Julian Assange: So macht man Journalismus mundtot

„Ent-Täuschung“ nennt der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, im FR-Interview einen schmerzhaften Prozess, dessen „Opfer“ er wurde, als er die Haftumstände von Wikileaks-Gründer Julian Assange untersuchte. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass Assange „weißer Folter“ ausgesetzt war bzw. ist. Er sitzt in Isolationshaft im britischen Gefängnis Belmarsh und zeigt „die typischen Anzeichen psychischer Folter“, wie er Sonderberichterstatter, der Professor für Internationales Recht ist, bei einem Besuch im Jahr 2019 festgestellt hat:

Assange 2017„Die Isolation eines gestressten, geängstigten Menschen hat ganz schlimme Konsequenzen, der Gefangene gerät in ein Wechselbad von permanentem Panikzustand und schwersten Depressionen, was ihn stark destabilisiert und zermürbt. Dies wird zusätzlich verschlimmert durch ständige Bedrohung, Demütigung, Diffamierung und Willkür.“ Assange leide unter extremen Stress- und Angstsymptomen, von denen sich der Körper nicht mehr erhole.

Melzers Täuschung war, dass er so etwas in einem westlichen Rechtsstaat, einer „reifen Demokratie“, wie er Grßbritannien nennt, für unmöglich gehalten hatte. Sich von dieser Täuschung zu entwöhnen, sich also zu ent-täuschen, das muss wehtun, vor allem wenn man Idealist ist. Denn was kommt danach? Die bittere Erkenntnis, dass die Realität so ist, wie sie ist? Das vom Wert journalistischer Arbeit für die Demokratie zwar gern in Sonntagsreden gesprochen wird, dass dieser Wert aber sang- und klanglos in die Tonne getreten wird, wenn er so etwas wie die nationale Sicherheit zu bedrohen scheint?

„Die politischen Eliten des Westens“, sagt Nils Melzer, seien „soweit von ihren Bürgern und Verfassungspflichten entfremdet, dass sie die eigenen Kriegsverbrecher und Folterer vor Strafe schützen, gleichzeitig aber diejenigen schonungslos verfolgen, die ihre schmutzigen Geheimnisse ans Licht bringen.“ Die Öffentlichkeit habe einen Anspruch darauf, über Fehlverhalten von Behörden informiert zu werden. „Es geht um die Überwachung der Regierungsmacht, um Checks and Balances. Dabei hat Wikileaks eine wichtige Rolle übernommen. Für mich ist Assange eine Art Untergrundkämpfer der Pressefreiheit.“

Ja, der Westen und seine Werte. Ein Gericht hatte im Januar Assanges Auslieferung in die USA abgelehnt. Die USA gingen in Berufung, das Verfahren schwebt also weiterhin. In den USA drohen Assange 175 Jahre Einzelhaft, möglicherweise auch die Todesstrafe. Via Wikileaks hatte Assange unter anderem geheime US-Militärdokumente und Videos zu den internationalen Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan veröffentlicht und damit Kriegsverbrechen der US-Truppen dokumentiert.

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Update: Diese Text wurde ursprünglich am 7. Mai anlässlich der FR-Berichterstattung veröffentlicht. Am 3. Juli hat die FR nun Julian Assange zum 50. Geburtstag gratuliert und so wieder an ihn erinnert. Dazu kamen weitere Zuschriften herein, die ich unten veröffentlich.

fr-debatteAssange wird faktisch in den Tod getrieben

Vielen Dank für die zweiseitige Berichterstattung über den Umgang mit Julian Assange, der nichts weiter verbrochen hat als aufklärerischen Journalismus zu betreiben, indem er amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan öffentlich machte. Und der nun durch britische Isolationsfolter und die Androhung der Auslieferung in die USA faktisch in den Tod getrieben wird.
Was mich irritiert: Dass über Assange nur am Internationalen Tag der Pressefreiheit berichtet wird, über den inhaftierten russischen Regimekritiker Nawalny aber praktisch täglich.

Marianne Friemelt, Frankfurt

fr-debatteEin politisch motivierter Haftbefehl

Als nach der letzten Verhandlung Anfang 2021 bei den Unterstützern von Julian Assange große Freude ausbrach, war ich über diesen etwas naiven Optimismus sehr überrascht. Eine Freilassung des wegen Verstoßes gegen Kautionssauflagen Verurteilten wäre das Mindeste gewesen. Aber noch unter dem Schatten von Donald Trump, wäre eine Auslieferung vielleicht nicht populär gewesen.
Es ist deutlich, dass Großbritannien seinen Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks die Schmutzarbeit abnehmen wird. Das Schreckliche ist, dass ein Gericht diese Entscheidung getroffen hat. Der offizielle Bericht von Herrn Melzer (UN-Sonderberichterstatter für Folter) ist ja schon lange bekannt und hat nur kurz Aufmerksamkeit erregt und sogar Kritik ausgelöst.
Wir messen auch mit zweierlei Maß. Über Terrorregime wie in Weißrussland oder Myanmar wird gerne berichtet. Es stellt sich daher doch die Frage, wo der ethische Unterschied ist, wenn Putin einen Auftragsmörder nach Berlin schickt oder Donald Trump einen iranischen General im Irak mit einer Drohne ermorden lässt incl. Kollateralschäden.
Den Aussagen von Herrn Melzer ist nichts hinzuzufügen. Wir dürfen aber nicht zulassen, das nach all diesen Erkenntnissen Resignation erfolgt. Julian Assange hat kein Verbrechen begangen. Man wird auch nie erfahren wer ihn Schweden oder England Ihn in die Falle gelockt hat. Es muss international Konsens sein, dass politisch motivierte Haftbefehle nicht ausgeführt werden dürfen.

