eltern und Ärzten überlassen. Das ist krank
Richtig, die Erfahrung zeigt, dass leider noch nicht alle Mediziner*innen nach den neuen Leitlinien handeln.
Zum Fall in Nürnberg:
1) Dieser Fall zeigt eines zum wiederholten Mal:
Der Gesetzgeber hat am 12.12.2012 mit §1631d BGB de facto Küchentisch- bzw. Hinterhof-„Beschneidungen“ gesetzlich legalisiert, auch wenn das ja immer abgestritten wird und wurde. Aber uns interessiert da nicht, was Politiker*innen glauben wollen, sondern was mit den Kindern geschieht. Also die Realität. Ohne dass sich der dafür verantwortliche Gesetzgeber bisher auch nur irgendwie damit beschäftigt hat!
2) Sehr seltsam ist die Sache mit dem zweiten medizinischen Gutachten, das angeblich auf einmal alles nicht so schlimm gewesen soll. Das, was die Kinderklinik 2017 bei dem Jungen feststellte, also z.B. die Gefahr, in der der Junge schwebte, ist ja nicht auf einmal anders gewesen, nur weil der Junge Gott sei Dank nicht gestorben ist und man sich bei der Nürnberger Staatsanwaltschaft einen medizinischen Gutachter geholt hat, der offensichtlich nicht auf aktuellem Wissensstand zum Thema ist und so den Verlust einer der erogensten Zonen des Penis für keinen Schaden hält.
3) Das angesprochene Manko der mangelnden Risikoaufklärung fordern wir generell zu diskutieren. Ohne eine ausreichend ausführliche Aufklärung ist nämlich auch nach jetziger Gesetzeslage jede Vorhautamputation illegal. Die Aufklärung muss bei nicht-therapeutischen Operationen sogar besonders ausführlich sein und darf, das ist interessant, keinen Bedarf erzeugen. Nun stellt sich die Frage: In welcher Zahl der Fälle findet eigentlich tatsächlich eine solche Aufklärung statt? Über die sexualsensorische Bedeutung der Vorhaut, über die zwingenden und möglichen Veränderungen für die Sexualität, über mögliche psychische Folgen? Tja… das wäre wirklich interessant.
Das prüft nur in der Regel niemand. Wer soll denn auch eine Prüfung veranlassen? Bei rituellen Vorhautamputationen an Jungen besteht hier schließlich bei allen beteiligten Erwachsenen ein klarer Interessenkonflikt. Denkbar wäre vielleicht ein Fall bei Eltern, die von Ärzt*innen falsch oder unzureichend aufgeklärt worden sind.
Den Nürnberger Fall hatten wir in unserer Videoclipreihe „Eine Minute für genitale Selbstbestimmung“ kommentiert:
https://m.youtube.com/watch?v=zsWuKIWSp9E&list=PLP3sy53e5kvHg5x1h5nV_bjw2uJW8eKwb&index=13&t=3s
Müsste Aufklärung nicht auch über mögliche Komplikationen durch die Amputation erfolgen? In dem verlinkten BR-Artikel lese ich:
„Einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zufolge ist die Komplikationsrate relevant. Demnach müssen jedes Jahr mindestens 400 Kinder nach einer Beschneidung stationär in einem Krankenhaus in Deutschland behandelt werden“ – so wie auch der Junge in Nürnberg.
Ja, auch das muss Teil der Aufklärung sein, völlig richtig.
In einem anderen Fall haben Eltern offenbar versucht, ihren sieben Monate alten Sohn ohne Arzt in einer Asylbewerberunterkunft zu beschneiden. Auch dieser Fall landete im Krankenhaus. Es ist ja nur ein kleiner Schnitt.
In dem Fall war der Junge schon über sechs Monate alt, da haben Staatsanwaltschaften mehr mögliche Handhabe. Denn nur Jungen unter sechs Monaten „dürfen“ laut Gesetz auch von einem Nicht-Arzt „beschnitten“ werden. Wir werden sehen, was hier herauskommen wird.
Zu dem, was der Gesetzgeber legalisiert hat, bekommt man Hinweise durch z.B. solche Meldungen:
https://fh-blk.de/infos/beschneidung/
In den dort zitierten Antwortschreiben wird die völlige Verweigerungshaltung der zuständigen Ministerien deutlich.
Wir haben natürlich Kontakt zur Flüchtlingshilfe Blieskastel aufgenommen, haben gefragt, inwieweit sie z.B. Infomaterial des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte nutzen, um den Menschen objektive Fakten an die Hand zu geben oder ob sie sich selbst bemühen, Aufklärung dazu in bereits bstehende Beratungsmöglichkeiten zu integrieren. Der Antwort an uns konnte man kein Interesse entnehmen.
Sind halt nur Jungen?
„Politische“ Vorbehalte?
Was auch immer: sehr traurig. Denn die Kinder allein tragen die Risiken und zahlen den Preis für das Wegschauen von Erwachsenen.
Man lässt die Flüchtlingshilfe im Regen stehen und zieht sich hinter Paragrafen zurück?
Ja, das war ja auch die offen geäußerte Intention des Gesetzes: sich heraushalten.
Aber das entbindet Einrichtungen natürlich nicht davon, selbst verantwortlich zu handeln im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten, die es weiterhin gibt. Es wäre NICHT verboten, medizinisches Infomaterial weiterzugeben, ggfls. Übersetzungen davon herzustellen, sich Fachleute für Inputs einzuladen etc.
Wir müssen alle Beiträge leisten.
So katastrophal die gesetzliche Lage ist und der Boykott der politischen Landschaft:
Man kann trotzdem eine Menge tun. Um das jetzt nicht zu sehr nur in einen negativen Kontext zu stellen: das passiert ja auch, es gibt auch viele Positivbeispiele. In anderen Fällen sind wir als MOGiS e.V. auch schon zu Runden Tischen von Flüchtlingshilfen eingeladen worden, Vorträge, zu halten. Oder in Gesundheitsämter.
Ich möchte gleich noch den rechtlichen Aspekt vertiefen, aber zuerst nehme ich den Faden zu Ihrer Vereinstätigkeit auf. Sie beraten und halten Vorträge – auch vor staatlichen Stellen? Sie schrieben gerade von Gesundheitsämtern. Die holen also Ihre Positionen ein?
Beraten im professionellen Sinne können wir nicht. Wir sind keine Psychotherapeut*innen oder Sozialpädagog*innen. Es wäre unverantwortlich, wenn wir das anbieten würden.
Aber natürlich bieten wir Austausch und geschützte Räume für Betroffene. Oft ist es so, dass wir die ersten Menschen sind, denen sie sich hierzu öffnen.
Zu Vorträgen werden wir vermehrt eingeladen. Anfragen kommen z.B. von städtischen Stellen, Beratungseinrichtungen, Interkulturellen Projekten. Ich weiß nicht, ob man dort primär unsere Positionen einholen möchte. Mir vermittelt sich eher der Eindruck, dass sie sich informieren wollen und sich für unsere Perspektiven und Erfahrungen interessieren. Oft werden wir auch weiterempfohlen von Menschen, die Vorträge von uns gehört haben oder Materialien von uns gelesen oder gesehen haben.
Würden Sie die Aussage unterschreiben: Im Mittelpunkt Ihrer Bemühungen steht das Kindeswohl.?
@Bronski: Der von Ihnen verlinkte BR-Artikel trieft nur so von Fehlinformationen. Zunächst einmal entspricht keine OP zuhause auf dem Küchentisch irgendeiner ärztlichen Kunst, sondern ist einfach Hinterhof-Metzgerei. Zum anderen hat die Staatsanwältin zynisch die Amputation der Vorhaut selbst als Schädigung einfach negiert, dem Organ also keinerlei Bedeutung beigemessen. Drittens wird im Artikel behauptet, die Genitalverstümmelung bei Buben sei aus religiösen Gründen gesetzlich erlaubt, was so nicht korrekt ist – denn § 1631d BGB gestattet es Eltern aus beliebigen Gründen. Nur der 2. Absatz dieses Ungesetzes stellt ein Sonderrecht für – offensichtlich explizit jüdische – nichtärztliche Beschneider dar.
„Wir haben rund fünf Millionen Muslime und etwa 200.000 Juden in Deutschland; da müsste die Zahl der Beschneidungen doch eigentlich deutlich höher liegen.“
Erstmal muss man diese Zahlen etwa halbieren, wenn wir von männlicher Genitalverstümmelung reden. Dann müsste man ermitteln, wie viele männliche Kinder in den Gruppen jährlich geboren werden. Und dann kommt noch dazu, dass nicht grundsätzlich alle jüdischen und muslimischen Eltern ihre Knaben beschneiden lassen. Wenn man das unterstellt, gibt man implizit denen, die dieses Ritual nicht mitmachen wollen, kaum eine Chance auf Stärkung.
Viele aus dem früheren Ostblock zu uns gekommene Juden z.B. waren dort nicht beschnitten und vermutlich werden auch sehr viele dies hier nicht nachgeholt haben, wie mir verschiedene jüdische Bekannte mitgeteilt haben.
Und auch unter den Muslimen wird das blutige Ritual mehr und mehr hinterfragt. Das Informationszeitalter macht auch vor noch so alten, aus der Zeit gefallenen Ritualen nicht Halt.
Ja, das Kindeswohl und die Wahrung der Menschenrechte, speziell die Gleichberechtigung der Geschlechter, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Bekämpfung von Diskriminierung, die Wahrung der sexuellen Selbstbestimmung eines jeden Menschen, das Recht auf eine offene Zukunft.
Wie kommentieren Sie vor diesem Hintergrund die Haltung des Justizministeriums, dass die Bundesregierung 2012 „unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperlichen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung“ einen Gesetzentwurf vorgelegt, „der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist“? (Zitiert aus dem Schreiben an die Flüchtlingshilfe in Blieskastel, das Sie oben in die Unterhaltung eingebracht haben und das ich hier noch mal verlinke).
Bin eine Stunde offline.
Was soll ich dazu sagen… zu dieser Quadratur des Kreises und der gleich mehrfachen Verfassungswidrigkeit haben ja soviele juristische Fachleute schon so detailliert Stellung bezogen.
Hier bestand ein politischer Wille, ein gewünschtes Ergebnis zu erzielen. Dem wurden Fakten und eine offene Debatte untergeordnet.
Besonders dieses Zitat, das Sie nennen, ist natürlich einfach nur furchtbar. Allein die „unnötigen Schmerzen“. Das muss man sich einmal vorstellen. Kinder haben eben „nötige Schmerzen“ zu ertragen, wenn ihnen Erwachsene Teile der Sxualorgane abschneiden wollen. Und so etwas nickt ein Bundestag ab.
Das ist ein so entsetzlicher ethischer Offenbarungseid, dass mir bis heute die Worte dazu fehlen.
Wissen Sie, bei uns im Facharbeitskreis sind Betroffene, die so Furchtbares in diesen Zusammenhängen erlebt haben. Dagegen bin ich ein Glückspilz. Ich muss sicher nicht schildern, was die empfinden, wenn sie so etwas lesen.
Ich kann Ihnen keine juristische Analyse dieses Gesetzes bieten, wie gesagt, da möchte ich gerne auf Isensee, Herzberg Putzke, Scheinfeld u.a. verweisen,
Sehr wohl kann ich aber sagen, wie sehr hier von politischer Seite ein angeblicher Ausgleich von Interessen vorgegaukelt wurde, und stattdessen real Kinder eines Geschlechtes einfach in einer Frage entrechtet wurden.
Medizinisch fachgerecht…also nach den Regeln der ärztlichen Kunst?
Widerspricht nicht jeder, nicht absolut med. Indizierter Eingriff an nicht einsichts- und einwilligungsfähigen Menschen allen Regeln der ärztlichen Kunst?
Zumindest der ärztlichen Ethik „primum non nocere“, ja.
„Widerspricht nicht jeder, nicht absolut med. Indizierter Eingriff an nicht einsichts- und einwilligungsfähigen Menschen allen Regeln der ärztlichen Kunst?“
Ja.
Ich frage mich, was das für ein Begriff von Kindeswohl ist, den die Politik bzw. der Gesetzgeber da hatte bzw. hat – denn das Gesetz ist ja geltendes Recht. Vor zwei Jahren haben Dr. Ralf Eschelbach (Richter am Bundesgerichtshof), der Medizin-Professor Matthias Franz (Universitätsklinikum Düsseldorf) und Jura-Professor Jörg Scheinfeld (Universitäten Mainz und Wiesbaden) auf Anfrage der Giordano-Bruno-Stiftung ein Papier mit dem Titel „Zum Kölner Beschneidungsurteil und zur Schutzpflicht der Parlamentarier“ verfasst, in dem es heißt:
„Die Übergriffigkeit des Beschneidungsaktes erkennt man recht leicht, wenn man denn nur, was ethisch wie rechtlich geboten ist, die Perspektive der betroffenen Kinder einnimmt. Der Beschneidungsakt ist mitnichten der harmlose Eingriff, wozu ihn manche Apologeten erklären. (…) Aus der Perspektive des Kindes gibt es vor allem keine religiösen Gründe, sich beschneiden zu lassen und diese Risiken einzugehen. Es gibt weder im Islam noch im Judentum eine religiöse Pflicht des Kindes, sich beschneiden zu lassen. Entgegen oberflächlicher Betrachtungen ist der Beschneidungsakt auch im Judentum kein konstituierender Akt – Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter abstammt. Es gibt im Judentum zwar die Pflicht des Vaters, den Sohn zu beschneiden oder beschneiden zu lassen. Aber für die Erfüllung der Vaterpflicht sein Genital herzuhalten, das ist nichts, was aus der Perspektive des Jungen plausibel ist.“
Jedes Kind wird nach unserem säkularen Rechtsverständnis mit unverbrüchlichen Menschenrechten geboren, zu denen das Recht auf körperliche Unversehrtheit gehört. Sie beide, Herr Özgeday und Herr Schiering, sind keine Juristen – trotzdem meine Frage, denn Sie haben dazu doch sicher eine Meinung: Halten Sie die geltende gesetzliche Regelung für verfassungskonform?
Der Paragraph §1631d BGB ist zweifellos NICHT verfassungskonform.
Er ist ein Fremdkörper in der Gesetzgebung. Ein Skandal. Eine sexistische Diskriminierung.
Zum weiteren Vorgehen eine Anmerkung: Ich stehe heute Abend nicht für die weitere Unterhaltung zur Verfügung, aber es kann natürlich kommentiert und diskutiert werden. Ich schalte die Kommentare frei, sobald ich dazu komme.
Das Weiteren zu Ihrer Vorbereitung: Morgen, Mittwoch, möchte ich die Verfassungsfrage vielleicht noch etwas vertiefen, außerdem aber auch über Spätfolgen von Beschneidungen sprechen. Dazu kann dann auch gern Ulf Dunkel etwas beitragen, den ich heute nur mühsam bremsen konnte, mit Statements vorzupreschen. Er hat das Buch „Beschneidung: Das verborgene Trauma“ von Ronald Goldman übersetzt. Dann haben wir am Donnerstag und vielleicht auch noch am Freitag genug Zeit, uns über die Beharrlichkeit von Kulturgut zu unterhalten, wozu dann vielleicht Herr Özgeday wieder mehr beitragen kann. Also über die Frage: Warum ist so schwer, überlieferte Denkweisen zu verändern? Und nicht zuletzt, lieber Herr Schiering, möchte ich auch noch mit Ihnen über Vorhaut-„Restaurierung“ sprechen.
So weit mein Zeitplan, den ich hier öffentlich und transparent mache, damit die Ungeduldigen im Hintergrund, die mir heute einige unschöne Begegnungen beschert haben, wissen, dass ihre Themen noch drankommen. Bitte äußern Sie sich jetzt noch nicht inhaltlich dazu, sondern erst dann, wenn die Rede darauf kommt.
Danke und einen schönen Abend!
Zu dem Ausschnitt aus dem Papier kann ich nicht viel sagen, weil mich innerreligiöse Fragen nichts angehen. Natürlich bin ich dazu in dieser Thematik informiert, aber ich bewerte das nicht. Was mich allerdings angeht, ist, wenn dabei Menschenrechte verletzt werden. Denn Menschenrechte sind niemals Privatsache von niemandem, sondern gehen alle an, weil sie ja auch alle betreffen. So fällt jegliche Relativierung von Menschenrecht immer auf alle zurück. Das ist ja auch bei §1631d BGB der Fall.
§1631d BGB ist m.E. nach mehrfach verfassungswidrig. Es verletzt GG Artikel 1 (Würde des Menschen), Artikel 2 (Recht auf körperliche Unversehrtheit) und Artikel 3 (Gleichberechtigung der Geschlechter).
@Victor Schiering: Vielen Dank für den Link der Flüchtlingshilfe Blieskastel, der die Antworten der beiden relevanten Ministerien wiedergibt.
Es ist schon bezeichnend, was das Justizministerium sagt:
„Vor diesem Hintergrund war es Ziel der in § 1631d BGB enthaltenen Regelung, Rechtssicherheit für alle Betroffenen zu schaffen.“
Entweder wird hiermit schwarz auf weiß dokumentiert, dass das BMJ die Kinder in keinster Weise als Betroffene, sondern nur als Objekte und Besitztum ihrer Eltern ansieht. Oder es wird schwarz auf weiß dokumentiert, dass die betroffenen Kinder, nämlich minderjährige Knaben ab der Geburt bis zur Volljährigkeit, jetzt die Rechtssicherheit haben, dass sie in Deutschland durch das Grundgesetz NICHT in ihren Grundrechten geschützt werden. So oder so ist das Beschneidungsgesetz der „Sündenfall des Rechtsstaats“ (Prof. Reinhard Merkel).
Da die medizinisch nicht indizierte Genitalverstümmelung grundsätzlich nicht dem Kindeswohl dienen kann, ist aus meiner Sicht kein Fall medizinisch nicht indizierter Genitalverstümmelung von diesem Beschneidungsungesetz gedeckt. Aber das müsste endlich mal vom Bundesverfassungsgericht geklärt werden. Bis dahin werden weiterhin Erwachsene Kindergenitalien mit fadenscheinigen Begründungen verstümmeln lassen.
“
Bronski sagt:
26. März 2019 um 15:26
Würden Sie die Aussage unterschreiben: Im Mittelpunkt Ihrer Bemühungen steht das Kindeswohl.?“
Das Kindeswohl sollte im Zentrum aller Bemühungen, auch und besonders der staatlichen Bemühungen stehen, wenn es um Operationen an Kindern geht.
Das bedeutet, dass alle medizinisch im Kindesalter nicht notwendigen Operationen unterbleiben müssen. Denn jede Operation ist ein Risiko, und in eine medizinisch nicht notwendige Operation kann nur der Betroffene einwilligen, wenn er alt genug ist.
Es sind nicht nur Vorhautamputationen, es geht von Ohrlochstechen bei Babys, Piercings (weil die Eltern auch von oben bis unten gepierced sind) Tätowierungen, überflüssigen Mandel- Und Blinddarm-OPs (gibt es alles) über Elternwunsch-Vorhautamputationen bis hin zu „geschlechtsangleichenden“ Genitalverstümmelungen.
Hier versagt der Staat in seinem Wächteramt total und alles in der Politik schaut geflissentlich weg.
Ironischerweise hat sich der Gesetzgeber beim §1631d BGB auf das Kindeswohl berufen. Die Eltern wüssten in der Regel am besten, was das Kindeswohl sei, das Kindeswohl wurde einfach mit dem Elternwohl gleichgesetzt. Und deshalb wäre der Raub der Jungenvorhaut in der Regel mit dem Kindeswohl vereinbar, ein Taschenspieler-Trick.
Einmal aber hat der Saat nicht weggeschaut, da war er auf einmal hellwach: bei den „12 Stämmen“.
Da ging es um die Züchtigung von Kindern, die erst seit 19 Jahren verboten ist. Und das obwohl sich die „12 Stämme“ auf ihren Glauben beriefen. Da war auf einmal nichts mehr mit „Religionsfreiheit über alles“. Da hieß es auf einmal nicht mehr, die Eltern wüssten am besten, was das Kindeswohl ist.
Es ist gut, dass die Züchtigung von Kindern endlich verboten ist – aber der Staat muss sich vorhalten lassen, das er mit zweierlei Maßstäben misst.
Wie auch in der krassen geschlechtlichen Diskriminierung, die durch den §1631d BGB und den §226a StGB gegeben. Seit Jahrzehnten arbeitet der Gesetzgeber daran, die Gesetze geschlechtlich zu symmetrisieren, Z.B. u.v.a wurde im §226 StGB das Wort „Zeugungsföhigkeit“ durch „Fortpflanzungsfähigkeit“ ersetzt, so dass Mädchen/Frauen auch geschützt sind.
Wenn es darum ging, gesetzliche Benachteiligung von Frauen zu beseitigen war der Gesetzgeber emsig. Das ist auch gut so!
Um so enttäuschender und unverständlicher ist es, jetzt wieder zwei geradezu geschlechtlich komplementäre Gesetze zu schaffen einerseits zum Schutz von Mädchen, andererseits zur Entrechtung von Jungen.
Es geht um den Körper des Kindes, und nicht die der Eltern. Es geht um das Kindeswohl, nicht das Wohl von Erwachsenen. Nicht darum, dass der Vater sagen kann: „mein Sohn ist jetzt so wie ich“. Das wird er sowieso nie. Je nach Vater kann man manchmal sagen „Schade!“, bzw. manchmal „Gott sei Dank!“
Die Wahrscheinlichkeit, dass einem Junge aus nicht-medizinischen Gründen die Vorhaut geraubt wird hängt fast ausschließlich davon ab, ob der Vater oder der Großvater mütterlicherseits vorhautlos ist/war.
@Ulf Dunkel:
„In keinem Land und keinem Staat auf der Erde ist Körperverletzung gesetzlich erlaubt. Außer in Deutschland für Knaben“
Das ist so nicht ganz richtig formuliert. Jede Operation ist eine Körperverletzung, und Operationen, auch an Kindern sind in wohl allen Ländern erlaubt.
Die Zwangsamputation der Vorhaut von gesunden Jungen ist meines Wissens nach nicht nur in Deutschland, sondern mindestens auch in Norwegen und Schweden unter bestimmten Rahmenbedingungen explizit gesetzlich erlaubt. In praktisch allen anderen Ländern wird diese Körperverletzung, ähnlich wie Deutschland vor 2012, von der Rechtsprechung schlicht ignoriert.
Während Mädchen in allen westlichen Ländern vor Genitalverletzungen gesetzlich geschützt sind ist dieser Schutz für Jungen eingeschränkt.
Kastrieren ist zwar verboten, aber die Sensorik erheblich zu reduzieren wird nicht verfolgt
Guten Morgen, Herr Schiering und Herr Özgeday!
Hat es irgendwelche Anstrengungen gegeben oder gibt es welche, gegen §1631d BGB vorzugehen?
Ich rufe den Text in Erinnerung:
§ 1631d Beschneidung des männlichen Kindes
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind.
Guten Morgen!
Gegen 1631d BGB mit einer Verfassungsklage vorgehen kann nur eine Normenkontrolle des Deutschen Bundestages, eine Landesregierung oder ein vom Gesetz selbst Betroffener, dessen Ansprüche aber soweit ich informiert bin mit Erreichen der Volljährigkeit verjährt sein dürften.
Es war ja geäußerte Absicht, die Klagemöglichkeit für Betroffene zu erschweren. Jerzy Montag von den Grünen nannte das damals zynisch, man wolle keine Konflikte in Familien bringen.
Ich hatte 2013 stellvertretend für meinen Sohn Verfassungsbeschwerde gegen §1631d BGB erhoben. Diese wurde begründungslos nicht angenommen. Über das Warum kann ich nur mutmaßen, denn das BVerfG muss seine Nichtannahmeentscheidungen nicht begründen und hat von diesem Recht Gebrauch gemacht. Ob es Formfehler waren oder ob sich das BVerfG hier politisch verhalten hat und auf diese Weise schlicht die Staatsräson, dass Genitalverstümmelung legal sein muss, wahren wollte, werden wir wohl nie erfahren. Mit der Nichtannahme ist aber, darauf möchte ich hinweisen, explizit nicht darüber entschieden worden, ob §1631d BGB verfassungskonform ist oder nicht. Ich tendiere dazu, anzunehmen, dass das BVerfG sich eher auflösen würde, als freiwillig über diese Frage entscheiden zu müssen, denn entweder es verrät seine eigenen Grundsätze und reisst das Tor für andere Missbrauchstatbestände (etwa die leichteren Formen von FGM) weit auf, oder es hätte sich zusammen mit dem Amtsgericht Köln den Antisemitismusvorwurf anhören müssen. Beides keine verlockenden Aussichten. Da hat man den Exit über eine begründungslose Ablehnung genommen. Schwamm drüber, Deckel drauf, auf zum sonstigen Tagesgeschäft.
