Was die britische Politik da gerade vorführt, ist ein Paradebeispiel für das Versagen von Politik. In wenigen Tagen will das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union austreten. Und zugleich will es nicht austreten. Ein Referendum hat vor bald drei Jahren den Willen des britischen Volkes bekundet, die EU zu verlassen. Seitdem versucht die britische Politik, diesen Willen umzusetzen. Und sie versucht es zugleich nicht. Premierministerin Theresa May hat mit der EU einen Austrittsvertrag ausgehandelt, den sie dem britischen Parlament, dem Unterhaus, mittlerweile schon zweimal zur Abstimmung vorgelegt hat. In der kommenden Woche wird dasselbe Parlament wohl zum dritten Mal über dieselbe Vereinbarung abstimmen. Es ist nicht zu erkennen, dass Theresa May nun endlich versucht, eine Mehrheit für ihren Vertrag zu organisieren. Das ist die Aufgabe von Politik in einer Demokratie, und zwar nicht nur in einer Krisensituation wie jener, in der sich das Vereinigte Königreich jetzt befindet:

MayPolitik organisiert Mehrheiten. Der Königsweg hin zur Mehrheit heißt Kompromiss. Dazu setzt man sich zusammen und redet. Da May vermutlich keine Chance hat, die Hardliner in ihrer eigenen Partei, die Brexiteers, zur Zustimmung zu ihrem Vertrag zu bewegen, läge die Überlegung nahe, sich die fehlenden Stimmen parteiübergreifend bei der Opposition zu suchen. Die Labour-Partei vertritt zwar ebenfalls eine unklare Position zum Brexit, aber May müsste nicht die ganze Fraktion überzeugen, sondern etwa ein Drittel. Sie könnte auch mit Parteichef Jeremy Corbyn einen Deal aushandeln: Labour stimmt Mays EU-Vereinbarung zu und bekommt dafür die Neuwahlen, auf die Corbyn seit langem aus ist. Mittlerweile wäre wohl alles besser als eine weitere Verlängerung des Gezerres.

Doch danach sieht es nicht aus. Das Unterhaus hat in der vergangenen Woche für eine Vorlage gestimmt, die einen harten Brexit ausschließt, als einen ungeregelten Austritt aus der EU. Die Briten werden also in Brüssel um einen Aufschub bitten. Aber was wollen sie damit gewinnen? Eine Neuverhandlung über die Austrittsvereinbarung scheint ausgeschlossen. Zudem sind Ende Mai Wahlen zum EU-Parlament, an denen das Vereinigte Königreich teilnehmen müsste, wenn es über den 30. Juni hinaus – dann endet die Legislaturperiode des aktuellen Parlaments – EU-Mitglied bleibt. Dieses Szenario ist auf haarsträubende Weise widersinnig. Nun ist aus Brüssel zu hören, dass man den Briten wohl den gewünschten Aufschub gewähren wird – aber wie lange?

Liebe EU-Kommission, lieber EU-Rat, macht Schluss mit diesem Gezerre! Die politische Situation auf der Insel ist dermaßen festgefahren, die Gräben so tief, dass nur eine einzige Option wirklich sinnvoll erscheint: Lehnt das Ersuchen um Verlängerung der Frist ab! Lasst den Brexit passieren! Das wird wehtun, ja. Auch der europäischen Wirtschaft. Das wird einen Wachstumseinbruch mit sich bringen. Doch den hat die Wirtschaft in zwei Jahren weggesteckt. Eine Fortsetzung dieses Gezerres hingegen wäre unzumutbar. Wenn die Briten eine realistische Option auftischen könnten, wäre das etwas anderes, aber so? Nein, macht Schluss! Wenn die Briten rauswollen, lasst sie ziehen. Mit allen Konsequenzen. Selbst um die einer harten Grenze auf der irischen Insel. Dafür gäbe es mittelfristig vielleicht eine andere Lösung: In einem Referendum könnte Nordirland darüber abstimmen, ob es weiter im Vereinigten Königreich bleiben oder ob es sich mit der Republik Irland vereinen will. Macht Schluss und steckt Eure Kraft, Eure politische Kreativität dann endlich in die Weiterentwicklung der Europäischen Union, statt Euch mit Ewiggestrigen zu verzetteln, die nicht wissen, was sie wollen. Schluss damit!

