Der Eintopfsonntag der Nazis

Ernährungsministerin Ilse Aigner (CSU) ist eine Schnellmerkerin, und zwar hat sie schnell erkannt, dass das Thema „Veggie Day“ Aufreger-Potenzial hat: „Wir halten generell wenig von Bevormundungen“, sagte ihr Sprecher. „Am Ende brauchen wir eine ausgewogene Ernährung. Da gehört Fleisch dazu.“ Die Frage ist aber: Muss es täglich Fleisch sein? Denn Fleisch kommt ja nicht nur in Form von Steak und Schnitzel auf unsere Tische, sondern auch in Form von Wurst vielleicht sogar schon zum Frühtück. Darum fordern die Grünen einen „Veggie Day“: Öffentliche Kantinen sollen nach dem Dafürhalten der Grünen Vorbildfunktion übernehmen und an einem Tag in der Woche ausschließlich vegetarisch kochen. Wohlgemerkt: ausschließlich. Die Kantinen dieses Landes bieten in der Regel ohnehin täglich vegetarische Kost an – neben fleischhaltigen Menüs.

Die Deutschen essen pro Kopf 60 Kilo Fleisch pro Jahr. Im Schnitt. Es lohnt, hierauf immer wieder aufmerksam zu machen, denn die deutsche (und nicht nur die) Fleischeslust hat Konsequenzen – etwa in Form von Massentierhaltung und damit tierischem Leid, aber auch in Form von Rodung von Regenwald, um Anbauflächen für Futtermittel zu gewinnen. Von dem Methan, das die Tiere ausstoßen und das ein Treibhausgas ist, wollen wir nicht reden. Hinzu kommt, dass in der Fleischproduktion häufig fahrlässig hohe Mengen von Antibiotika eingesetzt werden, die ein hohes Risiko bergen: Sie erhöhen die Gefahr, dass Krankheitserreger resistent gegen Antibiotika werden. Dieses Problem ließe sich allerdings durch schärfere Gesetze bzw. konsequentere Anwendung der bestehenden Gesetze lösen. Da ist dann wieder die Frau Aigner gefragt, unsere Schnellmerkerin vom Anfang dieses Textes.

Ein Punkt lässt sich allerdings nicht wegdiskutieren: Überhöhter Fleischkonsum birgt gesundheitliche Risiken, indem er Herz-Kreislauf-Erkrankungen fördert. Langfristig. Es gibt daher viele gute Gründe dafür, sich ausgewogen zu ernähren und nicht jeden Tag Fleisch zu essen. Viele gute Gründe auch, vegetarisch zu leben. Das Vorhaben der Grünen muss sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, dass es jene bevormundet, die sich in der Kantine täglich frei entscheiden wollen, ob sie heute Lust auf Fleisch oder auf ein mutmaßlich gesünderes vegetarisches Menü hätten: Wenn keine tierische Alternative zur Wahl steht, haben die Menschen keine freie Entscheidung mehr. Daher: Ab in die Tonne mit den Grünen-Vorschlag.

Insofern: Gut, mal wieder drüber gesprochen zu haben. Daher begrüße ich auch den Vorstoß der Grünen, obwohl ich ihn ablehne. Letztlich hilft nur eines: Information. Wenn die Menschen erkennen, dass sie sich etwas Gutes tun, wenn sie ihren Fleischkonsum reduzieren, dann ist für den Tierschutz und den der Regenwälder mehr erreicht als durch Verordnungen von oben. Also muss man sich um die Köpfe der Menschen bemühen. Was die Regenwälder betrifft, habe ich übrigens trotzdem meine Bedenken, denn selbst, wenn die Deutschen ihren Fleischkonsum maßgeblich reduzieren – Brasilianer, Inder und vor allem Chinesen springen gern für uns in die Bresche. Dort entwickelt sich der Fleischkonsum, dass man gar nicht hinschauen möchte.

Prof. Peter Bender aus Paderborn:

„Wenn man sich in der jüngeren Geschichte etwas auskennt, kommt einem beim Veggie Day-Konzept der Grünen unmittelbar der Eintopfsonntag der Nazis in den Sinn. Dieser wurde ab 1933 dem Volk aufgezwungen, um das Winterhilfswerk zu unterstützen, also offiziell durchaus für einen guten Zweck. Zugleich wurde damit eine erzieherische Absicht verfolgt, und zwar sollte das deutsche Volk auf Notzeiten vorbereitet werden (die dann auch nach wenigen Jahren folgten). Der Eintopfsonntag war allerdings nicht auf 52 Tage im Jahr angelegt, sondern sollte nur in den sechs Wintermonaten je einmal stattfinden.
Ich selbst esse wenig Fleisch, und ich freue mich über das reichhaltige Angebot zum Beispiel der Mensa meiner Paderborner Universität auch an vegetarischen Gerichten. Man kann sich hier täglich vollwertig ohne Fleisch ernähren. Aber ich möchte nicht indoktriniert werden und spreche mich deswegen entschieden gegen die Einrichtung auch nur eines einzigen Veggie Days aus. “