Die formalen Anforderungen an eine Verfassungsbeschwerde sind hoch, insbesondere die sogenannte Betroffenheit ist Voraussetzung, d. h. man kann nur gegen eine Grundrechtsverletzung klagen, von der man selbst und unmittelbar betroffen ist. Ich vertrete die Ansicht, dass eine jeder Junge von dem von §1631d BGB ausgehenden Grundrechtseingriff betroffen ist und dieser Grundrechtseingriff nicht erst durch den Vollzug der Tat eintritt, sondern bereits durch den Entzug des Rechts auf körperliche Unversehrtheit eintritt. Aber wie so immer, andere sehen das anders, und meinen, dass nur hätte klagen können, wer unter §1631d BGB tatsächlich beschnitten worden wäre, was aber eigentlich absurd wäre, denn der Grundrechtseingriff bzw. -entzug besteht ja alleine durch die Existenz von §1631d BGB.
Bei diesem Gesetz verstehe ich zwei Punkte nicht.
1.“Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.“
Das Kindeswohl wird doch immer doppelt gefährdet. Einmal durch den Eingriff selbst, der wie jede Operation immer eine Gefahr für die Gesundheit des Kindes darstellt. Und zum anderen, weil doch mittlerweile bekannt ist, welche dauerhaften Schäden eine Beschneidung hervorruft oder zumindest hervorrufen kann.
2. Wieso dürfen ausgerechnet besonders junge Säuglinge von nicht ärztlich ausgebildeten Menschen beschnitten werden? Sind die weniger gefährdet als Jungen über 6 Monate? Wie kommt man zu dieser Altersgrenze?
Für eine Normenkontrollklage durch den Bundestag müssten ein Viertel der Mitglieder des Parlaments einen Antrag ans Verfassunsggericht stellen. Das ist wohl nicht zu erreichen, oder?
Was sind die Alternativen? Versuchen, betroffene Eltern aufzuklären?
Aufklärung ist sowieso die wichtigste Aufgabe. Gesetze allein können Kinderschutz nicht komplett umsetzen, das sehen wir ja bei vielen anderen Beispielen auch.
Natürlich sind die Mitglieder des Deutschen Bundestages alle in der Verantwortung, eine Normenkontrolle zu ermöglichen. Darauf müssen sie immer wieder hingewiesen werden. Also braucht es auch öffentlichen Druck. Mit dem nichts hören nichts sehen nichts wissen wollen dürfen sie nicht mehr durchkommen.
In Deutschland halte ich es für am ehesten wahrscheinlich, dass §1631d BGB aufgrund einer Verurteilung wegen §226a StGB überprüft wird und Eltern, die z. B. verurteilt wurden, weil sie ihrer Tochter die Schamlippen angeritzt haben, vor das BVerfG ziehen und wenn dieses sich dann erneut weigern sollte, darüber zu verhandeln, vor europäische Gerichte ziehen werden. Bislang hat es aber noch überhaupt keine Verurteilung wegen §226a StGB gegeben und es sieht auch so aus, als ob das auf lange Zeit so bliebe. §1631d BGB trägt daran sicher auch Mitschuld.
Ein disruptives Ereignis, dass den politischen Druck schlagartig wieder erhöht, etwa der Tod eines Kindes, dass gemäß §1631d BGB misshandelt wurde, mal außen vorgelassen, wird sich in Deutschland auf absehbare Zeit rechtlich nichts tun. Der Druck wird aus Europa kommen. In Island und Dänemark läuft derzeit eine intensive Diskussion über ein Verbot und in England gab es jetzt eine erste Verurteilung wegen FGM. Ich bin fest davon überzeugt, dass der gesellschaftliche Wandel hin zu mehr Kinderrechten fortsetzen wird und irgendwann der Druck in Europa so hoch wird, dass die Politik in dieser Frage nicht mehr ausweichen kann und wird.
Ob §1631d verfassungskonform ist? Darf es in einem Rechtsstaat Gesetze geben, die etwas erlauben, einen Übergriff erlauben? Kann hier mir einer EIN Gesetz nenne, das etwas erlaubt?
Sollte es Gesetze nicht allein nur zum Schutz von Rechten geben? In unserem Land gab es mal Gesetze, die Menschen bewerteten…diese Gesetze waren Grundlage für unsägliches Unrecht…
Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand. (Seneca)
Wenn wir genug Anstand hätten…?
Die Bundesregierung, ein Viertel des Bundestags oder eine einzelne Landesregierung können die abstrakte Normenkontrolle beantragen.
Ein Gericht hingegen kann eine konkrete Normenkontrolle beantragen, WENN ein Fall zu verhandeln ist, bei dem § 1631d BGB berührt ist UND das Gericht von der Unvereinbarkeit des „Beschneidungsungesetzes“ mit der Verfassung überzeugt ist.
Der letztere Fall ist m.E. eher möglich, solange es kein Umdenken in der Politik gibt. Dieses Umdenken würde sich sicher auch mit der dann automatisch erneut drohenden Antisemitismuskeule konfrontiert sehen. Das muss ausgehalten werden. Denn Menschenrechte der Kinder auch gegen den Willen ihrer Eltern oder Religionsgemeinschaften durchzusetzen, ist natürlich nicht antisemitisch. Natürlich ist Deutschland aufgrund seiner unsäglichen Geschichte heute sensibel, was in diesem Fall zu einer schwierigen Situation führt. Es ist aus meiner Sicht allerdings eben dieser Sensibilität geschuldet, dass sich im heutigen, geläuterten Deutschland Menschen auch für die Menschenrechte von Kindern jüdischer (und muslimischer) Eltern einsetzen. Alles andere wäre eben genau das: antisemitisch.
Aufklärung also. Was halten Sie von dem Vorschlag des Juristen Jochen Bittner, eine Beratungspflicht in den Paragraphen 1631d BGB einzubauen und Beschneidungen ab dem ersten Lebensjahr zu verbieten?
Zur Beratungspflicht:
Das wäre sozusagen die Mindestsofortmaßnahme, um die erfolgte völlige Rechtlosstellung zumindest abzumildern, für eine Übergangsfrist.
Hinzu muss kommen, was in den Abschlussforderungen der Fachtagung „Jungenbeschneidung in Deutschland“ am Universitätsklinikum Düsseldorf 2017 formuliert wurde:
„Schon derzeit muss folgende Regelung getroffen werden:
Das Kind soll, auch als Erwachsener – angelehnt an die Regeln des StORMG* – das Recht haben, die Einwilligung der Eltern zu widerrufen. Übt der Beschnittene dieses Recht aus,
begründet dies eine Schadensersatzpflicht der Sorgeberechtigten. Der oder die
Beschneidende haften für Fahrlässigkeit, auch bei der Aufklärung der Sorgeberechtigten und des Kindes.
Dies gilt auch, wenn keine vollumfängliche und am Kindeswohl orientierte Aufklärung dokumentiert ist.
* Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs
http://www.jungenbeschneidung.de/material/Abschlussforderungen.pdf
Ein Verbot ab dem ersten Lebensjahr wäre ebenfalls mehrfach verfassungswidrig. Außerdem ist es auch aus medizinischer Hinsicht nicht zu rechtfertigen.
Ich kann nicht nachvollziehen, was das bringen sollte. Was für ein Signal ginge davon aus?
Je jünger ein Junge, desto weniger wird er geschützt?
Das kann nicht unsere Zustimmung finden.
Jochen Bittner hat dabei den Religionsfrieden im Auge. Der war wohl auch maßgeblich für den Paragrafen 1631d in der jetzigen Gestalt.
Guten Tag nun auch von mir. Ich stimme meinem Kollegen Schiering vol und ganz zu.
Nein das wäre absolut ein falsches Signal bzw. gar kein Signal
Aufklärung ist in (fast) allen Belangen dieser Welt die „Lösung“ bzw. der richtige Ansatz. Welche Eltern wollen ihren Kindern denn bewusst schaden? Vielleicht eine handvoll psychisch kranke. Verbote sind zunächst Signale und Vorgaben. Doch langfristig geht es darum die Leute soweit aufzuklären, dass sie die Ethik dahinter verstehen. Kinder sind kein Besitz. Das wurde vielleicht früher mal so gehandhabt. Kinder als Besitz, als Projektionsfläche für die eigenen Werte, als spätere Lebensversicherung etc.
Die Religionen fungieren oft als Träger solcher alten Traditionen und Denkweisen. Viele von ihnen haben wir erfolgreich überwunden. MGM ist aber eine besondere Geschichte. Man ist noch nichtmal soweit die Schwere des Übergriffs anzuerkennen. Man streitet drum und schiebt es hin und her. Zudem geht es um Jungs/Männer. Auch ein Aspekt denn Frauenrechte sind gegenwärtig einfach salonfähiger. Wieso möchte man nicht einfach „KINDER“ schützen?`Unabhängig vom Geschlecht? im Feld „Sprache“ lesen wir täglich immer mehr teils alberne Versuche das „Konstrukt“ Geschlecht abzuschaffen und aus der Sprache zu tilgen. Wie gerne würde ich sehen dass man die Sprache ruhen lässt und in Sachen körperliche Unversehrtheiten endlich die „Geschlechterbrille “ absetzt, denn hier wird wie gesagt massivst diskriminiert. Warum sind zB. die Genitalien meiner drei Nichten mehr wert als die meines Sohnes? Warum dürfte ich als türkischer Vater auf meiner Kultur beharrend meinen Sohn im Rahmen unseres Gesetzes verletzen lassen?
„Was halten Sie von dem Vorschlag des Juristen Jochen Bittner, eine Beratungspflicht in den Paragraphen 1631d BGB einzubauen und Beschneidungen ab dem ersten Lebensjahr zu verbieten?“
Menschenrechte gelten ab der Geburt, nicht erst ab dem 1. Jahrestag der Geburt.
Inzwischen ist das Bewusstsein gewachsen, dass es sich keineswegs um einen kleinen Schnitt handelt, sondern um eine Amputation, die Folgen haben kann, sichtbare und nicht-sichtbare. Vom Vertrauensverlust haben Sie, Herr Özgeday, schon berichtet. Das Erlebnis hat Ihr Verhältnis zu Ihren Eltern schwer beeinträchtigt. Es war traumatisch. Gibt es Erkenntnisse – also Studien, wissenschaftliche Untersuchungen – über diese Folgen und ihre Schwere?
„Frieden“ auf Kosten von Kinderschutz ist niemals „Frieden“.
Für Frieden müssen wir Erwachsenen schon selbst sorgen und selbst dafür Verantwortung tragen und nicht Kinder den Preis dafür zahlen lassen.
„Frieden“ kann es auch nur auf der Basis unteilbarer Menschenrechte geben. Jegliche Relativierung gefährdet letztendlich Frieden.
Der Religionsfrieden wäre durch eine Frist bis zum Alter von einem Jahr nicht gewahrt, denn da würden sich Muslime zu Recht massiv diskriminiert fühlen.
Die jetzige 6 Monatsfrist, in der auch Nicht-Ärzte befugt sind, Kindern Teile der Genitalien zu entfernen, hat natürlich keinerlei medizinsche Rechtfertigung, sondern ist alleinig der verzweifelte Versuch, das jüdische Ritual in der gelebten Praxis in der Synagoge weiter legal zu halten. Dass dort die angeblich erforderliche ärztliche Kunst nicht eingehalten wird, wird dabei zwar einfach ignoriert, aber die ärztliche Kunst war ja eh nie als ärztliche Kunst zu verstehen gewesen, sondern so, wie es Dieter Graumann damals forderte, die vollständige Legalisierung zu ihren Bedingungen.
Das Thema wird ja in Analysen noch meist ausgeklammert. Man forscht zu Mozarthören bereits im Mutterleib, aber nicht dazu was passiert wenn einem Jungen Genitalteile abgeschnitten werden. Aber das Interesse wächst. Ronald Goldman forscht dazu in den USA, Matthias Franz hat dazu in Deutschland publiziert. Beratungsstellen bekommen zunehmend Anfragen von Betroffenen.
( Bronski fragt: „Gibt es Erkenntnisse – also Studien, wissenschaftliche Untersuchungen – über diese Folgen und ihre Schwere?“ )
Die Vorhaut ist sensibler als die menschlichen Lippen oder Fingerspitzen. Die Vorhaut, nicht die Eichel, ist der für leichte Berührung empfindlichste Teil des intakten männlichen Geschlechtsorgans (Sorrells, Snyder, Reiss, Ede, Milos, Wilcox, Van Howe: Fine-touch pressure thresholds in the adult penis).
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/17378847
Aufgrund ihrer sexuellen Empfindsamkeit spielt das Präputium eine bedeutende Rolle im Sexualleben unbeschnittener Männer und belastet eine jede Vorhautamputation Sexualität, Sexualpartner und Partnerschaft (Frisch, Lindholm, Grønbæk: Male circumcision and sexual function in men and women: a survey-based, cross-sectional study in Denmark).
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21672947
Ronald Goldmans aktuelles Buch heißt „Beschneidung: Das verborgene Trauma“. Ich habe es noch nicht gelesen, aber der Übersetzer Ulf Dunkel ist in diesem Blogtalk schon aktiv gewesen und kann uns sicher was darüber erzählen, welche Folgen dieses Trauma hat.
Boyle G. et al. Male circumcision: Pain, trauma and psychosexual sequelae. Journal of Health Psychology2002;7:329-343.
http://www.cirp.org/library/psych/boyle6/
.
Goldman R. The psychological impact of circumcision. BJU Int 1999;83(Suppl 1):93-102.
http://www.cirp.org/library/psych/goldman1/
( Psychische Folgen der Beschneidung )
The Psychological Impact of Circumcision
( Umfangreiches Quellenverzeichnis: References – Revised January 2016, by Ronald Goldman, Ph.D. )
https://www.doctorsopposingcircumcision.org/for-professionals/psychological-impact/
.
Noch zu den körperlichen nachteiligen Folgen jeder Zirkumzision; zu lesen ebenfalls bei den m. E. sehr empfehlenswerten D.O.C Doctors Opposing Circumcision
The Sexual Impact of Circumcision
https://www.doctorsopposingcircumcision.org/for-professionals/sexual-impact/
Danke für die Quellen. Vielleicht kann ja jemand auch noch zusammenfassend über diese Kenntnisstände berichten. Für das Interview, dass ich aus diesem Blogtalk für die FR zu machen gedenke, brauche ich Statements dringender als Quellen.
Die aktuelle Leitlinie „Phimose und Paraphimose“ leitet aus vorhandenen Daten her, dass die Vorhaut aufgrund ihrer nervalen Struktur deutlich mehr als die Eichel für das sexuelle Empfinden von Bedeutung ist.
Aber so interessant so etwas ist: mich stören Doppelstandards bei Bewertungen. Macht irgendwer in unserer Kultur seine Haltung zu verschiedenen Formen weiblicher Genitalverstümmelung davon abhängig, ob an welcher Stelle welche Nervenenden sind? Im Gegenteil, richtigerweise geschieht das nicht, sondern es ist klar, dass an weiblichen Genitalien grundsätzlich nichts überflüssig ist und somit logischerweise auch jede Manipulation daran Folgen hat. Was denn sonst?
Nur bei Jungen werden diese Fragen gestellt.
Ich finde es gut und wichtig, dass sie von Fachleuten bearbeitet werden.
Aber ansonsten haben sie für uns als Kinderrechtler*innen keine Relevanz.
“ Vorschlag des Juristen Jochen Bittner, eine Beratungspflicht in den Paragraphen 1631d BGB einzubauen und Beschneidungen ab dem ersten Lebensjahr zu verbieten?“
Beratung? Etwa auch eine „ergebnisoffene“? Das würde dann vermutlich so laufen wie beim §218a StGB: man braucht den Schein um zu tun,was man eh tun will, man geht zur „ergebnisoffenen“ Beratung, man stellt die Ohren auf Durchzug, man greift sich den Schein, und ab zum Arzt oder „Beschneider“ mit dem Kind.
Und auf dem Weg noch über diese Schikane mit der „Zwangsberatung“ fluchen.
Ab dem ersten Lebensjahr verbieten? Das wäre ja geradezu paradox! Erst ab dem ersten, besser zweiten Lebensjahr besteht überhaupt die ungefährliche Möglichkeit einer einer solchen Operation im Kindesalter angemessenen (General-)Anästhesie mit zusätzlicher lokaler Anästhesie.
Herr Bittner hat leider keine Vorschläge gemacht, wie in dem Fall die Schmerzen ausgeschaltet werden sollen. Eine Operation eines Kindes mit Hilfe von EMLA-Quacksalbe oder Alkohol-Sedierung ist ein Verstoß gegen Artikel eins der Verfassung, auf die sich Bittner beruft: „Vor den Gesetzen der Logik muss sich religiöse Praxis nicht rechtfertigen. Vor dem Grundgesetz schon“
Es ist aber nun mal so, dass ein Teil der religiösen Eltern den zugefügten Schmerz als notwendigen Teil des Rituals erachten – der Staat schaut geflissentlich weg. Eine Narkose wäre für diese daher religiös gesehen gar nicht akzeptabel, ganz abgesehen davon, dass sie im ersten Lebensjahr zu riskant wäre.
Aber auch mit optimaler Schmerzausschaltung (nach der OP gibt es immer Schmerzen und Beschwerden) bleibt der irreversible Verlust, lebenslang nachwirkende Verlust. Und dann kommt Bittner wie viele andere auch mit dem „Pfuscher“. Ein Argument, dass wenn es um „Beschneidungen“ von Mädchen – selbst wenn es um geringfügigere Formen geht – niemand akzeptieren will. Auch in Arztpraxen und Krankenhäusern sterben Jungen, werden schwerbehindert oder schwer verstümmelt bei dieser Operation. So lange der Staat sich auf den Standpunkt stellt, dass kein Schaden entsteht, dass das völlig OK ist wird das weiterhin massenhaft stattfinden. Je mehr Fälle, desto mehr Komplikationen. Dann wird gesagt: „Ein Verbot würde nichts ändern – die machen das so oder so“. Seltsamerweise lässt man das selbe in Bezug auf Mädchen nicht gelten. Auch nicht in Bezug auf religiös motivierte Züchtigung.
Was würde das auch für ein Zeugnis über solche Religions- oder Traditionsgemeinschaften ausstellen, wenn sie eher das Leben ihrer Kinder riskierten, sie einem Pfuscher auslieferten als dass sie auf diese Körperverletzung verzichteten?
Müsste man dann nicht von religiöser Verblendung oder religiösem Wahn sprechen?
Unterm Strich würde Jungen bei einem Verbot mit konsequenter Strafverfolgung verbunden mit massiver Aufklärung viel Leid erspart bleiben. So wie es bei Mädchen längst der Fall ist. Wäre die „Beschneidung“ von Mädchen hier legal dann würde sie (bei der Zahl der Einwanderer aus entsprechenden Regionen) auch hier zahlreich stattfinden. Es wird aber allen Migranten klargemacht, dass das hier verboten ist und bestraft wird.
Wenn man nicht glaubt, dass Gesetze eine Schutzwirkung haben kann man auch den §223 StGB (Körperverletzung) bzw. das gesamte Strafgesetzbuch abschaffen.
Was es braucht, ist nicht wie von Bittner vorgeschlagen ein Höchstalter, sondern im Gegenteil ein Mindestalter (für beide Geschlechter) für medizinisch nicht notwendige reduktive Eingriffe an den Geschlechtsorganen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die nötige Reife für eine solche Entscheidung vor dem 18. Lebensjahr sicher vorhanden ist.
Jochen Bittner hatte in seinem Artikel viel Vernünftiges und Bedenkenswertes zum Thema geschrieben – nur der Abgang, der war leider schwach.
Eine der handfesten, physischen Folgen der Amputation ist die „Verlederung“ der Eichel, die ja nun nicht mehr von der Vorhaut geschützt wird. Trifft dieses Wort „Verlederung“ zu, oder wie beschreiben Sie diese Veränderung? Welchen Einfluss hat das auf das sexuelle Empfinden und das Sexualverhalten?
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 1631d Beschneidung des männlichen Kindes
– hallo FR-Blog – das Äquivalent zu Knabe ist Mägdelein oder aber die Entsprechung zu Knabe ist Maid oder Burgfräulein –
– nun, sagen wir doch, was ein Mädchen ist und was ein Junge. Und bekennen wir uns gegen jede rituelle Operation im Genitalbereich eines Menschen unter 18 Jahren.
Die korrekte Vokabel lautet Junge – nicht Knabe.
Und dann kommen wir bitte endlich zum Thema lebenslange Schädigung durch jede Zirkumzision …
(Sorrells, Snyder, Reiss, Ede, Milos, Wilcox, Van Howe: Fine-touch pressure thresholds in the adult penis)
(Frisch, Lindholm, Grønbæk: Male circumcision and sexual function in men and women: a survey-based, cross-sectional study in Denmark)
@ Nguyen Tran
Bei diesem Thema sind wir jetzt. Danke für Ihre Geduld. Ich benutze den Begriff „Knabenbeschneidung“ übrigens bewusst.
Neben dem Verlust der erogenen Zone Vorhaut an sich und der Zerstörung des natürlichen Stimulationsmechanismus ist die Verhornung der Eichel eine zwingende Folge der Vorhautamputation.
Er wird ja auch häufig für Erwachsenenbeschneidungen von Urologen genannt à la: „Zuerst kann die freiliegende Eichel etwas überempfindlich sein, aber das gibt sich bald.“ Ah ja. Genau.
Als Kinder Betroffene haben die Möglichkeit des umgekehrten Vorgangs durch Maßnahmen der Vorhaut-„Wiederherstellung“: wird die restliche Haut dabei mit Geräten dauerhaft fixiert und so wieder eine Hautfalte etabliert, lösen sich meist nach einiger Zeit diese Hautschichten auf der Eichel wieder. Der Vorgang ähnelt dem nach einem Sonnenbrand. Wenn noch Vorhautreste vorhanden sind, verändern auch diese sich, werden weicher und empfindlicher.
Die Folge ist eine in der Regel deutlich „stärkere“ Empfindlichkeit.
Ich setze “ „, weil es sich ja eigentlich nur um die natürliche Empfindlichkeit der verbliebenen Teile am Penis handelt.
Bleiben wir bitte noch bei den Veränderungen infolge der Amputation. In früheren Blogtalks zu diesem Thema wurde diese Verhornung der Eichel von einzelnen Teilnehmern an der Unterhaltung als positiv empfunden. Sie erlebten eine gesteigerte sexuelle Leistungsfähigkeit, weil es weniger häufig zu einem frühzeitigen Orgasmus kam. Wie kommentieren Sie diese Haltung?
um noch konkret die Fragen von Brigitte Ernst von 11:13 zu beantworten:
„Bei diesem Gesetz verstehe ich zwei Punkte nicht.
1.“Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.“
Das Kindeswohl wird doch immer doppelt gefährdet. Einmal durch den Eingriff selbst, der wie jede Operation immer eine Gefahr für die Gesundheit des Kindes darstellt. Und zum anderen, weil doch mittlerweile bekannt ist, welche dauerhaften Schäden eine Beschneidung hervorruft oder zumindest hervorrufen kann.“
Man setzt dabei in der Tat voraus, dass die Vorhautamputation an sich nicht gegen das Wohl des Kindes verstößt bzw. sogar zum Wohle des Kindes ist, zur Eingliederung in seine Religion und Kultur (sogenannte Sozialadäquanz). Das geht sogar so weit, dass man annimmt, dass ein Junge zu leiden habe, wenn er nicht „beschnitten“ würde, weil er dann aus seiner Gemeinschaft ausgegrenzt wäre. (Natürlich wäre dieses Argument hinfällig, wenn eine Vorhautamputation generell frühestens ab 18 Jahren erlaubt wäre…)
Daher soll sich diese Formulierung nur auf Fälle beziehen, in denen Eltern ihren Sohn etwa als Bestrafung oder zum Erschweren der Selbstbefriedigung „beschneiden“ lassen wollen (und das auch noch offen zugeben).
„2. Wieso dürfen ausgerechnet besonders junge Säuglinge von nicht ärztlich ausgebildeten Menschen beschnitten werden? Sind die weniger gefährdet als Jungen über 6 Monate? Wie kommt man zu dieser Altersgrenze?“
Nein, Jungen unterhalb von 6 Monaten sind sogar mehr gefährdet, da sie natürlich generell empfindlicher und kleiner sind, weniger Blutverlust tolerieren, ihr Immunsystem noch weniger ausgereift ist etc. Dazu kommt, dass für sehr junge Babys eine bei älteren Jungen übliche Vollnarkose wegen des hohen Risikos nicht in Frage kommt, sie also noch mehr Schmerzen zu erleiden haben.
