Wunderbare Massenhysterie

Alle Jahre wieder regiert Gott Fußball die Welt, und wir können uns endlich wieder über die wirklich wichtigen Dinge aufregen. Zum Beispiel über den japanischen Schiedsrichter, der gestern Abend beim Eröffnungsspiel der WM in Brasilien mit einer Fehlentscheidung dafür sorgte, dass das Spiel zugunsten der Gastgeber kippte: Yuichi Nishimura hatte ein Foul im Strafraum gesehen, das keines war. Gähn! Na ja, was wäre eine WM ohne solche welterschütternden Aufreger, nicht wahr? Was haben wir uns drauf gefreut! Gefreut haben sich übrigens auch eine ganze Menge brasilianischer Menschen. Ihre genaue Zahl ist allerdings nicht bekannt, genausowenig wie die Zahl derer, die sich darüber ärgern, dass der brasilianische Staat rund acht Milliarden Euro übrig hatte, um Stadien und Infrastruktur für die WM zu errichten, dass aber zugleich zahllose Menschen in Brasilien in bitterer Armut leben. Aber selbst von denen dürften sich einige über die WM freuen. Ein bisschen Ablenkung von den Problemen und Ärgernissen des täglichen Lebens ist doch mal ganz fein, nicht wahr?

Christiane Kimmler-Sohr aus Ratzeburg sieht das komplett anders. Sie bezieht sich auf eine Kolumne von Michi Herl, die leider nicht online ist; aber aus dem Leserin-Brief kann man erschließen, was er geschrieben hat.

„Ich frage mich, wie es sein kann, dass die allseits in epischer Breite geäußerte Kritik an den „kriminellen Machenschaften“ der Fifa und des DFB selbst bei Fußballfans, die ansonsten ein gesundes oder – sagen wir mal – kritisches politisches Bewusstsein haben, auf taube Ohren stößt. Es gibt kein Medium, das zur Zeit nicht das Thema WM auf der Prioritätenliste ganz vorne behandelt – inzwischen sogar vor der Ukraine und vor dem Gerangel um Juncker, geschweige denn ernsteren Ereignissen und Tragödien. Selbst die anspruchsvollen Kabarettsendungen wie etwa „Die Anstalt“ haben sich dem Thema voll und ganz verschrieben, allerdings – Hochachtung! – mit vielen Fakten, die einem nicht verblendeten Fußballfan eigentlich die Augen öffnen und das Fernsehgucken versalzen müssten. Aber wer schaut das schon …
Ja, mir scheint, dass ich zu den ganz wenig Naiven gehöre, die das Kind mit dem Bad ausschütten werden. Keine Veranstaltung verfolgen, weder akustisch noch optisch. Mir fällt’s nicht schwer, da ich’s noch nie mit Fußball gehabt habe. Ich habe mich vor Jahren einmal bei Bronski beschwert über das (nicht nur meiner Meinung nach) Übergewicht an Sportseiten in der FR. Er hat mich (weise) aufgeklärt, dass es nun tatsächlich so sei, dass die (absolute?) Mehrheit viel Wert darauf läge und an meine Toleranz appelliert – mit Erfolg. Ich überblättere einfach nach wie vor den gesamten Sportteil ( ohne Groll). Nicht verzichten möchte ich allerdings nach wie vor und mehr denn je auf die kritische Begleitberichterstattung zum Thema WM und Fußball im Allgemeinen. Ich teile Michael Herls Verwunderung darüber, dass ab kommenden Donnerstag Millionen von Menschen in diese Art von „Massenhysterie“ verfallen – eben angesichts der himmelschreienden Skandale und Machenschaften hinter den Kulissen.“

Roland Klose aus Bad Fredeburg meint:

