Der Familiennachzug für subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge in Deutschland ist ein heiß diskutiertes Thema. Es liegt auf der Hand, dass geduldete Flüchtlinge, die jahrelang in Flüchtlingsunterkünften in Mehrbettzimmern leben müssen, sich nicht leicht integrieren werden. Insbesondere die CSU lehnte den Familiennachzug zunächst komplett ab, hat in den Sondierungen aber einer Minimallösung zugestimmt, allerdings auf Kosten der Aufnahme von Flüchtlingen, die in Italien und Griechenland angekommen sind. EU-Absprachen scheinen in der deutschen Flüchtlingspolitik nachrangig zu sein. Ebenso nachrangig wie die Lebensplanung jener Flüchtlinge, die als subsidiär schutzberechtigt gelten. In vielen Fällen hofft die Politik, diese Menschen irgendwann noch abschieben zu können, wenn sie nicht freiwillig zurückkehren wollen (was gefördert wird). Also lehnen insbesondere die Konservativen den Familiennachzug ab. Eine kurzsichtige und unwürdige Politik, wie Yousif S. Toma aus Frankfurt in seinem nun folgenden Gastbeitrag meint. Der Text wurde heute auch ujm rund 50 Prozent gekürzt im Print-Leserforum der FR veröffentlicht.
Wasser auf die Mühlen der Hassprediger
von Yousif S. Toma
.
Im Rahmen der Sondierungen zur Bildung einer neuen Regierungskoalition sowie in den Medien und in der Öffentlichkeit wird heftig diskutiert, ob die vor zwei Jahren beschlossene Aussetzung des Familiennachzugs für Schutzsuchende über März 2018 hinaus verlängert oder aufgehoben oder aber durch eine andere flexiblere Regelung ersetzt werden soll. Dieses Thema hat schon bei den „Jamaika-Sondierungen“ eine große Rolle gespielt. Es kann beim Zustandekommen einer großen Koalition mitentscheidend sein.
Viele Argumente für und gegen die Verlängerung bzw. Aufhebung der Aussetzung des Familiennachzugs sind zwischen den Parteien und in den Medien ausgetauscht worden. Aufgrund meiner freiwilligen Unterstützung von Geflüchteten, des intensiven Austauschs mit ihnen (mit den Arabern und Kurden auch in ihrer Muttersprache) sowie der häufig durchgeführten „Kulturdialog-Workshops“ mit Geflüchteten möchte ich einige Auswirkungen der Aussetzung des Familiennachzugs, insbesondere auf alleine in Deutschland angekommene Geflüchtete (ohne ein Familienmitglied) haben kann. Diese Aspekte finden in den politischen Auseinandersetzungen nicht die notwendige Beachtung.
1. Familiennachzug und Integration: Die Aussetzung des Familiennachzugs wirkt sehr stark als integrationshemmend. Millionen von Menschen unterstützen ehrenamtlich oder hauptamtlich die Geflüchteten und Milliarden Euro werden eingesetzt, um den Integrationsprozess zum Erfolg zu bringen. Die Integrationsbereitschaft (in meinen Workshops: „Lust auf Deutschland“ / „Lust auf Integration“) seitens der Geflüchteten ist eine Grundvoraussetzung für die erforderlichen Anstrengungen und somit für das Gelingen der Integration. Das Gelingen der Integration ist wiederum eine Grundvoraussetzung für das Fortbestehen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und somit des friedlichen Zusammenlebens aller Menschen in unserem Land. Daher muss die nachhaltige aus dem Herzen und dem Verstand stammende aktive Integration das oberste Ziel der Politik sein. Wie soll die Integrationsbereitschaft weiterbestehen bzw. wachsen, wenn ein mögliches Wiedersehen mit den Eltern oder Geschwistern auf Jahre hinaus verweigert wird?
Wer ehrlich und ernsthaft Integration fördern will, kann daher nicht für die Aussetzung des Familiennachzugs, insbesondere bei unbegleiteten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sein.
2. Familiennachzug und Sicherheit: Die führenden Politiker der demokratischen Parteien, insbesondere die „sozialen und christlichen“ Politiker aus Bayern verknüpfen mit dem Hinweis auf unterschiedliche (unvereinbare) Kulturen und auf „islamistischer Extremismus“ etc. Flüchtlings- und Sicherheitspolitik. Die Aussetzung des Familiennachzugs kann aber in vielen Fällen bei den Geflüchteten zu Integrationsverweigerung, Passivität, Frustration / Depression und zu einer negativen Einstellung gegenüber der Aufnahmegesellschaft führen. In solchen Fällen kann die Verweigerung des Familiennachzugs als Wasser auf die Mühlen von Hasspredigern bezeichnet werden und zur Radikalisierung insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beitragen. Die Aussetzung des Familiennachzugs verbessert also nicht mit Sicherheit unsere Sicherheitslage. Sie kann – im Gegenteil – zur Erhöhung des Sicherheitsrisikos beitragen. Sollen unsere personellen und finanziellen Sicherheitsbemühungen ständig ausgebaut werden, weil die Zahl der zu überwachenden „Gefährder“ kontinuierlich steigt? Ist die Zulassung von geregeltem Familiennachzug (nach jüngsten Untersuchungen 60.000 Personen) nicht viel effektiver und letztendlich auch „billiger“, wenn dadurch nicht nur den Betroffenen geholfen wird (humanitäre Verpflichtung), sondern auch der Integrationsprozess besser gelingt und eine „Radikalisierungsprävention“ bewirkt wird?.
Die Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs kann also nur bedeuten: Abschottungspolitik, koste sie was sie wolle!!.
3. Familiennachzug und unsere Werte: In den Kulturdialog-Workshops werden die Grundwerte unserer Gesellschaft, insbesondere die Grundrechte (Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes) intensiv behandelt, damit die Geflüchteten sie kennenlernen, sie schätzen und respektieren lernen. Es wird immer schwieriger zu erklären, wie die Verschärfungen der Flüchtlingspolitik mit humanitären Verpflichtungen, Achtung der Menschenrechte und mit bestimmten Artikeln des Grundgesetzes zu vereinbaren ist. Millionen von Ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfern und zahlreiche zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen und Initiativen bemühen sich, den Neubürger*innen zu vermitteln, wie wunderbar die „Spielregeln“ des friedlichen Zusammenlebens in Deutschland sind und warum es sich lohnt, sich anzustrengen, um ein aktives und produktives Mitglied dieser Gesellschaft zu werden. So eine Abschottungspolitik, zu der die Aussetzung des Familiennachzugs gehört, erschwert diese Bemühungen und gefährdet ihre angestrebten Ziele.