Dieser Passus hat also keinerlei medizinische Gründe, sondern soll hauptsächlich die traditionell am achten Lebenstag erfolgenden Vorhautamputationen durch jüdische Beschneider ermöglichen.
Die Altersgrenze von 6 Monaten ist relativ willkürlich gewählt, wobei man ab diesem Alter dann auch schon eher eine Vollnarkose riskieren würde, die natürlich nicht ohne ärztliche Ausbildung möglich ist. Eine besser an den eigentlichen „Wunschtermin“ angepasste Altersgrenze hätte man auch religiös begründen müssen und eine solche offensichtliche Sonder-Gesetzgebung wollte man nicht.
Dr. Goldman hat in seinem Hauptwerk „Beschneidung: Das verborgene Trauma“ seine Erkenntnisse aus eigener Forschung und anderen wissenschaftlichen Quellen sowie aus vielen Berichten Betroffener zusammengefasst. Ich hielt es für sehr wichtig, nach dem Buch „Unaussprechliche Verstümmelungen“ auch dieses Buch ins Deutsche zu übertragen, weil mich 2012 geärgert hat, dass Politiker aller Parteien behaupteten, es gäbe keine Männer, die negative Folgen durch ihre frühkindliche Beschneidung erfahren haben. Die Berichte Betroffener in diesen Büchern und die Studien verschiedenster Forschungszweige, vor allem aber aus der Traumaforschung, haben viel veraltetes Wissen entlarvt. Noch vor wenigen Jahren wurden sehr oft Säuglinge und Kleinkinder ohne jegliche Narkosemedikation operiert, weil selbst gebildete Ärzte davon ausgingen, dass kleine Kinder nichts spüren würden und sich nicht erinnern würden. Die Traumaforschung und viele, viele Therapeuten wissen heute, dass gerade frühkindliche Traumata eine hohe Auswirkung bis ins Erwachsenenalter haben.
Hochkomplex ist dabei der menschliche Verdrängungsmechanismus, der z.T. gesund ist, um mit unaussprechlichem Leid überhaupt umgehen zu können, aber der auch psychische und sogar körperliche Folgen aufgrund unterdrückter Leid-Erfahrung bewirken kann. Wenn Menschen aufgrund eines Trigger-Erlebnisses ihr Trauma erneut erleben, erschrecken viele über die immense Wut, die in ihnen steckt. Es ist wichtig, dass Betroffene nicht noch von der Politik ignoriert oder gar verhöhnt werden, sondern endlich ernstgenommen werden. Nur so wird die leidvolle Schmerzkette endlich durchbrochen werden können. Dafür brauchen wir ein gesetzliches Verbot der medizinisch nicht indizierten Genitalmodifikationen bei Kindern aller Geschlechter.
Wenn das ein als Erwachsener in mündiger und informierter Einwilligung Beschnittener für sich so wahrnimmt, ist das doch völlig in Ordnung.
Es gibt auch Leute, die sich z.B. die Lippen aufspritzen oder sich Tattoos sonstwohin setzen lassen. Und die das toll finden. Nichts läge mir ferner als Eigenentscheidungen anderer für sich selbst zu werten. Das ist Privatsache und geht niemand anderen etwas an.
Keiner käme aber jemals auf die Idee, diese eigenen Vorlieben auf Kinder zu projizieren.
Das ist der alles entscheidende Punkt!
Die gesamte Diskussion müssen wir ja nicht führen, weil manche Leute auf kosmetische Veränderungen an Penissen stehen.
Sondern weil man Jungen und den späteren Männern (und intergeschlechtlichen Kindern und weltweit gesehen Kindern) die Selbstbestimmung über ihre Genitalien einschränkt!
Deswegen ist schon die Bezeichnung „Beschneidungsgegner“ irreführend und geht de facto an der Debatte vorbei.
Worüber wir debattieren ist:
Pro oder contra Selbstbestimmung!
Und wir stehen für Selbstbestimmung.
Die Veränderungen durch eine Beschneidung, sie obliegen eigentlich doch nur der individuellen Wahrnehmung? Wenn von „gesteigerter sexueller Leistungsfähigkeit“ und „weniger häufig zu einem frühzeitigen Orgasmus“ die Rede ist, dann gehe ich Männern aus, die sich im Erwachsenenalter beschneiden ließen, denn hier wird ja verglichen vorher/nachher? Beschreiben diese Männer aber damit nicht eindeutig einen Verlust an Empfinden? Qualität versus Quantität…die einen sagen sie können länger, andere wie ich sagen, ich muss länger…manchmal solange, dass es meiner Partnerin schmerzen bereitet, und wir abbrechen müssen…
Wenn sich jemand als Erwachsener beschneiden lässt, WIE er die Folgen dieses Eingriffes wahrnimmt, er Sexualität hinterher erlebt, ist glaub sehr komplex und von verschiedenen Faktoren abhängig.
Zum einen der Beschneidungsstil…eine Beschneidung, bei der das hochsensible innere Vorhautblatt und das Frenulum weitest möglich erhalten blieben, kann man glaub nicht mit einer radikalen Beschneidung, wo Penis auf Eichel, Narbe und bei Erektion spannender Schafthaut reduziert ist, bezüglich Sensorik vergleichen.
Dann der Leidensdruck…jemand, der starke Probleme, Schmerzen durch seine Vorhaut hat (ständige Entzündungen usw., wo alles behandeln erfolglos blieb), der so keinen schmerzfreien Sex mehr haben kann, und nach seiner Beschneidung sagt, dass es für ihn eine Verbesserung war…einleuchtend? Ich kannte mal einen Mann, der sich seinen Fuß amputieren ließ, weil nach einem Unfall ständig Entzündungen und Schmerzen hatte…für ihn war der Eingriff eine Verbesserung seiner Lebensqualität…aber deswegen würd ich mir keinen Fuß entfernen lassen…
Dann gibt es noch Männer, die sich freiwillig ohne jedwedes med. Problem beschneiden lassen…und hinterher von einer Verbesserung ihres sexuellen Erlebens berichten. Auch die haben einen Leidensdruck…sie empfinden ihren natürlichen und vollkommen gesunden Körper als unhygienisch, unästhetisch…aber wer sich und seinen Körper als unhygienisch und unästhetisch sieht…kann der sich auf Sexualität überhaupt einlassen, ihn genießen?
Stichwort Keratinisierung (Verhornung) der Eichel.
Man betrachte diese verschiedenfarbig markierten Zonen in den beiden Grafiken zum Penis (Ansicht dorsal wie ventral; unbeschnitten wie beschnitten) und beachte die – von Natur aus schmale – Zone an der Glans (Eichel) im Bereich von Eichelkranz (Corona glandis) und Kranzfurche (Sulcus coronarius), von der Harnröhrenmündung abgesehen der einzige Bereich der Eichel, der „Lustrezeptoren“ enthält und eben nicht lediglich Nozizeptoren (detektieren lediglich Schmerzreize und leiten diese weiter).
Die genannte Zone zeigt in der Grafik im Bereich der Eichel eine Farbveränderung von hellblau auf hellgrün und im Bereich des Sulcus sogar von dunkelblau auf hellblau.
Es war ein höherer Druck (s. Skala, gemessen in Gramm) notwendig, um einen Reiz (Schwellenwert) zu erzeugen – die Sensitivität hatte also abgenommen.
Die Eichel ist aber auch beim intakten („unbeschnittenen“) Mann niemals der empfindlichste Teil des Penis gewesen, das sind Gefurchtes Band sowie Frenulum und Frenulares Delta.
http://www.circumstitions.com/Docs/sorrellsvsmandj-poster.pdf
Quelle
Tina Kimmel, John W. Travis, Hugh Young
REFUTING MASTERS AND JOHNSON’S CLAIM THAT CIRCUMCISION HAS NO EFFECT ON SENSITIVITY
Circumcising cuts off the best part …
.
Die empfindungsreichsten Zonen der Penisvorhaut (Präputium), Gefurchtes Band (ridged band) sowie Frenulum / Frenulares Delta, entsprechen im Hinblick auf die sensitiv-sexuelle Bedeutung nicht der Klitorisvorhaut, sondern dem Zentrum der weiblichen Lust selbst, dem Kitzler (Klitoris).
Damit ist die Zirkumzision nicht vergleichbar einer FGM Typ Ia Klitorisvorhaut(teil)amputation, sondern einer FGM Typ Ib Klitoris(teil)amputation.
@ Ulf Dunkel
Diese Erkenntnisse sind aber noch recht neu, oder? Dann ist der Versuch mancher Betroffenen, ihrem Zustand Vorteile zuzusprechen, eine Strategie zur Traumabewältigung?
@ Victor Schiering
„Und wir stehen für Selbstbestimmung“ – und was sagen Sie zur Haltung bestimmter Gruppen, etwa Juden und Muslime, die gerade die Beschneidung als Ausdruck ihrer religiösen und/oder sozio-kulturellen Selbstbestimmtheit erklären, weil sie sie als identitätsstiftend erfahren haben?
@Bronski: „Trifft dieses Wort „Verlederung“ zu, oder wie beschreiben Sie diese Veränderung? Welchen Einfluss hat das auf das sexuelle Empfinden und das Sexualverhalten?“
Es ist wohl eher eine „Verhornung“ der Eichel. Die Haut ist trocken, wird dicker und unempfindlicher. Selbst merkt man das vermutlich oft gar nicht, weil das, was man spürt bzw wie man spürt, normal und selbstverständlich ist. Mir wird der Unterschied erst jetzt nach und nach wirklich bewusst bzw beginne ich zu erahnen, was mir wahrscheinlich fehlt, seit ich versuche, meine Vorhaut zu rekonstruieren, was auch den permanenten und konsequenten Schutz der Eichel einschließt.
Ein gutes Beispiel ist ein Aufenthalt in einer Therme bzw Sauna. Früher war es kein Problem, mit ungeschützter Eichel im Frotteemantel herum zu laufen. Inzwischen kann ich das nicht mehr ertragen, wenn meine Eichel am Frottee reibt. Jetzt kann ich das spüren, was vorher nicht spürbar war. Dieses „Nichtgefühl“ war normal – und jeder beschnittene Mann dürfte das wohl bestätigen. Das Krasse ist aber, dass die Empfindlichkeit der Eichel vermutlich nur ein kleiner Teil dessen ist, was mir genommen wurde. Die hoch erogene Zone „innere Vorhaut“ ist und bleibt weg und kommt nie wieder. Das tut mir in der Seele weh und belastet mich. Es war unnötig und unrecht, mir das zu nehmen.
Selbstbestimmung kann nicht dafür stehen, anderen Menschen eine Selbstbestimmung zu verunmöglichen. Ich möchte das gerne an folgendem Fakt verdeutlichen: Genitalverstümmelungen egal an welchen Kindern sind immer nur dann in Gesellschaften Massenphänomen, wenn sie an Kindern ausgeführt werden. Ansonsten sind sie nur eine Art von Bodymodification unter vielen, die verhältnismäßig wenige Menschen freiwillig an sich ausführen lassen.
Das zeigt: der Zwang, also das Ausnutzen physischer und psychischer Überlegenheit, die Umgehung der Selbstbestimmung eines Menschen, ist die zwingende Grundvoraussetzung für Genitalverstümmelung als Massenphänomen. Man schafft in physischer und psychischer Überlegenheit Tatsachen, die in gleichberechtiger Begegnung statistisch nachweislich in riesiger Mehrheit abgelehnt würden. Die Allgemeinen Menschenrechte kennen aber kein Recht auf Zwang, kein Recht auf Identität durch Verletzung der Rechte anderer Menschen.
Ich möchte nachhaken, Herr Schiering. Im Hintergrund schwingt hier das Antisemitismus-Problem mit, das der ganzen Debatte seit dem Kölner Urteil anhaftet. Was Selbstbestimmung betrifft, sind gerade die Juden vor dem Hintergrund des Genozids, den Deutsche an ihnen verübt haben, eine unerträglich schwer betroffene Gruppe. Ihnen wurde in den Konzentrationslagern auf rabiate Weise das Recht auf jegliche Selbstbestimmung genommen, um das mal so euphemistisch auszudrücken. Muss der Paragraf 1631d BGB nicht auch vor diesem Hintergrund gesehen werden – noch mal das Stichwort: Religionsfrieden?
@Bronski:
„Diese Erkenntnisse sind aber noch recht neu, oder?“
Sie sprechen auf die Erkenntnisse der Traumaforschung an? Eigentlich beginnen sie schon mit Sigmund Freud, aber neuere Forschung schließt endlich auch Forschung bei Säuglingen mit ein. Leider sind viele medizinische Bereiche noch immer im Wissenstransfer deutlich voneinander abgegrenzt. So erklärt sich vielleicht, warum auch heute noch immer Urologen meinen, die Vorhaut hätte keine Bedeutung. Oder Kinderärzte, die immer noch meinen, die Vorhaut müsse schon im Vorschulalter zurückziehbar sein.
Zu Ihrer Frage“Dann ist der Versuch mancher Betroffenen, ihrem Zustand Vorteile zuzusprechen, eine Strategie zur Traumabewältigung?“ sehe ich das genau andersherum: Das Verhalten sehr, sehr vieler Betroffener, ihrem Zustand (ohne Vorhaut) Vorteile zuzusprechen, ist eine Strategie der Verdrängung.
Viele Menschen nehmen ihre eigene Genitalverstümmelung nicht bewusst wahr. Sehr viele der heutigen Männer wurden ja als kleine Jungen – oder eben schon als Säuglinge – genitalverstümmelt (ich mag den Euphemismus „beschnitten“ nicht mehr verwenden). Sie können nicht vergleichen und sind grundsätzlich in demselben Stadium wie ein Mensch, der in früher Kindheit durch z.B. einen Unfall ein anderes Organ verloren hat, sagen wir z.B. einen Daumen. Diese Menschen haben kaum eine Vergleichsmöglichkeit und können daher kaum sagen, ob der Verlust tatsächlich einer ist.
Bei der Genitalverstümmelung kommt dazu, dass ohne medizinische Indikation ein wichtiges Organ dauerhaft beschädigt wurde. Der physische Schmerz mag bei manchem durch Narkotika unterdrückt gewesen sein; die Heilung mag lange her sein und daher der Zustand des Penis als „normal“ empfunden werden.
Dennoch gibt es Männer, die durch irgendeinen individuellen Trigger an das traumatische Erlebnis erinnert werden. Lindsay R. Watson spricht hierbei vom „Erwachen aus dem Beschneidungskoma“. Dieser Trigger kann höchst unterschiedlich sein. Wenn diese Männer „erwachen“, ist oftmals zuerst eine Riesenwut auf die „Täter“ da, mit der sie umzugehen lernen müssen. Sonst können sie daran zerbrechen. Hier war ja schon mehrfach die Rede von Suizidversuchen.
Damit all diese Traumatisierungen gar nicht erst stattfinden, muss die Politik endlich einsehen, dass diese medizinisch nicht indizierten Genitalmodifikationen verboten gehören. Es geht um Kinderschutz. Kinder sind unser höchstes Gut, betont jeder Politiker in Sonntagsreden. Nur handelte der Bundestag 2012 nicht danach.
Die unermesslichen deutschen Verbrechen an jüdischen Menschen dürfen nicht dazu führen, dass heute Kinder Verletzungen ausgesetzt sind. 1631d BGB stellt alle Jungen schutzlos und macht auch den bestehenden Schutz von Mädchen angreifbar.
Die Verantwortung davor, dass diese singulären Verbrechen immer in Erinnerung bleiben, müssen schon wir Erwachsenen selbst übernehmen und können sie nicht auf Kinder abwälzen.
Sie sagen „das Antisemitismus-Problem“, das der Debatte „anhaftet“. Wer hat der Debatte um Kinderschutz Antisemitismus angehaftet? Mir ist das zu pauschal. An wen richtet sich dieser Vorwurf?
An den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte? An TERRE DES FEMMES? An die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie? An Betroffene wie Önder Özgeday, Alexander Bachl, mich? Müssen die Jungen, die heute in Notaufnahmen landen, auch später über ihr Erleben und ihr Leid schweigen, ein verfassungswidriges Gesetz akzeptieren, damit ihnen nicht ein Antisemitismus-Vorwurf „anhaftet“?
Menschenrechte sind keine Privatsache einzelner Bevölkerungsgruppen, sondern gehen uns alle an.
Zudem haben über 99% aller Vorhautamputationen an Jungen in Deutschland mit Judentum nichts zu tun.
Ich möchte auch auf die zahlreichen jüdischen Stimmen hinweisen, die hier weltweit für Kinderschutz ihre Stimme erheben.
Auch beim Weltweiten Tag der genitalen Selbstbestimmung zum Gedenken ans Kölner Urteil sind sie immer wieder vertreten.
U.a. besonders beeindruckend war für mich persönlich die Begegnung mit dem israelischen Filmemacher Ari Libsker vor drei Jahren. Er war nämlich zunächst skeptisch gewesen, unserer Einladung nach Deutschland zu folgen. Aber Begegnung und Vertrauen sind eben stärker als Vorurteile – das ist unsere ständige Erfahrung. So wichtig und kostbar, gerade in unserer heutigen Zeit des wachsenden Populismus.
https://m.youtube.com/watch?v=bbNQXI1jhQY
Vor allem müssen wir endlich mehr miteinander sprechen! Die Debatte 2012 war eine wichtige Gelegenheit dazu – die total verschenkt wurde, u.a. durch die Eile des Verfahrens und das Herausdrängen leidvoll Betroffener aus dem Gesetzgebungsverfahren.
Das Ergebnis sind Vorurteile, gesellschaftliche Gräben und ein erschüttertes Vertrauen in den Rechtsstaat sowie in die Politik. Das ist für uns nicht hinnehmbar, denn wir leben alle zusammen in einem Land! Deswegen kreieren wir immer und immer wieder Öffentlichkeit zu dem Thema als Plattform für Dialog.
Eine größere Diversität an Menschen als in den Bündnissen für genitale Selbstbestimmung ist kaum vorstellbar. Das Ziel unteilbarer Kinderrechte führt Menschen über alle angeblichen und tatsächlichen Grenzen hinweg zusammen. Wir dokumentieren ja auch jedes Jahr den Weltweiten Tag der genitalen Selbstbestimmung so ausführlich mit Videos im Netz. Wir sind damit komplett transparent und sichtbar.
Zum Thema Religionsfrieden möchte ich ergänzen:
Bei der Diskussion 2012 ging ein Aufschrei durch die jüdischen Gemeinden, der im Vorwurf gipfelte, wer die Knabenbeschneidung verbiete, mache jüdisches Leben in Deutschland unmöglich. So untrennbar scheint in den Köpfen die Notwendigkeit dieses körperliche Eingriffs an den eigenen Kindern mit der jüdischen Religion verbunden zu sein. Für die Mehrheit der Gemeindemitglieder scheint ein Umdenken nicht vorstellbar zu sein.
Ich frage mich, worin das Identitätsstiftende daran besteht. In der Erfahrung von Schmerz, von Verzicht, Verlust? Oder einfach nur im Wissen, einem (angeblich) göttlichen Befehl, exklusiv für die eigene Gemeinschaft formuliert, wörtlich Folge zu leisten?
Bemerkenswert natürlich auch, dass diese Vorschrift nur für Männer gilt. Wenn sie etwas Positives, Identitätsstiftendes verkörpert, warum sind die Frauen dann ausgeschlossen?
Darf man Unrecht gegeneinander aufrechnen? Weil in Deutschland Menschen unsägliches Unrecht angetan wurde, Menschen weggesehen haben…wird nun erwartet, dass dies wieder so geschehen soll?
@ Brigitte Ernst
Zur Frage der Identitätsstiftung durch Beschneidung können Sie bitte in den früheren Blogtalks nachlesen, etwa hier. Grundlage dafür sind Traditionen und religöse Gebote im Judentum. Es besteht hier offenbar ein Dissens zwischen diesen Traditionen und Geboten und den als universell erklärten Menschenrechten. Dieser Dissens entzündet sich an der Frage, was man als grundlegend einstuft: die Traditionen oder die Menschenrechte?
Herr Schiering und Herr Özgeday – Sie sind keine Juristen und auch keine Theologen, das ist mir schon klar, aber trotzdem interessiert es mich zu erfahren, ob Sie eine Idee haben, wie dieser Dissens aufgelöst werden kann? Erreicht man über Verbote wirklich ein Umdenken bei den Betroffenen?
Die Beschneidungsdebatte in Deutschland 2012 ging aus meiner Sicht überhaupt erst los, nachdem die Europäische Rabbinerkonferenz Anfang Juli 2012 Deutschland erstmal pauschal Antisemitismus unterstellte, wenn dieses richtige Urteil des Kölner Landgerichts Bestand haben würde. Dies war für viele Politiker der Trigger, sich mit dem Thema überhaupt zu beschäftigen. „Was? Wir sind Antisemiten? Warum, was ist da los?“ – Erst dann tauchten alle in das Thema ein.
Was in der Debatte von Anfang an ausgeblendet werden sollte, auch durch die Vorgabe der Kanzlerin, dass hier raschest Rechtssicherheit (s.o.) hergestellt werden müsste, damit Deutschland nicht zur „Komikernation“ wird, waren die Jungen, über deren Köpfe und Rechte hinweg hier Genitalien-Intaktheit zu Verhandlungsmasse wurde.
Dieser pauschale Antisemitismus-Vorwurf übertönte leider bei vielen Menschen, dass auch Juden nicht alle begeistert sind über diesen Ritus. Der Zentralrat der Juden spricht ebenso wenig für alle Juden wie z.B. der Zentralrat der Muslime für alle Muslime. Es ist auch ein Stereotyp, dass alle Juden beschnitten sein müssten und dass alle Juden dies so sehen würden. Wer so argumentiert, nimmt Menschen, die in diese Kultur und Religionsgemeinschaft hineingeboren sind, jede Chance auf Änderung oder ihre eigene Weltanschauungsfreiheit, zwingt sie also, sich einem Stereotyp zu unterwerfen. Das ist vergleichbar damit, wenn man denken würde, alle Polen würden klauen, alle Italiener sind in der Mafia oder oder oder.
Hätte Deutschland damals als erstes Land die medizinisch nicht indizierte Genitalverstümmelung explizit verboten (implizit ist sie es ja nach wie vor!), so wäre das ein aus meiner Sicht positives Signal auch für das Judentum gewesen: Es hätte gezeigt, dass Deutschland aus den Gräueltaten der Nazizeit gelernt hat und Menschenrechte natürlich nicht mehr relativiert. Dass die medizinisch nicht indizierte Genitalverstümmelung aufgrund irgendwelcher angeblicher Anforderungen einer Religion rechtens sein sollte, würde ja bedeuten, dass Religionen über oder außerhalb des staatlichen Rechtssystems stünden. Das kann in einem Rechtsstaat nicht richtig sein. Was hieße es denn, wenn man z.B. alle Jungen vor MGM schützt, aber die Kinder jüdischer Eltern nicht? Wäre nicht genau das Antisemitismus? Ich meine ja. Ein Verbot von MGM bei ALLEN Kindern wäre eben auch PRO-semitisch, weil es zeigt, dass alle Menschen dieselben Rechte haben, unabhängig von ihrer Weltanschauung.
Hierzu gibt es auf zwangsbeschneidung.de einen interessanten Beitrag:
http://de.intactiwiki.org/index.php/Antisemitismus#Antisemitismus-Widerspruch
Es gab und gibt sehr viele jüdische Stimmen (und Literatur), die uns erklären, dass auch im Judentum die Genitalverstümmelung nicht verpflichtend ist. Selbst wenn eine Religion die Genitalverstümmelung an einem Kind verlangen würde, würde sie immer im Konflikt zu den Menschenrechten und unserem Grundgesetz stehen – so dass hier die Religionen ein Problem haben, nicht der Staat (siehe „Zwölf Stämme“, Zeugen Jehovas usw.).
Ich habe gerade die Übersetzung eines weiteren Buchs von Dr. Ronald Goldman fertiggestellt, in dem er als Jude vor allem die jüdischen Gemeinschaften anspricht. Das Buch „Beschneidung hinterfragen: Eine jüdische Perspektive“ erscheint in Kürze. Es räumt mit vielen Klischees über „das Judentum“ auf, empfiehlt alternative Rituale („Brit Shalom“) und zeigt auf, welche schrecklichen Folgen Genitalverstümmelung hat. Ich bin überzeugt davon, dass viele Juden dankbar wären, wenn ihnen ein Gesetz endlich Rückendeckung dafür gäbe, aus diesem Teufelskreislauf ausbrechen zu können.
