De Maizière sollte vor der eigenen Grundwertetür kehren

Unwort des Jahres 2016 war das Wort „Volksverräter“. Wir erinnern uns. Unwort unter anderem deswegen, weil es Klarheit behauptet, wo in Wirklichkeit gar nichts klar ist, denn um zum Verräter am Volk zu werden, muss es so was wie „Volk“ erst einmal geben. Volk! Was ist das? Ist das nicht lediglich eine Unterstellung, eine Behauptung, ein Konstrukt? Andersdenkende zu Verrätern an einer frei deklarierten „Volksmeinung“ zu erheben, erspart natürlich manch anstrengende Debatte, manchen Lernprozess und erst recht so manches Umdenken.

Volk! Was soll das sein? Eine Rasse, eine Ethnie? Reden wir also über Arier, müsste das Unwort eigentlich „Arierverräter“ heißen? Zu welchem Volk gehört dann beispielsweise einer wie Jerome Boateng, Spieler der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer und Weltmeister von 2014, Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters, Inhaber der deutschen Staatsbürgerschaft, geboren und aufgewachsen im Berliner Stadtteil Wedding? Die Sorben, die auf deutschem Staatsgebiet leben und die deutsche Staatsbürgerschaft haben, aber dennoch ihre Eigenheiten betonen und leben — gehören die dazu zum Volk? Die Angehörigen der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, die sich selbst als dänische Südschleswiger sehen und in der Regel die alleinige deutsche Staatsbürgerschaft besitzen — müssen die nun etwa ausgesiedelt werden?

„Der mehrdeutige Begriff Volk“, so steht es bei Wikipedia, „bezeichnet eine Reihe verschiedener, sich teilweise überschneidender Gruppen von Menschen, die aufgrund bestimmter kultureller Gemeinsamkeiten und Beziehungen und zahlreicher Verwandtschaftsgruppen miteinander verbunden sind.“

LeitkulturdebatteEine wachsweiche Definition, denn natürlich muss man als nächstes erst einmal definieren, durch welche dieser „bestimmten“ kulturellen Gemeinsamkeiten das Volk, von dem hier die Rede ist, verbunden ist. Der Fußball bzw. die Nationalmannschaft scheidet aus, siehe oben. Sind wir also mal wieder bei der Leitkultur angekommen, diesem diffusen Herrschaftsinstrument des konservativ-seichten Mainstreams über alles, was ein bisschen anders ist?

Es ist nicht möglich, genau zu sagen, was ein Volk ist bzw. wer dazugehört. Die Unklarheiten nehmen zu, je klarer man den Begriff zu fassen versucht. Ebenso schwer ist es zu sagen, wer deutsch ist — eine Frage, der sich Arno Widmann in seinem Leitartikel „Wer gehört dazu?“ gewidmet hat; Anlass war eine Umfrage des Pew Research Center, die unter anderem herauszufinden versuchte, was einen eigentlich zum Deutschen macht. Letztlich ist das nicht bestimmbar. Das Kriterium, dass jemand von klein auf Deutsch spricht, ist ein ziemlich kleiner gemeinsamer Nenner. Alles andere, was herangezogen werden könnte — vom Reinheitsgebot des deutschen Bieres bis zum Christentum –, reicht nicht aus. Man muss nur an die Hugenotten erinnern, französische Protestanten, die im 17. Jahrhundert zu Zehntausenden nach „Deutschland“* flohen und sich in großer Zahl rund um Frankfurt und auch in meiner Stadt Offenbach niederließen und ein Wirtschaftswunder begründeten. Sie waren zweifellos keine Deutschen, aber sie wurden dazu. Durch Integration.

Wenn es nicht möglich ist, ein Volk zu definieren, wenn dieses behauptete Volk also zweifelsfrei nicht existiert, dann ist es auch nicht möglich, dieses Volk zu verraten. Wenn es lediglich um ein Zusammengehörigkeitsgefühl geht, warum sagen wir dann nicht einfach wie der hessische Grünen-Politiker Frank Kaufmann in seinem Gastbeitrag für die FR: „Wer die Verfassung lebt, gehört dazu“ ?

Traurig? Nein, gar nicht. Denn wozu brauchen wir so was wie „Volk“? Doch nur dazu, um uns abzugrenzen. Warum sollte das nötig sein in einer Welt, die längst erkannt hat, dass Ziele miteinander erreicht werden und nicht gegeneinander? Dass es momentan Entwicklungen gibt, die daran zweifeln lassen, ob wirklich alle Zeitgenossen diese Erkenntnis teilen, spricht nicht gegen die Erkenntnis an sich.

Wir sind keine Völker. Wir sind keine Nationen. Wir sind Menschen.

*In Anführungszeichen deswegen, weil es Deutschland im 17. Jahrhundert noch nicht gab.

fr-balken

Leserbriefe

Heinz Orth aus Walldorf plädiert dennoch dafür, die Zugehörigkeit zu diesem nicht existierenden Volk zu begrenzen:

„Ich stimme Ihren Ausführungen weitgehend zu. Die Begrenzungen einer schrankenlosen Zugehörigkeit (besonders kontrovers diskutiert in der Migrationskrise) resultieren allerdings aus anderen Gründen, nämlich aus dem Sozialstaatsmodell: Jeder „Deutsche“ inklusive akzeptierte Asylbewerber hat Anspruch auf im internationalen Maßstab sehr großzügige Sozialleistungen. Da dies nie schrankenlos möglich ist, müssen wohl oder übel Begrenzungen eingeführt werden, die häufig weder objektiv und schon gar nicht moralisch gerechtfertigt sind (z.B. Ausschluss von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen). Das ist der Kern der zu führenden, höchst schwierigen und anspruchsvollen Debatte. Leider verweigert sich größtenteils sowohl die Politik, Medien, ja selbst Migrationsforscher dieser unausweichlichen Debatte.“

Klaus Lötzbeier aus Frankfurt hat ein paar Merkmale des Deutschen gefunden:

„Die Fragen ‚Wer gehört dazu?‘ und ‚Was ist deutsch?‘ sind für mich verschiedene Dinge. Was Deutsch ist, würde ich gerne aus der Sicht der 50er und 60er Jahre betrachten, zu dieser Zeit waren die Merkmale, Pünklichkeit, Ehrlichkeit, Fleißig- und Gewissenhaftigkeit, beachten der gültigen Gesetze, Toleranz usw. Diese positiven Eigenschaften wurden im allgemeinen den Deutschen zuerkannt, woher kam sonst die positive englische Version der Beschreibung unserer Arbeit, „Made in Germany?“ Natürlich trafen diese Eigenschaften nicht uneingeschränkt auf jeden Deutschen zu, ebenso gab es Menschen anderer Völker die diese positiven Eigenschaften lebten. Heute hat sich die Sicht auf uns Deutsche mit diesen positiven Eigenschaften sehr ins Negative verschoben. Für fast alle von mir aufgeführten Eigenschaften ist das Verhalten bei einer großen Anzahl der Menschen schlechter geworden, das ist nicht gut und macht auf die Dauer unseren guten Namen in der Welt kaputt, und damit geht auch die Wirtschaftsleistung zurück. Hier sehe ich als Grund die Eltern in erster Linie und als Fortsetzung die Schulen, um hier einiges zu ändern ist viel Arbeit erforderlich.
Genau wie Herr Widmann denke ich allerdings auch, dass sich von den guten Eigenschaften nichts zu dem Stolz ableiten lässt, dass sollte normales Verhalten in einer guten Gemeinschaft sein.
Überhaupt nichts kann ich auf diesen Fall bezogen mit dem von Herrn Widmann aufgeführten Problem der drei Buchstaben anfangen. Diese haben meiner Meinung nach nichts mit dem Thema zu tun, was deutsch ist.“

Robert Maxeiner aus Frankfurt meint:

„Diesen Kommentar von Frank Kaufmann über Grundwerte halte ich für die Bestätigung eines soliden Demokratieverständnisses, der in jeder  deutschen Schule gelehrt werden sollte. Er entlarvt all die Laberer über  eine sogenannte deutsche Leitkultur als Gegner Deutschlands. Wer auf  Grund von Vorurteilen, Eigennutz und mangelndem oder falschen Demokratieverständnis diese Grundwerte in Frage stellt, dem sollte klar sein, dass er sich selbst aus der Solidargemeinschaft ausschließt. Diskurs, Streitkultur und politische Auseinandersetzung sollten auf der Grundlage dieser Verfassung stattfinden und nicht gegen sie, sonst schaden wir uns selbst und unserer Kultur.
Leider ist es so, dass Parlamentarier wie der Innenminister, die diese Verfassung schützen  sollen, sie immer wieder mit perfiden Deals zu schwächen versuchen. Dies stärkt die Falschen, die Gegner Deutschlands. Das sind diejenigen, die ein anderes Deutschland wollen. Diese Gruppierung aus Jung-, Alt-, Möchtegern- und Möchtelieberdochnicht-Nazis, die sich  Partei nennt, wo bleiben ihre Alternativen, die sie großspurig im Namen  trägt? Was haben ihre Mitglieder auf der Grundlage dieser Verfassung anzubieten? Bisher kommen fast ausschließlich Vorschläge jenseits von Verfassung und Grundgesetz. Damit legitimieren sie sich nicht für  Parlamente, sondern für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Aber um hier klare Verhältnisse zu schaffen, müssten Leute wie De Maizière und Seehofer erst mal vor der eigenen Grundwertetür kehren und der Verfassungsschutz das tun, wofür er da ist, nämlich die Verfassung schützen.“

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57 Kommentare zu “De Maizière sollte vor der eigenen Grundwertetür kehren

  1. „Armut bezeichnet primär die mangelnde Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Kleidung, Nahrung, Wohnung und Erhaltung des Lebens. Im weiteren und übertragenen Sinn ist Armut allgemein ein Mangel. Der Inhalt des Begriffes basiert auf subjektiven und zum Teil höchst emotionalen und kulturell geprägten Wertvorstellungen.“(Wikipedia).
    Wie wachsweich ist das denn? Was soll der Bergriff Armut, wenn man nicht ganz genau sagen kann, wer arm ist und wer nicht. Also: Armut gibt es nicht.

