Unsere Kunstprofessoren haben sich nicht für Politik interessiert

Frankfurter Rundschau Projekt

Unsere Kunstprofessoren haben sich nicht für Politik interessiert

Von Hermann Schweitzer

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1941 geboren im stockkatholischen Münsterland, in Ahlen/Westfalen, das ist die Stadt, in der die CDU ihr sogenanntes „Ahlener Programm“ entwickelt hat, das glatt von einer „sozialistischen“ Partei stammen könnte.

Ich bin dann nach dem Abitur nach Tübingen geflüchtet, wo Ernst Bloch („Das Prinzip Hoffnung“) eine Offenbarung darstellte; seine Vorlesungen waren brechend voll, genauso wie die von Walther Jens.

Schließlich bin ich in Kassel gelandet an der HfBK, wo Arnold Bode die documenta III vorbereitete. Als Sprecher der Bodeklasse und Mitglied der Asta habe ich E. Steneberg nach Kassel geholt, war er doch der erste deutschsprachige Autor, der ein Buch über die Kunst der Russischen Revolution herausgebracht hatte.

Die aktuellen studentischen Auseinandersetzungen in Berlin und Frankfurt habe ich genauestens verfolgt, schließlich hatte ich seit 1966 die FR abonniert und bei Kommilitonen für sie geworden. Ich habe folglich auch zwei SDS-Vertreter aus Frankfurt zu einer Informationsveranstaltung nach Kassel eingeladen. Diese stellten sich als Berufsrevolutionäre vor und ließen keinen Zweifel daran, dass wir in Kassel etwas „rückständig“ seien. Ähnlich hat sich ja auch ein kurioses Zwillingspärchen später geäußert: Jutta Winkelmann und Gisela Getty, die behaupten auch an der HfBK studiert zu haben, aber 67/68 entgegen ihrer Selbstdarstellung bis auf ihren extremen Sex-Betrieb völlig unauffällig waren. Um der „Provinz“ zu entfliehen sind sie ja schließlich bei Rainer Langhans in der Kommune 1 gelandet, und Gisela Getty ging in die USA, wo sie Andy Warhol begegnet sein soll.

Die erste Demonstration in Kassel, an der ich teilgenommen habe, wurde von Studenten der HfBK organisiert und galt bemerkenswerterweise einem abrissgefährdeten Bau: ein erfolgreicher Teppichhändler wollte seinen Bau erweitern und plante den Abriss des pittoresken historischen Gebäudes in der Nähe des Fridericianums…

Es ging also um Denkmalschutz in einer fast völlig im Krieg zerstörten Stadt (und bis heute kein Thema für die FR).

Als die Studentenunruhen stärker wurden und mit der Erschießung Benno Ohnesorgs der Höhepunkt erreicht wurde, bin ich von den Kasseler Studenten zu ihrem Sprecher erwählt worden und habe die Trauerrede vor dem Fridericianum gehalten.

Schweitzer 1968 2Unsere Kunstprofessoren haben sich für politische Themen nicht interessiert, mit einer Ausnahme: Horst von Gizycky, damals ein junger Dozent für Kunstpsychologie, der sich auch für alternative Lebensformen interessierte (Buchtitel: Aufbruch aus dem Neandertal; Entwurf einer neuen Kommune-Streitschrift, 1974), später dann Mitherausgeber der „Frankfurter Hefte“. Im Bild steht er neben mir, vor dem Fridericianum. Dank seiner Unterstützung haben wir an der Hochschule Reformen durchführen können, z.B. Beteiligung von Studentenvertretern bei Prüfungen.

Foto: privat

Es gab in Kassel mehrere Demonstrationen, die ich mit Freunden organisiert hatte und die friedlich verliefen. Einmal hat uns Hans Krollmann persönlich begleitet, der damalige Kasseler Polizeipräsident und spätere hessische Innenminister. Er hat uns sogar ein Megafon geliehen!! Bei Podiumsdiskussionen blieb er sachlich und ruhig. Nur einmal ist er ausgerastet, als ich ihn fragte, warum Polizeibeamte keine Namensschilder trügen.

Die Reformen an der Hochschule haben langfristig nicht viel gebracht, was mir bestätigt wurde 2017, beim Besuch der letzten documenta. Ich fragte im Büchershop von Walther König nach, wo Studenten der HfBK arbeiteten, genauso wie ich vor 50 Jahren (documenta 4): „Sind die Professoren der Kunst immer noch so selten zu erleben?“. Sie haben nur gegrinst:… alles wie gehabt! Schließlich studieren sie nicht bei Joseph Beuys („Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“), einem Pionier der Grünen. Er hatte sich viel zu intensiv um seine und andere Studenten gekümmert, deshalb ist er ja auch rausgeflogen, gemobbt von seinen ruhebedürftigen Kollegen und schließlich entlassen von Herrn Rauh (SPD), dem damaligen Ministerpräsidenten von NRW.

Kunstprofessor zu sein ist eigentlich ein Traumjob, das kann man von der Arbeit eines Kunsterziehers leider nicht sagen.


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Schweitzer heuteDer Autor

Hermann F. Schweitzer, Bonn

Geboren 1941 in Ahlen/Westf. als Sohn eines akademisch ausgebildeten Künstlerehepaares (Maler und Kunsterzieher). Abitur gemacht dortselbst. Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Tübingen (3 Semester) bei Block, Walther Jens und Wilhelm Boeck (erstes deutschsprachiges Picasso-Buch). Anschließend nach Basel (2 Semester Kunstgeschichte und Archäologie bei Karl Schefold; Dias von einer Studienreise: Palmyra an die Uni Basel geliefert). Dann ab nach Kassel zum Studium der Kunsterziehung an die HfBK. 1967/68 Sprecher der Kasseler Studentenschaft und Organisator mehrerer Demonstrationen nach der Ermordung von Benno Ohnesorg (Trauerrede vor dem Fridericianum). Beruflich: Arbeit als Fachbereichsleiter Kunsterziehung am Gymnasium Köln-Rodenkirchen (auch Leistungskurse Kunst). Zeitweilig Lehrauftrag für Kunsterziehung an der Uni Osnabrück, Abteilung Vechta (PH). Nach Unfall schließlich krankheitsbedingter Abschied aus dem Schuldienst. Längerer Pause; dann Arbeit im Museumsdienst der Kölner Museen. Führungen in Museen und Ausstellungen und immer noch Dia-Vorträge als Dozent an diversen Volkshochschulen.


Bild: privat

 

 

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