„Ordem e Progresso (Ordnung und Fortschritt) lautet das Motto auf der brasilianischen Flagge. 157.000 Polizisten und Soldaten sorgen für Ordnung und schützen die heute beginnende Fußball-WM in zwölf Gastgeberstätten Brasiliens vor den aufgebrachten Demonstranten, die es nicht verstehen können, dass Brasiliens Politikern der Fußball wichtiger ist als die Bekämpfung der Armut im Lande. Und dieselben Politiker bezeichnen es auch noch als Fortschritt, etwa acht Milliarden Euro in die Fußball-WM 2014 investiert zu haben, die natürlich den Ärmsten der Armen vorenthalten wurden. Und das alles unter anderem für Jogis vom Verletzungspech und Formtief gebeutelte handzahme Löw(en) samt Jogi-Camp in der Pampa Brasiliens.
Die Mission World Cup droht mitten im Regenwald Amazoniens buchstäblich ins Wasser zu fallen.“

Andreas Ruppert aus Paderborn:

„Die FR von heute, 11. Juni, hat mir in ihrem Sportteil einiges Vergnügen bereitet. Da macht sich Jörg Anhäuser über die „WM der Sprücheklopfer“ lustig, und direkt daneben bietet uns Jan Christian Müller sieben ganze Spalten voller Hinweise, von denen wohl kein einziger nicht schon gefühlte 100-mal zu lesen war. Nun, einer war aber doch überraschend – Trainer Löw hat uns seinen Top-Favoriten verraten: Brasilien! Der Jogi, der Urs, der Oliver, das sind wahnsinnig scharfe Analytiker und wahnsinnig gute Kenner der Fußballwelt. Ein bißchen neidisch wird man da schon.“

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15 Kommentare zu “Wunderbare Massenhysterie

  1. Ganz vorne dabei pushen die Medien ein Spiel(!) mittels „farbiger Metaphern“ zu Schauplätzen falscher Identitäten und scheuen sich auch nicht, das Spielfeld zum Leidensfeld und Kriegsschauplätzen überzustilisieren, wie immer in der Hoffnung auf Käufer und Klicks.

    Insbesondere die forcierte Schiedsrichterdiskussion trägt dazu bei, Fehlentscheidungen und Fehlleistungen nicht mehr als subjektiv und verzeihlich (und letztlich unerheblich) anzusehen, sondern „Gerechtigkeit“ und „Wiedergutmachung“ zu fordern, bis hin zu absurden Begriffen wie „Rache“ und „Wiederauferstehung“ und „Fußballgott“.

    Aus der FR: „Was für eine Demütigung“, „führt XY YX vor“, „Final-Trauma“,“entzaubern“,“Zaubertor“,“überrollt XY YX“,“Japanische Fans schämen sich.“,“Verschwörung“,“vernichtende Kritik“ und ähnlichen Unsinn in Legion.

    Es ist überfällig, Sprachgewalt ggf auch als Gewaltsprache zu kennzeichnen.

  2. Lieber Herr Herl,
    Ihre Kolumne habe ich auch dieses Mal wieder sehr gerne gelesen und teile Ihnen hier nur kurz mit, dass ich mich mich der Leserin Frau Kimmler-Sohr anschließe, deren sehr guter Beitrag zu Ihrem Artikel heute veröffentlicht wurde. Auch ich teile Ihr Unverständnis oder Ihre Verwunderung darüber, dass angesichts der ganzen Skandale trotzdem noch immer eine Massenhysterie um den Fußball entsteht. Ich für meinen Teil gucke jedenfalls keines der WM-Spiele, habe auch nicht die Eröffnungsfeier geguckt. Selber spielen ist überdies gesünder.

  3. So eine Fussballweltmeisterschaft ist doch die letzte Möglichkeit, bei der man politisch korrekt chauvinistisch sein darf.