    @ Bronski
    Jeder, der sich auch nur in Ansätzen mit der Linguistik beschäftigt, erfährt bei der ersten Betrachtung des Verhältnisses von Wort zu Inhalt, dass die gesprochene Sprache nur durch die Mehrdeutigkeit ihrer Begriffe lebt. Die Eindeutigkeit oder gar Eineindeutigkeit von Begriffen ist ein Kennzeichen der Fachsprachen und Kunstsprachen. Mit der von Ihnen benutzten Methodik, die ich mit dem Begriff Armut nur nachgeahmt habe, lässt sich sofort nachweisen, dass unsere gesamte Kommunikation komplett inhaltsleer ist. Deshalb sind Sie zu Ihrem Glück auch nicht gezwungen, zu verstehen, was ich gerade geschrieben habe.

    btw: Meinen Beitrag zum Thema Armut halte ich für kompletten Blödsinn. Mit Ihrem Beitrag zum Thema Volk geht es mir ähnlich.

    Man kann bei Adam und Eva anfangen, über die Stammesgesellschaften gehen und dann bei den heutigen politischen Gebilden ankommen, um auch ohne die Negierung der Geschichte festzustellen, dass es sich hier um Tradionskörper handelt. Man kann die auch Völker nennen, und beim amerikanischen Volk hat da auch keiner Bedenken, beim deutschen Volk dagegen schon, was ich verstehen kann, denn die Historie bringt es mit sich, dass Begriffe Gefühlsinhalte besitzen. Das habe ich bei meinem Vater vor 30 Jahren mal mit einem Text des Kalibers, wie sie heute von der AfD kommen, ausprobiert, der ihn als „Patrioten“ fürchterlich in Wallung brachte. Ich habe ihn nur gebeten, mir den selben Text noch einmal vorzulesen und dabei jedesmal „das deutsche Volk“ durch „die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland“ zu ersetzen. Danach war dieser Text auch für ihn banal.

    Das heißt aber nicht, dass es ein deutsches Volk nicht gäbe, sondern nur, dass dieser Begriff bei uns belastet ist. Ihn deshalb aus der Sprache auszuschließen, die klassische PC-Strategie, bedeutet aber nur, die eigentliche Diskussion, die hier zu führen ist, mit denen zu unterlassen, mit denen man sie führen müsste. Stattdessen demonstriert man sprachlich, dass man unter sich bleiben möchte. Wenn wir uns erinnern, dass die Sprache der kleinste gemeinsame Nenner (Widmann) ist, konnte man auch sagen, dass wir durch die Regeln der PC über die Schaffung einer neuen Sprache versuchen, uns ein neues Volk zu machen, aus dem die anderen ausgeschlossen sind – wir nennen das nur nicht so. In der Konsequenz bedeutet PC, die Spaltung der Gesellschaft festzuschreiben und zu verstärken – PC ist keine Lösung.

    Also: Es gibt ein deutsches Volk, auch wenn die Grenzen, wie bei jedem Begriff der natürlichen Sprache, definitionsabhängig und nicht präzise zu ziehen sind. Was weder in der Vergangenheit möglich war, noch je möglich sein wird, ist ein Anspruch auf die Konstanz dieses Volkes in irgendeiner Definition. Auch die Aussage, dass jede Aufnahme neuer Elemente in dieses Volk unbedingt zu einer Verschlechterung führt, ist falsch, und das lässt sich historisch belegen.

    Um kurz auf Frank Kaufmann einzugehen, der hier als Apologet des Verfassungspatriotismus auftritt: Auch Verfassungspatriotismus ist eine Form der Leitkultur, wobei, irgendein Leser bemerkt das auch zu der von Kaufmann nur angerissenen „Der Islam gehört zu Deutschland“-Debatte, dieser Begriff nicht von Friedrich Merz stammt, sondern von Bassam Tibi. Tibi möchte allerdings niemand mehr kennen, seit der seinen Traum vom Euro-Islam begraben hat. Dabei ist die Sache mit der Leitkultur eigentlich trivial: Wenn wir Menschen aus anderen Kulturkreisen in Massen aufnehmen, werden die ihre Kultur behalten, weil sie sich nicht als Individuen in die vorhandenen Gesellschaft einstreuen, sondern dazu neigen, Inseln zu bilden. Und da kann es sein, dass Teile ihrer Kultur sich mit dem selbstbestimmten Teil unserer Kultur, den wir Verfassung nennen und als verbindliche Basis für alle betrachten, beißen. Wenn wir z.B. Kopfjäger aus Borneo aufnähmen, wäre es für uns völlig klar, dass die auf diesen Teil ihrer Tradition verzichten müssten, auch, wenn der für sie zentral und Bestandteil ihres Glaubens wäre. Eigentlich sollte es also eine Selbstverständlichkeit sein, die Traditionen von Neuankömmlingen auf ihre Demokratietauglichkeit zu betrachten und zu bewerten. Das machen wir bei bestimmten unserer fundamentalistischen Christen auch und nehmen ihnen die Kinder weg, wenn wir ihr Verhalten als nicht mit unseren Grundwerten vereinbar empfinden. Warum sollte man das bei Neuankömmlingen unterlassen? Eine Selbsterhaltung, die sich auf die Verfassung bezieht, als fremdenfeindlich abzulehnen, wäre auch und gerade für mich, der ich mich auch als Verfassungspatrioten bezeichne, ein Zeichen der Selbstzerstörung. Es ist politisch einfach nur dumm, die nötige Kulturkritik bei Neuankömmlingen der AfD zu überlassen.

  2. @Frank Wohlgemuth
    Auf dem Mond wurde von Menschen noch niemals Regen beobachtet. Daher gibt es keinen Regen auf dem Mond. Dieser Beweis ist nicht schlüssig, weil es ja geregnet haben könnte, als kein Mensch zugeschaut hat. Also: Es gibt Regen auf dem Mond.
    So argumentieren Sie gegen Bronski. Bronskis Beweis der Nicht-Existenz erscheint Ihnen nicht schlüssig, wobei ich Ihnen durchaus folge. Aber aus der Nicht-Schlüssigkeit eines Beweises der Nicht-Existenz auf den Beweis der Existenz zu schließen («Also:» ist ja der typische Beginn einer Konklusion in der Logik), ist m. E. nicht richtig.
    Ich bin in der Nähe zur niederländischen Grenze geboren und aufgewachsen. Als Schüler habe ich dann den Fehler gemacht, einem Lehrer zu sagen, dass ich nicht verstehen könne, warum ich mit einem Niederländer nichts gemein habe, aber mit einem Bayern, dessen Sprache ich nicht einmal verstehen kann. Es folgte ein Sturm der Entrüstung, aber keine Erklärung. Bis heute hat mir das niemand erklären können.
    Aber wenn jemand glaubt, dass es ein deutsches Volk gibt, ist mir das eigentlich egal. Es wird erst interessant, wenn aus dieser (angeblichen) Existenz Ansprüche abgeleitet werden.

  3. Vielen Dank, lieber Bronski, für diesen schönen Text. Ich habe mich köstlich amüsiert. Ja, es wäre wirklich klasse, wenn man solche Begriffe einfach abschaffen könnte. Vor allem da in ihrem Namen ja eine Menge Unheil geschehen und Leid verübt wurde. Wozu brauhen wir Begriffe wie Volk und deutsch? Ich brauche sie nicht. Ich bin ich. Ich habe meine Verwandtschaft, meine Freunde und noch weitere Kreise, mit denen ich Lebenszeit teile, z.B. im Verein oder hier im Blog. Da sind Deutsche dabei, Türken, Italiener, Griechen und Franzosen. Mit ihnen verbindet mich mehr als mit einem Björn Höcke und Co vom „deutschen Volkskörper“. Warum soll es sinnvoll sein zu betonen, dass meine Freunde anderen Völkern angehören sollen? Wir leben in derselben Stadt und haben ähnliche Lebensweisen. Spannend wird es da, wo diese Lebensweisen voneinander abweichen, z.B. Ramadan und Zuckerfest. Da schüttelt man dann schon mal den Kopf, aber das ändert nichts grundsätzlich. Also brauchen wir die Begriffe Volk und deutsch eigentlich nicht. Deutsch vielleicht noch eher, für die Verwaltung. Aber man kann auch andere Begriffe nehmen, die nicht belastet sind, z.B. Landsleute, Mitbürger.

    An Frank Wohlgemuth

    „Jeder, der sich auch nur in Ansätzen mit der Linguistik beschäftigt, erfährt …“

    … dass auch Sie nicht schlecht darin sind, mit schwammigen Begriffen um sich zu werfen. Traditionskörper? Noch dazu mit Gefühlsinhalten? Da schwillt mir ehrlich gesagt alles ab. Was sind Sie denn für eine Spaßbremse. Folgendes Niveau finde ich für meine Reaktion darauf angemessen:

    Jeder, der sich auch nur in Ansätzen mit der Pinguinistik beschäftigt, erfährt in der ersten Lektion, dass nicht jeder Vogel, der Flügel hat, fliegen kann.

