Weltfremde alte Männer mit Unfehlbarkeitsdünkel

Wer gestern Anne Will verfolgt hat, bekam eine ausgewogene Mischung aus Vorbehalten gegenüber und Kritik an der katholischen Amtskirche sowie ein paar Statements zu deren Selbstverständnis zu Gehör. Dies alles lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: nichts Neues. 40 Prozent der katholischen Priester seien homosexuell, unterstellte Rosa von Praunheim, ohne dies belegen zu können; Homosexualität sei eine Sünde, konterte Bischof Overbeck, gleichfalls ohne dies belegen zu können. Die Debatte über die Haltung des Papstes zu den Missbrauchsfällen in Institutionen der katholischen Kirche ging unter in Allgemeinplätzen, etwa: Der Zölibat sei eine wunderbare Sache; der Zölibat sei wider die menschliche Natur. Halt, eines erfuhren wir, was wir allerdings schon ahnten: Der Papst ist zu beschäftigt, um sich mit dem Tagesgeschäft zu befassen. Beschäftigt nämlich mit zahlreichen sicherlich heiklen, zweifelsfrei aber diffizilen theologischen Angelegenheiten, etwa der Rückholung der Pius-Bruderschaft in den Schoß der Amtskirche. Das braucht Zeit und Kraft, denn was durch jahrzehntetiefe Gräben getrennt ist, lässt sich nicht in wenigen Monaten wieder zusammenfügen. Viel Zeit, vermutlich. Mehr Zeit, als der Papst, damals noch Vorsitzender der Glaubenskongregation, sich im Fall des Priesters Stephen Kiesle ließ. Der war bereits 1978 von einem US-amerikanischen Gericht wegen Missbrauchs zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Noch 1985 schrieb Ratzinger an Bischof John Cummins, der die Glaubenskongregation um Entlassung des Priesters gebeten hatte, dass mehr Zeit nötig sei, um den Fall zu untersuchen. Der Fall sei zwar schwerwiegend, doch müsse für eine Entscheidung „das Wohl der gesamten Kirche“ berücksichtigt werden. 

Dieser Fall mag symptomatisch sein, doch sicher nicht für die Gründlichkeit der katholischen Amtskirche. Vermutlich eher für die Unlust, sich von weltlichen Institutionen vor sich hertreiben zu lassen. Die katholische Amtskirche folgt nämlich göttlichen Regeln. Und dabei hat sie sich so weit von der Basis der Gläubigen entfernt, dass die beiden sich nicht mehr verstehen. So hätte die deutsche Basis zu Ostern, dem höchsten Fest des Christentums, gern ein Wort des Bedauerns vom Papst gehört, etwa so in seinem vorausgegangenen Brief an die irischen Bischöfe. Doch dieses Wort blieb aus. Stattdessen nahm der Dekan des Kardinalskollegiums, einer der höchsten katholischen Würdenträger namens Angelo Sodano, den Papst in einem nie dagewesenen Bruch mit der Osterliturgie mit den Worten in Schutz: Vom „unbedeutenden Geschwätz dieser Tage“ würden sich die Gläubigen nicht beeinflussen lassen. „Die Kirche ist mit dir“ – und das gelte nicht nur für Kardinäle und Bischöfe auf aller Welt, sondern vor allem für die 400.000 Priester, die im Dienst der Kirche stünden. Der Papst sei „der makellose Fels der heiligen Kirche Christi“.

Manfred Bickel aus Kronberg:

„Wenn auf dem Petersplatz in Rom an Ostern der 83-jährige Vorsitzende des römischen Kardinalskollegiums, Angelo Sodano, vor Zehntausenden Gläubigen die gegen Priester und Mitarbeiter der Katholischen Kirche erhobenen Vorwürfe wegen Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs als „unbedeutendes Geschwätz des Augenblicks“ abtut, und im selben Atemzug dem 83-jährigen Papst seine und „der ganzen Kirche“ Solidarität in dieser Sache bekundet, lässt das bei einem noch nicht ganz im 9. Lebensjahrzehnt stehenden Katholiken den Wunsch aufkommen, einer christlichen Kirche anzugehören, deren Führung nicht ausschließlich aus solitär lebenden, weltfremden alten Männern mit Unfehlbarkeitsdünkel besteht, sondern einer Kirche, deren Führung sich zusammensetzt aus mitten im Leben stehenden Menschen beiderlei Geschlechts,  bei denen es naturgemäß auch ‚menschelt‘, die aber zu Fehlern stehen, wie zum Beispiel die dadurch glaubwürdig gebliebene ehem. Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und ehem. hannoversche Landesbischöfin, Pastorin Margot Käßmann.“

