FR-Leser Daniel Defense findet, dass „islamistisch“ eine demagogische Vokabel sei. Ich veröffentlichte seinen Leserbrief in der FR vom 6. Dezember. Der Leserbrief erhielt Reaktionen von Leserseite. Daher veröffentliche ich ihn hier nochmals, zusammen mit zwei dieser Reaktionen. Zuerst also Daniel Defense aus Witzenhausen:

„Ich sehe Ihr Bemühen, in all dem Gewabere von (Macht-)Politik und egozentrisch-partikulären Geschehnissen die Dinge auf den Punkt zu bringen. Deshalb lese ich die FR; dies ermutigt mich, populistischen Stammtischideologien zu widerstehen. Doch nehme ich an der üblichen und von Ihnen kritiklos benutzten Wortwahl zuweilen (erheblichen) Anstoß. Es geht um das Reizwort ‚islamistisch‘. Für den Durchschnittsbürger, also nicht nur ausschließlich von Lesern der Boulevardpresse, wird hier ein unterschwelliger bis offener Wesensbezug zum Islam suggeriert. Ich kann mich nicht erinnern, dass Sie zu Zeiten des Nordirlandkonflikts die (logische?) Vokabel „christlamistisch“ benutzt haben. Der Missbrauch einer Idee mindert nicht ihren Wert! Als „das Christentum“ so alt war wie der Islam heute, stand es bis zu den Knien im Blut. Jedoch leitet niemand davon eine fortwährende Sippenhaftung ab. Sollte man sich einiger anstößiger Stellen aus dem Koran zum Anlass für eine allgemeine Hetze auf alles Islamische bedienen, verweise ich auf das Alte Testament, in dem zahlreiche strafrechtlich bedenkliche Verstöße gegen Menschenrechte verzeichnet sind. – Der Islam ist einer von vielen möglichen Wegen zur Vervollkommnung des Menschen. ‚Islamistisch‘ ist eine demagogische Vokabel.“

Dazu Helge Nyncke aus Mühlheim/Main:

„“Hoppla, da stellt aber jemand seiner eigenen Argumentation selbst ein Bein: Wenn das von dem Leserbriefschreiber kritisierte Wort ‚islamistisch‘ einen Wesensbezug zum Islam beschreibt (worauf sich schließlich alle radikalen Islamisten mit Verweis auf den Koran selbst berufen!), dann kann man doch diese Tatsache nicht mit dem Umstand entkräften und dieses vermeintlich ‚böse‘ Wort aus jeglicher Berichterstattung verbannen wollen, dass unsere Zeitungen zur Zeit des Nordirland-Konfliktes nicht ebenso eine Bezeichnung wie ‚christlamistisch‘ verwendet hätten. Vielmehr liegt darin womöglich ein tragisches Versagen der öffentlichen Berichterstattung, dass eben nicht bei allen Religionen, die in ihren Grundlagenwerken Hass und Verfolgung Anders- oder Ungläubiger predigen, derselbe menschengerechte Maßstab angelegt wird (und das sind so gut wie alle).
Natürlich sind weder alle Muslime noch alle Christen oder Angehörige anderer Glaubensrichtungen grundsätzlich gewaltbereit oder extremistisch veranlagt, das sagt ja auch niemand. Aber jede Gemeinschaft, sei sie religiös, parteipolitisch oder sonstwie zweckorientiert muss es sich doch gefallen lassen, an ihren eigenen Statuten, Ihrem Parteiprogramm gemessen und beschrieben zu werden. Und wenn sich hier bedenkliche Inhalte finden lassen, die mit modernen Auffassungen von Demokratie und Menschenrechten kollidieren und auf die sich Teile dieser Gemeinschaften ausdrücklich berufen, dann sollte es selbstverständlich sein, dies auch offen warnend auszusprechen.
Die schamhafte Blindheit gegenüber den menschenverachtenden Tendenzen innerhalb der hierzulande dominierenden Gemeinschaft (siehe z.B. altes Testament) rechtfertigt keinesfalls ein Scheuklappengebot gegenüber bedenklichen Entwicklungen der eher landesfremden Glaubensrichtung. Im Gegenteil! Jede Gemeinschaft, die auf ihre heiligen Bücher schwört, sich nicht von ihren grausamen Inhalten distanziert und Rituale pflegt, die mit modernen, menschengerechten Maßstäben unvereinbar sind, muss sich daran messen bzw. sich auch öffentlich danach beschreiben und bewerten lassen. Das hat nichts mit Demagogie, sondern viel mehr mit Aufrichtigkeit und Aufklärung zu tun. Und die dient tatsächlich der ‚Vervollkommung des Menschen‘, nicht das oft fälschlich mit der Glaubensfreiheit begründete Tabu, offen auszusprechen oder zu schreiben, was doch jeder in den Originalquellen nachlesen kann.“

