Liebe Leserinnen, liebe Leser!

Es ist an der Zeit, eine kleine Zwischenbilanz zu ziehen. Am 5. Dezember 2015, also vor fast einem Jahr, startete das FR-Projekt „Ankunft nach Flucht“. Sie, liebe Leserinnen und Leser, waren und sind eingeladen, mir Ihre Zeitzeugenberichte zu schicken. Es ging und geht um die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als geschätzte zwölf bis 15 Millionen Deutsche aus dem Osten des einstigen Deutschen Reichs vertrieben wurden und/oder flüchten mussten. Genauere Zahlen haben wir nicht.

Während die Dramen, die sich während der Flucht ereigneten, gut dokumentiert und erforscht sind, kann man dies für die vielen Geschichten, die aus der Zeit nach Flucht und Ankunft zu erzählen wären, keineswegs sagen. Irgendwie ist da so etwas wie ein Loch oder ein Flickenteppich in der Wahrnehmung von der Nachkriegszeit. Vielfach setzt das Interesse der Historiker und die allgemeine Erinnerung erst mit dem Aufschwung wieder ein, der als „Wirtschaftswunder“ bezeichnet wird. Doch in den Jahren dazwischen ist eine Menge passiert, wie die Zeitzeugenberichte belegen, die bisher im FR-Projekt „Ankunft nach Flucht“ dokumentiert sind.

ankunft-nach-fluchtUm eben diese Jahre und um diese Lücke geht es im Projekt „Ankunft nach Flucht“. Es geht darum, dass sich zwölf bis 15 Millionen Menschen in einem zerstörten Restdeutschland integrieren mussten. Sie versuchten, in einer Aufnahmegesellschaft Fuß zu fassen, die ihnen keineswegs immer freundlich gesonnen war. Und doch spricht unter dem Strich aus fast allen Berichten Optimismus und der Wille, „es“ zu schaffen.

anf-sc-2Nachdem nun bereits 41 Zeitzeugenberichte hier im FR-Blog und im Print-Leserforum der FRANKFURTER RUNDSCHAU veröffentlicht worden sind, war es an der Zeit, die Dinge neu zu ordnen. Das Projekt „Ankunft nach Flucht“ bekommt einen eigenen Button in der Navi-Leiste des FR-Blogs (siehe Screenshot rechts). Ein Klick auf ANF führt zu einer kurzen Einführung in das Projekt und dann gleich zu einer Liste der bisher in Print und Blog veröffentlichten Zeitzeugenberichte. Dieser Liste werde ich in den Wochen bis zum Jahresende 2016 alle pdf-Dokumente von den Leserforum-Seiten hinzufügen, auf denen sie im Print erschienen sind. Künftige Berichte werden online weiterhin als Gastbeiträge in der linken der beiden Hauptspalten des FR-Blogs erscheinen und können auch weiterhin über die Archiv-Kategorie „Ankunft nach Flucht“ gefunden werden. Darüber hinaus sind sie nun auch an einem Ort im FR-Blog gebündelt erreichbar, der immer zu sehen ist, egal wo im FR-Blog man sich gerade befindet. Und für alle, die nicht wissen, wie sie im FR-Blog mitreden können, gibt es gleich daneben einen Button namens „Einführung“, der Sie mit dem FR-Blog besser bekannt macht, wenn Sie das wollen.

Während im Print meist nur Platz für Auszüge war, gibt es im Blog keine Platzbegrenzung, so dass hier die vollständigen Berichte veröffentlicht werden konnten. Sie werden dort sehr lange online existieren. Die Zukunft ist online, die Zukunft ist das Netz. Es lohnt sich, auch jene Beiträge noch einmal nachzulesen, die Sie vielleicht im Print schon gelesen haben. Da gibt es noch wesentlich mehr zu erfahren, als im Leserforum transportiert werden konnte.

Erzählen Sie es weiter!

Noch harren einige Beiträge der Veröffentlichung. Sie werden in den kommenden Wochen gebracht. Trotzdem möchte ich die Einladung gern erneuern. Das Angebot steht weiterhin: Wenn Sie etwas aus jener Zeit nach Kriegsende zu berichten haben, scheuen Sie sich nicht, es an mich heranzutragen! Sprechen Sie Freunde an, von denen Sie wissen, dass sie etwas von damals mitzuteilen haben, und machen Sie sie auf das FR-Projekt aufmerksam! Interviewen Sie Ihre Eltern! Machen Sie Ihren Stockwerksnachbarn auf „Ankunft nach Flucht“ aufmerksam! Sorgen Sie auf diese Weise dafür, dass die Berichte und Erinnerungen erhalten bleiben, auch wenn die Zeitzeugen irgendwann gestorben sein werden. Das FR-Blog ist ein sehr guter Ort, diese Erinnerungen für das kollektive Gedächtnis aufzubewahren.

