…aber heißt das auch, dass die Idee Europa gleich mit flöten geht? Ich muss an meine deutsche Großmutter denken. Eine Dresdnerin. Im Jahr 1930 ging sie als Kindermädchen in die Schweiz, sie war von ihrer Mutter enttäuscht. Meine Uroma hatte meine Oma nicht das Abitur machen lassen. Dabei hatte die Leitung des Institutus, das Lehrer ausbildete und das meine Großmutter besuchte, zum Ende jedes Schuljahres meine Uroma angefleht, Frau Sikor, jetzt lassen sie die Käte doch noch ein Jahr länger in der Schule. Sie ist doch so gut, sie könnte spielend Abitur machen. Aber die Oma Sikor, Kriegswitwe, Mutter von sieben Kindern, bestimmte, dass die wilde Hildegard Käte Geld verdienen sollte. Weimarer Republik, die Familie war arm. Das war’s.

Im Februar 1945 überlebte meine Großmutter mit drei Kleinkindern im Keller ihres Hauses die Bombardierung Dresdens. Innerhalb von zwei Nächten machten die Aliierten die Stadt dem Erdboden gleich. Meine Großmutter hat mir erzählt, wie die ganze Stadt brannte, dass überall verkohlte Tier- und Menschenleichen herumlagen und dass die Wehrmachtsoldaten die Überlebenden wahllos auf LKW hochgezogen und ins Erzgebirge verbrachten. Die Cousine meiner Großmutter, Käte Hache, war am Abend vom 13. Februar noch mit der Straßenbahn von einem Besuch bei meiner Oma und den Kindern nach Hause gefahren. Die beide fanden sich erst vier Jahre später wieder. – Jedenfalls ließ meine Oma die drei Kleinen bei der Nachbarin und ging zu Fuß in die Neustadt zum Hauptquartier der Wehrmacht, um zu beantragen, dass sie in eine benachbarte Kleinstadt ausreisen dürfte, wo ihre beiden ältesten Söhne bei ihrer großen Schwester auf dem Land waren. Die wiederum haben mir erzählt, dass sie den Feuersturm über Dresden nachts gesehen hatten, und sagten: „Jetzt ist die Mutti tot.“.

Irgendwann in den siebziger Jahren, so um 1975 herum, war meine Großmutter bei uns zu Besuch in Kingston/Jamaica. Ich erinnere mich, wie sie reagiert hat, wenn sie arme Menschen – und damals gab es viele bettelarme Jamaikaner – auf der Straße sah. Sie konnte das nicht ertragen. Wenn ein Bettler an die Tür kam, gab es immer was zu essen und zu trinken. Und weil wir einen Mangobaum im Garten hatten, der so reich Früchte trug, dass nachts die Menschen über die Mauer kletterten, um welche zu ernten, kam meine Oma auf die Idee, jeden Tag eine Kiste mit Mangos auf die Straße zu stellen. Es waren sowieso mehr als wir essen konnten. Danach kletterte nie wieder jemand nachts über die Mauer.

Meine Oma, die soviel Leid, Verzweiflung und Entbehrung erlebt hat, die selbstverständlich von den Russen vergewaltigt wurde (ein Riesen-Tabu, in unserer Familie wurde nie darüber gesprochen) und ihre Kinder und Enkelkinder über alles geliebt hat, war ein fröhlicher Mensch. Sie war fromm im besten Wortsinne, sie hatte Mitgefühl, und sie war gütig. Sie war dafür, dass ich lerne, was auch immer ich will, habe ich auch. Ich schaue zu ihr auf, wie sonst zu nur wenigen Menschen.

Morgen gehe ich mit einer Freundin in der Darmstädter Innenstadt zum Flüchtlingsbegrüßungsfest. Mehr habe ich bisher nicht machen können. Ich habe immer nur Eure Leserbriefe in die Zeitung gesetzt, war froh, wenn ich den Blog (ich gebe zu, teilweise mehr schlecht als recht) pflegen konnte und bin dann weiter gejagt zu meinen sonstigen Verpflichtungen. Aber morgen früh backe ich Muffins und heiße alle, die es geschafft haben, willkommen. Dann treffe ich hoffentlich auch auf eine Organisation, an die ich mich dranhängen kann. Es muss doch jetzt rasch Deutschunterricht erteilt werden. Ich habe mir überlegt, dass könnte ich samstags machen. Vielleicht so zwei Stunden in der Woche. Es ist dringend notwendig. Die Kinder müssen in die Schule und die Neuankömmlinge müssen sich rasch orientieren. Es wird alles schwierig genug werden, da müssen wir jetzt rasch handlen, denke ich mir. Mal sehen.

Das ist für mich die Idee Europa: Nie wieder Krieg! auszurufen, für die eigenen Menschenrechte und die der anderen einzutreten, in unserer übermäßig von einem kurzsichtigen wirtschaftlichen Denken (ich nenne es die BWLisierung der Welt) geprägten Gesellschaft, das hochzuhalten, was kostbar ist, unsere Menschlichkeit. Das ist, was überall in Deutschland derzeit zu erleben ist. Ein FR-Leser hat zurecht darauf hingewiesen, dass diese Haltung allein aus der Zivilgesellschaft kommt und nicht aus der Politik, Kanzlerinnen-Selfies hin oder her. Mittlerweile sind die Grenzen ja wieder dicht gemacht. War das Kanzlerinnen-Wort nur ein Strohfeuer? Und trägt das, was als spontaner Impuls aus der deutschen Bevölkerung kommt quer durch Europa?

Letzte Woche, am 8. September, schrieb Stephan Hebel auf dem Titel der FR:

„Was gibt es noch zu meckern? Deutschland zeigt sich von einer für viele unerwarteten Seite. Weltweit werden wir – die Bürgerinnen und Bürger, aber auch unsere Regierung und speziell die Kanzlerin – gelobt für die Bereitschaft, Flüchtlinge auch in überraschend großer Zahl aufzunehmen.
All das ist ohne Zweifel eine gute, erfreuliche Entwicklung. Wer Humanität und Toleranz für unveräußerliche Werte hält, entwickelt dieser Tage schon mal das Gefühl, stolz sein zu dürfen auf ein Land, das spätestens nach den Auftritten der Unbelehrbaren in Heidenau und anderswo verstanden hat: Mit der Illusion, sich die Weltprobleme vom Leib halten zu können, ist es vorbei.
Die Regierung hat den Stimmungsumschwung erkannt und aufgenommen, immerhin. Es soll mehr Geld geben und mehr Integration für diejenigen, die gute Chancen auf ein Bleiberecht haben.
Das alles mag ein Anfang sein. Wer aber jetzt schon in Lobeshymnen ausbricht, legt die falschen Maßstäbe an. Verglichen mit Ungarn oder etwa der Slowakei, stehen Deutschland und seine Kanzlerin strahlend da. Misst man aber die Ergebnisse des sonntäglichen Koalitionsgipfels an der Dimension des Themas, dann wirken die Beschlüsse zögerlich und klein. Der deutsche, gar europäische Aufbruch zu einer neuen Migrationspolitik ist noch lange nicht in Sicht.“

Und imLeitartikel “ Eine Chance für Deutschland“ vom 8. September schreibt Hebel weiter:

„Wer die Bedeutung des Themas erfassen will, braucht einen Blick zurück und einen nach vorn. Der Blick zurück würde, herrschte ein Mindestmaß an Ehrlichkeit, Folgendes ergeben: Was in einer wenig humanen Sprache als „Flüchtlingsstrom“ oder „-welle“ bezeichnet wird, als wäre es eine plötzliche Naturkatastrophe, das gab es längst, bevor eine deutsche Regierung sich bequemte, es zur Kenntnis zu nehmen. Es stimmt, dass auch das politische Deutschland nun endlich die Sprache des Willkommenheißens spricht. Es ist aber andererseits schon erstaunlich, wie es unserer Kanzlerin gelang, das humanitäre Drama auszusitzen, bis es nicht mehr ging – um sich dann für ein paar mehr oder weniger symbolische Handlungen als moralische Königin Europas feiern zu lassen.
Dass Kriege und schreiend ungerechte Weltverhältnisse Millionen in die Flucht treiben, haben natürlich auch die europäischen Politiker längst gewusst. Aber sie haben sich, Deutschland vorneweg, entschieden, diesen Menschen den Weg nach Europa abzuschneiden. Wenn es sein musste, auch in Kooperation mit dem libyschen Diktator Gaddafi, den man allerdings dummerweise wegbomben musste, als er es mit der eigenen Bevölkerung allzu brutal trieb. Womit Libyen auch als Endstation für Flüchtlinge ausfiel.
(…)
Ja, sie sind angekommen nicht nur an unseren Bahnhöfen, sondern endlich auch im  Bewusstsein. Es ist ein Fortschritt, dass dieses Land angesichts des Offensichtlichen nicht mehr mit Abwehrhaltung – der Wahrheit und den Flüchtlingen gegenüber – reagiert, jedenfalls nicht nur. Aber der Moment der Erkenntnis wird ungenutzt verstreichen, wenn nicht die notwendige dauerhafte Kraftanstrengung folgt.
Wer, wie die EU-Kommission, gerade mal 120 000 Menschen verteilen will, die schon in Europa sind, hat von der Dimension des Themas nichts verstanden. Wenn Deutschland das Vorbild ist, das derzeit alle loben, dann hätte es hier Gelegenheit, seine europäische Führungsrolle einmal sinnvoll zu nutzen.“

Das haben alle FR-Leser, die uns seither geschrieben haben, unterschreiben wollen. Volkes Stimme, aber was wird die Politik letztendlich daraus machen?

Arno Widmann hatte noch tags zuvor (7. September) den Leitartikel „Abschied von der Festung“ geschrieben. Darin heißt es:

„Viktor Orban hat auch ganz recht, wenn er sagt, es handele sich um ein deutsches und nicht um ein europäisches Problem. Nicht verstanden hat er, dass seit Jahrhunderten die deutschen Probleme zu europäischen zu werden drohen. Die Europäische Union war, bevor die Bundesrepublikaner sie als eine Chance begriffen, nicht nur Geld zu verdienen, sondern ihr Deutschsein im Europäertum zu verstecken, zunächst einmal der Versuch, die Deutschen einzubinden in eine europäische Politik. Statt einen Krieg zu führen um und mit Kohle und Stahl, gründete man 1951 die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Man hatte begriffen, dass es nicht mehr darum gehen durfte, einander möglichst zu schaden, sondern man musste versuchen zusammenzugehen, um möglichst großen Nutzen voneinander zu haben.

Das bedeutete für alle europäischen Staaten eine Zurückdämmung der nationalen Egoismen. Die Geschichte der europäischen Gemeinschaft ist nichts anderes als die bewegte und nicht immer in freundlichem Ton ausgetragene Auseinandersetzung darum. Die nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hinzugekommenen Staaten betrachten Europa in erster Linie als Schutz vor Russland und als Geldmaschine für den nationalen Wiederaufbau. Das Projekt Europa spielt für sie keine große Rolle.

Die Flüchtlinge ändern das. Sie schaffen Druck. Ein Druck, der Europa gut tut. Die Toten im Mittelmeer erinnern uns daran, dass alle unsere Institutionen vom Rechtsstaat bis zur Sozialversicherung dazu da sind, so etwas zu verhindern. Wir können sie nicht gegen den Rest der Welt verteidigen.“

Wilma Fischer aus Eschborn schreibt:

Ich kann es nicht mehr hören, diese Hetze gegen die Flüchtlinge. Ich glaube, es kann sich von uns kaum einer vorstellen, wie schlimm es ist, fliehen zu müssen und alles zu verlieren und wie traumatisiert die Kinder und die Erwachsenen sind.
Herr Horst Seehofer, Ministerpräsident von Bayern und CSU-Mitglied (Christlich-Soziale Union!), hetzt dermaßen gegen die Flüchtlinge, dass man es nicht verstehen kann. Wie kann ein Mann, der das Christliche und Soziale als Hauptbegriff in seinem Parteinamen führt, sich so verhalten?
Ich glaube, die CSU weiß nicht, was Christlich und Sozial für eine Bedeutung hat. Es bedeutet, hilfsbedürftigen Menschen Menschlichkeit und Hilfe entgegenzubringen. Das gebietet doch schon der christliche Glaube, dem diese Herren bestimmt angehören, sonst kämen sie ja nicht bis an die Spitze ihrer Partei. Auch Herr Hans-Peter Friedrich, der der gleichen Partei angehört, meint, dass Frau Merkel und damit die Deutsche Bevölkerung, eine „beispielslose politische Fehlleistung“ erbracht habe. Denn nur auf das Drängen der Bevölkerung, hat Frau Merkel ihre Entscheidung getroffen.
Herr Seehofer kündigt außerdem noch an, dass er den Ministerpräsident von Ungarn, Herrn Viktor Orban (für mich ein rechtspopulistischer Ministerpräsident) zur nächsten Klausurtagung nach Bayern einladen will. Damit zeigt er doch eindeutig seine Gesinnung.
Ich kann mir auch vorstellen, dass Flüchtlinge hierher kommen, die wir nicht haben wollen. Dies dürfte jedoch nicht der Grund sein, alle Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen, dass sie als IS-Kämpfer und Terroristen in unser Land kommen.
Ich habe als Kind den Zweiten Weltkrieg erlebt (in Frankfurt am Main), und ich habe bis heute noch nicht alle Kriegserlebnisse verarbeitet. Daher kann ich mir vorstellen, wie schlimm die Erlebnisse der Flüchtlinge sind.

Wulf Richartz aus Dachau schreibt:

Glasklar: Hetze gegen Menschen ist übelst, wenn die sich nicht wehren können. Und natürlich könnten wir 800 000 Menschen aufnehmen und versorgen, sogar acht Milionen gingen; und wenn es nötig ist, dann müssen wir das auch tun! Aber , wenn Frau Merkel von „wir schaffen das“ redet, meint sie alle, nur nicht sich!
Vor einem Monat hat Herr de Maizière verlautbaren lassen, dass es dieses Jahr 800 000 werden. Jetzt ist gerade mal die Hälfte da, und in München bricht alles zusammen. Was hat der Bund in dem einen Monat gemacht? Wo ist Herr de Maizière, spielt er Boccia? Was machte Frau Merkel außer merkeln? Nix! Wer auch immer „wir“ ist, die Regierung ist es definitiv nicht.
Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fehlen 2000 Mitarbeiter, Wir haben in diesem Land 1,7 Mio. Beamte, es kann mir doch keiner erklären, dass es nicht möglich wäre, innerhalb von Stunden 2000 Beamte abzukommandieren, dort die Asyl-Anträge entgegenzunehmen. Das ist Vollversagen!
Herrgott nochmal, schickt die Menschen aus dem Balkan, Ghana, Senegal, Pakistan sofort wieder nach Hause! Wieso können das Schweizer, Norweger, etc? Alles menschenverachtende Faschistenstaaten? Wieso dauert das Monate bei uns, Anträge gestellt werden dürfen? Wieso ist es nicht strafbar, wissentlich zur Leistugserschleichung vor dem BaMF falsche Angaben zu machen? Wieso darf ich nicht von Mißbrauch und Betrug reden?
Zum Schluss ein Wort an ihre Eminenz meinem hochgeschätzten Erzbischof von München / Freising (keine Häme): Zwischen „vor der Grenze auf der Wiese verhungern lassen“ und dem jetzigen Vollversagen der Regierung gibt es noch ein ganz weites Feld, was man tun könnte.