Daher kann ich – nicht zuletzt im Interesse meiner / unserer Enkelkinder – nur hoffen, dass die neue Bundesregierung nichts vereinbart, was den Integrationsprozess und das künftige sichere und friedliche Zusammenleben in unserem Land beeinträchtigt.
In Zeiten, in denen gleich welche der unzähligen Formen der Zerstreuung überaus hoch im Kurs stehen, fällt die Selbstbesinnung als die wesentliche Voraussetzung dafür, das eigene Handeln jemals in eine moderne Gesellschaft einfügen zu können, selbst Alteingesessenen zunehmend schwerer bis hin zur Unmöglichkeit. Ohne eine grundlegende Änderung der vorherrschenden Verhältnisse muss jedwede Integration nicht zuletzt von Zuwanderern von vornherein misslingen. Sowohl Migranten als auch Einheimischen ist insofern gemeinsam, notwendig Ansatzpunkte für den Bruch mit solch einer Perversion ausfindig zu machen. Bleiben auch künftig soziale Innovationen aus, ist es völlig gleichgültig, wie insbesondere die Frage des Familiennachzugs beantwortet wird. Mir erschließt sich somit nicht, weshalb ihn Herr Yousif S. Toma ins Zentrum einer Auseinandersetzung rückt, bei der es vorrangig um das Wohl aller geht und keineswegs nur um die Interessen jüngst zugezogener Bevölkerungsgruppen.
Die Argumente Yousif S. Tomas leuchten grundsätzlich ein. Allerdings gibt es auch Stimmen, z.B. Necla Kelek, die befürchten, dass der Nachzug einer großen Anzahl von Familienmitgliedern gerade nicht zur Integration, sondern eher zum Rückzug in Parallelgesellschaften führt.
Mir ist ohnehin nicht klar, wie mit den verschiedenen Zuwanderergruppen in Zukunft zu verfahren ist. Mindestens von denen mit subsidiärem Schutz heißt es doch, die Schutzberechtigung müsse alle paar (3?) Jahre überprüft werden, und wenn der Aufenthaltsgrund entfällt, würden sie in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Je länger sie aber in Deutschland leben, schon gar wenn ihre Familie nachgezogen ist und sie hier noch ein paar Kinder bekommen haben, umso problematischer, ja grausamer wird es doch, sie wieder zurückzuschicken.
Und dann geschieht das de facto auch gar nicht mehr (aus humanitären Gründen nachvollziehbar).
Dann aber werden diese ganzen Bestimmungen und Unterscheidungen zur Farce. Dann wäre es ehrlicher, gleich zu sagen, alle können die ganze Familie nachholen und für immer bleiben. Das würde zudem eine Menge Kosten für Asylverfahren und Widerspruchsprozesse sparen.
Ich frage mich nur, ob unsere Gesellschaft das alles auf Dauer verkraften kann und ob wir so die Bildung von Parallelgesellschaften und vor allem das Verharren in abweichenden rechtlichen Maßstäben (Stichwort Scharia) verhindern können.
Auch wenn Frau Brigitte Ernst jüngst hier im FR-Blog die Frage aufwirft, ob die Kräfte unserer Gesellschaft ausreichen, um Migranten den Familiennachzug zu ermöglichen, liegt mir viel daran, dabei nicht aus dem Blick zu verlieren, dass „das bis heute nicht gelöste Verharren gesellschaftlicher Institutionen in den Ordnungsprinzipien und Regulationsweisen der Industriegesellschaft“ (Oberbeck, H.: Ein Nachruf, in: Soziopolis v. 17.01.2018) bereits seit längerem schlicht die körperliche Existenz eines jeden Bürgers vernichtet. Angesichts dessen sich darüber hinaus damit zu befassen, ob etwaigen Zuwanderern und ihren Familienangehörigen solch eine Wirklichkeit zumutbar ist, übersteigt das normale Maß bei weitem. Mithin könnte von den Protagonisten der Debatte der Eindruck gewonnen werden, als ob sie den ökonomischen Bewegungsgesetzen moderner Gesellschaften völlig enthoben sind und gleichsam über den Dingen schweben.
@Ralf Rath
Wenn Sie schreiben, dass «bereits seit längerem schlicht die körperliche Existenz eines jeden Bürgers vernichtet“ wird, bestreite ich als ein Anhänger von Sir Karl Popper (siehe Logik der Forschung) diese These. Ich kann empirisch belegen (obwohl ich hier zugestehen muss, dass dies natürlich nur eine Erkenntnis a posteriori ist (siehe I. Kant Kritik der reinen Vernunft)), dass an meinem Körper zwar geringfügige Verfallserscheinungen bedauerlicherweise festzustellen sind, aber von einer Vernichtung nicht die geringsten Spuren zu erkennen sind. Ihre These kann somit als (im Sinne Poppers) falsifiziert betrachtet werden.
Damit könnten wir uns also wieder dem Problem des Familiennachzuges widmen.
Wir können doch davon ausgehen, dass sich die Verhältnisse in Syrien, selbst wenn die Waffen mal schweigen werden, sich nicht so schnell stabilisieren werden. Zu viele unterschiedliche internationale Interessen sind da am Werk. Afghanistan ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die „Befriedung“ eines Landes hinzieht. Der Irak ist nicht stabilisiert und in Syrien behalten die Anhänger Baschar al-Assads dank Russland die Oberhand. Ebenso ist Libyen nach dem Sturz von Gaddafi kollabiert. Und nun greift die Türkei die syrischen Kurden an, die sie als PKK-Terroristen beschuldigt. Das alles ist für die Zivilbevölkerung die Hölle, da rettet sich wer kann. Die meisten suchen notdürftigen Schutz im eigenen Land unter den erbärmlichsten Bedingungen. Die Waffen, die dort zum Einsatz kommen, stammen auf geraden oder ungeraden Wegen auch aus Deutschland. Daran verdienen wir (nein, nicht alle, aber insgesamt sichert das auch unseren hohen Lebensstandard). Es sind auch Arbeitsplätze bei uns, das ist uns wichtig.