Zumindest ist man offensichtlich bei allen anderen Themen dieser Ansicht.
Sonst hätte der Gesetzgeber ja nicht im Jahr 2000 das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung beschlossen.
Das lässt überhaupt keinen Spielraum um Genitalverstümmelungen an Kindern egal an wem und in welchem Umfang zu dulden.
Sonst hätte das Kölner Landgericht ja gar nicht so entscheiden können.
Es „brauchte“ einen Ausnahmeparagraphen. Der gilt nun seit dem 12.12.12 und stellt unsere übrige geltende Rechtsordnung auf den Kopf.
Sie haben völlig Recht, wir stehen hier vor einer grundsätzlichen Entscheidung: Sollen Menschenrechte weiter universell gelten oder sollen sich alle Kulturen weltweit ab sofort ihre jeweiligen Ausnahmen herausnehmen dürfen?
Mädchen- und Frauenrechte sind die ersten, die dann unter die Räder kommen. Man muss nur wahrzunehmen bereit sein, wie z.B. medikalisierte Formen weiblicher Genitalverstümmelung zuletzt im Prozess in Michigan/USA oder von Religionvertreterinnen in Indien verteidigt werden. Es hängt eben alles zusammen.
Für Übergangslösungen möchte ich auf meinem Kommentar bez. Klagemöglichkeit der Betroffenen verweisen.
Also zunächst erfordert es hierbei keine Theologen. Überhaupt diesen religiösen Aspekt einzubringen ist für mich falsch. Es ist Körperverletzung und fertig.
Ein Verbot brächte meines Erachtens natürlich einen Erfolg. Langfristig zumindest. Kurzfristig wären nur abermals die religösen Gruppen und Lobbys stur.
Eine biodeutsche Mama, die ihr Kind beschneiden lassen will, weil Ärzte sie darauf hin beraten haben wird das nach einem Verbot nun gar nicht mehr tun wollen. Sie wird verstehen, dass sich Experten einig sind dass eine B. übergriffig und unnötig sind. Wir wissen doch alle dass es hierbei um die religiösen Minderheiten geht.
Natürlich würden dann die „Diskriminierungs-“ und „Nazikeulen“ geschwungen werden. Der Zentralrat der Juden würde behaupten dass nun jüdisches Leben nicht mehr möglich wäre in Deutschland. Die Muslime würden die gewohnte Opferrolle einnehmen etc.
Man soll das Verbot ja auch vernünftig mit Argumenten untermauern und begründen. Es muss klar ersichtlich sein WARUM ein Verbot. Seien wir mal ehrlich: niemand möchte eigentlich dass diese Minigruppen die nur einen Bruchteil der Bevölkerung ausmachen Sonderrechte bekommt, doch jeder hat Angst davor ihnen auf die Füße zu treten. Schächtung, Kopftuch etc…
Das muss endlich aufhören und vor allem wenn es um unsere Kinder geht. Egal in welche Kultur ein kind hineingeboren wird.
Gerade aktuell wurde ein Fall aus England bekannt, wo einem erwachsenen Mann ohne dessen Einwilligung die Vorhaut amputiert wurde.
Die Frankfurter Rundschau berichtet, Mit Vokabel wie „schrecklich“ und „Horror“:
https://www.fr.de/ratgeber/gesundheit/mann-wird-versehentlich-beschnitten-so-kam-es-zur-schrecklichen-verwechslung-zr-11943872.html
Warum ist das für Erwachsene Männer „Horror“ und „schrecklich“, wenn es für Kinder „wohltuend“ (Kindeswohl) sein soll?
Wenn ich mich erinnere, mit welchem Tenor die Medien (auch die FR!) 2012 zu der Problematik Stellung bezogen, kommt mir das jetzt bizarr vor.
Kleine Jungen können das ab, aber erwachsene Männer sind so sensibel und verletzlich?
Herr Özgeday, Sie haben am eigenen Leib erlebt, wie verfestigt solche Traditionen sein können. Ihr Vater war nicht religiös, so haben Sie berichtet, und wollte trotzdem einen beschnittenen Sohn. Er hat diesen Wunsch offensichtlich nicht hinterfragt. Oder noch klarer formuliert: Er ist überhaupt nicht auf die Idee gekommen, diesen Wunsch zu hinterfragen. Wie lange wird es dauern, bis solche dicken Bretter gebohrt sind?
Nein er hat es nicht hinterfragt. Es wird auch überhaupt nicht bedacht, dass es ein Übergriff ist und dass man als späterer Mann das Ganze vielleicht nicht wollte. Meine Eltern haben in ihrer gesamten Lebenszeit außer mir NIEMANDEN kennengelernt, der damit unzufrieden gewesen wäre bzw. es hinterfragt hat. Das gibt es einfach nicht. Es ist unglaublich bombenfest zementiert in den Köpfen und der Kultur.
Wie vielleicht fürher hierzulande mit der Taufe eines Kindes. Mittlerweile kann man auch sagen man möchte keine Taufe. Man möchte eine Hausgeburt. Man möchte die Plazenta mit nach Hause nehmen etc…will sagen da gibt es einen gewissen Individualismus. In muslimisch geprägten Kulturen: Fehlanzeige. Kollektivismus ist das Stichwort. Es macht jeder so, also wird es gemacht.
Die einzige Hoffnung wäre für mich, dass beispielsweise türkische Eltern dieser Generation da zugänglicher sind. Früher wäre man zB. niemals türkischen Vegetariern begegnet. Sowas gab es gar nicht. Nun passiert das ab und an. Möglicherweise hinkt der Vergleich aber ich möchte einfach ausdrücken, dass die Menschen heute viel besseren Zugang zu Bildung haben und sich selbst informieren können. In der türkischen Kultur gibt es auch kein Hinterfragen bei medizinischen Dingen. Ärzte sind Götter! Punkt Aus. Es wird dauern aber ich sage nochmals: als Rücksicht darauf keine Verbote auszusprechen wenn es darum geht das Drittpersonen geschädigt werden ist falsch. Es ist falsch zuzusehen wenn Unrecht geschieht.
Da Sie die christliche Taufe ansprechen: Ich habe Freunde, die ihre Kinder schon vor 30 und mehr Jahren nicht taufen ließen, weil sie ihnen diese Entscheidung selbst überlassen wollten. Eine meiner Cousinen hat sich gegen Konfirmation entschieden und stattdessen Jugendweihe gefeiert. Dieses Konzept gab es vor 30 Jahren auch in Westdeutschland. Die Möglichkeiten und Freiheiten, es anders zu machen als die anderen, gibt es für Christen und christlich geprägte Menschen also schon lange, und sie werden auch genutzt. In der Bundesrepublik gibt es zudem mittlerweile mehr nichtkonfessionelle Menschen (rund 30,5 Mio.) – das ist nicht unbedingt das gleiche wie Atheisten – als Katholiken (23,3 Mio) oder Protestanten (21,5 Mio). Hinzu kommen etwa 4,2 Mio. konfessionsgebundene Muslime (Quelle).
Sind Sie in ein muslimisch geprägtes Umfeld eingebunden? Und wenn ja, wie geht es mit Ihrer Forderung um, Beschneidungen zu verbieten?
Meine Eltern sind/waren Aleviten. Also wenn man sie überhaupt als Muslime bezeichnen wollte, würden sie zu dem liberalsten Zweig gehören. Ich bin nicht direkt eingebunden doch natürlich habe ich den Einblick.
Der Umgang wäre nicht unbedingt sanft. Wie erinnern uns daran dass Juden und Muslime gemeinsam protestierten als es um das Thema Beschneidung ging. Das soll was heißen! Sie werden mit der Forderung nicht umgehen können. Das Thema ist sehr emotional auf mehreren Ebenen. Die B. zu kritisieren, bedeutet die Kultur zu hinterfragen, seine eigenen Eltern und nicht zuletzt den eigenen, männlichen Zustand. Das möchte man vermeiden und es wird sich heftig gewehrt. Trotzdem habe ich parallel dazu auch das Gefühl, dass es eben die lauten Stimmen sind die man hört und die dann nicht unbedingt repräsentativ sind. Der Zentralrat der Muslime mit dem ständig jammernden Herrn Mazyek etc.
Ich hörte von Müttern die es haben machen lassen, damit die Verwandten endlich Ruhe geben. Der soziale Druck ist immens groß. Wird ein türkischer Junge geboren ist von Anfang an schon die Rede „wann es denn soweit ist“. Es ist total verankert auch im Sprachgebrauch. Als sei es der erste Kuss, das erste Auto etc.
Ich erwähnte eben dass die Meinung er Ärzte sehr hoch geschätzt wird in meiner Kultur. Es müsste absolut klar gemacht werden dass ein Verbot nicht aus einer obrigen anti muslimischen „Zwangsgermanisierung“ heraus geschieht wie Erdogan das gerne propagiert zu Wahlkampfzwecken (Der Westen sagt dem Islam den Kampf an etc.) sondern basierend auf den aktuellsten Erkenntnissen der Medizin. Die B. wird im Koran nicht mal erwähnt. Nur in den Hadithen als Empfehlung. Streng genommen ist die B. sogar unislamisch denn mehrere Suren sprechen von der perfekten Kreation ALlahs und der Sünde Allahs Werk zu manipulieren. Der Spruch „muslimische Leben ist dann hier nicht mehr möglich“ zieht also hier nicht. Es wird ohnehin sehr viel kritisiert und gemeckert. Man möchte doch getrennten Schwimmunterricht, man möchte doch Schweinefleisch aus den Schulen heraus haben und und und. Dort knickt man auch nicht ein also bitte.
Warum haben wir Angst vor diesem Verbot? es wird so behandelt als wäre es ein neues Verbot! NEIN! Die ERLAUBNIS zur MGM ist neu. Die Beschneidung war vorher verboten durch geltendes Recht. Durch die Artikel im GG. wir würden hier keine neuartige, restriktive rechte Diktatur aufbauen sondern einfach Menschenrecht geltend machen. Die Angst davor muss weg. Der Deutsche hat generell ständige Angst als fremdenfeindlich und intolerant zu gelten. Dabei ist das Gegenteil doch der Fall.
Werden solche Berichte wie die von der Beschneidung im Asylbewerberheim in der muslimischen Community in Deutschland überhaupt wahrgenommen? Denn ob ein Problembewusstsein entsteht, hängt ja auch an der Frage, welche Medien man heranzieht, um sich zu informieren.
Ich weiß nicht, ob es DIE muslimische Community in Deutschland so überhaupt gibt. Der Islam ist sehr vielgestaltig und viele Muslime sind weder organisiert noch interessieren sie sich sehr für ihren Islam – so wie viele christliche „Karteileichen“.
Würde es ein klares Verbot von MGM geben, wäre bald hinfällig, ob man es überhaupt weiß, nach dem alten Rechtsgrundsatz „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Spätestens seit dem Kölner Urteil 2012 hätten auch Ärzte und Beschneider wissen können, dass ein sog. Verbotsirrtum nicht mehr greift – das hat der Dt. Bundestag verhindert. Daher ist die Abschaffung des Beschneidungsungesetzes dringend nötig. Wie Önder Özgeday und Victor Schiering schon klar sagten: MGM bei Jungen ist und bleibt medizinisch nicht indizierte Körperverletzung und § 1631d BGB stellt unser Rechtssystem auf den Kopf.
Herr Schiering, Sie haben in einer Antwort gestern abend bereits erwähnt, dass es möglich ist, die Vorhaut „wiederherzustellen“. Ich könnte mir vorstellen, dass vielleicht mancher, der hier nur mitliest, gern mehr über diese „Restaurierung“ erfahren würde. Unter welchen Bedingungen ist so etwas möglich?
@ all
An alle, die hier noch mitreden: Bitte lassen Sie Herrn Schiering den Vortritt bei der Antwort auf meine Frage, auch wenn Sie selbst etwas dazu zu sagen hätten.
Danke!
Vielen Dank, dass Sie diese Frage stellen. Ich finde dieses Thema aus zweierlei Gründen sehr wichtig.
1. Wir sprachen ja schon über die Widerstände, sich als Betroffener kritisch mit dem eigenen Erleben und mit dem aufgezwungenen Zustand zu beschäftigen. Sehr verständliche Widerstände, da die Vorhautamputation irreversibel ist, es einen sehr unattraktiven Gedanken darstellt, die eigene Sexualität als eventuell nur defizitär erlebbar zu sehen. Man hat keinen Vergleich, kann zu viel oder zu wenig dort hineininterpretieren. Zumal kann es einen eventuell noch in Konflikt mit der eigenen Kultur, der eigenen Familie bringen, einen Tabubruch bedeuten mit allen möglichen sozialen Konsequenzen. Warum sollte man sich das alles antun? Bzw.: was könnte man, bei so vielen Bedenken, denn auf der anderen Seite GEWINNEN?
Und da kommt die „Wiederherstellung“ ins Spiel. Ja, man kann nämlich etwas zurück-gewinnen. Klar, nicht den ursprünglichen Zustand komplett wiederherstellen. Was ab ist, ist ab. Unwiederbringlich.
ABER: Man kann, wie ich es in dem früheren Kommentar ansprach, die verbliebenen Teile u.U. resensibilisieren. Ich kann durch diese Dehngeräte, die in den USA zu Hunderttausenden verkauft werden, wieder mehr Haut gewinnen, so dass ein Stimulationsmechanismus, dem ursprünglichen ähnlich, wieder möglich wird.
Für mich selbst waren die deutlich resensibilisierenden Effekte, die mich unerwartet trafen (ich hatte die Maßnahmen eher wegen eines optischen Effektes begonnen) der entscheidende Punkt, mich derart in diesem Thema zu engagieren. Denn nun war der Sensibilitätsverlust durch eine Vorhautamputation auf einmal nicht mehr nur ein Fiktivum, sondern er war spürbar! Etwas davon kam „zurück“, dessen ich mir davor Jahrzehnte lang nicht bewusst war, obwohl es immer da war und zu mir gehörte – nur eben durch die Verhornungseffekte nicht abrufbar gewesen war. Es hat mich tief erschüttert. Ich war fast vierzig Jahre alt. Wäre unsere Gesellschaft nicht derart verlogen mit dem Thema – hätte sie mich früher über das was mit mir geschehen war aufgeklärt – hätte ich wenigstens das schon viel früher zurück haben können.
Erst einmal macht das einfach mit Kindern – und dann lügt man die späteren Männer durch Mythen und Tabus einfach für den Rest ihres Lebens weiter an. Nach dem Motto: es wird schon nicht herauskommen. Woher sollen sie es auch merken? Es ist so zynisch.
Nun kommen wir zu Punkt
2) Wer dies so oder ähnlich erlebt, wird erst Recht nicht dieses Ritual weitergeben oder Ärzt*innen leichtfertig glauben, die einem erzählen, bei Schuleintritt müsse da alles beweglich sein und ohne Vorhaut sei alles genauso wie mit. Weil man ERLEBT, dass es nicht stimmt.
Deswegen sprechen wir häufig über diese Methoden. Damit die betroffenen Männer die Information bekommen, dass, wenn sie es wollen, es Möglichkeiten gibt, wenigstens wirklich noch alles aus dem Zustand herauszuholen, was es für sie gibt. Ihr Sexualpotential eventuell noch einmal zu erweitern. Natürlich, es kann auch schmerzen. Denn das, was man „wieder“ spürt, ist ja nur ein kleiner Teil des Verlorenen.
Aber ich denke: Betroffene haben ein Recht darauf, das zu erfahren. Und dabei alle Hilfen, auch finanzielle, geltend machen zu können.
Was Steffen bei vielen Urologen erleben musste, als er versuchte, sich hier ärztlich begleiten zu lassen, was z.T. einfach erbärmlich. Aber er hat es mit großer Kraft geschafft, er wollte ein Exempel statuieren. Dass endlich offiziell anerkannt wird, dass hier ein Schaden entsteht, für den die Allgemeinheit aufzukommen hat, indem sie Hilfen anbietet.
https://die-betroffenen.de/blog/krankenkasse-erstattet-kosten-fur-gerate-zur-vorhaut-wiederherstellung/
Und noch etwas: Nicht allen leidvoll Betroffenen liegt es, von Ihrem Erleben live in der Öffentlichkeit zu berichten. Sehr verständlicherweise. Bei dem, was an sozialem Druck vorkommt. Bei dem Schmutz, der immer wieder pauschal über Kritik zu dem Thema abgeworfen wird.
Aber:
JEDER Betroffene, der „wieder“herstellt – wie gesagt allein in den USA Hunderttausende – bedeutet einen STILLEN PROTEST. Das muss man wahrnehmen. Im Beschneidungsforum.de melden sich ständig Interessierte. Die Nachfrage ist da. Betroffene geben sich zunehmend nicht mehr mit Mythen zufrieden und lassen sich nicht mehr einfach einschüchtern und ruhigstellen.
Ich nehme an, dass keine Totalamputation der Vorhaut vorliegen darf, wenn man eine solche „Restaurierung“ beginnen möchte, oder? Da wird verbliebene Haut gedehnt und wächst allmählich zu einer Hautfalte heran, die sich schützend über die Eichel legt. Also muss wohl noch etwas Haut vorhanden sein, mit der man beginnen kann …
Doch, es geht auch bei Totalamputationen. Dann ist nur der Anfang natürlich etwas mühsamer. Man muss z.B. zuerst „manuell“ dehnen, bis ein Anlegen der Geräte möglich wird. Ich konnte es am Anfang auch nicht. Ich dehnte „vor“ mit Hlfe eines „Retainer“, eines Zusatzgerätes, das eigentlich nur zum Bedeckthalten gedacht ist.
Wie lange braucht man, um auf diese Weise einen ausreichenden Vorhaut-Ersatz wiederherzustellen?
Resensibilisierenden Effekte stellen sich meist schon nach einigen Monaten ein. Da ja durch die Geräte wieder künstlich fixiert ein Innengewebe entsteht. Es hängt natürlich auch davon ab, ob noch Reste innerer Vorhaut und des Frenulums (Vorhautbändchen) da sind. A propos Frenulum: mittlerweile ist ja schon in Trivialmedien zu lesen à la „Wie machen Sie einen Mann verrückt“, dass da besonders dem Frenulum Aufmerksamkeit gebühren sollte. Jedes Mal wenn man so etwas liest, ist es wie ein Tritt ins Gesicht: Toll, wenn mann es denn noch hat. Per Gesetz zum Abschneiden freigegeben.
Bis eine volle Bedeckung erreicht wird, dauert es Schilderungen zufolge, je nach „Fleiss“ natürlich auch, mindestens zwei Jahre, wenn nicht auch deutlich mehr. Ob die Haut auch wirklich über der Eichel hält, ist unterschiedlich. Wird doch bei jeder Vorhautamputation das gefurchte Band amputiert, der Muskel, der normalerweise die Vorhaut vorne schließt.
Sie haben es schon angedeutet: Die USA sind in der Debatte über die Beschneidung viel weiter als wir. Bei uns gibt es stattdessen Debatten über die Frage, ob in der katholischen Kirche nicht das Fest der „Beschneidung des Herrn“ (1. Januar) wieder eingeführt werden sollte. Wie kommentieren Sie das? Ist da ein „Rechtsruck“ zu merken hin zu eigentlich überwundenen Formen der Orthodoxie, analog zum Rechtsruck anderer Teile der europäischen Gesellschaften?
Das ist eine interessante Frage.
Wenn in der ZEIT Patrik Schwarz im Zusammenhang mit dem Vorschlag zu einem solchen Feiertag allen Ernstes einen „normalen Gebrauch des Penis“ propagiert, sehe ich in der Tat eine Verbindung zu reaktionärem Denken wie bei der „Demo für alle“, die ja auch normieren will, wie Menschen Sexualität leben. Damit wird die Sexuelle Revolution in Teilen rückgängig gemacht, Sexualität wieder auf Fortpflanzungsfähigkeit reduziert. Nach dem Motto: Gib Dich zufrieden mit dem was wir Dir zugestehen.
Freie Sexualität macht frei. Das Recht darauf sein ganzes Sexualpotential zu erleben, zu entdecken, ohne Einschränkungen von aussen, erst Recht keine mit dem Messer, müssen wir wohl wieder neu verteidigen. Wir müssen leider erkennen, dass der Wunsch, Genitalverstümmelung an Jungen weiter zu erhalten oder zu akzeptieren, so weit geht, elementare Bewusstseinswerdungen der letzten Jahrzehnte, die hart erkämpft wurden, wieder in Frage zu stellen. Für ALLE. Denn das hat Aus- und Wechselwirkungen. Es gibt keine isolierten Räume bei Menschenrechten.
Um Orthodoxie als solche kümmere ich micht nicht. Darum müssen sich die Religionsgemeinschaften selber kümmern. Wie ich schon einmal sagte, sind Religionen für mich Privatsache und deren freie Ausübung ein Grundrecht, das ich immer verteidigen werde. Die Grenze stellen für mich die Allgemeinen Menschenrechte dar.
Das wäre doch jetzt eigentlich ein gutes Schlusswort!
Ich habe alle meine Fragen gestellt und bin zufrieden, und so möchte ich Ihnen, Herr Özgeday und Herr Schiering, für die Mühen danken, die Sie auf sich genommen haben, um Ihre Position bei unserem Blogtalk darzustellen.
Von Herrn Özgeday steht noch eine Antwort aus: zur Frage, ob die Muslime in Deutschland – sorry, Herr Dunkel, ich formuliere bewusst umfassend – überhaupt ausreichend und unabhängig informiert sind, um sich ein Bild in der Beschneidungsdebatte zu machen. Ich habe da meine Zweifel. Wie die Özil-Erdogan-Debatte gezeigt hat, scheinen sich viele Deutsche türkischer Abstammung und auch andere in Deutschland lebende TürkInnen nicht kritisch und unabhängig zu informieren. Aber dazu kann Herr Özgeday ja vielleicht noch was sagen. Denn während die rechtlichen Aspekte in der Beschneidungsfrage eigentlich recht klar zu sein scheinen, sind die kulturellen Aspekte dies nicht. Darüber wäre eigentlich noch viel zu reden.
Natürlich kann hier weiter diskutiert werden, und wenn der eine oder die andere noch Facetten zum Thema beizutragen hat, ist hier der Platz dafür. Die Diskussion bleibt noch bis zum 15. April offen.
Danke Ihnen allen.
Rechtsruck? – Nein, ich würde es „Rollback in vorsäkulare Zeiten“ nennen. – Spätestens seit diesem schrecklich kontraproduktiven Signal des Bundestags am 12.12.12, das Religionen Oberwasser gegeben hat. Viele Menschen sind aufgewacht und haben sich empört. Eine repräsentative Umfrage Ende 2012 zeigte, dass 70 % der Deutschen klar gegen das Beschneidungsungesetz sind. Dieser „Sündenfall des Rechtsstaats“ hat gezeigt, dass Religion Macht über den säkularen Staat ausüben kann, wie man es vielleicht noch vor 300 Jahren erwartet hätte. Mich beängstigt das alles sehr. Nachdem wir im Jahr 2000 dank Rot-Grün geschafft hatten, dass Gewalt gegen Kinder endlich unter Strafe gestellt wurde, jetzt sowas. Wir SIND zur Komikernation geworden. Mir tut jeder einzelne Junge leid, der jetzt theoretisch oder auch ganz praktisch entrechtet ist.
Ihr Gefühl ist meines Erachtens ganz richtig..leider.
Es geht oft selbst wenn sie informiert sind in meiner Kultur viel zu sehr um die erwünschte Meinung. Ich erinnere mich an einen Beschneidungsvortrag im Uniklinikum Essen. Voller Argumente: ethische, rechtliche, moralische. Alles war abgedeckt und es sollte jedem wirklich logisch einleuchten. Zum Schluss meldete sich ein muslimischer Zuschauer und Vater und brachte es auf den Punkt: „ich kann dem Gesamten Vortrag nur Recht geben und es ist faktisch absolut richtig, nur wird sich kein Muslim daran halten und danach handeln.
Ich will damit sagen, dass es oft gar nicht darum geht ob die Menschen missinformiert sind. Das ist das Gefährliche. Das Stammesdenken, die Loyalität, die Hierarchien werden als weitaus wichtiger angesehen. Sie hält die Kultur zusammen. Wenn man dies schon auf den Rücken seiner Kinder tut kann man sich gut vorstellen wie stark dieser Effekt wirkt.