Und Jürgen W. Fritz aus Frankfurt:

„Ohne das schwierige Feld von guten und bösen Muslimen zu betreten, möchte ich dennoch einen Satz aus obigem Leserbrief aufgreifen und dazu eine Anmerkung machen.
‚Als ‚das Christentum‘ so alt war wie der Islam heute, stand es bis zu den Knien im Blut. Jedoch leitet niemand davon eine fortwährende Sippenhaftung ab‘, schrieb Herr Defense aus Witzenhausen. Dieser Aussage kann wohl niemand widersprechen. Der Unterschied von vorgestern und heute ist dennoch einfach: Das Hemd ist den Bürgern näher als der Rock. Das heißt: Die islamischen Bomben wecken heute bei den Lebenden eher Betroffenheit als die blutigen christlichen Schwerter des Jahres 1099 (Belagerung und brutale Eroberung Jerusalems: 7. Juni bis 15. Juli, wer von den Bewohnern überlebte, der wurde in die muslimische Sklaverei verkauft).“

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20 Kommentare zu “Demagogische Vokabel

  1. Natürlich wird die Begrifflichkeit „islamistisch“ weitgehend demagogisch verwendet bzw. (von den westlichen Wertegemeinschaftlern) politisch instrumentalisiert. Insofern ist Herrn Defense völlig zuzustimmen, trotz der Proteste aus der „christinistischen Ecke“. Islam – Islamistisch – Terroristisch, so wurde und wird es in die Köpfe hineingepflanzt. Doch unabhängig von „islamistisch“, die Sprach- und Begriffsverunstaltungsindustrie hat sich ohnehin mittlerweile zu einer regelrechten Seuche entwickelt. „Diskutiert“ wird vorrangig nur noch mit Parolen, Schlagworten und Phrasen. Einer der maßgeblichen „Träger“ dieser sprachlichen Verarmung, ist ein gewisser Franz Josef Wagner, als „Briefeschreiber“ bei der BILD im Einsatz, der in diesen Tagen besonderer Ehrungen teilhaftig wird, und sich vorgeblich größter Beliebtheit erfreut. Natürlich hat auch dieser „Sprach-Künstler“ ein Buch geschrieben.

