Familienministerin Franziska Giffey ist zurückgetreten, eine Hoffnungsträgerin der deutschen Sozialdemokratie. Wegen Plagiatsvorwürfen im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit. Giffey erklärte, auch wenn sie weiter dazu stehe, dass sie die Dissertation “ nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben“ habe, ziehe sie die Konsequenzen “ aus dem belastenden Verfahren“ . Anfang Mai hatte die Freie Universität (FU) Berlin mitgeteilt, der Bericht des Prüfgremiums liege vor. Damals sickerte bereits durch, dass der Bericht sie belaste. Nun hat Giffey die Reißleine gezogen, bevor aus dem Ganzen so etwas werden konnte wie jenes unwürdige Hin und Her, das die Öffentlichkeit vor zehn Jahren erleben musste, als Karl Theodor zu Guttenberg partout nicht zurücktreten wollte – auch gegen ihn gab es damals Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang mit seiner Doktorarbeit. Ganze zwei Wochen zog sich der „Spaß“ hin und hat uns auch hier im FR-Blog mehrfach beschäftigt („Innocence in danger“ vom 19.2.2011 und „Dolchstoßlegende“ vom 4.3.2011)
Der Fall zu Guttenberg ist aber wohl deutlich anders gelagert als der von Giffey, denn zu Guttenberg hat wohl vorsätzlich getäuscht. Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hof wurde im November 2011 gegen Zahlung einer Strafe von 20.000 Euro eingestellt. Zu Guttenberg ist also nicht verurteilt. In seinem Wikipedia-Eintrag ist zu lesen: „Eine von der Universität Bayreuth eingesetzte Untersuchungskommission kam nach dreimonatiger Prüfung zu dem Schluss, dass Guttenberg ‚die Standards guter wissenschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vorsätzlich getäuscht‘ habe. Er habe Plagiate über die ganze Arbeit verteilt eingebaut, die Originaltexte umformuliert, den Satzbau umgestellt, Synonyme verwendet und Einzelheiten ausgelassen. Dies setze ein bewusstes Vorgehen voraus, mit dem er sich die Autorschaft angemaßt habe.“ Dieser Fall ist der Maßstab, der an derartige Plagiatsvorwürfe seitdem angelegt werden muss. Es gab noch weitere, von Annette Schawan, die Laut Uni Düsseldorf „systematisch“ gefälscht habe, bis zu Ursula von der Leyen, der Plagiate nachgewiesen, bei der aber keine Täuschungsabsicht erkannt wurde. Die Sache ist also durchaus differenziert zu sehen. Auf die Täuschungsabsicht kommt es an.
Der Gedanke erscheint schwer vorstellbar, dass Giffey ebenfalls vorsätzlich getäuscht haben könnte. Sie wirkt persönlich integer und glaubwürdig und hat zudem gute Politik gemacht. Aber der Eindruck kann natürlich täuschen. Bei einer Sympathieträgerin ist man eher geneigt, zu ihren Gunsten zu urteilen als bei einem Karrieristen wie zu Guttenberg. Doch wir müssen hier ohnehin nicht urteilen. Die Analyse der FU wird an die Öffentlichkeit kommen, Giffey wird sich dazu verhalten, und dann wird das Ganze geklärt. Das wird sicher deutlich unaufgeregter ablaufen, als wenn Giffey währenddessen Bundesministerin geblieben wäre. Früher hatte sie mal gesagt, sie werde nur zurücktreten, wenn ihr der Doktortitel aberkannt werde. Dem ist die zuvorgekommen.
