Trump, der politisch-inkorrekte Gegenentwurf
Von Lutz „Bronski“ Büge
Die USA haben gewählt: Der Unternehmer und Milliardär Donald J. Trump wird der 45. Präsident der ältesten ununterbrochen existierenden Demokratie der Welt. Für Viele kommt das unerwartet. Nicht nur die Meinungsforscher hatten seiner Gegenkandidatin Hillary Clinton von den Demokraten die besseren Chancen eingeräumt. Es herrschte auch vielfach die Ansicht, dass die Beharrungskräfte des Establishments, zu dem Clinton zählt, sich durchsetzen würden. Das ist nicht geschehen, und das ist vielleicht sogar eine gute Nachricht. Allerdings wird sich erst noch zeigen müssen, ob die Macht des Establishments damit gebrochen ist.
Offenbar hat Trumps Strategie verfangen, sich selbst als Gegenentwurf zum Establishment zu inszenieren. Er hat im Wahlkampf gelogen, dass sich die Balken bogen, doch dies wurde ihm als Ehrlichkeit ausgelegt, weil er dazu stand. Das Establishment hingegen ist aus Sicht seiner Wählerinnen und Wähler prinzipiell verlogen, steht aber natürlich nicht dazu. Trump hat sich über Behinderte lustig gemacht, Mexikaner pauschal als Vergewaltiger bezeichnet und sich so oft politisch inkorrekt geäußert, dass es diesen Artikel sprengen würde, alles wiederzugeben. Vermutlich war es gerade diese politische Inkorrektheit, die zahllosen schrillen Töne, die 47,6 Prozent der Amerikaner und – auch sie müssen für ihn gestimmt haben – Amerikanerinnen davon überzeugt haben, dass da einer ist, der komplett anders ist als „das System“. Einer, der dem Willen der Abgehängten und Unterprivilegierten Ausdruck verleiht.
Die USA sind abseits der Ballungszentren und modernen Metropolen in weiten Teilen ein armes Land. Dort, in den Ballungszentren, wurde auch diesmal mehrheitlich die Kandidatin der Demokraten gewählt, aber das hat nicht genügt. Möglicherweise sind diesmal viele Menschen zur Wahl gegangen, die sonst zu Hause geblieben sind, weil sie sich von Washington und den Kandidaten, die ihnen vom dortigen Establishment angeboten wurden, nicht repräsentiert fühlten. Jedenfalls hat Hillary Clinton im gesamten Mittleren Westen nur einen Bundesstaat (Illinois) gewonnen und von den bevölkerungsreichen Bundesstaaten des „rust belt“, der einst das industrialisierte Zentrum des Landes war, keinen einzigen (Michigan ist zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht entschieden). Dort leben viele der Abgehängten, Angehörige der einstigen Mittelschicht, die in den USA schon lange bröckelt, einstige Wählerinnen und Wähler der Demokraten, die in dieser Partei heute kein Zuhause mehr haben.
Jedes System produziert Ungerechtigkeit. Das gilt auch für die Globalisierung. Dass es im „rust belt“ und anderswo in den USA so viele Abgehängte gibt, ist nicht zuletzt dieser Globalisierung zu verdanken. Unternehmer gehen dahin, wo sie am günstigsten produzieren können, wo Arbeitskraft am billigsten ist. Mit der Abwanderung – etwa nach China – verschwanden viele Arbeitsplätze in den USA. Diese Entwicklung ist überall in den entwickelten Ländern des Westens festzustellen. Allerdings ist die Globalisierung keine Naturgewalt. Ihre Folgen ebenfalls nicht. Eine kluge Politik könnte die Rahmenbedingungen so setzen, dass Unternehmen vor Ort bleiben. Das Credo US-amerikanischer Politik seit Ronald Reagan ist jedoch der Freihandel. Der Neoliberalismus stärkt die unternehmerische Freiheit und vertraut darauf, dass die Märkte es schon richten werden. Die vergangene Wahlnacht hat gezeigt, wohin das führen kann: Die Ungerechtigkeiten rächen sich, die von diesem System produziert wurden.