Dietmut Thilenius aus Bad Soden

„Der Kurienkardinal sagte zur Verteidigung des Papstes: ‚Es ist nicht die Schuld von Christus, wenn Judas Verrat geübt hat‘. Als gebildeter Theologe weiß er, dass im griechischen Urtext nicht ‚verraten‘, sondern ‚ausliefern/ übergeben‘ steht. In den Evangelien ist deutlich zu lesen,  dass Jesus nicht geflüchtet war, sondern sich der Gefangennahme selbst stellte. Die Übersetzung ‚verraten‘ entstand aus Judenhass, um mit dem  Finger auf einen Anderen zu zeigen, und hat zu Blutvergießen geführt. Am 28.10.1965 erklärte das 2. Vatikanische Konzil: Antijudaismus kann in  keiner Form christlich gerechtfertigt werden.“

Dr Martin Kley aus Lonsee

Die berechtigte Kritik am Pontifex und am Verhalten des Vatikan im Zusammenhang  mit der weltweiten Vertuschung von Missbrauchsfällen als  ‚unbedeutendes Geschwätz dieser Tage‘ abzutun, halte ich gegenüber den Missbrauchsopfern für zynisch und unerträglich! Diese Äußerung des Dekans des Kardinalkollegiums Sodano beweist erneut eindeutig, wie hinter den Mauern des Vatikan gedacht und gehandelt wird. Ratzingers Rücktritt ist überfällig!Volkmar Marschall, Frankfurt
Will die katholische Kirche auch weiterhin für sich in Anspruch nehmen, die ‚allein seligmachende‘ zu sein? Fragen wir doch die vielen Opfer, die hilflos dem Klerus ausgeliefert waren. Fühlten sie sich aufgehoben im Schoß der Kirche, der allein Seligmachenden? Lasst sie doch endlich einmal ihre millionenschweren Messgewänder ablegen und lernen, was es heißt, mit den Mühseligen und Beladenen und ihren Nöten zu leben. „Wir sind Papst“ – ja, Papst — im Schneckenhaus!“

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11 Kommentare zu “Weltfremde alte Männer mit Unfehlbarkeitsdünkel

  1. “ Lasst sie doch endlich einmal ihre millionenschweren Messgewänder ablegen und lernen, was es heißt, mit den Mühseligen und Beladenen und ihren Nöten zu leben“ – dieser Satz von Martin Kley gefällt mir sehr. Diese lächerlichen Gewänder, das ist doch ein Hohn auf die Armut der Welt. Demut und Bescheidenheit sehen anders aus.

  2. So ist sie halt, die katholische Kirche, und wird es noch lange bleiben.
    Besonders deshalb, da immer mehr neue „Gläubige“ hineingeboren werden.
    Anscheinend ist es doch so, dass sich Milliarden Menschen darin wohlfühlen.

    Dagegen hilfe nur Bildung und Aufklärung, dass
    es sich auch ohne Dogmen gut auf dieser Erde leben lässt.

    Da die meisten Regierungen heuchlerisch immer mitschwimmen in diesem „mainstream“,
    wird alles noch Jahrhunderte überdauern.

  3. „Homosexualität sei eine Sünde, konterte Bischof Overbeck, gleichfalls ohne dies belegen zu können“

    Hoppala… jetzt soll die Kirche schon belegen, was in der Bibel steht? Warum fordert man nicht gleich, sie soll die Existenz Gottes „belegen“? Selten habe ich einen so… merkwürdigen Satz wie den zitierten gelesen. Jede Religion kann sich in der Phase ihrer Genese ausdenken, was sie als Sünde bezeichnen will; anschließend von ihr zu verlangen, zu „belegen“, daß das Betreffende Sünde ist, ist eine völlig absurde Forderung.

  4. Die katholen ließen doch niemanden zu Wort kommen, der nicht ihrer Meinung war.

  5. Von den gläubigen Katholiken in meinem Bekanntenkreis glaubt keiner an die Unfehlbarkeit des Papstes, sehen Homosexualität nicht als Sünde an und halten das oder den Zölibat für überflüssig. Trotzdem blieben sie bisher bewußt ihrer kirchlichen Organisation treu. Widersprüchlichkeiten in der katholischen Kirche sind nichts Neues, ihre Mitglieder sind sogar berühmt und berüchtigt dafür, diese irgendwie zu tolerieren.