Ich freue mich auf Ihre Beiträge!

Ihr Lutz „Bronski“ Büge
FRANKFURTER RUNDSCHAU
FR-Blog

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10 Kommentare zu “Ankunft nach Flucht — Eine Zwischenbilanz

  1. Guten Tag,

    kaum hatten Sie Ihren Blog ins Leben gerufen, habe ich mich mit einem Beitrag beteiligt. Dieser ist in Blog nicht mehr auffindbar. Warum eigentlich nicht?

    Danke, wenn ich eine Erklärung bekomme.

    Gruß von Gerfried Ferchau
    Wolfsburg

  2. Ich finde die Rubrik „Ankunft nach der Flucht“ ein gute Sache – auch dass tatsächlich sehr unterschiedliche Geschichten und Sichtweisen hier ihren Platz finden konnten.
    Was ich allerdings anstößig finde, ist, dass das Thema erst im Laufe der aktuellen Flüchtlingswelle aufgegriffen wurde – ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Geschichten „jetzt gerade recht“ kommen.

  3. @ Gerfried Ferchau

    Ihr Beitrag ist selbstverständlich weiterhin hier im FR-Blog online. Er ist allerdings inzwischen weit nach hinten gerutscht, weil es ja viele neue Diskussionen gegeben hat. Er hat die Kommentarnummer 38788. Inzwischen sind wir bei 42832.
    Klicken Sie doch bitte mal auf „ANF“ oben in der Navigationsleiste dieser Seite. Wenn Sie dann ein bisschen nach unten scrollen, werden Sie auf Ihren Namen stoßen. Die Liste ist alphabetisch. In dem Eintrag finden Sie dreimal ein rot unterlegtes HIER. Je nachdem, auf welches davon Sie klicken, kommen Sie zu Ihrem Originalkommentar, zu Ihrem Beitrag zum Projekt oder zum pdf von der Leserforumseite von damals. Es ist alles sauber verlinkt.
    Ein anderer Weg, zu Ihrem Artikel zu gelangen, wäre, dass Sie einfach die betreffende URL in die Adresszeile Ihres Browsers eingeben. Das wäre frblog.de/anf-ferchau. Die Adressen der AnF-Artikel sind alle gleich aufgebaut: erst die Domain (frblog.de/) und dann die individuelle Adresse, die sich aus dem Kürzel anf (für „Ankunft nach Flucht“) und dem jeweiligen Nachnamen zusammensetzt, in Ihrem Fall Ferchau.

    @ deutscher Michel

    Tatsächlich hat mich die „Flüchtlingswelle“ erst auf die Idee zu diesem Projekt gebracht. Ich wüsste nicht, was daran anstößig sein soll.

  4. @ Bronski:
    Immerhin finden/fanden z. B. die Sudetendeutschen Tage seit 1950 jährlich statt.
    Hauptsächlich Teilnehmende: Geflohene, Vertriebene und deren Nachkommen.
    Sie wurden – soweit ich mich erinnere – überwiegend belächelt.

  5. Ich glaube, es ist müßig zu fragen, warum mir diese Idee nicht bei einem anderen Anlass gekommen ist. Der entscheidende Anstoß war eine Reportage im FR-Magazin im November 2015 über eine andere Flüchtlingswelle, nämlich die nach dem Zweiten Weltkrieg. Daraufhin bekam ich einen Leserinbrief, in dem Andrea Günther schrieb, dass die Geschichte der Integration von Deutschen in die Nachkriegsgesellschaft Deutschlands kaum erforscht sei. Das ist HIER dokumentiert. So ist das Projekt entstanden. Wie gesagt: Ich verstehe nicht, was daran anstößig sein soll. Besser jetzt als gar nicht, oder?