Das war nur mein Vorgeplänkel. Wenn wir jetzt den Familienzuzug weiterhin aussetzen, verhindern wir nicht nur Integration, sondern holen uns auch Hass in unser Land. Denn wenn ein Mensch um das Leben seiner Angehörigen bangt, denen er den langen und gefährlichen Fluchtweg nicht zumuten wollte und darauf vertraut hat, dass Familienzusammenführung von Deutschland oder der EU möglich ist, der wird in der langen Warteschleife kein gutes Mitglied unserer Gesellschaft werden.
Und noch zuletzt: das Dublinabkommen ist ersatzlos zu streichen, weil es Ländern wie Griechenland und Italien die Last aufbürdet.
@ Henning Flessner
Wie Sie zu bestreiten, dass auf den sozialen Tod der körperliche folgt (Sofsky, W.: Die Ordnung des Terrors, Frankfurt/Main, 1993, S. 38), ist aussichtslos, weil die Erkenntnis längst als gesichert gilt und es daher keiner Falsifikation mehr bedarf. Oder würden Sie im Angesicht einer ganzheitlich betriebenen Wissenschaft auch in Abrede stellen, dass die Erde und die Sonne kreist? Bitte verschonen Sie mich daher mit Ihrer „Klügelei“, wie es der Philosoph Robert Spaemann formulieren würde.
@ I.Werner
Wie ich oben schon sagte, brauchen wir dann keinen Unterschied mehr zwischen dauerhaftem Asyl und subsidiärem Schutz. Das würde unsere Gerichte erheblich entlasten. Jeder, dem hier Schutz gewährt wird, darf seine Familie nachholen und alle bleiben für immer hier. Sonst wäre das ständige Gerede von Integration ja auch Makulatur. Wozu soll sich jemand integrieren, wenn er doch nach einiger Zeit wieder gehen muss.
Vom humanitären Standpunkt aus eine klare Sache. Fragt sich nur, ob ‚wir‘ das tatsächlich schaffen. Derzeit gibt es dafür weder die nötigen Ressourcen (personell und materiell) noch die nötige Bereitschaft
bei der Mehrheit der Bevölkerung. Und die politischen Verwerfungen sind ja bereits unübersehbar.
@Ralf Rath
„Oder würden Sie im Angesicht einer ganzheitlich betriebenen Wissenschaft auch in Abrede stellen, dass die Erde und die Sonne kreist?“
Ja.
Um mein eingangs des Threads angeführtes Argument zu veranschaulichen, dass Zuwanderer gleichsam vom Regen in die Traufe kommen und keineswegs in Sicherheit sind, sobald sie einschließlich ihrer nahen Verwandten auf das Gebiet einer hochentwickelten Industriegesellschaft wie der hiesigen migrieren, sei mir gestattet, die Todesfuge von Paul Celan und den dort mehrfach wiederholten Vers „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ in Erinnerung zu rufen. Mir jedenfalls ist keine Lösung bekannt, die das in Rede stehende Problem zur Zufriedenheit aller löst. Im Gegenteil. Eher rückt infolge der momentan immer aggressiver um sich greifenden Rückwärtsgewandtheit eine beglückende Antwort darauf zunehmend in unerreichbare Ferne.
@ Ralf Rath
Die von Ihnen zitierte Gedichtzeile von Paul Celan bezieht sich auf den Holocaust. Seitdem hat sich in unserem Land doch durchaus das ein oder andere geändert.
Warum wollen so viele Menschen aus anderen Kontinenten ausgerechnet nach Deutschland? Weil sie hier, verglichen mit anderen außer- und innereuropäischen Staaten, auf bessere Lebensbedingungen stoßen, auch wenn die Erwartungen mancher von ihnen, hier würden ihnen gebratene Tauben in den Mund fliegen, natürlich nicht erfüllt werden. Immerhin herrscht hier kein Krieg und alle Zuwanderer werden beherbergt, ernährt und mit Kleidung ausgestattet. Das Überleben ist also gesichert.
Ergänzung:
Auch der politische Rechtsruck ist kein spezifisch deutsches Problem, sondern ein Phänomen, das sich auf der ganzen Welt zeigt.
Die Rückwärtsgewandheit ist, um es mit Paul Celans Worten auszudrücken, ein Meister, der die gesamte Menscheit zu beherrschen versucht.
@Brigitte Ernst
Als ich noch völlig gesund wissenschaftlicher Mitarbeiter am SOFI war, fragte mich Ulrich Voskamp (siehe dessen Aufsatz zu globaler Qualitätsproduktion in der aktuellen Ausgabe der Mitteilungen des Instituts) auch, ob ich jetzt zufrieden bin, nachdem mir mein damaliger Kollege vorgeworfen hatte, einen „Sturm im Wasserglas“ zu veranstalten. Die nahezu identischen Vorhaltungen von Ihrer Seite, Frau Ernst, sind deshalb nicht neu für mich. Solange jedoch keine Lösung dafür in Aussicht steht, dass hiesig weite Teile der Bevölkerung den sich spätestens seit Mitte der 1980er Jahre vollziehenden Paradigmenwechsel in der Frage sozialer Effizienz für ein Hirngespinst und nicht für einen theoretisch angeleitet und empirisch kontrolliert erhobenen Befund halten, mangelt es nicht nur Alteingesessenen, sondern auch Migranten an einer klaren Struktur. Wenigstens in der Medizin ist dabei unstrittig, dass solch ein von Dritten hervorgerufener Mangel nachweislich pathogenen Einfluss auf die weitere Lebensgeschichte des Einzelnen hat. Kürzer gesagt: Die davon betroffenen Menschen sterben früher. Es nützt also nichts, vom Himmel auf Erden zu reden, wenn dadurch das Leben zur Hölle wird, um die Worte von Adorno aus seiner letzten Vorlesung im Frühjahr 1968 zu paraphrasieren.