Und so ist es auch mit Erdogan und Özil und und und. Undemokratisches, diskriminierendes Verhalten wird im Namen des Patriotismus, des Nationalismus und des Türkentums ignoriert. Ich habe eine sehr ambivalente Beziehung zu meiner Herkunft. Meine Kindheit war voller Liebe und Wärme und ich vermisse sehr oft das familiäre Gefühl und den Zusammenhalt, den man so in deutschen Familien nicht findet. Doch DIESES sture, archaische nicht für sich Denken und der Ehre und dem Stolz alles unterstellen macht mich bisweilen oft aggressiv und erfüllt mich mit Scham.
Von daher ist es beim Thema nicht nur die Aufklärung die wichtig ist, sondern auch daran zu arbeiten, dass man solche Strukturen aufbricht. Und ja! solche Strukturen SIND schädlich. Hier ist kein Kulturrelativismus angebracht. Und das muss auch jeder sagen dürfen ob Ausländer oder nicht. Mir ist bewusst, dass ich solche Worte als Türke eher aussprechen darf.
Wir möchten uns auch sehr herzlich bei Ihnen bedanken, dass wir hier zu Gast sein durften.
Wir wissen das sehr zu schätzen.
Vielen Dank!
Önder Özgeday: „nur wird sich kein Muslim daran halten und danach handeln“
Was sollte einen Vater, der aus einer solchen Tradition kommt motivieren, seinen Sohn nicht ebenfalls die Vorhaut amputieren zu lassen?
Da müsste er sich ja eingestehen, dass bei ihm etwas nicht optimal gelaufen ist. Dass ihm etwas fehlt, etwas sinnvolles, funktionales. Dass seine liebevollen Eltern etwas falsch gemacht hätten mit ihm.
Das ist sehr schwer.
Es ist viel einfacher, sich durch die Amputation verbessert zu fühlen (zumal einem das ja üblicherweise von klein auf eingeredet wird), und diese „Verbesserung“ dann auch dem Sohn zukommen zu lassen.
Was würden denn auch die Großeltern sagen? Sie würden sich angeklagt fühlen von ihrem eigenen Sohn.
Da ist ein enormer Druck von Seiten der Familie, und der „Community“, das wird immer wieder berichtet.
Es gibt natürlich Eltern, die zweifeln. Besonders in „interkulturellen“ Ehen/Beziehungen.
Denen hat der Staat mit dem §1631d den Boden unter den Füßen weggezogen. Sonst könnten sie den Großeltern, den Verwandten sagen: „Es ist verboten, und wir halten uns an die Gesetze!“.
Aber der Staat sagt ja: „das ist völlig OK, da entsteht kein Schaden, und möglicherweise hat das auch noch „gesundheitliche Vorteile“ – macht das doch ruhig, es ist euer gutes Recht als Eltern!
Kein Witz, das steht im Prinzip in der Gesetzesbegründung.
@ Önder Özgeday
Ich habe große Hochachtung vor Ihrer Offenheit und sage Danke dafür.
Ob man das familiäre Gefühl und den Zusammenhalt in deutschen Familien nicht findet, glaube ich nicht. Es gibt den Überbau von Ehre und Stolz in dieser Form nicht, zumindest in der „Jetztzeit“ bzw definiert sich nicht in Vorgaben für eine ganze Gesellschaft, ein Volk oder Glaubensgemeinschaft, dem alles unterzuordnen ist.
Es kann aber auch sein, dass dies der Preis der Freiheit ist. Nicht vereinbar damit ist jedenfalls ein Leben in völliger Unterordnung an überkommene Traditionen. Darin kann man sich aufgehoben fühlen, nur Raum diese zu hinterfragen gibt es dann nicht und persönliche Freiheit auch nicht.
Dies zu verändern ist wohl ein äußerst schmerzhafter Prozess, in dem man sich unsäglich einsam fühlen kann.
Es ist nur auch nicht möglich, eine gewonnene Erkenntnis wieder auszublenden und weiter zu machen wie bisher.
Noch zu der Möglichkeit einer Verfassungsklage wegen §1631d…Anwälte haben mir eine weitere Option als Chance gegen diesen Unrechtsparagrafen Klage einzuräumen bestätigt…ALLE Eltern von Jungen haben das Recht ihrem Sohn ohne jedweden Grund beschneiden zu lassen…ALLE Eltern eines Mädchens könnten gegen diese geschlechtliche Ungleichbehandlung klagen, auch dieses Recht einfordern, ohne es auch ausüben zu wollen…
Soweit in der Theorie, aber praktisch müssten Eltern ihre Tochter „instrumentalisieren“, sie benützen, und was würden die Medien mit solchen Eltern machen? Würde das Jugendamt dastehen, mir meine Tochter wegen Kindswohlgefährdung nehmen?
Wenn es eine Klage vor das Bundesverfassungsgericht schaffen würde, dann wäre noch die Frage…wie würde es entscheiden (hat das Bundesverfassungsgericht die Strafbarkeit der sexuellen Orientierung nicht schon mal bestätigt?), die Klage gar nicht zulassen, die Rechtmäßigkeit bestätigen? Oder würde es gar zu einer Erlaubnis vergleichbarer Eingriffe bei Mädchen führen?
Zu den Auswirkungen eines Traumas, aus dem Buch „Mein Körper, mein Trauma, mein ich“ von Franz Ruppert und Harald Banzhaf:
„Zum Beispiel neigen Männer dazu, ihre Opfererfahrung umzuinterpretieren, resümiert Andreas Kloiber in einer der wenigen Studien, die in Deutschland je zu Missbrauch an Männern erstellt wurden: „In den meisten Untersuchungen, die diesen Aspekt beleuchteten, bewertete die Mehrzahl der Probanden ihre sexuellen Missbrauchserlebnisse als bedeutungslos oder gar positiv für ihre weitere Entwicklung.“ Gleichzeitig litten viele der Befragten unter Alkoholismus, Drogenkonsum, waren arbeitslos oder psychisch schwer angeschlagen. (…)“
Auch daraus:
„Ein erlittenes Trauma, das nicht geheilt wurde, lebt im Körper weiter und äußert sich durch Schmerzen, Entzündungen oder Krankheiten. In jedem Körpersymptom steckt also ein Stück Lebensgeschichte.“
Nach und seit meiner Beschneidung, die ich machen ließ, weil mir die Ärzte sagten es sei die einzige Möglichkeit meine rel. Phimose zu heilen, sie machten die invasivste Form einer Beschneidung, weniger invasive wurden mir nicht vorgestellt, habe ich Schmerzen an der Narbe, keinerlei sexuelle Befriedigung und Orgasmuserleben mehr…
Niemand glaubte mir das, konnte mir helfen es auch nur zu verarbeiten…irgendwann verdrängte ich, litt aber…was dann alles mit meinem Köper geschah, ob das Auswirkungen eines unverarbeiteten Traumas sind? Ein schwerer Arbeitsunfall (ein Flashback ins Trauma an einer gefährlichen Maschine ist nicht so toll…), Erwerbsminderung, ein Glaukom mit teilweise erheblichem Ausfall des Gesichtsfeldes, körperlich unerklärlicher Testosteronmangel, aufgrund dessen wohl Probleme mit dem Knochenstoffwechsel, Ermüdungsfrakturen, Gelenkschmerzen, Diagnose chron. Schmerzerkrankung…meinen Job, den ich eigentlich immer gern gemacht habe… ich werde ihn an den Nagel hängen müssen…
Ob da ein Zusammenhang mit einem unverarbeiteten Trauma ist, das Symptome meiner Lebensgeschichte…keine Ahnung, nicht beweisbar, auch egal…ich weiß nur, dass dies alles Handicaps sind, die kann ich regeln…aber was die Ärzte mir mit diesem Eingriff angetan haben, die unabänderlichen Folgen für meine Sexualität, mein Leben, warum die mich belogen und benutzt haben…da weiß ich keine Antworten, nicht wie ich damit umgehen soll…
Im Blogtalk wurde ein Verbot der Beschneidung angesprochen und stellenweise auch gefordert…für mich persönlich ist ein explizites Verbot nicht wichtig, denn wenn es nicht erlaubt wäre, wäre es da nicht automatisch verboten?
Was aber für mich (ich denke da für alle unter ihrer Beschneidung leidenden Männer zu sprechen?) ein Schlag ins Gesicht ist, alle Probleme die Beschneidung mir und anderen bereitet in Abrede stellt…dieses unsägliche Gesetz, dass mit der Begründung kam, „dass kann man ja machen, denn es hat ja keine Folgen…“
Ein Gesetz in Rekordzeit, dass unter der bewussten Ignorierung von leidvoll Betroffenen, die sich bemühten gehört zu werden und bei verantwortlichen Politikern vorsprachen, zu Stande kam…
Martin Z.: Ein Verbot der MGM muss allein schon deshalb her, weil wir auch gegen die FGM nicht nur mit erhobenem Zeigefinger erfolgreich sein können.
„Ein Gesetz in Rekordzeit“ – das sehe ich auch so, der § 1631d BGB – in seiner heutigen Form! – es wurde hastig mit grimmiger Verbissenheit durchs Parlament gepeitscht.
Dabei sollte der § 1631d BGB ganz anders lauten – jeder Bundestagsabgeordnete wusste das (ich habe jeden mehrfach angeschrieben).
§ 1631d Verbot der rituellen Genitalmutilation
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20. Juli 2012
Pet 4-17-07-451-040847
Text der Petition
Der Deutsche Bundestag möge beschließen, Personensorgeberechtigten jede rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines Jungen (Zirkumzision) oder eines Mädchens (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) im Hinblick auf die Verwirklichung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes oder Jugendlichen bis zu dessen Volljährigkeit zu untersagen. Um dem Individuum die Option auf ein Leben mit unversehrten Genitalien und mit der Option auf eine selbstgeschriebene Biographie zu ermöglichen, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung, ob eine lebenslange Sexualität mit oder ohne Präputium (Junge) oder Klitorisvorhaut (Mädchen) verwirklicht wird, möge der Bundestag beschließen, in das Bürgerliche Gesetzbuch Buch 4 Familienrecht Abschnitt 2 Verwandtschaft Titel 5 Elterliche Fürsorge § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge einzufügen:
§ 1631d Verbot der rituellen Genitalmutilation
Die Eltern können nicht in eine rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres Sohnes (Zirkumzision) oder ihrer Tochter (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) einwilligen. Auch das Kind selbst kann nicht in die Beschneidung einwilligen. § 1909 findet keine Anwendung.
Begründung
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR, Paris 10.12.1948) und das auf ihr beruhende Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (23.05.1949) richten sich zuallererst an den Menschen als Individuum (…)
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– Leicht zu finden im Netz, googlen reicht. –
@Edward von Roy
Da ist schon was dran…aber im Prinzip bräuchte es doch kein explizites Verbot von HGM, alles war/wäre doch über unser GG geschützt, bis zum Urteil des Kölner Landgerichts hieß es halt „wo kein Kläger da kein Richter“?
Das Gesetz, das weibliche Genitalverstümmelung unter Strafe stellt…wurde doch erst nach dem Beschneidungserlaubnisgesetz geschaffen? Warum wohl?
Wichtiger als ein Verbot wäre für mich reden…und das diesmal neg. Betroffene mitreden dürfen…unsere Existenz anerkannt wird…
Ich weiß nicht, ob der Gesetzesentwurf der o.g. Petition für einen alternativen § 1631d BGB in der Form nicht zu feinziseliert ist. Normalerweise werden Gesetze möglichst allgemein gehalten formuliert, da sie ja für alle Menschen gelten sollen.
Ich habe 2012 – nach langen Diskussionen mit Volker Beck – ebenfalls einen alternativen Gesetzesentwurf vorgeschlagen, der auf einen § 1631d BGB ganz verzichtet und einfach im § 1631 BGB einen weiteren Satz einfügt:
§ 1631 Absatz 2 Satz 3: Körperliche Eingriffe ohne medizinische Indikation sind unzulässig.
Die genaue Erläuterung dazu habe ich in meinem Blog beschrieben:
https://ulfdunkel.wordpress.com/2012/10/30/beschneidungsdebatte-alternativer-gesetzesanderung-entwurf-%c2%a7-1631-bgb/
Ich halte es für wirklich erforderlich, dass nach der Erweiterung des § 1631 BGB im Jahr 2000, als Gewalt gegen Kinder explizit verboten wurde, nun dieser nächste Schritt gegangen wird. Es gibt immer noch Eltern, die meinen, die Genitalverstümmelung ihrer Jungen sei weder eine Verstümmelung noch Gewalt gegen ihren Jungen. Ohne ein Gesetz kommen wir hier leider nicht weiter. Gespräche sind gut, ein klares Verbot wäre besser. Es würde werdenden Eltern endlich nicht mehr den Argumentationsboden unter den Füßen wegreißen und sie auch vor dem Druck ihrer Familien und Communities schützen, und natürlich vor allem die Jungen vor viel Leid schützen.
„Die Verpflichtung zur Beschneidung ist durch die Sunna (Aussagen und Handlungen des Gesandten Allahs) belegt. Denn der Koran und die Sunna gelten gemeinsam als die Quelle der Rechtslehre im Islam (…) Ausgehend von der Sunna gilt die Beschneidung sowohl bei Sunniten als auch bei Schiiten als islamische Pflicht und gehört zu den Glaubensüberzeugungen der Muslime.“
(Von Nadeem Elyas. Ist die Knaben-Beschneidung überhaupt Pflicht im Islam? Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) am 21.07.2012.)
http://islam.de/20776
Vielen Dank, lieber Bronski, für’s Dranbleiben am Thema und die Möglichkeit, es hier im Blog ausführlich darzustellen und zu diskutieren. Und natürlich an Victor Schiering und Önder Özgeday für diesen großartigen, offenen und mutigen Blogtalk. Und an alle anderen Beteiligten für die interessanten Beiträge.
@Yasemin
Selbst wenn es irgendwo steht, dass etwas eine „religiöse Pflicht“ ist, jemand was als „Glaubensüberzeugung“ auslegt…wird Religion oder Glaube hier nicht nur als Vorwand für einen Übergriff missbraucht, als Vorwand um sich keiner sachlichen Diskussion stellen, um nicht hinterfragen zu müssen?
@Ulf Dunkel
„Körperliche Eingriffe ohne medizinische Indikation sind unzulässig.“
Absolute Zustimmung…damit wären auch geschlechtskosmetische Eingriff bei Kindern mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen endlich nicht mehr erlaubt?
Aber bevor da irgendwas mit Gesetzen/Verboten/Strafen passieren wird…muss das Thema nicht erst bei den Menschen, in den Herzen ankommen, ein bewusstsein für die möglichen Schäden durch diese nicht selbstbestimmten und informierten Eingriffe?
Solange Männer die unter den Folgen ihrer Beschneidung leiden, ihre Vorhaut restaurieren und so versuchen den ihnen beigebrachten Schaden zu minimieren, sich von der großen Mehrheit unserer Mediziner und Psychologen belächeln lassen müssen, sie von denen nicht ernst oder geschweige denn wahrgenommen werden…brauchen wir da über Gesetze diskutieren?
Im Blogtalk wurde kurz über eine „Aufklärungslösung“ gesprochen…aber wer würde diese Aufklärung vornehmen? Urologen, die diesen Eingriff meist immer noch verharmlosen, ihn leichtfertig bei Phimosen machen, sogar als vorteilhaft darstellen, weil es ihnen immer noch so beigebracht wird, sie das so lernen?
@Yasemin:
„Die Verpflichtung zur Beschneidung ist durch die Sunna (Aussagen und Handlungen des Gesandten Allahs) belegt.“
BELEGT ist natürlich so eine Sache. Ist es beweisbar, dass die Verfasser der Sunna „Gesandte“ eines „Allahs“ waren?
Das ist wohl eher eine Glaubenssache. Manche GLAUBEN auch, dass die Scharia die einzig gültige Rechtsordnung ist. Kann sich unser Staat nach der Scharia richten?
Religionsfreiheit kann in einem aufgeklärte Staat keine Rechtfertigung für Körperverletzung sein.
In die Sunna ist nur eingeflossen, was bereits vor der Entstehung des Islams in jener Gegend Brauch war.
Man hat da einen religiösen Mantel drübergestülpt.
Die Sache ist viel banaler: der Sohn soll nicht anders sein als der Vater. Schon allein, damit der Vater sich nicht als Opfer fühlt.
Bei zwei der sunnitischen Rechtsschulen (der Shafiitischen und der Hanbalitischen) sowie bei den schiitischen Rechtsschulen gilt die Beschneidung als Wajib (Pflicht). Bei den restlichen sunnitischen Rechtsschulen (der Hanafitischen und der Malikitischen) gilt sie als Sunna Muakkadah (Mit Nachdruck empfohlene Prophetentradition).
zitiert aus: Ist die Knaben-Beschneidung überhaupt Pflicht im Islam? Von Nadeem Elyas. Zentralrat der Muslime in Deutschland am 21. Juli 2012
Die Schafiiten, die meisten Hanbaliten, Schiiten und einzelne malikitische Autoren betrachten die Beschneidung als zwingende religiöse Pflicht (Wadschib) (…) Die Hanafiten, die meisten Malikiten und eine schafiitische Mindermeinung sowie der Begründer der hanbalitischen Schule nach einer überlieferten Ansicht betrachten die Beschneidung als „Sunna“
(…) die Erforderlichkeit der Beschneidung überhaupt liegt im (…) Erfordernis der rituellen Reinheit [Tahara].
[ Von Prof. Dr. Mathias Rohe (Zur religiös motivierten Beschneidung von Jungen und Männern im Islam) am 29.10.2012 ]
http://www.deutsche-islam-konferenz.de/DIK/DE/Magazin/Recht/Beschneidung-Grundlagen/beschneidung-grundlagen-node.html
Tahara
https://de.wikipedia.org/wiki/Tah%C4%81ra
Beschneidung und deren mögliche Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen, die Aufklärung darüber um es „in die Herzen“ der Menschen zu bekommen…es ist, so glaube ich und meine Erfahrung, ein Tabu auf mehreren Ebenen…
Nicht nur das Tabuthema Sexualität/sexuelle Befriedigung, insbesondere bei Männern, oder die „Keulen“ Antisemitismus und Islamophobie und das infragestellen der gängigen med. Lehrmeinung bezüglich Aufbau, Nutzen und Wichtigkeit der männlichen Vorhaut für die Sexualität sind Hürden, sondern auch die Übertragung von Gefühlen, was löst das bei Menschen, insbesondere Männern, aus?
Ich habe inzwischen unzähligen von meinen Erfahrungen und Problemen seit/durch meine Beschneidung erzählt um Hilfe zu suchen oder aufzuklären, Ärzte, Anwälte, Therapeuten, Journalisten usw. Inzwischen versuche ich zu beobachten, was meine Geschichte bei anderen Männern auslöst. Anfangs offen, aufgeschlossen und interessiert, kommt dann bei vielen ein Punkt wo ich merke, dass sie unsicher werden, anfangen Blickkontakt zu vermeiden, es ihnen unangenehm wird…und ich frage mich, was macht das mit denen? Übertragen diese, noch empathiefähigen Männer, das Problem auf sich, versuchen sich reinzufühlen…und diese Vorstellung, die eigene Sexualität wäre so eingeschränkt, schmerzhaft, unbefriedigend…was macht das in einem Mann, mit einem Mann? Unangenehm? Das kann nicht sein, dass darf nicht sein, Sex nicht schön, angenehm, befriedigend?
Vielleicht mal als Frage an Bronski…die Vorstellung Ihnen wäre das passiert…als Kind erlebt als Übergriff von Eltern oder Ärzten…oder als junger Mann aufgrund der Lüge von Ärzten…hätte das Auswirkungen auf ihr Leben gehabt? Oder ist doch nur Sex, das ist doch nicht das wichtigste im Leben? Was ist wichtig im Leben? Alles? Nichts?…oder?
Eine merkwürdige Gottesvorstellung, die solchen religiösen Bestimmungen zugrunde liegt!
In der Schöpfungsgeschichte (deutsche Übersetzung) heißt es:
„Er sah alles, was er gemacht hatte. Es war sehr gut.“
Da macht sich dieser Gott die Mühe, eine Welt samt Bewohnern zu erschaffen, die er als sehr gut beurteilt, und verlangt von der Hälfte der Menschheit kurz darauf, einen von ihm selbst als sinnvoll erachteten Körperteil wieder zu entfernen.
Wer denkt sich so was aus?
@Yasemin und Truus
Danke für die Beiträge für die religiöse Begründung…aber was denkt IHR darüber…ohne das ihr dabei auf religiöse Vorschriften verweist oder euer denken und fühlen davon beeinflussen lasst?
@ Brigitte Ernst („und verlangt von der Hälfte der Menschheit kurz darauf, einen von ihm selbst als sinnvoll erachteten Körperteil wieder zu entfernen“)
Danke für Ihren Kommentar. „[V]erlangt von der Hälfte“ – nun, mindestens bei Schafiiten und Dawoodi Bohra nicht „von der Hälfte“ (männlich), sondern von allen (religiös verpflichtende „Beschneidung“, d. i. MGM bzw. FGM, aller Jungen und Mädchen).
„Diesbezüglich gibt es nämlich keinen Unterschied zwischen Schafiiten, die sich für die weibliche ‚Beschneidung‘ aussprechen“ (…) „hieß es, dass die weibliche Genitalverstümmelung nichts mit dem Islam zu tun habe (…) Das ist natürlich Unsinn. So wird FGM in Asien fast ausschließlich von Muslimen praktiziert.“ (Von Thomas von der Osten-Sacken. Auf hpd am 27. März 2018.)
https://hpd.de/artikel/weibliche-genitalverstuemmelung-hat-auch-etwas-dem-islam-tun-15408
.
Erstmals in der Geschichte der USA begann im April 2017 ein Strafprozess nach 18 USC 116 (female genital mutilation, FGM). In Detroit, Michigan, waren Dr. Nagarwala sowie die Eheleute Attar angezeigt worden, drei Angehörige der schiitischen Dawudi Bohra, denen FGM religiöse Pflicht ist.
Islam der Sunniten. Im islamischen Recht der Schafiiten gilt die männliche wie weibliche Beschneidung als wâdschib (farD), religiös verpflichtend. Die anderen sunnitischen Rechtsschulen bejahen die weibliche Beschneidung, den Malikiten gilt sie als sunna (unbedingt nachzuahmen), Hanafiten wie vielen Hanbaliten als makrumâ (ehrenwert), die übrigen Hanbaliten bewerten sie als religiöse Pflicht.
Alle Religionen gehören zum Erbe der einen, unteilbaren Menschheit. Die Freiheit des Glaubens bzw. des weltanschaulichen Bekenntnisses kann keine Rechtfertigung für Körperverletzung an einem Minderjährigen (Mensch unter 18 Jahre) sein, überall auf der Welt.
Bekennen wir uns zum Beibehalten der WHO-Kategorisierung weiblicher Genitalverstümmelung, welche FGM definiert als Typ I, II, III, IV und kämpfen wir gegen die Straffreistellung der Chatna (chitan al-inath, sunat perempuan), auch der milden Sunna.
Denn jede Form von FGM (I, II, III, IV) gehört verboten – überall auf der Welt.
@Truus:
„Die Schafiiten, die meisten Hanbaliten, Schiiten und einzelne malikitische Autoren betrachten die Beschneidung als zwingende religiöse Pflicht…“
Die Dawoodi Bohra, und Teile der Schafiiten und Muslime in Teilen Asiens (z.B. Malaysia) betrachten es als religiöse Pflicht, nicht nur Jungen sondern auch Mädchen zu „beschneiden“. Letzteres ist aber hierzulande streng verboten, bis zu 15 Jahre Haft. Auch wenn die „Beschneidungs“-formen in ihrer Intensität z.T. denen bei Jungen entsprechen, und ebenfalls „medikalisiert sind.
Und die „12 Stämme“ und andere Freikirchen betrachten es als ihre religiöse Pflicht, ihre Kinder zu züchtigen und leiten das aus der Bibel ab?
Und – erlaubt der Staat das deswegen? Nein!
Die Zeugen Jehovas sehen es als ihre religiöse Pflicht an Kindern eine lebensrettende Bluttransfusion zu verweigern. Sagt der Staat dann: „ist schon OK – Hauptsache, das Kind stirbt „rein“?“
Wenn ich einer Religionsgemeinschaft angehöre, die Banken als Werke des Satans ansieht und es als meine religiöse Pflicht ansehe, diese auszurauben….