  4. @Henning Flessner

    Dann gehört dies Möglichkeit sicherlich abgeschafft, denn chauvinistisch zu sein, ist niemals politisch korrekt.
    Ohnehin geht es in keiner Weise mehr um „nationale“ Identität, sie ist auch nicht wünschenswert, aber wer heute noch die Illusion hat, daß bei BVB Dortmund nur Dortmunder, bei Bayern München nur Münchner und bei Hintertupfing bloss Hintertupfinger und für Deutschland nur Deutsche spielen, der hat den Knall eh‘ nicht gehört.
    Fußball ist längst international, die sportlichen Wettbewerbe als „nationalen Wettstreit“ zu stilisieren ist mehr als überholt und dient nur der Mobilisierung alberner Sehnsüchte, um sie finanziell auszumelken. Den Funktionären ist „Nationalität“ vollkommen wurscht, es sei denn, sie bringt Geld und hilft, die Massen zu lenken. Das war und ist auch im politischen Kontext der Fall.
    Eine Chancengleichheit ist auch nicht mehr gegeben, da die Leistung lange schon von den Finanzen abhängt, eine angeblicher „ethnischer Vergleich“ (der nicht wünschenswert ist) findet ohnehin nicht mehr statt.
    Das Ordnungsprinzip „Regionalität“ oder „Nationalität“ gehört nicht mehr in den Kontext sportlicher Auseinandersetzungen. Ein echter sportlicher Vergleich wäre bestenfalls noch durch per Losentscheid zusammengewürfelte Mannschaften mit gleichen finanziellen Möglichkeiten ernstzunehmen, ohne regionale oder nationale Überfrachtungen.

    Eine zufällige Mannschaft, als temporäres, chancengleich trainiertes Team ohne Chauvinismen wäre der einzige Leistungsvergleich im Sinne eines Spiels, den man noch ernstnehmen könnte.

    Die „Identität“ gilt für 90 Minuten, danach ist sie bedeutungslos. Vor langer Zeit, auf dem Bolzplatz, war es möglich, daß ein Spieler während des Spiels die Mannschaft wechselte, aus Gründen der Fairness.

    Soviel Teamgeist fehlt heute.

  5. @BvG
    Ich gebe ihnen vollkommen recht, dass für die FIFA und die Spieler die Nationalität praktisch keine Rolle mehr spielt.
    Bei den Zuschauern spielt es aber nach meiner Meinung schon noch eine grosse Rolle. Wenn Sie im Ausland leben (z.B. in der Schweiz oder den Niederlanden) und dort ein Fussballspiel gegen die deutsche Nationalmannschaft erleben, haben sie nicht das Gefühl, dass die Zuschauer ein schönes Spiel sehen wollen, dass der Bessere gewinnt.
    Wenn der Sport für die Nationalstaaten keine Bedeutung hat, warum halten sich fast alle Staaten Staatssportler (in Deutschland z.B. fast alle Wintersportler)?
    Warum gibt der deutsche Staat Millionen für Staatssportler aus?
    Das Prinzip „Nationalität“ gehört nicht in den Kontext sportlicher Auseinandersetzungen, sagen sie, wie ich finde zurecht. Aber fast in jeder Sportart gibt es Nationalmannschaften und oft mit staatlicher Unterstützung.

  6. @Henning Flessner

    Warum nationale Identität im Sport bei Zuschauern noch eine Rolle spielt, wäre schon einiger Überlegungen wert, es sind ja nicht bloss die schlichten Geister, die darauf einsteigen. Es ist fraglich, ob es einer nationalen Identität überhaupt bedarf.
    Die Frage, warum Sport staatlich gefördert wird und ein Staat sich Sportler hält, ist durch das banale „Brot und Spiele“-Prinzip nicht genügend beantwortet. Die Wurzeln dieses Phänomens könnte die FR ja mal recherchieren.
    Auch gibt es ja das Argument, daß die sportliche Auseinandersetzung eine Sublimierung tatsächlicher Aggression sei, die allerdings nicht zu weniger Kriegen geführt hat. Da hat der Gedanke schlicht versagt, oder der Ursprung der Aggressionen ist gar nicht verstanden worden oder ist bloss ein gewünschte Illusion.