Ich bin 1969 aus der tschechoslowakei geflüchtet. Ich war 25 Jahre alt und ganz alleine in Deutschland. Es war damals nicht einmal möglich mit meinen Eltern zu telefonieren. Zum Glück bekam ich sofort ein Aufenthaltserlaubnis und ein Arbeitserlaubnis für 5 Jahre. Ich habe nicht mal eine DM von Deutschland bekommen. Das war meine beste Chance mich hier zu integrieren. Ich kannte keine Tschechen und deshalb musste ich schnell die deutsche Sprache lernen und schnell deutsche Freunde kennen zu lernen .Einen Asyl bekam ich erst nach 8 Jahren.
Viel später habe ich andere Tschechen kennengelernt. Diejenigen die als Paare oder mit einer Familie gekommen sind, haben sich nie richtig integriert. Äusserlich schon, sie haben eine Arbeit gefunden, auch eine Karriere gemacht. Deren Gefühlswelt bleibt aber tschechisch, deren Werte bleiben auch immer noch tschechisch. Sie sind definitiv nicht so integriert, so wie ich es bin.
Meine afghanischen Freunde, die hier schon jahrelang leben sind innerlich gar nicht integriert.Nach 30 Jahren herrschen immer noch die alte Regeln vom Heimatland.
ich kenne sehr viele Beispiele in Deutschland und auch in den USA.
Klar, mit der Familie ist ein Leben viel schöner, aber es hindert die Integration in der tiefen Seele.
Ich finde dass alleine die Integration viel einfacher und viel schneller gelingt!!
ich würde eher den Flüchtlingen empfehlen eine Arbeit mit Deutschen zu finden, sie mit Deutschen zusammen zu bringen , sie in deutschen Familien zu integrieren, statt deren Familien nachziehen zu lassen. Vielleicht wird es bald möglich die Familien im Ursprungsland zu besuchen und so die Familie zusammen zu führen.
Zunächst möchte ich die Ausführungen von Yousif F. Toma über die Bedeutung von Familienzusammenführung unter dem Aspekt der Integration rückhaltlos unterstützen.
Eine Einschätzung dieser Problematik setzt entsprechende konkrete Erfahrungen voraus.
Dementsprechend beziehe ich mich im Folgenden auf über 2-jährige Erfahrungen einerseits als Mitarbeiter (zunächst staatlich organisierter) Flüchtlingshilfe in Ostfrankreich, andererseits als Theater- und Projektleiter eines integrierenden Flüchtlingstheater-Projekts, das inzwischen, trotz zeitweiliger erheblicher Probleme, sehr erfolgreich zu Ende gegangen ist. (Im Zusammenhang des letzteren ist uns seitens der Jury „Solidarité rurale“ der „Région Grand-Est“ – Elsass-Lothringen und Champagne-Ardennes – ein hoch dotierter Preis zuerkannt worden.)
Unsere Arbeit betrifft sowohl einzelne Mitglieder aus Familien (aus Bangla-Desh, kurdischem Irak, Iran, Südsudan, Albanien) als auch junge Männer ohne Familie (teilweise minderjährig) aus Afghanistan, Iran, Irak. Einige der Teilnehmer am Theaterprojekt zeigten, vor allem zu Beginn, Merkmale hochgradiger Traumatisierung.
Zu 1./3: Integration und Werte.
Von herausragender Bedeutung hat sich bei beiden Gruppen herausgestellt, von einer (Ersatz-)Familie akzeptiert und gestützt zu werden. Ohne dieses wäre ein erfolgreiches integratives Theaterprojekt völlig undenkbar gewesen, das, über Toleranz hinausgehend, ein sehr hohes Maß an Integrationsbereitschaft voraussetzt (Geschlechterbeziehungen eingeschlossen). Bei den Familien stellte sich heraus, dass die Integration der Eltern vorwiegend über die Kinder befördert wird. Deren Integrationsbereitschaft erwies sich als erheblich stärker als die von alleinstehenden jungen Männern. Dies betraf insbesondere auch Werte wie Verlässlichkeit oder Kooperationsbereitschaft (z.B. von Afghanen mit Iranern). Letztere konnten bei manchen Alleinstehenden nur mit massivem Druck meinerseits (in einem Fall auch durch Ausschluss) erreicht werden.
In keinem Fall haben sich, wie oft behauptet, religiöse Einstellungen als unüberwindbares Integrationshindernis erwiesen: Wurde anfangs vereinzelt noch „Ramadan“ als Begründung für Fehlen bei Theaterproben vorgeschoben, erwies sich am Ende das Verhalten geradezu als vorbildlich: Zwei der vier Vorstellungen des Theaterstücks „Der kleine Prinz klopft an unsere Türen“ (nach Saint-Exupéry) fanden während des Ramadan, bei brütender Hitze statt – ohne jegliche Klage.
Zu 2: Sicherheit.
Darunter ist nicht nur die Sicherheit der Gesellschaft vor Übergriffen, sondern auch möglichst weitgehende Reduktion destabilisierender Unsicherheit für Flüchtlinge zu verstehen.
Wir haben in dieser Zeit zwei Selbstmordversuche erlebt, ein junger (alleinstehender) Afghane wäre beinahe in Alkoholismus abgeglitten. Diese aufzufangen war nur im Rahmen sehr engagierter Hilfe (dem vermittelten Gefühl, in einer „Ersatzfamilie“ zu leben) möglich.
Der These von Olga Roussel, Familienzusammenführung verhindere „Integration in der tiefen Seele“, widerspreche ich ganz entschieden. Die von ihr aufgezeigte brutale Form der „Integration“ mag vielleicht in einzelnen Fällen ohne (nach außen hin) erkennbare gravierende Nebenwirkungen ablaufen, die Gefahren überwiegen aber ganz eindeutig. Schon gar nicht dient dies als Modell für Integration.
Wenn man bedenkt, was Perspektivlosigkeit einerseits, Verzweiflung andererseits auslösen kann (und auch auslöst), kann man die These von Yousif F. Toma sogar noch zuspitzen:
Verweigerung der Möglichkeit, in einer Familie zu leben, ist nicht nur „Wasser auf die Mühlen der Hassprediger“, sie erscheint geradezu als Konjunkturprogramm für Kleinkriminalität, evt. auch für Hinwendung zu Terrorismus.