Heike Schniedermeyer aus Frankfurt:

„Ich bin auch etwas erstaunt, welches Echo der Vorschlag eines „Veggie Days“ auslöst. Ich komme aus einer katholisch geprägten Familie und Gegend und habe noch nie in meinem Leben an einem Freitag (!) Fleisch gegessen. Mittlerweile esse ich auch keinen Fisch mehr, der neben Pfannkuchen, Rührei oder Spiegelei und Ähnlichem bei uns in der Familie auf dem Speiseplan stand.
Deshalb bin ich auch etwas verwundert, warum ausgerechnet der Donnerstag zum „Veggie Day“ erklärt werden soll, wenn der Freitag – zumindest in den katholisch geprägten Gegenden und Familien Deutschlands – traditionell ein „fleischfreier Tag“ ist. “

Manfred Schönfeld aus Germering:

„Eine unangemessene Fleischproduktion verschlingt viele Ressourcen und produziert unnötige Mengen von Gülle und Abgasen: Sie ist verschwenderisch und direkt in Konkurrenz zu vielen Grundbedürfnissen aller Menschen! Josef H. Reichholf , kein besonderer Freund derGrünen, bezeichnet es sogar als „Ökö-Kolonialismus Europas“ und begründet das in seinem Buch „Tanz um das goldene Kalb“(2011). Unsere Massentierhaltung und Fleischimporte aus Brasilien mögen ja profitabel sein, wenn die Energieverschwendung und Klimaschäden einfach so der ganzen Menschheit angelastet werden können. Braucht Europa wirklich die Futtermittelimporte aus Übersee? So fragt Reichholf zu recht.
Der Vorstoß der Grünen ist zu loben und viel mehr als Wahlkampf: Er regt zum Nachdenken über Subventionen, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit an. Alles hochaktuell.“

Marko Višak und Tatjana Višak aus Saarbrücken

ritiker, wie der Sprecher des CSU geführten Verbraucherschutzministeriums, lehnen den Vorschlag der Grünen, in öffentlichen Kantinen einen Veggie Day einzuführen als Bevormundung ab. Die Regierung solle den Leuten nicht vorschreiben, was sie wann zu essen haben. Nun wollen die Grünen den Fleischkonsum ja nicht verbieten, sondern nur zum Verzehr von weniger Fleisch ermuntern. Angenommen, der Vorschlag der Grünen wäre tatsächlich Bevormundung, wäre er deshalb schlecht?

Die bekannteste philosophische Äußerung zum Wert der Selbstbestimmung stammt von einem der einflussreichsten liberalen Denker des 19. Jahrhunderts: dem englischen Philosophen und Ökonomen John Stuart Mill (1806 – 1873). Er verfasste On Liberty, das wohl bekannteste Plädoyer gegen Bevormundung des Staates. Dessen Schlussfolgerung ist: Der Staat soll die Selbstbestimmung der Bürger auch dann nicht einschränken, wenn sie etwas Unkluges tun, und damit sich selbst und ihre Gesundheit in Gefahr bringen.

Doch sogar Mill sagt ganz klar, dass die individuelle Selbstbestimmung da aufhört, wo man mit seinem Verhalten Anderen schadet. Diese Grenze der Selbstbestimmung ist allgemein akzeptiert und macht auch Sinn. Ich darf zum Beispiel meinem Nachbarn nicht den Kopf einschlagen und darf meinen Giftmüll nicht im Park deponieren. Mill’s sogenanntes Schadensprinzip greift den Grünen zufolge beim heutigen Fleischkonsum. Stichworte sind hier Klima und Tierschutz.

Wichtiger als Selbstbestimmung war für Mill jedoch das allgemeine Wohlergehen. Selbstbestimmung war Mill zufolge gar kein Ziel an sich, sondern nur ein Mittel zum Zweck. Nun scheinen unbegrenzte Möglichkeiten nicht immer zum allgemeinen oder eigenen Wohlergehen beizutragen. Die frei gewählte Ernährungsweise scheint für viele desaströse Folgen zu haben und führt zu Fettsuchtepidemien, Zivilisationskrankheiten und vielen vergeblichen Kämpfen gegen die Kilos. Wenn unbegrenzte Möglichkeiten dem allgemeinen Wohlergehen nicht zuträglich sind, dann verlieren sie ihren Wert. Selbstbestimmung im Sinne Mill’s scheint dem Veggie Day also nicht im Weg zu stehen.