    Ein anderes Beispiel demagogisch intendierter/motivierter Begriffsverdrehungen ist, sogar noch mehr verbreitet als islamistisch, der Begriff sozial Schwache. Egal wo mensch hinhört oder -sieht, immer wieder ist die Rede bzw. die Schreibe von den sozial Schwachen. Diese Begrifflichkeit, mit der natürlich asozial assoziiert wird, werden soll, verwenden (so tief sitzt das schon) auch „unverdächtige linke Gutmenschen“. Es wird einfach nachgeschnattert, obwohl es grob irreführend ist, und auch die Gefahr birgt, dass Menschen diffamiert werden, die sozial sogar außerordentlich stark sind. Als Ergebnis diverser, jahrelanger öffentlicher „Debatten“ über Parasiten, Minder- Schlechtleister, Abzocker, Stützen-Schnorrer, Sozial-Betrüger usw. usw., gelten als sozial schwach (und so ist das auch bezweckt), in erster Linie Hartz IV-er. Dabei kann (in aller Regel ist sie es auch), z.B. eine alleinerziehende Mutter, die von Hartz IV lebt, sozial erheblich stärker sein als ein verurteilter Straftäter wie Klaus Zumwinkel, der die Allgemeinheit durch Steuerhinterziehung in Millionenhöhe geschädigt hat, oder ein Thilo Sarrazin, bei dem gutachterlich festgestellt wurde, dass seine Äußerungen rassistisch, elitär und herabwürdigend sind. Diese „Hartz IV-Mutter“ ist einkommens- finanziell schwach, oder auch sozial benachteiligt, aber keineswegs sozial schwach. Sie ist, nach meinem Verständnis, sozial auch erheblich stärker als ein Hans Olaf Henkel, der dem rassistischen, sarrazinischen Müll sogar ungeteilten, öffentlichen Beifall spendet, oder ein Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts in München, der sich zu der auch grundgesetzlich mehr als fragwürdigen Äußerung hat hinreißen lassen, wonach der Sozialstaat die so genannte Unterschicht, also die sozial „Schwachen“, überhaupt erst hervorgebracht habe. Bei diesen Beispielen möchte ich es bewenden lassen, obwohl es noch eine Menge weiterer gibt, bei denen, mit Fug und Recht, von sozialer Schwäche gesprochen werden kann, ja, sogar muss, und die Zahl wächst ständig an. Bei jeder öffentlichen-rechtlichen Talkshow stellen die sozial Schwachen regelmäßig die (absolute) Mehrheit. Schon vor vielen Jahren haben Sprachexperten in dem Buch mit dem Titel – Aus dem Wörterbuch des Unmenschen – den Wortschatz, den Satzbau und die spezielle Grammatik untersucht, deren sich die Propagandisten der Nationalsozialisten in Deutschland bedienten, um ihre Parolen und Losungen zu verbreiten. Der unbestreitbare Erfolg dieser unmenschlichen Sprache, so fanden diese Sprach-Experten schon damals, sei umso bedenklicher, denn „der Verderb der Sprache ist der Verderb des Menschen“.

    Der kürzlich verstorbene britische Historiker, Tony Judt, hat wenige Tage vor seinem Tod der Zeit ein Interview gegeben. Überschrift: Wir brauchen eine ethische Weltsicht. Darin fordert er u.a. die Rückkehr des politischen Intellektuellen und beklagt, dass wir den Kontakt zur Sprache verloren haben: http://www.zeit.de/2010/33/Tony-Judt

    mfg
    Jutta Rydzewski

  2. Die Bezeichnung „islamistisch“ ist keine „westliche“ Erfindung, sondern eine „Selbstbeschreibung“ der im 19./20. Jahrhundert entstandenen Ideologie. Sie hat mit den „Evangelikalen“ durchaus auch eine Entsprechung im (protestantischen) Christentum (womit ich die beiden fundamentalistischen „Strömungen“ keinesfalls vergleichen möchte).

    Sicherlich gibt es ungerechtfertigte Gleichsetzung von „islamisch“ und „islamistisch“ – dagegen habe ich an anderer Stelle argumentiert. Das macht aber „islamistisch“ noch lange nicht zu einer „demagogischen Vokabel“, zumal islamistische Dschihadisten genauso eine Gefahr für den „Westen“ wie auch für die muslimische Welt bedeuten.