Nach unseren Erfahrungen ist (selbst in einer Gegend mit über 40 % FN-Anteil) eine hohe Bereitschaft vorhanden, seinen Teil zu Integrationsbemühungen beizutragen. Diese werden aber von staatlichen Integrationsmaßnahmen eher gebremst als gefördert, teilweise gar gezielt verhindert.
Beispiele:
(1) Eine von uns betreute, von Abschiebung bedrohte 4-köpfige albanische Familie (sie war von der albanischen Mafia verfolgt worden) wurde in ein rundum überwachtes Zentrum über 100 km enfernt verlagert. Jegliche Abwesenheit bedarf einer Sondergenehmigung. Die Familie erhält gegenwärtig noch eine Unterstützung von insgesamt 450 € monatlich. Bei privater Aufnahme und Beherbergung würde auch diese Unterstützung vollständig gestrichen. Die gesamte Verantwortung würde auf die Helfer übertragen, Arbeitsverbot, auch im privaten Bereich (außerhalb üblicher häuslicher Arbeiten) bliebe erhalten.
(2) Unter der Präsidentschaft Macrons wurden im Raum Calais Flüchtlingszelte eingerissen, von Helfern gespendete Decken zerstört. Menschen also in die Kriminalität getrieben. Selbst geringste Hilfeleistungen riskieren (wie im Fall einer angeklagten AI-Mitarbeiterin) gerichtlich verfolgt zu werden. Dementsprechend formiert sich Widerstand selbst unter ehedem völlig unpolitischen Bürgern.
Fazit:
Wir selbst sind (mit Hilfe des zuerkannten Preisgelds) dabei, eine private (staatlich anerkannte) Hilfsorganisation zu gründen, die sich zum Ziel setzt, im Sinne eines Netzwerks (1) Kontakte untereinander und mit der einheimischen Bevölkerung zu fördern, (2) soziale und psychologische Betreuung zu organisieren, (3) Flüchtlinge, die in ein (durch Gesetzeslücken bedingtes) Loch fallen, auf der Basis von Darlehen sozial und finanziell zu stützen. So etwa anerkannte Asylbewerber unter 25 Jahren, bei denen mit der Anerkennung jegliche Form staatlicher Unterstützung entfällt.
Website: (Google: ) (Bindungen – nach Saint-Exupéry, Département 52)
Ergänzung:
Es fehlt die französische Bezeichnung der Website: liens52.com, Google: liens-520.
@Werner Engelmann
Schön von Ihnen zu lesen.
Zuerst eine Frage: das Theaterprojekt betraf nur junge Männer?
Zu den Ausführungen von Frau Roussel: verstehe ihre Erfahrung. Kenne eine Frau die aus Slowenien unter ähnlichen Bedingungen nach Deutschland kam und ihren Weg gefunden hat. Es lässt sich nur nicht auf die heutige Situation der Flüchtlinge übertragen. Es mag auch unter diesen „Einzelkämpfer“ geben aber die meisten sind wohl auf vielfältige Hilfe angewiesen um in Europa anzukommen. Mal ganz davon abgesehen, dass der Lebensalltag zwischen Tschechien, Slowenien und der BRD nicht so gravierend anders ist wie zu Ländern wie Afghanistan, Iran etc.
Das es Abschottung und gerade in Deutschland Parallelgesellschaften gibt, ist eine Tatsache.
Wie Frau Rousell auch aus ihrer Erfahrung berichtet, werden die Lebensvorstellungen aus dem Geburtsland importiert und beibehalten.
Ob das jetzt nur der anderen Art der Aufnahme der Migranten bzw. damals noch Gastarbeiter genannt, „geschuldet“ ist, weiss ich nicht. Doch die auch schon in der 3. Generation hier lebenden scheinen mir teilweise auch noch nicht angekommen. Woran liegt das?
Der von mir gestern erwähnte Mangel an klarer sozialer Struktur schränkt hiesig vor allem das Integrationspotenzial mitunter extrem ein. Es nimmt dann nicht wunder, wenn sogar die 3. Generation der Angehörigen von Migrantenfamilien in Teilen hier längst noch nicht Fuß gefasst haben, wie Frau Anna Hartl heute um 9:48h feststellt. Ohne einen hoheitlichen Eingriff, der in Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols die zahllosen Relativierungen Dritter notwendig an ihr Ende kommen lässt, ist keine höhere Aufnahmefähigkeit des bundesdeutschen Gemeinwesens zu erwarten und neu Zugezogene bleiben aufgrund dessen weiterhin außen vor. Die unsägliche Auseinandersetzung um eine so genannte „Obergrenze“, von der insbesondere die CSU in der jüngsten Vergangenheit nicht genug kriegen konnte, verstellt somit bloß den Blick darauf, wo in Wirklichkeit anzusetzen ist, damit ein für alle gedeihliches Zusammenleben ermöglicht ist.
@ Anna Hartl,22. Januar 2018 um 9:48
Hallo, Frau Hartl,
es sind wieder mehrere wichtige Fragen, die Sie aufwerfen. Alle komplex genug für eine eigene Abhandlung. Ich lasse daher die Frage nach dem Theaterprojekt zunächst weg. Ich spüre hier ein Interesse, auf das nur im Zusammenhang (und daher erst später) adäquat eingegangen werden kann. Zuerst also zu den näher am Thema liegenden Komplexen.
(1) Frau Roussels „Einzelkämpfertum“ und die Flüchtlingsfrage.
Natürlich empfinde ich Respekt, auch Sympathie für die – nicht zu Unrecht mit gewissem Stolz geschilderte – Biografie. Erinnert sie doch genügend an meine eigene. Eine Strategie für Integration ist aber eine andere Sache.