    Spätestens aber bei den Mißbrauchsfällen wird diese Toleranz überspannt. Mag sein: es hat lange gedauert, bis sich die vielen Opfer sexueller Nötigung und Demütigung zu Wort melden und gegen die sie beformundende „Obrigkeit“ aufbegehren. Aber auch in der Gemeinschaft der Katholiken vollzieht sich ein gesellschaftlicher Wandel. Langsam, aber unaufhaltsam. Ich glaube nicht, dass sie so schnell basisdemokratische Strukturen, wie sie teils in der evangelischen Kirche vorhanden sind, annehmen wird. Allerdings kann sie sich gewissen Reformen nicht mehr entziehen. Sonst laufen ihr die Schäfchen bald in Scharen davon.

  6. Zuerst mal ein Lob für die differenzierte und engagierte Berichterstattung zu dem o.g. Thema. Selbst praktizierende Katholikin, bin ich sehr betroffen über den Umgang der Amtskirche mit den Opfern. Ich frage mich aber schon, wo sind hier die Pfarrgemeinderäte, die Katechetinnen und Katecheten, all die anderen Leute, die sich in den Gemeinden engagieren, die Eltern?
    Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie verstörend es ist, in einem Menschen, dem man vertrauen zu können glaubte, den Täter zu erkennen zu müssen. Ich kann da nur die behutsame und wirklich hilfreiche Arbeit der Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt empfehlen. Wir Erwachsenen haben die Verantwortung und können und sollten uns im Ernstfall erst mal fachlichen Rat holen, anstatt darauf zu warten, dass ein anderer, z.B. ein Kollege des Täters oder sein Chef, irgendwie handelt.

  7. Als treuer Katholik möchte ich den Papst verteidigen, wenn ich auch über seine Wahl nicht gejubelt habe. Denn ich bin durchaus nicht (neo)konservativ, eher auf der Küng-Linie, und halte viele seiner Positionen für völlig vorgestrig. Der Mann ist halt alt und natürlich nicht unfehlbar.
    Ich möchte ihn verteidigen, weil ich die Medienhysterie, die von einigen marginalen Ungeschicklichkeiten ausging (Regensburger Rede, Piusbrüder, Schweigen zu Deutschlands Missbrauchsopfern), für absolut unangemessen halte. Anderes war schlimmer, etwa die Indianerrede. Ich finde es auch merkwürdig, dass man sich über Woytilas noch stärkeren Traditionalismus viel weniger aufgeregt hat und ihn auch jetzt nicht nennt, obwohl doch die Missbrauchsvertuschung viel eher zu seinen Lasten
    geht. Aber der hatte ja Charisma, dem verzieh man alles, der ist sakrosankt. Ratzinger ist nur ein Intellektueller, auf dem kann man ruhig rumhacken, und man findet Kritikpunkte selbst dann noch, wenn er (längst) Richtiges gesagt und getan hat. Dass man gerade in Deutschland seine Schwächen so überbewertet, scheint mir ein Zeichen von gekränktem Narzissmus zu sein.

  8. Was ist nur mit der katholischen Kirche los? Im Vatikan sitzt der Papst und und schafft es trotz erdrückender Tatsachen nicht, angemessen mit den Tätern aus den eigenen Reihen umzugehen. Rechtlich könnte man die Vorgänge im Vatikan als Strafvereitelung titulieren. Bischof Mixa belügt die Öffentlichkeit: Er weist die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, zurück, droht mit Anzeige, fällt dann doch noch um und gibt zumindest ein paar Watsch’n zu. Also muss doch was gewesen sein. Die Krönung bringt dann Frau Fehling, Mitglied im Vorstand des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend im Gastbeitrag der FR vom 17.04.: Sie unterstellt, dass Papst Benedikt nur falsch verstanden werde und weist auf verschiedene Hinweise von Benedikt wie etwa zum Klimaschutz und zur Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung hin. Was hat das bitteschön mit dem derzeitigen Umgang des Papstes und des Vatikans mit Missbrauchsvorwürfen zu tun? Was würde Frau Fehling sagen, wenn ihr eigenes Kind von einem Priester misshandelt werden würde? Etwa: „Macht nichts, der Papst wird’s schon richten, er nutzt Youtube und setzt sich mit dem Klimaschutz auseinander?“ Oh Gott!

  9. neben der unsäglichen BILD-Formulierung „Wir sind Papst“ ist mir eine intelligentere in Erinnerung. Irgendjemand hat damals gesagt: “ Wer Ratzinger wählt, wird auch Ratzinger bekommen.“ Und so geschah es auch. „Benedictus“ zu deutsch “ Einer der Gutes spricht“ sollte aufgrund seiner verbalen Ausrutscher eigentlich „Maledictus heißen! Überflüssig zu erwähnen, dass ich nie „Papst“ sein konnte.