Nun kandidiert Giffey aber dennoch als Spitzenkandidatin der SPD für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin. Eine Insa-Umfrage vom 18.5. sieht die SPD bei relativ starken 20 Prozent. Die Umfrage wurde also noch vor ihrem Rücktritt als Bundesministerin erhoben, aber die Plagiatsvorwürfe hingen ihr da schon am Bein, sie wurde in Kenntnis dieser Dinge auf den Schild gehoben. Die Vorwürfe scheinen ihr bei den Berlinerinnen und Berlinern nicht zu schaden. Die Frage ist aber: Ist das in Ordnung? FR-Autor Tobias Peter findet, dass das gehe. Er sagt aber auch im FR-Leitartikel: „Ob ihr Verhalten sie für ein solches Amt disqualifiziert, darüber entscheiden Wählerinnen und Wähler.“
Für öffentliche Ämter disqualifiziert
„Kann Giffey dennoch Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin in Berlin bleiben? Ihr wissenschaftliches Fehlverhalten ist peinlich und nicht zu beschönigen. Unterm Strich ist es aber auch nicht so gravierend, dass es einen Komplettrückzug aus der Politik erfordern würde.“(…)
Der vorstehende Auszug aus dem Leitartikel gibt mir allerdings erheblich Anlass zum „Grübeln“. Auch wenn Frau Giffeys einschlägig bekannte „Plagiatoren-Vorgänger“ möglicherweise bewusster betrogen haben als sie, so ist Giffeys mutmaßliche Vorgehensweise, sich den Titel mit unredlichen Mitteln anzueignen, doch wahrlich keine Lappalie, wie Herr Peter „meint“.
Junge Wissenschaftler bzw. angehende Doktoranden werden verhöhnt, wenn Ihnen die von Herrn Peter vertretene Meinung zum akademischen Doktorgrad(…nicht so gravierend…) als quasi „Mainstream-konform“ begegnet. Die Verleihung der Doktor“würde“ ist in der Regel Folge „wissenschaftlicher“ Höchstleistung!
Das „Erschleichen“ des Doktortitels, mit welchen Mitteln auch immer, kann ich nur mit dem Begriff brandmarken, der hier angemessen ist, nämlich Betrug! Als solches sollten dementsprechende Konsequenzen folgen: Frau Giffey hat sich für öffentliche Ämter disqualifiziert. Trotz aller durchaus bemerkenswerten Leistungen in ihrem aufgegebenen Ministeramt wäre sie gut beraten, sich schleunigst vom Anspruch zu verabschieden, für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin zu kandidieren.
Edgar Frommeyer, Minden
Eine Schwemme von Doktortiteln
Doktortitel sind nicht nur bei Politikern begehrt; auch Rechtsanwälte, Bischöfe, Steuerberater, Industrie-Vorstände, Banker, Unternehmensberater und Verbandsfunktionäre stehen an den Universitäten Schlange, um dieser akademischen Ehre teilhaftig zu werden.
Dabei sind nicht nur die Eitelkeiten die Triebfeder, sondern oft schnöde wirtschaftliche Interessen; man glaubt, der Titel zahle sich finanziell aus und schmücke nicht nur das Türschild.
Die Hauptprobleme der akademischen Schwemme der Doktotitelvergaben sind aber nicht nur die Titelgierigen, sondern auch die akademischen Betreuer (altertümlich Doktorvater / Doktormutter), die gleichzeitig oft gleichzeitig bis zu 15 externe Doktoranden „betreuen“ und so nicht in der Lage sind, die umfangreichen und zahlreichen Texte dieser Bewerber auch sachgerecht zu lesen und zu beurteilen, so dass Plagiate kaum erkannt werden können. Auch Gefälligkeiten sollen vorkommen.
Eine Begrenzung der Doktoranden je Professor/ Professorin ist nötig und eine Eingrenzung der zur Prüfung Berechtigten.
Peter Eckardt, Goslar
Unkenntnis über korrektes Zitieren
In der Berichterstattung zu dem Thema Promotionen und Plagiate (u.a. am 20.04. S. 4) fehlt mir die Nachfrage, wer hat eigentlich das Schreiben der Doktorarbeit betreut? Früher nannte man das den „Doktorvater“. Wer war das bei Frau Giffey z.B.? Hat er das Schreiben der Doktorarbeit wissenschaftlich begleitet und angeleitet? Wer hat die Arbeit in der Endfassung gelesen?
Meine Erfahrung ist, dass es manchmal gar nicht unbedingt absichtliches Abschreiben ist, sondern auch mitunter schlichte Unkenntnis, wie korrekt und sorgfältig zitiert wird. Das zu lernen und einzuhalten ist Aufgabe des Betreuers der Arbeit, wenn er seinen Job verantwortlich wahrnimmt.