    Zu diskutieren wären auch noch der Ursprung des Sports als verbrämte militärische Übung

  7. @BvG
    inspirierende Denkanstösse! Ich bin interessiert an Antworten. Zum Mitdiskutieren fehlen mir schlicht die „Unterlagen“. Aber dafür gibt es ja genug Äusserer hier.
    Meine kläglichen Versuche, mit kritisch denkenden Freunden, die trotz allem völlig fussballhörig sind, darüber zu diskutieren, wurden naseweis abgeschmettert. Und dann gab ’s da noch diese Bemerkung: „alles nur Brot und Spiele“…

  8. @maiillimi

    Nun, am leichtesten zu entkräften ist wohl das Argument „Brot und Spiele“, da zwar die „Spiele“ (und Kosten) beim jeweils leidtragenden Volk ankommen, nicht aber das „Brot“ (und der Gewinn).
    Die antike Version von „Brot und Spiele“ ist ja, daß sowohl Brot, als auch Spiele, vom Herrscher aus eigenem Reichtum heraus aufgewendet wurden, um das „(Wahl)-Volk“ zu sättigen, zu ängstigen, zu unterhalten und für sich einzunehmen. Die „moderne“ Version von „Brot und Spiele“ ist, daß das Volk verleitet wird, Arbeitskraft, Verzicht und Not (also den Reichtum der Besitzlosen) als einen Investionsfaktor ohne Gewinnversprechen anzusehen, der mit der puren Hoffnung auf nicht messbare Verbesserungen, mit konkreten Ausbeutungen und Unterdrückungen erdient wird und mit einem phantasierten Wert, dem Prestige, vergolten wird.
    Das im antiken Kontext eigentlich aus der Herrscherpflicht versprochene „Brot“ wird also aus dem Begriffspaar „Brot und Spiele“ heraus gelöst und der (Vor)-Leistung des Volkes „überantwortet“, es wird keine Gegenleistung oder ein Gewinn gegenübergestellt.

    Es gibt also nurmehr die „Spiele“.

  9. Liebe FR,

    die Kolumne „Brüllaffen in der Unterzahl“ von Michael Herl am 24.06. ist wieder mal Spitze! Endlich jemand, der in einem öffentlichen Medium einmal die große Zahl der Nicht-Fußballfans oder gar Fußballhasser erwähnt. Ich bin einer der 43 Mio, denen die WM am A… vorbeigeht. Die von den Medien vermittelten Jubelorgien gehen mir gewaltig auf die Nerven und man kann diesem Treiben leider auch kaum entkommen!. Die klischeehaften Fernsehbilder mit besoffen grölenden und vor den Fernsehkameras hüpfende Idioten, die uns als toll feiernde Fans verkauft werden, sind für vernunftbegabte Menschen eine unerträgliche Zumutung. Auch die wohlwollenden Berichte über die absurd dummen Autokorsos, die eigentlich ein Sicherheitsrisiko sowie eine Lärmbelästigung darstellen und normalerweise untersagt werden müssten, stellen eine unglaublich törichte Anbiederung der Medien an den Fußballwahnsinn dar. Die gewaltige Mehrheit der Fans verhält sich doch Gott sei Dank im Umgang mit ihrer Fußballleidenschaft wie zivilisierte Menschen, warum zeigt man die nicht im Fernsehen, oder vielleicht sogar mal jemanden der kein Fußballfan ist und den ganzen Zirkus kritisch kommentiert? Hier wird doch eine völlig verzerrte Realität vermittelt, nur um den Wahn weiter zu schüren!

    Auch die FR beteiligt sich leider daran. So wird von „leeren Straßen“ wegen der WM -Übertragungen berichtet, wie gestern in dem Artikel von Milan Jaeger. Ich bin einer derjenigen, die auch bei WM-Endspielen in der Stadt unterwegs sind und ich finde noch genug Mitmenschen, die etwas besseres zu tun haben, als Fußball passiv vor dem Fernseher zu konsumieren. In der heutigen Ausgabe der FR wird ganzseitig Jürgen Klinsmann mit ausgebreiteten Armen als Heilsbringer tituliert. Wie abgestumpft muß man denn sein, um solch ein Bild ohne geistige und körperliche Schmerzen anzuschauen?