Bei dem von den Grünen vorgeschlagenen Veggie Day geht es also in erster Linie um allgemeines Wohlergehen: Klima und Tierschutz. Daher sollte der Nachdruck nicht auf ‚fleischlos‘ liegen. Wenn man lediglich Fleisch durch Käse ersetzt, so hilft das weder im Hinblick auf das Klima noch im Hinblick auf Tierschutz. Methan wird bekanntlich vor allem von Kühen ausgestoßen, und Tierleid ist auch in der Milchproduktion gegeben. Der Veggie Day sollte konsequenterweise vegan sein.

Der Veggie Day erregt die Gemüter. So Mancher fühlt sich persönlich bedroht und schimpft über Bevormundung. Gelänge es, diese emotionale Reaktion einmal ruhen zu lassen, die Argumente sachlich zu prüfen und auf Grund davon zu handeln, dann wäre das der Selbstbestimmung zuträglich.

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24 Kommentare zu “Der Eintopfsonntag der Nazis

  1. Befremdende Dabatte. Als ironisierend-bekennende Paläo-Diätikerin verzehre ich natürlich nichts, was nach 10.000 v.Chr. auf den Speiseplan unserer Spezies kam. Das heißt, kein Getreide, keine Hülsenfrüchte, keine Milchprodukte, keine Kartoffeln, kein weiterverarbeitetes Salz/Zucker/Öl.

    Und nun soll ich einmal pro Woche, einer völkischen Vorbildern folgenden, volksgesundheitlichen Empfehlung entsprechen? Mich „vegetarisch“ ernähren? Scheinalternativ donnerstäglich zwischen „Indischem Linsenbrei an Reis und Joghurt“ oder „Provencalischem Sahnekartoffelgratin“ wählen dürfen?

    Ich bitte lediglich darum, an jedem 20. April eines jeden Jahres, der auf einen Donnerstag fällt, vom Angebot des Lieblingsgerichtes des größten deutschen Vegetariers des 20. Jahrhunderts verschont zu werden: Salzkartoffeln mit Spinat. Ob Adolf Hitler das dazugehörige, ex-post veganopolitisch äußerst bedenkliche Spiegelei, an seine Lieblingsschäferhündin verfütterte oder nicht, darüber bitte keine Debatte.

  2. Frustrierend an der Sache ist, daß ich nun mal wieder die Menschheitsprobleme an der Kantinentheke lösen muss, in tiefer Diskussion mit Frau Köchin und Herrn Hinterschlange, wo wir doch eigentlich alle drei ein gewichtiges Kreuzchen gemacht haben, welches die POLITIK mit der Lösung dieser Probleme beauftragt hat.

    Sorglos einkaufen, sorglos essen und sorglos entsorgen sind ja die drei Grundforderungen an die Politik.

    Ziel der Demokratie ist, daß man sich nicht um jedes Schwein, jedes Huhn und jeden Ochsen Gedanken machen muss. Schon gar nicht um jeden Aal.

    „Demokratie ist die Forderung der Ohnmächtigen an die Mächtigen, beiden moralisches Handeln zu ermöglichen.“

    Wäre ein schönes Wahlkampfthema, für Steini und Merknix.

  3. Zum Erstaunen von Frau Schniedermeyer:

    Ich teile es. Doch ist nicht der Freitag so muslimisch-katholisch besetzt wie der Samstag jüdisch, und der Sonntag sekulär-christlich? Welche kantinenpublikumswirksamen Tage bleiben also? Dienstag, Mittwoch, Donnerstag.

    Und der Montag? Leider nein. Denn vorauseilend reklamiere ich ihn zum Tag der Einkehr und als absoluten Fastentag für alle wahren reuigen Sünder:

    „Vergib mir, oh Herr, dass ich durch das von Dir gegebene Leben zum Verzehr anderen lebenden Wesens verdammt worden bin. Denn Kräuter wie Kälber muss ich vernichten, um mich zu nähren. Tomaten wie Kartoffeln schreien unter meinem veganen Messer. Verwehrt hast Du es mir, pflanzengleich, aus dem Salz und den Wässern der Erde, sowie dem Abglanz Deines Sonnenlichtes, mich zu nähren und Leben schaffen zu dürfen.“

    Erlösest Du mich nicht, so werde ich Dich fluchen – wenn nicht donnerstäglich, dann zumindest monatlich, irgendwann zwischen Ostersonntag und Zuckerfest.

  4. @Thea Kantorska

    So albern ist die Lösung nun auch nicht zu haben, denn der totale Verzicht auf Verzehr hat nunmal unausweichlich den Tod zur Folge. Wer nicht hungern will, soll auch nicht hungern lassen.

    Menschen sterben für die Wahlfreiheit am Buffet, „Soylent Green“ lässt grüßen.