Christoph Kruppa, Riederich

fr-debatteWarum ist Assange immer noch im Gefängnis?

Nach dem Interview mit Herrn Prof. Melzer dem Sonderberichtserstatter für Folter der UN werde ich in meiner Meinung bestärkt, dass man zwar die Verletzungen der Menschenrechte bei Diktaturen wie China, Iran, Türkei mit Recht auf das Heftigste verurteilt, aber im eigenen Land diese mit Füßen getreten werden. In den USA kann man von einem geheimen Staatssicherheitsgericht für den Rest des Lebens hinter Gitter gelangen, für Verbrechen, die der eigene Staat veranlasst hat (Folter, Mord usw.) Die Journalisten, die diese veröffentlichen werden verurteilt, während die Ausführenden straffrei bleiben (siehe Wikileaks). Diese Unrechtsmethoden gibt es nur in Diktaturen oder sonstigen Unrechtsstaaten. Damit kann man den freien Journalismus auch mundtot machen.
Es ist einer der größten Skandale, dass man Julian Assange immer noch im Gefängnis lässt. Alle gleichgesinnten Journalisten sollten einen weltweiten Protest veröffentlichen, der die sofortige Freilassung von Julian Assange fordert.

Hermann Michel, Mörfelden-Walldorf

fr-debatteGewissenlose psychische Folter

Es fühlt sich erleichternd an, von Nils Melzer mit ganz klaren Worten beschrieben zu sehen, was Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit im Westen wert sind, wenn es darum geht, das Image einer reinen Weste zu schützen: Gewissenlose psychische Folter an einem Menschen, um gezielt andere davon abzuschrecken, die Wahrheit über die Gräueltaten des demokratischen Westens an den Tag zu bringen.Vietnam, Irak, Libyen, Afghanistan…: Lauter Kriege, aufgebaut auf Lügen als Rechtfertigung, die unzählige Tote, unbeschreibliches Leid und zerstörte Gesellschaften hinterlassen. Welche Hybris der führenden demokratischen Macht – und im Schlepptau die EU mit unbeirrtem Korpsgeist. Und ohne diesen Wahnsinn verfehlt man das Attribut „regierungsfähig“ – dagegen soll die Kritik daran ausgerechnet realitätsferne Spinnerei sein. Als ginge wirkliche Demokratie nicht auch ganz anders.
Die Parteilichkeit hierzulande ist ungebrochen, eine tiefe automatisierte Spurrille in den Hirnen, diese fatale, primitive Vorstellung von hier gut und dort böse, die die so dringend notwendige Weltinnenpolitik verhindert und stattdessen die Rüstungsspirale füttert.
Damit es nicht unerwähnt bleibt: Vor diesem Hintergrund wird die eigentlich richtige Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen von Russland, China, Iran… so unglaubwürdig und wirkungslos. Geäußert von der westlichen Diplomatie ist sie nichts anderes als taktischer Angriff in der Konkurrenz mit den gewollten Feinden.

Joachim Reinhardt, Hüttenberg

fr-debatte

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10 Kommentare zu “Julian Assange: So macht man Journalismus mundtot

  1. Es stößt mir schon sehr lange auf und macht mich unglaublich wütend, wie unterschiedlich die Medien die Fälle Julian Assange und Nawalny behandeln. Es macht offenbar hier zu Lande einen großen Unterschied, ob man einem russischen Präsidenten auf die Hühneraugen treten will oder unsere amerikanischen ach so menschenrechtskonformen „Freunde“ (nur bei Wohlverhalten) auf ausgesprochen ungerechtes Verhalten hinweisen will.

  2. Ursula Samman ist voll zuzustimmen: Die Berichterstattung ist recht einseitig. Nawalny ist ständig präsent, Assange wird nur rundimentär erwähnt. Ja, es ist wohl ein Unterschied, ob ein „geliebter gegner“ wie Russland attackiert wird oder der westliche Imperialismus mit all seinen Verbrechen von Vietnam, Irak bis Syrien. Leider ist auch die sich so kritisch feiernde FR da auch keine wirkliche Ausnahme. Verdeckt wirkende CIA-Thinktanks wirken wohl in allen europäischen Medien. Es ist zum k…

  3. Quatsch!!!!
    (Mit vier Ausrufezeichen!)
    Der Unterschied ist, dass Nawalny Nachrichten produziert, weil er politisch aktiv ist. Außerdem ist er der einzige ernst zu nehmende Oppositionspolitiker in Russland. Er ist weder Menschenrechtler noch Journalist. Man kann die Fälle also nicht vergleichen. Du kannst von ihm halten, was du willst: Er ist von internationalem Interesse. Assange dagegen sitzt im Gefängnis und produziert keine Nachrichten abgesehen von dem, was um ihn und seinen Fall herum an Nachrichten produziert wird.
    Ich bin der Frankfurter Rundschau dankbar, dass sie den Tag der Pressefreiheit zum Anlass für das Interview mit Nils Melzer genommen hat.