  4. @ Henning Flessner
    Was sie übersehen, ist dass die unterschiedlichen Definitionen, die Bronski sich ansieht, alle einen Inhalt haben. Es gibt auch Bereiche, in denen sich diese Inhalte überschneiden. Aus der fehlenden Möglichkeit, auch diese Schnittmenge so zu umreißen, dass eine eindeutige Zuordnung hergestellt werden kann, zu schließen, dass kein Inhalt existiert, vernachlässigt die erfolgreiche Kommunikation, die mit diesem Begriff stattgefunden hat und auch stattfindet – dass die existiert schlägt sich schon in der Existenz dieses Wortes in Enzyklopädien nieder.

    @ Stefan Briem
    😉

  5. An Frank Wohlgemuth

    „… die erfolgreiche Kommunikation, die mit diesem Begriff stattgefunden hat …“

    Das war vielleicht mal in der Reichsgründungsphase im 19. Jahrhundert. Danach kam Vieles, was Sie hoffentlich nicht unter „erfolgreiche Kommunikation“ zählen.

    „Traditionskörper“! Wuff. Ich bin noch nicht drüber weg.

  6. @Frank Wohlgemuth
    „die erfolgreiche Kommunikation, die mit diesem Begriff stattgefunden hat und auch stattfindet – dass die existiert schlägt sich schon in der Existenz dieses Wortes in Enzyklopädien nieder“
    Das erinnert mich an Gottesbeweise. Was gedacht werden kann, muss auch existieren.

  7. So, da will man doch glatt die 50er und 60er Jahre bemühen, nur stimmt das so gar nicht, denn z.B. Toleranz war in den genannten Jahrzehnten alles andere als vorhanden, was z.B. den Umgang mit den Homosexuellen oder anderen Minderheiten anging. Und Fleiß gibt es heute nicht mehr? Das ist ein Schlag jedem Arbeitnehmer ins Gesicht, der unbezahlte Überstunden machen muss, weil die Freunde des Neoliberalismus Oberhand gewannen. Pünktlichkeit gibt es auch heute noch, nur sorgt die Technik dafür, dass so manches schief läuft, dass ist aber nicht die Schuld der Menschen. Und überhaupt, die südlichen Länder nehmen das mit der Pünktlichkeit gelassener- und funktionieren bisweilen in vielem sogar besser. Die meisten Menschen beachten die Gesetze- im Großen und im Kleinen. Die Ausnahmen sind eher gering, nur vermittelt man gerne ein anderes Bild, was zu einer falschen Wahrnehmung führt. Auch ja, die Ehrlichkeit. Hm, gerade die genannte Zeit lies doch sehr zu wünschen übrig, ging man da nicht besonders lax mit der zu dem Zeitpunkt jüngsten Vergangenheit um? Und versuchte man nicht bisweilen, alles zu vertuschen oder zu tarnen? Ehrlichkeit in dieser Zeit war z.B. bei Fritz Bauer zu finden, um ein Beispiel zu bemühen. Nein, auch die „Goldenen 50er und 60er“ waren keine heile Welt. Denn Pharisäertum gab es damals wie heute auch.

  8. @ Henning Flessner
    Da wir jetzt langsam im Absurden und Albernen angekommen sind und ich gerade Zeit habe:

    Erfolgreichen Kommunikation bedeutet, dass der Empfänger mit der Nachricht etwas anfangen kann, ihn also in einer Bedeutung versteht, die so etwa auch vom Sender intendiert war. Davon kann man bei einer singulären Nachricht nicht einfach ausgehen, wenn etwas regelmäßig benutzt wird, schon. Wir hatten gerade Wahlen in Amerika, ich habe deshalb Google „das amerikanische Volk“ suchen lassen und bekam 74 000 Treffer. Ganz oben an natürlich die aktuellen, bei denen auch alle Zeitungen vertreten sind, 5000 mal findet google „das amerikanische Volk“ allein mit den zusätzlichen Suchwörtern „Frankfurter Rundschau“. Die werden nicht alle aktuell sein, aber man muss sich schon fragen, warum die das schreiben, wenn es kein amerikanisches Volk gibt – denn, auch das ist Logik: Wenn es kein Volk gibt, gibt es auch keine amerikanisches, auch wenn die Huffington Post ganz frech titelt: „Das amerikanische Volk hat gewählt“.

    Jetzt wissen wir es also, und Bronski hat es an den Tag gebracht: Alles Lügenpresse, von der FR über die FAZ zur SZ und zur ZEIT.

    Aber ich habe noch schlimmere Nachrichten: Unser Grundgesetz ist angeblich von einer Volksvertretung beschlossen worden, was soll denn das sein? In der Präambel steht das deutsche Volk sogar zweimal – allerdings auch Gott.

    Jetzt sollte man allerdings der Fairness halber sagen, dass es gegen den Gott in der Präambel, genauso wie gegen den in verschiedenen Landesverfassungen, durchaus Proteste gibt – zu dessen Existenz scheint es also unterschiedliche Ansichten zu zu geben, von Protesten gegen das Wort Volk wegen der fehlenden Existenz des Gemeinten, auch in zusammengesetzten Wörtern wie Volksentscheid oder Formulierungen wie „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ habe ich dagegen noch nichts gehört. Diese Täuschung muss man wohl als gelungen bezeichnen.

  9. An Herrn Wohlgemuth

    „Unser Grundgesetz ist angeblich von einer Volksvertretung beschlossen worden, was soll denn das sein? In der Präambel steht das deutsche Volk sogar zweimal – allerdings auch Gott.“

    Nein, das Grundgesetz ist vom Parlamentarischen Rat beschlossen worden. Da mag zwar jemand geglaubt haben, dass er das Volk vertritt, aber das ist noch kein Beweis dafür, dass es dieses Volk tatsächlich gibt. Dass zweimal in der Präambel „Volk“ steht, ist ebenfalls kein Beweis. Es zeigt nur, dass es jemanden gegeben hat, der glaubte, dass es dieses Volk gibt, und der das in die Präambel schrieb. Er war natürlich nicht allein mit seinem Glauben. Es ist ja auch nicht schlimm, wenn die Menschen glauben, dass es ein Volk gibt. Schlimm wird dies nur, wenn sie diesen Glauben benutzen, um sich als etwas Besseres darzustellen und andere Menschen auszugrenzen. Deswegen sollte sich jeder klarmachen, dass „Volk“ ein sehr fragwürdiger Begriff ist.
    Dass Sie tausende von Treffern bekommen, wenn Sie „Volk“ googeln, ist der Beweis dafür, dass tausende von Menschen glauben, dass es so etwas wie Volk gibt. Es ist kein Beweis für die Existenz von „Volk“.

  10. Vielleicht ist es praxisnah nach dem „Volk“ unter den Menschen zu suchen die von Rechten und Pflichten nationalstaatlicher Normen betroffen sind?

    Der Ansatz hat zwar auch sein Schwächen, denn nicht jede dieser Personen erkennt die Validität o.a. Normen auch an, aber es bringt doch eine gewisse Überprüfbarkeit mit sich; abseits von Gefühligkeiten oder völkischen Vorstellungswelten.

  11. @Frank Wohlgemuth
    Googeln als Existenz-Beweis. Da hätte I. Kant sich viel Nachdenken sparen können. „Wotan“ bringt übrigens 3.5 Millionen Treffer, „Traditionskörper“ keine Treffer.
    Wenn es ein deutsches Volk gibt und ich dazugehöre, muss es irgendetwas geben, dass ich mit dem Rest des deutschen Volkes gemein habe. Nur was?

  12. An Herrn Flessner

    „Wenn es ein deutsches Volk gibt und ich dazugehöre, muss es irgendetwas geben, dass ich mit dem Rest des deutschen Volkes gemein habe. Nur was?“

    Zwei Dinge wüsste ich: die Muttersprache und die Staatsbürgerschaft. Das ist aber schon alles. Für meinen Geschmack reicht das nicht, um so was Überflüssiges wie „Volk“ daraus zu konstruieren.

  13. Dialektik mag als „innere Gegensätzlichkeit“ verstanden werden. Im menschlichen Universum ist Dialektik eine Entwicklung, die sich in antagonistischen Widersprüchen von Geschichte, Ökonomie und Gesellschaft vollzieht, wobei aber die philosophische Hypothese einer (end-harmonischen) Synthese immer entfernt bleibt.
    Alles, was sich um das Thema „Deutsche Leitkultur“ rankt — Deutschsein, Deutsche Innerlichkeit, Deutscher Tiefsinn, Deutsches Heimatgefühl, Deutsche Idealität — wird nun gegenwärtig darauf hin abgeklopft, wie daraus eine eherne deutsche Identität gezimmert werden kann. Nun ist das Bedürfnis, sich abzuschirmen, um eine eigene Identität auszubilden, ja nicht in sich zu verurteilen. Die Sucht nach Identität wird dann unangenehm, wenn der Gesichtspunkt der Abgrenzung des „Anderen“ in penetranter Weise betont wird.
    Der Rückgriff auf einen -– wie auch immer — vorgestellten germanischen oder gar arischen Ursprung geht aber vollkommen in die Leere. Dennoch ist es wohl so, dass eine gemeinsame Geschichte, auch gespeist aus vielen unterschiedlichen Herkünften, sehr die Menschen formt. Der heutige Deutsche ist ein vorläufiges Endprodukt der deutschen Geschichte. Die Deutschtümelei verkennt das Prozesshafte von Geschichte.

  14. @ Klaus Lötzbeier

    Mit den sogenannten deutschen Tugenden wäre ich vorsichtig. Toleranz z.B. gehörte bis 1945 eher nicht dazu. Und dass die Deutschen früherer Generationen ehrlichen waren als die heutigen wage ich auch zu bezweifeln. Wie hätte es sonst sein können, dass so viele später behaupteten, sie hätten nichts vom Holocaust gewusst?
    Die eigentlich positiven Eigenschaften Fleiß und Gewissenhaftigkeit können ins Negative umschlagen, z.B. wenn es um die gewissenhafte Ausrottung von Menschen geht (ich denke da an den einen oder anderen Lagerkommandanten). Auch das Beachten gültiger Gesetze ist nicht per se lobenswert. Es kommt auf den Inhalt des Gesetzes und seine Übereinstimmung mit den Menschenrechten an (Stichwort Rassegesetze).