  5. Ganz abgesehen davon das so töricht vorgetragene Bevormundung einfach unverschämt und anmaßend ist, der Vorgang belegt erneut wie sehr auch den „Grünen“ die wissenschaftliche Bodenhaftung verloren gegangen ist.

    Sicher auch ein Resultat der weitgehenden Verdrängung von Naturwissenschaftlern aus der Partei, mit selbstreferentieller Esotrik arbeit es sich eben widerstandsärmer.

    Denn schon wieder ist mit dem Gewäsch vom „Klimaschutz“ eine pseudowissenschaftliche Begründung, eben nur ein Schlagwort für mental begrenzt Leistungsfähige, beigezogen worden.

    Der Anspruch an Sachpolitik mit wissenschaftlichem Fundament würde dazu gebieten eine überprüfbare Definition zu liefern und die zugehörige zugrundegelegte Prüfmethodik so das sich jeder einen eigene Meinung bilden kann.

    Symptomatisch für eine Partei (war selbst mal Mitglied bis die zu Kriegstreibern wurden), die bei der inneren Sicherheit und im Umweltschutz (in überprüfbaren Bereichen,abseits von deren Klimavoodoo) seit viele Jahren grandios versagt.

    Erschreckend ist dabei eigentlich nur, wie hoch der Grad an unrefelektierter Zustimmung zu solch paternalistischem Schwachsinn ist.
    Ich bin auch kein großer Fleichesser, will auch keinen „Zwangsschnitzeltag“, billige jedoch meinen Mitmenschen schon zu sich selbst entscheiden zu dürfen und zu können.

    KM

  6. @Thea Kantorska, #3: Sehr schön dargestellt. Nur Menschen machen sich ein derartiges Gedöns und Schuldgefühle ums tägliche Essen. Im Blogtalk um die „Frankfurter Taubenplage“ habe ich das schon entsprechend ausgeführt:

    Was ich schreibe, das sage ich auch, im Bedarfsfall auch den Veganer der fünften Stufe (ißt nichts, was einen Schatten wirft. E.K.) Das habe ich nicht grundlos so formuliert, denn Sie schreiben ja selbst, daß man um des Überlebens willen Leid zufügen muß, wenigstens den Pflanzen. Das sind moralische Abwägungen, die letztlich Schuldverstrickungen und dauerhafte Schuldgefühle erzeugen, eine zutiefst masochistische Angelegenheit. Das ist ein hervorragendes Herrschaftsinstrument, Stichwort Erbsünde, denn wer dauerhaft in mea culpa, mea maxima culpa fixiert ist, ist gebunden und beschäftigt. Die andere Seite der Medaille sind Maßlosigkeit und Habgier. Kein anderes Tier außer dem Menschen macht sich um sein Leben und Überleben solche Probleme. (http://www.frblog.de/taubenfallen/#comment-42132)

    Dennoch werde ich immer noch nicht hergehen und mich an einem Sellerieschnitzel vergreifen, auch in Zukunft nicht. Es gibt explizit delikatere und weitaus angenehmere Speisen, auch pflanzliche. Mögen sie unter meinem Messer schreien. 🙂

  7. @EvaK

    Wenn Sie mich schon so unfein in die Diskussion ziehen:
    Ich habe keineswegs moralische Abwägungen in dem hinterlistigen Sinne angeführt, wie sie es mir unterstellen. Auch nicht im Sinne des „Gutmenschentums“, das Sie wiedermal ebenso hinter- bis unsinnig anführen.
    Sie reden sich bloß aus der Verantwortung heraus.
    Aber wenn sie die göttliche Ordnung der Dinge so willfährig akzeptieren wollen, bitte. Der Hinweis, sich die Erde untertan zu machen, gilt gewiß auch für alle Wesen, die sich Ihnen überlegen fühlen.
    Viel Spaß,Vegetable.

    Das „hervorragende Herrschaftsinstrument“ liegt doch eher in Ihrem Geigenkasten. Es bestätigt sich wiedermal, daß die lauten Realisten mit ihrem Lärm bloß übertönen, daß sie zu feige sind, Lösungen zu suchen.
    Ein Hinweis aus der Musik:
    Es gibt Violinisten, Cellisten … und Realisten. Die Realisten werden vom Komponisten nur selten eingesetzt, da sie nur große Töne spucken können, für Zwischentöne jedoch unbrauchbar sind.

  8. @BvG: Ist ja gut, nehmen Sie einen Keks und atmen Sie einmal tief durch. Das hilft gegen Schnappatmung. Danke fürs Gespräch.

