Orientiert am Vorbild USA ist auch die deutsche Wissenschaftspolitik stark daran interessiert, Forschungsergebnisse möglichst schnell wirtschaftlich verwertbar zu machen. In diesem Sinne wäre es schön, wenn die Erfindungen, die aus den Hochschulen heraus zum Patent angemeldet werden, die öffentliche Förderung in Höhe von 10 Milliarden Euro rechtfertigen würden. Doch in ihrem Beitrag „Kein Klima für Gründer“ kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass die Resultate im Grunde nicht weiter nennenswert sind: „Alle Hochschulen in Deutschland meldeten 2006 zusammen 645 Patente an, alleine die Siemens AG schaffte knapp 1500 im selben Zeitraum. Die außeruniversitäre Forschungslandschaft ist hier viel weiter. Die Max-Planck-Gesellschaft verfügt schon seit Jahren über eine professionell arbeitende Patentverwertungsgesellschaft.“

Weiter: „In Deutschland werden pro Jahr rund 250 000 Unternehmen neu ins Handelsregister eingetragen. Die Zahl dieser aus Universitäten und Forschungseinrichtungen ausgegründeten Spin-offs bleibt im Schnitt deutlich unter der Marke von 1000 pro Jahr und erreicht damit nicht einmal einen Anteil von einem Prozent an allen Gründungen.“

Das ist keine sonderlich erfreuliche Bilanz. Vielleicht muss die öffentliche Wissenschaftsförderung erst noch richtig in Gang kommen; vielleicht liegt es aber auch am System, wie die Autoren meinen. Dr. Wolfgang Hien von der Uni Bremen hingegen hat aus einer ganz anderen Ecke heraus grundsätzliche Kritik an dieser Form der Förderung:

„Es ist schwer begreiflich, wie man einen Artikel mit einem derart naiven Wissenschaftsbegriff schreiben kann. Ich erlebe an der Bremer Uni seit etwa 1990 einen Boom von Ausgründungen im Bereich Werkstofftechnik, Materialtechnik usw. Als Arbeitsschutzexperte war ich an vielen dieser Entwicklungen interessiert und beteiligt, wurde aber schnell ausgebremst. Erst einmal sollten Techniken wie z.B. faserverstärkte Kunststoffe oder Nano-Materialien auf den Markt. Dann könne man sich vielleicht später über die Gesundheitsschäden unterhalten, die diese Materialien anrichten.
Deutschland war seit der Hochindustrialisierung führend in Fragen von Hygiene, Toxikologie und Arbeitsmedizin. Dieses Kapital wird im Zuge eines neoliberal aufgeheizten Innovationsklimas leichtfertig verspielt. Wir haben heute die Altlasten der Asbest-Technologie mit mehr als 1000 Toten pro Jahr zu tragen. Mit den neuen Werkstoffen laufen wir geradewegs in eine neue Katastrophe hinein. Die gleichen Wissenschaftler, die sich für die Entwicklung neuer Werkstoffe rühmen lassen, können ungestraft sagen, dass das Problem der krank machenden Arbeitsbedingungen nicht ihres sei. Das wissenschaftliche Ethos ist auf einem Tiefstand.
Die Bremer Uni hatte den Anspruch, Wissenschaft und Praxis eng miteinander zu verzahnen. Die Nützlichkeit für die Menschen stand im Vordergrund, nicht nur der Marktwert für einzelne Unternehmer. Dieser Anspruch wurde überrollt vom neoliberalen Tsunami. Zurück bleiben wachsende Gesundheitsrisiken und organisierte Verantwortungslosigkeit.“

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17 Kommentare zu “Kapital leichtfertig verspielt

  1. Im Gegensatz zu Siemens können es sich die deutschen Hochschulen nicht erlauben, mehrere ihrer insgesamt viel zu wenigen Milliarden auf den Kopf zu hauen oder Leute zu schmieren. Außerdem sollen sich die neoliberalen mal entscheiden, was sie denn von den Unis verlangen: Spitzenforschung oder Spitzenlehre? Mit den Budgets und eingeschränktem Sichtfeld klappt beides nicht. Vielleicht wissen die Hochschulen ja auch selbst am Besten, wie sie gut forschen und lehren können.

  2. Das Problem ist, wie häufig, daß die Verwertung der Erkenntnisse nicht ökologisch stattfindet, sondern dumm.

    (Okölogie ist die Lehre von den Wechselwirkungen des Lebens und den systemerhaltenden Kreisläufen. Ökologie ist Wissenschaft, keine Politik!)

    Die sogenannten Ökonomen können nicht rechnen, das ist das Problem. Das verstehen diese Neo-Eqoisten nicht.
    Mit „Liberalität“ haben sie nichts zu tun.

    (no theel-comment required)

  3. Dass „neoliberal“ schon ein Widerspruch in sich ist, ist mir klar, und das mit den Ökonomen kann durchaus stimmen, wenn ich mir anschaue, welche Scheu die vor der Mathematik haben – und so kompliziert ist das auch nicht.