    Aber nicht die Menschen sind so fußballverrückt, wie es uns die Medien verkaufen. Es sind vielmehr die Medien selbst, vor allem die Fifa/DFB-Hofberichterstatter ARD und ZDF, die mit massiver Manipulation die öffentliche Hysterie und Verrücktheit erst entfachen und schüren. Es findet eine unglaubliche Dauerberieselung mit Fußball statt. Gewohnte Programme werden für den Fußballwahn einfach verändert oder gestrichen und durch dumme unattraktive Konserven ersetzt. Fußball-„Ereignisse“ werden an den Anfang von Hauptnachrichtensendungen gestellt oder auf die Titelseiten der Zeitungen gedruckt, als hinge das Wohl und Wehe der ganzen Menschheit davon ab. Damit wird dem Fußball eine bizarr hohe Bedeutung zugemessen und den Zusehern oder Lesern wird eine besondere absurde Wichtigkeit suggeriert. Es gibt außer Fußball kaum noch andere Live-Programme wie Talkshows oder Magazine, alles wird zu Gunsten der Fußballübertragungen geopfert. Es ist doch kein Wunder, dass auf diese Weise durch die Fußballprogramme riesige Einschaltquoten erzielt werden.

    Kaum ein Mensch der Öffentlichkeit traut sich noch sich als Nicht-Fußballfan zu outen, nicht einmal Politikerinnen, von denen man es erhoffen oder erwarten würde. Die anbiedernden und lächerlichen Jubelbilder von Frau Merkel und Frau von der Leyen sprechen für sich! Rühmliche Ausnahme ist jemand wie Alfred Biolek, dessen beste Zeit jedoch inzwischen vorbei ist.

    Dieser verrückte Medienterror wird langsam auch schon besorgniserregend, weil er Druck ausübt und Menschenmassen gleichzuschalten versucht. Da war doch schon mal etwas ähnliches in der jüngeren deutschen Geschichte! Ich jedenfalls hoffe, dass „die Deutschen“ baldmöglichst rausfliegen, damit diese Form des Terrors endlich ein Ende findet!.

  10. Lieber Herr Theatermacher, liebe Fußallhasser, warum so bierernst bei dieser schönen Nebensache? Fußball und Bier gehören zusammen wie der Wind und das Meer. Freut euch! Gott sei Dank gibt es Fußball und Bier. Ein Hoch auf beides. Mesut Özil zaubert Deutschland zum WM-Titel, und der Bier-Botschafter Cem Özdemir verpasst bei der Siegerehrung unserer Mutti eine Weizenbierdusche. Nichts verbindet mehr die Menschen auf der Welt als Fußball und Bier.

  11. @Michael G. Hoffmann

    Das ist ja mal wieder eine klassische Definitionsfrage.

    „Fußballhasser“ müßte man doch eher die nennen, die den Kontakt mit dem zentralen Spielgerät tunlichst vermeiden und lieber Körperteile anderer Spieler anvisieren, oft nicht mal mehr mit dem Fuß, oder solche, die zum kollektiven Händewaschen übergegangen sind oder zum zauberischen Doppelpass „linke Tasche, rechte Tasche … hoppla, weg isses?“

    Ich sehe jedenfalls gern Fußball zwischen den Fouls.

  12. @H-G Becker: DANKE! Ich gehöre auch zu den 43 Millionen. Ich spreche den restlichen Millionen nicht ab, ihrem Vergnügen nachzugehen. Aber die von den (allermeisten) Medien praktizierte flächendeckende Dominanz des Themas (ohne entsprechend angebrachte „Kehrseite“) geht mir ebenso auf den Keks.
    Völlig daneben finde ich das „alternative Beiprogramm“ von Arte abends nach den Nachrichten, wo statt der angekündigten Sendung „Reiseportraits“ nun live aus Brasilien im Bild Daniel Cohn-Bendit erscheint….

  13. @ H-G Becker, #9

    Bemerkungen, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen:

    „Die klischeehaften Fernsehbilder mit besoffen grölenden und vor den Fernsehkameras hüpfende Idioten, die uns als toll feiernde Fans verkauft werden, sind für vernunftbegabte Menschen eine unerträgliche Zumutung. (…) Wie abgestumpft muß man denn sein, um solch ein Bild ohne geistige und körperliche Schmerzen anzuschauen?“
    – Schon mal was von Ausschaltknopf gehört?
    Wie tröstlich, sich wenigstens selbst noch als „vernunftbegabt“ und nicht völlig „abgestumpft“ empfinden zu können!

