Klatschnass von den Wasserwerfern, aber zufrieden über den Protest

Frankfurter Rundschau Projekt

Klatschnass von den Wasserwerfern, aber zufrieden über den Protest

Von Ingeborg Tömmel

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1968 studierte ich an der FU Berlin, befand mich allerdings bereits in den hohen Semestern kurz vor dem Diplom. 1963 hatte ich mein Studium in Berlin angefangen, als junges Mädchen aus der Provinz (Trier). Die Studenten, auf die ich traf, waren politisch deutlich wacher als ich es war. Viele waren kurz nach dem Mauerbau aus der DDR in den Westen geflüchtet; andere hatten in Berlin Zuflucht vor der Bundeswehr gesucht. Zahlreiche inakzeptable Fakten und Ereignisse, wie etwa die Grausamkeiten im Vietnam-Krieg, die Unterdrückung der „Dritten Welt“, die zunehmend deutlicher werdende Nazi-Vergangenheit eines Teils unserer Professoren, der enorme Reformstau im Land und insbesondere an den Universitäten, die unverhältnismäßige Reaktion des „Establishments“ auf Studenten-Proteste und schließlich der Mord an Benno Ohnesorg hatten meine Einstellung langsam aber sicher verändert. Ich wurde zunehmend aktiv in der sogenannten Studentenbewegung.

Tömmel 1968Am Gründonnerstag vor Ostern, dem 11. April 1968, arbeitete ich am Nachmittag im John F. Kennedy-Institut, wo ich als Studentische Hilfskraft angestellt war. Wegen der bevorstehenden Feiertage war es allerdings schon recht still m Haus und ich beschloss, so gegen 16 Uhr nach Hause zu gehen. Der Assistent vom Lehrstuhl strich ebenfalls die Segel und bot mir an, mich ein Stück mit dem Auto mitzunehmen (ich wohnte am anderen Ende der Stadt und hatte einen sehr weiten Weg zur Uni). Wenn ich Lust hätte, könnte ich auch noch bei ihm zu Hause einen Tee trinken. Schon in Feiertagslaune, sagte ich zu. Bei ihm angekommen, verschwand er in der Küche, um den Tee zuzubereiten. Kurz darauf kam er ins Wohnzimmer und berichtete, dass er in der Küche das Radio angestellt hatte. Soeben sei durchgegeben worden, dass ein Anschlag auf Rudi Dutschke verübt worden sei und zur Stunde zögen Demonstranten aus der ganzen Stadt Richtung Springer-Hochhaus. Ich war geschockt.

Ingeborg Tömmel imJahr 1968.
Foto: privat.

Er kannte mein Engagement, war selbst aber eher unpolitisch, und fragte teilnahmsvoll: „Du möchtest jetzt sicher auch dorthin gehen. Wir können gerne mit dem Auto zusammen hinfahren“. Also ließen wir den Tee stehen und fuhren umgehend zum Springer-Hochhaus. Dort hatte sich bereits eine größere Menge eingefunden und skandierte „Bild hat mitgeschossen, Bild hat mitgeschossen“. Die Demo wurde zunehmend militanter; der Polizeieinsatz mit Wasserwerfern war es allerdings nicht minder. Nach etwa 2 Stunden ging der Assistent nachhause; ich blieb weiterhin. Schließlich, so gegen 10 Uhr abends, machte ich mich auch auf den Heimweg. Ich wohnte damals mit meinem Freund zusammen, und hatte das Gefühl, er könnte sich vielleicht beunruhigen, wenn ich so lange wegbliebe. Es gab ja noch keine Handys, mit denen man mal schnell hätte anrufen können. Allerdings ging ich davon aus, dass er die Nachricht vom Anschlag auf Rudi Dutschke wohl auch gehört haben müsste und sich sicher denken konnte, dass ich zur Demo gegangen war.

Zuhause angekommen, fand ich eine leere Wohnung vor. Mein Freund war ebenfalls kein Engagierter der Studentenbewegung; offensichtlich hatte ihn die Nachricht vom Anschlag aber auch empört. Gegen Mitternacht kam er dann nachhause, klatschnass von den Wasserwerfern der Polizei, aber sehr zufrieden über den aktiv geäußerten Protest.

Was an den nächsten Tagen folgte, ging unter dem Stichwort „Osterunruhen“ in die Geschichte ein. Aufgewühlt von den Ereignissen demonstrierten wir drei Tage lang in der Berliner Innenstadt; auch in zahlreichen anderen deutschen Städten kam es zu Demonstrationen und Protesten. Ich beteiligte mich zwar nicht an Steine werfen und anderen militanten Aktivitäten – was übrigens für die Mehrheit der Demonstranten galt – aber in der Berichterstattung wurde natürlich nur über „Gewalttaten“ geschrieben und weiter gegen die Studenten gehetzt.

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Nachwort: Ich wohne schon lange nicht mehr in Berlin und war auch nie mehr in der Kochstraße vor dem Springer-Hochhaus. Vor Kurzem musste ich aber zu einer Sitzung in der Marzahnstraße. Da diese früher zum Ostteil der Stadt gehörte und ich das Gefühl hatte, mich dort nicht auszukennen, ließ ich mir von einer Freundin den Fußweg vom Anhalter Bahnhof zu meinem Sitzungsort erklären. Ich ging also, nichts ahnend, entsprechend ihren Anweisungen. Völlig unerwartet erkannte ich plötzlich das Hochhaus vor mir, das ganze Gelände, auch wenn der freie Platz davor inzwischen zugebaut ist, kurzum, das wesentlich vergrößerte Springer-Imperium. Und damit war die Erinnerung an den 11. April 1968 und die nächtliche Demo gegen die Springer-Presse so präsent, als ob es gestern gewesen wäre. Zu meiner Genugtuung stellte ich zudem fest, dass ich durch die Rudi-Dutschke Straße ging, eine späte Ehrung. Noch 1979 hatte die Stadt Berlin Dutschke eine Grabstätte verweigert.

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Die Autorin

TömmelIngeborg Tömmel, geboren 1943 in Trier, studierte in den 60er Jahren Geographie,
Ethnologie und Meteorologie an der FU Berlin.
Motiviert durch die Erlebnisse und Erfahrungen der Studentenbewegung
nahm sie nach dem Diplom in Geographie ein Studium der Politikwissenschaft auf.
Nach verschiedenen beruflichen Stationen im In- und Ausland
wurde sie 1993 zur Professorin für Internationale und Europäische Politik
an der Universität Osnabrück ernannt.
Im Ruhestand ist sie politisch aktiv, derzeit u.a. im Bündnis Seebrücke.


Bild: privat

 

 

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