Vergangenen Samstag habe ich tatsächlich erstmals seit Jahren wieder bei „Wetten dass …?“ reingeschaut. Die Sendung begann so sturzlangweilig, dass ich mich in meiner Abneigung bestätigt sah und weggeschaltet habe. Gut so, oder? Sonst hätte ich den folgenschweren Unfall des Samuel Koch miterlebt. Der junge Mann, 23 Jahre ist er alt, wollte mit Sprungfedern unter den Füßen über fahrende Autos hüpfen. Er stürzte und verletzte sich so schwer, dass er möglicherweise gelähmt bleiben wird. Moderator Thomas Gottschalk brach die Show nach dem Unfall ab. Diese Aktion und die Art, wie er sie verkaufte, hat ihm Lob eingebracht. Einerseits.

Andererseits steht die Sendung jetzt natürlich in der Kritik. Zu riskant, die Quote fest im Blick … Es war Gottschalks 144. Sendung, und seit es „Wetten dass …?“ gibt, ist diese Sendung Quotenkönigin. Allerdings hat sie inzwischen Konkurrenz im Privatfernsehen bekommen: Dieter Bohlens „Supertalent“ kommt immer näher. „Wetten dass …?“ versucht, die ganze Familie vor den Fernseher zu bekommen, so wie vor 30 Jahren, als es noch kein Privatfernsehen gab. Unterhaltung für alle. Darum sollte in der 144. Sendung der 16-jährige Star Justin Bieber auftreten, und Hardy Krüger sen. sollte Wettpate sein, und für die schwule Community war Cher angereist. Teil des Konzepts der Sendung sind aber auch riskante Wetten. Die des Samuel Koch wurde von Gottschalk mit den Worten angekündigt:

„Ich habe vieles gesehen in meiner Laufbahn, so gefürchtet hab‘ ich mich noch nie, dass dem jungen Mann etwas passiert.“

Es ist passiert.

Hans-Joachim Gebhardt aus Frankfurt meint:

„Hinterher ist man immer klüger, aber ist dieses Vorkommnis nicht ein Symbol für unsere – ich würde sagen – dekadente Einstellung, vergleichbar mit den Ereignissen, die wohl zum Niedergang einiger Hochkulturen geführt haben? Der Junge tut mir wirklich leid (obwohl, davon wird er nicht gesund), aber schon die alte Tante Volksmund sagt: ‚Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um!‘ (so weit wird es hoffentlich nicht kommen). Ich hoffe nur, dass das Fernsehen diese Lektion gelernt hat und dass derartige, offensichtlich gefährliche Wetten nicht mehr angenommen werden. Ich weiss, es gibt jetzt Stimmen, die sagen: ‚In jeder ‚Action‘-Wette steckt Gefahr!‘, richtig, da muss die Redaktion eben genau hinsehen und auch mal einen Kandidaten enttäuschen. Wir sehen beinahe täglich Schreckensbilder, die – na sagen wir mal – ’natürlichen‘ Ursprungs sind, da brauchen wir wirklich keine ‚künstlich erzeugten‘ Bilder dieser Art. Im Übrigen verweise ich auf das Guinness-Buch, wo z.B. Fress- und Saufrekorde nicht angenommen werden, nur ein Beispiel für vernünftige Selbstbeschränkung.“

Peter Müller aus Düren:

„Höher, weiter, schriller, schneller! Die Öffentlich-rechtlichen machen es, der Quote willen, den Privaten nach.  Qualität ist nicht mehr gefragt, Hauptsache die Sensationsgier wird befriedigt. Sei es im Fernsehen, in den Printmedien, in der Wahrnehmung menschlicher Interessen und menschlichen Leids sowie in der Politik. Hier beginnt, wie unser schriller Bundesaussenminister einst sagte, die ’spätrömische Dekadenz‘.“

Carsten Ernst aus Frankfurt:

„Kann sich noch jemand an ‚Das Millionenspiel‘ erinnern? In dieser fiktiven Game Show aus dem Jahr 1970 konnte ein Kandidat eine Million gewinnen, wenn er es schaffte, einer Mörderbande zu entkommen. Das Fernsehen war bei jedem Schritt dabei. Ein verständnisvoller Moderator vermittelte den Zuschauern im Saal und vor den Geräten die Spannung, wenn der Kandidat um sein Leben rannte. Damals waren die Öffentlich-rechtlichen noch richtig visionär: Zahlreiche Elemente aktueller Game- und Casting Shows waren bereits eingearbeitet. Der einzige Unterschied zu heute besteht darin, dass es bisweilen zwar auch um dem Leib, aber immer noch nicht um das Leben geht, zumindest nicht als erklärtes Spielziel. Es ist ein Treppenwitz, dass ausgerechnet bei „Wetten das“ , veranstaltet vom Seniorensender ZDF, eine Person schwer verletzt wird. Dabei war genau eine Verletzung in der Wette implizit bereits vorhanden. Denn – eine Wette kann man gewinnen oder verlieren – wie aber anders als mit einem Unfall konnte diese Wette verloren werden? Entweder der Junge landet sauber, oder er fällt hin oder bleibt am Wagen hängen. Von dem kritischen Geist der Siebziger sind die Öffentlich – Rechtlichen weit entfernt. Ein medienkritischer Film wie ‚Das Millionenspiel‘ würde 2010 weder von ZDF, noch von ARD produziert werden. Lieber konkuriert man mit dem privaten Verblödungssendern darum, wie das kritische Potential der Zuschauer am besten anästhesiert wird.“

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4 Kommentare zu “Hinterher ist man immer klüger

  1. Wer ist schuld am Unfall?

    Die Quote = die Trottel, also: alle Fernsehzuschauer, alle Autofahrer, etc.

    Viel intelligenter wären ja Wetten wie die folgenden:

    Wetten, dass ich Krebs heilen kann?
    Wetten, dass ich Aids heilen kann?
    Wetten, dass ich in 2 Sek. Frieden auf der ganzen Welt schaffen kann?
    Wetten, dass ich es schaffe, dass der H. sapiens auch noch in 100 Jahren nicht ausgestorben sein wird?
    Wetten, dass ich morgen auf dem Mars stehen kann?

    etc.

    Aber eben: die Quote (die Trottel) schaffen es gerade mal, Auto zu fahren, Fernseh zu gucken, Sport zu gucken, Geld zu scheffeln und Sex zu haben.

  2. War der Kandidat für eine lebensgefährliche Wette geeignet? Von verantwortlicher Seite der ZDF-Show wird angeführt, dass in vielen sportlichen Darbietungen bzw. Stunts ein Restrisiko steckt und somit der gestürzte Kandidat einfach mal Pech gehabt hat.
    Nach meiner Meinung war hier das Restrisiko viel zu hoch!
    Wenn bei Sportveranstaltungen (Kunstturnen, Boxen, Turmspringen,
    Reiten u.v.a. gefährliche Wettkämpfe durchgeführt werden, dann
    können sich die Verantwortlichen auf die Befähigung der Teilnehmer
    berufen. Eine von Kindesbeinen andauernde Erfolgsgeschichte qualifiziert für schwierige Übungen. Dazu gehört auch eine ausgereifte Falltechnik, wie sie täglich von professionellen Stuntman trainiert wird.
    In den Medien konnte zur Befähigung des Kandidaten für riskante Übungen
    nichts entnommen werden.
    Die sorgfältige Prüfung der Qualifikationen eines Kandidaten und das Einholen von Referenzen sollte nicht der Quote zum Opfer fallen.

  3. Wer hätte das gedacht? Die Reaktionen auf den Unfall klingen wie das Ergebnis einer schlechten Studie. Es ist doch tatsächlich gefährlich mit Sprungstelzen über fahrende Autos zu springen. Und um die konsequente Ignoranz dabei gleich zu übergehen, gab es tatsächlich Überlegungen und Aufschreie die Sendung „Wetten, dass…?“ abzusetzen. Die Sendung wird mittlerweile seit 30 Jahren im Fernsehen gezeigt und es muss, wie all zu oft, erst etwas passieren, damit sich etwas verändert. Doch trotz aller Veränderungen bleibt eine blöde Idee nunmal eine blöde Idee, da ändern auch Hunzikers Krokodilstränen nichts.

  4. @Carsten Ernst
    „Dabei war genau eine Verletzung in der Wette implizit bereits vorhanden. Denn – eine Wette kann man gewinnen oder verlieren – wie aber anders als mit einem Unfall konnte diese Wette verloren werden?“

    Das ist absolut der klügste Satz, der in der ganzen Diskussion seit dem Unfall gesagt wurde.

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