Balken 4Leserbriefe

Karl-Wolfgang Kaiser aus Frankfurt:

„Man kann sich nur wundern, wie borniert die britischen Abgeordneten sind. Offensichtlich stecken diese Leute gedanklich noch in der Zeit von Queen Victoria und dem Britischen Weltreich. Diese Mitglieder des Unterhauses sind keine Volksvertreter, dafür wurden sie gewählt, sondern Volksverräter, die ohne Rücksicht auf die ganze Nation ihre Meinung versuchen durchzusetzen. Das ganze Verfahren des Brexit’s ist rechtswidrig, denn wie kann man nach einem Referendum, das nicht mehr war als eine Meinungsumfrage, das Ergebnis als Regierungsauftrag deklarieren und auf Biegen und Brechen durchsetzen wollen.
Wie ich in meinem Brief an Theresa May vom 17.11.2018 geschrieben habe,(Antwort ?) hat zu Beginn der Brexit-Aktion keiner gewusst, was das für Auswirkungen haben wird. Offensichtlich war man der Meinung, ein Dreizeiler würde reichen, um aus dem Verein auszutreten, ähnlich einer Kündigung bei einem Skatclub oder Fußballverein.
Die Regierungschefin ist von solcher Ignoranz gestraft, das ist schon ein Fall für die Psychiatrie.
Die EU tut gut daran, jetzt nicht um des lieben (Un)Friedens willen noch weitere Zugeständ-nisse zu machen, das hätte fatale Folgen auf den Zusammenhalt der Europäischen Union und wäre Wasser auf die Mühlen der populistischen Nationalisten, die nur auf die Gelegen-heit warten, dass die EU Schwäche zeigt, dann schlagen sie los. England hat schon viel zu lange die EU sinnlos beschäftigt und von wichtigeren Aufgaben abgehalten, jetzt reicht es.
Nur ein vereintes Europa hat eine Zukunft, die mittelalterliche Kleinstaaterei ist in der globalen Wirtschaftswelt völlig überholt.“

Otfried Schrot aus Ronnenberg:

„O ihr Briten! Gesunder Menschenverstand heißt auf Englisch common sense. Man könnte in Anbetracht der immer dichter werdenden Abfolge von Abstimmungen in eurem Unterhaus meinen, der sei euch vollends abhanden gekommen. Die Stimmbänder eurer Premierministerin werden bald reißen, wenn ihr so weitermacht. Ihr lebt doch recht komfortabel als Mitglieder der EU. Hört ihr irgendwelche Freudenschreie aus der britischen Wirtschaft in Anbetracht eurer Absicht, die EU zu verlassen? Und das nur, weil ihr als Folge der Freizügigkeit in der EU keine Kontinental – (Ost ) – Europäer in eurer Mitte ertragen könnt? Ihr habt doch als Erinnerung an euer Kolonialreich das halbe Commonwealth mit britischen Pässen bei euch auf Dauer zu Gast und könnt damit auch leben.
O ihr Iren! Gott hat euch eine Insel gegeben und das nicht zu dem Zweck, sie durch eine Grenze zu teilen. Ihr wollt doch eine „offene Grenze“ zwischen Nordirland und der Republik Irland! Ich aber sage euch: gar keine Grenze ist noch besser als eine offene Grenze! Hört auf, einander euren Katholizismus und euren Protestantismus um die Ohren zu schlagen und vereinigt euch im Namen Jesu Christi! Und ihr britischen Politiker in London, begrabt eure imperialistischen Träume, entlasst Nordirland in die Unabhängigkeit, helft ihm bei der Aussöhnung mit der Republik Irland und damit bei der Wiedervereinigung der „grünen Insel“! Dann werdet ihr ein weises Werk tun. Von uns Deutschen könnt ihr Iren lernen, den Wert der Wiedervereinigung zu schätzen.
So, ihr Briten, ihr Iren, ihr Schotten und ihr Walliser, blast den „Brexit“ ab, hört auf, von der Zerkleinerung Europas zu eurem vermeintlichen Wohl zu träumen und arbeitet fortan solidarisch mit beim Bau des Hauses Europa, damit der Tag näher rückt, an welchem sich der alte Kontinent als Vierte Weltmacht neben China, den USA und Russland auf Augenhöhe befindet!“

Merve Hölter aus Frankfurt:

„Ceterum censeo. Und im übrigen meine ich, dass England aus dem United Kingdom austreten sollte.“

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6 Kommentare zu “Oh, Ihr Briten! Oh, Ihr Iren!

  1. Wann sagt denn endlich jemand „Basta!“? Es reicht. Britanniens Herrscher führen uns doch an der Nase herum. Es gibt ein Volksvotum. Brexit. Sie wollen gehen und nun sollen sie gehen. Mit Deal oder ohne – das ist mir inzwischen völlig egal. Die EU-Spitze lässt sich von Theresa May, den Tories und Labour vorführen, von einer wählerfernen Elite, die aus Selbstüberschätzung und Hybris ihr eigenes Land in diese Situation gebracht hat. Wer stoppte denn damals Prime Minister Cameron und Boris Johnson? Niemand. Und auch jetzt stoppt niemand die Phantasten auf der Insel, die wie Trump in den USA und die Neonationalisten auf dem Kontinent das Heil in nationalen Alleingängen suchen. Ja, das auf der Insel ist der Wille des Volkes. Aber wollte das Volk dieses Chaos? Oder hatte es schlicht keine Ahnung, welche Konsequenzen es haben würde, mit YES für den Brexit zu votieren? Da bin ich ganz sicher und das ist das Gefährliche an populistischen Volksbefragungen. Kaum einer bedenkt das Ende. Und in Britannien gehört auch die Machtelite in diese Kategorie. Und ihr muss man jetzt von dieser Seite des Kanals endlich die rote Karte zeigen. Und nicht nach immer neuen Wegen suchen, dass sie ihr Gesicht wahren kann und so das Elend auf der Insel verlängert.