Republikanische Obstruktion
Das ist weniger die Schuld von Barack Obama als vielmehr die der Republikaner, die während der beiden Amtszeiten Obamas eine Art von Obstruktionspolitik gefahren haben. Das hatte nichts mit Opposition zu tun. Den Republikanern war Obama schlicht verhasst, sie wollten ihn scheitern sehen. Es grenzt an ein Wunder, dass er unter diesen Bedingungen sein Hauptprojekt, die gesetzliche Krankenversicherung „Obamacare“, tatsächlich durchgebracht hat. Viele andere Projekte scheiterten an der republikanischen Blockade oder wurden von Obama aufgegeben, weil er keine Chancen sah, sie durchzusetzen. Die Republikaner sind nicht weniger Establishment als Hillary Clinton. Die Wahl Trumps ist auch für sie eine schallende Ohrfeige, obwohl Clinton einer anderen Partei angehört. Im Wahlkampf hatten sich viele republikanische Politiker von Trump abgewandt. Das wird der künftige Präsident so schnell nicht vergessen.
Barack Obama im Moment
seines größten Erfolges:
Das Gesundheitspaket hat soeben
den Kongress passiert.
Bild: Pete Souza
Was wird nun aus „Obamacare“? Die Krankenversicherung funktioniert nicht richtig, sie ist zu teuer, weil sich noch nicht genug Menschen haben versichern lassen. Und wie will Trump seine teils aberwitzigen Wahlversprechen einhalten? Dass er eine Mauer an der Grenze zu Mexiko hochziehen lassen wird, liegt im Bereich des Möglichen und Machbaren. Aber dass er alle illegalen Einwanderer ausweisen lassen will? Dass er alle Freihandelsabkommen neu verhandeln lassen will? Dass er die USA re-industrialisieren will? Raus aus der Globalisierung? Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass jemand einmal diese populistischen Forderungen anzupacken versucht. Isolationismus war zwar schon in der Vergangenheit kein dauerhaft erfolgreiches Konzept und ist dies auch in unserer modernen Welt nicht, in der alles mit allem zusammenhängt. Doch die Forderung danach ist populär, auch bei uns in Europa, wo populistische Strömungen an Einfluss gewinnen. Auch Marine le Pen redet ihren Wählerinnen und Wählern ein, dass man Frankreich nur aus der EU und dem Euro nehmen müsse, damit es dem Land schnell besser geht. Die Briten sind diesem Glauben und seinen Einpeitschern bereits aufgesessen.
Das Wahlergebnis ist in der landesweiten Zählung denkbar knapp: Clinton bekam die Stimmen von 47,5 Prozent der Wählerinnen und Wähler, Trump von 47,5 Prozent. In Wahlmenschenstimmen: Clinton 228, Trump 279. In diesem Ergebnis sind drei Bundesstaaten noch nicht enthalten, in denen immer noch gezählt wird: New Hampshire, Michigan und Arizona. 31 Wahlmenschenstimmen werden also noch verteilt. Am Sieg Trumps wird sich dennoch nichts mehr ändern, die Zahl der Stimmen, die er mindestens braucht, nämlich 270, hat er bereits erreicht. Dennoch ist dies kein Durchmarsch, zumal mehr als vier Prozent der Stimmen sich auf vier weitere Präsidentschaftskandidaten verteilen. Von ihnen hat der libertäre Unternehmer Gary E. Johnson fast vier Millionen Stimmen geholt (3 Prozent), die Grüne Jill Stein gut eine Million (1 Prozent). Stimmen, die Clinton gefehlt haben. Trump ist nicht der Präsident aller Amerikaner, als der er sich bei seinem ersten Auftritt nach der Wahl hinstellte.
Aber was ist er dann? Wir wissen es noch nicht, aber wir werden es erfahren. Trump ist in politischer Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt. Es lässt sich nicht vorhersagen, was das etwa für die deutsch-amerikanischen Beziehungen bedeutet oder für die Nato oder für die Beziehungen des Westens zu Putins Russland. Eines steht indes fest: Die guten, alten Zeiten, nach denen der Kandidat die Sehnsucht geweckt hat, waren niemals wirklich gut. Trump hat den Menschen das Blaue vom Himmel versprochen und auf diese Weise eine Community mit proto-faschistischen Zügen geschaffen. Politische Inkorrektheit gehört in dieser Community zum guten Ton, Rassismus ist ebenso konsensfähig wie Sexismus. Es gibt durchaus Parallelen zu Entwicklungen auch bei uns. Ob Trump erfolgreich ist, wird in allererster Linie davon abhängen, ob er den Geist, den er da heraufbeschworen hat, nun zurück in die Flasche bekommt. Es ist gut möglich, dass er scheitert.
Das Problem ist nicht Trump an sich, sondern ist die Alternativlosigkeit der Demokraten
Donald Trump ist der – verzerrte – Ausdruck gesellschaftlicher Fehlentwicklungen und Probleme, auf die von den „etablierten“ Parteien und hier von den US Demokraten und einer Kandidatin Hillary Clinton keine Antworten gegeben worden sind (im Nachhinein kann man diskutieren, ob nicht Bernie Sanders der erfolgreichere Kandidat gewesen wäre).