  9. Experten oder solche, die sich dafür halten, schätzen, dass pro Jahr in Deutschland 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll landen. Diese Zahl geisterte vor rund einem Jahr durch die Medienlandschaft. Unsere Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner sagte damals: „Wir können uns das Wegwerfen nicht länger leisten.“ Warum nicht, denn es macht volkswirtschaftlich Sinn. An der Menge der Warenproduktion orientiert das Bruttoinlandsprodukt, der obligatorischen Messzahl unseres (wirtschaftlichen) Wohlbefindens. Ob ich nun mein gekauftes Schnitzel verdaue oder gleich in den Müll schmeiße, ist doch dieser Logik entsprechend ziemlich egal. Hauptsache der Kreislauf der Produktion und deren Vernichtung funktioniert. Die elektronischen Waren bekommen schließlich auch ihre Schwachpunkte eingebaut, damit sie direkt nach der Garantiezeit ihre Funktion verlieren. Wir kaufen dann ein neues Produkt und werden unserer Rolle als Verbraucher gerecht. So dienen wir dem Markt am besten. Mehr wird doch von uns Bürgern, wie wir euphemistisch gerne genannt werden, nicht erwartet.

    Der Veggie-Tag ist ein Wahlkampfgag, der manche Tierschützer beeindrucken mag. Einfach weil eine moralische Komponente in der Argumentation mitgeliefert wird. Deshalb scheiden sich ein wenig die Geister der Freien Demokraten und der Grünen, die in den letzten Jahren sich immer ähnlicher geworden sind.

  10. @Rudi: Nur sind es üblicherweise nicht die Bürger resp. Konsumenten resp. Verbraucher, die 20 Mio. Tonnen Lebensmittel jährlich auf den Müll schmeißen, sondern vorzugsweise Produzenten, Zwischenhandel und Handel. Ich unterstelle, daß Sie ihre Schnitzel in haushaltsüblichen Mengen zum kurzfristigen Verzehr kaufen und nicht zum vertonnen. Notfalls frieren Sie das Zeug ein paar Tage ein, falls es zeitlich doch nicht klappen sollte. Da dürfte also so gut wie nichts für den Müll übrig bleiben. So sind die allermeisten von uns nicht erzogen.

    Was aber im Handel an Fleisch, Gemüse und Obst nicht innerhalb der Haltbarkeitszeit umgeschlagen wird, landet im Container hinter dem Laden. Alternativ wird Überproduktion gleich vom Produzenten aus vernichtet. Dieses Aignersche kollektive „wir“ ist daher wiederum nur eine Verdrehung der Situation, die auf schlechtes Gewissen und Schuldgefühle (s.o.) der Bürger abzielt, die am Ende der Kette stehen. Die zahlen die Zeche für den Kreislauf und sollen sich mit dem Stempel des gierigen Verschwenders gebrandmarkt auch gleich noch Shice dabei fühlen. Den Schuh ziehe ich mir nicht an.

  11. @EvaK

    Eine sehr unrealistische Sicht.

    Reichen Sie bitte Ihren Speiseplan zukünftig 6 Monate im voraus bei der Planungskommission ein, damit Produktion, Transport und Bereithaltung organisiert werden können.(Das ist der leichte Part.)

    Halten Sie sich darüber hinaus an Ihren eigenen Speiseplan. (Das ist der schwere Part.)

  12. @EvaK

    „Nur sind es üblicherweise nicht die Bürger resp. Konsumenten resp. Verbraucher, die 20 Mio. Tonnen Lebensmittel jährlich auf den Müll schmeißen, sondern vorzugsweise Produzenten, Zwischenhandel und Handel.

    Die Zeit schreibt unter Berufung auf eine Untersuchung der Universität Stuttgart am 13.03.12: „61 Prozent der weggeworfenen Lebensmittel stammen aus Privathaushalten, jeweils rund 17 Prozent entfallen auf Großverbraucher – etwa Gaststätten, Schulen und Kantinen – sowie auf die Industrie. Die übrigen 5 Prozent fallen im Einzelhandel an.“

    Soweit so schlecht. Weitere Rechercheversuche haben ergeben, dass alle Zahlen zu diesem Thema ziemlich ungenau sind. Man muss beispielsweise unterscheiden zwischen Nahrungsmitteln, die im Kreislauf bis zum Kunden wandern und solchen, die erst gar nicht in den Handel kommen, weil sie einer Norm nicht entsprechen.

    Ich habe mich jüngst mit einem Caterer, der Kantinen beliefert, unterhalten. Er sagte mir, er verwende nur Bio-Ware. Am Beispiel der Kartoffel erläuterte er mir die damit zusammenhängenden Probleme: Natürlich seien die Kosten wegen der anderen Anbauweise höher. Das sei für ihn auch in Ordnung. Da jedoch die Kartoffelgrößen im Gegensatz zur konventionellen Produktion, die vorab eine Aussonderung vorschreibe, so unterschiedlich seien, könne er nicht auf eine Kartoffelschälmaschine zurückgreifen. Also benötige er Mitarbeiter, die einen Großteil der Knollen mit den Händen von ihrer Schale befreien. Dadurch hätte er einen weiteren Wettbewerbsnachteil, weil gerade bei öffentlichen Ausschreibungen (Unis, Schulen, Kitas) der Preis die zentrale Rolle spiele.