  15. @ Henning Flessner und Stefan Briem

    Vergessen Sie die gemeinsame Geschichte nicht. Das können Schulerfahrungen sein oder Sitten und Gebräuche, an die man sich erinnert. Vor allem macht es einen großer Unterschied, ob jemand aufwächst im Bewusstsein, seine Vorfahren und die Gesellschaft, in der er lebt, seien vorwiegend auf der Seite der „Guten“ gewesen, oder ob man früh die Erfahrung macht, dass man einer Gemeinschaft von Schuldigen und Losern angehört. Solche Erfahrungen schaffen sehr unterschiedliche Gruppenidentitäten.
    Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit einem US-Amerikaner meiner Generation über unsere Kindheit und Jugend. Wir konnten viele Ähnlichkeiten feststellen, aber dann sagte er: „Ich vergesse immer, dass ihr Deutschen als Kinder Hunger, Entbehrungen und Zerstörung in eurer Umgebung erlebt habt, die wir nicht kannten.“ Und ich ergänze: „Schlimmer war eigentlich das Bewusstsein, dass wir zum Tätervolk gehörten.“
    Das nur als Beispiel für Geminsamkeiten, die über die Sprache und die Staatsangehörigkeit hinausgehen.

  16. „Dass Sie tausende von Treffern bekommen, wenn Sie „Volk“ googeln, ist der Beweis dafür, dass tausende von Menschen glauben, dass es so etwas wie Volk gibt. Es ist kein Beweis für die Existenz von „Volk“.“ (Stefan Briem)
    @Stefan Briem

    Erklären Sie mal dem Rabbi Shalom Schwarz, dass es das jüdische Volk gar nicht gibt, das er da anruft, und als dessen Teil er sich empfindet.
    http://www.projekt-j.ch/Judah_das_juedische_Volk.htm
    Selbst wenn es erfunden wurde, ist diese Erfindung heute Realität. Sie erhält diese Realität durch die Menschen, die sich zu ihr bekennen und ihre Identität daher beziehen.

    Zum GG: Da haben Sie recht. Das GG ist nicht von einer Volksvertretung beschlossen, sondern angenommen worden.
    Der gesamte erste Satz der Eingangsformel heißt:
    „Der Parlamentarische Rat hat am 23. Mai 1949 in Bonn am Rhein in öffentlicher Sitzung festgestellt, daß das am 8. Mai des Jahres 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in der Woche vom 16. bis 22. Mai 1949 durch die Volksvertretungen von mehr als Zweidritteln der beteiligten deutschen Länder angenommen worden ist.“
    Es steht Ihnen auch frei, zu glauben, dass es nichts bedeutet, wenn in Artikel 1 steht.
    „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“
    Oder in Artikel 20:
    „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
    Oder in Artikel 22:
    „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“

    Wer allerdings das Grundgesetz für bedeutungslos hält, hat eigentlich keine Voraussetzung, einer AfD vorzuwerfen, sie stünde nicht auf dessen Boden.

    btw: Wenn Sie genau nachlesen, habe ich Google nicht als Existenzbeweis benutzt, sondern als Nachweis dafür, dass das Wort Volk in der Kommunikation benutzt wird. Und zwar nicht nur in Sagen und Märchen, sondern auch in Verfassungstexten, also Texten, auf die man sich geeinigt hat, und die nicht nur regelmäßigen Prüfungen unterzogen werden, sondern selbst zur Prüfung von Gesetzen dienen, und Texten so gut wie aller Zeitungen, die von dieser Welt berichten. Und überall scheint man sich unter diesem Wort etwas vorzustellen, und zwar von Autoren- wie von Leserseite. Das ist auch gut so, denn die Bedeutung, in der „Volk“ da benutzt wird, ist keine AfD-Bedeutung.

    Anders als die Philosophie kümmert sich die Kommunikation nicht um absolute Wahrheiten, sondern die Bedeutungen der Wörter werden durch ihrem Gebrauch bestimmt, der sich dann u.a. in Wörterbüchern niederschlägt, in denen man dann nicht nur die verschiedenen Bedeutungen eines Wortes findet, sondern auch Synonyme zu ihnen. Das Synonym für den Gebrauch, um den es hier geht, ist übrigens Bevölkerung. Wer also meint, ein Volk gäbe es nicht, muss dann auch sagen, dass es keine Bevölkerungen gibt. Außerdem – es gibt schließlich auch noch andere Bedeutungen des Wortes Volk, sollte er besser auch der Meinung sein, dass es auch keine Ethnien gibt, usw.

    „Die Deutschtümelei verkennt das Prozesshafte von Geschichte.“ (Sigurd Schmidt)
    Hier kann ich nur zustimmen. Aber die Folge kann nicht sein, dass wir versuchen, das Wort „deutsch“ aus unserem Vokabelvorrat zu streichen, obwohl es in der NS-Zeit genauso strapaziert wurde wie „Volk“. Ich warte fast darauf, dass der erste Esel damit anfängt, „deutsch“ durch „zentraleuropäisch“ zu ersetzen. Wer soetwas mit einem Wort versucht, belässt das Wort bei der Bedeutung, die er nicht haben will, denn „die anderen“ werden es weiter benutzen, mit all dem Gefühlsgehalt, der für sie in diesem Wort mitschwingt, und der die Möglichkeit zur Mobilisierung schafft. Durch die dann einheitliche Benutzung wird die unerwünschte Wirkung dieses Wortes sogar noch verstärkt. Man verändert die Bedeutung von Wörtern nicht durch Vermeidung oder Erklärungen, sondern nur durch eine andere Benutzung.

    Die Vermeidung der Reizwörter durch eine Gruppe verstärkt des Spalt zwischen den beiden Gruppen, indem sie auf beiden Seiten die Identifizierung vereinfacht. Die gespaltene Gesellschaft der USA, in der der Dialog zwischen den beiden Seiten immer schwieriger wird, ist auch als Folge auseinanderdriftender Sprachen zu erklären. Wir erleben Ähnliches gerade bei uns und sollten nicht so dumm sein, es zu verstärken, indem wir noch mehr PC aus der Kiste holen.

    p.s.
    Kann sein, dass es das Wort „Traditionskörper“ bei Google keinen Treffer bringt (das ändert sich gerade 😉 ), das sagt aber weder etwas über eine Sinnlosigkeit noch über eine Sinnhaftigkeit aus – Komposita sind in der deutschen Sprache von jedermann bildbar. Es handelt sich um eine Wortbildung, die entstanden ist, weil ich mich ziemlich viel mit der Evolution von Kulturen beschäftigt habe. Wenn Sie sich da jetzt an Ihrem Unverständnis hochziehen wollen – bitte. Ansonsten: Es sagt inhaltlich ungefähr das selbe wie der 2. Teil der Wikipediadefintion von Volk: “ … Gruppen von Menschen, die aufgrund bestimmter kultureller Gemeinsamkeiten und Beziehungen und zahlreicher Verwandtschaftsgruppen miteinander verbunden sind.“

  17. @Frank Wohlgemuth
    Volk und Bevölkerung ist in meinen Ohren nicht dasselbe.
    Als ich im Ausland lebte, gehörte ich nach Ihrer Definition zum deutschen Volk, aber wohl kaum zur deutschen Bevölkerung.
    Wenn Sie die Definition aus den zitierten Passagen aus dem Grundgesetz ableiten («Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen…“), gehört man dann erst ab 18 Jahren zum deutschen Volk, denn vorher darf man ja nicht abstimmen?
    Es könnte eine sehr interessante philosophische Diskussion werden. Denn jetzt sind wir bei der Frage, was ist Realität. Sie vertreten also den Standpunkt, dass etwas dadurch Realität wird, wenn es gedacht oder ausgesprochen wird. Gedanken sind sicherlich Teil der Realität, aber dass mit dem Gedanken, dass auch das Gedachte damit Teil der Realität wird, kann ich mich noch nicht anfreunden.
    Für Jahrhunderte waren alle Wissenschaftler von der Existenz des Äthers überzeugt. Jeder sprach und schrieb darüber und konnte sich darunter etwas vorstellen und doch existiert er nicht.
    Hat er dann nach Ihrer Meinung damals existiert und wurde von Einstein und Kollegen aus der Realität entfernt?

  18. @Brigitte Ernst
    Zwei junge Schweizer sagten mir einmal, dass sie froh seien, nicht Deutsche zu sein. Auf meine Nachfrage, warum, antworten sie, wegen der deutschen Geschichte.
    Ich fand das einfach nur blöd.

  19. @ Henning Flessner

    Es mag daran liegen, dass Sie ein paar Jährchen weniger auf dem Buckel haben als ich. Für mich war die deutsche Geschichte zumindest in meiner Kindheit und Jugend eine Last und etwas, wofür ich mich geschämt habe. Zumindest macht sie eine Besonderheit für diejenigen aus, die diese Geschichte miteinander teilen (um das Wort „Volk“ zu vermeiden).
    „Ich fand das einfach nur blöd“.
    Hier zeigt sich genau das, was Sie oben in Frage stellen. Für Sie ist dieses Gefühl, das ich mit vielen Deutschen, zumindest meiner Generation, teile, wahrscheinlich mit dem Äther zu vergleichen, der in Wirklichkeit gar nicht existiert. Innerpsychische Realität ist aber auch Realität.

