Meine bisher längste Tagesetappe auf dem Rad: 222 km (höchster Punkt: der Markstein in den Vogesen, ca. 1300 m über NN). Mein bisher höchster Pass: der Col du Champs in den französischen Alpen, gut 2000 m hoch, im Lauf einer Tagestour von 128 Kilometern Länge. Nicht schlecht für einen Freizeitradler, nicht wahr? Und das weitgehend ungedopt, wenn ich mal von Äpfeln und Müsliriegeln absehe. Ich kann auf diesen Touren auch mal absteigen, um was zu essen. Anders als die Herren Sinkewitz, Vinokurow und Rasmussen oder – nach Rasmussens abruptem Aus bei der Tour de France – der neue Favorit Alberto Contador, dessen Name in den Unterlagen auftauchte, die von der Guardia Civil bei der Zerschlagung des Dopingrings um den Madrider Frauenarzt Eufemiano Fuentes sichergestellt wurden. Eine ganz miese Tour!

Bei der Tour de France geht es um Zeit, ums Siegen und viel Geld. FR-Leser Rolf Oesterlein aus Nieder-Olm meint, das habe die Tour zum exakten Spiegelgeld unserer gesellschaftlichen Realität gemacht:

„Das Umfeld des Sports verhält sich nicht weniger undurchsichtig als die Sportler. Die ARD, endlich auf kritischer Distanz, wird für den Ausstieg aus der Tour de France als „unglaubwürdig“ bezeichnet, unter Hinweis auf andere Sportarten mit Doping-Vorfällen, gar die Olympischen Spiele. Damit soll aber nicht erreicht werden, dass auch diese boykottiert werden, sondern dass die „Tour“ nicht abgeschaltet wird. Das Publikum der „Tour“, das neben der Strecke in teils närrischem Outfit eine lächerliche Fan-Pose zur Schau stellt, scheint von den Skandalen weitgehend unberührt. Wo überhaupt ist bei dem Doping-Betrug der Betrogene? Sind vielleicht doch alle klammheimlich einverstanden, die Entrüstungsschreie nur gespielt?
Der Sport in dieser Verfassung ist das exakte Spiegelbild unserer gesellschaftlichen Realität. Jeder sucht gnadenlos seinen Vorteil, jeder versucht den anderen über den Tisch zu ziehen, wo es nur geht. „Fair Trade“ muss in unserer Wirtschaftsordnung als von der Norm abweichend eigens hervorgehoben werden. Das Unfaire fängt bei der Schnäppchenjagd als „Volkssport“ an – kein Gedanke an die Frage, wer die Schnäppchen letztlich bezahlen muss. Aber es werden auch fröhlich Regelverstöße akzeptiert, die hier Gesetzesverstöße sind: Korruption und Abzocke sind selbst in saturierten Kreisen, die es wahrlich nicht nötig haben, Massenphänomene, obwohl zumindest erstere gelegentlich hart bestraft wird.“

Stefan Dernbach aus Siegen fragt:

„Was ist von der Tour geblieben? Ein Peloton der Ampullen und Spritzen. Eine Tour der (zu) späten Bekenntnisse. „Gestürzte Helden“, bei denen Hemingway der Namensgeber sein könnte: ‚Der Sieger geht leer aus.‘ Vielleicht sind die Kanülen und Konten randvoll, sportlich und menschlich entwickelt sich die Tour immer mehr zur Farce auf zwei Rädern, von der Tragödie zur absurden Komödie. Die Macht des Geldes regiert die Tour und hat schon längst den Geist des Sports zerstört. Wie auch andernorts. Die ‚Helden‘ befinden sich auf einer rasanten Abfahrt ins Niemandsland. Ihre Bremsen haben sie vergessen.“

Zynisch der Vorschlag von Michael Jäger aus Pfungstadt:

„Lasst die Tour de France von ‚9live‘ übertragen. Und Jan Ullrich als Moderator agieren! Er könnte bierernst und mit Unschuldsmiene Blödsinn erzählen und fände dort auch die entsprechende Klientel, die das alles glaubt. Erste Preisfrage: Leistungssteigerndes Mittel mit drei Buchstaben und der erste ist ein ‚E‘. Nach einigen Stunden und Hotbuzzer-Runden würde man dann als Lösung ‚Eis‘ (Schokolade oder Vanille) präsentiert bekommen.“

Ich meine: Jungs, ihr müsst die Berge ja nicht gerade mit neun oder zehn Kilometern pro Stunde hochhecheln, so wie ich. Für einen wie mich gilt: Hauptsache ankommen! Aber das dem Menschen Unmögliche möglich machen zu wollen, das kann es auch für euch nicht sein. In meinen Augen könnt ihr den Schaden nur wieder gut machen, wenn ihr demnächst mitten auf der Etappe die Picknickkörbe rausholt und euch ein bisschen auf die Wiese setzt. Über solche Bilder würde sich die ganze Welt freuen.