Wir erleben eine sich immer mehr beschleunigende globale technische und wirtschaftliche Entwicklung – Stichworte sind „Digitalisierung“ und „Globalisierung“, die eben ohne eine begleitende politische Regulierung zu großen sozialen Verwerfungen und zu wachsender sozialer Ungleichheit führt. Wen sollen die … LKW-Fahrer, Lagerarbeiter oder demnächst Bankangestellten, deren Arbeitsplätze von Robotern und Computern ersetzt werden, denn noch wählen ? Parteien des „Weiter so“ oder des „die Märkte werden es schon richten“ ?
Schauen wir auf Deutschland und die Bundestagswahl 2017: Nötig ist eine andere Politik-Perspektive als die Fortsetzung einer großen oder kleinen Merkel-Koalition (mit oder ohne Einbeziehung der Grünen). Die konkreten Inhalte und Vorschläge für einen Politikwechsel sind bekannt: Schutz von Arbeitsverhältnissen vor Deregulierung und Herstellung auskömmlicher Lohnstrukturen, Stop der zunehmenden Konzentration von Vermögen in den Händen weniger Reicher durch eine entsprechende Reform der Vermögens- und Erbschaftssteuer, wirkliche Zukunftsinvestitionen in Bildung, Infrastruktur und Umweltschutz. Das verlangt vor allem von der SPD den Mut, eine rot-rot-grüne Alternative ernsthaft und konstruktiv zu entwickeln und damit potentielle „Protestwähler“ mitzunehmen. Ein Durchwursteln wie bisher wird nur den „Rechtspopulisten“ Wähler in die Arme treiben und riskiert, dass wir nächstes Jahr in Deutschland genauso lange Gesichter machen werden wie jetzt angesichts der Wahlen in den USA.
God bless the world!
Wie gedemütigt, wie grenzenlos enttäuscht, wie abgrundtief wütend muss man eigentlich sein, um jemanden vom Stammtisch fast ohne Umwege direkt ins Oval Office zu schicken? Wie blind war das Establishment, dass es das nicht hat kommen sehen? Bernie Sanders hatte wohl so eine Ahnung …
Doch jetzt muss die ganze Welt damit leben, dass bald ein Mann den Finger am Abzug von Atomwaffen hat, der naiv fragte, warum man sie denn nicht einsetze, wenn man sie denn schon habe. Das kann schon Angst machen. Und es zeichnet sich ja ab, dass auch hier in Europa politische Extreme – in der Regel von rechtsaußen und selbsternannte Volkstribune – an die Macht gelangen. Frau Le Pen in Frankreich, um ein Beispiel zu nennen. Ich hoffe die politischen Eliten hier hören das Signal und machen es besser. Schaffen sozialen Ausgleich und Gerechtigkeit für alle, widersprechen klar und deutlich allen nationalistischen Tendenzen, reißen Mauern ein zwischen den Kulturen, statt neue zu errichten, wie es der gewählte US-Präsident angekündigt hat. Europa muss jetzt – mit dem Blick auf Würde und Werte – eine führende Rolle in der Welt übernehmen. Wer sonst?
God bless the world!
zu @ Martin Gülzow
Ich stimme ihnen zwar zu, aber nach allem was ich weiß steht Trump für das genaue Gegenteil.
Zwei Anmerkungen:
1. „Dort leben viele der Abgehängten, Angehörige der einstigen Mittelschicht, die in den USA schon lange bröckelt, einstige Wählerinnen und Wähler der Demokraten, die in dieser Partei heute kein Zuhause mehr haben.“
Das mag für bestimmte Gegenden, etwa für Ohio, gelten, ist aber für den Sieg insgesamt keine Erklärung. Und auch hat das mit Hillary Clinton so gut wie nichts zu tun, ist ein Hinweis auf versäumten Strukturwandel. Und der Hass der entlassenen Arbeiter fand, wie berichtet wird, gerade in Frau Clintons Versprechen neue Nahrung, diesen Strukturwandel anzupacken. Ein klarer Hinweis auf Realitätsverweigerung und Flucht in Trugbilder des „american dream“, rückwärtsbezogenen Chauvinismus und Ausgrenzung anderer als Wirklichkeitsersatz. Vergleichbar mit Maschinenstürmerei des 19. Jahrhunderts.
Ein Hinweis darauf stammt auch von Trump selbst: „Ich mag die wenig Gebildeten.“ Die haben ihn auch zu 75 % gewählt – aber nicht nur. Es sind auch viele Intellektuelle und gut Situierte darunter.