Der Staat hat ein grundgesetzliches Wächteramt gegenüber allen Kindern. Die Genitalien sind Eigentum der Kinder, nicht der Eltern. Das Eigentum ist durch Art. 14 GG geschützt.
Mögen so bald wie möglich alle Kinder (Kind ist Mensch unter 18 Jahre, vgl. CRC „a child means every human being below the age of eighteen years“), genital intakt geblieben, im Museum in den gläsernen Vitrinen neben Hexenfolterzange und Sklavenkette auch Beschneidungsmesser und Gomco-Klemme betrachten. Denn nicht die Religionen, die Beschneidungsmesser (FGM oder MGM) gehören ins Museum.
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Frage an die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz:
“ Wenn man die Beschneidung wie bei Jungen religiös begründen würde, wäre sie erlaubt? “
https://www.bmjv.de/SharedDocs/Interviews/DE/2018/Print/032218_zeit.html
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Dazu meine Frage an Dr. Katarina Barley bezüglich Inneres und Justiz, die Antwort steht aus
https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/dr-katarina-barley/question/2018-03-28/297901
Volker Beck am 19. Juli 2912 vor dem Deutschen Bundestag: „Es ist im Rahmen des Grundrechtsausgleichs mit zu erörtern, welchen Stellenwert der Beschneidungsbefehl für diese Religion hat. (…) Zu welchen Beeinträchtigungen führt der Eingriff bei dem Jungen ohne Krankheitsbefund, wenn er medizinisch korrekt durchgeführt wird? Es sind relativ geringe Beeinträchtigungen.“
aus: Plenarprotokoll 17/189
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17189.pdf
Circumcision is obligatory upon men and women according to us (i.e. the Shafi’is). (…) The circumcision is wajib upon men and women
https://islamqa.org/shafii/shafiifiqh/30239
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bazr does not mean „prepuce of the clitoris“, it means the clitoris itself (…) The deceptive translation (…) obscures the Shafi’i law
https://answering-islam.org/Sharia/fem_circumcision.html
Truus sagt:
1. April 2019 um 19:07
Volker Beck am 19. Juli 2912 vor dem Deutschen Bundestag: „Es ist im Rahmen des Grundrechtsausgleichs mit zu erörtern, welchen Stellenwert der Beschneidungsbefehl für diese Religion hat. (…) Zu welchen Beeinträchtigungen führt der Eingriff bei dem Jungen ohne Krankheitsbefund, wenn er medizinisch korrekt durchgeführt wird? Es sind relativ geringe Beeinträchtigungen.“
Menschen zu verletzen ist moralisch nicht in Ordnung, egal was in irgendwelchen alten Schriften steht. Es kann nicht in Ordnung sein, sein Kind zu verletzen, es schadet immer. Wie tief das Urvertrauen eines Kindes damit verletzt wird ist unterschiedlich, aber falsch bleibt es auf jeden Fall.
Geringe Beeinträchtigungen – was versteht man denn darunter? Ist das nicht sehr individuell?
Der eine läuft mit seiner Beinprothese einen Marathon und gewinnt die Paralympics, der andere kommt kaum noch aus dem Haus, weil er nicht damit klar kommt nur ein Bein zu haben.
Beschneidung bedeutet erst mal, dem Kind Schmerzen zuzumuten, die nicht Gerechtfertigt werden können, da sie medizinisch nicht begründet sind. Ein kleines Baby hat noch ein anderes Schmerzempfinden, es nimmt Schmerzen viel stärker wahr, da es noch nicht gelernt hat, das Schmerz wieder vergeht. Ich empfehle zur Psychischen Auswirkungen Die Beschneidung von Jungen: Ein trauriges Vermächtnis von Dr. Matthias Franz. Oder dieses Video https://mediathek.hhu.de/watch/de3306fd-e757-4195-985f-60697d02d967
Die Risiken bei Kindern sind recht hoch, nicht wie immer angenommen klein. So wird bei DocChack angegeben https://flexikon.doccheck.com/de/Komplikationen_der_Zirkumzision
Zitat: „Die exakte Komplikationsrate der Zirkumzision ist unbekannt. In prospektiven Studien wurden Raten für kurzfristige Komplikationen von 4% bis zu 55% festgestellt. Das spiegelt die verschiedenen und variierenden Diagnosekriterien wieder, die angewandt wurden. Williams und Kapilla in ihrem häufig zitierten Standardwerk über die Komplikationen der Zirkumzision nennen als „realistischen Wert“ eine Komplikationsrate von 2 bis 10%.[2][3]
In diesem Wert sind jedoch Langzeit-Komplikationen, die sich erst im späteren Leben im Rahmen der körperlichen Entwicklung zeigen, nicht mit enthalten.“
Gerade bei Kindern ist die Gefahr, das etwas schief läuft gegeben, denn um so kleiner das Kind ist, um so weniger kann man wissen wie sich der Penis entwickeln wird. Auch hier gibt es bei DocChack interessantes. Was sich dann im heranwachsen ergibt ist für die Jungen oft schrecklich, und dazu noch völlig unnötig. Spätfolgen: Verdrehung des Penis, Haariger Schaft, schmerzhafte Erektionen, Posttraumatische Belastungsstörung, manchmal auch der Tod.
Das mit dem länger können wird von manchen bejubelt, von anderen als länger müssen empfunden, und sogar als schmerzhaft. Woher sollen die Eltern wissen, was ihr Kind später mag?
Das alles mit Religionsfreiheit zu begründen, das ist ein Tritt ins Gesicht eines jeden negativ Betroffenen. Keine Religion hat das Recht seine Kinder zu verletzten – moralisch gesehen. Ich weiß unsere Politiker sehen das anders. Doch ich finde, es ist jeden Eltern zuzumuten zu warten bis das Kind 18 Jahre ist. Wenn dann das Kind einverstanden ist, dann kann ja immer noch Beschnitten werden.
Lieber Truus,
zu den Ausführungen des Herrn Beck, da würde mich interessieren, woher er das weiß? Selbst wenn er die Beeinträchtigungen als relativ gering ansieht…es sind also Beeinträchtigungen…und somit aus rechtsstaatlicher Sicht abzulehnen?
Eingriffe an Kindern ohne Krankheitsbefund/med. Indikation…kann etwas was gegen alle Regeln der ärztlichen Kunst verstößt, med. Korrekt durchgeführt werden/sein?
Wir können uns hier zumüllen mit verschiedenen Sichtweisen und Perspektiven anderer…aber was denken SIE?
@ Bela
Danke für das Verlinken des hochinteressanten und geradezu erschütternden Vortrags von Dr. Franz. Eine Bestätigung und Vertiefung meiner eigenen (laienhaften) Erklärungsversuche für das Phänomen der Beschneidung.
@ Martin Z.
Von meiner eigenen streng religiösen Sozialisation weiß ich, dass ein(e) wirklich Gläubige(r) die eigene Meinung nach dem ausrichtet, was die religiösen Autoritäten vorschreiben. Deshalb ist es in einem solchen Fall müßig, jemanden nach seiner Meinung zu fragen.
@Brigitte Ernst
Was ist wirklicher Glaube? Wie viele Menschen haben sich von religiösen Autoritäten abgewandt…glauben dafür unhinterfragt was Gesetze/politische oder ärztliche Autoritäten vorschreiben/von sich geben? Wie sonst ist die ungeheuerliche Zahl von ca. 28.000 Jungen, die jedes Jahr eine med. unnütze Beschneidung über sich ergehen lassen müssen zu erklären?
Sie selbst scheinen sich aber, trotz streng religiöser Sozialisation, eine eigenen Meinung gebildet zu haben? 😉
Es mag müßig erscheinen…aber trotzdem werde ich nie aufhören, andere Menschen nach ihrer Meinung zu fragen…denn hinter jeder noch so starken „Fassade“ aus irgendwelchen Sozialisationen steckt immer noch ein Mensch…oft halt nur ein schlummernder, arg versteckt…aber jeder möchte aufwachen und raus 😉
Hier die o. g. Grafik noch einmal in besserer Auflösung und Größe. Man beachte den – violett markierten – Bereich sehr feinfühliger Druckwahrnehmung, der bei einer Beschneidung üblicherweise nahezu vollständig verlorengeht.
https://www.droitaucorps.com/wp-content/uploads/2013/05/sorrells-etude-sensibilite-prepuce.jpg
Truus sagt:
1. April 2019 um 19:07
„Volker Beck am 19. Juli 2912 vor dem Deutschen Bundestag….“
Volker Beck sagte schon viel in Sachen Kinderrechte. „Schreckliche Sätze“, die er heute „bedauert“:
„Ich habe schreckliche Sätze geschrieben, das tut mir aufrichtig leid. Und ich möchte mich bei jedem, der sich verletzt fühlt, entschuldigen“
U.v.a: z.B.:
„Eine Entkriminalisierung der Pädosexualität ist angesichts des jetzigen Zustandes ihrer globalen Kriminalisierung dringend erforderlich.“
Damals hat er sexuellen Kindesmissbrauch verharmlost, heute verharmlost er Genitalverstümmelung von Jungen („Beschneidung“ ist framing, ein gewollter Euphemismus – anders als bei beschnittenen Rosen wächst da nichts mehr nach).
Beck ist wahrlich ein Volltreffer in Sachen „Experte für Kinderrechte“
Man fragt sich, ob er wieder 30 Jahre braucht, um seine verheerenden Sätze von 2012 zu bedauern, und ob er dann wieder zum Jagen getragen werden muss.
Könnte knapp werden, Beck ist Jahrgang 1960.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/paedophilie-debatte-um-gruene-volker-beck-taeuschte-oeffentlichkeit-a-923357.html
@ Martin Z.
Meine eigene Meinung konnte ich mir erst bilden, als ich begonnen hatte, mich von der Kirche zu lösen. Das wiederum wurde begünstigt durch mein Studium an der Frankfurter Universität von 1966 bis ’71. Nicht jede(r) hat das Glück, seine/ihre Adoleszenz in einer derartige Zeit des Umbruchs zu durchlaufen, wenn alles in Frage gestellt wird. Mir ist es gelungen, im Gegensatz zu den Eltern, die Dr. Franz in seinem Vortrag beschreibt, mir die seelischen Schäden, die meine religiöse Erziehung bei mir verursacht hatte, einzugestehen, und so musste ich meine traumatischen Erfahrungen nicht an meine eigenen Kinder weitergeben nach dem Mechanismus, den der Psychoanalytiker aufdeckt. Vielen gelingt es aber offenbar nicht, aus diesem Teufelskreis von Leiden und verdrängter Aggression auszubrechen.
Die Emanzipation von einer Glaubensgemeinschaft ist meist nicht leicht. Man gewinnt an Einsicht und Freiheit, verliert aber die Geborgenheit der eingeschworenen Gemeinschaft und die Sicherheit der vorgegebenen Werturteile. Bevor man, wie es bei streng religiösen Muslimen eher als bei heutigen Christen der Fall ist, Gefahr läuft, aus der Familie verstoßen zu werden, wird man sich lieber anpassen.
Truus sagt:
1. April 2019 um 19:07
„…
Circumcision is obligatory upon men and women according to us (i.e. the Shafi’is). (…) The circumcision is wajib upon men and women “
Na, wenn das so ist – dann hat der Gesetzgeber ja elementar gegen die grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit verstoßen, als er den §226a StGB schuf, na so was!
Wollen wir denn nun ernsthaft die Gleichstellung der Geschlechter, oder wollen wir sie nicht?
Steht im Grundgesetz: „Erwachsene und Mädchen haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit“?
Steht da „Jeder hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, außer kleine Jungen“?
Volker Beck irrt mit dem Ausdruck „Grundrechtsausgleich“
Am 12.12.2012 wurden keine Grundrechte „ausgeglichen“
Im Falle einer Amputation kann es ja auch keinen „Kompromiss“ geben. Man hat einseitig das Grundrecht aller Jungen auf körperliche Unversehrtheit partiell abgeschafft.
Der Becksche „Grundrechtsausgleich“ sah so aus:
100% Religionsfreiheit der Eltern
0% Religionsfreiheit des Kindes
0% Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes
0% Recht auf Eigentum des Kindes (an seiner Vorhaut)
0% Gleichberechtigung der Geschlechter
0% Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (leitet sich aus Art. 1 ab)
Insgesamt werden durch den §1631d BGB mindestens die Artikel 1, 2, 3, 4, 6, 12, 14, 19 und 140 des Grundgesetzes verletzt.
Der Bundestag hatte ja 2012 beim Wissenschaftlichen Dienst desselben angefragt, „Verfassungsrechtliche Einschätzung der religiös motivierten
Beschneidung bei nicht-einwilligungsfähigen minderjährigen Jungen
“ worauf der WD diese als „üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt“ bezeichnete.
Der WD:
„Nach alledem dürfte das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit überwiegen und eine Beschränkung de s Elternrechts und der Glaubensfreiheit verfassungsrechtlich rechtfertigen. Denn der körperliche Eingriff wäre im Fall der erlaubten Beschneidung irreversibel, während das religiöse Gebot auch noch von dem religionsmündigen Kind befolgt werden kann. Die religiöse Beeinträchtigung ist dann allein zeitlicher Natur und erscheint als im Vergleich zur
dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit milder“
Allerdings war das genau das, was die Initiatoren des §1631d nicht hören wollten!
Sicherheitshalber hatte man aber noch eine andere Anfrage an den WD gestellt: „Klagemöglichkeiten gegen ein Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes“
Antwort des WD:
„Da § 1631d BGB-E ausdrücklich die Beschneidung von „nicht einsichts- und urteilsfähigen“
männlichen Kindern erlaubt, ist davon auszugehen, dass regelmäßig keine Grundrechtsmündig-
keit und damit Verfahrensfähigkeit vorliegen wird. …. Eine
Vertretung des Minderjährigen im Verfassungsbeschwerdeverfahren durch seine Eltern ist eher
unwahrscheinlich, da der Minderjährige im Zweifel gegen die (potentielle) Einwilligung der El-
tern vorgehen wird, die § 1631d BGB-E diesen ermöglicht. Daher ist es sehr zweifelhaft, ob es
Fallkonstellationen geben kann, in denen der Beschwerdeführer tatsächlich verfahrensfähig ist
bzw. seine Verfassungsbeschwerde von einem Vertreter geltend gemacht werden wird.“
Da waren die treibenden Kräfte in der Politik total beruhigt: „Na bitte, dann machen wir’s doch einfach, bis da Klagen kommen…“
Es sind damals eine ganze Reihe von Anfragen an den WD gestellt worden. Die Ausarbeitungen wurden streng unter Verschluss gehalten, offenbar waren sie den Politikern oberpeinlich. Erst durch eine Klage von Bürgern durch drei! Instanzen mussten sie „offengelegt“ werden – allerdings mit z.T eklatanten Schwärzungen, selbst noch in den Fußnoten wurde geschwärzt, so dass man z.T die Quellen von Aussagen nicht mehr erkennen kann!
Z.T. wurde sogar nach einiger Zeit noch „nachgeschwärzt“.
Hier nur Links auf die beiden genannten Ausarbeitungen:
https://sehrgutachten.de/bt/wd3/252-12-verfassungsrechtliche-einschaetzung-der-religioes-motivierten-beschneidung-bei-nicht-einwilligungsfaehigen
https://sehrgutachten.de/bt/wd3/286-12-klagemoeglichkeiten-gegen-ein-gesetz-ueber-den-umfang-der-personensorge-bei-einer-beschneidung-des-maennlichen
Sich aus einer Indoktrination zu lösen ist sehr schwer. Kenne ich auch. Man kann das schaffen, es gehört aber auch ein Umfeld dazu, was unterstützt. Das ist auch mit ein Grund, warum das verletzen von Kindern nicht aufhört. Es darf halt nicht falsch gewesen sein, die Eltern haben einen Lieb sie würden niemals etwas tun was ihr Kind gefährdet ….
Leider ist das falsch, denn die menschliche Psyche ist geschickt darin, Erlebnisse, die wir nicht verarbeiten können zu positiveren. Damit hat dann die Prügel nicht geschadet, sie hat einen auf den Weg gebracht. Die Beschneidung sieht besser aus ect. Kognitive Dissonanz tritt immer dann auf, wenn verschiedene Kognitionen Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten nicht vereinbar sind. Es entstehen Dissonanzen.
In Seinem Buch „Beschneidung von Jungen – ein trauriges Vermächtnis“ schreibt Prof Dr, Matthias Franz
[…]„Ein solcher traumatisch bedingter Empathiebruch kann aufgrund hoher
elterlicher Eigenbetroffenheit auch die Einfühlung in die Ängste der eigenen
Kinder (z. B. vor der Beschneidung) betreffen und so zu einer Fortsetzung der
rituellen Praxis beitragen. Dies gilt besonders, wenn das Ritual für die Kohäsion
und Identität der sozialen Bezugsgruppe wichtig ist und mittels klerikaler
Machtansprüche eingefordert wird. Kollektive Überzeugungen und Rituale
werden gruppal also besonders dann unreflektierbar tradiert, wenn der Gewaltaspekt
des ausgeübten Rituals aufgrund eigener Abwehrbedürfnisse der selbst
traumatisch befangenen Eltern verleugnet werden muss. Dann kann das emotionale
Erleben von Angst und Schmerz des kindlichen Opfers von den handelnden
Erwachsenen eben nicht mehr empathisch erfasst werden und eine Täter-
Opfer-Kette kann sich transgenerational über historische Zeiträume hinweg
etablieren. Ähnlich wie Eltern, welche ihre Trauer über kindheitlich erlittene
Entbehrungen, Strenge oder Kränkungen in einer Depression verschließen und
deshalb das Weinen ihrer eigenen Kinder nicht ertragen können, weil es sie an
ihre eigene unverarbeitete und verdrängte Trauer erinnert, so können Eltern in
dem Bereich, in dem sie selbst als Kinder von ihren Eltern traumatisiert worden
sind, ihre eigenen Kinder oft gar nicht oder nur unter großen Anstrengungen
empathisch begleiten.
Bezogen auf das religiös motivierte Beschneidungsritual halten also zwei sich
ergänzende und durch gruppalen Konformitätsdruck vermittelte Mechanismen
die wiederholende Reinszenierung des Rituals aufrecht: zum einen die durch das
eigene Beschneidungstrauma bewirkte Empathie- und Wahrnehmungsstörung
der Eltern und Beschneider gegenüber den Schmerzen, Ängsten und Gefahren,
denen sie ihre Kinder aussetzen; zum anderen eben die daraus folgende unbewusste
Identifi kation der betroffenen Kinder mit dem elterlichen Aggressor. Die
mündet konklusiv in die transgenerationale Agenda: »Es kann und darf nicht
schlecht gewesen sein, was meine Eltern damals mit mir gemacht haben. Deshalb
tue ich es jetzt mit meinen Kindern auch. Und wenn ich es ihnen dann
auch angetan habe, kann ich nicht mehr zurück und einsehen, dass das unter
anderem auch ein schlimmer Gewaltakt war. Dafür festigt sich aber der Zusammenhalt
und die Loyalität innerhalb unserer Gruppe.«[…]
Das beutet, das die Bewegung der Brit Shalom auf jüdischer Seite und auch die Infragestellung auf moslemischer Seite nicht ausreichen wird. Ein Verbot würde die Menschen unterstützen, die es geschafft haben sich aus dem Täter /Opfer Kreislauf zu lösen. Alle Eltern lieben ihre Kinder, sie wollen das beste für sie. Das darf man nicht vergessen. Doch der Wille den Kindern kein Unrecht zuzufügen reicht manchmal nicht aus.
@Brigitte Ernst
Danke für Ihre persönlichen Erfahrungen…Sie sehen und sagen ja selber, wie schwer es ist aus diesem Teufelskreis rauszukommen, ihn zu durchbrechen?
Wobei ich nicht finde, dass man dadurch Geborgenheit und Sicherheit verlieren muss…sondern durch erweitern des Blickwinkels Geborgen- und Sicherheit gewinnen kann? Ich lehne dadurch ja nicht die Menschen ab, die an bestimmte Sachen glauben…sondern hinterfrage ihre Einstellungen…
Die eigenen Einstellungen zu hinterfragen ist ja schon hart, wie Sie es beschreiben…bei Beschneidung ist das glaube ich noch mal eine ganz andere Nummer…da muss man den eigenen Körper, die eigene Sexualität, das eigene Handeln hinterfragen…Einstellungen kann man leicht ändern…aber irreversible Schäden am eigenen Körper nicht? Was ist leichter…sich einem Trauma stellen…oder wie Prof. Franz es auf den Punkt bringt: „Was mit mir gemacht wurde, was meine Eltern mit mir gemacht haben, kann nicht falsch sein, darf nicht falsch sein, daher muss ich es auch mit meinen eigenen Kindern machen…und wenn ich das erst gemacht habe, kann ich schon gar nicht mehr zurück und hinterfragen…“
Dieselbe Denke habe ich schon bei Urologen ebenso beobachten können „Das habe ich so gelernt, schon unzählige male so gemacht, das kann und darf nicht falsch sein, denn sonst hätte ich Menschen geschadet…daher kann ich nicht mehr zurück und hinterfragen…“
@ Martin Z.
Mir ist klar, dass seelische Schäden nicht mit einem irreversiblen körperlichen Verlust, der ja zusätzlich psychische Traumata hervorruft, zu vergleichen sind. Aber es ist auch nicht leicht, tief verwurzelte Einstellungen zu verändern. Oft gelingt das nur mit therapeutischer Hilfe.
Eine Möglichkeit, mit dem Groll gegen die eigenen Eltern fertig zu werden, ist die Erkenntnis, dass sie selbst Opfer einer inhumanen Überlieferung sind. Dann kann man Ihnen am ehesten verzeihen. Voraussetzung dafür ist aber, dass man eine Bewusstseinsebene erreicht hat, die einem das Eingeständnis des eigenen Leidens überhaupt erst einmal ermöglicht.
Die überzeugten Verfechter der Tradition werden alles daransetzen, einem den Zusammenhang zwischen dem früheren und dem aktuellen Leiden auszureden. Diese Erfahrung haben ja einige, die sich hier geäußert haben, selbst beschrieben.
Dazu kommt noch, dass Kinder sich oft unbewusst für den Seelenfrieden der Eltern verantwortlich fühlen. Sie spüren sehr genau, welches Gefühl von Scheitern und Schuld es bei den Eltern hervorrufen kann, wenn sie, die Nachkommen, den von den Eltern vorgezeichneten Weg verlassen. Dieses Bewusstsein kann dann wiederum bei den Kindern Schuldgefühle hervorrufen. Und darin besteht die große Macht vieler Religionen: dass sie perfekt sind in der Manipulation durch Schuldgefühle.
Leider ganz aktuell auch auf der ankommen App bei DIK Deutsche Islam Konferenz | Von Prof. Dr. Mathias Rohe, 29.10.2012
“ Die Schafiiten, die meisten Hanbaliten, Schiiten und einzelne malikitische Autoren betrachten die Beschneidung als zwingende religiöse Pflicht (Wadschib) (…) Die Hanafiten, die meisten Malikiten und eine schafiitische Mindermeinung sowie der Begründer der hanbalitischen Schule nach einer überlieferten Ansicht betrachten die Beschneidung als „Sunna“, als kultischen Brauch des Islam, welcher der natürlichen Veranlagung (Fitra) entspricht. “
http://ankommenapp.de/DIK/DE/Magazin/Recht/Beschneidung-Grundlagen/beschneidung-grundlagen-node.html
.
Mathias Rohe verschweigt, dass die geistlichen Autoritäten der schiitischen Dawoodi Bohra und der sunnitischen Schafiiten in Bezug auf die religiöse Pflicht zur „Beschneidung“ (MGM oder FGM) zwischen Junge und Mädchen nicht unterscheiden.
Das gestrige Statement auf Deutschlandfunk (02.04.2019 „Die Beschneidung von Jungen ist im Islam keine Glaubenspflicht, wohl aber zählt sie zu den wichtigsten Empfehlungen“) ist mindestens schafiitisch sowie bei allen Bohra, nicht nur den Dawoodi, nicht richtig und Mathias Rohe weiß das.
Wenig wissenschaftlich übergeht der über Sunna bzw. Sunna muakkada (sog. nachdrückliche Sunna, einem wadschib de facto gleichkommend) redende Islamexperte („Die Beschneidung gehört nicht zu diesen Pflichten, wird aber zu den wichtigsten Empfehlungen gezählt“) den Fiqh der siebenerschiitischen Bohra und der sunnitischen Schafiiten.