  4. Wie man Julian Assange seit vielen Jahren behandelt, ist in meinen Augen die ungeheuerlichste und undemokratischste Aktion, die der „freie Westen“ nach dem Zweiten Weltkrieg veranstaltet hat. Und die Bundesrepublik reiht sich in diese Phalanx brav mit ein, wie sie es immer gemacht hat, wenn der große Bruder in den USA etwas anordnet, das ging mit der Verweigerung eines Asyls für Edward Snowdon los und endet in dem großen Schweigen zu Julian Assange. Schlimm, ich schäme mich für diese Nation, die behauptet, demokratische Tugenden hochzuhalten und Menschen zu unterstützen, die illegale Aktivitäten von Regierungsstellen aufdecken.

  5. Es stößt mir schon sehr lange auf und macht mich unglaublich wütend, wie unterschiedlich die Medien die Fälle Julian Assange und Nawalny behandeln. Es macht offenbar hier zu Lande einen großen Unterschied, ob man einem russischen Präsidenten auf die Hühneraugen treten will oder unsere amerikanischen ach so menschenrechtskonformen „Freunde“ (nur bei Wohlverhalten) auf ausgesprochen ungerechtes Verhalten hinweisen will.

  6. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass die Frankfurter Rundschau an solch hervorvorgehobener Stelle einen Geburtstagsgruß an Herrn Assange veröffentlicht hat. Diesen Gruß hat er verdient und ich bedaure es, dass nicht auch andere Pressemedien in dieser Richtung veröffentlicht haben.
    Was mit Herrn Assange geschieht ist eine klare Menschenrechtsverletzung. Diese Verletzung stützt aber auch meine seit Jahren bestehende feste Auffassung, dass jeder Mensch, der die wirklich mächtigen Apparate und deren Personen angreift, auf diese oder ähnliche Art und Weise bekämpft wird. Das gilt für Diktaturen, autoritäre Systeme und eben auch – trotz gegenteiliger Behauptungen – für alle parlamentarisch verfassten Staaten. Diese arbeiten nur nach außen hin nicht so erkennbar brutal wie Diktaturen oder autoritäre Regime.

  7. Vielen Dank für Ihre Erinnerung. Es fällt schwer, nicht zu resignieren. Wir sorgen uns um den Fortbestand unserer Demokratie und wollen nicht wahrhaben, dass wir selbst dabei sind, sie zu demontieren. Wie scheinheilig und heuchlerisch sind doch unsere Attacken gegen China! 1984 hat längst begonnen oder war schon immer da. George Orwell würde sich im Grabe umdrehen wenn er wüsste, wie naiv er noch war. Die Hunde bellen und die Karawane zieht weiter.

  8. Nicht allein die unterschiedliche Behandlung der Fälle Assange und Navalny machen würtend, sondern erst recht die unterschiedliche Behandlung seitens der Politiker.

    Keinen Deut scheinen sich Leute wie Maas darum zu scheren, dass Navalny absolut rechts einzustufen ist. Aber dieser erfährt auf Steuerkosten eine Prominentenbehandlung im Schwarzwald, dreht dabei noch Filme, während man Assange am langen Arm verhungern lässt.

    Es schreit zum Himmel!!!

  9. Eine Anmerkung zu Herrn Burmester:
    Auch ich habe mich sehr gefreut, dass die FR an so prominenter Stelle auf J. Assange aufmerksam macht.
    Doch möchte ich darauf hinweisen, dass die Zeitung „Junge Welt“ mehrere ausführliche Berichte zu ihm veröffentlicht hat. Unter anderem am 28. Juni. In diesem Artikel wurde erstmalig darüber berichtet,dass der „Kronzeuge“ der USA ein Lügner ist, der seine „Beschuldigungen“ frei erfunden hat.
    Doch sogar das ist für die Bundesregierung kein Grund zu intervenieren.

  10. Herzlichen Glückwunsch zu dem Geburtstagsbrief an Julian Assange auf der Titelseite!
    Das Schweigen der anderen Zeitungen(„Junge Welt“ ausgenommen) beschämt die gesamte Branche und ist ein weiterer Sargnagel für unsere in Auflösung begriffene Demokratie.
    Jede Solidarität mit einem Journalisten und schärfster Protest gegen diesen zum Himmel schreienden Fall sollte von Kollegen eine Selbstverständlichkeit sein. Gerade jetzt, wo die USA weiterhin seine Auslieferung betreiben werden. In was für barbarischen Zeiten leben wir?

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