  10. „Pontifex“ heißt ja „Brückenbauer“, so etwas wie Übersetzer, von Maximus ganz zu schweigen. Und wenn er es nicht kann, ist er wohl fehl am Platz. Generell scheint er seinen „stetigen Verweis auf die Person Jesus Christus“ nicht sonderlich zu leben, das wäre ja Charisma. Texte allein genügen nicht, zumal er von Auftreten, Vermittlung und Effekt her die Sprache der Glaubenskongregation, der alten Inquisitionsbehörde, spricht. Im Sinne von Jesus Christus zählt, was man tut, mehr als das, was man sagt, das meint unter anderem ja seine stete Rede von den „Pharisäern und Schriftgelehrten“, brillante Denker und Intellektuelle sicher zuhauf.
    Die von den Oberhäuptern dieser Kirche gewollte Restauration ist offenbar fehlgeschlagen, der Schuss nach hinten losgegangen, die Missbrauchsskandale sind wohl nur Facette, Symptom, vielleicht Auslöser ihres Zusammenbruchs. Die Rückwärtsgewandtheit ist aber nur logisch, konsequent, denn Kirchen samt ihren Religionen gab es immer nur für ein paar tausend Jahre, dann kommt was Neues, übrig bleiben allenfalls Sekten. Vielleicht hat uns Gott diesen Papst als ihren Totengräber gesandt.
    Das mag alle drei monotheistischen Religionen betreffen. Überdauern könnte die atheistische des Buddha, sie scheint die wandlungsfähigste zu sein. All das könnte ein Thema dieses Jahrhunderts sein. Prophetie ist manchmal nur Kenntnis der Naturgesetze.

  11. Rücktritt des Papstes ist überfällig!Ratzinger hat nahezu drei Jahrzehnte die Politik des Vatikan mit gestaltet und müsste nunmehr für die Vertuschungspraxis die Verantwortung übernehmen. Sein bisheriges Pontifikat ist ohnehin ein einziger Scherbenhaufen! Wo bleibt das “mea culpa” des Papstes?

    Auch Bischöfe, die pädophile Priester eingesetzt oder den Missbrauch vertuscht haben, müssten unverzüglich ihres Amtes enthoben werden. Der eigentliche Skandal ist die Vertuschung der Missbrauchsfälle durch Oberhirten!

    Die berechtigte Kritik am Pontifex und am Verhalten des Vatikan im Zusammenhang mit der weltweiten Vertuschung von Missbrauchsfällen als „Geschwätz des Augenblicks“ abzutun, halte ich gegenüber den Missbrauchsopfern für zynisch und unerträglich! Die Äußerung des Dekans des Kardinalskollegiums Sodano beweist erneut eindeutig, „wie“ hinter den Mauern des Vatikan „gedacht“ und „gehandelt“ wird.

    Im übrigen ist auch die Mitschuld der Oberhirten(innen) am Elend dieser Welt unübersehbar: Wenn man die pompösen Auftritte des Pontifex im Stil Leo’s X. Medici, der das Papsttum bequem genießen wollte (s. a. Hans Küng: „Der Papst und der Präsident“, SZ vom 05.07.08), und den verschwenderischen Lebensstil der Bischöfe(innen) betrachtet, so muss man zu dem Schluss kommen, dass auch diese Damen und Herren es „gelernt haben, mit der Scham und der Ungerechtigkeit zu leben“ (ZEIT Nr. 50 vom 03.12.09).

    Für den normalen Bürger ist es daher nicht nachvollziehbar, warum Bischöfe aus der Staatskasse – nicht aus dem Kirchensteueraufkommen – Luxusgehälter von rd. 100.000,– Euro jährlich (lt. Sendung Panorama Nr. 612 vom 04.06.09), Luxusdienstwagen (natürlich mit Chauffeur) und Villen erhalten und damit wie die Maden im Speck leben können, während rd. eine Milliarde Menschen hungern und rd. 40 000 Kinder täglich an Hunger sterben. Mehr Demut und Bescheidenheit der Bischöfe(innen) wären dringend erforderlich! Die Oberhirten(innen) haben anscheinend noch nicht begriffen, dass sie mit „ihrem“ Verhalten den Anfang vom Ende der Kirchen bereits eingeläutet haben…

    Es würde dem Anstand und der Würde gegenüber den Missbrauchsopfern sowie der Ehrfurcht vor Gott, dem Allmächtigen, entsprechen, wenn der Pontifex noch heute seinen Camauro nähme und sich in den Ruhestand verabschiedete. Wir sind den Papst leid! Erich Kästner würde in alle Welt hinaus posaunen:

    »Da hilft kein Hohn und auch kein Spott,
    kein Fluchen und kein Beten.
    Die Nachricht stimmt: Der liebe Gott
    ist aus der Kirche ausgetreten!«

    Volkmar Marschall

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