(http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-amerika/trump-polarisiert-bei-us-wahl-doch-er-ist-nicht-der-erste 14515458.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2)
2. „Die Republikaner sind nicht weniger Establishment als Hillary Clinton. … Und wie will Trump seine teils aberwitzigen Wahlversprechen einhalten?“
Wie wahr! Aber eben deshalb darf man nicht auf das dämliche Gerede von Anti-Establishment (das zudem eine gehörige Portion von Intellektuellenhass beinhaltet, Hauptmotiv auch für Antisemitismus) als Quelle der Hoffnung hereinfallen. Es offenbart nur die ganze Irrationalität. – Wer sagt denn, dass ein Trump das überhaupt einhalten will oder muss? Die Absolution dafür hat er ja von den zahllosen Relativierern (auch in unseren Foren) schon von vornherein. Ein ein solcher Verrat wird ihm – wie seine Lügen – auch noch zugute gehalten.
Indiz dafür, wie unsinnig es ist, auf das vorgeschobene anti-kapitalistische Gerede und wirkliche Strukturveränderungen zu hoffen. Dieser ganze ideologische Überbau – oder besser: bauchgeleitete Unterbau – verhindert eine Auseinandersetzung mit der Realität. Bestenfalls ist zu erwarten, dass mit einer weiteren ökonomischen wie sozialen Verschlechterung in nicht zu ferner Zukunft aus dem „Hosianna“ ein „Kreuziget ihn!“ wird. Irgend ein Ansatz für strukturelle Veränderungen ist daraus nicht zu entnehmen.
Ganz so unerwartet war der Sieg Trumps nicht für jeden.
Dirk Müller z. B. war sich da nicht so sicher:
https://www.youtube.com/watch?v=dMGdEluS04c
Seine Einschätzung des Wahlausgangs teile ich auch:
https://www.youtube.com/watch?v=PiAP6Bo2-e8
Im obenstehenden Artikel wird über die wesentlichen Gefahren geredet und nicht nur über die berüchtigten Nebenkriegsschauplätze , die wohl nicht ganz unerheblich beigetragen haben zu Clintons Niederlage .
Ein Lehrstück aus dem Kapitel
„Die Kanone geht nach hinten los , wenn ich mit ihr auf Spatzen im Umkleideraum schieße“.
Die älteste Demokratie auf dieser Welt hat uns gezeigt, was man mit ihr alles machen kann. Nicht die gut geölte Maschinerie, vernetzt bis an die Haustüren der potentiellen Wähler hat gesiegt, sondern ein „Politclown“, mit unmöglichem Auftreten, aber mit dem Gespür, wie man von bisherigen Regierungen enttäuschte Bevölkerungsschichten begeistern und an die Urnen bringen kann.
Mich stört zunächst einmal dieses für mich undemokratische Wahlsystem, welches nach dem Prinzip „alles für den Sieger“ die einzelnen Staaten dem zuordnet, der die meisten Wahlmänner – nicht Wählerstimmen – auf sich vereinigt. So konnte HC trotz höherer Zustimmung nur noch dem „Sieger“ gratulieren.
Die Demokraten haben sich da selbst, wohl ähnlich wie die SPD bei uns, ein Bein gestellt. Ein linksliberaler Bewerber wie Sanders konnte, weil nicht Establisment-kompatibel, allerdings keinen Blumentopf gewinnen. Clinton machte hier eher den Gabriel, siehe CETA und Klimaschutz.
Vielleicht können wir ja irgendwann mal froh darüber sein, dass hier nicht die militärische Hardlinerin gesiegt hat. Wirr ist auch, wer mit das Kostbarste, was wir haben, Weltfrieden, mißachtet.
Meine Frau und ich halten Trump, obwohl oft „Trampel“, eher für das kleinere Übel. Wir hätten Sanders gewählt.
Ich stimme den Ausführungen von Wolfgang Fladung voll und ganz zu.
Clinton war eine Kandidatin des Geldes, der Rüstungsindustrie und des Imperialismus und wurde von den Hedgefonds zur Kandidatin gekürt.
Sanders hätte vermutlich auch die Wahl gewonnen, so haben die Abgehängten, wie bei uns die AfD-Wähler, Trump gewählt.
Aber leider lernen diese Parteien, wie man auch bei den europäischen, sich „sozialistisch“ nennenden Parteien, nichts aus solchen Wahlergebnissen und merken es erst, wenn es zu spät ist.
Als John Lackland (Johann Ohneland) ging der englische König Johann (1199 – 1216) in die Geschichte ein. Irgendwie erinnert Donald Trump an ihn, erscheint er mir als ein Donald Lackland der Ahnungslosen.