Otfried Schrot aus Ronnenberg schreibt:

In der gegenwärtigen Flüchtlingskrise erkennen wir, dass zu viele Köche um den Kochtopf herumstehen und streiten um die richtige Gewürzbeimischung für den europäischen Brei.
Gleich nach der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages durch Konrad Adenauer und Charles de Gaulle hätten Deutschland und Frankreich die Vereinigten Staaten von Europa gründen sollen – mit einer fugendichten europäischen Verfassung und einem jährlichen Wechsel von Staatsoberhaupt und Regierungschef zwischen einem Deutschen und einem Franzosen.
Danach hätte man alle anderen zum Beitritt einladen können – aber ohne Sonderwünsche wie die des Herrn Cameron, der die EU am liebsten als Ersatz für das verloren gegangene Empire missbrauchen möchte. Die gescheiterten Volksabstimmungen über die Europäische Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sind nur darauf zurückzuführen, dass die Regierungen ihre Völker nicht richtig aufgeklärt haben.
Mein Vorschlag: 1. Die EU löst sich auf. 2. Deutschland und Frankreich gründen die Vereinigten Staaten von Europa mit einem europäischen Staatsoberhaupt und einem europäischen Regierungschef mit jährlichem Wechsel der Ämter zwischen einem Deutschen und einem Franzosen und laden die anderen europäischen Staaten zum Beitritt ein –aber nur zu den Bedingungen der bereits existierenden europäischen Verfassung!
Gestehen wir uns ein, der europäische Einigungsprozess in seiner bisherigen Form ist gescheitert! Wenn wir uns nicht dazu entschließen, einen Neuanfang zu machen, müssen wir von verpassten Gelegenheiten träumen.

Manfred Frenger aus Becherbach schreibt:

Der Zustrom so vieler Flüchtlinge und die auftretenden Probleme werden häufig mit der Situation in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg verglichen, und auch Renate Künast weist darauf hin, dass seinerzeit 14 Millionen Flüchtlinge in ein kriegszerstörtes, unter Besatzung stehendes Deutschland strömten, das wirtschaftlich, politisch und moralisch am Boden lag und dennoch diese Kraftprobe meisterte.
Wer diese beiden Flüchtlingswellen gleichsetzt, der übersieht bewusst oder unbewusst einige grundlegende Unterschiede. Die 14 Millionen Heimatvertriebenen gehörten zum deutschen Kulturkreis, waren fast ausschließlich Männer, Frauen und Kinder, die deutsch sprachen. Dennoch gab es große Vorbehalte gegen die eigenen „Volksgenossen“ und man konnte in keinem Fall von einer „Willkommenskultur“ sprechen, sondern administrativer Zwang war vorherrschend.
Wenn man sieht, welch große Probleme es heute vielfach mit Zugewanderten gerade der dritten Generation gibt, bei denen die Integration offenkundig misslungen ist, obwohl sie sogar zum großen Teil einen deutschen Pass haben (Parallelgesellschaften, Sympathien für den radikalen Salafismus), dann ist es in höchstem Maße fahrlässig, die bevorstehenden Probleme zu verniedlichen. Deutschland wird sich verändern, wenn so viele Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis ins Land strömen, ob zum Guten, das wird sich zeigen.

Lothar Polläne aus Hannover schreibt:

Dass die Massenflucht von verzweifelten Menschen nach Europa eine Herausforderung ist, steht außer Frage. Darin eine „Überforderung“ der Union zu sehen, kann nicht akzeptiert werden. Die EU ist gefordert, ihren Reichtum humanitär einzusetzen. In den Städten und Gemeinden kommen schließlich keine anonymen Massen an, sondern Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern, die auf der Flucht vor katastrophalen Zuständen, Krieg, Verfolgung und Elend vor allem eines brauchen: Respekt und Zuwendung.
Wenn die EU von etwas überfordert ist, dann von einem ausgesprochenen Gemeinschaftsgegner wie David Cameron und einem Faschisten wie Viktor Orban. Hier vor allem besteht Handlungsbedarf. Es kann ja wohl nicht angehen, dass ausgerechnet Ungarns Premier Österreich und Deutschland auffordert, ihm bei der Abdichtung des Grenzzauns zu Serbien zu helfen. Wie viele Zumutungen will die EU noch hinnehmen, bevor deutliche Antworten gegeben werden?

Bertram Münzer aus Gütersloh schreibt:

Endlich ein Grund, stolz zu sein auf Deutschland! Die Zivilgesellschaft zeigt den Regierenden, was diese längst hätten tun müssen. Lange vor den erschütternden Bildern von der Autobahn in Österreich, den Stränden Griechenlands und der Türkei, den Bahntrassen des Balkans, den Stacheldrahtverhauen in Ungarn. Da haben sie gezaudert. Ein dramatisches Versagen.
Und während die Zivilgesellschaft weiter handelt, diskutieren die Regierenden. Europa blamiert sich. Streitet über Quoten. Mitgliedsstaaten der EU verweigern kategorisch die Aufnahme von Flüchtlingen. Großbritannien will 20 000 aufnehmen bis 2020. Und gleichzeitig reist der Premierminister durch die Lande, um günstigere EU-Konditionen für sein Land auszuhandeln. Geht’s noch, Herr Cameron?
Und was war mit Griechenland? Die Härte, die vor Wochen gezeigt wurde, wünsche ich mir jetzt. Denn jetzt kann Europa – und an der Spitze unser Land – zeigen, ob diese Gemeinschaft ein Bund von Krämerseelen oder eine humane Wertegemeinschaft ist.

Dieter Loboda aus Lahnstein schreibt:

Europa hat den Friedensnobelpreis erhalten! Wo Ungarn 175 km Mauer und Stacheldraht errichtet. Wo Griechenland nichts tut, als die Flüchtlinge weiter auf die Todesroute über Land zu schicken. In England werden Vermieter mit Strafe bedroht, wenn sie Flüchtlingen eine Wohnung vermieten. Polen möchte nur katholische Flüchtlinge, keine Moslems. Italien ist nicht in der Lage die Aufnahme als erstes Kontaktland allein zu bewältigen. In Deutschland sind mehr als 200 Asylunterkünfte in Flammen aufgegangen.
Den Abertausenden freiwilligen Helfern in der Bevölkerung würde eigentlich der Friedensnobelpreis zukommen, sie leisten die eigentliche Friedensarbeit.

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59 Kommentare zu “Die Festung Europa bröselt…

  1. Europa hat es ausgehalten das es jahrelang Länder gibt mit 50% Jugendarbeitslosigkeit. Warum sollte es nicht aushalten das 3 Länder meinen eine völlig falsche Flüchtlingspolitik machen zu sollen.

  2. Bevor ’s gleich wieder schlaue Kommentare und Antworten gibt: Wir (Peter und ich) sind sehr berührt von Ihrer so persönlichen Einleitung zu „Die Festung bröselt… Manches an den geschilderten Erinnerungen und Assoziationen ist auch uns „vertraut“. Wir finden es sehr ermutigend, dass Sie zu diesem Thema als Einstieg I h r e eigenen Erinnerungen und Empfindungen festgehalten haben. DANKE!

    Über die Leserbriefe und anderen Kommentare beuge ich mich morgen!

  3. Lieber Bronski, erlaube mir den Bezug zu 2 Beiträgen aus dem eben geschlossenen Thread „Unsere Politik trägt zu Krisen und Armut bei“, zu dem dieser in einem eindeutigen inhaltlichen Bezug steht.

    @ Gerhard Sturm, #84

    Danke für den Link zu dem ausgezeichneten Kommentar, zu dem wohl kaum etwas hinzuzufügen ist – es sein denn, dass er angesichts vieler bekannter Sachverhalte etwas knapper hätte ausfallen können.

    @ Günter Rudolphi, #85

    „Falls Herr Engelmann mitliest:
    „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ …… oder auch mit einem wachen Verstand.“

    – Es wird Sie hoffentlich nicht wundern, dass ich Ihnen uneingeschränkt zustimme.
    Kleiner Hinweis zum Text: Es heißt hier weiter: „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ – Von Verstand ist da nicht die Rede, und der ist auch kein Gegensatz zu „Herz“.
    Um die Verbindung zu der in diesem Thread angesprochenen nationalen Borniertheit, dem eigentlichen Problem der „Flüchtlingskrise“, herzustellen:
    Es wäre noch zu ergänzen, in Bezug auf den Link von Herrn Sturm, dass, wer im 21. Jahrhundert mit Stacheldraht eine „Völkerwanderung“ aufhalten möchte und aus der Beschwörung von „1000 Jahren christlicher Tradition“ das „nationale Recht“ ableitet, als Volk „keine Veränderung“ – schon gar nicht in Bezug auf religiöse Toleranz – hinzunehmen, also (wohl auf ewige Zeiten) von weltgeschichtlichen Entwicklungen verschont zu werden, nicht nur kein Herz, sondern weniger noch Verstand hat.
    Und mit vernagelten nationalen Hirnen ist eben kein Staat zu machen, mit Sicherheit kein Europa, und noch weniger ist so ein weltgeschichtliches Problem zu lösen.

  4. @maiillimi
    Dankeschön! Wissen Sie, ich denke mir oft, nach außen sehen unsere Schicksale immer so individuell aus; die neuen Medien erlauben uns eine Hochglanzdarstellung unserer selbst. Aber alle Menschen haben diesen Ort, den Softspot, an dem sie verwundbar sind. Es fehlt nie so furchtbar viel… Und wenn es soweit ist, dann sind wir auf die helfende Hand und den uneigennützigen Menschen angewiesen – und auf den geschützten Raum, in dem wir unsere Werte pflegen und auch leben können. Europa, zum Kuckuck!

  5. Auch da sind wir uns wieder einig, lieber Herr Engelmann, bei der (Zitat): „angesprochenen nationalen Borniertheit“, und auch bei diesem Zitat: „als Volk „keine Veränderung“ – schon gar nicht in Bezug auf religiöse Toleranz – hinzunehmen, also (wohl auf ewige Zeiten) von weltgeschichtlichen Entwicklungen verschont zu werden, nicht nur kein Herz, sondern weniger noch Verstand hat.“

    Da kommt ja auch unter anderem – und zwar ja ganz extrem – Saudi-Arabien in Betracht, aber auch andere muslimische Staaten. 1000 Peitschenhiebe für einen Blogger als Beleg-Beispiel, soweit geht in Europa aber kein Land mit (Zitat): „1000 Jahren christlicher Tradition“.

    Auch die FR hat doch darüber berichtet:

    Raif Badawi „1000 Peitschenhiebe“ Der Preis für dieses Buch
    Von Susanne Lenz

    Quelle: http://www.fr-online.de/literatur/raif-badawi–1000-peitschenhiebe–der-preis-fuer-dieses-buch,1472266,30267164.html

    Das stellt also die wahren Relationen wieder her.

  6. Da der Nachbarblog geschlossen wurde und anscheinend niemand auf meine Anmerkungen eingehen wollte, versuche ich es hier nochmals mit einer vielleicht möglichen Debatte:

    Wir haben doch, was Deutschland anbetrifft, schon längst einen Schutzwall, nämlich zwischen Arm und Reich, zwischen Steuerzahlern und Steuervermeidern (Anzahl Steuerprüfer in Bayern z.B. weit unter dem deutschen Durchschnitt), zwischen reichen Schmarotzern und armen Ghetto-Bewohnern. Wenn ich dann im neuen SPIEGEL im Interview mit UvdL (von der Leyen, früher Albrecht) lese „Deutschland ist ein starkes und wohlhabendes Land“, kommt mir die Galle hoch. Dieser in Millionen schwimmende und bei der Bundeswehr mit Millionen in den Sand gesetzten Dame, die derzeit eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes im Irak ankündigt, scheint wohl der Blick auf die Wirklichkeit bei Hartzern, Zeitarbeitern, Zustände in der Kranken- und Altenpflege u.v.m. abhanden gekommen zu sein.

    Wir erleben schon längere Zeit diese Abschottung, diese Ghettobildung von oben. Da läßt sich auch leicht mal ein Scheinchen bei irgendeiner Wohltätigkeits-Gala, möglichst bei Anwesenheit von Presse mit Fotografen, übereichen. Wer am Sonntag den Presseclub verfolgt hat, weiß, welche Pläne es gibt. Da werden wohl demnächst dann – nicht nur bei Flüchtlingen – die Gelder zusammen gestrichen. Vordergründig, um ein Argument zu haben, warum die Flüchtenden auch auf andere EU-Länder verteilt werden müssen. Aber durch die Hintertür lugt dann die wahre Absicht, nämlich überall bei denen zu kürzen, denen die Kürzungen die ganze Zeit schon weh taten. Klar, Hartz IV in Sachleistungen, Wohngeld streichen, Kindergeld dto., vielleicht die Mehrwertsteuer hoch, und so weiter. Dann kann sich Schäuble weiterhin als schwarze Null über dieselbe freuen, Merkel wird noch zu Lebzeiten selig gesprochen und die letzten sozialen Reste der Demokratie sind dann auch noch „marktkonform“ geworden.

    Wie die Wirtschaftswoche schreibt, erschwert der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro nach Ansicht von ifo-Präsident Hans-Werner Sinn die Integration der Flüchtlinge in den deutschen Arbeitsmarkt. Übersetzt heißt das: Alle im Niedriglohnbereich bereits Tätigen sollen sich zwangssolidarisch zeigen und von ihrem Wenigen noch abgeben. Und was ist mit denen „oben“. Da ist für mich die nächste Spaltung der Gesellschaft vorprogrammiert. Und wer die Zusammenhänge nicht versteht, und den rechten Rattenfängern auf den Leim geht, weiß dann, das nicht die neoliberale Wirtschaftsdiktatur samt aller Adepten Schuld an der Misere ist, sondern – natürlich – die Flüchtlinge.

    Übrigens haben sich die EU-Südländer in den letzten Jahren durchaus solidarisch gezeigt, auch „dank“ Schengen, was die Aufnahme von Flüchtlingen anbetrifft. Jetzt z.B. von Ländern wie Spanien und Griechenland zu verlangen, doch Flüchtlinge aufzunehmen, ohne Rücksicht auf die Kosten, bei einer z.B. ungelösten Jugend-Arbeitslosigkeit von mehr als 50%, zeigt diesen Ländern wiederum nur den eregierten Mittelfinger. Der Weltexportmeister D. erfährt hier nur eine gewisse Schadenfreude, weil er ja selbst zu seinem Ruf als „gelobtes Land“ (ja, nicht für alle) beigetragen hat.

  7. zu @ Wolfgang Fladung
    Was soll man auf ihren Beitrag antworten. Ich habe ihn beides mal gelesen und finde es gut das er geschrieben wurde. Er ist zwar wie immer etwas extrem formuliert aber grundsätzlich richtig.

  8. Nachgang zum Kommentar vom 15. September 2015 14:11

    Da ich den heutigen Jahrestag der „Nürnberger Gesetze“ nicht unerwähnt lassen will, ist die geschichtliche Dimension der heutigen Flüchtlingsfrage mir absolut bewußt.
    Die offizielle deutsche Haltung dazu, auch und besonders die der Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist heute m.E. auch nur auf dem historischen Hintergrund des vergangenen letzten Jahrhunderts zu sehen.

  9. Ich finde die Ansage unserer Kanzlerin mehr als lustig. Das „freundliche Gesicht“ hätte ich mir vor einigen Wochen bei Griechenland gewünscht, aber nie erhalten. Da kann ich den Griechen nur raten: schickt alle Flüchtlinge bei Euch nach D., da sind sie willkommener als Ihr.

    Aber vielleicht erhalten wir ja nach den Wahlen in G. eine andere, rechte Regierung. Und diese wird dann genau das in die Wege leiten. Herzlich Willkommen in der Naivität.

  10. Herr Fladung (#9 und #6),

    die Griechen sind schon vollauf damit beschäftigt, ihre Geldforderungen an uns zu schicken. Für die Flüchtlinge haben die überhaupt keine Zeit. Überfordern Sie die Griechen bitte nicht.

    Angesichts Ihres Beitrags (#6) möchte ich Ihnen dringend empfehlen, einmal Ihre Rhetorik zu überprüfen. Zu abgenudelt und immer erwartbar. Sie sind Opfer Ihres Schwarz-Weiß-Denkens und sollten alles unternehmen, um davon mal runter zu kommen, bevor es zu spät ist. Sie werden sonst die Schablonen nicht mehr los, wie man an Ihrem Kommentar zur Aussage der Kanzlerin ablesen kann. Selbst da können Sie es nicht unterlassen, noch herum zu kritteln. Niemand wird es je gelingen, Ihnen in dieser Welt noch etwas recht zu machen. Das ist das einzige, was Sie hier ständig auszusagen belieben.