    @ Frank Wohlgemuth

    Sie vermischen zwei Bedeutungsnuancen des Wortes „Volk“ miteinander. Im Grundgesetz wird „Volk“ als Gegenbegriff zu „Obrigkeit“ verwendet, um zu betonen, dass in einer Republik im Gegensatz zur Monarchie der Mann und die Frau auf der Straße die Entscheidungsgewalt über die Politik ausüben.
    Die andere Bedeutung von „Volk“ stellt ethnische, genetische (z.B. beim jüdischen Volk) und/oder kulturelle Gemeinsamkeiten in den Vordergrund.

  20. @ Henning Flessner
    Sie vermischen da zwei Dinge, die nicht zusammengehören. Wir unterhalten uns hier nicht über Wissenschaft, da sind die Objekte klar definiert, wir unterhalten uns hier über Umgangssprache, die von der Mehrschichtigkeit ihrer Begriffe lebt, ja ohne sie nicht möglich ist, sonst bräuchten wir für jeden möglichen Gegenstand des Denkens eine eigene Vokabel. Bedeutungen sind kontextabhänig. Das heißt, dass der Begriff Masse für einen Physiker etwas anderes bedeutet als für Muttern beim Kuchenbacken. Und nur, wenn etwas präzise definiert ist, das ist nur in den Wissenschaften so, lässt sich eine Existenzüberprüfung überhaupt vornehmen.
    Welcher lexikalischen Bedeutung von Volk wollen Sie denn die Existenz absprechen? Der Ethnie? Der Bevölkerung? Dem Pöbel? usw. Wahrscheinlich nicht. Lassen wir also den den Äther und ähnlichen philosophischen Firlefanz einfach beiseite und bleiben am Objekt Volk:
    „Volk und Bevölkerung ist in meinen Ohren nicht dasselbe.“ (Henning Flessner)
    Da bin ich sofort bei Ihnen, nicht nur, weil die beiden Begriffe nicht identisch sind; Volk ist sehr vielschichtig, während das erhebliche neuere Wort Bevölkerung im Wesentlichen Einwohnerschaft meint. Wie leicht man die beiden Begriffe austauschen kann, hängt aber nicht nur vom Kontext ab.
    Da kommt noch etwas hinzu, was den Kollegen Stefan Briem wahrscheinlich wieder ungläubig dreinschauen lässt – er mag hier nachsehen, was dahintersteckt: http://www.sueddeutsche.de/kultur/sprachpsychologie-schlaechter-beigeschmack-1.896601 . Es geht um den Gefühlsgehalt von Wörtern, dessen wir uns häufig nicht einmal bewusst sind, geschweige denn können wir uns sicher sein, dass der beim anderen gleich ist. Ich kann nicht wissen, was bei Ihnen alles mitschwingt, wenn sie das Wort Volk hören, aber ich halte es für sinnvoller, da am eigenen Resonanzverhalten zu arbeiten als am Vokabular. Sosehr Sie die Bedeutungen dieser Resonanz für nicht existent erklären, gehe ich davon aus, dass sie ähnlich ist, wie die bei Höcke oder Petry, aber dabei muss es nicht bleiben. Das wird sich allerdings nicht ändern, wenn Sie das Wort Volk nicht benutzen, sondern nur, wenn Sie es anders benutzen. Die Zuhörer von Höcke und Petry erreichen Sie nicht, indem Sie diesen die Begriffe überlassen, sondern nur, indem Sie sie zwingen, die Konnotationen mit auf den Tisch zu legen, die davon leben, nicht offen ausgesprochen zu werden. Ausgesprochen lasse sie sich widerlegen.

    Um die Deutungshoheit zu gewinnen, sollte man nicht versuchen, unter den Tisch fallen zu lassen, was es zu deuten gibt, vor allem nicht unter den Stammtisch.

    Aber anfangen müssen Sie bei Ihren eigenen „Ohren“.

    p.s.
    Ich finde die Bemerkung der beiden jungen Schweizer nicht blöd. Die Geschichte ist sowohl Bestandteil als auch Erzeuger der Kultur, die wir teilen bzw. weitergeben. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es für einen Deutschen, der sich permanent im Ausland befindet, aus Selbstschutz geboten ist, die Geschichte weitgehend auszublenden.

  21. An Frank Wohlgemuth

    Auch die Tatsache, dass es Definitionen für den Begriff „Volk“ gibt, ist kein Beweis dafür, dass es „Volk“ gibt. Es ist genau wie mit Gott. Sie haben das selbst schon angedeutet. Sie können Köpfe, Bücher und ganze Bibliotheken mit Gedanken über Gott vollstopfen, die natürlich immer fleißig aufeinander Bezug nehmen. So entsteht ein Gerüst von Ideen, das sich selbst auf die Schulter klopft. Sie werden trotzdem nie beweisen können, dass es Gott gibt.

    Genauso ist es mit dem „Volk“. Nun könnte man sagen, dass es allein deswegen existieren muss, WEIL wir so viel darüber reden. Außerdem sind in seinem Namen unsagbar viele Menschen gestorben bzw. wurden umgebracht. Wenn „Volk“ nicht existieren würde, wäre dieser ganze Aufwand ja sinnlos. Allein durch die Vielzahl an Behauptungen über „Volk“ entsteht eine Wirklichkeit in unseren Köpfen, in denen der Begriff scheinbar Kontur bekommt. Aber wenn dieser Begriff „Volk“ konstruiert werden konnte, dann kann er auch dekonstruiert werden. Wie im Leitartikel von Arno Widmann und in Bronskis Einleitung.

    Warum wurde der Begriff „Volk“ konstruiert? Um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Er war insbesondere im Zeitalter der Nationalstaaten ein wichtiges Herrschaftsinstrument, um die Massen zu steuern. Er ist also in permanenter Gefahr, missbraucht zu werden. Auf der linken Seite des politischen Spektrums hat man das begriffen, aber dort sitzen ja auch viele Angehörige von Parteien, die unter einer Ideologie, die das „Volk“ in den Mittelpunkt stellte, schwer gelitten haben. Auf der rechten Seite hingegen würde man gern mehr Nationalstolz zeigen, aber dazu bekennen sich bisher nur wenige. Man flüchtet sich in schwammige Begriffe wie „Leitkultur“.

    Warum das alles? Es ist doch völlig unnötig. Niemand braucht so etwas Diffuses wie „Volk“. Übrigens die Juden gerade erst recht nicht. Im Kern von deren Zusammengehörigkeitsgefühl stehen die Religion, ein Wertekatalog und eine Mythologie, die manche für Historie halten und dafür heranziehen, konkrete Gebietsansprüche daraus abzuleiten. Wenn Sie von jüdischer Identität sprechen würden, wäre ich bei Ihnen, weil sie das Individuum ins Zentrum stellt und nicht die Masse. Aber „Volk“? Wozu? Wie unsinnig dieser Begriff ist, zeigt sich außerdem gerade hier, weil von verschiedenen Seiten im Lauf der Zeit versucht wurde, ein „jüdisches Gen“ zu finden, um die Existenz des jüdischen „Volks“ zu beweisen. Wie irrsinnig ist das? Wenn man sich doch so sicher ist, ein Volk zu sein, wozu muss man das dann noch beweisen? Weil man sich eben nicht sicher ist?

    Genau das ist das Problem mit dem „Volk“: Weil niemand weiß, was darunter genau zu verstehen ist, braucht dieser Begriff ständig Bestätigung. Das führt zu nichts als Abgrenzung, Streit und Krieg. Deswegen ist der Begriff so schädlich, und deswegen bin ich so froh, dass es keine Völker gibt. Ich hoffe, dass sich das nun auch bald herumspricht.

  22. @ Brigitte Ernst
    Ich habe einen Vorschlag für Sie:
    https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/gg/gesamt.pdf
    Die Suchfunktion erlaubt es, sich alle Vorkommen des Wortes Volk auch in den Komposita wie Volksvertretung und Volksentscheid ganz schnell anzusehen. Hier geht es nicht um einen Gegensatz zur Obrigkeit – mit Einführung des GG ist das Staatsvolk der der Souverän.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsvolk#Das_Staatsvolk_im_bundesdeutschen_Verfassungsrecht

    @ Stefan Briem
    Auch an Sie die Frage, die ich weiter oben an Herrn Flessner gestellt habe:
    Welcher lexikalischen Bedeutung von Volk wollen Sie denn die Existenz absprechen? Der Ethnie? Der Bevölkerung? Dem Pöbel? usw. Wahrscheinlich nicht.
    Vielleicht wäre es gut gewesen, vor dem Abschicken Ihres Beitrages die Antwort an Henning Flessner in Ruhe wiederzukäuen.

    Sie übersehen u.a. auch die Bedeutung, die der Begriff Volk in der deutschen Rechtsgeschichte nach 45 hat.
    Solange wir dieses Grundgesetz haben, das sich eigentlich ganz gut bewährt hat, wäre ich etwas vorsichtiger damit, zentrale Begriffe daraus zu verwerfen.

    Auch Ihrer Vorstellung der gewollten Konstruktion dieses Begriffes stimme ich nicht zu.
    Als erste Annäherung empfehle ich einen Blick in das Grimmsche Wörterbuch: https://www.dwds.de/wb/dwb/volk
    Für die Benutzung in der Gegenwart: https://www.dwds.de/wb/Volk

  23. An Frank Wohlgemuth

    Hören Sie doch einfach auf mit den Ausflüchten und liefern Sie einen Beweis für die Existenz von „Volk“. Nicht nur dauernd Behauptungen davon.