    Also: Einerseits werden Endprodukte weggeworfen, andererseits kommen Produkte von guter Qualität erst gar nicht in den Handel, weil sie irgendeiner Industrienorm nicht entsprechen. Beides ist kritisierenswert.

  13. @ Rudi #13
    „… andererseits kommen Produkte von guter Qualität erst gar nicht in den Handel, weil sie irgendeiner Industrienorm nicht entsprechen. Beides ist kritisierenswert.“ (Rudi)
    Was Sie hier beschreiben, ist allerdings eine Blödheit des Handels. Diese Industrienormen wie auch z.B. die berühmte Gurkenkrümmungsverordnung der EU dien(t)en (sie ist inzwischen außer Kraft) einer Klassifizierung bestimmter Produkte für die maschinelle Verarbeitung und haben mit der sonstigen Marktfähigkeit höchstens insofern zu tun, als diese Produkte (z.B. die geraden Gurken) z.T. leichter zu verpacken sind. Es liegt aber am Handel, z.b. vom Erzeuger keine größenmäßig sortierten Kürbisse zu kaufen, um seine Kunden, die eben nicht alle einen gleichgroßen Kürbis brauchen, besser zufrieden zu stellen.

    Auch bei den nicht größenmäßig sortierten Biokartoffeln mit der daraus folgenden manuellen Bearbeitung von einem Wettbewerbsnachteil zu sprechen, halte ich für dummes Zeug. Der hohe Preis ergibt sich hier aus der fehlenden Festlegung zwischen Lieferant und Weiterverarbeiter auf eine fehlende Produktgröße – Sortiersiebe für Kartoffeln sind wirklich keine aufwändigen Maschinen und eine größensortierte Biokartoffel ist immer noch eine Biokartoffel.

    Zur Problematik allgemein: Ich verstehe nicht, warum nicht einfach die Zielrichtung in eine gesetzlich bestimmte qualfreie Tierhaltung geht und auch nur derartig erzeugtes Fleisch für marktfähig erklärt wird, um einen Wettbewerbsvorteil von Tierquälern im Ausland auszuschließen: Wo sind die internationalen Verhandlungen zu diesem Thema?
    Das selbe zum Thema Sklavenarbeit auf Schlachthöfen.

    Da ein derartig erzeugtes Fleisch auch teurer würde, wäre ganz schnell auch der übermäßige Fleischkonsum vom Tisch, einfach durch normale Marktmechanismen anstatt durch allgemeine Diätvorschriften. Und man brauchte keine halbgaren Geschichten über die besondere Umweltschädlichkeit des Fleischkonsums in die Welt zu setzen. (Diese Umweltschädlichkeit existiert, wird aber nicht korrekt berechnet und ist größenordnungsmäßig zu dem restlichen Unfug, den wir machen, praktisch irrelevant. Wer etwa aus Umweltgründen etwas gegen den Fleischkonsum hat und Biosprit oder agrarindustriell erzeugtes Biogas fördert, sollte zum Arzt gehen.)

    Aber die Grünen haben irgendwie einen Hang zum Sektierertum, das betrifft ihre Veggiefraktion genauso wie ihre Christen, die auch schon einmal laut eine Sondersteuer für Konfessionslose überlegten.

  14. Nachlese

    Richtig, ein Punkt lässt sich nicht wegdiskutieren. Überhöhter Fleischkonsum birgt gesundheitliche Risiken. Wie so vieles im Leben. So behauptet meine langjährige Hausärztin, dass weniger als zwanzig Orgasmen pro Monat gesundheitschädigender seien, als zwanzig Zigaretten am Tag. (Bitte, jetzt nicht gleich fünf FuckieDays andenken.)
    Und richtig, von dem Methan, das die Tiere ausstoßen und das ein Treibhausgas ist, wollen wir nicht reden. Das können wir dann nachholen, wenn Buffalo Bill für die Vernichtung der gewaltigen umweltschädigenden nordamerikanischen Bisonherden postum der Große Ökologische Verdienstorden mit Einkorn am dinkelstrohgeflochtenen Bande verliehen worden ist.
    Und wiederum richtig, gut, mal wieder drüber gesprochen zu haben. Und mal über ein paar Tage für jede meinen Handlungen und Unterlassung konsequent lediglich eine persönliche Kohlendioxidbilanz (denn von Methan will ich jetzt nicht reden) erstellt zu haben: „Einmal an der Ampel bei Gelb noch kurz Gas gegeben? Na, das lässt sich mit einem halben Sellerie- statt Schweineschnitzel wieder gutmachen. Oder doch lieber Schweineschnitzel, und dafür eine halbe Stunde flacher atmen?”