    Dennoch ein Tipp. Stecken Sie Ihre Rhetorik mal ins Tiefkühlfach und schauen Sie sich mal aufmerksam aber stumm an, wie Jeremy Corbyn in England das gerade macht, der neu gewählte Parteichef von Labour. Studieren Sie einmal, was und vor allem wie er es sagt. Sie könnten von dem Mann lernen. Aber machen Sie den Mund auf, wenn die deutsche Nationalhymne gesungen wird.

  11. @ Wolfgang Fladung, #9

    „Herzlich Willkommen in der Naivität.“ (Wolfgang Fladung)
    „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ (Bert Brecht)

    – Auch so ein „Naivling“, der olle Brecht! Und nicht nur der. Schlimmer noch all die „Naivlinge“, die aus der schlimmsten Scheiße heraus auf Solidarität, Phantasie und Tatkraft gesetzt und ein demokratisches Land aufgebaut haben!
    – Nun soll man ja nicht vorschnell über Menschen urteilen, die in ihrer Resignation nicht mehr ein und aus wissen. Vor allem, wenn die Umstände nicht so genau bekannt sind.
    Anders, wer seine Negativität als Monstranz vor sich herträgt und auch noch mit Zynismus drapiert. Der markiert selbst sein Niveau.
    – Mir fällt es nicht schwer, mich auf die Seite der „Naivlinge“ zu schlagen.

  12. # 11, Werner Engelmann: Ja, BB’s Ansage kenne ich natürlich, und habe diese auch jahrzehntelang, erst in der SPD, dann bei den Grünen, und zuletzt als Mitgründer der WASG und kurzfristiges Mitglied in der Linken (und immer noch Linken-Wähler) vertreten.

    Mit meiner Ansage bezüglich „Naivität“ meinte ich auch nicht, aufhören zu kämpfen, sondern eher die Wirklichkeit nur noch partiell und nicht mehr vollständig wahr zu nehmen. Eben der Unterschied zwischen Hoffnung und Wirklichkeit.

    Der Mitblogger (oder Bloggerin?) V. Grebe hat mir ja empfohlen, ein Studium bei Jeremy Corbin zu absolvieren. Klasse Empfehlung, weil ich den Mann und dessen Ideen gut finde und mag, eben auch so ein „linker Spinner“ wie ich.

    Falls Sie bei mir Zynismus entdeckt haben sollten, ist dieser für mich eine Art Schutz bzw. Mantel, um bestimmte Dinge, wie derzeit die Flüchtlingsproblematik, nicht allzusehr an mich heran zu lassen. Ich könnte es natürlich auch mal mit Saufen probieren, um positiver gestimmt zu werden.

    Zurück zum Kampf: Auf wen setzen Sie denn, wenn es ums Kämpfen geht, auf die neoliberale SPD, oder die Pragmatiker der Linken, die wohl vieles von dem unterschreiben würden, was Corbyn aussagt, aber im Zweifelsfalle es auch mit rot-rot-grün probieren würden – und Letzteres kategorisiere ich dann als „Naivität“, was das aktuelle Wirken und die Parteipolitik der SPD und der Grünen anbetrifft. Übrigens genau das Prädikat, das auch Corbyn umgehängt wird. Eben als sozialer Forderer ein „Naivling“. Aber wenn Sie, Brecht-mäßig, sich auf diese Seite schlagen, bin ich dabei, an Ihrer Seite.

  13. @ Wolfgang Fladung, #16

    „Zurück zum Kampf: Auf wen setzen Sie denn, wenn es ums Kämpfen geht, auf die neoliberale SPD, oder die Pragmatiker der Linken…“

    Danke der Nachfrage!
    Ich setze zunächst mal auf Aktion da, wo der Handlungsbedarf am größten ist, und auf Solidarität mit denen, die diese am dringendsten benötigen.
    Und auf einen Beitrag, damit diejenigen, die einen „Schutz bzw. Mantel“ besonders dringend brauchen, dafür nicht auf Zynismus zurückgreifen müssen. Dass sie trotz allem, was hinter (und hoffentlich nicht mehr vor) ihnen liegt, in der Lage sind, auf andere zuzugehen – was Bereitschaft von zwei Seiten voraussetzt.
    Man nennt dies gemeinhin auch „Integration“.
    Und die Mittel sind die, von denen ich etwas verstehe – konkret: Theater mit Flüchtlingen.
    (Ich kann Ihnen auch gern den Link zu meiner Homepage übermitteln, wenn es so weit ist.)
    Für all das bedarf es keiner Parteienarithmetik. Es gibt ja auch noch ein Leben und ein Engagement außerhalb von Parteien, wie jetzt gerade sehr eindrucksvoll bewiesen wird.

  14. Kleine literarische Einlage, der Aktualität entsprechend:

    Jacqes Prévert: Der Kontrolleur
    (in: Paroles, Gallimard: Folio 27, 1997)
    deutsche Übersetzung: Werner Engelmann

    Los doch los
    So schiebt euch
    Los doch los
    So schiebt euch doch
    Es sind zu viele
    Zu viele Passagiere
    So schiebt euch schiebt
    Da steh’n sie ja noch Schlange
    Da steh’n sie überall
    So viele noch
    Den ganzen Bürgersteig entlang
    Kommen aus dem Bauch der Mutter
    Los doch los so schiebt
    Drückt endlich auf den Abzug
    Es müssen alle leben
    So bringt euch doch ein bisschen um
    Los doch los
    Na los
    So seid doch mal vernünftig
    Macht doch endlich Platz
    Ihr wisst doch, da könnt ihr nicht bleiben
    Nicht so lang
    Man braucht doch Platz für alle
    ’ne kleine Tour, sag ich
    ’ne kleine Tour um die Welt
    ’ne kleine Tour durch die Welt
    ’ne Tour, und dann haut ihr ab
    Los doch los
    So schiebt euch, schiebt
    Seien Sie höflich
    Drängeln Sie nicht.

  15. Erschreckende Gedanken

    Man muß

    den Krieg ordentlich,
    die Flucht geregelt,
    die Vertreibung moderat,
    die Integration verträglich

    gestalten.

    Drunter und drüber
    kann jeder machen was er will.

  16. Oh, Leute, wir können ja nicht das Land schließen und alle draußen lassen. Ihr könnt alle Dichter und Denker bemühen, die in vergangenen Zeiten das Elend der Verjagten, Vertriebenen und Unterdrückten lyrisch, literarisch mitfühlend, aufrührend und anrührend beschrieben haben zitieren, jetzt besteht einfach nur Handlungsbedarf. Da sind wir alle gefragt. Die Menschenwelt ist in einem wirklich schlimmen Zustand, lange war das fern von uns, woanders war das schon immer so inhuman, aber jetzt kommt es zu uns zur Tür herein und wir sind nicht unschuldig daran.

  17. # 14,Werner Engelmann: Meine Frau ist bereits 1x wöchentlich ehrenamtlich in unserem Familienzentrum tätig und betreut dort ausl. Kinder in der Sprachförderung. Wir hatten hier gestern, eingeladen vom ev. Pfarrer, ein Koordinationstreffen mit rund 25 Teilnehmern, aus dem als Ergebnis die Gründung mehrerer Arbeitskreise hervorging, so für Kleider- und Hausratsbeschaffung, Begleitung im Alltag, z.B. zu Behörden oder Ärzten, wöchentlicher Treff mit Flüchtlingen bei Kaffee und Kuchen im ev. Gemeindehaus, u.v.a.m. Ich werde mich jetzt ebenfalls bie der Sprachförderung engagieren, weil ich noch etwas Englisch und Französisch aus meiner berufl. Tätigkeit spreche. Mit „Naivität“ meinte ich bestimmte Herangehensweisen an die geballten Probleme, wie z.B. die Bereitsstellung von Möbeln ohne zu wissen, wo ein Lagerraum sein könnte, oder ein Transportfahrzeug, das Auflisten, welche Kleidung benötigt wird und gleichfalls eine Sammelstelle, eine Internetplattform oder die einfache Frage, wer für den wöchentlichen Treff einen Kuchen mitbringt.

    Das Ganze können Sie auch auf die Bundesebene transferieren. Aktionismus nützt keinem, und wenn unsere Bundeskanzlerin (mit dem Heiligenschein) jetzt anläßlich von 1 Mio. in diesem Jahr erwarteter Flüchtlinge und geschätzten 500.000 in den nächsten 3 Jahren aufgrund unhaltbarer Zustände in den Flüchtlingslagern in Jordanien, im Libanon und in der Türkei alle willkommen heißt, zeugt dies für mich von einer gewissen Naivität, weil dabei Grundsätzliches vergessen und übersehen wird.

    Fehlende Arbeits- und Ausbildungsplätze, Sprachprobleme, Schul- und berufl. Bildung, Gesundheit, Wohnraumbeschaffung, allgem. Integrationsfragen und vieles mehr lassen sich weder mit Goodwill noch mit Lyrik lösen, oder sehe ich das falsch?

    Die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat vorgeschlagen, Flüchtlinge von Langzeitarbeitslosen betreuen zu lassen. Toll oder naiv?

    Der ehem. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement will Standards und Vorschriften des Arbeitsmarkts abbauen, um möglichst viele Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. Toll oder naiv? Prof. Sinn will den Mindestlohn abschaffen – toll oder naiv? (oder einfach nur neoliberaler (Schwach-)Sinn?

    Wer da nicht begreift, daß solche Forderungen nur Wasser auf die Mühlen der Rechten sind muß irgendwann die Frage beantworten, auf welcher Seite dieser neuen „Mauer“ er steht. Dazu passt dann auch die Absicht von FM Schäuble, bei den Bundesministerien mal eben 500 Millionen einzusparen. Wie wäre es statt dessen mit einer gerechteren Besteuerung aller?

  18. @I.Werner#18

    Schon ein bißchen unfair. Wie soll man in einem Blog konkret helfen?
    Hier kann man nur überzeugen, schwarze Zeichen auf weißem Untergrund vortäuschen, eventuell ein bißchen Meinung vorführen.

    Konkret geht im Netz halt nicht.

    Wieviele Euros ich von meinem Konto kurz vor den roten Zahlen abschabe, wieviele Stunden ich für Bedürftige aufwende, gehört hier nicht hin.

    Hier sagt an, was man denkt, nicht was man tut.

  19. # 20, BvG: Ja, in einem Blog konkret helfen geht natürlich nicht, aber mensch kann sich durchaus über Sinnvolles und Überflüssiges oder auch Naives unterhalten. Ansonsten bin ich durchaus der Einstellung, das man das Gelingen erst einmal probieren sollte, bevor mensch sich über das Scheitern unterhält. Wenn mensch im Blog sich auf das Denken beschränkt, dann steckt er mit seiner wunderhübschen Lyrik irgendwann im Elfenbeinturm, und die Treppe ist eingestürzt.

  20. Pardon, BvG, ich wollte Sie nicht kränken, ich finde nachdenkenswerte Beiträge auch in literarischer und konzentriert lyrischer Form sehr wertvoll. Das Nachdenken über Poesie und Literatur hat mich von klein auf sehr beeinflusst. Ich verstehe Ihre sehr sensiblen Einwürfe ja auch meistens (nicht immer).

    Das Flüchtlingsthema berührt mich sehr. Ich war selber ein Flüchtlingskind . Vielleicht deshalb.

    Ich fürchte, dass bei dieser schönen Willkommenskultur – auch der Kanzlerin – eine Unterschied gemacht wird zwischen den willkommenen, weil gut ausgebildeten und nützlichen, die armen Flüchtlinge aus Afrika, weil schlecht vorgebildet, außen vor bleiben. Obwohl ich aus meiner Berufserfahrung weiß, dass aus Afrika ein großes Potential von klugen und kreativen Köpfen kommt, die in ihrem eigenen Land keine Chance bekommen, sich zu entfalten, die aber vielleicht, wenn wir sie hier nicht in die Illegalität zwingen, ihrem Ursprungsland viel geben könnten.

    Aber das ist vielleicht ein anderes Thema.

  21. @ Wolfgang Fladung, #19

    Hallo, Herr Fladung
    Was das Engagement Ihrer Frau angeht, sind wir uns ja absolut einig, und Respekt!
    Was die übrigen Punkte betrifft, meine ich nicht, dass sich da auf die Schnelle und in dieser Weise eine Einschätzung geben lässt.
    Sich auf Einzelprobleme einzulassen, kann ja durchaus sinnvoll sein. Fragt sich nur, zu welchem Zweck.
    Wenn es dazu dient, einen Katalog von Schlechtigkeiten aufzmachen, um zu beweisen, was man sowieso schon wusste, hilft man niemandem und schadet sich nur selbst: Indem man sich in ein simplifizierendes Freund-Feind-Schema hineinmanövriert, aus dem man nicht mehr herausfindet.
    Zwischen einer Hannelore Kraft z.B. und einem H.W. Sinn z.B. klaffen Welten, und in apodiktischer Weise lassen sie sich sowieso nicht behandeln, nicht einmal jeder sür sich.

    Ich sehe das Problem viel grundsätzlicher: 1., was die Prioritäten angeht, und 2. was die grundsätzliche Orientierung der Entscheidung von Frau Merkel betrifft.
    Zu 1: Dies hat I.Werner in #18 durchaus richtig benannt: „Jetzt besteht einfach nur Handlungsbedarf. Da sind wir alle gefragt.“
    Zu 2: Entscheidungssituationen grundsätzlicher Art, im persönlichen Leben wie in der Gesellschaft, können nicht am Klein-klein der Tagespolitik und noch viel weniger an opportunistischen Erwägungen gemessen werden. Nach meiner Einschätzung hat Frau Merkel in einer so grundlegenden humanitären Frage die einzig richtige Entscheidung getroffen, nicht nur in humanitärer Hinsicht, sondern auch bezogen auf historische Entwicklungsmöglichkeiten in Deutschland und auch Europa.
    Dies zu begründen ist freilich nicht in zwei Sätzen möglich. Es bedarf auch des Abstands einer historischen Betrachtung.
    Dazu aber in einem anderen Beitrag.

  22. Nachfolgend der angekündigte, wesentlich umfassendere Beitrag:

    Historische Erinnerungen, so meine Behauptung in #22, ermöglichen nicht nur, oberflächliche Betrachtung zu hinterfragen, sie helfen ggf. auch, künftige Perspektiven zu erkennen. Eine historische Situation von jenseits des Rheins erscheint dafür nicht für unpassend, will man der Gefahr bloßer Nabelschau entkommen.
    Nicht weit von unserem Wohnort in Frankreich liegt Colombey-les deux-Eglises, wo de Gaulle gelebt hat und begraben ist. Unterhalb des monumentalen Lothringerkreuzes kann man sich, wenn man sich einige Stunden Zeit nimmt, mit Entscheidungssituationen französischer (und europäischer) Geschichte vertraut machen, verknüpft mit seinem Namen.
    Juni 1940: Frankreich liegt am Boden, in wenigen Tagen zum großen Teil von deutschen Truppen überrannt, gedemütigt: das französische Versailles. Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstands mit Hitler durch Marschall Pétain ist auch die Übernahme nationalsozialistischer Politik verknüpft, Judenverfolgung eingeschlossen.
    De Gaulle, eben zum Brigadegeneral ernannt, Staatssekretär im französischen Reststaat, sieht darin eine Kapitulation, welche Frankreich „der Knechtschaft ausliefert“. Er flieht nach London, wird aller Ämter enthoben. Die Chancen des Widerstands scheinen gleich Null.
    Da lanciert er von London aus am 18.Juni einen leidenschaftlichen Appell mit der Botschaft: „Nichts ist verloren!“ Er ruft alle Franzosen auf, sich hinter ihm zu scharen, in der „Hoffnung“ auf „Rettung des Vaterlands“. Er wird vom Vichy-Regime zum Tode verurteilt, von Churchill als „Feind für den Frieden in Europa“ verachtet, hat nichts zu bieten als einen leidenschaftlichen Appell. Er fordert „Aufopferung“ – unendlich viel mehr als je einem Deutschen in der „Flüchtlingskrise“ abverlangt wird -, und er wird dennoch gehört: von Millionen. Einer von ihnen war mein Schwiegervater, der mit seiner Kompanie im April 45 das elsässische KZ Struthof befreite.