  6. @ deutscher Michel, 3. Dezember 2016 um 15:43
    „Immerhin finden/fanden z. B. die Sudetendeutschen Tage seit 1950 jährlich statt. Hauptsächlich Teilnehmende: Geflohene, Vertriebene und deren Nachkommen.“

    Ich frage mich, was eine solche Äußerung in diesem Zusammenhang soll und was damit „bewiesen“ werden soll. Wer sich die Mühe macht, findet z.B. bei Wikipedia unter „Bund der Vertriebenen“:
    „1965 gehörte knapp ein Prozent der Vertriebenen einer Landsmannschaft des BdV an.“ Und seither „nahm die Bedeutung des BdV ab.“
    Allein dies belegt zu Genüge, dass z.B. Erika Steinbach beileibe nicht „die Vertriebenen“ repräsentiert. Und selbst wenn dies der Fall wäre, wäre das noch lange kein Grund, Erfahrungen, die Millionen von Menschen betreffen, zu tabuisieren, nur weil es aus irgendwelchen (meist politischen) Gründen nicht opportun erscheint. Gerade dies wird von Populisten unter dem Stichwort „political correctness“ Politikern und auch Medien vorgeworfen.
    Teilweise sicher nicht ganz zu Unrecht.

    Tabuisierung in der Elterngeneration der Nachkriegszeit – und zwar auf Seite der Opfer wie der Täter – hatte sicher andere Gründe: einfach vergessen wollen. Ich hätte dafür viele Beispiele.
    Allerdings gab es auch genügend Versuche, mit einem Monopol des „Opferstatus“ Politik zu machen. Besonders deutlich etwa durch die Netanjahu-Regierung in Israel, wie Moshe Zuckermann in „‚Antisemit!‘ – Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“ an vielen Beispielen nachweist.
    So wurden auch den Initiatoren des „Kriegskinder“-Kongresses 2005 (an dem ich selbst teilgenommen habe) vorgeworfen, einen „Wettbewerb der Opfer“ betreiben zu wollen. Gar von „Umdeutung der deutschen Geschichte“ wurde gesprochen. Was natürlich unsinnig ist.
    Der wahre Grund ist, dass gerade durch Verdrängung sich Traumata und Schuldkomplexe festgesetzt hatten (bei Opfern wie bei Tätern), die sich – nach 60 Jahren! – in Form eines hohen Anteils an Neurosen bei „Kriegskindern“ auswirkten (Studien sprechen von Kriegs-Spätfolgen bei 54% der Psychoanalyse-Patienten).
    Die gerade um diese Zeit einsetzende Flut an, meist autobiographischen, literarischen Auseinandersetzungen mit den Themen „Krieg“ und „Flucht“ ist ein weiterer Beleg für das völlig berechtigte Bedürfnis, sich jahrzehnte lang Belastendes „von der Seele zu schreiben“ – zum Teil eine durchaus wirksame Methode der Selbsttherapie.

    Das Projekt „Ankunft nach Flucht“ von Bronski und der FR ist ein wertvoller Beitrag in eben dem genannten Sinn. Und die bisher eingegangen Beiträge bestätigen das durchaus.
    Es dient zudem der Vorbeugung gegen neue Mythenbildung bzw. der Auseinandersetzung mit Versuchen derselben. So etwa ist bemerkenswert, dass derzeit vor allem populistische Bewegungen und Parteien, indem sie – vermeintliche oder wirkliche – Tabuisierungen anprangern, dies zugleich mit dem Anspruch eines neuen „Opfer“- Monopols verbinden.
    Tabuisierungen sind immer bedenklich – es sei denn, sie betreffen menschenverachtende Sprache und Formen der Auseinandersetzung bzw. den Schutz von meist wehrlosen Menschen vor eben denselben.

  7. @ Werner Engelmann

    Das Problem des BdV war doch, dass ein großer Teil seiner Mitglieder politisch weit in der rechten Ecke anzusiedeln war und sich bis in die 90er Jahre der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze widersetzte. Insofern standen sie der von der Mehrheit der Deutschen begrüßten Entspannungspolitik der Brandt-Ära im Wege. Das und die von der restlichen Bevölkerung als ewiggestrig und deutschtümelnd erlebte Verehrung der „Heimat“ (welche die Angehörigen unserer Generation ja gar nicht mehr bewusst erlebt hatten) führte dazu, dass die Vertriebenen in der BRD, wie „deutscher Michel“ sagt, tatsächlich kein allzu hohes Ansehen genossen. Was dann auch zur Folge hatte, dass man das Leid, das sie erfahren hatten, nicht ernst genug nahm.