Dass die weltweit verbreitete FGM auch ein sehr islamisches Probblem ist, möchte Mathias Rohe der deutschen Öffentlichkeit nicht sagen.
https://www.deutschlandfunk.de/serie-den-islam-leben-beschneidung-ja-nasenkorrektur-nein.886.de.html?dram:article_id=445166
Prof. Dr. Mathias Rohe hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Erlangen-Nürnberg inne und war Teilnehmer der Deutschen Islam Konferenz in der ersten Phase.
Noch zum o. g. Text von Mathias Rohe vom 29.10.2012 („… zwingende religiöse Pflicht (Wadschib) …“) .
„weil die religiöse Verpflichtung erst mit der Pubertät eingreift“
wir sind bund. – Beschneidung von Jungen – islamische Grundlagen
http://www.wir-sind-bund.de/DIK/DE/Magazin/Recht/Beschneidung-Grundlagen/beschneidung-grundlagen-node.html
„Solche Debatten sind dort zu führen, wo sie hingehören: In den Religionsgemeinschaften.“
BAMF – Beschneidung von Jungen – islamische Grundlagen
http://www.asyl-in-deutschland.rs/DIK/DE/Magazin/Recht/Beschneidung-Grundlagen/beschneidung-grundlagen-node.html
.
Antrag abgelehnt, Herr Dr. Rohe. Ob Mädchen oder Junge: keine Beschneidung unter achtzehn Jahren.
Mathias Rohe (2005) empört tuend zur Islamic FGM / sunat perempuan / khitan al-inath
“ die Rechtfertigung der grauenhaften weiblichen Genitalverstümmelung (…) Eine solche Rechtfertigung findet sich z. B. in einem Werk von Abu Bakr Abdu’r-Razzaq, Circumcision in Islam, London 1998, übers. v. Aisha Bewley, hrsg. v. Abdalhaqq Bewley und Muhammad ‘Isa Waley, London 1998, S. 62 f., 100 f. und öfter “
Fachtagung „Integration und Islam“ (Beiträge anlässlich der Fachtagung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 21.06. bis 22.06.2005 | ab Seite 120 Mathias Rohe zu (Titel) Islamismus und Schari‘a
http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Publikationen/SchriftenreiheAsyl/series-of-publications-vol-14_schriftenreihe-band-14.pdf?__blob=publicationFile
.
Derselbe drei Jahre später. Wieder kein Wort davon, dass die höchsten Gremien der islamischen Gelehrten in Malaysia (JAKIM) und Indonesien (MUI) gar nicht daran denken, ein etwaiges staatliches Verbot der islamischen FGM zu akzeptieren. Rohe:
“ Freilich gibt es „absolute“ Grenzen der Religionsfreiheit. Kein religiöses oder kulturelles Anliegen vermag beispielsweise die Genitalverstümmelung bei Mädchen oder Frauen zu rechtfertigen oder auch nur zu entschuldigen “
Rohe, Mathias: Islam und Recht in Deutschland – über den Umfang und die Grenzen der Religionsfreiheit. In: Die Politische Meinung (2008), pp 39-45
https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=6800b1a6-686c-b4c0-27cf-31b1590f821f&groupId=252038
.
Warum verschweigt die Deutsche Islamkonferenz (DIK), warum verschweigt Mathias Rohe, dass die FGM auch ein sehr islamisches Probblem ist?
Noch die geringst invasive Form der weiblichen Genitalverstümmelung ist weltweit zu überwinden, zu verbieten.
Mädchen wie Jungen verdienen bis zur Vollendung ihres achtzehnten Lebensjahres hundertprozentigen Schutz vor medizinisch nicht indizierten Operationen im Genitalbereich.
Die Diskussion der religiösen Grundlagen für Vorhautamputationen sind immer spannend, aber hinsichtlich der Problemstellung eigentlich müßig.
Denn in dem Alter, in dem die Jungen typischerweise „beschnitten“ werden, haben sie sich nicht entschieden und können sich auch noch nicht entscheiden, ob der betreffende Glaube auch ihr Glaube ist und falls dem so ist, ob ihnen die Glaubensgrundlagen für die Vorhautamputation überzeugend genug sind, um diesen irreversiblen Eingriff an ihrem eigenen Körper vornehmen zu lassen.
Und diese individuelle, persönliche Überzeugung eines entscheidungsfähigen Betroffenen ist das einzige, was rechtlich zählt (bzw. zählen sollte).
Selbst wenn man eine verbindliche Religionsauslegung eines „anerkannten“ Gottesglaubens als ausreichende Rechtfertigung für diesen Übergriff an Kindern ansehen würde, ist nicht zu vergessen, dass durch § 1631 d BGB auch Vorhautamputationen freigegeben wurden, die „nur“ auf Traditionen und Bräuchen beruhen, die nicht durch religiöse Gebote festgeschrieben sind: Etwa an Jungen aus nicht-muslimischen afrikanischen Kulturen, mit US-amerikanischen Eltern(teilen) oder aus den katholischen (!) Philippinen.
Und schließlich natürlich das fatale Signal, das hinsichtlich der vielen überflüssigen „Phimose-OPs“ gesetzt wird. Denn wenn Vorhautamputationen so „harmlos“, womöglich gar „wohltuend“ sind, dass man sie der freien Entscheidung der Eltern überlassen kann, dann muss man die tatsächliche medizinische Indikation doch gar nicht mehr hinterfragen…
@Meike Beier
Der Automatismus fängt mit dem Moment der Geburt an. Ein Kind wird in die Glaubensrichtung seiner Eltern hineingeboren und die Frage nach dem freien Willen stellt sich gar nicht. Mein Kind, mein Glaube. Da ist keine Öffnung, kein Bewusstsein dafür, wie sehr in das Wesen eines Menschen durch den Zwang der Religionszugehörigkeit der Eltern, eingegriffen wird. Eine Wahl gibt es nicht. Daraus leiten sich je nach Glaube die Übergriffe ab.
Ob der Gesetzgeber bereit ist, hier zum Wohle eines Kindes, in diesem Falle der angeblichen religiösen Tradition der Beschneidung, einzugreifen und diese bis zur „Mündigkeit“ zu untersagen, wage ich zu bezweifeln.
@Brigitte Ernst
Absolut…aber man darf keinen Groll gegen die Eltern haben, denn waren sie nicht selber Opfer dieser Einstellungen. Niemand will seinen Kindern schaden…auch Eltern, die ihre Kinder beschneiden lassen…sie meinen es ja eigentlich nur gut? Doch das Gegenteil von Gut ist nicht Schlecht oder Böse…sondern gut gemeint…wenn ich etwas gut meine…dann habe ich denn anderen nicht gefragt, über ihn bestimmt…ihn zum Objekt gemacht?
Ja, Religionen manipulieren mit Schuldgefühlen…aber wenn wir nicht lernen, dass es auf dieser Welt keine Schuld gibt, wir immer nur auf die Schuld schauen, aber nie Ursache und Auswirkung im Blick haben…werden wir uns ewig nur im Kreis drehen?
Neulich habe ich Worte des Dalai Lama gelesen…ich glaube alle unsere Probleme auf dieser Welt lassen sich darauf „herunterkürzen“:
„Menschen wurden erschaffen, um geliebt zu werden. Dinge wurden erschaffen, um benutzt zu werden. Der Grund, warum sich unsere Welt im Chaos befindet ist, weil Dinge geliebt und Menschen benutzt werden“
Die Diskussion driftet jetzt leider ab.
Es geht hier doch nicht um die vermeintliche Schädlichkeit von Religion an sich, oder die vermeintliche Schädlichkeit von religiöser Erziehung.
Manche Atheisten möchten gerne religiöse Erziehung unterbinden, aber das geht eben nur mit faschistoiden Methoden.
Es geht auch nicht um persönliche Erfahrungen mit einer christlichen Religionsgemeinschaft.
Das kann man alles diskutieren – anderswo.
Hier geht es um eine Körperverletzung, begangen an Kindern.
Körperverletzung hat nichts mit Erziehung zu tun, sondern ist das genaue Gegenteil. Erziehung fördert, eine Amputation zerstört.
Die überhaupt nicht religiös motiviert sein muss (das fordert auch das schändliche neue Gesetz nicht) – und die es in vielen Fällen auch gar nicht ist!
Das beste Beispiel hat doch weiter oben Önder Özgeday gegeben. Sein Vater – Atheist, wie er selbst.
Und in den überwiegend christlichen USA und auf den Philippinen findet Jungenverstümmelung (BGM) millionenfach statt, obwohl sie vom Christentum nicht gefordert wird (sogar mal bei Todesstrafe verboten war).
Und wir müssen andererseits auch sehen, dass eben nicht, wie oft behauptet, die Genitalverstümmelung von Mädchen (GGM) überhaupt nichts mit Religion zu tun hat.
Es wird geflissentlich versucht, die Geschlechter auseinander zu dividieren.
GGM: ganz schlimm, zerstört die Sexualität aller Betroffenen völlig, hat nichts mit Religion zu tun (was so nicht stimmt), hat keine „medizinischen Vorteile“ (als ob es bei Jungen ein „gesünder als gesund“ gäbe), ist „patriarchalisch“ (in Wahrheit oft matriarchalisch) und dient dazu „Frauen zu unterdrücken“, praktisch alle betroffenen Frauen leiden lebenslang furchtbar darunter, und viele Mädchen sterben daran.
BGM: harmlos, Männer „funktionieren (ejakulieren) ja trotzdem“ hat die tollste „medizinischen Vorteile“ (sollte früher mal sogar gegen Epilepsie, Klumpfuß und Gehirnerweichung wirken, da wird ständig was neues erfunden) – und ist religiös völlig unabdingbar. Und alle so „verbesserten“ Männer sind bestens zufrieden damit.
Und es wird meist von „Frauen“ einerseits und „Knaben“ andererseits geredet, als ob es nicht beide Geschlechter fast ausschließlich im Baby- Kindes- oder Jungendalter betroffen wären.
Deswegen spricht man auch von „weiblicher“ Genitalverstümmelung (nicht etwa Genitalverstümmelung von Mädchen) und der „Beschneidung“ (also „ganz was anderes“) von „Knaben“ (wer sagt heute noch Knaben?) sollte man anders herum dann von „Mägden“ sprechen?) um da eine knallharte rote Linie zu ziehen, wo es keine rote Linie gibt.
So weit das aufgebaute Lügengebäude: „Das eine ist etwas völlig anderes als das andere!!!“
Dabei wird dann meistens verglichen: die schlimmste Form der Mädchenverstümmelung, die Infibulation (die nur einen kleinen Teil der GGM-Fälle ausmacht), möglichst mit der dreckigen Rasierklinge und ohne Betäubung – mit einer ärztlichen Zirkumzision, im sterilen Krankenhaus, selbstverständlich unter Vollnarkose + Lokalanästhesie.
Es wird nicht verglichen: die medikalisierte Klitorisvorhautbeschneidung durch eine Ärztin in Malaysia mit der brutalen Verstümmelung, an der hunderte männliche Jugendliche jedes Jahr bei den Xhosa in Südafrika versterben. Wo man sich die fürchterlichen Resultate, wenn man hartgesotten ist durch googlen nach „Ulwaluko circumcision photos“ anschauen kann.
Ja, die Xhosa, sie wurden auch im Gesetzentwurf der Regierung erwähnt – aber ohne die Katastrophen zu erwähnen, die dort laufend passieren.
Es werden nie Frauen vorgestellt, die total stolz auf ihre „Beschneidung“ sind, die sagen, dass der Tag der „Beschneidung“ der schönste in ihrem Leben war, dass alles bestens mit ihrem Sex wäre, die als Erwachsene ohne jeden Zwang nach Afrika reisen, um nachzuholen, was sie meinen in ihrer Kindheit verpasst zu haben.
Das alles gibt es nämlich auch. Dass es Männer gibt, die über ihren „Beschneidung“ sehr unglücklich sind, das passt halt nicht in diese große Schwarz-Weißmalerei. Es sind gar nicht so wenige Männer, die unzufrieden darüber sind, dass ihnen als Kind die Vorhaut geraubt wurde. Selbst in den USA, wo BGM mal fast flächendeckend stattfand sind lt. einer repräsentativen Umfrage 10% der so Behandelten nicht einverstanden mit dem was mit ihnen gemacht wurde. Reicht das nicht, um zu sagen „das muss jeder für sich selbst entscheiden – wenn er alt genug ist“?
Das „Hinterzimmer-Argument“ von 2012, dass man BGM „zulassen“ müsste, damit die Jungen nicht im Hinterzimmer von irgend einem Pfuscher vermurkst würden (gerade sind in Italien zwei Jungen nach BGM innerhalb von 10 Tagen gestorben) – seltsamer weise lässt man das für Mädchen nicht gelten. Die sollen lieber im Hinterzimmer verrecken? Oder setzt man darauf, dass potentielle Täter durch die angedrohten 15 Jahre Haft abgeschreckt würden (bei Jungen wird ja immer gesagt „Strafandrohungen sind sinnlos, die machen das ja doch“)?
„Was kümmert uns 2013 (§226aStGB) unser Gerede von 2012 (§1631d)“?
Mal so, mal so, es geht einfach nur nach der Wirkmächtigkeit der betreffenden Lobbys. Und da sind einige sehr an der Fortführung von BGM interessiert, vor allem die, die gutes Geld damit verdienen.
Kommt es wirklich darauf an, GGM 1,78 mal oder 2,35 mal schlimmer als BGM ist (als ob man das überhaupt messen könnte) um zu sagen: „gesundes, sensibles und funktionales Gewebe von Kindergenitalien zu amputieren – das ist eine Menschenrechtsverletzung“?
Die Genitalien von Mann und Frau sind in hunderttausenden von Jahren per Evolution optimiert worden – da ist nicht unsinniges oder überflüssiges oder schädliches dran. Es hat alles seinen Sinn.
Und was haben wir jetzt für eine „Salat“? Zwei geschlechtlich komplementäre Gesetze.
Das fällt jetzt vermehrt auch Juristen und sog. „Ethikern“ auf. Und es mehren sich die Forderungen, aus Gründen der geschlechtlichen Gleichbehandlung doch auch „leichtere Formen“ von GGM nicht zu verfolgen.
So ist das, wenn der Rechtsstaat erst einmal auf die schiefe Ebene geraten ist – er rutscht immer weiter ab. Es mehren sich die Zuwanderer aus Gebieten mit GGM-Tradition, und der Ruf der Anthropologen nach „Anerkennung derer Kultur“ – er wird kommen.
Und dann? Wird dann den verantwortlichen Parteien endlich klar werden, was für ein Kardinalfehler der 1631d war? Es ist doch auffällig, dass es GGM nur dort gibt, wo es auch BGM gibt.
Es ist die Wiedereinführung des Rechtes des Stärkeren. Die Kinder können sich nicht wehren.
Wenn einem als Kind lange genug eingeredet wird, dass man dadurch „verbessert“ wurde, und alle anderen um einen herum ja auch so sind, dann glaubt man das häufig irgendwann.
Es fühlt sich ja auch besser an, nicht als Opfer zu fühlen.
Und am besten kann man das Opfer-sein ablegen, wenn man später selbst zum Täter wird – das gilt für Mütter wie Väter. Die erlebte Ohnmacht in Macht zurückverwandeln! Unterließe man das, würde man sich ja eingestehen, dass man ein Opfer ist, und das tut weh. Da müsste man das abgekapselte Trauma an sich heranlassen, und das macht Angst.
Äthiopisch-Orthodoxe Tewahedo-Kirche … die Beschneidung von Jungen
https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84thiopisch-Orthodoxe_Tewahedo-Kirche
The Eritrean Orthodox Church calls for male circumcisio
https://en.wikipedia.org/wiki/Eritrean_Orthodox_Tewahedo_Church
Kopten … Circumcision and the Copts
http://britishorthodox.org/glastonburyreview/issue-122-circumcision-and-the-copts/
The Ethiopian Orthodox Church calls for male circumcision
https://en.wikipedia.org/wiki/Ethiopian_Orthodox_Tewahedo_Church
.
Islam … khitan (circumcision)
https://en.wikipedia.org/wiki/Khitan_(circumcision)
Truus, sie brauchen jetzt nicht alle religiösen Splittergruppen aufzuzählen…
„The Eritrean Orthodox Church calls for male circumcision“
Ändert das jetzt irgendwas an der Problematik?
Zu den Kopten sei noch angemerkt:
„Denn auch Kopten, die christlichen Ägypter, lassen ihre Mädchen und Frauen beschneiden.“
https://www.deutschlandfunk.de/aegypten-muehsamer-kampf-gegen-weibliche.799.de.html?dram:article_id=364884
Was kann man daraus jetzt ableiten?
Muss man das legalisieren, weil die ja Christen sind?
Hat man den „12 Stämmen“ durchgehen lassen, dass sie ihre Kinder aus religiösen Gründen züchtigen, weil sie ja Christen sind?
@ Martin Z.
Wahrscheinlich haben Sie mich missverstanden. Ich beziehe mich nach wie vor auf den von Bela verlinkten Vortrag von Dr. Franz und versuche, einen Weg aus dem Teufelskreis aufzuzeigen, der Väter dazu veranlasst, ihren Schmerz zu verdrängen, weil sie es nicht aushalten, dass ihre Eltern, die sie lieben, ihnen Schlimmes angetan haben. Erst wenn sie den Schmerz zulassen, können sie ihn bei ihrem Sohn antizipieren und vermeiden. Das ist der Sinn des Verzeihens: dass der Sohn den Schmerz ohne Schuldgefühle oder abgewehrten Hass zulassen kann und ihn nicht am Körper seines Sohnes fortsetzen muss. Genau dadurch drehen wir uns eben nicht mehr im Kreis sondern können die nötige Empathie mit dem Kind empfinden und müssen sie nicht mehr abwehren.
@ Kurt Modrow
Woher kommen die Abkürzungen, die Sie verwenden? Ich kenne nur FGM (Female Genital Mutilation) und MGM (Male Genital Mutilation), also zwei gleich konstruierte Begriffe auf gleicher Ebene.
„Knabenbeschneidung“ wird, auch wenn es altmodisch klingt, wahrscheinlich deshalb verwendet, weil „Jungenbeschneidung“ missverständlich wäre, denn „Junge“ kann männliches Kind bedeuten, aber auch „das Junge“, also das Tierkind, oder auch die Substantiviering des Adjektivs jung im Gegensatz zu alt.
Der Begriff „Verstümmelung“ ist sicher zutreffender als „Beschneidung“, was euphemistisch klingt.
Aber im Grunde kommt es ja auf die Verletzungen an, die hervorgerufen werden. Und da stimme ich Ihnen insofern zu, als es nicht nachvollziehbar ist, warum selbst die leichtesten Formen der FGM mittlerweile in zivilisierten Ländern absolut geächtet werden, während MGM in so vielfältiger Weise beschönigt wird.
Einen Unterschied gibt es: Bei der FGM gibt man meist offen zu, dass es um die Verhinderung der sexuellen Lust geht, damit der Mann sich der Treue seiner Ehefrau sicher sein kann. Entsprechend ihrer Rolle im Patriarchat soll sie allein dem Mann gehören und ihren Körper nur seiner Lust zur Verfügung stellen.
Dem sich als überlegen verstehenden männlichen Geschlecht dagegen muss eingeredet werden, dass der grausame Eingriff seine Männlichkeit stärkt. Die Ohnmacht des Jungen und des Mannes muss umgedeutet werden, nicht die der Mädchen und Frauen, denn die sind Machlosigkeut von ihrer traditionellen gesellschaftlichen Rolle ohnehin gewöhnt.
@Brigitte Ernst
wir denken doch das Gleiche 😉
Auch bei FGM, MGM…dann kenne ich noch HGM (HumanGenitalMutilation)…aber GGM sagt mir auch nichts…
@Truus
Was möchten Sie mit den weiteren Links hier sagen? Andere machen das doch auch, auf die „Normalität“ dieses Eingriffes verweisen? Doch wird aus Unrecht Recht, nur weil es oft praktiziert wird?
Es wird oft praktiziert, auch Urologen weisen da gerne daraufhin, dass Juden, Moslems und Amerikaner das doch auch machen…aber wenn man diese Urologen dann nach den Ursprüngen des Beschneidungskultes bei den Amerikanern fragt…dann haben die keine Ahnung…und wenn ich denen dann sage, dass dies aus Prüderie, Körper- und Sexfeindlichkeit, Masturbationsbehinderung eingeführt wurde…das will keiner hören oder glauben…
Dr. John Harvey Kellogg ( der Bruder vom Cornflakes-Kellogg) schrieb um 1888:
„Ein Mittel gegen Masturbation, welches bei kleinen Jungen fast immer erfolgreich ist, ist die Beschneidung. Die Operation sollte von einem Arzt ohne Betäubung durchgeführt werden, weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt hat, besonders, wenn er mit Gedanken an Strafe in Verbindung gebracht wird. Bei Mädchen, so hat der Autor herausgefunden, ist die Behandlung der Klitoris mit unverdünnter Karbolsäure (Phenol) hervorragend geeignet, die unnatürliche Erregung zu mindern.“
Der Ursprung…und dann verklärt…als hygienischer, ästhetischer, Verbesserung, als Mittel gegen alles was so an Krankheiten zur jeweiligen Zeit rumschwirrte, heute propagieren sogar deutsche Urologen das als Mittel gegen HIV oder HPV…
Und im Prinzip geht es wieder um den Kreislauf, den Prof. Dr. Franz beschreibt…“Was mit mir (von meinen Eltern) gemacht wurde darf nicht falsch sein, darf mir und meiner Sexualität nicht geschadet haben, muss in Ordnung sein…daher muss ich es auch bei meinen Kindern machen…und wenn ich es erst gemacht habe kann ich auch nicht mehr zurück und hinterfragen“?
Wir lieben Dinge (Handlungen und Rituale) und benützen Menschen…sogar die eigenen Kinder…
@Truus
Mich würde immer noch interessieren, was Sie denken, Ihre Intention ist hier zu schreiben?
@ Martin Z. hallo, danke für dein Interesse am Thema Beschneidung.
Uns sollte es darum gehen, zeitnah jede medizinisch nicht absolut erforderliche Zirkumzision oder FGM zu verhindern, damit JEDES Kind unter 18 geschützt ist, genital intakt bleibt. Dazu müssen wir m. E. erkennen und auch sagen, wo überall und warum Zirkumzision bzw. FGM praktiziert wird – eine ggf. vorhandene theologische Begründung darf nicht übersehen werden, auch um zu erkennen, unter welchem Druck die Eltern stehen („das Heilige“, „die Strafe im Jenseits“).
Der Staat – jeder – hat allen auf seinem Gebiet lebenden Menschen – sinngemäß – zu sagen: du darfst an das rituelle Genitaloperieren (FGM oder MGM) GLAUBEN, aber du darft es NICHT MACHEN.
(Die religiösen Grundlagentexte lassen sich vielleicht nicht reformieren, doch reformfähig ist das VERHALTEN jedes Menschen.)
Stimmst du mir da vielleicht zu?
Gruß, Truus
@Brigitte Ernst
Mit GGM meine ich „girls‘ genital mutilation“
und mit BGM „Boys‘ genital mutilation“
Was ausgeschrieben auf Dauer halt recht sperrig ist.
Meiner Meinung nach die einzig sinnvollen Bezeichnungen für medizinisch nicht-indizierte chirurgische bzw. reduktive Eingriffe an den Genitalien von Kindern.
Sie schreiben völlig richtig: „Aber im Grunde kommt es ja auf die Verletzungen an, die hervorgerufen werden. “
Um das später dann zu relativieren:
„Einen Unterschied gibt es: Bei der FGM gibt man meist offen zu, dass es um die Verhinderung der sexuellen Lust geht, damit der Mann sich der Treue seiner Ehefrau sicher sein kann. Entsprechend ihrer Rolle im Patriarchat soll sie allein dem Mann gehören und ihren Körper nur seiner Lust zur Verfügung stellen.“
Ganz so einfach ist das nicht, weder mit GGM, noch mit BGM.
GGM wird z.T. auch gar nicht patriarchalisch, sondern matriarchalisch weitergeben als eine Art geheimnisvolle „Frauen-Power“. Lesen sie bitte dazu z.B. Fatou Wurie: „Innerstanding the Ritual“:
„In Sierra Leone, Bondo is a society for the women by the women. It is much less about the cutting and much more about larger social notions of womanhood and strength. It is space where women exercise power, exchange deep traditional knowledge of child bearing, and institute community support. “
http://web.archive.org/web/20130822232526/http://www.huffingtonpost.com/fatou-wurie/innerstanding-the-ritual-_1_b_3625301.html
Es wird eine ganz bewusste, hochmanipulative Schwarzweißmalerei betrieben bzgl. GM. Diese ist aber nur durchschaubar, wenn man sich aus den Filterblasen der diversen Lobbys freischwimmt.