    Wie ist so ein Widerhall, der Erfolg eines bloßen Appells aus verzweifelter Lage heraus zu erklären? Für jemanden, für den sich Geschichte auf Verteilungskämpfe und pekuniäre Fragen reduziert, überhaupt nicht. Für notorische Bedenkenträger noch weniger. Eine Erklärung hat nur, wer auch bisweilen verschüttete menschliche Energien mit ins Auge fasst, wer die Marxsche Erkenntnis in die Rechnung mit einbezieht, dass „eine Idee zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift.“ Pessimisten werden die Massen niemals ergreifen.

    Gewiss ist Glorifizierung auch hier nicht angebracht, darf man die Verfehlungen der Résistance nach dem Krieg, Racheaktionen an den „Kindern der Schande“, also deutsch-französischen Kriegskindern (so die Untersuchung von Picaper), nicht übersehen. Sie sind dennoch nicht charakteristisch. Von meinem Schwiegervater jedenfalls, mit dem Feindbild Deutschland aufgewachsen, habe ich niemals ein hasserfülltes Wort in dieser Richtung gehört.
    Gewiss schweißt ein gemeinsames Feindbild zusammen und das tat es auch hier. Entscheidend ist dennoch etwas anderes: Die Mobilisierung menschlicher Energien, die Fähigkeit zu echter Solidarität in Krisen- und Entscheidungssituationen.

    Solche Mobilisierung solidarischer Kräfte hat sich auch in der jetzigen Krise gezeigt, in Form überwältigender Hilfsbereitschaft, besonders in unserem Land. Und wenn dies, wie behauptet wird, auf deutsches Schuldbewusstsein zurückzuführen ist, dann umso besser. Die Erinnerung an eigenes Elend, eigene Hilfsbedürftigkeit, hat – jedenfalls weit überwiegend – hierzulande nicht versagt. Grund genug, auch hier auf das Prinzip „Hoffnung“ zu setzen.
    Und wenn in verschiedenen ehemaligen Ostblockländern der Stacheldraht, der sie vor dem bösen und mächtigen Kapitalismus „beschützte“, offenbar noch nicht aus den Hirnen verschwunden ist, wenn er Auferstehung feiert in Sehnsüchten, sich nun auf gleiche Weise vor den Hilflosesten – und Entschlossendsten – der Erde zu „schützen“, dann wird es sicher nach einem ersten Blick auf sie noch eines zweiten und weiterer bedürfen.

    Ich habe in meiner Eigenschaft als Sprachlehrer an verschiedenen EU-Institutionen bzw. dem Luxemburger Sprachzentrum Menschen aus allen EU-Ländern kennengelernt und darüberhinaus (Asylbewerber eingeschlossen), mindestens 500 an der Zahl, gut ein Drittel davon aus ehemaligen Ostblockländern. Alle – bis auf 2 – aufgeschlossene Menschen, durchaus fähig und willig, neue Erfahrungen aufzunehmen.
    Auch wenn diese Menschen nicht repräsentativ sind für die in ihren Ländern Verbliebenen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass auch die Letzteren, in einer weltumspannenden Informationsgesellschaft, auf Dauer bereit sind, sich von Stacheldraht-Zaunkönigen vom Schlage eines Victor Orban die Hirne vernageln zu lassen. Dass sie Wahnideen folgen, man könne in dieser Informationsgesellschaft mit Stacheldraht und Wasserwerfern die Präsenz von Millionen Kriegs- und Verfolgungsopfern und ihre gerechten Forderungen aus den Gehirnen verbannen. Dass sie nicht begreifen, dass – unabhängig von der primären Frage der Humanität – Selbsteinmauerung und Geschichtsverweigerung nicht eines ihrer eigenen Probleme löst.

    Natürlich setzen sich Erkentnisse nicht im Selbstlauf durch. Sie bedürfen der Thematisierung und Konfrontation mit Problemen, einschließlich damit verbundener „Ängste“.
    Heinz Bude, Professor für Soziologie an der Uni Kassel, analysiert Herkunft und Geisteshaltung von „Wutbürgern“ und befürchtet eine „Koalition der Angst“: „Wenn Dienstleistungsproletarier und prekär Wohlhabende sich in einem diffusen Misstrauen gegen das gesellschaftliche System in Deutschland verbünden, wird es brenzlig im Land.“
    (http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/wenn-systemkritik-proletariat-und-mittelstand-eint-13797245.html)
    Neueste Erkenntnisse von Verfassungsschützern zu Brandanschlägen gegen Asylbewerberheime geben ihm Recht: Nicht nur Neonazis sind dafür verantwortlich, antidemokratisch-verbalradikale Wut hat auch bei „prekär Wohlhabenden“ schon partiell umgeschlagen in kriminelle Energie. Deutliches Indiz dafür, dass, während permanent von deren „ernst zu nehmenden Ängsten“ geredet wird, nicht ernst genommen wird, was aus „Pegida“-Dünsten so erwachsen kann: vor allem für wirklich Schutzbedürftige, deren Ängste in erster Linie ernst zu nehmen sind.
    Es geht nicht um irgendwelche diffuse Ängste überhaupt, auch nicht darum, ob Sozialneid berechtigt ist oder nicht, es geht um das Aufdecken von deren wirklichen Ursachen,damit das Schüren solcher Ängste mit wohl bekannten antidemokratischen Zielen verhindert wird.

    Angst – so die Erkenntnis der Psychologie – steht im Zusammenhang mit Befürchtungen für die eigene Identität: „Auslöser können dabei erwartete Bedrohungen etwa der körperlichen Unversehrtheit, der Selbstachtung oder des Selbstbildes sein.“ (Wikipedia)
    In dem hier beschriebenen Zusammenhang scheint das letztere zu dominieren. Besonders deutlich bei den von der Orban-Regierung geschürten kollektiven Bedrohungsängsten und angebotenen Rezepten: der Abwehr jeglicher Veränderung als Audruck vermeintlicher „nationaler Souveränität“.
    Der Psychoanalytiker Fritz Riemann ordnet solcher „Angst vor Veränderung“ u.a. die „Angst vor Nähe“ zu. Stacheldraht, angeblich der „Abwehr“ dienend, erscheint in diesem Zusammenhang als verdinglichter Ausdruck eines „zwanghaften“, vielleicht auch „hysterischen Persönlichkeitstypus“.
    Klar ist, dass mit solcher Verdinglichung, mit der Projektion auf eine „feindliche“ Personengruppe, also der Zuweisung von Sündenböcken, solche Ängste noch verstärkt werden, übermächtige Präsenz erhalten. Vor allem aber verhindern sie, was die Psychoanalyse als einzige Lösung sieht: die wirklichen Ursachen zu erkennen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.

    Was, insbesondere mit nationalistischen Sündenbock-Strategien, verhindert werden soll, ist vor allem das Durchdringen einer für uns alle schmerzlichen Erkenntnis: Dass diese Krise keine „Flüchtlingskrise“ ist, sondern Fanal des Zusammenbruchs überholter Strategien der Ausbeutung weltweiter Ressourcen und Sicherung von Machtansprüchen.
    Peter Vonnahme, bis 2007 Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München, setzt sich in dem ausgezeichneten Beitrag (von Gerhard Sturm unter „Unsere Politik trägt zu Krisen und Armut bei“, #84, bereits verlinkt) mit dem Problem der Folgen einer ungerechten Verteilung in einer weltumspannenden Informationsgesellschaft auseinander, welche nun auf deren Mitverursacher zurückfällt. Ich verlinke ihn hier noch einmal:
    http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/09/13/leidenschaftliches-plaedoyer-eines-asyl-richters-beendet-die-interventions-kriege/
    Die m.E. entscheidende Passage:
    „Außerdem werden wir uns mit dem Gedanken anfreunden müssen, den notleidenden Staaten echte Solidarität anzubieten.(…) Denn im Vergleich zu früher wissen heute auch die Ärmsten viel über uns und unsere Lebensumstände. Die informierte Weltgemeinschaft wird Ungleichgewichte nicht auf Dauer hinnehmen. Die Alternative ist im Grunde sehr einfach: Entweder wir geben den Armen so viel von unserem Wohlstand ab, dass sie glauben, es lohnt sich, in der Heimat zu bleiben oder, wenn wir dazu nicht fähig sind, dann werden sie sich ihren Anteil bei uns abholen. Diesen Vorgang bezeichnet man verniedlichend als Völkerwanderung.
    Doch selbst das wäre nicht zwingend der Untergang des Abendlandes. Denn auch wir Deutsche sind bekanntlich das Produkt historischer Völkerwanderungen.(…)
    Vielleicht müssen noch mehr Flüchtlinge kommen, bevor Weitblick und Solidarität eine echte Chance bekommen. Wenn uns das zu anstrengend ist, dann müssen wir lernen, mit der Völkerwanderung zu leben.“
    Seine wohl einzig richtige Schlussfolgerung:
    „Wir müssen uns deshalb heute in Erinnerung an diese grandiose Gemeinschaftsleistung nicht ängstigen vor ein paar Hunderttausend Flüchtlingen, auch dann nicht, wenn deren Zahl noch weiter steigt. Wir müssen uns nur bemühen, aus der Not eine Tugend zu machen. Dazu brauchen wir Solidarität untereinander und Solidarität mit den Flüchtlingen. Sie wollen in ihrer großen Mehrzahl nicht schmarotzen, sondern ihren Beitrag in der Gesellschaft leisten.“

    Die Weichen für eine solche Wende (der Not gehorchend, nicht der eignen Tugend) sind bereits gestellt, zumindest von der Zivilgesellschaft. Und das ist gut so.
    Dazu ist m.E. Folgendes nötig:
    1. Die Krise managen:
    Dafür die nötigen gesellschaftlichen Kräfte, deren Einsatzbereitschaft und Phantasie mobilisieren – unabhängig davon, welche europäischen Länder folgen.
    2. Politik und Zivilgesellschaft:
    Eine Politik, die von der Zivilgesellschaft vor sich hergetrieben wird, in die Verantwortung nehmen, bürokratische Hindernisse abbauen und – durch dezentrale Verantwortlichkeiten – Informationsfluss von der Basis her aufbauen und Selbstverantwortung stärken.
    3. Die Chancen der notwendig gewordenen Veränderung erkennen und umsetzen:
    – bei Arbeitsmarkt und sozialer Absicherung
    – durch Integration, Öffnung für neue Sichten und Denkweisen
    – durch Ausstrahlung eines erfolgreichen Modells auf Neubelebung/Realisierung der „europäischen Wertegemeinschaft“
    4. Gerechtigkeit:
    National wie international die Frage nach Gerechtigkeit, nach Verteilung von Reichtum und Ressourcen neu stellen.
    Voraussetzung hierfür: Verinnerlichte kapitalistische Denkweisen abstreifen, die Menschen, die um den Erhalt ihres Lebens kämpfen, nur als „Konkurrenten“ wahrzunehmen vemag, sie vielmehr als Mitstreiter in einer gemeinsamen Sache erkennen und akzeptieren

    Um auf die eingangs beschriebene historische Situation zurückzukommen:
    Ein Konzept, das einer historischen Herausforderung Rechnung trägt, kann natürlich nur erfolgreich sein, wenn der Appell, den der Zustrom zahlreicher neuer Mitbürger bedeutet, von vielen gehört und nicht nur moralisch gedeutet, sondern praktisch umgesetzt wird. Nur, wer selbst in eine Aktion eingebunden ist, kann die Dynamik erkennen, die diese entfalten kann, und die Kräfte längerfristig erhalten, welche sie freisetzt.
    Die Frage, was denn folgt, wenn das „freundliche Gesicht“ der Kanzlerin sich zur Grimasse verzerrt, dürfte sich dann erübrigen.

  23. „National wie international die Frage nach Gerechtigkeit, nach Verteilung von Reichtum und Ressourcen neu stellen.“
    Herr Engelmann, „Verteilung“ klingt immer nach einer gütigen Fee, die etwas „verteilt“.

    Aber im normalen Leben wird gehandelt, wenn einer etwas hat, was ein anderer will.
    International wird das auch kaum zu ändern sein, national ist das aber auch schon problematisch und ein ewiger Streitgrund.

    Oder es wird gestohlen und geraubt, wenn man sich nicht einigen kann. Dann braucht man aber Gerichte, Zivil- und Strafgerichte.
    Ich hätte jetzt mehr erwartet, als „die Frage nach Gerechtigkeit, nach Verteilung von Reichtum und Ressourcen neu (zu) stellen.“

    Die Gründe dürften doch nun klar geworden sein.

  24. Am nun diskutierten russischen Einsatz von Bodentruppen in Syrien zugunsten Assads sieht man ja, wie die Politik dort funktioniert. Syrien ist das Mittel, um die Europäer und auch die USA gefügig zu machen. Denn wenn sie Rußland nicht eingreifen lassen, dann werden weiter Flüchtlinge nach Europa drängen. Damit hat Rußland gleich mehrere Ziele anvisiert, beim einem Erfolg sähe das ungefähr so aus:
    a) Es bekommt einen starken Stützpunkt in der Region für sein Militär.
    b) Es wird wieder zum stärkeren Machtfaktor, der auch wieder international mehr Bedingungen diktieren kann.
    c) Seine Expansion in der Ukraine werden Europa und die USA erst einmal zähneknirschend akzeptieren müssen.

    Die Flüchtlinge sind beim Spielen über Bande die Bälle, die ins Tor der Europäer und Amerikaner versenkt werden.

    Das ist der wahre Zynismus, oder kühle und „klassische“ Großmachtpolitik alter russischer Schule.
    Gelernt ist halt gelernt, Herr Putin ……

  25. Ich habe den verlinkten Artikel gelesen und kann die Begeisterung nicht teilen. Wieder jemand, der die Zukunft vorhersagen kann. Erst apokalyptische Warnungen und dann plötzlich die Erkenntnis, dass eine paar Hundertausende doch kein Problem sind. Ja was denn nun?
    An allem sind die Amerikaner schuld. Wenn doch alles so einfach wäre.
    Die eigentliche Ursache für die Flüchtlingsströme sei jedoch die Ungleichverteilung des Reichtums in der Welt.
    Die gibt aber schon erheblich länger als die Flüchtlingsströme. Haben die Armen letztes Jahr noch nicht gewusst, dass sie arm sind und das es Reiche gibt.
    Viel guter Wille, aber auch ein simples Weltbild.

  26. @Engelmann

    Danke für diesen hervorragenden Beitrag. Er ruft nach kreativen Ideen. Ein Start zum Wettbewerb :

    Laßt uns keine Lager errichten, Kasernen belegen, Zeltstädte und sonstige Menschenverstauräume bilden.

    Laßt uns kleine Dörfer bauen, mit allem, was man braucht: Wohnhäusern, Geschäften, Apotheken und Arztpraxen, Schulen, Kindergärten und Spielplätzen, mit allem, was das Leben so fordert und lebenswert macht.

    Dort können sich Flüchtlinge einquartieren, für jede Aufgabe wird sich einer finden, der sie erfüllt, es sind Ärzte, Geschäftsleute, Erzieher, … unter den Flüchtigen vertreten.

    Sie können sich selbst helfen, selbst verwalten, selbst bilden, alles andere können sie auch selbst.

    Ich höre schon die Kritiker:“Ghettoisierung!“

    Nein, bei uns hieß das früher „Siedlung“, da wohnten die Flüchtlinge, Übersiedler, Dagebliebene und Zurückgekehrte und jeder hat was draus gemacht.

    Ich vermute mal:
    – Heute krieg ich dafür was um die Ohren,
    – Morgen wird es geplant,
    – Übermorgen funktioniert es
    – Überübermorgen wandern die Bewohner langsam ab , zurück in die Heimat oder in’s Integrationsdeutschland,
    – Überüberübermorgen sind das die hippen Szenemilieus…

    … und der, der sie heute errichtet, verdient sich später dumm und dämlich an den Mieten.