  8. @ Brigitte Ernst

    Hab‘ ich was dagegen gesagt?
    Das Problem ist doch, dass es auch damals die Tendenz gab (analog zu Verhaltensweisen heute gegenüber Muslimen bzw. Flüchtlingen aus muslimischen Ländern), Flüchtlinge als Gesamtheit in Kollektivhaft zu nehmen für ewig gestrige Sprücheklopfer von Flüchtlingsverbänden, die bei diesen selbst keinerlei Unterstützung genossen. Wobei es keine signifikanten Unterschiede in der Haltung, etwa zur Ostpolitik, zwischen Flüchtlingen und „Einheimischen“ gab.
    In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass ich bei meinem ersten Besuch (1990) in meiner Heimatstadt Iglau Sudentendeutsche traf, die schon seit vielen Jahren in herzlichem Kontakt mit den Tschechen standen, die nun ihre früheren Häuser bewohnten.
    Die eigentlichen Gründe für Ablehnung gegenüber Flüchtlingen lagen zudem auf völlig anderem Gebiet. So etwa Neid bei überdurchschnittlichem schulischen Erfolg. Diesbezüglich sind bei mir durchaus noch Erinnerungen vorhanden.
    Bei der Bemerkung von „deutscher Michel“ geht es auch nicht darum, dass diese falsch wäre, sondern dass sie deutlich als Einwand gegen die Berechtigung dieses Projekts erkennbar ist.

  9. @ W. Engelmann:
    auch mein Vater und seine Eltern hatten einen angenehmen Kontakt mit den Tschechen, die ihr früheres Haus im Altvatergebirge bewohnten.

    Auch ich durfte dort bei einigen Besuchen in der alten Heimat meines Vaters diese Gastfreundschaft genießen (leider war die Verständigung äußerst schwierig).

    Nun hatte ich als junger – von meinen Lehrern geprägter Mensch – für die Geschichten der Vertreibung wenig übrig; die Geschichte meiner Großeltern hat leider erst später begonnen, mich zu interessieren.

    Und genau das, was meine Lehrer indirekt geschafft haben, haben auch die meisten Medien praktiziert.
    Für mich und meine Mitschüler/innen wäre es auf jeden Fall „uncool“ gewesen, sich mit dem Thema Flucht und Vertreibung zu beschäftigen.

  10. @ deutscher Michel, 5. Dezember 2016 um 22:46

    „Auch mein Vater und seine Eltern hatten einen angenehmen Kontakt mit den Tschechen, die ihr früheres Haus im Altvatergebirge bewohnten.“

    Ich bin überzeugt, dass solcherart versöhnliches Verhalten weiter verbreitet war als allgemein angenommen wird. Nur fand es eben nicht den Weg in den öffentlichen Diskurs und somit auch nicht in historisches Bewusstsein. Das wurde von den rückwärtsgewandten Verbänden geprägt. Ein Indiz für diese Annahme ist, dass die Ostpolitik, trotz massiven Widerstands von dieser Seiten sowie von konservativen Parteien, so schnell Akzeptanz gefunden hat.
    Das wäre ein Argument mehr dafür, mit einem solchen Projekt wie dem hier vorliegenden, zur Vervollständigung der Quellenlage für sachliche historische Beurteilung beizutragen. Wobei aus der zeitlichen Distanz ein sachlicheres Herangehen auch leichter fällt.
    Zum eigenen Interesse für die Thematik „Flucht und Vertreibung“:
    Ihr beschriebenes Desinteresse als Jugendlicher ist verständlich und m.E. auch durchaus rational. Es war bei mir nicht anders. Gerade das erleichterte es, mit den neuen Verhältnissen zurecht zu kommen, was für uns Jüngere natürlich leichter war als für die Elterngeneration. Der Frage „Was wäre gewesen, wenn…?“ nachzuhängen hätte eher zu Abkapselung und Weltfremdheit geführt. So etwa habe ich es bei einem Onkel von mir erlebt, für den 40 Jahre Leben in Bayern nicht annähernd den gleichen Stellenwert im Bewusstsein erreichten als wenige Jahre in der „alten Heimat“.
    Mit der Wende freilich hat sich auch die Bedeutung dieses Themas geändert. War nun doch direkte Konfrontation mit Verhältnissen und Lebensbedingungen in der „alten Heimat“ (und damit auch der eigenen Vergangenheit), nicht nur möglich, sondern in Hinblick auf den europäischen Einigungsprozess auch unabdingbar. Bez. des Verhältnisses zu Tschechien z.B. hat ein Vaclav Havel unschätzbare Dienste geleistet. Was unter dem engstirnigen Nationalismus eines Vaclav Klaus wieder beeinträchtigt wurde und nun vollends verschüttet zu werden droht.
    Auch dies m.E. ein Argument für eine solche Aufarbeitung der Thematik.

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