  4. @ #2. BvG

    Lieber BVG,

    wenn Sie sich schon laufend das Recht herausnehmen, Begriffe auf recht individuelle Art zu prägen und neu zu definieren, dann sollten Sie nicht Andere für „dumm“ oder „nichts wissend“ erklären, die Begriffe verwenden, die Sie einfach nicht anerkennen wollen oder vielleicht nur nicht kennen/verstehen.

    Beim Begriff der „Liberalität“ sind Sie jedenfalls offensichtlich nicht in der Lage, unterscheiden zu können, zwischen dem Ihnen allenfalls grob geläufigen, umgangssprachlichen, emphatischen Begriff grundsätzlicher „Freiheit“ (Freiheit wovon oder wofür, wollen oder können Sie wohl nicht sagen) und dem ihnen offensichtlich ziemlich unbekannten Begriff des Wirtschaftsliberalismus“ – insbesondere in seiner neoliberalen Weiterentwicklung -. Dieser Begriff definiert übrigens geradezu die nahezu unbeschränkte Freiheit zum Wirtschaften unter kapitalistischem Vorzeichen.

    Auch wenn Robert B. Ihnen zustimmen will, er irrt genauso: Der Begriff „neoliberal“ kann sowenig ein Widerspruch in sich sein, wie etwa der Begriff „neogothisch“. Vielleicht sollten Sie und Robert B. einmal die „Scheu“ vor guten Lexika und einschlägigen Lehrbüchern überwinden, bevor Sie im Blog Ihre einsamen und wirklich unverständlichen Begriffsbestimmungen ablegen und damit mögliche Blogdiskussionen ins Abstruse abgleiten lassen.

    P.S.: Im Blog gilt übrigens die Freiheit, schreiben zu dürfen, für jeden gegenüber jedem.

  5. Ach Herr Theel, „neoliberal“ ist weder neu („neo“), noch besonders liberal, wenn man sich einmal die Handlungsmuster dahinter anschaut. Mag sein, dass sie dies vielleicht als „real existierenden Neoliberalismus“ bezeichnen um von der reinen Lehre zu unterscheiden.

  6. @Theel
    „P.S.: Im Blog gilt übrigens die Freiheit, schreiben zu dürfen, für jeden gegenüber jedem.“

    Sie selbst zerstören diese Freiheit.
    Deshalb gebe ich sie Ihnen mir gegenüber nicht.

    (no theel comment required)

  7. @Robert B.

    Ich greife nur einen Teilaspekt heraus, der mir wichtig ist, weil man den Urwald der politischen Theorien und -Philosophien hier nicht lichten kann.

    Der (mein) Liberalismus postuliert die persönliche Freiheit des Menschen als höchstes Gut und verpflichtet sich, diese zu fördern und die Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit staatlich zu unterbinden.
    Daraus ergibt sich eine soziale Verantwortung zur Nichtausbeutung des Menschen.
    Ich finde dies als einen guten Ansatz zur Entfaltung persönlicher Fähigkeiten und(!) zum Ausgleich persönlicher Defizite. Der Liberalismus hat ein soziales und menschliches Gewissen, der sogenannte Neoliberalismus zeigt dies nicht.
    Ich empfinde ihn als Deckmantel für das Recht des Stärkeren, ohne das Ziel, die Lebensqualität und Freiheit des Einzelnen zu befördern.
    Deshalb nenne ich ihn Neo-Eqoismus.

  8. @ Bronski/Admin

    Ich würde gerne freundlichst erfahren, warum Sie, wenn Sie „Ihr Hausrecht ausüben“ regelmäßig einen Meldung wie diese:

    “ 5. Kommentar von: Uwe Theel Der Kommentar muss erst vom Administrator bestätigt werden.
    Geschrieben am 10. November 2007 um 18:14 “

    ausbringen, der Kommentar nur noch für den ursprünglichen Verfasser lesbar ist, aber der Kommentar, entgegen der dort enthaltennen Ankündigung, wie auch in diesem Fall, nach Tagen noch nicht freigeschaltet wird, bzw. nie freigeschaltet wird? Der Verfasser, in diesem Fall ich, erfährt aber nie, warum diese Maßnahmen ergriffen wurden. – Warum solch nicht nur unhöfliche Praxis?

    Offenbar stehe ich damit nicht alleine da, heinrich im „Vergessen-Blog“ berichtet Ähnliches.

    Mit der Bitte um Antwort,

    Uwe Theel

  9. @#9 Bronski/Admin

    Bronski@fr-online.de wrote 14. Nov. 2007, 16:11:

    > Lieber Herr Theel,
    >
    > wenn Sie damit Ihren Kommentar zur Einstellung von Chefredakteuren zum Tabloid-Format meinen – den habe ich persönlich herausgenommen. Sie wissen warum: Sie haben sich darin off topic geäußert.
    > Freundliche Grüße

    Antwort:

    Lieber Bronski,

    natürlich habe ich konkret meinen von Ihnen genannten Kommentar gemeint, in dem ich den Artikel „Warum nicht alles im Tabloid?
    Tageszeitungen: Verlage in Deutschland tun sich schwer mit der Abkehr vom großen Format“ aus dem Darmstädter Echo vom 10.11.07 wiedergab.