  27. Und noch etwas wird sich Putin überlegt haben.
    Rußland hat doch sehr große Probleme mit seinen eigenen muslimischen Minderheiten und setzt auch kompromißlos auf`s Militär, „Dialog“ mit Tschetschenen und „schwarzen Witwen“ kommt also nicht in Frage.
    Das schwächt Rußland aber insgesamt.
    Warum also nicht auch die anderen „global player“ (die EU zum Beispiel)auf dieselbe Art und Weise schwächen und damit doch noch ins eigene Boot holen?
    Putin kennt doch alle Tricks und Fallen und Finten der Machtpolitik, er pokert mit hohen Einsätzen, das wissen aber auch seine überseeischen Kontrahenten, und ein Viktor Orbán sicher ebenfalls. Die Strategen in den USA wissen das also alles, das sind ja ebenfalls Profis, wie Putin.

    Hoffentlich weiß Angela Merkel das auch inzwischen, wenn sie nach europäischer Führung streben sollte.

  28. „Ein volles Boot ist für jeden Reeder ein wahres Glück…“

    Aber nur, wenn er damit viel auf den Meeren herumschippern kann, liegt es aber damit im Hafen, zahlt er Liegegebühren, im Trockendock noch wird es dann aber richtig teuer.

    Das war ein schiefes Bild in dem Zusammenhang, verehrter BVG, oder Sie betreiben das Geschäft der Schlepper und Menschenhändler.

  29. zu @ Werner Engelmann
    Den Vergleich mit der Reaktion der Franzosen auf den Nazi Überfall auf ihr Land halte ich für extrem, vorsichtig gesagt unpassend oder mutig. Ich würde da eher die Deutsche Wiedervereinigung nehmen wie ich schon bei den Saudis geschrieben habe. Ohne jetzt ein Historiker zu sein könnte es auch noch passen den Untergang der römischen Reiches zu nehmen. Da wurde wohl auch eine Völkerwanderung in Gang gesetzt und es gab bestimmt Leute die Texte so wie sie geschrieben haben. Ich denke wenn das so bleibt wie man im Moment das jeden Tag in den Nachrichten sieht, und warum sollte sich das ändern? Es gibt sicher mehr als 5 Milliarden Menschen denen es schlechter geht als einem durchschnittlichem Deutschen. Warum sollten da nicht einige Millionen sich auf den Weg machen wenn für sie ein besseres Leben winkt? Gestern hat der kroatische Regierungschef eine richtige Aussage gemacht. Er sagte; Das die deutsche Position sehr sympatisch ist aber auch sehr anziehend. Das sieht man schon daran das auch Einwohner von EU Beitrittskandidaten kommen wollen. Es gibt aus meiner Sicht keinen Grund das sich die Flüchtlingszahlen nicht noch deutlich erhöhen werden. Das muss sich nur noch unter den Flüchtlingen der Welt rumsprechen, dann werden sich schon viele finden die ein Familienmitglied losschicken der den Rest dann nach holt. Es ist schon interessant das hier kaum jemand das Wort Geld in den Mund nimmt selbst dann wenn davon die Rede ist Dörfer und Städte bauen zu wollen. Das kostet ja alles nichts in D. Vielleicht passt der römische Vergleich sogar besser als ich in den ersten Sätzen dachte.

  30. Auch die Christen hatten ihre internen Religionskriege gehabt, wann war der letzte große interne christliche Religionskrieg?
    Ein paar Jährchen dürfte das aber schon her sein.
    Im muslimischen Raum sind Kämpfe von Schiiten gegen Sunniten, gegen Aleviten und Wahabiten fast die Regel, weniger die Ausnahme.
    Es gibt Hanbaliten, Hanafiten, Schafiiten, Malikiten, Salafisten, die Ahmadiyya und, und, und …..

    Alles kein Problem, wenn nicht die Einen die Anderen heute noch als Ungläubige bezeichnen würden, die man daher in die Luft sprengen kann, oder auf andere phantasievolle Weise ins Jenseits befördern, denn das wäre doch der Wille Allahs …….

    So geht das ja von Anfang an im Islam zu, seit Mohammed.

    Und jetzt soll das plötzlich alles schlagartig aufhören? Ihr Wort, BVG, in Allahs Ohr!

  31. @ hans, #32

    Hallo, Hans,

    Ich fange mit Ihrem Beitrag an, weil er mir der einzige erscheint, der sich (neben dem etwas kryptisch verklausulierten von BvG) wenigstens bemüht, auf die Problematik einzugehen.
    Sie scheinen meinen Ansatz nicht richtig verstanden zu haben, und ich will ihn hier gern näher erläutern.

    „Vergleich“:
    Der Vergleich mit Wiedervereinigung oder Flüchtlingsproblem der Nachkriegszeit ist ja schon oft bemüht worden (u.a. von mir), hat ja, in gewissen Grenzen, durchaus seinen Sinn.
    Mir geht es aber um etwas anderes, und ich stelle deshalb gerade keinen Vergleich an: Es geht es darum, ins Bewusstsein zu rücken, dass alle gängigen „Strategien“ zur Bewältigung der Flüchtlingsproblematik (sofern man davon überhaupt sprechen kann) an einem kranken: Sie sind sich der Prämissen des eigenen Ansatzes nicht bewusst. Deshalb können sie (der Merkelsche Ansatz eingeschlossen) auch keine konsistente Lösung anbieten.
    Besonders deutlich wird dies bei „Bedenkenträgern“ (schlimmer noch: nationalistischen Rezepten), die sich m.E. gar nicht bewusst sind, in welchem Maße sie bereits (wie ich am Ende hervorhebe) von „verinnerlichten kapitalistischen Denkweisen“ geprägt sind und diese selbst nicht hinterfragen.

    „Entscheidungssituation“:
    Gerade wenn man, wie Sie, in der gegenwärtigen Situation erst den Beginn einer (möglichen) „Völkerwanderung“ sieht (und da stimme ich Ihnen durchaus zu), dann heißt das, dass einem wenigstens dämmert, dass es sich hier (völlig unpathetisch gesprochen) um eine historische Entscheidungssituation handelt.
    Eine solche Erkenntnis erfordert dann aber auch noch Weiteres (will man sich nicht mit nationalistischen Parolen zukleistern lassen – dazu in einem anderen Beitrag):
    1. Die Ursachen und Denkvoraussetzungen der offenbar gescheiterten Politikstrategien müssen zu Tage treten.
    2. Der notwendige Paradigmenwechsel nicht nur im politischen Handeln, sondern auch in deren Denkvoraussetzungen muss deutlich und begründet werden.
    3. Voraussetzungen und Möglichkeiten dieses Paradigmenwechsels müssen sondiert werden.

    Zu 1.
    Dies ist, ohne ihn ausufern zu lassen, in einem solchen Beitrag nicht detailliert möglich, aber auch nicht notwendig (geschieht im aktuellen Diskurs zu Hauf). Ich beschränke mich in diesem Zusammenhang auf Hinweise, etwa das für nationalistisches Denken typische Verfahren der Projektion eigener Ungereimtheiten auf ein Feindbild, mit dem die Unfähigkeit zum Weiterdenken des eigenen Ansatzes verschleiert werden soll. (Z.B. Was passiert denn mit den Flüchtlingsmassen vor Orbans Stacheldrahtverhauen, die sich ja nicht in Luft auflösen?)
    Zu 2.
    Die Notwendigkeit des Paradigmenwechsels ist in dem von mir erneut verlinkten Artikel von Peter Vonnahme angesprochen – wenn auch m.E. durchaus vorsichtig. Ich bin durchaus bereit, die beiden Alternativen „echte Solidarität“ oder Ausweitung der „Völkerwanderung“ etwas weiter zu denken. Aber ich bin ja nicht der einzige hier im Blog.
    Zu 3.
    Hierauf zielt die eingangs vorgenommene Reflexion über eine historische Entscheidungssituation (bewusst außerhalb Deutschlands gewählt), die – ich wiederhole – keinen Vergleich beinhaltet. Denn Paradigmenwechsel ist nicht möglich, ohne dass zuvor ein Perspektivenwechsel vorgenommen wurde.
    Dieser Perspektivenwechsel anhand einer anderen historischen Entscheidungsituation soll ins Bewusstsein rücken, dass die Unfähigkeit zu Problemlösungen auf der Basis von kapitalistisch (oder materialistisch) geprägten Denkkategorien daher rührt, dass diese entscheidende Ressourcen des Menschseins verschütten oder ignorieren, indem sie den Blick verengen und so (um in Marxscher Terminologie zu sprechen) dem „Fetischcharakter der Ware“ aufsitzen, statt nicht materialistisch fassbare Ressourcen (wenn Sie wollen, auch „Werte“) in den Blick zu bekommen.

  32. Wie einige bereits wissen, sehe ich für die gesamte Menschheit in nicht allzu ferner Zeit große Probleme jetzt schon am Horizont auftauchen.
    Im Jahre 2008 hatte ich mal den folgenden Text geschrieben, da taucht ja einiges davon auf, was auch hier bereits diskutiert wurde.
    Auch jetzt sehe ich keinen Grund, diesen Text zu ändern. Es war ein Beitrag aus dem Jahre 2008, zur fernen Zukunft im Mangel, wenn die natürlichen, also die materiellen Ressourcen zur Neige gehen:
    ———————————————————–
    Wissen Sie, wenn 7 Milliarden Menschen jetzt und noch mehr in 100 oder 1000 Jahren vielleicht bald nichts mehr zu teilen miteinander haben werden, dann ist das zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Und dann hat die Natur ihr Recht, und das fordert sie dann wieder ein, so wie der Mensch stammesgeschichtlich beschaffen ist, ein Jäger und Sammler zu sein, der überleben will in einer ihm feindlichen Welt. Das Sammeln hat ja dann ein Ende gefunden, und dann kommt das Jagen wieder zum Tragen. Klingt nicht schön für zartbesaitete Naturen, aber die hatten schon zu Urzeiten ja nie eine Chance gehabt. Die Chance des großen Glücks für eine große Zahl ist ja dann nicht mehr gegeben, denn alles, was die Menschen dazu brauchen, kann irgendwann nur mehr die belebte Natur liefern, und in diesen Verhältnissen gibt es nur den Kampf ums Überleben Tag für Tag. Denn aus dem Paradies wurden Adam und Eva ja metaphorisch vertrieben und es gibt keine Rückkehr mehr. Das ist die unausweichliche Lage, sehen Sie ihr also ruhig mal ins Auge. Der Kreis des Lebens der Menschheit beginnt sich wieder zu schließen wie am Anfang. Metaphorisch überlebte Kain den Abel, diese Geschichte wird sich unausweichlich wiederholen, denn es gibt keine Zukunft für die Menschen in großer Zahl auf der Erde mehr nach der Ausplünderung aller vorhandenen Vorräte dieser Erde. Diese Konsequenz ist aber eben vorgegeben, es können dann nur wenige wieder existieren, denn unser heutiges Leben im Überfluß ist dann passé.

    Nicht nur die Reichen werden sich den Armen anpassen müssen nach unten, beide müssen sich dann auch noch der Natur anpassen, wie vor der starken Ausbreitung des Menschen auf dieser Erde, die den Planeten irreversibel ausgeplündert hat, seit der Zeit von Kain und Abel. Es ist ein Thema voller Tretminen, denn der Vorwurf des „Sozialdarwinismus“ lauert an jeder Ecke. Als Deutscher kennt man den Mißbrauch mit den Begriffen der „Euthanasie“, der „Eugenik“ und des „lebensunwerten Lebens“ im „Dritten Reich“. Schon im vorletzten Begriff steckt also die „Wertung“, und die ist immer subjektiv. Der Mensch „wertet“, die Natur nicht. Wer alle Methoden des Beutemachens und des Überlebens in der Natur kennt, vom Giftbiß des Komodo-Warans, den der Giftschlangen und Giftspinnen, von der Arterhaltung der Eingeweidewürmer und Schlupfwespen, bis hin zu den Jagdtechniken der großen Beutegreifer und der Orca-Wale, der weiß, daß unsere menschlichen und wertenden Begriffe, wie die der Heimtücke und des Hinterhalts der Natur eigentlich ja fremd sind, sondern je ausgeklügelter das alles angewandt wird im Überlebenskampf der einzelnen Arten, desto erfolgreicher wird der für die Art geführt werden können. Da steckt jetzt jede Menge Sprengstoff darinnen für jede Diskussion über die Zukunft der Menschheit hier auf Erden, Sodom und Gomorrha und Asche und Lava kann hier ja hochkommen, darum wollte ich auch das nur mal etwas anreißen, denn der Spannungsbogen geht ja hier von „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“ bis zum „der Mensch ist des Menschen Wolf“
    (Homo hominem lupus). Aber man muß kein Prophet sein, um zu wissen, daß diese Debatten durch Vermeidung sich nicht von selbst erledigen werden in der Zukunft, die eine Zukunft des Mangels nun sein wird für die Menschheit. Die (angedichtete) Methode des Vogels Strauß hätte ja diesem auch nicht helfen können, wenn ein hungriger Löwe kommt. Will die Menschheit also nicht in der Barbarei wieder bald versinken müssen, dann bleibt als Ausweg nur die äußerste Anstrengung der menschlichen Intelligenz, das effektivste Ausnützen aller Ressourcen dieser Erde und gut wäre auch noch eine freiwillige Selbstbeschränkung. Das Letzte aber scheint nicht in der Natur des Menschen zu liegen, denn alle Empirie spricht ja dagegen, so daß nur das Vorgenannte dann in Frage kommt, wenn die Menschheit sich nicht total ändert. Das aber bedeutet Anstrengung bis zum Äußersten, das ist ja sehr unpopulär, und kein Schlaraffenland ist mehr in Sicht und auch kein Freibier für Alle, die nur ständig Durst haben. Die Krisenländer sind nicht das natürliche Biotop der Friedenstauben, die holten ja die Kalaschnikows und die Kassams bisher vom Himmel immer wieder auf die Erde herunter.

    Andere sehen das vielleicht wieder anders, das macht ja auch die Probleme der ganzen Welt, daß keine Wertungen für Alle die gleichen Verbindlichkeiten haben.
    „We have just One World – but we live in different ones“, solange es eben keinen verbindlichen Wertekanon für alle Menschen dieser Erde gibt.
    Einer davon wäre die Charta der UN und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN, aber dann auch verbindlich FÜR ALLE.

    That’s the problem …….

  33. zu Werner Engelmann
    Bei ihren zusätzlichen Ergänzungen würde ich vielleicht sogar mit gehen. Wenn sie einen entscheidenden Punkt nicht außer Acht gelassen hätten und das ist die Welt Energiewende die inzwischen angelaufen ist. Sie wird zu einer kompletten Neuausrichtung der Außenpolitik aller Länder führen. Das wird man schon in Paris in ein paar Wochen deutlich sehen. Die USA und China werden ihre Verweigerungshaltung aufgeben und es wird einen Klimavertrag geben. Nicht weil die beiden Länder auf einmal grün geworden sind sondern weil es sich rechnet. Auch das was die G7 vor ein paar Wochen in D. zu dem Thema so von sich gegeben haben wäre vor 2 Jahren noch undenkbar gewesen. PV und Wind sind an guten Standorten inzwischen unschlagbar preiswert. Was hat das Ganze mit den Flüchtlingen zu tun? Das was die USA im nahen Osten vor ein paar Jahren angefangen hat hatte viel damit zu tun sich den Zugriff auf die letzten Ölreserven zu sichern. Inzwischen ist klar das diese Reserven an Bedeutung verlieren. Die USA hat sich zurück gezogen weil sie erkannt haben das sie das Öl für ihre Energieversorgung nicht benötigen. Das führt derzeit zu einer völlig neuen Ausrichtung ihrer Politik. Ich vermute sie werden sich immer weiter zurück ziehen aber das wird man sehen. Dieser Rückzug hat ein Vakum hinterlassen in das sich jetzt Religions und Stammeskrieger gestürzt haben und die haben da ein Chaos angerichtet. Da die Energiewende, speziell PV, von Natur aus dezentral ist und sie auch keine große Infrastruktur benötigt wird es jetzt möglich auch in der dritten Welt eine preisgünstige Energieversorgung aufzubauen und den Lebensstandard in der Fläche zu heben. Dazu benötigt es eigentlich kein neues Wirtschaftssystem wie sie meinen sondern eine mehr soziale Ausrichtung des Kapitalismus und faire Handelsbedingungen. Damit sollte man in einigen Jahren die Fluchtgründe beseitigen können und für die Menschen eine Perspektive schaffen . Sollte es vorher noch zu einer Art von Völkerwanderung mit den dabei einhergehenden Verwerfungen kommen wäre das schon fast tragisch und sollte unbedingt verhindert werden da eine Lösung grundsätzlicher Art vor der Tür steht. Was man im nachhinein gar nicht hoch genug bewerten kann ist das der frühere SPD Politiker Hermann Scheer das schon vor 10 Jahren genau so vorher gesagt hat. Leider ist er viel zu früh verstorben

  34. @Engelmann#34

    Mein lieber Herr Engelmann, Sie können aber auch ganz schön kryptisch sein…

    Eine Frage wäre, wie man sich methodisch der „Prämissen des eigenen Ansatzes“ bewußt werden kann. Ich denke schon, daß ich das kann, würde aber gerne genauer wissen, was Sie damit meinen.