PS: Auch Kollege Oliver Bechmann hat die Tour in seinem Ironblog zum Thema gemacht – vielleicht schauen Sie mal rein.

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6 Kommentare zu “Klammheimlich einverstanden?

  1. Michael Jägers Vorschlag, so zynisch er auch ist, zeigt doch, was Fans über diese „Spritztour“ denken und weshalb sie die Tour gar nicht erst einschalten. Das müsste auch den Sponsoren auffallen und leider Gottes scheint Geld die einzige Sprache zu sein, die noch verstanden wird. Wenn der Radsport nichts gegen Doping macht (und sei es wie in anderen Sportarten durch totschweigen), wird er nur noch für Spezialisten interessant sein, während die öffentlich-rechtliche Berichterstattung zeigte, dass es durchaus ein Massenspektakel ist.

    Aber warum sollte es andererseits dem Radsport anders als sämtlichen anderen Sportarten ergehen: Am spannendsten und authentischsten sind nicht die Profis, sondern die Amateure.

    @Bronski: Respekt zu diesen Fahrleistungen. Ein Freizeitfahrer bräuchte übrigens für L’Alpe d’Huez ca. eineinhalb Stunden, also doppelt so lang wie der gedopte Pantani.

  2. @ Robert B.

    Nach L’Alpe d’Huez hoch in 1,5 Stunden? Ich weiß nicht, ob ich das leisten könnte. Die Steigung hat es in sich. Aber Respekt meinerseits, wenn Sie das hinkriegen.

  3. Naja, ich habe mir das Höhenprofil angeschaut und dann meine Berggeschwindigkeit von rund 10km/h angenommen. Aber bei entsprechenden Temperaturen müsste die Fahrzeit bei 1,5 bis 2 Stunden liegen. Ich war noch nie dort, werde es allerdings in meinem Leben einmal ausprobieren. (Ich bin jung, da hat man noch Visionen 😉 )

  4. In diesem Zusammenhang danke ich für den Bericht S.32 „Zusammen in die Zukunft“ über die Randsportart „Volleyball“ die ich seit über 30 Jahren betreibe. Ob als Oberligaspieler, Jugend- oder Ligatrainer oder Vorstandsmitglied haben wir immer bedauert, dass Sponsoren diesem Sport gegenüber sehr viel zurückhaltender sind, als den standig präsenten Mediensportarten (150.000 Euro Jahresetat, da lacht der Fußballbezirksliga-Vorsitzende).
    Zum Glück wohl, denn bei uns gibt es noch 2.+3.Sieger, die erhobenen Hauptes auf dem Treppchen stehen und sich nicht vor ihrem Sponsor, den Medien und den Fans für eine Endspielniederlage rechtfertigen müssen.
    Trotzdem sollte es ein bisschen mehr sein, Herr Wüntschner braucht beim Klinkenputzen jede nur erdenkliche Hilfe, das kommt dann schließlich auch der großen Volleyballgemeinde im RheinMainGebiet zu Gute (siehe HVV-Beach.de/News die Berichte zum Hessenfinale 2007).

  5. @ Doping;

    hoffentlich geht es bei thema und praxis des dopings, nicht analog des alten reklamespruchs der da lautet:
    „sind wir nicht alle ein bisschen bluna“;
    so dass es nun heißt:
    „sind wir nich alle ein bisschen dopis“

  6. Oh Mann, es wurde aber auch Zeit, dass das Thema hier im Blog auftaucht. Ich fragte mich ja schon, ob da Politik oder einfach Ignoranz dahintersteckte……

    Ehrlich gesagt, macht mir die Abstinenz von ARD und ZDF nicht aus, so lange Eurosport überträgt, dort saßen und sitzen eh die kompetenteren Journalisten und ich bin froh, dass ich mir seit letztem Jahr auch nicht mehr das Geschwätz und das schlechte Französisch vom finanzgespritzen und geldgedopten Jürgen Ehmig anhören muss (das Französisch auf Eurosport ist aber auch nicht besser).

    Ja , lassen wir die Jungs weiterfahren und lassen wir sie sich weiter erwischen. Das kommt doch immer gut und freut uns diebisch, denn auch wir werden ja oft erwischt, sei es bei kleinen Steuerschwindeleien, beim Falschparken oder beim Spicken in der Schule.

    Nur leider wird die zu befürwortende verstärkte Dopingkontrolle nur im Sport und nicht in der Politik angewandt. Sonst könnte man dort auch die Lügner und Betrüger (schwarze Konten, Schmiergelder, nicht angegebene Wahlkampfspenden, Nichtnennung von Parteispendern etc.) durch Nichtbeachtung ihrer täglichen PR-Tour strafen.

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