Hedi Friedrich, Frankfurt
Giffey hat eine gute politische Bilanz
Skandal, Skandal im akademischen Sperrbezirk! Schon wieder eine Betrügerin auf nicht ganz so frischer Tat ertappt. Offenbar gibt es eine Gruppe von Menschen, die nichts besseres zu tun haben, als in alten Dissertationen zu wühlen, um Prominente des Betrugs im korrekten Zitieren zu überführen. Ha, schon wieder eine_n Doktor zur Strecke gebracht! Dabei weiß jeder, der schon einmal eine Diplomarbeit o.ä. verfasst hat, dass man sich freut, eine griffige Wendung gefunden zu haben, die das selbst Gemeinte auf den Punkt bringt, bzw. untermauert.
Da ist nicht notwendig böser Wille oder flotte Betrugsabsicht dabei, wenn das Zitat nicht genau gekennzeichnet wird. Sicher freut sich der Leser bei manchen Entlarften klammheimlich, wenn es einen aufgeblasenen
Dr. Politiker wie Karl-Theodor von und zu erwischt. Aber genauer gefragt: Sind Franziska Giffey oder beispielsweise Andreas Scheuer als Politiker wegen ihrer Dissertation gewählt oder als Minister ernannt worden? Sicher nicht. Und wenn wir auf die politische Bilanz der beiden schauen, dann sehen wir den Unterschied, viel bedeutender als die beiden unterstellte unkorrekte Erlangung einer Doktorwürde. Die eine hat als Ministerin zugepackt und viele für die Familien und Kinder unserer Republik gute und sinnvolle Ideen entwickelt und Gesetze durchgebracht.
Der andere hat heiße Luft gepustet, Millionen von (jawohl: unseren!) Steuergeldern verplempert, das Parlament belogen, und was er als Digitalminister alles geschafft hat, davon können wir uns seit eineinhalb Corona-Jahren ein Bild machen: zappenduster! Der Mann soll seinen Doktortitel behalten, aber sein Amt schleunigst räumen. Eigentlich gehört er ins Gefängnis, nicht wegen des Dr., sondern wegen Veruntreuung von Steuergeldern.
Ich finde auch, dass Franziska Giffey gute Arbeit geleistet hat.
Wie Herr Peter Eckardt schreibt, wäre eine Begrenzung der Doktoranden je Professor/ Professorin nötig. Denn die Doktor- und Professorentitel sind inzwischen inflationär geworden. Auch wenn man bedenkt, dass manche Doktorarbeiten gerade mal ca. 25-30 Seiten umfassen. Diesen Umfang hatte doch schon zumindest früher eine Hausarbeit zur Erlangung eines Scheins an der Universität.
Immerhin hat Franziska Giffey mit ihrem Rücktritt wenigstens Charakter gezeigt, der ihren seitherigen Ministerkollegen wie Scheuer, Seehofer, Klöckner, Spahn u.a. völlig fehlt.
Ohne Frage:
Franziska Giffey hat gute Arbeit als Ministerin geleistet. Mit ihrem Rücktritt hat sie Rückgrat bewiesen.
Grundsätzlich:
Promotionen sollten denen vorbehalten sein, die wirklich wissenschaftlich arbeiten und die Wissenschaft vorwärts bringen wollen. Ein Doktortitel aus Eitelkeit oder Karrierebewusstsein ist ein absolutes „no go“.
Die Eitelkeit ist eine Zier, doch besser geht es „ohne ihr“.
Unserer Meinung nach sollte n Frau Giffey nicht mit dem Entzug der Doktortwürde bestraft werden sondern, im Gegenteil, der Freien Universität sollte man das Recht entziehen Doktorarbeiten zu prüfen. Wir sind Laien in diesem Sektor, aber es ist naheliegend, dass wenn eine Universität drei Anläufe benötigt, um irgendwelche Haare in der Suppe zu finden, nicht verwunderlich wäre, wenn am Ende die gefundenen Haare die eigenen sind.