    Was bleibt, ist ein Unbehagen. Nicht an meinem schuldhaften Tun, sondern an dem grünen Versuch, mir mit dunkelgrauer Pädagogik ein ökologisierendes Über-Ich zu implantieren.

  15. Schon lustig, mit wieviel Wut man sich über so eine kleine Geste aufregen kann, die einem ganz einfach das Nachdenken an einem Tag abnimmt und sich als letztlich heilsam für die Leute und ein wenig hilfreich für die Umwelt erweisen würde.

    Sonst stört es die Menschen gar nicht, wenn ihnen ständig das Denken abgenommen wird. Wenn es nicht von den Grünen als Wahlkampfthema, sondern als besonderes Angebot der Küchenchefs daher gekommen wäre, hätte es einen Stum der Begeisterung gegeben.

    Vielleicht mit einem hübschen Poster, einem listig glotzenden Rindvieh, davor eine Menge hipper Menschen, die sein Gras abweiden, mit dem lockeren Spruch:
    „Heut‘ beißen wir mal selbst in’s Gras!“

  16. Liebe/r/s BvG,

    an illusionären Heils- und Hilfsbotschaften hatte dieses Land doch historisch wohl übergenug, oder? Darbt es noch, oder ist es bereits nimmersatt? Unterstützen etwa auch Sie diese heilos hilflosen Heiler und Helfer?

    Es ist mir angesichts von weltweit Millionen mikrozephalitischer Kinder relativ egal, ob das ihnen während der Schwangerschaft vorenthaltene Eiweiß in pflanzlicher Form eine relative ökologische Vorzüglichkeit hätte aufgewiesen haben können (damals bissen sie eben mal selbst ins Gras).

    Und relativ egal ist mir daher auch das signifikant zunehmende Auftreten von (natürlich volksgesundheitsschädlichen) B12-Avitaminosen in den grünen und ergrünenden Wahlbezirken dieses Landes (demnächst beißen sie eben mal selbst ins Gras).

    Jeder mag sein Denken, und sei es auch nur für einen einzigen Tag, an irgendeiner Polit-Garderobe, welcher braun-gelb-grün-rot-schwarzen Farbgebung auch immer, abgeben. Die Aufforderung Immanuel Kants, sich seines eigenen Verstandes mit Mut zu bedienen, bleibt.

  17. Na, da bringen Sie aber was durcheinander.

    Der Eiweißklau findet ja gerade in (und für) unseren Kantinen statt, wo eine Masse Menschen essen, denen die Verantwortung fürs eigene Zusichnehmen längst genommen wurde, die es aber nicht bemerkt haben und sich jetzt über ein(1) vorenthaltenes Fleischpuzzle aufregen.

    Wenn Muttern oder Vatern daheim in der Küche mit was anständigem aufwarten könnten, das mit genügend Geld und genügend Zeit eingekauft und zubereitet und auch mit genügend Zeit gegessen würde, gäbe es eine Menge der Probleme nicht, über die man lamentiert.

    Verstehen Sie? Das Denken wird schon viel früher abgegeben.

  18. Wunderbar, was sich aus einem harmlosen und doch vernünftigen Vorschlag alles machen lässt.
    Kann das ganze Weltordnungen zum Einsturz bringen ?
    Die Mehrheit der Menschen wird sich fragen : Sorgen haben die, die Deutschen…

  19. So, „kleine Geste“, „letztlich heilsam“, „ein wenig hilfreich“, „harmlos und doch vernünftig“. Na, dann ist ja alles gut, denn ein Problem ist selten größer als der vorgeschlagene Beitrag zur Lösung.
    Und solange grünerseits noch die Vergrößerung der deutschen Grünlandfläche gefordert wird, damit mir importfuttermittelfreie, und somit gesündere Methanschleudern nicht minder gesündere Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen dürfen, ja dann ist sogar alles bestens.
    Nach dieser Debatte werde ich trotzdem bei meiner nächsten Geschäftsreise (natürlich mit einer nachhaltigen Fluggesellschaft), und selbst an einem Donnerstag, ein veganes Gericht buchen. Und mir beim Verzehr selbstgerührt die Augen wischen (falls ich nicht das Gefühl haben sollte, dass sie mir nicht bereits gewischt worden sind). Denn schließlich sollte man seine Rührung ob seines eigenen ökologischen Reiseverhaltens nicht verhehlen, oder?
    Zudem werde ich mein mir bundesstatistisch zugestandenes Lebenskontingent von 4 Rindern und Kälbern, 12 Gänsen, 37 Enten, 46 Truthähnen, 46 Schweinen, 945 Hühnern und unzähligen Fische und Meerestieren absehbarerweise nicht aufzehren können. Sollte es also jemals zu einer kleinen, hilfreichen, harmlosen, vernünftigen ökokraturischen Rationierung kommen: Ich hätte dann noch reichlich Bezugsscheine abzugeben. Allerdings nur donnerstags, und zum taggleichen Verzehr.