  2. Ungewissheit ist nie gut für die wirtschaftliche Entwicklung. Deshalb kann man nur hoffen das sich ein EU Staat findet der gegen eine Verlängerung stimmt.

  3. Beim Chaos-Brexit hilft nur der englische schwarze Humor

    Eine chinesische Weisheit sagt, dass jede Krise auch eine Chance ist.
    Deutschland sollte warten bis sich die Briten zum Entwicklungshilfestaat herabgewirtschaftet haben. Dann als Kolonie übernehmen. So als Ironie der Geschichte. Besser jetzt als nie einen Platz an der sonnigen Seite der Londoner Weltbanker, neudeutsch Insourcing. Alle Zoll- und anderen Probleme wären nur noch Stoff für die britischen Kabarettisten. Jede zukünftige KanzlerIn, alles andere wäre politisch inkorrekt, hätte dann eine echte Königin oder einen Prinzen als Untertan mit hochstrahlendem königlichem Glanze. Die zukünftigen Bundespräsidenten*Innen müssen nicht mehr im schäbigen Schloss Bellvue Hof halten sondern könnten im schmucken Buckingham Palast mal so richtig auf den königlichen Putz hauen. Die Glocken des Big Ben schlagen dazu 13. Natürlich müssten die Bärenfellmützen der Palastwachen mit den Fellen der erlegten, weil überaus gefährlichen, dt. Wölfen bestückt werden. Der eigenwillige bayrische Löwe stimmt erst zu, wenn die Briten eine Mass zünftig bestellen können. Die Nationalelf der Engländer wird fair play integriert, so wie das höfliche Aussteigen lassen der Inselbewohner an Haltestellen. Und die dt. Flagge bekommt ein digitales G5 plug-in von der englischen Flagge.

    Als Generalgouverneur der zukünftigen Kolonie Great Germany-Britain könnte man Herrn Friedrich Merz hoch herrschaftlich ver- und entsorgen. Er wird sich als Wirtschaftssanierer und Sozialreformer von kolonialen Ausmass erweisen. Zugegeben, es gibt leider einen Schönheitsfehler. Wer segnet dann die Steuervermeidungserklärung des Herrn Merz ab?
    Als Boni hätte Deutschland wieder eine einsatzfähige Marine mit der Gorch Fock als “stolzes“ Beiboot. Und ein Heer das die Schulterklappen deutscher Soldaten in Kameradschaftsehre stramm stehen lässt.
    Wegen den Buschtrommeln des Internets lasse ich mich derzeit besser nicht in England/Deutschland blicken.

    Ich bin dann mal weg – good bye.

  4. @ Matthias Reinke

    Danke für den geistreichen Text! Ja, man braucht viel Humor, um das zu überstehen.

  5. Das ist ja nicht die erste Brexit Diskussion die in den letzten Jahren hier stattgefunden hat. Bisher wurde , nach meiner Erinnerung immer angeführt welch schlechte Lösung in einer Demokratie Volksbegehren sind und der Brexit wurde als Beispiel dafür angeführt. Keiner kommt jetzt auf die Idee zu sagen dass das Drama das sich gerade in GB abspielt auch auf ein Totalversagen des Mehrheitswahlrechtes zurück zu führen ist. Ein neues Bürgerbegehren wäre längst gerechtfertigt und natürlich die bessere Lösung als fast jeden Tag das Parlament neu abstimmen zu lassen in der Hoffnung das sich was ändert. Bei einem Verhältniswahlrecht wie in D. wäre in den Vorgang wohl auch schon lange mehr Bewegung gekommen. Übrigens ist das in Frankreich ähnlich einzuschätzen. Die Gelbwesten gibt es deshalb weil das Mehrheitswahlrecht die Opposition weitgehend abgeschafft hat und zu so einer großen Regierungsmehrheit geführt hat dass das Parlament jegliche Kontrollfunktion verloren hat. Da nehme ich lieber die eine oder andere unglückliche Entscheidung bei einem Volksbegehren in kauf.

  6. Die stimmen 5 mal am Tag in ihrem Unterhaus immer über das selbe ab, aber eine zweite Volksabstimmung geht gar nicht. Manchmal frage ich mich da schon was für Tabletten diese Abgeordneten in ihren Tee werfen.

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