Um es in einem Bild auszudrücken: Nicht jeder, der von einem sinkenden Schiff in Meeresfluten springt, kommt darin um. Und wenn er überlebt, geht er gestärkt daraus hervor – sofern er überlebt. Kann es aber ein Modell sein für Integration sein, Schiffbrüchige sich selbst zu überlassen – dazu noch eines mit humanitärem Anspruch? Welches ist der Preis? Und wie sieht es mit denen aus, die nicht die „Stärke“ oder das Glück haben, in den Fluten zu überleben? Was sich derzeit im Mittelmeer abspielt, ist schon makaber genug.
(2) Recht auf Familiennachzug und „Parallelgesellschaften“.
Dass Integration vor allem an mitgebrachten, mit unserer Kultur nicht verträglichen Vorprägungen scheitere, ist zunächst nur eine Behauptung, die zu belegen wäre. Nach meiner Meinung auch weitgehend eine Schutzbehauptung, um unangenehmen Fragen nach den Ursachen in der eigenen Gesellschaft aus dem Weg zu gehen.
Der – keineswegs schlüssige – Vergleich mit Tendenzen der Abschottung und Bildung von „Parallelgesellschaften“ vor allem bei Migranten der 3. Generation gibt hier einen Hinweis. Denn die Bedingungen sind hier völlig andere als die bei Flüchtlingen, vor allem Bürgerkriegsflüchtlingen von heute.
Ich selbst hatte in meiner aktiven Zeit als Lehrer in Berlin-Kreuzberg vorwiegend mit Migranten der 2. Generation zu tun, insgesamt aufgeschlossen und integrationsbereit. Die Erfolge, vor allem in Kreuzberg, waren hier deutlich erkennbar. Die verallgemeinernde Behauptung vom „Scheitern der Integration“ ist daher ungerecht und in der Allgemeinheit unzutreffend.
Neo-Islamisten der 3. Generation, die Abschottung betreiben, sind allesamt in Deutschland geboren. Sie sind alles andere als heimisch in der von ihnen beschworenen „islamischen Kultur“. Sie kennen diese überhaupt nur in der ideologisierten Form extremistisch-nationalistischer Erdogan-Fans, welche durch Hass und Spitzeldienste ihre eigene Community spalten. Die von ihnen betriebenen „Parallelgesellschaften“ sind also gerade nicht ausreichend erklärbar durch „mitgebrachte integrationsfeindliche Prägungen“.
Der Erfolg von solchem religiös verbrämtem Nationalismus, der zu Selbstausgrenzung und Parallelgesellschaften führt, ist wohl vor allem auf Identitätsverlust in Zeiten der Globalisierung zurückzuführen. Ein geschlossenes, von Großeltern entlehntes Weltbild mit totalitären Zügen gibt da vermeintlichen Halt. Ihre Selbstausgrenzung richtet sich in aggressiver Weise sowohl gegen eine Gesellschaft, die sie (vermeintlich) ausgrenzt als auch gegen die eigene Community, die eigenen Eltern, die durch Integration (vermeintlich) ihre Identität verlieren. Insofern also auch ein Generationenkonflikt. Was sich gegenwärtig in der türkischstämmigen Community abspielt, ist hierfür symptomatisch.
Die Bedingungen von Kriegsflüchtlingen unterscheiden sich sehr deutlich von den hier beschriebenen. Es liegt also auf der Hand, dass sich aus den genannten Tendenzen keinerlei Rückschlüsse auf vermutete Verhaltensweisen von im Familienverband zulassen.
(3) Islamismus und Islamophobie.
Islamismus und nationalistische Islamophobie teilen nicht nur totalitäre Züge und Intoleranz gegenüber Fremden bzw. Andersgläubigen. Auch ihre Strategien der Ausgrenzung und Selbstausgrenzung ähneln sich.
Und legt man ein zusammenwachsendes Europa als Werte- und Schicksalsgemeinschaft zugrunde, das in Zeiten der Globalisierung nur gemeinsam bestehen kann, so ergibt sich noch eine weitere Gemeinsamkeit:
Was betreiben die Orbans, Kaczynkis, Le Pens usw. im europäischen Maßstab denn anderes als Begründung von „Parallelgesellschaften“ – mit dem einzigen Unterschied, dass sie diese in aggressiver Weise als Verkörperung „des Volks“ schlechthin definieren? Die sie – nicht anders als Islamisten – durch eklektisch-dogmatischen Rückgriff auf Religion bzw. passend gemachte Elemente der Geschichte ideologisch zu stützen suchen? – Im Vergleich zu engstirnigem Nationalismus, der die Spaltung der Gesellschaft in immer kleinere Einheiten betreibt, erhält selbst Islamismus noch einen universalen Anspruch aufrecht.
Aus der hier skizzierten Analyse ergibt sich, dass ein Integrationskonzept für Kriegsflüchtlinge, insbesondere mit humanitärem Anspruch, nur in klarer Abgrenzung gegenüber beiden genannten Tendenzen erfolgen kann. Es lässt auch keine Schlüsse aus oberflächlichen Vergleichen zu. Wer sich hierüber ein Urteil erlauben will, muss sich zuerst auf deren Problemsituation einlassen, und zwar so konkret wie möglich.
Daran orientiert sich das von mir zunächst abgeschlossene Projekt eines Flüchtlingstheaters, eingebettet in ein übergreifendes Betreuungskonzept. Dazu aber ein andermal.
Hallo Herr Engelmann,
Kann Ihren Ausführungen folgen und teile Ihre Meinung, dass der Ansatz und die Bemühungen um eine Integration heute anders sein muß und ja wohl in Teilen auch ist, als bei Migranten vor 30 oder 40 Jahren. Bzw. habe ich den Eindruck, dass sich zu integrieren damals mehr oder weniger den Menschen selbst überlassen blieb.
Was mich interessiert ist das Abdriften der in 3. Generation hier lebenden, in den Islamismus. Kann mir vorstellen, dass diese teilweise in einem großen Spannungsfeld aufwachsen, nicht wissen, ob sie nun Deutsch oder eher der Nationalität angehören wollen, die die Wurzel z.B. ihrer Grosseltern ist. Erklärt mir aber nicht die Hinwendung zum radikalen Islam und schon gar nicht die Ausreisen zum IS. Was passiert in den jungen Menschen?
Okay, aber wir waren ja bei den momentanen Flüchtlingen.