  24. @Frank Wohlgemuth
    Bleiben wir doch bitte auf unserem Niveau und unterlassen Unterstelllungen. Ich bin ein Mensch, der sehr an Geschichte interessiert ist und eine hohe Verantwortung verspürt, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Ich halte es aber für lächerlich, wenn Leute auf etwas stolz sind, dass sie nicht selber erreicht haben. Im österreichischen Fernsehen sagte einmal eine FPÖ-Politikerin, dass sie stolz auf die Tiroler Berger sei. Darauf antwortete ihr eine andere Politikerin, dass sie froh sei, endlich zu wissen, wer die gemacht habe.
    Niemand sollte sich für etwas schämen, dass er nicht verbrochen hat. Geschichte ist keine Erbsünde.
    Als Wissenschaftler würde ich natürlich sagen, dass das Grundgesetz ungenau definiert. Es wird vom Volk geschrieben, auch wenn nur die Wahlberechtigten gemeint sind. Man könnte meinen, dass Kinder nicht dazugehören. Das ist Ihnen jetzt sicher wieder zu wissenschaftlich gedacht. Wir haben eben eine unterschiedliche Art zu denken, dass man meinen könnte, dass wir gar nicht dem gleichen Volk angehören.:)
    Lassen wir es damit gut sein und ich schließe mich meinem Vater an, der die Existenz eines ostfriesischen Volkes behauptete und den Abzug der deutschen Besatzer forderte.

  25. @ Frank Wohlgemuth

    Das Begriffsverständnis, von dem ich als erstes sprach, findet sich bei Wikipedia im Abschnitt „Volk als Abgrenzung zur Elite“ (ich sprach von Obrigkeit): „“In der Wortbedeutung des „einfachen“ Volkes in Abgrenzung zu Adel und Elite ist das Wort Volk ein unzählbares Singularetantum. In diesem speziellen Sinne kann man daher nur von DEM Volk sprechen, nicht aber von EINEM Volk oder gar mehreren Völkern, und Adelige oder andere Angehörige von Eliten gehören nicht etwa „einem anderen Volk“ an, sondern werden sprachlich aus der Kategorie „Volk“ im Hinblick auf jedes Land der Welt ausgeschlossen.“ Das ist die Wortbedeutung, die in der Aussage steckt: „In einer Demokratie geht alle Macht vom Volke aus“, also nicht vom deutschen, italienischen oder französischen Volk, sondern von DEM Volk als supranationaler Größe.
    Was Herr Flessner und Herr Briem mit dem Wort „Volk“ assoziieren, erscheint dagegen bei Wikipedia unter „Ideologischer Begriff im Nationalsozialismus“, was erklärt, dass diese beiden Diskussionsteilnehmer die Gültigkeit dieses Begriffs so vehement abstreiten.

  26. Vielen Dank, Frau Ernst, für den klärenden Eingriff, aber ganz so einfach ist es nicht. Sie werden sicher nicht bestreiten, dass die Art, wie der Begriff „Volk“ im Nationalsozialismus gebraucht wurde, Wiederauferstehung feiert. Zum Beispiel wenn eine Frauke Petry vor allen Kameras dafür eintritt, den Begriff „völkisch“ salonfähig zu machen. Meine Abneigung ist also nicht rein historisch bedingt. Die Nazis spielen in der bundesrepublikanischen Gegenwart wieder eine Rolle.
    „Wir sind das Volk“, rufen sie in Dresden. „Wir sind das Volk“, rief die Freiheitsbewegung 1989. Mir stellen sich da alle Nackenhaare auf. Derselbe Begriff in zwei völlig verschiedenen Zusammenhängen! Es könnte sein, dass dieses behauptete „Volk“ 1989 in Leipzig für eine Weile materialisiert ist. Es ist aber auch rasch wieder verschwunden. Niemand weiß, was es bis 2015 gemacht hat, als es plötzlich wieder aufgetaucht ist. Es muss irgendeine Transformation durchlebt haben, denn plötzlich war es nicht mehr für Freiheit, sondern für Ausgrenzung. Aber es rief denselben Slogan: „Wir sind das Volk“. Damit hat es nicht nur behauptet, das „Volk“ zu sein, sondern auch, im Recht zu sein. Diese Menschen haben also geglaubt, dass sie ihrem „Protest“ zu Nachdruck verhelfen, wenn sie sich auf eine höhere Instanz berufen, das „Volk“. Man sollte sie langsam über ihren Irrtum aufklären.

  27. @ Stefan Briem
    Ich bin mir als Teil eines Volkes, nämliche des deutschen Staatsvolkes, Beweis genug.

    Als ein solcher bin ich übrigens höchstrichterlich bestätigt, und das wäre auch der Fall, wenn ich schwarz wäre.

  28. @ Stefan Briem
    Nur um das mal ein historisch bisschen einzuordnen:

    Das „Wir sind das Volk“ von 89 war eine Anspielung auf den Anspruch der Parteidiktatur DDR, eine Volksdemokratie zu sein. Das war die offizielle Bezeichnung der DDR. Was da von Pegida, AfD und Konsorten gerufen wird, ist ein unbeholfenes Zitat von 89, nicht anderes und auch nicht mehr, auch wenn einige von denen das gerne hätten.

    Die Attraktivität der AfD beruht aber nicht auf einer Wirkung der Vokabel Volk, sondern darauf, dass sie Menschen in Ängsten anspricht, in denen sie sich – nicht ganz zu Unrecht – von den anderen Parteien alleingelassen fühlt.

    Die besondere Wirkung, die Vokabeln wie Volk, Vaterland, Nation Gehorsam, Gott (wird regelmäßig vergessen bzw. verschwiegen: Hitler war überzeugt, einen göttlichen Auftrag zu haben) , Pflicht usw. im Dritten Reich hatten, die sich zwanglos in die msytische Unterordnung des Individuums unter die Ideen Reich und Rasse überführen ließ, ist undenkbar ohne die historische Situation dieser Menschen, die praktisch zu 100% eine autoritär religiöse Erziehung genossen hatte, die den Einzelnen nur als Untertan der gottgegebenen Regierung sah, die den Antisemitismus bereits im Gepäck hatte, usw.. Man kann das auch als Spätwilhelminismus zusammenfassen.

    Wir haben dann einen weitgehenden Zusammenbruch der Kriegsgeneration erlebt, der dafür gesorgt hat, dass die spätwilhelminische Tradition nur noch gebrochen weitergegeben wurde; die „68er“ haben sich schließlich nicht selbst erfunden, sondern sind von ihren Eltern erzogen worden. Sie sind ein Symptom dieses Kulturbruchs. Außerdem haben wir ein Umschwenken der Kirchen erlebt und im Prinzip seit Ende der 60er eine Schule, die bereit war, die NS-Zeit aufzubereiten. Der Bodensatz an faschismusempfänglichen Schulversagern liegt bei uns in der Summe zwischen 5 und 10%. Die erfahren aber keine Verstärkung in der Kirche mehr – ca 40% der Leute sind auch nicht mehr kirchlich gebunden, so dass die Macht der Kirchen nur noch durch Parteiklüngel erhalten bleibt.

    Das war jetzt keine Entwarnung für faschistische Tendenzen, aber der panische Blick auf die Kernbegriffe des Nationalsozialismus ist da nicht hilfreich. Es werden beim nächsten Mal sehr wahrscheinlich andere Begriffe sein, die dazu benutzt werden können, den Geist abzuschalten, um die Individuen in eine Masse zu überführen.

  29. An Frank Wohlgemuth

    Die Attraktivität der AfD beruht für manche sehr wohl darauf, dass sie völkisches Denken wieder salonfähig zu machen versucht. Dieses quasi-religiöse Denken halte ich für gefährlich, weil einfach gestrickte Menschen dafür anfällig sein können. Dass die AfD Menschen in Angst anspricht, ist nur ein Teil des Phänomens. Ihre Argumentation bzgl. 68er, Kulturbruch und Aufarbeitung zieht hier nicht oder nur zum Teil, weil es diese Erscheinungen in der DDR so nicht gegeben hat. Das ist typisch westzentriertes Denken.

    Ich bin nicht panisch, sondern im Gegenteil erleichtert und froh, dass es „Volk“ nicht gibt. Es handelt sich um eine religiöse Fiktion, an die man glauben kann, aber nicht muss. Das ist ein freundlicher Gedanke.

  30. @Stefan Briem
    Wir sind nicht alleine mit unserer Einstellung. Einer der Artikel, der 2015 in der SZ erschien und zu den am meisten weiterempfohlenen gehörte, hatte den Titel: „Nationale Identität ist ein Hirngespinst“.

  31. @ Stefan Briem, 10.39 Uhr
    Ich habe nie bestritten, dass die im Nationalsozialismus entwickelte Bedeutungsvariante des Begriffs „Volk“ von der AfD wieder aus der Versenkung geholt wird. Nichts desto trotz existiert in den meisten Sprachen dieser Begriff und damit die Vorstellung, dass es so etwas wie ein oder das Volk gebe. Es handelt sich hier um eine gedachte Größe, man kann sie also nicht unbedingt sehen, schmecken oder anfassen (dies als Erklärung für Naturwissenschaftler).
    Was wäre unsere westliche Kultur ohne Texte wie „Wacht auf, ihr Völker dieser Erde…“ oder „Avanti popolo, alla riscossa…“?

  32. „Nichts desto trotz existiert in den meisten Sprachen dieser Begriff und damit die Vorstellung, dass es so etwas wie ein oder das Volk gebe. “ (Brigitte Ernst)

    Nicht nur in den meisten Sprachen, anscheinend auch an einigen Universitäten. Ich wollte ja eigentlich nicht mehr stören, und werfe nur nochmal eine einfache Frage in die Runde: Womit befasst sich eigentlich die Ethnologie?