Denn es ist zumindest fraglich, ob die Deklassierten auf Dauer als Hausmacht ausreichen, auf die sich ein US-Präsident bei seinen Entscheidungen berufen kann und auf die er sich verlassen können muss. Schließlich zählt die Republikanische Partei fast ausnahmslos zum politischen Establishment und steht dem deregulierten (Finanz-) Kapitalismus genau so nahe wie die Führungsschicht der Demokraten. Wer lediglich 75 Prozent der wenig Gebildeten bzw. knapp 50 Prozent der gesamten Wähler hinter sich weiß, verfügt nicht über die Handlungssouveränität, die für einen Systemwechsel, wenn er denn gewollt ist, notwendig wäre.
Die Wirklichkeit, der sich Trump ab Januar stellen muss, ist in entscheidenden Punkten desillusionierend. Hierzu ein Beispiel: Angesichts der überirdischen Telegrafenleitungen, die weite Teile der ländlichen Gebiete der USA durchziehen, fühlt man sich dort wie in einem Dritte-Welt-Land. Auch der Hochwasserschutz am Mississippi entspricht vielfach nicht den Sicherheitsanforderungen. Es wären massive finanzielle Investitionen notwendig, um westeuropäische Standards zu erreichen. Doch woher soll das Geld kommen, wenn die Steuern für Unternehmen auf 15 Prozent gesenkt werden? Der Unternehmer und Steuervermeider Donald Trump zahlt seinen Angestellten nachweislich deutlich schlechtere Löhne als die Mitbewerber. Steuerersparnis für Unternehmen führt offenbar nicht zwangsläufig zu höheren Investitionen (u.a. in Fachkräfte), sondern sie sind Mitnahmeeffekte, die nur dem engsten Kreis zugutekommen.
Das Abschotten der Märkte gegen ausländische Konkurrenz erscheint nur auf den ersten Blick als ein Königsweg zur Belebung der Binnenproduktivität. Vor allem Großunternehmen sind zusätzlich auf ausländische Märkte angewiesen. Was wären Coca Cola, McDonald’s, Heinz, Esso, Adobe, Microsoft, Apple, Google, HP, Lewis, Amazon (um nur einige zu nennen) ohne die Konsumenten in Westeuropa? Die europäischen Regierungen würden wirtschaftliche Einbahnstraßen nicht lange zulassen und dadurch Trumps Milchmädchenrechnung ad absurdum führen.
Auch der beabsichtigte Ausstieg aus der Klimapolitik würde sich über kurz oder lang als Hasardeurstück erweisen. Selbst die Volksrepublik China hat mittlerweile erkannt, dass man sich durch ungezähmte Umweltzerstörung vor allem auch selbst umbringt.
Und was würde geschehen, wenn der Kriegsverursacher USA (man denke nur an Afghanistan oder den Irak) sich vollständig aus den Folgen seiner Interventionen zurückzöge? Oder wenn er ausgerechnet das islamistische Saudi-Arabien mit Atomwaffen hochrüstete? Oder Erdogans Genozid gegen die Kurden tolerierte? Für einen solchen Fall wäre es nicht unrealistisch, vom Entstehen einer neuen Weltmacht auszugehen, nämlich einem osmanisch-arabischen Imperium, das wie der typische Zauberlehrling vor allem gegen seinen Meister ins Feld zöge. Dann könnte der 11. September 2001 alsbald kein singuläres Ereignis mehr für die USA sein.
Entscheidend dürfte sein, dass die demokratischen europäischen Regierungen der künftigen US-Administration die Grenzen zwischen rationaler Politik und Verantwortungslosigkeit klar machen. Die ersten Äußerungen von Angela Merkel erscheinen als richtiger Weg; hoffentlich hält sie daran fest. Aber auch in den USA selbst müsste das Problembewusstsein dafür wachsen, was auf das Votum der Frustrierten folgen könnte. Wem wenden sich die Abgehängten und Enttäuschten zu, wenn Trump ihre Erwartungen nicht erfüllen kann (was wahrscheinlich ist)? Entsteht eine amerikanische Spielart des Faschismus? Oder erwächst in der Wahlheimat des Kapitalismus ein autoritärer Kommunismus stalinscher Prägung? Gerade weil die Meinungsforschungsinstitute das nicht im Blick haben, sollte man diese Ultima Ratio ernsthaft erwägen. Denn falls der Verstand versagt, greift bekanntlich der Unverstand um sich.