Irgendjemand muß mir mal erklären, wie das mit unseren Politikern und ihren Dissertationen ist. Ich versteh’s nämlich nicht. Also, in meinem Studium (dem der Theologie) war das so: an den Spracherwerb schlossen sich zwei obligatorische Proseminare zur Exegese des Ersten und des Zweiten Testamentes an. Weil da nun die ersten Arbeiten zu schreiben waren, wurden uns in diesen Proseminaren auch die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens gelehrt. Was heißt gelehrt – eingeschärft, eingetrichtert, eingebleut. Und zwar so gründlich, daß sich danach auch der dämlichste Kommilitone nicht mehr verlaufen konnte. Und kein Dozent vergaß jene Details, bei deren Verwendung man ja überhaupt erst sieht, daß es sich um eine wissenschaftliche Arbeit handelt: „sic!“, „…“ oder „Dingsbums v. Verf.“ Überhaupt: Zitieren! Da lauerte nach übereinstimmender Auffassung aller Lehrkräfte die Todsünde (und glaubt mir, davon verstehen Theologen was)!
Und nun rätsele ich, wie es angehende Politiker schaffen, bis zum Doktorandenkolloquium ihr elementares Handwerkszeug zu vergessen, das darüberhinaus auch noch nicht einmal die geringste intellektuelle Anstrengung verlangt. Wie gesagt: irgendjemand muß mir das mal erklären.
Es ist gut, dass in Leserbriefen zum Fall Giffey auch die akademischen Betreuer angesprochen worden sind, die ja das Schreiben der Doktorarbeit wissenschaftlich begleiten und anleiten sollen, wissenschaftliche Wege aufzeigen sollen. Gut wird eine Dissertation nämlich durch die adäquate Betreuung der Doktoranden. Auch wird eine Doktorarbeit von mindestens zwei Gutachtern beurteilt. Ideal wäre es, wenn der zweite Gutachter sich bei der Beschäftigung mit der Dissertation so engagiert als wäre er persönlich der Betreuer des Doktoranden bzw. der Doktorandin gewesen.
In den letzten Jahren wurden viele Doktortitel aberkannt. Die Schlamperei liegt nicht bei den Doktoranden, sondern bei denen, die sie verleihen. Die Hochschulgremien oder Doktorväter sind unfähig und überfordert! Der Inhalt einer Dissertationsschrift ändert sich nicht. VOR Verleihung eines Doktortitels sollte genauer geprüft werden!
Nun also Frau Giffey. Die zuständigen Gremien der FU Berlin haben der Politikerin den Doktortitel aberkannt. Ob man das als angemessene Entscheidung zur Kenntnis nehmen kann, weiß ich nicht. Eines aber, meine ich, wäre im Interesse aller Beteiligten für diese Fälle zu fordern:
1. Es ist nicht nur der Name der/des Promovierten zu veröffentlichen, sondern auch die Doktormütter und –Väter, die seinerzeit die Dissertation geprüft und beurteilt haben, sind zu benennen.
Eine solche Praxis würde den Promovierenden eine gute Betreuung sichern. Sie könnte dazu beitragen, dass Professoren nicht mit zu vielen Arbeiten belastet wären und sich die Betreuungsaufgaben in der Professorenschaft gleichmäßiger verteilen.
2. Es sollte in einem angemessenen Zeitabstand für die Universitäten und Fachbereiche erhoben werden: Ad 1. Die Anzahl der angenommenen und abgelehnten Dissertationen, Ad 2 Die Anzahl der auf die einzelnen Beurteilungsstufen ( summa cum bis rite ) entfallenden Ergebnisse. Diese Daten könnten sichtbar machen, inwieweit Beurteilungsspektren genutzt werden. Präventiv kann mit Ablehnung und rite-Einstufung, späteren Aberkennungsverfahren vorgebeugt werden.
Es kann nicht sein, dass dieselbe Institution zuerst beurteilt und dann im zweiten Schritt, veranlasst wird, nur die andere Seite der Beteiligten zu prüfen.