  33. Nein, die Ethnologie oder Sozialanthropologie ist nicht mehr die alte Völkerkunde und hat mit Sicherheit weniger ideologischen Inhalt als BWL und andere Religionen. Im Gegensatz zu Gott ist Ethnie (=Volk) mit normalen wissenschaftlichen Methoden und ohne Introspektion fassbar.

    Aber ich merke schon, das ist nicht erwünscht. Unerwünschte Wissenschaften gelten sonst allerdings immer als ein Anzeichen für eine fortschreitende Talibanisierung.

  34. An Henning Flessner

    Manche Menschen neigen zu Beleidigungen, wenn Ihnen die Argumente ausgehen und sie trotzdem nicht recht bekommen.

  35. Der Hinweis auf einen Sachstand ist nicht unbedingt „beleidigend“, das könnte zu Ihrer frenetischen Negation von Begriffen und Begriffsbestimmungen zum „Volk“ durchaus auch als „beleidigend“ aufgefasst werden. Halt schlicht eine der eigenen Perspektive nicht entsprechende Position zu der jede Auseinandersetzung verweigert wird.

  36. Frenetische Negation ist ein schönes Wort.

    Nun, mir leuchtet einfach nicht ein, warum aufgeklärte Demokraten auf einem Wischiwaschi-Begriff wie „Volk“ beharren, wenn es doch auch ohne geht. Und zwar sogar besser.

    Darüber hinaus bestehe ich darauf, dass ich in dieser Diskussion sachlich geblieben bin. Die Diskreditierung mit Schmähbegriffen kam von der anderen Seite, insbesondere von Frank Wohlgemuth. Seien Sie sicher, dass mir zu dessen Verhalten durchaus Schmähbegriffe durch den Kopf gegangen sind. Aber die behalte ich für mich. Dazu ist meine Laune nach diesem Thread viel zu gut.

  37. Nach diesem unbestreitbaren argumentativen Sieg der beiden tapferen Recken Briem und Flessner sollten wir uns über einen gangbaren Weg verständigen, wie wir dieses Unwort (die Zunge verknotet sich mir bei dem Versuch, es weiterhin im Munde zu führen) aus dem deutschen Sprachschatz tilgen können.
    Mit Hinweis auf den Parallelthread „Rückschritt in ein nie gewesenes Mittelalter“ schlage ich vor, nicht nur die Präambel der Hessischen Verfassung, sondern auch die des Grundgesetzes zu verändern und dabei alle Begriffe, die nichtexistente Phänomene benennen, daraus zu tilgen.
    Es müsste dann also heißen: „Im Bewusstsein ihrer Verantwortung vor (Gott entfällt) den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich die deutsche wahlberechtigte Bevölkerung kraft ihrer verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
    Auf den ersten Blick recht gelungen. Dummerweise fällt mir aber gerade ein, dass auch das Wort „Europa“ ein schwer definierbares Phänomen bezeichnet, das weder geografisch noch kulturell fassbar ist. Ich bitte um Vorschläge, wie dieses Problem bei der sprachlichen Neugestaltung des Grundgesetzes gelöst werden könnte.
    In anderen Zusammenhängen, z.B. auf dem Gebiet der Biologie, müsste natürlich ähnlich sprachreinigend vorgegangen werden. Statt Bienenvolk schlage ich vor: „Bevölkerung eines Bienenstockes“.
    Ich hoffe, ich habe in Ihrem Sinne gesprochen, Herr Briem und Herr Flessner.

  38. An Brigitte Ernst

    Ich wüsste nicht, warum man einen solchen Aufwand treiben sollte, jetzt alles zu ändern. Wünschenswert wäre es natürlich, aber ich für mein Teil versuche jetzt eher, in Unterhaltungen und Diskussionen das Auge dafür zu öffnen, dass es „Volk“ nicht gibt. Bei diesen Diskussionen kommen erstaunliche Dinge heraus. Keiner von denen, die ich bisher mit diesem Gedanken konfrontiert habe, konnte bei genauerem Nachdenken sagen, was „Volk“ ist. Auffällig war auch, dass der Diskussionston umso aggressiver wurde, je klarer den Beteiligten werden musste, dass es „Volk“ nicht gibt. Viele sträubten sich erkennbar gegen diese Erkenntnis und klammerten sich ans „Volk“, genau wie die Herren Wohlgemuth und Müller. Aber es gab auch lustige Momente. Ich glaube, ich habe schon einige Leute zumindest nachdenklich gemacht.

    Das Schöne daran ist: Aufgeklärte Demokraten brauchen „Volk“ nicht, um sich mit diesem Land und der Ordnung in diesem Land zu identifizieren. Es reicht, deutscher Staatsbürger zu sein. Das beinhaltet das Bekenntnis zum Grundgesetz und seinen Werten. Das ist groß genug, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu stiften. Die Dumpfbacken von AfD und Pegida hingegen brauchen „Volk“, obwohl vermutlich keiner von ihnen klar sagen kann, was das eigentlich sein soll. Sie können den Begriff „Volk“ nur deswegen für sich vereinnahmen, weil er so unscharf ist. So kann jeder da hinein projizieren, wonach er sich am meisten sehnt. „Volk“ ist für diese Leute ein Sehnsuchtsbegriff, den man ihnen zu nehmen versuchen kann. Das ist für mich ein lohnender Diskussionsansatz. Auch in meinem Bekanntenkreis gibt es Personen, die damit liebäugeln, die AfD zu wählen. Ich versuche ihnen klarzumachen, dass sie an einen Religionsersatz glauben wollen, dessen Kernbegriff „Volk“ aber keinerlei greifbare Substanz besitzt.

  39. @ Stefan Briem,

    an einen undefinierten Begriff „Volk“ klammere ich mich nicht, damit ist nichts anzufangen. Was ich erwarte ist eine praktisch tragfähige Definition von „Volk“, denn ein willkürlicher Volksbegriff kann, Sie führen das Problem zu Recht an, in jede beliebige Richtung instrumentalisiert werden.
    Das gilt allerdings genau so für Ihre Negation eines absolut undefinierten „Volkes“. „Volk“ brauche ich auch nicht, von mir aus können Sie es auch als Grundgesamtheit der Steuer- und Wehrpflichtigen“ etc. definieren. Da kann man sich wenigstens für oder gegen die Begriffe und Definitionen aussprechen. Natürlich gib es nur diffuse Begriffe, wenn Sie sich eine Begriffsbestimmung verweigern. Warum eigentlich?
    Denn natürlich enthält auch die Behauptung „..gibt sich das deutsche Volk…“ eine Falschbehauptung.

  40. Ich bin hier nicht derjenige, der sich einer Begriffsbestimmung verweigert, sondern ich bin derjenige, der sagt, dass wir den Begriff „Volk“ nicht brauchen. Bronski hat das ausgeführt. Warum also sich die Mühe machen und ihn definieren? Ich denke, dass vielmehr diejenigen, die behaupten, dass es „Volk“ gibt, in der Bringschuld sind, das zu beweisen.

  41. „Die Diskreditierung mit Schmähbegriffen kam von der anderen Seite, insbesondere von Frank Wohlgemuth.“ (Stefan Briem)

    Sehen wir uns an, was geschrieben wurde:

    „Unerwünschte Wissenschaften gelten sonst allerdings immer als ein Anzeichen für eine fortschreitende Talibanisierung.“ (Wohlgemuth)

    „Ihren letzten Satz empfinde ich als beleidigend.“(Henning Flessner)

    „Betonköppe aller Länder, vereinigt euch!“ (Brigitte Ernst)

    „Manche Menschen neigen zu Beleidigungen, wenn Ihnen die Argumente ausgehen und sie trotzdem nicht recht bekommen.“(Stefan Briem)

    Ich habe ein Verhalten charakterisiert und keine Person. Darauf fühlte Henning Flessner sich beleidigt, Brigitte Ernst warf einen Betonkopf und auch Stefan Briem sah sich genötigt über Personen zu schreiben.

    Warum fragt eigentlich niemand, wie ich zu meiner Aussage komme? Ich beantworte es ihnen trotzdem.

    Die Ethnologie kann man je nach aktuellem Schwerpunkt bei der Soziologie oder bei der Anthropologie einordnen. Man braucht nur einmal in die Schriften eines Niklas Luhmann zu sehen (der ist mit seiner Systemtheorie auch für andere interessant), und man kann nicht mehr abstreiten, dass wir da eine ernsthafte Wissenschaft auf sehr hohem theoretischen Niveau vor uns haben. In der Anthropologie bin ich persönlich besser zu Hause, weniger in der philosophischen, weil schon mein Wissen als Abiturient ausreichte, um damals an der Uni festzustellen, dass sie keine oder nur sehr wenig Ahnung von den biologischen Voraussetzungen des Menschen hatten, aber versuchten aus dieser fehlenden Ahnung Schlüsse zu ziehen. Dafür habe ich mich sehr viel in der zoologischen Anthropologie herumgetrieben, und was ich da sagen kann, ist, dass die Leute da von der methodischen Seite die penibelsten waren, die mir in der Biologie untergekommen sind – die waren sich der Vorurteile über ihre Arbeit sehr bewusst und haben entsprechend sauber gearbeitet, um diesen Vorurteilen begegnen zu können. Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir da ordentliche Wissenschaften vor uns haben.

    In der Theologie sind wir uns einig, dass das keine Wissenschaft im klassischen Sinn ist, auch, weil sie darauf besteht, dass ihr vorgebliches Objekt, Gott, sich jeder Forschung entzieht. So sind die unterschiedlichen Theologien genaugenommen Literaturwissenschaften, die Sekundärliteratur zu einem bestimmten literarischen Werk erzeugen. Wir haben da also so etwas ähnliches wie in der Donaldistik, in der sich Menschen treffen, um anhand der Comic-Hefte über das Leben von Donald Duck und seiner Verwandschaft über Entenhausen zu forschen.