Übrigens: Im Krieg mit Frankreich verlor König Johann die Normandie und den größten Teil Westfrankreichs und damit sein Stammland. 1215 zwang ihn der rebellierende Adel zur Annahme der Magna Charta, die ihm und sämtlichen seiner Nachfolger enge Grenzen der Macht setzte und die bis heute ein wesentlicher Teil des englischen Verfassungsrechts ist. Zu seinem schlechten Ruf trugen Shakespeares Drama „Johann“, Walter Scotts Roman „Ivanhoe“ und die Legenden um Robin Hood bei. Johann galt seinen Zeitgenossen als grausam, böse und wollüstig.
Die FR startet heute mit dem Satz, dass diese Wahl das Ende der Weltordnung ist, sie wir kennen. Das wurde bei der Wahl von Reagan vermutlich auch geschrieben. Dieser Satz hat mich darauf verzichten lassen, den Rest zu lesen. Dieses ewige Orakeln geht mir auf den Geist. Haben journalistische Orakel uns vor kurzem nicht erzählt, dass Trump keine Chance hat und dass er die ganze Partei mit in den Abgrund reißt?
Abwarten und Tee trinken! Ich habe die Vermutung, dass es bleibt, wie es ist: der Weltuntergang findet nicht statt.
Der erste Satz des Kommentars von Andreas Schwarzkopf, den ich hier auch verlinke, lautet tatsächlich:
„Der Wahlsieg des Republikaners Donald Trump bedeutet das Ende der westlichen Weltordnung, wie wir sie kennen.“
Ich teile die Einschätzung von Klaus Philipp Mertens uneingeschränkt. Danke!
Einige Anmerkungen zur Ergänzung:
– „Dritte-Welt-Land“:
Bei einer Rundreise in den Westen der USA (vor allem Kalifornien) war ich über die fehlende Infrastruktur einfach entsetzt. Telegrafenleitungen nicht nur überirdisch, sondern morsch und marode. Busverbindung vom Flughafen Los Angeles zur City: Alle Stunden ein Bus, ausschließlich von Schwarzen besetzt. Die einmal existierende Straßenbahn funktioniert prima: in Buenos Aires. Vom total fehlenden Umweltbewusstein gar nicht zu reden.
Nebenbei: Während alle bisherigen Präsidentschaftsbewerber Millionen in den Wahlkampf investierten, war Trump der erste, der es verstand, das undemokratische Verfahren zu nutzen, um im Wahlkampf in die eigene Tasche zu wirtschaften. Indem er Wahlkampfdienste von eigenen Hotels, Restaurants, Firmen und der eigenen Airline verrichten ließ und in Rechnung stellte. – Ein „Patriot“, wie er im Buche steht!
Wer von einem Turbo-Kapitalisten und Milliardär, auf dessen Agenda Steuersenkungen für Seinesgleichen ganz oben stehen, Strukturmaßnahmen, soziales Gewissen und soziale Verbesserungen für Unterprivilegierte erhofft, muss wohl an den Weihnachtsmann glauben.
– „Abschotten der Märkte“:
Wer diesen Kurs fährt (wie ja z.B. auch Le Pen in Frankreich predigt: „Franzosen zuerst!“), hat bestenfalls einen minimalen zeitlichen Vorsprung. In Wirklichkeit setzt er eine Abwärtsspirale in Gang, welche die eigenen Märkte zerstört und zum gegenteiligen Effekt führt. Denn die von Einfuhrzöllen betroffenen Länder werden es unverzüglich nachmachen. Nationalismus heißt eben gegenseitige Abschottung, unbarmherziger Wirtschaftskrieg gegeneinander (wenn es dabei nur bleibt!), das Gegenteil einer Win-win-Situation. Was das angesichts der Bevölkerungsexplosion in unterentwickelten Ländern bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen.
– „Ausstieg aus der Klimapolitik“:
Bedarf angesichts totaler Leugnung jeglicher wissenschaftlich begündeter ökologischer Erkenntnis, auch bei Chauvinisten andernorts, hinsichtlich der vorauszusehenden Folgen keiner Erläuterung.
– Rückzug von den Folgen der US-Interventionen:
Das erscheint mir noch untertrieben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der US-Präsident, anders als bei innenpolitischen Entscheidungen, in der Außenpolitik ziemlich freie Hand hat. Und nicht genug, dass der Hauptverursacher von IS, Syrienkrieg u.a. sich weigert, die Folgen in Form von Flüchtlingschaos mitzutragen. Was passiert mit den 11 Millionen Mexikanern und Muslimen, die ein Trump ausweisen will (zeitweilig hat er von 30 Millionen gelavert)? – Wenn man zynisch wäre, möchte man sich fast eine Kanzlerin Petry wünschen, die diese dann in Empfang nehmen darf.