    Allerdings hätten Sie mir doch genauso auch zugestehen können, dass ich mich schon inhaltlich an das Blog Thema „Kapital leichtfertig verspielt“
    hielt, wenn ich mit Hilfe des zitierten Beitrags in den Zusammenhang rückte, dass Die FR mit ihrem journalistischen Kapital nicht gerade problemlos umgeht, während sie glaubt ihr Betriebskapital stärken zu können. Wenn Sie diesen thematischen Zusammenhang nicht im Blatt sehen wollen, kann ich das zwar „verstehen“, aber Ihnen nicht nicht zugestehen, zumal Sie es konstant, ohne Angabe von Gründen ablehnen, einen ständigen Kritikblog #3 einzurichten – dies noch dazu gegen jede Iher mehrmaligen Vorankündigungen dazu -, während solche wohl als Comedy gedachte Hohlheit „Wohnblog – Hilfe Nachbarn“ ungehindert seit Monaten wuchern darf.

    Aber die Qualität des neuen Journalismus in der FR offenbaren Sie ja selbst, wenn Sie im Vergessen-Blog den Abdruck des Iris-Berben-Interviews nur anhand der quantitativ ablesbaren Leserreaktion rechttfertigen, die tatsächlich verhandelten Inhalte dabei aber überhaupt nicht in den Blick bekommen.

    Schönen Abend noch in der Mainstream-Kuschelecke ohne kritische Kontrolle von irgendwoher

    wünscht

    Ihr Uwe Theel

  10. Herr Theel, die hier verwendete Blogsoftware steckt Kommentare, die (zu viele) Links enthalten automatisch in die Moderation, um Spam vorzubeugen. Das heißt also erst einmal nichts Böses, ganz im Gegenteil.

    Und, naja, vielleicht sollten sie selbst einen Blog betreiben, um ihre Fehde mit Dumont/Vorkötter auszutragen? Aber, wenn ich auch schon Off-Topic bin: Bronski, wäre eine neue Blattkritik nach einem geschätzen halben Jahr neuer FR zu viel verlangt?

  11. Konsequent

    Konsequenterweise und ohne großen Aufwand könnte man den hier versammelten Alternativ-Redakteuren eine Online-Rundschau spendieren, deren Artikel per Mehrheitsvotum aufgenommen werden.

    Insgesamt finde ich die Qualität der Beiträge nicht schlecht, und es bliebe ja jedem freigestellt, sich diese alternative Ausgabe zu Gemüte zu führen.

    Wie wär’s?

  12. @ #11. Robert B.

    Lieber Robert B

    ad 1:

    Mein eingesackter Beitrag enthielt keinen einzigen Link.

    ad 2:

    Es geht hier nicht um eine Fehde zwischen mir und den Eignern der FR, die sich selbst bisher hier im Blog ja auch praktisch nie geäußert haben – brauchen sie aus ihrer Sicht auch nicht, sie machen, lassen ihre Zeitung einfach so machen, wie sie sie haben wollen.

    Ich will keinen eigenen Blog, sondern eine FR, sich entwickelnd in ihrer eigenen Tradition, keine FR, die sich selbst aufgegeben hat.

    Ihre an Bronski gestellte Forderung zur Einrichtung eines Kritik-Blogs ist seit langem die Meine. Ich unterstütze Sie in diesem Punkt.

  13. Also dann Herr Theel, rühren wir die Trommel, auf das möglichst viele Abonnenten den Wunsch nach einer neuen Blattkritik äußern. Der Ansprechpartner steht ja praktischerweise in #10.

  14. @ Uwe Theel

    Sie machen mit Ihren Abschweifungen vom Thema jede Diskussion kaputt. Das war nun schon ihr mindestens vierter Versuch in verschiedenen Threads, vom eigentlichen Thema auf ein Ihnen genehmes überzuleiten. Für diesmal ist es Ihnen gelungen. Da Ihr Posting weitere Kommentare nach sich gezogen hat, lasse ich es stehen. Den Thread kann ich daraufhin gleichwohl schließen.

    Ich werde morgen mit den Blog-Adminstratoren überlegen, ob wir Ihnen ein Hausverbot erteilen, da Sie sich schlicht nicht an die Blogregeln zu halten vermögen.

    Einen Thread zur Kritik an der FR wird es demnächst geben; ich hab’s heute schon in einem anderen Thread angekündigt.

  15. Zurück zum Thema:

    Das, worauf sie, BVG, dankenswerter Weise in #8 hinweisen, klingt zwar einerseits viel versprechend – sofern wir es denn noch erleben dürfen, aber die unheimliche Frage ist, wie der real existierende Neoliberalismus abtritt. Wenn man sich anschaut, was jetzt schon durch die „Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer“ geschieht, dann muss man ja mit einem lauten Knall beim Fall rechnen. Aber genau hier schließt sich der Kreis zum Kommentar vor einigen Tagen: Einige „Global Player“ haben es verstanden, ihre Individualinteressen als Gemeinwohl auszugeben.

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