    Etwas nachdenklich reagiere ich auf den Terminus „historische Entscheidungssituation“.
    Ich schätze nicht Sie so ein(!), aber verbirgt sich in dem Terminus nicht eine „Endzeitphantasie“, die allzugern von Notsituationen allzuviel Aufhebens macht, um eigene Interessen durchzusetzen?

    Könnte man nicht gelassener auf die Aufgaben reagieren und zunächst die Hilfe, dann die Beruhigung und dann die Entwicklung zum gegenseitigen Nutzen hervorheben?
    Es sind sehr viel größere Herausforderungen bewältigt worden.
    Sie weisen ja auch darauf hin, daß Sie unpathetisch sprechen, aber mit freundlichem Lächeln gesagt, ist jede Entscheidungssituation eine historische.

    Nur dann, wenn sie pathetisch oder ideologisch überhöht wird, ist sie keine historische Entscheidungsituation mehr, sondern eine geschichtsverfälschende.
    (Über den Satz muß ich aber selber nochmal nachdenken) 🙂

    Ich möchte deshalb davor warnen, das Schicksal des Abendlandes, Morgenlandes und sonstiger Länder an Einzelschicksalen entscheiden zu wollen.

    Ich will Ihnen da nicht „in die Parade fahren“, aber gerade die konkrete Hilfsbereitschaft vieler Bürger zeigt doch, daß sich viele Menschen der „historischen Entscheidungssituation“ verweigern und auch den ideologischen Überhöhungen eine Abfuhr erteilen.

    Ich finde das ermutigend.

  35. „Was man im nachhinein gar nicht hoch genug bewerten kann ist das der frühere SPD Politiker Hermann Scheer das schon vor 10 Jahren genau so vorher gesagt hat.“

    Aber auch er hat, unter Verschweigen / Unwissen / Ignoranz von Problemen mit seinen Visionen, Erwartungen geweckt, die so nicht erfüllt werden konnten.
    Denn auch seine Visionen der „Energie-Revolution“ (Kampagne für Energieautonomie: „Die 4. Revolution – Energy Autonomy“ Quelle: http://www.hermannscheer.de/de/index.php/presse-mainmenu-112/pressemitteilungen-mainmenu-106/718-kampagne-fnergieautonomie-qdie-4-revolution-energy-autonomyq) sind ja niemals zu 100% „erneuerbar“ gewesen, was er aber immer behauptet hatte, und das Ressourcenproblem wurde dadurch von den fossilen Energieträgern Kohle, Erdöl, Erdgas mehr und verstärkt zu anderen endlichen Ressourcen hinüber verlagert.

    Mehr Stromantriebe im Straßenverkehr bedeuten z.B. mehr Elektrolyse-Kupfer, seltene Erden, usw., und Speichertechniken mit Akkumulatoren haben auch viele neue Ressourcen-Erschließungen als zusätzlichen neuen Bedarf zur Folge, da gibt es also kein Entrinnen, höchstens ein Verlängern des Zeitraums bis zum Versiegen der Ressourcen.

    Hermann Scheer war der Apologet des „Freibiers für Alle“, des „Genuß ohne Reue“, jetzt etwas überspitzt formuliert, aber das war sein Fehler, und auch eine Frau Ypsilanti ist doch daran mit Hermann Scheer zusammen gescheitert.

    Das sind die wahren Fakten!

    Grenznutzenprobleme sind für die Mathematiker (und alle anderen Experten) doch nichts Neues, will heißen, der Aufwand für eine Verbesserung übersteigt den Ertrag = diese „Verbesserung“ wird dann faktisch eine Verschlechterung.

    Hermann Scheer ist doch viel zu kurz gesprungen!

  36. Kleiner Nachtrag:
    H. Scheer und seine Jünger glaubten ja auch, es genüge, die Kernenergie schlecht zu reden und ihre Probleme herauszustellen, aber die eigenen „Visionen“ in den Himmel zu heben und deren Probleme zu wenig noch zu überblicken.
    (Auch das „smart grid“ als „Wunderwaffe“ bringt doch Probleme, wenn die Hacker und Terroristen hier ansetzen.)

    Damit aber wiederholte er eben genau die Fehler, die damals beim Einstieg in die Stromerzeugung mit der Kernenergie bereits gemacht wurden, denn auch da wurden „Visionen“ bemüht.

    ALLE RESSOURCEN intelligent zu nutzen, das wird einmal eine Notwendigkeit sein, dazu muß man aber auch kein Prophet oder Visionär sein, nur ein Realist.

  37. Nachtrag Nr. 2

    Sozialdemokratische Partei Deutschlands
    Der Parteivorstand
    vertreten durch die Generalsekretärin Yasmin Fahimi schreiben:
    ———————————
    „Held des grünen Jahrhunderts“

    Sie nannten ihn „Sonnengott“: Hermann Scheer war einer der Ersten in der SPD, der den Umstieg auf Erneuerbare Energien forderte.

    ——————————–
    Quelle: http://www.150-jahre-spd.de/86974/hermann_scheer_portraet.html

    Man möge es mir auch bei dieser alten Partei nachsehen, daß ich generell kein „Gottheiten“ anbete, auch keine „Sonnengötter“!

    Friedrich Ebert, Otto Wels, Kurt Schumacher, Herbert Wehner, aber auch viele andere mit Bodenhaftung waren mir immer lieber gewesen als diese Art von „Götter“.

  38. ALLE RESSOURCEN intelligent zu nutzen, das wird einmal eine Notwendigkeit sein, dazu muß man aber auch kein Prophet oder Visionär sein, nur ein Realist.
    Gerade als solcher sollte man dagegen sein so wertvolle Rohstoffe wie ÖL, Gas und Kohle zu verbrennen. Ansonsten stellt sich objektiv die Frage ob es richtig ist sich selbst als Realist zu sehen.

  39. Ich habe gerade den Presseclub gesehen. Kurz zusammen gefasst hat man für Diplomatie und für millitärisch gesicherte Zonen z. B. an der türkischen Grenze plädiert. Das hat die Türkei wohl sogar angeboten. Das müsste man in Angriff nehmen und auch so absichern das man da ein menschenwürdiges leben führen kann bis man in die Heimat zurück kehrt. Besser heute als morgen.

  40. „Gerade als solcher sollte man dagegen sein so wertvolle Rohstoffe wie ÖL, Gas und Kohle zu verbrennen.“

    Das ist absolut richtig, hans, aber auch die anderen Rohstoffe sind im richtigen Maßstab / Verhältnis zu schonen, denn wenn die weg sind, dann ist doch auch das Ende der Fahnenstange erreicht, auch wenn alles an Kohle, Erdöl und Erdgas im Boden bleiben würde, was ja sowieso nicht geht wegen der Chemischen Industrie und der Stahlverhüttung usw., da gibt es auch ohne Verbrennung viele Verbraucher.

    Alles ist eine reine Optimierungsaufgabe, aber auch der Umgang mit dem Uran und dem Thorium, den um einige Zehner-Potenzen Energie-reicheren Rohstoffen als die Kohle, das Erdöl und das Erdgas, die dann aber auch wiederum gespart werden könnten.
    Die bisherigen Atommächte lassen diese Nutzung doch sowieso nicht bleiben, neue stoßen außerdem dazu mit noch schwach entwickelter Sicherheitstechnik. Das ist doch da auch noch ein wichtiger Punkt dabei!
    Zu Kretas Hochebenen stimme ich Ihnen übrigens teilweise zu, Griechenland könnte dann Strom exportieren, aber auch die Widerstände der Naturschützer würden doch bleiben, selbst wenn die meisten Touristen an den Stränden nichts merken sollten, aber die neuen Windräder sind doch grob geschätzt 10-fach (140 Meter Nabenhöhe und 117 Meter Rotordurchmesser) höher als die alten von vor 200 Jahren.

    ALLE RESSOURCEN intelligent zu nutzen ….“

  41. Nicht nur Putin handelt machtpolitisch, wenn es um Flüchtlinge geht!
    Zitat:
    „Flüchtlinge in der Türkei
    Die Macht des Schleusenwärters

    In der Türkei sind mehr Flüchtlinge als in allen europäischen Ländern zusammen untergebracht. Lange hat Ankara versucht, Syrer an der Flucht nach Europa zu hindern. Nun demonstriert Erdogan seine Macht – und öffnet alle Tore.“
    Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/tuerkei-laesst-syrische-fluechtlinge-passieren-13814181.html

    Wir stehen in Europa erst am Anfang einer Entwicklung, wie sie ausgeht, das wird die Historie zeigen, deshalb keine kurzfristige Hektik, kein blinder Aktionismus.
    Und was / welche „Festung“ am Ende „bröselt“, das ist auch noch völlig offen.

  42. Als Trutzburg, die Eindringlinge abwehrt, ist die Festung Europa bereits zerbröselt, nachdem die süd- und südosteuropäischen Bastionen überrannt wurden. Die Fluchtburg, die den Fliehenden Schutz bietet, ist mangels der Solidarität der Europäer untereinander am Zerbröseln. Bleibt nur noch die Frage: Wohin mit den Bröseln?

  43. Zum Zitat von manfred petersmark:
    „Wohin mit den Bröseln?“

    Anderswo hatte ich schon angemerkt, daß die heutigen verantwortlichen führenden Politiker den 2. Weltkrieg in ihre Überlegungen einbeziehen, die kennen also auch den US-Panzergeneral George S. Patton mit Zitat:
    „Starre Befestigungen sind Monumente menschlicher Dummheit.“

    Außerdem kennen die doch auch die Festung Sewastopol auf der Krim, die auch schon die schweren Geschütze und Mörser nach Beschuß knackten.
    Erdogan und Putin wissen das vermutlich auch, wie man Festungen knackt, aber die andere Seite weiß das ja auch.
    Noch ein schönes Zitat aus der Wikipedia dazu:
    „Es ist heute Aufgabe des Denkmalschutzes, die ehemaligen Festungsanlagen oder deren Reste zu erhalten, damit sich die Menschen auch in späteren Zeiten noch eine Vorstellung über diese vergangene Epoche und den Folgen für ihr eigenes Leben machen können.“
    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Festung

    Die „Brösel“ und die „ehemaligen Festungsanlagen“ von Sewastopol auf der Krim, oder der Zitadelle von Ankara, oder die einer der weltgrößten antiken Festungsanlagen im kurdisch-türkischen Diyarbakır, oder die der „Festung Europa“, sind also Denkmäler und werden auch geschützt!

    Von Putin und Erdogan sicher ganz besonders intensiv und lange ……… 😉

  44. Liebe Blogfreundinnen und -freunde,
    wegen eines (leider recht schmerzhaften) Klinikaufenthalts war ich in den vergangenen 8 Tagen daran gehindert, auf irgendeinen Beitrag einzugehen.
    Soeben aus der Klinik zurück, werde ich mich bemühen, in den nächsten noch verbleibenden 3 Tagen bis zum nächsten „Verschwinden“ (Reise) wenigstens noch auf das eine oder andere aus diesem Thread (und evt., wenn möglich, aus dem zu „Beruf Neonazi“) zu reagieren (auch wenn, selbst in diesem Blog, die folgenden Diskussionskurven schnell genommen werden).

  45. Ein Thema wie die Knabenbeschneidung (wohl auch vorwiegend bei Juden und Muslimen ausgeübt) scheint also mehr Blogger-Zuspruch zu erfahren als das Flüchtlingsthema. Geht ja auch um persönliche Betroffenheit.

    Also machen wir dieses Blog-Thema dicht, oder? Hat sowieso keiner eine Lösung parat, weil es auch keine gibt. Ein Fünfzigstel dessen, was jetzt die Länder pro Flüchtling erhalten sollen, wäre der Betrag, um all denen, die unter erbärmlichen Bedingungen in den Flüchtlingslagern in der Türkei, in Jordanien und im Libanon vegetieren, zumindest die täglich Nahrung zu verschaffen. Also wäre dies zumindest ein Ansatz, weitere Völkerwanderung einzudämmen: man schafft Geld dorthin, um in den Lagern ein einigermaßen gutes Auskommen zu ermöglichen. Und vielleicht dabei gleich Asylanträge und Einwanderungsanträge zu prüfen.

    Dieser Blog hat sich zu einer kruden Mischung aus weltfremden und historisierenden Beiträgen, die niemand helfen und niemand weiter bringen, entwickelt. Es wird nicht zur Kenntnis genommen, das die Falschen zahlen und die Falschen profitieren. Flüchtlinge werden instrumentalisiert, um die Löhne und Sozialkosten, z.B. für Hartz-IV-Empfänger, zu drücken. Von der Presse hochgejubelte „Heilige“ wie St. Angela entpuppen sich als Scheinheilige. Keiner hat eine Idee, wie dieses unser Land, in welchem lt. den Schleusern Milch und Honig fließt, sich so aufstellen kann, das die Humanität nicht auf der Strecke bleibt.

    Der Tisch muß gedeckt werden für die Flüchtlinge, aber dies sollen hauptsächlich die „unten“ tun, die „oben“ wollen sich daran nicht beteiligen. Es ist Geld da in unserem D-Land, und die schwarze Null im Rollstuhl wüßte auch, wo es herkommen könnte, ohne den Bundeshaushalt zusehr zu strapazieren. Aber da ja unsere Regierung vorwiegend die Interessen der oberen 1% der Bevölkerung vertritt, werden demnächst eher dann Pensionen, Renten, Sozialleistungen und Anderes mehr gestrichen als die Steuern für die Vermögenden erhöht.

    Dies kann ein Schuß sein, der nach hinten los geht. 2017: AfD und NPD, mit CDU und SPD als Juniorpartner? Die Meinungsforschungsinstitut-Befragungen in den neuen Bundesländern, also unserem „Nahen Osten“ deuten heute schon die Richtung an.

    Und jetzt bitte nicht wieder solch tollen Vorschläge wie von BvG am 18.09. Diese friedlichen Siedlungen in Meck-Pom, Sachsen-Anhalt und Brandenburg möchte ich sehen. Da kann sich BvG dann selbst schützend davor stellen. Abgesehen von der Frage, wer das bezahlt, und wer davon profitiert, von der Errichtung und dem Betrieb.

    Inzwischen scheint ja auch die Heuchelei und die Abgehobenheit Urständ zu feiern, weil es viele gibt, die Aktien von Konzernen besitzen, welche am Elend der Welt verdienen bzw. profitieren, Und genau diese Aktionäre machen dann einen auf „Gutmensch“, spenden oder engagieren sich ehrenamtlich. Zum Kotzen.

    Säkularismus, und dieses verdammte Sendungsbewußtsein hinter den abrahamitischen Religionen ist auch ein Grund für die Kriege, aber das wäre wieder ein anderes Blog-Thema, genauso wie die Tatsache der sich im Generationen-Abstand verdoppelnden Weltbevölkerung, wozu noch die Verwerfungen aufgrund des Klima-Wandels hinzukommen.

    Aber die „marktkonforme Demokratie“ wird es schon richten, oder?