– „Wem wenden sich die Abgehängten und Enttäuschten zu, wenn Trump ihre Erwartungen nicht erfüllen kann (was wahrscheinlich ist)? Entsteht eine amerikanische Spielart des Faschismus?“:
Es ist problematisch, mit historischen Gleichsetzungen zu arbeiten. Fahrlässig, und ich meine auch verantwortungslos, aber ist es, die Möglichkeit einer solchen Entwicklung in den Wind zu schlagen und historische Erfahrungen einfach auszuklammern, wenn es um das Schicksal nicht nur einer Nation geht. Wobei ich eher an Entwicklungen wie vor dem 1. Weltkrieg denke, als Überdruss an der „bürgerlichen Gesellschaft“ sich wie eine Seuche ausbreitete (auch und gerade unter Intellektuellen), zur Bereitschaft führte, sich auf ein Va-banque-Spiel einzulassen, mit bekannten Folgen. Dabei war damals nicht einmal ein solcher abgrundtiefer Hass auf „das Establishment“ zu spüren, wie er die unerträglichen Trump-Auftritte kennzeichnete. Dass der Hauptverursacher und Beförderer kollektiver Hassorgien, die sich im Selbstlauf verbreiten, dazu prädestiniert sei, diese wieder einzudämmen, müsste erst einmal schlüssig begründet werden.
Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich die Auffassung nicht teile, aus einer solchen Spaltung der Gesellschaft könnten irgendwie „produktive Kräfte“ zur Überwindung nicht zu leugnender, kapitalismusspezifischer Strukturprobleme hervorgehen. Nun aber, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, wird nichts anderes übrig bleiben, als sich auf diese – m.E. mehr als vage – Hoffnung einzulassen. Bezogen auf die USA ist dabei am ehesten (wie sich andeutet) auf eine Bewusstwerdung der nun abgrundtief Enttäuschten und Entsetzten zu hoffen.
Vor allem aber sind nun die gefordert, die auf die oben genannten Erwartungen spekulierten, mit ihren kreativen Vorschlägen an die Öffentlichkeit zu treten. Und das möglichst schnell, sollte nicht auch die letzte Chance verspielt werden, zu befürchtenden Entwicklungen gegenzuhalten.
@Henning Flessner
Volle Zustimmung! Als ob sie ihn herbeisehnen , den Weltuntergang.
Und was wäre passiert , wenn Clinton gewonnen hätte? Wer weiß , was für Kräfte da noch so hochkämen , wenn es noch weitere Jahre mit derselben hinterhältigen Zerstörung westlicher Werte weitergegangen wäre?
Aus SPIEGEL online von heute möchte ich aus dem Kommentar von Henrik Müller einen Satz zitieren: „Donald Trump. Der gewählte Präsident tritt an mit dem Versprechen, die Steuern zu senken und die Staatsausgaben zu erhöhen. Ein großes Infrastrukturprogramm soll einen Bauboom auslösen. Ach so, nebenher will er den amerikanischen Staat auch noch entschulden. Wie das alles zusammenpasst, ist schleierhaft.“
Ersetzen wir doch einmal den Namen DONALD TRUMP durch WOLFGANG SCHÄUBLE und anderen Koryphäen aus dieser glorreichen Regierung, auch, wenn es vielleicht in den Vorhaben nicht 1 zu 1 passt. Auch dieser will auf keinen Fall Steuererhöhungen, eher Steuersenkungen, befürwortet auch höhere Ausgaben für die Infrastruktur und hält auf jeden Fall an seiner „schwarzen Null“ fest, koste es (nicht nur Deutschland) was es wolle.
Der Unterschied ist lediglich, das Trump als Spinner verschrieen ist und auch fast alle Medien auf ihn eindreschen, Schäuble dagegen als kluge, vorausschauende „schwäbische Hausfrau“.
Wenn das Haus kurz vor dem Zusammenfall steht, muß ich mir für die Renovierung Geld besorgen, d.h. entweder Bank-Kredit oder Zweitjob, und mittelfristig mir Sparen abschminken. Aber bei uns gibt es ja viele Wundergläubige.