Hier wie in unseren Nachbarländern gibt es die Angst vor Überfremdung, vielleicht auch eine Überforderung durch die schiere Zahl, die ihr Land aufgrund einer Kriegssituation verlassen mussten. Das nicht wahrnehmen wollen unserer Regierung, was ein “ wir schaffen das“ in den Menschen ausgelöst hat, führte zu furchtbaren Situationen. Oder war die Fremdenfeindlichkeit schon immer da und hat nun seinen Ausdruck gefunden? In Teilen der Bevölkerung wohl anzunehmen, aber was ist mit den Menschen die sich wirklich überfordert fühlen? Das kann man ja auch nicht einfach so stehen lassen. Die AfD wird’s freuen.
Sie sprachen vom Einlassen auf die Problemsituation der Geflüchteten um zu verstehen. Stimme Ihnen zu.
Eine Vernachlässigung der durch die Anzahl der Aufnahme der Geflüchteten sichtbar gewordene Problemsituation hier halte ich für grob fahrlässig.
Wer sich in diesem Land abgehängt fühlt, wird wenig Bereitschaft zu Mitgefühl und verstehen wollen zeigen.
So ist durch die humanitäre Notwendigkeit der Aufnahme der Geflüchteten der klaffende Spalt in dieser Gesellschaft noch sichtbarer geworden.
Auch hier braucht es Lösungen.
Hallo, Frau Hartl,
bevor ich zu der etwas ausführlicheren Darstellung zum Theaterprojekt als Beispiel für Integration komme, hier einige Hinweise zum Problem der Islamisierung in der 3. in Deutschland lebenden Generation von Migranten. Das gehört zwar hier nicht zum Thema, scheint Sie aber sehr zu beschäftigen.
Generell erscheint es mir sehr wichtig, Analysen streng auf bestimmte Gruppen und Lebensumstände zu beziehen und nicht alle über einen Kamm zu scheren.
Am überzeugendsten erscheint mir die Analyse des Psychologen und Soziologen Ahmad Mansour:
https://home.1und1.de/magazine/politik/Kampf-Islamischer-Staat-IS/generation-allah-deutschland-junge-muslime-radikalisieren-30698208
Ich habe darauf im Bronski-Blog im Thread „Jede patriarchale Kultur trägt den Keim der Frauenverachtung in sich“, 13. Januar 2016, verwiesen: http://frblog.de/sexuellegewalt/#comment-39327
Ähnliche Diskussionen fanden in folgenden Threads statt:
„Männer müssen kein Kopftuch tragen“, 7. August 2017
„Vom Niqab geschützte Machtinstinkte“, 10. November 2016.
Hier nun die versprochenen Hinweise zum Theaterprojekt als Beispiel für Integration
(be.Anna Hartls Frage).
Bezug zum Thema des Threads:
Statt ein unwürdiges Hickhack über das Ob eines moralisch wie menschenrechtlich gebotenen Familiennachzugs für Flüchtlinge mit Spekulationen und getürkten Horrorzahlen fortzusetzen, wäre es an der Zeit, endlich mit konstruktiven Beiträgen über das Wie? der Integration zu beginnen.
Dies wird im folgenden Beitrag an einem konkreten Beispiel versucht.
Voraussetzungen:
Ein Integrationsprojekt – besonders eines mit so hohem Anspruch wie ein integratives Theaterprojekt – erfordert zuerst, sich der höchst labilen Voraussetzungen klar zu werden. (Unter „Beteiligte“ sind im Folgenden die am Projekt beteiligten Flüchtlinge zu verstehen.)
(1) Völlig unsichere bis depravierende Lebenssituation der Beteiligten:
-Traumatisierungen aufgrund schrecklicher, erst kurz zurück liegender Erfahrungen;
– Leben im „Wartestand“ mit nur rudimentärer sozialer Absicherung, Arbeitsverbot, völlig unklarer Zukunftsperspektive.
(2) Sozialer und psychologischer Druck von mehreren Seiten:
– Leben in einer fremden Umwelt, meist getrennt vom engsten Familienkreis;
– hohe Erwartungshaltung seitens der verlassenen Familie („Mission“);
– Erfahrungen des Misstrauens und der Ablehnung in der neuen Umwelt.
(3) Unzureichende psychologische Voraussetzungen zur Bewältigung der neuen Lebenssituation:
– mitgebrachte Bedingtheiten, resultierend aus zurückliegenden gesellschaftlichen, familiären und religiösen Erfahrungen;
– daraus resultierend eingeschränkte Aufnahmefähigkeit für Neues und geringe Frustrationstoleranz;
– unzureichende sprachliche Fähigkeiten zur Bewältigung selbst einfacher Lebenssituationen (viele Missverständnisse).
Konkrete Bedingungen des Theaterprojekts:
Neben Flüchtlingshelfern, Angehörigen einer örtlichen Theatertruppe und Schüler/Schülerinnen des Gymnasium Langres umfasste das Projekt insgesamt 14 Flüchtlinge (alles junge Männer), davon 3 (minderjährig) mit ihren Familien in Langres lebend, die anderen von ihren Familien getrennt.
Nationalitäten: Afghanistan, Iran, Irak (Kurden), Bangla Desh. Sporadisch beteiligt waren darüber hinaus junge Frauen aus Bosnien und Albanien. Engere Beziehungen im Rahmen der Flüchtlingshilfe bestanden (bestehen) zusätzlich zu 2 Familien aus Albanien (von der Mafia verfolgt), je einer aus Syrien und dem Südsudan.
Einzelne Erfahrungen:
Als besonders belastend erwiesen sich die unter (1) genannten Bedingungen:
– Praktisch alle Beteiligten klagten über regelmäßige Alpträume; so gut wie alle befanden sich zu Beginn des Projekts in einem „schwebenden Verfahren“.
– Mit der Unsicherheit kamen vor allem isoliert von der Familie lebende Flüchtlinge schwer zurecht, manche verloren Gefühl und Vermögen, einen Tagesrhythmus einzuhalten (z.B. verbindliche Verabredungen).
– Durch unerwartete Ereignisse wurden manche aus der Bahn geworfen (z.B. ein afghanischer Tänzer durch Meldung vom Selbstmordversuch eines Freundes unmittelbar vor der Aufführung).