  46. @Fladung

    Ideen habe ich genug geliefert, die in ihrer Gesamtheit sehr wohl funktionieren würden, für die einen werde ich zum Bundeskanzler ausgerufen, für andere als Spinner abgetan, aber näher darauf eingegangen ist kaum jemand und in ihrer Gesamtheit hat sie auch noch keiner bewertet.

    Ich glaube, daß ich auf alle Aspekte geantwortet habe und auch einige Lösungen angeführt habe.
    Aber so, wie steter Tropfen den Stein höhlt, so höhlt auch steter Pessimismus die Kreativität und manchmal glaube ich, daß der Satz :“Aber es ist wohl so, daß der, der eine Lösung hat, immer wieder das dazu passende Problem produziert.“ sehr zutreffend ist.
    Solange Menschen noch politisch, finanziell und ideologisch von den Problemen profitieren, werden diese auch nicht gelöst.

    Diese „friedlichen Siedlungen“ könnten auch in Eschborn, Kronberg oder Waldsolms stehen, und wenn diese Siedlungen rechtzeitig vom reichen Westdeutschland, welches Ostdeutschland ausgeplündert hat, in den neuen Bundesländern errichtet worden wären, nämlich für die dort ansässige Bevölkerung, dann gäbe es dort nicht die Problem, die man dort stellenweise hat.

    Und wenn zur Errichtung eines „Willkommensdorfes“ in einer Region gleich hunderte Arbeitsplätze entstehen, wird die Frage nach dem Profit auch anders gestellt.

    Um das Gute zu erkennen, braucht es auch guten Willen. Mindestens Optimismus.

  47. # 49, BvG: danke für Ihre schnelle Antwort. Leider befriedigt mich diese nicht. Denn meine Kardinalfrage wurde nicht beantwortet. Mag sein, daß dieses Siedlungssache teilweise die Flüchtlingsproblematik lindert, doch auch Sie übergehen die Grundsatzfrage: Wer profitiert, und wer bezahlt? Wieviele Flächen haben wir in Deutschland, wollen wir diese alle zubetonieren? Derzeit streiten wir hier in Camberg um eine Umgehungsstraße zur B8. Aber keiner fragt, warum, aufgrund der pro Straße und contra Schiene Entscheidungen eigentlich eine Umgehung notwendig ist. Die Infrastruktur ist marode, auch dank der „schwarzen Null“, und wir erleben seit mehr als einem Jahr eine Dauerbaustelle auf der A3, die fast täglich zu Unfällen und Staus führt.

    Und so ähnlich sehe ich es mit dem Flüchtlingsproblem. Wenn ich durch unsere Kleinstadt gehe, sehe ich Dutzende von leerstehenden, unbewohnten Häusern. Wäre doch wunderbar, wenn hier Flüchtlinge einziehen könnten! Wäre dies sowohl ökonomisch als auch ökologisch nicht viel billiger als eine neue Siedlung?

    Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum die Ossis so gegen Flüchtlinge sind? Weil sie den, natürlich auf Vorurteilen, aber auch eigenen Erfahrungen, Eindruck gewonnen haben, das sie selbst die Looser bei der ganzen Geschichte sind. Wer hat denn ausgeplündert, wir Alle?

  48. @fladung

    Wer geplündert hat, ist unter Kapitalismuskritikern recht eindeutig: Vor dem Mauerfall hat die Sowjetunion geplündert, zum Teil wegen Reparationsforderungen, zum Teil zur Aufrechterhaltung des eigenen dysfunktionalen Systems, vor und nach dem Mauerfall hat Westdeutschland geplündert, unter Ausnutzung der DDR als Billiglohnland und wegen der Dysfunktionalität des eigenen Systems.

    Profitieren werden auch hier nur die, die immer profitieren, aber ohne deren Kapitaleinsatz wird auch nichts passieren. Wir werden auch weiterhin von den Brosamen des Kapitalismus leben, derzeit ist die „historische Entscheidung“ (Engelmann) nicht mehr die, von wessen, sondern von wievielen Brosamen man zu leben hat.

    Eine „historische Entscheidung“ ist aber auch, wieviele Brosamen es den Kapitalisten wert ist, Chaos und Revolution zu verhindern. Sie sind längst gezwungen, da System aufrechtzuerhalten. Das Kapital lebt nicht mehr von der Krise, sondern von der Berechenbarkeit der Krisen.

    Es gilt jetzt, die Krise berechenbar zu halten. Kurzum, der Bogen des Neokapitalismus ist überspannt und nun muß man die Opfer der eigenen Politik integrieren.

    Dies wird auch gelingen. Aber hier sitzen Sie (Fladung) selbst dem „Almosengedanken“ auf.

    Marode Häuser, verlassene Landschaften, Kleidersammlungen für Flüchtlinge?
    Resteverwertung für Bedürftige?

    Sie denken nicht so, das weiß ich.

    Alle diese Menschen haben einen Anspruch auf moderne Politik. Wir, als Deutsche, haben diesen Anspruch schon immer, weil wir in diesem Land wohnen. Er ist uns nicht erfüllt worden. Warum nur?

    Jetzt, da eine große Zahl von Menschen diesen Anspruch einfordern, wird es uns bewußt. Warum nur?

    Weil diese Menschen nicht nur vor Not und Bedrohung flüchten, sondern mit einem Anspruch auf moderne Politik.

    Wir sollten sie als Verbündete sehen.

  49. Jaa! Mit Optimismus und Tatendrang kommen wir sicherlich weiter. Wenn wir immer alle möglichen Hindernisse vor und rückwärts diskutieren, sind wir bald entmutigt und kommen nicht weiter. Sicher könnten wir gemeinsam mit Flüchtlingen in den leerstehenden Häusern auf den Dörfern und in den Kleinstädten Projekte entwickeln, die allen nutzen würden. Der Aufbau der verkommenen Häuser könnte verbunden werden mit Ausbildung in den verschiedenen handwerklichen Gewerken, mit Sprachkursen, Stützunterricht für die Berufsschule, begleitet von Patenschaften aus den dörflichen Gemeinden. Ich glaube, in jeder Gemeinde gäbe es dafür Potential, ich wage sogar mir vorzustellen, dass man rechte Jugendliche damit auch einbinden könnte, wenn sie für sich eine neue Perspektive entwickeln könnten. Ich sehe, wie Berlin überlaufen wird mit kreativen Kräften, wie die Stadt sich füllt, preiswertes Wohnen durch Spekulanten vernichtet wird und ärmere Menschen verdrängt werden. Eine sensible Initiative zur Aufwertung des ländlichen Raums, unter Einbeziehung der Einheimischen und der Ansiedlung von Flüchtlingen könnte ein Gewinn für alle sein, wenn es gut vorbereitet wird und den Alteingesessenen nicht übergestülpt wird. Man könnte auch bei den Landbesitzern dafür werben, einen Teil ihrer Ackerflächen temporär abzugeben, damit Migranten dort ihr Gemüse anbauen können. Migranten aus ländlichen Gebieten würde das auch ein wenig Heimatgefühl zurückgeben.

  50. @ Wolfgang Fladung

    „Dieser Blog hat sich zu einer kruden Mischung aus weltfremden und historisierenden Beiträgen, die niemand helfen und niemand weiter bringen, entwickelt.“

    Einspruch, Euer Ehren. Dieses Blog entwickelt sich weiter. Das ist keine krude Mischung, sondern orientiert sich an den Leserbriefen und an der Linie der FR, die immer auf der Seite der Unterprivilegierten gewesen ist. Insofern passt das Thema Beschneidung sehr gut zu diesem Blog und seiner Linie. Ich weise auch darauf hin, dass es weitere Diskussionen zu Juncker und VW gibt.

    Oder hast Du Dich nur unglücklich ausgedrückt, meinst Du mit „dieser Blog“ nur diesen Diskussionsstrang? Das Blog (nicht „der“ Blog; das Wort Blog leitet sich her von „Weblog“, also Online-Tagebuch) ist die Webseite insgesamt. Wenn Du nur diese Diskussion meinst, dann ist die korrekte Bezeichnung dafür Thread. Das heißt „Faden, Strang“ und meint eine Folge von mehr oder weniger aufeinander eingehenden Diskussionsbeiträgen.

  51. Ich halte es oft mit einem alten Schimpansen im Affenhaus des Frankfurter Zoos, seinen Namen erinnere ich gerade nicht mehr, aber damals gab es auch noch das Nilpferd „Dynamit-Rudi“, der versonnen das Treiben der Menschen im Affenhaus betrachtete. Dann kratzte er sich am Kopf, zerquetschte eine Steinlaus zwischen den Fingern und murmelte vor sich hin:

    „Nur gut, daß diese Menschen alle hinter Gittern sind.“

    Ich konnte ihm schon damals nicht ernsthaft widersprechen ….

  52. # 53, Bronski: korrekt, ich bringe manchmal Begriffe durcheinander. Ich meinte natürlich Thread, weil mir die Beiträge einfach zu abgehoben waren und zuweit von der Wirklichkeit entfernt.

    # 51, BvG: Ich mag mich nicht mit „Brosamen“ begnügen, sondern ich fordere eine Politik, die endlich einmal all die 1 – 10% zur Kasse bittet, die jahrelang den Rest der Gesellschaft als „Tischdecker“ und Vermögensbeschaffer ge- und mißbraucht hat. Aber leider ist ja von unserer durch und durch neoliberalen Regierung nichts besseres als „Brosamen“ zu erwarten, welche dann noch zu Wohltaten verklärt werden.

  53. Was war jetzt eigentlich das für eine Einladung von St. Angela, bei der sie eben nicht nur für D. gesprochen hat, sondern für ganz Europa? Das Ganze ohne Unterscheidung, ob nicht gerade die deutsche Politik der letzten Jahre mit dazu beigetragen hat, das es auch in Europa ein gewaltiges Gefälle zwischen reichen und armen Ländern gibt. ES wäre absolut unangemessen, jetzt z.B. von Spanien und Griechenland mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50% zu verlangen, größere Kontingente an Flüchtlingen aufzunehmen, insbesonders mit der Kenntnis, der eine Mehrzahl der Geflüchteten junge Männer im Alter zwischen 18 und 25 Jahren sind. Hätte Merkel ihre salbungsvollen Worte mit einer Ansage verbunden, nämlich der, künftig z.B. den Soli in einen Flüchtlings-Soli umzuwandeln, der eher für die in den Flüchtlingslagern zurück gebliebenen gedacht ist als für all die, welche zumindest soviel Geld abdrücken konnten, um sich Schleuser leisten zu können. Wer nämlich nichts hat, muß brav in den Lagern in Jordanien, in der Türkei und im Libanon bleiben.

    Und wie wäre es endlich einmal mit einer gerechten Besteuerung der großen Vermögen, eben Steuern wie zu Kohls Zeiten? Zusammen mit einigen Tausend von den Ländern einzustellenden Steuerprüfern müßten sich hier etliche Milliarden finden lassen, die endlich einmal den Unmut und Frust aller im unteren Einkommensbereich beheben würden. Unmut warum? Na, weil gerechte Verteilung der Lasten notwendig wäre, und nicht die Haltung: Hilfe und Ehrenamt für lau, aber Steuervermeidung und -hinterziehung für Bares.

    Es wird aber eher in die andere Richtung laufen, das die Rechnungen der nächsten Monate und Jahre nur von einem Teil unseres Volkes bezahlt werden, und all die Reichen und damit auch Mächtigen sich einen schlanken Fuß machen.

    Dies wäre dann auch das, was ich, um den Begriff von BvG aufzugreifen, unter „moderne Politik“ verstehe.

  54. @ I.Werner, #52

    Ihr Beitrag wirkt erfrischend, vor allem im Vergleich zu ewig gleichen Formeln der Selbstbestätigung für Fundamentalkritik und Negativismus. Danke!
    Freilich muss man auch darauf gefasst sein, jede positive Überlegung prompt mit dem Vorwurf der „Naivität“ um die Ohren geschlagen zu bekommen, und sich dagegen immunisieren. Also bedarf die Bereitschaft, eigene Kreativität einzusetzen, auch der Ergänzung durch scharfe Analyse in harter ideologischer Auseinandersetzung. Dazu aber in einem anderen Beitrag.

    Zu einzelnen Ihrer Überlegungen:

    „Eine sensible Initiative zur Aufwertung des ländlichen Raums, unter Einbeziehung der Einheimischen und der Ansiedlung von Flüchtlingen könnte ein Gewinn für alle sein, wenn es gut vorbereitet wird und den Alteingesessenen nicht übergestülpt wird.“

    – Ich verlinke dazu einen interessanten Beitrag von Moshe Zuckermann und Shimon Stein (Zuckermann ist auch Autor von „Antisemit! Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument, wo er u.a. die Methoden der Netanjahu-Regierung analysiert) :
    http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/deutschland-kann-in-der-fluechtlingskrise-von-israel-lernen-13815287-p3.html
    Die Autoren stellen einen Vergleich mit der Situation Israels an, das von 1945-48 von 800.000 auf 1,7 Mio. Bewohner gewachsen ist, also mehr als die ursprüngliche Bevölkerung neu aufgenommen und, trotz schwierigster wirtschaftlicher Bedingungen, integriert hat. Bis 1989 hat sich die Bevölkerung fast noch einmal verdreifacht, auf 4,5 Mio. Menschen. Dabei wurde auch der Arbeitsmarkt ausgeweitet, und das Bruttosozialprodukt wuchs ständig.
    Und sie folgern: „Ein so starkes Land wie Deutschland mit mehr als 80 Millionen Einwohnern beziehungsweise eine Europäische Union mit etwa 500 Millionen Einwohnern kann also vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen mehrere Millionen Menschen aufnehmen.“
    Das eigentliche Problem ist also nicht der ständig beschworene, angeblich naturnotwenige Verteilungskampf, für die man Flüchtlinge verantwortlich macht, sondern die von „Bundespräsident Gauck angesprochene ‚gemeinsame Wertebasis'“.
    Auch hier spricht die Integration von Menschen aus sehr vielen verschiedenen Kulturen und aus über 70 Ländern den Überfremdungsängsten Hohn. Freilich wirkt die israelische „Schmelztiegel-Politik“, unter dem einigenden Band gemeinsamer Religion, auch als „Pulverfass“.
    In Abgrenzung dazu fordern sie daher, dass „gegenseitige Toleranz wieder zur Grundlage der Politik gemacht wird“, also eine Art „Verfassungspatriotismus“. Konkret heißt das, dass nicht nur die ‚Neuen‘, die Einwanderer, sondern auch die ‚Alten‘, die autochtone Gesellschaft“ zur Veränderung bereits sein muss. Und da liegt der Hase im Pfeffer – vergleiche nicht nur Orban. Denn das ist die Voraussetzung für die Entfaltung kreativer Energien.

    „Der Aufbau der verkommenen Häuser könnte verbunden werden mit Ausbildung in den verschiedenen handwerklichen Gewerken, mit Sprachkursen, Stützunterricht für die Berufsschule, begleitet von Patenschaften aus den dörflichen Gemeinden. Ich glaube, in jeder Gemeinde gäbe es dafür Potential.“

    – Auch hier ein positives Beispiel.
    Nach dem Krieg wurde u.a., fast aussschließlich von böhmischen Flüchtlingen, im Allgäu Neu-Gablonz aufgebaut, also eine ganze Glasbläserindustrie aus dem heutigen Tschechien nach Deutschland verlegt.
    Auch, wenn man die historischen Unterschiede hier wie auch beim Israel-Beispiel ins Auge fasst, wird dennoch deutlich, dass die unkenhafte Beschwörung von „Überforderung“ vor allem dem Ziel dient, zu verhindern, was man sowieso nicht will.
    Wie weit man, wie Sie meinen, „rechte Jugendliche damit auch einbinden könnte, wenn sie für sich eine neue Perspektive entwickeln könnten“, sei erstmal dahingestellt. Umgang mit Flüchtlingen ist ja nicht gerade deren Stärke. Eher sind sie auf eine sehr klare Sprache getrimmt. Und die kann nur heißen: Zu diesem Land gehört, wer seine Gesetze respektiert. Wer dies nicht tut, wird nicht ausgegrenzt, sondern grenzt sich selber aus – mit allen dementsprechenden Konsequenzen. „Ausländerfreie Zonen“ sind unter keinen Umständen zu dulden.