  3. Ich denke auch, man sollte wirklich einen Unterschied machen zwischen den Begriflichkeiten. Denn genauso entsteht die Stimmungslage die wir derzeit in DEutschland haben. Islamisch ist gleich islamistisch wird dauernd getönt… Politiker wie Seehofer sprechen von islamischem Terror und nicht islamistschem Terror. Das ist ähnlich wie wenn ich evangelen vorwerfe evangelikaner zu sein. Die ZUsammenführung der Begrifflichkeiten führen zwangsläufig zu der vermischung von Tatsachen und ist saugeährlich. Wie frech wäre das denn, wenn ich meine muslimischen Bekannten als islamistisch bezeichnen würde, weil ich Worte vermische? Das wäre eine Beleidiung, denn sie sind islamisch, aber nicht islamistisch.

  4. @ #1, comment-30872, Jutta Rydzewski am 09.12.2010 19:15
    Der Kommentar hat mir so allg. gefallen, es war/ist richtig, auch das sozial-politische Vokabular in Augenschein zu nehmen. Die FDGO — freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung — ist gut und man muß immer dafür eintreten, daß sie nicht freilich-demagogisch wird. Auch Dank für den Tony-Judt-Link [www zeit.de/2010/33/Tony-Judt].

  5. Wieso eine alleinerziehende Mutter schon per se nicht „sozial schwach“ sein können soll, d.h. im sozialen Verhalten defizitär, ist mir ein großes Rätsel. Jedenfalls ist bei Alleinerziehenden im Durchschnitt zumindest eine solche soziale Schwäche vorhanden, daß man mit dem Partner im Interesse einer umfassenden Kindererziehung zusammenzubleiben nicht in der Lage war, im Gegensatz zu den nichtalleinerziehenden Partnerschaften. Wie man diese im statistischen Durchschnitt also eindeutig vorhandene soziale Schwäche in Stärke umdeuten kann, ist mir ein Rätsel. Wahrscheinlich der bekannte und typische 68er-Reflex, nach der eine alleinerziehende Frau schon gleich unbesehen der konkreten Person was ganz toll Emanzipiertes ist und unbedingt hochgejubelt werden muß… sie hat ja endlich das hinter sich gelassen, was nach der Geburt nun wirklich nicht mehr nötig ist… den Mann. Ob der Mann sie verließ, weil sie unerträgliche Macken hat? Nö, unmöglich!

    Zu Thema des Threads… eine Unterscheidung der Vokabeln ist natürlich wichtig, aber dabei darf nicht vergessen werden, daß die Menschen auch zwischen den geistigen Welten wandern… ein Islamist wird nicht als solcher geboren, in vielen Fällen wird für den Großteil seines bisherigen Lebens das Adjektiv „islamisch“ besser auf ihn gepasst haben als „islamistisch“.

    Für mich ergibt sich daraus auch ein Mißtrauen gegenüber dem islamischen Fundamentalismus, der ja nicht islamistisch sein muß. Islamismus erfordert aber den islamischen Fundamentalismus, ist seine Erweiterung in die gesellschaftliche (politische) Sphäre hinaus mit dem Ziel, in dieser mit allen vorhandenen Mitteln für die allgemeine Durchsetzung des Islam bzw. einer vom fundamentalistischen Islam geforderten Lebensweise zu wirken. Der islamische Fundamentalismus kann also insofern doch als eine Art Vorstufe des Islamismus gesehen werden, als es für den islamisch fundamental Orientierten ja eigentlich keine Frage ist, daß sich der Islam auf alle Lebensbereiche erstrecken soll, also auch die politisch-gesellschaftlichen…

    Mit Abraham habe ich ja schon woanders gestritten, inwieweit ein islamischer Fundamentalismus das Primat weltlicher Vorgaben im Rechtswesen überhaupt anerkennen kann… ohne Ergebnis, das mich überzeugte. Wenn der islamische Fundamentalist das Primat weltlicher Instanzen in nur einem Teilbereich des Lebens anerkennt, hört er auf, ein islamischer Fundamentalist zu sein… tut er es nicht, stellt er ein Problem dar, welches mit den weltlichen Instanzen in Konflikt treten wird… ein Mittelweg, den wohl das Gros der hiesigen fundamentalislamischen Muslime einschlägt, ist, nach außen das zu sagen und zu zeigen, was die Mehrheitsgesellschaft hören und sehen will, aber nach innen, im Viertel, in der Gemeinschaft mit anderen Muslimen und in der Familie, das Primat des Islam in allen Bereichen weiterhin zu leben. Es bilden sich Parallelgesellschaften, in denen das Leben ganz anders vor sich geht.