  20. Encyclopaedia Galactica

    …im besonderen sind die im beginnenden 3.Jahrtausend ausgebrochenen „Boulettenaufstände“ zu nennen, die zum ersten und zweiten „Frikadellenkrieg“ führten,
    Hintergründe sind heute nicht mehr bekannt, es scheint jedoch gewiß, daß die „Invasion von der Wega“ zu einer heiteren, aber bitterernst geführten Verwechslung der Weganer mit den Veganern führte, die beide aus unterschiedlichen Gründen als „etwas bleich“ beschrieben wurden.

    Die bleiche Hautfarbe wurde jedoch auch bei den Menschen beobachtet, die sich oft zur Nahrungsaufnahme in geschlossenen, künstlich beleuchteten R#umen aufhielten, den sogenannten „Kanteien“…

    Der Versuch einiger Kochpriester, wenigstens an einem Tag der Woche nicht gezwungen zu werden, ihr Fleisch loszuwerden, führt dazu, …

  21. @maderholz
    Schön ist auch, immer wieder zu sehen, wie lange sich die angeblich Freien gegen die Anwendung der Kant’schen Aufforderung, sich des Verstandes zu bedienen, wehren.

    „Freie Fahrt für freie Bürger“ und ähnlicher Frikadellenliberalismus spricht ja gegen sich selbst.
    Schade nur, daß die Realität immer zuerst die Armen dahinrafft. Sie haben halt nicht die Mittel, sich das Schlaraffenland bis zum bitteren Ende auf die Terrasse zu zerren.

    @Kantorska

    „Geschäftsreisen“ sind auch so ein überhöhter Blödsinn. Seien Sie ehrlich: Geschäftsreisen beruhen nur darauf, andere zu übervorteilen und etwas, das dort billig ist mit geringsten Transportkosten hier teuer zu verkaufen. Tun sie mal nicht so, als wäre ein „Geschäftsreise“ eine bittere Pflicht. Sie dient dem Geschäft, nämlich ihrem. Sie müssten sehr viel mehr dafür bezahlen, als sie wirklich tun. Was sie da verputzen, ist unerheblich, was sie da nutzen, ist wichtig.

  22. Es soll ja Prähistoriker und Anthropologen geben, die frechweg und dreist behaupten, daß der lammfromme hominide Vegetarier von vor ein paar Millionen Jahren erst durch den Verzehr von zubereiteter Nahrung, u.a. auch gebratenem Fleisch als kräftige Proteinquelle, zum heutigen Homo sapiens mit seinem krebsartig gewucherten Großhirn und seiner Denkfähigkeit gelangt sei. Da ist es dann nur verständlich, wenn alle möglichen kleinen, heilsamen Gesten propagiert werden, die den Menschen das lästige Nachdenken abnehmen sollen – und das nicht nur an einem Tag in der Woche.

    Aber vielleicht hilft es ja, und der donnerstägliche Biß ins Gras – ob sich das wohl vom Gründonnerstag ableitet? – reduziert das krankhafte Übermaß des menschlichen Hirns umweltverträglich und produziert wieder brave vegetarische Savannenbewohner. Back to the roots, futtert mehr Wurzeln. Mahlzeit!

  23. @EvaK
    Ein beinahe meisterliche Verdrehung der Argumente.

    Ist nun die Frikadelle, das zermahlene Tier, der Urgrund der Aufklärung, oder ist die Aufklärung eine Ausgeburt eines krebsartig entarteten Hirns?
    Sind alle Bescheidenen, die nicht mehr als nötig den Raubau betreiben, dümmmliche Affen, die in der Savanne dahinvegetieren?
    Der gute Kant hat wohl weniger Fleisch gegessen als Sie, ist aber trotzdem zu besseren Ergebnissen gelangt.

    Der Verzehr von tierischem Eiweiß würde doch zu größeren geistigen Leistungen verpflichten, als Sie sie hier erbringen. Es sollte dem armen Viech nachgerade peinlich sein, für solche Ergüsse gemeuchelt zu werden.

    Aber die Diskussion driftet ab: Es geht darum, daß der verzehrende Mensch dem verzehrten Vieh nicht mehr die Nahrung herbeischafft, die es benötigt und nicht das Leben gewährt, das es erwarten darf.

    Kurzum: Er kann nicht mehr für die seinen sorgen und entäußert sich darum der Entscheidung über sein(e) Leben.

    Freiheit fordert schon mehr Nachdenken als die Wahl aus drei Kantinengerichten.

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