    Bei richtigen Wissenschaften ist es allerdings üblich, sich zum Streit in sie hinein zu begeben, Außenstehenden fehlt meist alles, um überhaupt mitreden zu können. Aber in dieser „Diskussion“ hier wird ein Wissenschaft von außen als Religion verunglimpft, als Überbleibsel aus unseligen Zeiten („Völkerkunde“), ohne überhaupt auf ihre Grundfragen einzugehen. Ich kenne dieses Verhalten von fundamentalistischen Gläubigen, wenn sie versuchen, gegen die Evolutionstheorie zu argumentieren, selten mit mehr Hintergrund als ihrem Religiösen Text. In fundamentalistisch regierten Ländern werden Wissenschaften, die dem religiösen Bezugstext widersprechen auch verboten, in extremen Fällen die Wissenschaftler auch getötet.

    Es ging ja hier um die Frage, ob es Volk gibt oder nicht. Ich hatte darum gebeten, mir mitzuteilen, um welche Bedeutung des Wortes Volk es geht, weil ohne die Definition des Objektes keine Existenzuntersuchung stattfinden kann, und erhielt keine Antwort. Von Argumentation auf Ihrer Seite kann also gar keine Rede sein. Wenn Sie behaupten, Volk gäbe es nicht, und gleichzeitig die Auskunft verweigern, was Sie unter Volk verstehen, machen Sie nichts anderes als ein Glaubenssystem aufzubauen.

    Diese bewusst unüberprüfbare gehaltene Aussage, Volk gäbe es gar nicht, benutzen Sie dann, um zu begründen, dass die Ethnologie keine Grundlage habe – Sie hätten sich genausogut auf ein heiliges Buch berufen können. Das ist der Hintergrund, vor dem ich von Talibanisierung spreche; dieses Verhalten gleicht dem eines fundamentalistischen Gläubigen. Ordentliche PC-Apologeten antworten mit einer vordergründigen Moral, wenn sie zur Sache gefragt werden und sind in Zweifelsfällen auch sofort dabei, Godwins Law zu bestätigen.

    Es steht Ihnen natürlich frei, Ihren Diskussionsstil für den rhetorischen Höhepunkt der Aufklärung zu halten, aber selbst zum Thema Eristik taugt er nur als schlechtes Beispiel.

  42. Ich hab mich ja redlich bemüht, hier ein bisschen Humor reinzubringen, das war aber vergebliche Liebesmüh‘. Ich rate auch Ihnen, Herr Wohlgemuth, keine weitere Energie in ein hoffnungsloses Unterfangen zu stecken. Sie stoßen auf taube Ohren und verhärtete Köpfe (um das andere böse Wort zu vermeiden). Das passiert am ehesten denjenigen, die sich für besonders rational halten, in Wirklichkeit aber nur die Genugtuung brauchen, recht zu behalten. Wie wir bereits oben festgestellt haben, ist der Begriff „Volk“ zu vielschichtig, um sich der Schulweisheit zu erschließen.

  43. An Brigitte Ernst

    Der Begriff „Volk“ ist nicht vielschichtig, sondern schlicht überflüssig. Wenn Sie über Ethnien reden wollen, dann tun Sie es doch. Ich hindere sie nicht daran. Sie werden schnell merken, dass es Ihnen nicht viel bringt angesichts der komplexen Wirklichkeit in unserem Land. Der Summe von deutschen Staatsbürgerschaften, welche die Einwohnerschaft Deutschlands bilden, werden Sie sich damit jedenfalls nicht annähern, denn darunter sind viele türkischstämmige Menschen, aber auch welche aus dem Iran und aus Afghanistan und vielen anderen Ländern.

    In diesem Zusammenhang Frank Wohlgemuth vom 22. Februar 2017 um 11:22

    „Wer also meint, ein Volk gäbe es nicht, muss dann auch sagen, dass es keine Bevölkerungen gibt.“

    Ich würde tatsächlich lieber von der Einwohnerschaft Deutschlands sprechen. Oder wenn Sie es ein bisschen kuscheliger mögen, von Landsleuten. Aber gegen den Begriff „Bevölkerung“ habe ich grundsätzlich erst einmal nichts, was Sie sicher erleichtern wird.

    „Außerdem – es gibt schließlich auch noch andere Bedeutungen des Wortes Volk, sollte er besser auch der Meinung sein, dass es auch keine Ethnien gibt, usw.“

    Unsinn. Selbstverständlich gibt es Ethnien. Ohne mich jetzt auf eine Debatte über vertiefende Definitionen einzulassen, gibt es dafür wiederum verschiedene Beschreibungen, die Teilaspekte von Ethnien aufgreifen, z.B. Stämme, Indigenos usw. Bei der Beschreibung eines komplexen Gebildes wie der Einwohnerschaft Deutschlands kommen Sie damit aber nicht weiter.

  44. @ Henning Flessner
    Ich habe nicht vor, jemanden zu überzeugen, der nicht liest, was er beantwortet.

  45. Herr Wohlgemuth möchte mich zum deutschen Volk zählen, nach der niedersächsichen Verfassung gehöre ich zum niedersächsichen Volk, meine Vater meinte ostfriesiches Volk und in der Brieftasche habe ich einen Ausweis, der sagt, dass ich Mitglied der Vereinigung der Franzosen im Ausland bin. Da kann einem richtig schwindelig werden. Welch ein Glück, dass ich nicht noch Elsässer bin.

  46. An Karl Müller

    Endlich mal ein konstruktiver Beitrag. Vielen Dank, Herr Müller! Richtig super! Jetzt haben Sie es verstanden.

  47. @ Stefan Briem,

    es mag daran liegen das Sie mich vielleicht auf meine Frage reduziert hatten? Wenn ich etwas aus einer bestimmten, hier legalistischen, Richtung anspreche steht da nicht unbedingt eine Befürwortung dahinter sondern es geht um einen Orientierungspunkt in der Diskussion.
    Die Problematik der Ambivalenz ist offenkundig, was aber ohne Definitionen dann nicht diskutierbar ist. Komplett negieren kann man die Notwendigkeit ja durchaus auch, nur darüber diskutiert sich schlecht.

  48. OK, ich nehme die Betonköppe zurück.
    Zu Frau Merkels Definition: Wo bleiben bei ihr diejenigen, die zwar die deutsche Staatsbürgerschaft haben, aber nicht im Land leben? Als ich in Italien lebte, fühlte ich mich doch nicht automatisch der italienischen Bevölkerung zugehörig. Anfänglich durchschaute ich weder die Sitten und Gebräuche dieses Landes noch die Parteienlandschaft. Wie kann man sich zugehörig fühlen, wenn man nicht einmal wahlberechtigt ist?

    @ Stefan Briem, 26. Februar, 16:39

    Selbstverständlich ist das Wort Volk vielschichtig. Zumindest hat es mehrere Bedeutungsvarianten. Um mich nicht wiederholen zu müssen, verweise ich auf meine Beiträge vom 22. Februar, 15:27 und 23:34. In diesem Zusammenhang frage ich diejenigen, die behaupten, Volk gebe es nicht: Wie hätte ein Verfechter der Demokratie zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Inhalt des Satzes: „In einer Demokratie geht alle Gewalt vom Volk aus“ ausdrücken können, ohne das Wort Volk zu verwenden?

  49. Wie nicht anders zu erwarten , hat der Beitrag von Arno Widmann: „Wer gehört dazu“ , offenbar eine ganze Anzahl von Leserbriefen der Leserbrief-Redaktion der FR „beschert“ . Sie , lieber Herr Bronski, nehmen dies zum Anlaß zu einigen philosophischen Betrachtungen darüber, warum es in unserer Sprache überall „herum Volkt“, also dieses Wort VOLK als Referenzbegriff ständig gebraucht oder auch mißbraucht wird? ^^ Ihr Nachdenken stößt natürlich die Debatte an, welchen bestimmten Inhalt eigentlich allgemeine Oberbegriffe haben? Nach Ludwig Wittgenstein sind aber Begriffe nur eine Art von Hammer oder ein Hinweisgeber auf einen möglichen Sinn. Man klopft an einen Gegenstand, „es tönt“ und schon meint man, mit dem Begriff eine Erkenntnis gewonnen zu haben. Oberbegriffe lassen sich durch dialektisches oder perspektivisches Argumentieren ganz leicht auseinander nehmen, aushebeln und als eigentlich „leer“ denunzieren. Auch die Hegel“sche Dialektik zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen kreist um die Brüchigkeit von Begriffen. Dieses Kritikastern wird aber solchen Oberbegriffen wie VOLK nicht gerecht. Max Weber hat mit seinem Idealtypus eine Anleitung zum sinnvollen Verstehen von Wörtern oder Generalbegriffen geliefert. Danach steigert man das spezifisch Gemeinte bei einem Begriff in der verbalen Ausführung so, daß die Bedeutung immer mehr zum Erscheinen kommt.^^ Man kann ein VOLK mehr inklusiv oder mehr exklusiv definieren, je nachdem man das Verbindende oder vermeintlich Essentielle betont oder darauf verweist, was auf keinen Fall zu einem bestimmten Volkscharakter gehört. Dieter Borchmeyer hat in seinem 1056s seitigen Buch „Was ist deutsch“ geschrieben, „Deutsch“ könne keine homogene Kategorie sein, sondern nur ein Begriff mit entsprechenden Brüchen“. Die deutsche Geschichte sei seit Jahrhunderten eine Geschichte der „Disruption“, weshalb sich daraus auch nicht nach konservativer Lesart so leicht eine „Leitkultur“ basteln läßt. ^^ Man entflieht also bei derartigen Reflexionen nicht so leicht der Falle des Relativismus !

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