    Bez. der von Ihnen angsprochenen Vernichtung von Wohnungen durch Spekulanten zeichnet sich auch, vor allem in Berlin und Hamburg, bereits Bewegung ab:
    „In Berlin hat der Senat bereits mehrere größere Immobilien von privaten Eigentümern beschlagnahmt, um sie als Erstaufnahmeeinrichtungen oder für die Unterbringung von Asylbewerbern zu nutzen. (…) Laut Berliner Mieterverein stehen in der Hauptstadt „aus spekulativen Gründen“ bis zu 5000 Wohnungen leer.“
    „Der Hamburger Senat will derweil eine spezielle Rechtsgrundlage dafür schaffen, um leerstehende Gewerbeimmobilien für die Unterbringung von Flüchtlingen zwangsvermieten zu können.“
    (http://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise/fluechtlinge-in-berlin-zwangsvermietung-von-luxusimmobilien-13821718.html)
    Man muss solche Veränderungen eben nur wahrnehmen wollen und sie ausbauen. Das Wort „Eigentum verpflichtet“ steht schließlich im Grundgesetz.

    „Ich sehe, wie Berlin überlaufen wird mit kreativen Kräften…“

    – Nicht nur Berlin.
    Ich habe, in Vorbereitung auf mein eigenes Projekt, eben ca. 800 Einträge unter dem Stichwort „Flüchtlingstheater“ recherchiert. Die Fülle der bereits unternommenen Aktionen bestätigt Ihre Einschätzung.
    Meine Bedenken gehen dahin, dass die allermeisten Aktivitäten auf die augenblickliche Situation bezogen und sehr kurzfristig angedacht sind, also das Risiko in sich tragen, schnell wieder zu verpuffen (etwa Freikarten für alle möglichen Veranstaltungen, Benefizveranstaltungen usw.). Auch die „Schockmethode“, um Bedenkenträger aufzurütteln, überzeugt mich nicht: etwa Menschen freiwillig in Container zu pressen, um ihnen ein Gefühl zu geben, was mit den über 70 erstickten Syrern passiert ist. Ebenso zeugt es nicht von fundierten psychologischen Kenntnissen, von Flüchtlingen zu erwarten, sie könnten ad hoc ihre eigene traumatische Situation darstellen und sie so „bewältigen“.
    Was hier fehlt, ist das von Zuckermann und Stein oben angesprochene Bewusstsein, dass es sich nicht um Gebende und Nehmende handelt, sondern dass es um die Notwendigkeit beidseitiger Entwicklung in Hinblick auf eine gemeinsam zu bewältigende Aufgabe geht. (Ich sehe schon das Grinsen selbst ernannter „Realisten“ über so viel „Naivität“ vor mir, erspare mir aber das dafür geläufige Denunziationswort zur Verschleierung von deren eigenen Perspektivlosigkeit.)

    Meine Einschätzung geht in folgende Richtung:
    1. Es geht vor allem um längerfristig angelegte Orientierungen und Strategien der Integration.
    2. Diese Strategien sollten die Arbeit möglichst vieler Gruppen anregen und koordinieren.
    3. Es muss eine gemeinsame Arbeit von „Autochtonen“ und Flüchtlingen erfolgen.
    4. Es sollte Gelegenheit zur spielerischen Auseinandersetzung vor allem mit dem Neuen geben.
    5. Die Ziele der Integration und Vermittlung von Sprachkompetenz sollten nach Möglichkeit verbunden werden.
    Dazu bietet sich Theaterarbeit in besonderem Maße an. Und hierbei bietet die Arbeit an fiktiven Texten ein wesentlich breiteres Spektrum, und sie wird auch nicht als psychologisch so belastend erfahren.
    Mein eigener Beitrag wird in Hinblick auf diese Grundüberlegungen wie folgt aussehen:
    Ich werde demnächst meine Internet-Website eröffnen: fluechtlingstheater-kleiner-prinz.de
    Die Website wird Anregungen, Anleitungen und Texte für beliebig oft wiederholbare Aktivitäten und Veranstaltungen enthalten, die ich allen für an solcher Arbeit Interessieren zur freien Benutzung anbiete – unter der Voraussetzung der Nutzung im Rahmen solcher Flüchtlingshilfe und mit ausdrücklichem Verbot kommerziellen Gebrauchs (erforderliche Nutzungsrechte, vor allem von Gallimard, werden eingeholt).
    Anfang November ist mit Anleitungen zu Übungen und Kurztexten zu rechnen, bis hoffentlich gegen Weihnachten werden Inszenierungsvorschläge mit einem selbst verfassten, auf die Flüchtlingssituation hin orientierten Text nach Saint-Exupéry folgen. Alles erfolgt in 2 Versionen, auf deutsch und auf französisch.

  55. Nachdem der heutige Presseclub vorbei ist, bei Phoenix auch die Hörerfragen gestellt wurden, unterstütze ich gerne alle Menschen, die nicht dem „Negativismus“ (Zitat W. Engelmann) verfallen sind. „Negativismus“ sollte aber nicht als ein bequemes Synonym für Nihilismus gebraucht werden.
    Michael Naumann sprach heute viel von Moral, er erwähnte in dem Zusammenhang aber den Bertolt Brecht leider nicht, hatte er Ihn denn schon vergessen?
    Da ich mich selber viel mit der allzu kurzen Weimarer Demokratie beschäftigt habe und dem darauf folgenden 2.Weltkrieg, und auch wie Albert Einstein in einer solchen Situation den Pazifismus für (mich selber als) keine echte moralisch und ethisch vertretbare Alternative angesehen habe, hätte ich mir schon eine etwas weniger ausflüchtende Antwort auf die Frage einer Hörerin gewünscht, warum massenhaft flüchtende junge Männer sich und ihre Angehörigen, und auch ihre Werte und Ideale nicht vor Ort verteidigen? Ernst Busch und die Lieder dürften doch auch noch ein Begriff sein und auch Dolores Ibárruri Gómez (La Pasionaria). Vergessen also ……. !!!! ?
    Nur Ikonen noch an der Wand oder am Stammtisch einer Partei (Weißt Du noch …..)?

    In diesem Kulturkreis einer Großzahl der Flüchtenden aber gilt doch ganz besonders, man verteidigt sich, die Familie und den Clan, auch mit der Waffe in der Hand, aber auch oft noch eine ganz krude „Familienehre“, weil eine Tochter oder Schwester einen anderen Mann heiraten möchte, als es der Clan bereits bestimmt hatte. Ein klarer Widerspruch tut sich da doch auf, viel mehr noch als im alten Europa der Vorkriegszeit.

    Also sogar noch etwas ganz anderes als diese Haltung: „Pourquoi mourir pour Dan(t)zig?“ oder „Why Die for Danzig?“
    Denn diese Flüchtlinge (die Männer besonders gemeint) würden ja nicht für andere Länder kämpfen. Bei den Kurden stellen sich Männer und Frauen, sind aber auch ewig zerstritten, wie es dort auch Tradition ist und auch vermutlich so bleiben wird.
    Das Grundgesetz wäre zu achten, etwas wenig als Antwort, Herr Naumann hatte es dann auch nur auf die ersten 19 Artikel mit den Menschenrechten herunter gebrochen. GG light, ein Lippenbekenntnis reicht, oder was?
    Da hätte ich auch mal von Hern Naumann gerne eine Antwort gehört, aber vielleicht höre ich sie ja hier im Bronski-Blog noch anschließend von einem Kommentator, denn Zeit genug wäre dazu auch noch …….

  56. BvG, #37

    1. „… aber verbirgt sich in dem Terminus nicht eine „Endzeitphantasie“, die allzugern von Notsituationen allzuviel Aufhebens macht, um eigene Interessen durchzusetzen? (…)
    2. „…gerade die konkrete Hilfsbereitschaft vieler Bürger zeigt doch, daß sich viele Menschen der „historischen Entscheidungssituation“ verweigern und auch den ideologischen Überhöhungen eine Abfuhr erteilen. Ich finde das ermutigend.“

    Zu 1: Nein.
    Zu 2: Ich auch. Allerdings mit dem Zusatz, dass sich diese Menschen der „historischen Entscheidungssituation“ nicht verweigern, sondern sich ihr stellen.

    Damit es nicht bei bloßen apodiktischen Behauptungen beibt, wäre also der Terminus zu definieren.
    Nach Wikipedia:
    (1)“ Die Krise bezeichnet eine problematische, mit einem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation.“
    (2) „Eine Entscheidung ist eine Wahl zwischen Alternativen (…).
    „Komplexe Entscheidungen vollziehen sich in mehreren Schritten:“
    (verkürzt:) Entscheidungsbedarf- Ziel – Analyse – Schritte – Konsequenzen – Alternative – weiterer Verlauf – Revision.
    Zu (1) Der Schwerpunkt liegt auf „Wendepunkt“. Problematisch ist, dass diesen herbeizuführen oder zu verhindern nicht in der Macht des Handelnden liegt, sondern dass dies von außen aufgezwungen wird.
    Zu (2) Von diesen 7 Schritten ist, auf die jetzige Situation bezogen, bestenfalls das erste Niveau, das Bemerken der Existenz einer Entscheidungssituation erreicht, und lange nicht von allen. Bei den meisten „Bedenkenträgern“ scheint auch das noch nicht der Fall zu sein. Alles andere liegt im Dunkeln, und das macht wohl die Verunsicherung aus.

    Beispiel zu(1).
    Paradigmatisch ist hier sicher der Ausbruch des ersten Weltkriegs, der – so der australische Historiker Christopher Clark – von niemandem gewollt wurde, in den alle hineingeschlittert sind. Grund dafür war, dass nicht einmal der erste Schritt erkannt war, nämlich, dass eine Situation eines entweder – oder (Krieg – nicht Krieg) vorliegt, eine dritte Position ausgeschlossen ist. Dazu kam, dass imperialistische Machtpolitik (durch aufkommenden Nationalismus) am Ende engelangt war, die bisherigen Lösungsmechanismen der Kabinettspolitik nicht mehr griffen und eine grundsätzliche Neuorientierung erforderlich war. Indem keine der Mächte dazu bereit und (um das Gesicht zu wahren) zu einer ausdrücklichen Entscheidung für die Alternative „nicht Krieg“ in der Lage war, trat automatisch die erste Alternative, „Krieg“ in Kraft.
    „Historisch“ (im Sinne von „bedeutsam“ war diese Entscheidung (eigentlich Nicht-Entscheidung) insofern, als sie eine grundsätzlich andere Welt hinterließ.

    Bei der gegenwärtigen Situation ist es (ohne über Ausmaße zu spekulieren, also einen direkten Vergleich zu ziehen) durchaus ähnlich.
    Ans Ende gekommen sind Mechanismen der interessenbedingten Machtpolitik und Machtsicherung, insbesondere im Verhältnis zur 3. Welt, vor allem Ausbeutung der Ressourcen usw. Dauerhafte Konfliktlösungen sind, soviel ist spätestens seit Irak-Krieg und Syrien klar, in bisheriger Form nicht mehr möglich. Erforderlich ist eine grundsätzliche Neubestimmung, insbesondere der weltweiten Verteilung von Gütern und Ressourcen. Dies entspräche dem oben angesprochenen 1. Schritt: Entscheidungsbearf.
    Als „historisch“ kann diese Situation insofern bezeichnet werden, als sich „Globalisierung“ (bisher nur als ökonomische Ausweitung begriffen) nun von einer anderen Seite zeigt und in Form von Flüchtlingsmassen die Rückwirkungen präsentiert: Eine Einzellösung im nationalen Rahmen ist von vornherein nicht mehr möglich.
    Die Mauerspezialisten im Umfeld der Orbans oder Camerons und ihre nationalistischen Nachbeter verschließen sich vor dieser Realität. Sie flüchten sich zurück in eine umgrenzte, vermeintlich heile nationale Welt mit den entsprechenden ideologischen Fiktionen: „1000jähriges christliches Ungarn“ u.a. – Orban als der neue Stephan? Davor und danach gibt es keine Geschichte. Beim Massenmörder Milosevic war es ähnlich: Da begann die Geschichte auch erst mit der Schlacht am Amselfeld im 14. Jh.
    Nationalismus erscheint in diesem Zusammenhang als Realitätsverweigerung in dreifacher Hinsicht:
    (1) wird Globalisierung nicht in ihrer normativen und geschichtsverändernden Funktion wahrgenommen.
    (2) wird die Ohnmacht und Unfähigkeit nationaler Regelungen weitgehend geleugnet, Indiz dafür die Abkapselung (Fiktion nationaler Selbstbestimmung).
    (3) wird die gegenwärtige Krise als „Flüchtlingskrise“ statt als Strukturkrise begriffen: Das Indiz der Krise (Massenflucht) wird mit den Ursachen der Krise vertauscht. Im prinzipiell und im wörtlichen Sinn „bornierten“ nationalistischen Denken ein notwendiger Trugschluss: Denn es braucht schon aus ideologischen Gründen einen greifbaren und sinnlich wahrnehmbaren Sündenbock.

    Kleiner Exkurs zu „Realitätsverweigerung“:
    Was da an Katastrophen-Szenarien aufgefahren wird, um die Unmöglichkeit der Lösung der (angeblichen) „Flüchtlingskrise“ im Sinne des Asylrechts nachzuweisen, ist schon bemerkenswert (oder soll es sein). Komisch nur, dass nicht einer auf die Idee kommt, über Konsequenzen der eigenen – alternativen – Problem“lösung“ nachzudenken (Schritt 5 der Entscheidungsstrategien): Das wird regelrecht tabuisiert.
    Also: Was passiert denn nun mit den Flüchtlingsmassen rund um Orbans Stacheldrahtzaun?
    Alternative 1: Sie drehen sich um, 2000-3000 km Marsch zurück, wollen zurück in ihre zerbombten Häuser oder Flüchtlingscamps, sagen sich (falls sie da lebend ankommen) „Pech gehabt“ und zucken die Schultern. Und hinterlassen auf ihrem Weg schlimmstenfalls Felder wie nach einer Heuschreckenplage.
    Alternative 2: Sie entwickeln sich, mit Stacheldrahterfahrungen gestählt und mit Hass gegen Europa aufgepumpt, zum idealen und unerschöpflichen IS-Rekrutierungsfeld. –
    Was ist da wohl die realistischere Perspektive?

    Schlussfolgerung:
    Ich hoffe, es wurde etwas klarer, wer sich hier der Realität verweigert und wer bereit ist, diese nicht nur zu erkennen, sondern auch zu Lösungen beizutragen und hierfür seine Kraft und seine Kreativität einzusetzen.
    Mit „Moral“ oder dem angeblichen Bedürfnis, sich als „Gute“ von anderen abzugrenzen, hat das überhaupt nichts zu tun. Welches meine Motive für meine Handlungen sind, ist mein ganz persönliches Problem, und das geht auch niemanden etwas an. Darum habe ich auch nicht vor, mich auf einer solch idiotischen Ebene noch auf irgendeine Diskussion einzulassen. – Entscheidend ist allein, was erkennbar geschieht und welche Konsequenzen es zeitigt.

    Einer weiteren Begründung für die gegenwärtige „Entscheidungssituation“ bedarf es nicht. Die haben Sie selber gegeben:
    “ Weil diese Menschen nicht nur vor Not und Bedrohung flüchten, sondern mit einem Anspruch auf moderne Politik. Wir sollten sie als Verbündete sehen.“ (#51)
    – Exakt! – Und unter dieser Voraussetzung stellen sich viele, scheinbar völlig festgefahrene Probleme, auch der Verteilung, neu und anders. Und es bedarf nicht des ständigen, nicht einen Punkt verändernden Lamentierens über „die oben“ und all die Ungerechtigkeiten überhaupt, welche durch diese blöden Flüchtlinge auch noch verschärft werden.
    Eben das habe ich am Ende von #24 unter Punkt 1-4 gemeint.

    Ich verabschiede mich hiermit für etwa 2 Wochen aus diesem Blog. Ich werde, zumindest in diesem Thread, nicht mehr antworten können.
    Ich wünsche allen eine frohe Zeit!

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