– Ständige Fluktuation erfordert ein sehr flexibles Konzept. So mussten zwischen den Aufführungen im Juli und November 5 Flüchtlingsrollen (Tänzer) und 2 bedeutendere Sprechrollen umbesetzt werden (eine von mir selbst übernommen).
Die unter (3) genannten mitgebrachten religiös-kulturellen Prägungen spielten – in krassem Gegensatz zu Behauptungen im ideologisch aufgeladenen öffentlichen Diskurs – nur eine untergeordnete Rolle.
Dem Versuch etwa eines Vaters aus Bangla Desh, sein patriarchal geprägtes Pascha-Verhalten gegenüber seinem Sohn indirekt auf die Gruppe auszudehnen, musste mit entschiedener Gegen-Autorität begegnet werden.
Gegenüber den allein lebenden Flüchtlingen erwies sich insbesondere Insistieren auf Zuverlässigkeit als notwendig, in einem Fall war ein Ausschluss notwendig.
Zur Gesamtstrategie des Projekts:
Ein Projekt mit solchem Anspruch ist nicht durchführbar ohne Einbettung in umfassende sozialintegrative Arbeit einer gesamten engagierten Gruppe. Insbesondere den ohne Familie lebenden Flüchtlingen muss das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer „Ersatz-Familie“ vermittelt werden, die jederzeit ansprechbar und zu Hilfe bereit ist. Die aber andererseits auch in einem desorganisierten Leben Strukturierung schafft und verbindliche Regeln aufstellt.
Ein solches Projekt muss davon ausgehen, dass die für einen Erfolg dringend nötigen Grundfähigkeiten (Aufgeschlossenheit, Toleranz, Zuverlässigkeit) nicht vorausgesetzt werden können, sondern erst zu schaffen sind. Dies erfordert gleichermaßen Geduld und Verständnis einerseits wie Entschiedenheit und Konsequenz andererseits. (Ein prinzipieller Unterschied zu auch hierzulande oft zu beobachtender mangelnder Beachtung von Gemeinschaftsregeln war in dem Projekt aber nicht festzustellen.)
Ergebnis:
Das Projekt erwies sich als über die Erwartungen hinausgehend erfolgreich:
– Es wurde der Beweis erbracht, dass selbst ein solch anspruchsvolles Integrationsprojekt dieser Art – trotz enormer Hindernisse – möglich ist. Die Bereitschaft zur Kooperation und ein Gemeinschaftsgefühl setzten sich schließlich durch.
– Seitens des interessierten Publikums konnte eine ausgesprochene Bereitschaft festgestellt werden, sich auf die „Message“ des Stücks einzulassen. (Häufigste Bemerkung: „sehr berührend“, vgl. Wortspiel der Presse: „dans une salle comble et comblée“ – „in einem vollen und erfüllten Raum“).
– Mit Hilfe der öffentlichen Anerkennung (Preis) konnte eine Fortsetzung des Integrationsprojekts in Form der Gründung eines privaten Vereins ins Auge gefasst werden („Liens520“). Zahlreiche Unterstützung ist erkennbar. Dazu müssen allerdings organisatorische Voraussetzungen geschaffen werden, um Hilfsbereitschaft zu koordinieren und in konkrete Projekte überzuführen.
– Zur ganzen Wahrheit gehört freilich, dass ich persönlich die Kraft für ein erneutes Projekt dieser Größenordnung nicht mehr aufbringen könnte.
Eine Bildergalerie, Dokumente zur Aufführung sowie Texte zur Inszenierung mit Konzeption und Übungsangeboten sind abrufbar unter der Website: „fluechtlingstheater-kleiner-prinz.de“.
Als Autor erteilte ich die Genehmigung zur Aufführung des Stücks unter der Voraussetzung des Verzichts auf kommerzielle Nutzung.
@ Werner Engelmann
Vielen Dank für ihren ausführlichen Bericht.
Hat auch mich berührt. Glaube etwas verstanden zu haben, was in der jüngsten Zeit bei mir etwas an den Rand gerückt war.
Als der FR-Leser, der diesen Blog und die Diskussion initiiert hat, möchte ich allen Teilnehmer*innen für ihre sachlichen und konstruktiven Beiträge ganz herzlich danken. Auf einige Beiträge möchte ich zusammenfassend mit einigen Anmerkungen reagieren:
Familiennachzug und alles andere, was Integration der Zugewanderten erleichtern, sind nicht in erster Linie „Wohltaten“ für die Geflüchteten (aus humanistischen Gründen, aus christlicher Nächstenliebe oder …..oder….). Sie sind erforderlich in unserem ureigenen Interesse, d.h. auch im Interesse der aufnehmenden Gesellschaft. Wieso? Das Gelingen der Integration ist ein entscheidender Faktor für das Weiterbestehen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und für das friedliche Zusammenleben auch der kommenden Generationen. Daher muss nach Möglichkeit alles unterlassen werden, was Integration hemmt oder erschwert und es muss nach Möglichkeit alles getan werden, was Integration fördert und erleichtert.
Das sich in den GROKO-Verhandlungen abzeichnende Festhalten an der Ablehnung bzw. an einer sehr strikten Anwendung des Familiennachzugs wird den Integrationsprozess und somit die Arbeit der haupt- und ehrenamtlich involvierten Institutionen und Personen nennenswert erschweren, eine negative Haltung vieler Zugewanderten befördern, die Möglichkeit ihrer Gewinnung für extreme Positionen und möglicherweise entsprechende Handlungen erhöhen. Das muss jedem Politiker klar sein. Diese Haltung der mit einander verhandelnden Parteien, insbesondere der CSU, kann daher nur so erklärt werden:
Die Integration ist ihnen nicht so wichtig, wie sie in ihren Sonntagsreden behaupten. Sie kann daher ruhig gefährdet oder gar geopfert werden in der Hoffnung, bei anstehenden Wahlen einige Stimmen vom rechten fremdenfeindlichen und populistischen Spektrum zurückzugewinnen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist außerdem sehr fraglich. Am Ende verliert man möglicherweise beides, die Integration und die Wahlen.