    „Es findet eine unglaubliche Dauerberieselung mit Fußball statt. Gewohnte Programme werden für den Fußballwahn einfach verändert oder gestrichen und durch dumme unattraktive Konserven ersetzt.“
    – Nun ist nicht abzustreiten, dass Fußballereignisse zunehmend karnevaleske Züge annehmen. Sind Sie aber schon mit gleicher Verve gegen die „Dauerberieselung“ durch Karnevals„wahn“ zu Felde gezogen, die so gut wie auf allen Kanälen stattfindet, und nicht zur „Sauren-Gurken-Zeit“?

    „Dieser verrückte Medienterror wird langsam auch schon besorgniserregend, weil er Druck ausübt und Menschenmassen gleichzuschalten versucht. Da war doch schon mal etwas ähnliches in der jüngeren deutschen Geschichte!“
    – Da haben wir sie wieder, die altbekannte „Beweisführung“:
    1. Menschen, welche die eigenen Aversionen nicht teilen, die „Vernunft“ absprechen.
    2. Sich selbst zum Opfer von „Medienterror“ stilisieren und sich darüber empören.
    3. Zur „Gleichschaltung“ verallgemeinern und dramatisieren, der allein sich der „vernunftbegabte“, d.h. hier: fußballhassende Mensch noch entziehen kann.
    4. Für die „abgestumpfte“ Fußballplebs – damit die es auch begreift – dann noch die verblümt-unverblümte Nazikeule zücken.
    – Hat alles natürlich mit elitärem Bewusstsein nicht das Geringste zu tun!

    „Ich jedenfalls hoffe, dass ‚die Deutschen‘ baldmöglichst rausfliegen, damit diese Form des Terrors endlich ein Ende findet!“
    – Da liegt der Hase im Pfeffer! Der Sündenbock für alles Übel ist ertappt.
    Ist zwar ein seit etwa einem halben Jahrhundert stereotyp missbrauchter Topos, für manchen aber offenbar immer noch nicht zu blöde. Kann man sich so doch selbst jeglicher nationalistischer Anwandlung freisprechen und, auf Kosten anderer, als so schön „selbstkritisch“ präsentieren. Man gehört ja nicht zu den vor der Glotze fiebernden Narren.
    Dumm nur, dass man dabei auch offenbart, wie wenig die ganze Erregung mit Fußball zu tun hat, wie viel dagegen mit eigenen Befindlichkeiten und Aversionen. Und dass man nicht mehr merkt, wie sich Nichtdeutsche, die nicht ein so verkrampftes Verhältnis zur eigenen Nationalität haben, an den Kopf fassen. Denen wird, in einem Aufwasch, die Berechtigung zu „Nationalstolz“ (was immer man davon halten mag) gleich mit abgesprochen.
    Dumm also, dass sich das – ex negativo – als verkappte Variante des „Am-deutschen-Wesen-wird-die-Welt-genesen“ erweist.

    Fazit: Da sind mir doch die „hüpfenden Idioten“ in den Fußballstadien noch um einiges lieber.

  14. Wie man‘s auch sehen kann: Wer hätte je gedacht, dass einmal mit Steuermitteln Stadien gebaut werden, damit tätowierte Millionäre dort Fußball spielen können? Morgen trotzdem Daumen drücken.

  15. Da bin ich aber enttäuscht von Ihrer Kolumne, Herr Herl. Ich dachte, Ihnen würde etwas Geistreicheres einfallen als plumpe Beleidigung der Fußballgucker als Brüllaffen. Vergessen Sie nicht, Fußball ist eine Sportart und nicht zuletzt faszinierend für solche, die selber mal Fußball gespielt haben so wie ich, die schweigsam zuschaute. Außerdem: Was das Gros der Leute um 18 Uhr macht? Sie sind noch auf der Arbeit oder schließen gerade ihren Laden ab und befinden sich in Verkehrsmitteln auf dem Weg nach Hause.

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