Meldungen zum Thema „Es wird alles nicht so heiß gegessen…“
FR,14.11.2016, „Eine neue Politik der Wut“, Colin Crouch über postdemokratische Identitäten und ein Paradox:
– „Man kann fragen, warum eine Kritik der Eliten mit der Fremdenfeindlichkeit gemixt wird. Die Antwort ist: Sie wissen, dass sie nichts gegen die Eliten ausrichten können oder wollen; sie können aber viel gegen Minderheiten machen, also etwa gegen Immigranten.“
FAZ,13.11.2016
„Der zukünftige amerikanische Präsident Donald Trump will bis zu drei Millionen Menschen ohne gültige Dokumente ausweisen.“
FR,14.11.2016 „Trumps erste Schritte“:
– „War die ideologische Grundlage seiner Kampagne der Feldzug gegen Washingtons Polit-Establishment, so ist nun Republikaner-Parteichef Reince Priebus offenbar auserkoren, den extrem wichtigen Posten des Stabschefs im Weißen Haus zu übernehmen, wie CNN meldet.“
Hinweis: Reince Piebus gilt auf Seiten der Republikaner als Inkarnation des Washingtoner Polit-Establishment.
– „Einem Mitglied aus dem Übergangsteam zufolge will Trump schnellstmöglich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen.“
France Inter,14,11.2016:
-„Die von Donald Trump ernannten neuen Richter sind für das Leben und für uneingeschränkten Waffengebrauch.“
– Botschaft von Donald Trump an die Demonstranten „Nicht mein Präsident!“: „Habt keine Angst!“
Kommentar: Geht’s noch zynischer?
@ Wolfgang Fladung, 13. November 2016 um 18:51
Betr. Gleichung Trump = Schäuble:
Bin schon sehr gespannt auf Ihre hier sicher bald zu lesende Recherche betr. Wolfgang Schäuble, auf Grund der er zu einem deutschen Trump zu küren wäre.
Zu nennen wären: Steuerhinterziehung, Betrug an Bauarbeitern, Repressionen gegen Naturschützer (betr. Golfplatz in schottischem Dünengelände), Mauerbau, rassistische und sexistische Ausfälle gegen Minderheiten und Frauen, Haftandrohung gegen Konkurrenten, Wählerbetrug u.a.. Da Ihrer Meinung nach die Gleichung „nicht 1 zu 1 passt“, könnten ja ein oder zwei Punkte wegfallen. Wäre immer noch spannend genug.
Das könnte dann ergänzt werden durch eine Aufstellung der Lügen „der Medien“, die einem so bescheidenen, aufrechten, selbstlosen, moralischen und wahrheitsliebenden Menschen wie Donald Trump nicht einmal die paar lumpigen Milliarden und eine Präsidentschaft gönnen und so schamlos „auf ihn eindreschen“.
Umso empörender, als es einen der ihren, einen echten Medien-Insider trifft, mit Fox-News und eigener Show im Rücken!
@Wolfgang Fladung:
Schäuble war auch in anderer Hinsicht nicht wirklich stringent:
https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/09/14/die-versprechen-der-euro-retter-wie-versprochen-so-gebrochen/
@ Werner Engelmann, 14.11.: Wollen oder können Sie mich nicht verstehen? Es geht mir doch nicht um das offensichtliche asoziale und egozentrische Verhalten von Trump, sondern um die für mich offene nicht aufgehende Gleichung. Sparen, Steuern senken bzw. Erhöhungen als „des Teufels“ zu bezeichnen, investieren – und gleichzeitig Schulden abbauen geht für mich nicht zusammen. Natürlich ist Schäuble kein „deutscher Trump“, aber als schwarze Spar-Null in vielem ein Meister nicht aufgehender Gleichungen. Aber ich kann das auch so stehen lassen. Und mir weiterhin wünschen, Sanders hätte es geschafft. Und fragen, warum es den Millionen Wählern in den USA schnurzegal war, wieviel Dreck Trump am Stecken hatte. Vielleicht spielt ja da eine Art Glauben eine Rolle? Wenn ich vom Platzregen überrascht wurde, und ich pitschnass wurde, ist für mich die Frage, wo zuhause der Schirm steht, sekundär.
Das Trump diese Wahlen gewonnen hat liegt in erster Linie am Wahlsystem. Clinton hat beim derzeitigen Stand der Auszählung zwei Millionen Stimmen mehr. (Siehe Online Ausgabe von „The Nation“ Republicans Cannot Claim a Mandate When Hillary Clinton Has a 2-Million-Vote Lead, 23.11.16.
Die am 10.11.16 in der FR veröffentliche Grafik ist missverständlich. Sie erweckt den Eindruck das Obama bei den Wahlen 2008 und 2012 eine Mehrheit der Wahlmännerstimmen bekommen hat, obwohl er weniger Wählerstimmen als seine Gegner errungen hat, was nicht der Fall war. Das verallgemeinernde „die Amerikaner“ sollte man sich sparen.