Nehmen wir als Beispiel die prominente Anti-GGM-Aktivistin Waries Dirie, die sicherlich große Verdienste bzgl. GGM-Wahrnehmung hat. Sie wird wie eine Heldin gefeiert.
Zitat von Dirie
„We had Aleeke circumcised in the hospital a day after he was born. This is very different from female genital mutilation; that should never even be called circumcision – it’s not. In males it’s done for medical reasons – to ensure cleanliness. I could hear Aleeke crying when they did it but he stopped as soon as I held him. Despite my strong feelings about FGM, I knew it was the right thing to do. My son has a beautiful penis. It looks so good and so clean. The other day he told me he had to go to the bathroom. I said, ‘You can do that alone, you are a big boy now,’ but he wanted me to come and see him. His little penis was sticking up straight and clean. It was lovely to look at!” “
Mutter erfreut sich am Aussehen ihres genitalreduzierten Sohnes.
Ist der Penis des Sohnes zur Ergötzung der Mutter da – oder gehört er dem Sohn, mit allem, was dran ist?
All das kann Dirie selbst in Europa problemlos machen und schreiben, weil BGM legalisiert wurde, bzw. nicht geahndet wird. Ob sich Dirie klargemacht hat, dass GGM ausschließlich im Dunstkreis von BGM floriert?
Ist doch irgendwie seltsam, oder?
(Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass andere Anti-GGM-Aktivistinnen ebenso gegen BGM argumentieren, und dass im Bundestag mehr Frauen als Männer gegen den §1631d gestimmt haben.)
Was die Motivationen für GM angeht, da gibt es sehr viele Parallelen zwischen den Geschlechtern.
Z.B., um die als gefährlich empfundene (Vergewaltigungen, Morde aus Eifersucht, Ehrenmorde) Sexualität zu dämpfen oder einzuhegen.
Der jüdische Gelehrte Maimonides schrieb dazu:
„Und ebenso hat, wie ich glaube, die Beschneidung nebst anderen Gründen auch noch den, die geschlechtliche Lust zu verringern und dieses Organ möglichst zu schwächen, so daß es diese Handlung selten vollziehe und möglichst ruhen lasse….
Dieser leibliche Schaden aber, der diesem Organ widerfährt, ist absichtlich so veranstaltet, daß dadurch keine der Funktionen gestört wird, die zum Fortbestande des Individuums erforderlich sind und auch die Zeugung dadurch nicht unmöglich gemacht wird, wohl aber die übermäßige Lust verringert wird“
Was natürlich Unsinn ist, weil die sexuelle Begierde bei Männern wie bei Frauen im Kopf ist, nicht in den Sexualorganen. Sie ließe sich nur durch Kastration dämpfen.
John Harvey Kellog (der Erfinder der Cornflakes), der sowohl BGM als such GGM befürwortete und wesentlich zur Ausbreitung von BGM in den USA beigetragen hat) schrieb:
„Ein Mittel gegen Masturbation, welches bei kleinen Jungen fast immer erfolgreich ist, ist die Beschneidung. Die Operation sollte von einem Arzt ohne Betäubung durchgeführt werden, weil der kurze Schmerz einen heilsamen Effekt hat, besonders, wenn er mit Gedanken an Strafe in Verbindung gebracht wird. Bei Mädchen, so hat der Autor herausgefunden, ist die Behandlung der Klitoris mit unverdünnter Karbolsäure (Phenol) hervorragend geeignet, die unnatürliche Erregung zu mindern“
Und dann ist da noch die in Afrika verbreitete Auffassung, dass die Vorhaut des Jungen eine Art Vagina-Analogon sei, also der weibliche Anteil des Jungen, und dass die Klitorisspitze des Mädchens der männliche Anteil (das Penis-Analogon) sei, was man dann beides zur Mann- bzw. Frauwerdung entfernen müsse.
Und immer wieder die „Reinheit“ – bei beiden Geschlechtern. Unter der Vorhaut bzw zwischen den Schamlippen könnten sich schröcklicher Schmutz ansammeln, was aber in Europa dank fließendem Wasser und preiswerter Seife leicht vermeidbar ist.
Damit könnte es zusammenhängen, dass GM anscheinend in Wüstenregionen aufgekommen ist.
Dazu kommt dann noch allerlei „magisches Denken“, was mit der GM verküpft wurde und wird. Bei beiden Geschlechtern.
Es kommt nur auf die Verletzung, auf den Verlust, auf den Schaden an – nicht auf die Motivation, jedenfalls, solange keine medizinische Notwendigkeit besteht.
Was in Bezug auf Zirkumzisionen viel seltener gegeben ist, als tatsächlich angeblich indizierte Zirkumzisionen stattfinden.
Was auch ein Kollateralschaden des 1631d darstellt. Man hat dadurch weniger Respekt vor der körperliche Integrität der Jungen. Da wird bei angeblich zirkumzisionspflichtigen „Phimosen“ (die sich in aller Regel von selbst auswachsen, oder mit einer Salbentherapie behebbar wären) von Urologen argumentiert: Das ist kein Problem, die Juden und Muslime machen das doch auch alle, und da beschwert sich ja auch keiner…
(„Woher kommen die Abkürzungen, die Sie verwenden?“)
Meines Erachtens ist an neuen Kürzeln kein Bedarf. Wir sollten FGM sagen oder MGM – denn da wächst nichts nach.
Sicher ist es rücksichtsvoll, an das Leid der genital verstümmelten Minderjährigen zu denken („GGM, girls‘ genital mutilation“ … BGM „Boys‘ genital mutilation“), doch der Schaden betrifft nicht nur Kindheit und Jugend, sondern bleibt lebenslang. Im Gegenteil, der sexuelle Nachteil kann erst dem Volljährigen klar werden – denn Kinder haben (hoffentlich) noch keinen Sex.
Jungen und Männer aber sind male, männlich, Mädchen und Frauen female, weiblich.
Wenn, schwuppdiwupp, die Klitoris oder Penisvorhaut wieder dran wäre zum achtzehnten Geburtstag, dann könnte man von GGM / BGM sprechen.
Bleiben wir bei den beiden
international bekannten Abkürzungen
FGM bzw. MGM
oder kämpfen wir gegen
HGM = FGM + MGM
@Truus:
Ich ziehe deshalb GGM und BGM vor, weil man kaum verbieten kann, wenn Männer oder Frauen selbstbestimmt ihre Körper modifizieren. Wobei die Betonung auf „selbstbestimmt“ liegt.
Im Allgemeinen gehen wird davon aus, dass mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres diese Entscheidungsfähigkeit vorliegt. Jedenfalls ist es auch in Deutschland strafbar, zwangsweise einen erwachsenen Mann zu zirkumzidieren. Eine selbstbestimmte Zirkumzision erwachsener Männer war aber nie strittig. Ebenso müsste es, in einem nicht-diskriminierenden Rechtsstaat für erwachsene Frauen gelten.
Mit dem §226a erklärt der Gesetzgeber aber alle erwachsenen Frauen für unzurechnungsfähig!
Und jetzt wird es noch paradoxer: Nimmt ein Arzt reduktive Operationen an den Genitalien einer Frau aus Gründen ihrer Tradition oder Religion vor, drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Nimmt er vergleichbare Operationen aus Gründen der „Ästhetik“ vor, kann er nur im Falle eines Kunstfehlers belangt werden.
Ich lehne die Bezeichnung „FGM“ ab, weil es nicht um erwachsene Frauen geht, die sich selbstbestimmt „beschneiden“ lassen, sondern um wehrlose Mädchen, die keine Chance haben ihre körperliche Integrität zu wahren. Dito MGM.
Es gibt (selten) Zwangsverstümmelungen von erwachsenen Männern, aber nicht in Europa, und so etwas wäre hier auch strafbar.
Ich halte auch nichts davon „beschnittene“ Frauen oder vorhautlose Männer als „verstümmelt“ zu bezeichnen. „Man ist so verstümmelt, wie man sich fühlt“ – und viele, nicht alle fühlen sich nicht „verstümmelt“.
Trotzdem ist die HANDLUNG – die nicht-indizierte Genitalverminderung eines Kindes objektiv eine Verstümmelung. Egal, wie sich der/die Betroffene subjektiv später damit fühlt.
@Truus:
„Bleiben wir bei den beiden
international bekannten Abkürzungen
FGM bzw. MGM“
MGM eine international bekannte Abkürzung? Für die durch hach so viele Hollywood-Schinken bekannte Gesellschaft „Metro-Goldwyn-Mayer“?
Für „male genital mutilation“? Schön wär’s! Bislang wird diese Bezeichnung fast ausschließlich von „Intaktivisten“ benutzt, ich gebe aber zu, dass alles, wo „mutilation“ drin vorkommt immer weit besser ist als „Knabenbeschneidung“ oder „Beschneidung des männlichen Kindes“
Und dann wird immer von „beschnittenen“ und „unbeschnittenen“ Männern geredet – so als ob nicht den vorhautlosen, sondern den intakten etwas fehlen würde, als ob bei letzteren etwas versäumt worden wäre, gewissermaßen „noch zu beschneiden“ – totale Inversion! Oder, wie man jetzt neudeutsch sagt: Framing.
@ Kurt Modrow 5. April 2019 19:38
Hallo Kurt,
das M in FGM wie auch das zweite M in MGM bedeutet nicht modification, Modifizierung, sondern mutilation – gemeint sind das archaische Pubertätsritual oder die Säuglingsbeschneidung oder dergleichen.
Modifikation unter 18 Jahren kann es m. E. nicht geben, ein Minderjähriger ist nicht einwilligungsfähig (informed consent), da er die lebenslangen Folgen für Sexualität und Partnerschaft, völlig altersgemäß, nicht abschätzen kann.
„Ich halte auch nichts davon „beschnittene“ Frauen oder vorhautlose Männer als „verstümmelt“ zu bezeichnen.“ (Kurt)
… diesen Standpunkt gibt es, ich teile ihn nicht und folge IAC, WHO, TdF, TaskforceFGM usw.
„Man ist so verstümmelt, wie man sich fühlt“ – kein guter Ansatz, denn hier sagen Fuambai Sia Ahmadu und andere sinngemäß, dass erst die „westliche“ oder „eurozentrische“ Perspektive die ur-afrikanischen Identitäten verunsichert hätte, dass erst DER BEGRIFF FGM Leid geschaffen habe – Wort weg, Problem weg.
Nein. Verstümmelung ist Verstümmelung, ein Reden von FGC ist entbehrlich und m. E. sogar hinderlich bei einem jeden ernst gemeinten Kampf gegen rituelle Genitaloperationen an Menschen unter 18 Jahren.
Du hingegen könntest durchaus zu denen gehören, die statt mutilation (Verstümmelung) das Wort circumcision (Beschneidung) bevorzugen und verwenden. Dann aber wäre es ggf. für dich konsequent, zu sagen:
„GGC, girls‘ genital circumcision“ … BGC „Boys‘ genital circumcision“ … also: dich direkt gefragt: ist das ja vielleicht etwas für dich:
BGC
GGC
?
Es kommt doch immer auf die Situation an, in der man einen Begriff verwendet. Als Beschreibung einer inhumanen Praxis ist sicher „Verstümmelung“ das angemessene Wort. Wenn man aber den Zustand eines Menschen beschreibt, muss man diesen ja nicht unbedingt vor den Kopf stoßen, indem man sagt: „Du bist verstümmelt.“ Das hätte etwas von body shaming an sich, und der/die Betroffene würde sich minderwertig fühlen.
„Mutilation“, Verstümmelung ist zweifelsohne eine Handlung, kein Zustand. Und diese Handlung findet in aller Regel im Kindesalter statt. Und davor muss man Kinder schützen.
Und das betrifft auch sog. „intersexuelle“ Kinder!
Erwachsene können/müssen selbst entscheiden, was sie wollen. Eigentlich müssen sie nichts entscheiden, i.d.R. ist alles gut so, wie es die Natur gemacht hat, aber manche meinen halt sie müssten irgend wie ihre Körper „tunen“. Oder mit Tätowierungen übersähen, „Designer-Vulva“, etc, etc…
Es macht doch keinen Sinn, eine[r][m] Erwachsenen einreden zu wollen er/sie sei verstümmelt, wenn er/sie sich so nicht fühlt. Genauso wenig, wie jemandem, der unter diesem Verlust leidet einreden zu wollen, sein Problem sei ja nur im Kopf. Mit seinen Genitalien wäre alles OK.
Für „beschnittene“ Frauen die unter ihrem Zustand leiden gibt es inzwischen staatliche Hilfen, bis hin zu rekonstruktiven Operationen (z.B. „Rausziehen“ der Klitoris), für vorhautberaubte Männer gibt es mit Glück eine Psychotherapie (wo dann im Extremfall der ebenfalls vorhautlose Psychiater dem Betroffenen erklärt „was wollen sie denn, ist doch viel besser!“ ;)), aber „Tugger“ oder „Senslips“ und was es da alles gibt, um zu retten was zu retten ist muss jeder Betroffene selbst zahlen.
Das liegt ja eben auch daran, dass der Staat sich mit dem 1631d auf den Standpunkt gestellt hat, dass überhaupt kein Schaden entsteht. Per definitionem, basta!
Und eben das macht es Betroffenen auch sehr schwer, in Gerichtsverfahren gegen die Ärzte, die ihnen als Kind die Vorhaut amputiert hatten vorzugehen.
Weil die Richter sich eben auch auf den 1631d und dessen höchst manipulative Gesetzesbegründung beziehen. „Was wollen sie denn, ihnen ist doch gar kein Schaden entstanden! Sie haben (wenn man es denn glaubt) sogar ein geringeres Risiko, sich mit HIV zu infizieren, also freuen sie sich doch!“ (aber das Kondom lassen sie doch besser nicht weg, doppelte Desensibilisierung))
@ Brigitte Ernst am 6. April 2019 um 1:25 – das sehe ich auch so. Wähend etwa aus einem Gesetzgebungsverfahren oder einer Parlamentsdebatte die Beschönigung, der Euphemismus „weibliche Beschneidung“ herausgehalten werden sollte (generell sollten Intaktivisten im Rahmen einer Protestaktion die Dinge beim Namen nennen und FGM sagen), kann beim Gespräch mit einem weiblichen oder männlichen Betroffenen die Terminologie „Beschneidung, beschnitten“ bevorzugt werden.
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FGM – Inter-African Committee on Traditional Practices (IAC)
In Addis Abeba im Jahr 1990 beschloss die IAC Hauptversammlung, dass der Begriff FGM (the terminology female genital mutilation and its acronym FGM) den Euphemismus ‘weibliche Beschneidung, female circumcision’ ersetzen soll.
https://iac-ciaf.net/about-iac/
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Stellungnahme von TERRE DES FEMMES zur Verwendung des Begriffs „weibliche Genitalverstümmelung“
https://www.frauenrechte.de/online/index.php/ueberuns/tdf-positionen/955-stellungnahme-von-terre-des-femmes-zur-verwendung-des-begriffs-weibliche-genitalverstuemmelung
Inter-African Committee (2005), Bamako-Deklaration
(Aufforderung an die Weltöffentlichkeit zur Verwendung der korrekten Terminologie „Weibliche Genitalverstümmelung“, Female Genital Mutilation, kurz FGM.)
https://blog.taskforcefgm.de/2012/02/nrw-ministerin-barbara-steffens-fordert-verharmlosung-von-genitalverstummelung/#more-622
“ The term FGM is not judgmental. It is instead a medical term that reflects what is done to the genitalia of girls and women. It is a cultural reality. Mutilation is the removal of healthy tissue. “
https://www.taskforcefgm.de/wp-content/uploads/2011/05/Bamako-Declaration.pdf
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Meines Erachtens zeigt die TaskForce FGM, den deutschen Sprachraum betreffend, vorbildlich, wie man gegen die Verwässerung der Begriffe und, damit, gegen die Aufweichung des intaktivistischen und überhaupt menschenrechtlichen Anliegens angehen kann und soll.
@Truus:
„Meines Erachtens zeigt die TaskForce FGM, den deutschen Sprachraum betreffend, vorbildlich, wie man gegen die Verwässerung der Begriffe…“
Ich finde die überhaupt nicht vorbildlich. Denn BGM nennen die „Beschneidung“ und werden richtig giftig, wenn man die beiden GMs in Bezug bringt:
„Eric H. Masson sagt:
4. November 2017 um 15:02 Uhr
Wir müssen nicht nach Afrika oder Asien schauen, um solche gesellschaftlichen akzeptieren Täter-Opfer-Kreisläufe zu finden.
Im „aufgeklärten Westen“ verneinen wir immernoch das Menschenrecht auf unversehrte Genitalien bei männlichen Kindern.
Wenn wir das nicht bekämpfen sind wir nicht besser als jene Menschen im Sudan und anders wo.
Wir müssen alle Kinder schützen.“
Darauf antwortet jene „Taskforce“:
„Herr Masson – es ist zu einer regelrechten Unsitte verkommen, die Verstümmelungen von Mädchen mit dem Verweis auf die Beschneidung von Jungen zu relativieren, zu verharmlosen. Gewalt gegen Kinder ist grundsätzlich zu verurteilen, das steht außer Frage. Es ist aber kein Grund, eine andere „Baustelle“ aufzumachen! Sie können und dürfen sich gerne mit den sadistischen Tätern im Sudan in einen Topf werfen – aber bitte ersparen Sie uns diesen Selbsthass.“
„Es gibt keinen Grund, eine andere Baustelle aufzumachen“ – das nenne ich geschlechterübergreifende Solidarität. Einfach erschreckend.
Wieso Herr Masson irgend etwas „verharmlost“ haben soll bleibt schleierhaft.
https://www.taskforcefgm.de/2017/11/genitalverstuemmelung-an-maedchen-und-der-kreis-der-gewalt-von-opfern-zu-taetern-ohne-mitgefuehl/
Wer also die Politik des Bundestages, die 70% der Deutschen zuwiderläuft kritisiert ist ein „Selbsthasser“ – ab in die Schublade zusammen mit den „sadistischen Gewalttätern“.
Und Terres des femmes redet, wenn es um Jungen geht auch von „Beschneidung“, leider.
@ Kurt Modrow 6. April 2019 um 18:07
– vielen Dank für diese wichtigen Hinweise. Ich bin bislang immer sehr begeistert gewesen von der TaskForce und von Ines Laufer. Immerhin im Kommentarbereich von TaskforceFGM lese ich
“ hat das Grundgesetz zwischen Frau und Mann, zwischen Mädchen und Junge nicht zu differenzieren “
https://www.taskforcefgm.de/2017/11/genitalverstuemmelung-an-maedchen-und-die-zeichen-der-politiker/
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„Und Terres des femmes redet, wenn es um Jungen geht auch von „Beschneidung“, leider.“
– oh, wenn das so ist, dann müssen wir auch da ran, danke für den Hinweis.
Immerhin ist TdF (soweit ich das auf dem einen oder anderen WWDOGA vernommen habe) pauschal gegen jede medizinisch unnötige Zirkumzision – und unterstützt dauch dieses Jahr den WWDOGA.
Aber ja doch, die Terminologie muss stimmen.
Amputieren der intakten penilen Vorhaut ist mutilation, Verstümmelung, FGM Typ Ia oder Ib oder IV desgleichen …
… es gibt viel zu tun. Ohne Frage: wer als Frauenrechtsorganisation nicht bereit ist, auch die rituelle Zirkumzision als das zu benennen, was sie ist, nämlich mutilation = Verstümmelung, sollte offiziell und in hohem Bogen rausfliegen aus jedem intaktivistischen Kongress.
Aber zum Glück für ALLE Kinder lese ich dieses hier:
“ Unter „Jungenbeschneidung“ (MGM – Male Genital Mutilation) verstehen wir – analog zu FGM – jeden nicht-therapeutischen operativen Eingriff am Penis, der aus ästhetischen, kulturellen, religiösen, erzieherischen, hygienischen oder vermeintlich medizinischen Motiven vorgenommen wird. (…) TERRE DES FEMMES ist für die Abschaffung jeder Form von MGM weltweit. Unsere Null-Toleranz-Haltung gilt bei MGM und FGM gleichermaßen. TDF geht davon aus, dass Kinderschutz nur erreicht werden kann, wenn er für alle Kinder gilt. “
https://www.frauenrechte.de/online/index.php/ueberuns/tdf-positionen/3288-positionspapier-von-terre-des-femmes-menschenrechte-fuer-die-frau-e-v-zum-thema-jungenbeschneidung
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Ich hoffe damit, dass TdF unser Vertrauen verdient und möchte auch der TaskForceFGM eine Chance geben, die im Kampf gegen FGM schon so oft viel Courage und Konsequenz bewiesen hat.
Ich bin gespannt auf den nächsten WWDOGA
7. MAI 2019 – WORLDWIDE DAY OF GENITAL AUTONOMY – 7 JAHRE “KÖLNER URTEIL”
https://genitale-selbstbestimmung.de/
Gruß, Gertrud („Truus“)
TaskForceFGM braucht man keine Chance geben, denen sind Jungen egal. Auch wenn man sie mit Tatsachen konfrontiert, alles was passiert ist, das sie einen sperren wenn man auf FB darauf aufmerksam macht, das Menschenrechte unteilbar sind und auch Jungen ein Recht auf einen unversehrten Körper haben. Sie sind ja in ihrer Ansicht nicht allein
UNICEF beteiligt sich in Afrika an groß angelegte Beschneidungskampanien in Afrika https://www.unicef.org/esaro/5482_7884.html
Dr. Jutta Reisinger, Aktion Regen, Pressekonferenz: Beschneidungsprogramme in Afrika, 4.5.2017 [6/7]
https://www.youtube.com/watch?v=6FygmCIlwd0
Auch SOS Kinderdorf schreckt nicht davor zurück
https://www.rheinpfalz.de/artikel/westpfalz-ostafrika/
Ob es dieses Jahr wohl etwas voller in Köln werden wird? Es ist der 11. Mai 2019 in Köln
https://www.facebook.com/events/413655442768221/
Am 07 Mai jährt sich das Kölner Urteil und weil immer wieder Stimmen laut wurden, das das Wochenende besser wäre, hat man die Demo dieses Jahr auf das Wochenende verschoben.Ich werde da sein
@Truus, danke für deine Antwort…mein Interesse an Beschneidung…wäre nie gekommen, wenn dieser „Kelch“ an mir vorbeigegangen wäre…das „Interesse“ ist glaub die Verarbeitung meines Traumas, die Suche nach Antworten…warum haben mich Ärzte angelogen, warum ist die Wahrnehmung der Sexualität von Beschnittenen so unterschiedlich…usw.?
Ich stimme dir in vielem zu was du sagst…aber der Druck durch die theologische Begründungen…den halte ich nur für einen „Nebenschauplatz“, mehr sogar noch für ein Ablenkungsmanöver…für Kritiker…aber auch für die betroffenen Gemeinschaften…
Herr Özgedays Eltern…waren/sind die religiös, war seine Beschneidung religiös motiviert/begründet?
Oder anderes Beispiel…eine Bekannte arbeitet auf einer Neugeborenenstation, erst vor kurzem fragte eine junge deutsche Mutter, ob sie in dem Krankenhaus auch ihren Sohn gleich beschneiden lassen könne, ob die da gut seien…ihr Mann sei türkischstämmig, sie die einzige „deutsche“ in der Familie…und der Druck der Familie, von ihrem Mann, ihrer Schwiegermutter, ihren Schwägerinnen seit bekannt ist, dass der erwartete Nachwuchs ein Junge ist, dass der Junge so schnell als möglich beschnitten wird sei enorm…
Warum dieser Druck von Schwiegermutter, Schwägerinnen (der Druck vom Vater ist glaub klar…)religiös begründet, aus Angst vor Strafe im Jenseits, das Heilige? Oder weil es sonst ihr handeln an ihren eigenen Söhnen infrage stellen würde, man es hinterfragen müsste/könnte?
Religion/Tradition…für mich ist nur ein Vorwand/Ablenkungsmanöver, um nicht ehrlich zu sich selbst sein zu müssen…
@ all
Im Nachgang zu diesem Blogtalk darf ich ankündigen, dass in der morgigen FR, also der vom 7. Mai, der auch „Welttag der genitalen Selbstbestimmung“ ist, ein Extrakt aus diesem Blogtalk als zweiseitiges Interview erscheint. Ich verlinke hier schon mal ein pdf-Dokument des FR-Magazins von morgen. Dieser Link ist auch als Update am Schluss meiner Anmoderation oben zu finden.