    Wie dem auch sei, auf alle Fälle ist aber ab einer gewissen Grenze der Hingebung an den Islam, des islamischen Fundamentalismus, der Verbleib in unserer modernen Wissensgesellschaft kritisch zu sehen. Ein islamischer Fundamentalist muß vielleicht nicht unbedingt islamistische Neigungen entwickeln (aus denen sich terroristische Handlungen ergeben können), wird in der Regel aber (Ausnahmen bestätigen sie) hierzulande seine Existenz nur in zwei Szenarien sichern können: Entweder wird er Imam oder lebt von Sozialleistungen.

    Islamistisch = schlecht, islamisch = gut ist daher doch alles in allem eine sehr verkürzte Vorstellung.

  6. @Max
    „Der islamische Fundamentalismus kann also insofern doch als eine Art Vorstufe des Islamismus gesehen werden“
    das ist viel zu einfach auzsgedrückt für ein total komplexes Geschehen und viel zu platt gesagt. Denn die wenigsten Muslime die fundamentalistisch eingestellt sind werden gleich zu Islamisten.
    Sonst müssten streng Gläubige (fundamentalistisch eingestellte) Christen doch auch ganz schnell zu Evangelikanern werden.

  7. @5 Max Wedell

    „Wieso eine alleinerziehende Mutter schon per se nicht „sozial schwach“ sein können soll, d.h. im sozialen Verhalten defizitär, ist mir ein großes Rätsel.“

    Wenn Sie mich mit Ihrem „Einschub“ überhaupt meinen sollten, Herr Max, zumal Sie sich vor einer direkten Anrede offenbar mal wieder zu ängstigen scheinen, das vorgeblich große Rätsel ist leicht aufzulösen. Sie müssten sich nur die Mühe machen, meinen Text lesen zu wollen, allerdings unter Verzicht auf Ihre verschwurbelte Interpretationsbeliebigkeit, und schwuppdiwupp wäre das Rätsel gelöst. Versuchen Sie es mal.

    „Jedenfalls ist bei Alleinerziehenden im Durchschnitt zumindest eine solche soziale Schwäche vorhanden, daß man mit dem Partner im Interesse einer umfassenden Kindererziehung zusammenzubleiben nicht in der Lage war, im Gegensatz zu den nichtalleinerziehenden Partnerschaften.“

    Oh, je, Herr Max, oh, je, in der zitierten Passage geben Sie aber erschreckend deutlich zu erkennen, wie defizitär Ihr Wissen um das wirkliche Leben ist. Unglaublich was Sie da von sich gegeben haben. Alleinerziehende sind demnach deshalb per se sozial schwach, weil sie Alleinerziehende sind. Und natürlich trifft das auch nur auf alleinerziehende Mütter zu. In welch einer Welt leben Sie, Herr Max?

    Dazu, als „Abrundung“, noch ein typischer „Max-Hammer“:

    „Wahrscheinlich der bekannte und typische 68er-Reflex, nach der eine alleinerziehende Frau schon gleich unbesehen der konkreten Person was ganz toll Emanzipiertes ist und unbedingt hochgejubelt werden muß… sie hat ja endlich das hinter sich gelassen, was nach der Geburt nun wirklich nicht mehr nötig ist… den Mann. Ob der Mann sie verließ, weil sie unerträgliche Macken hat? Nö, unmöglich!“

    In der Tat, Herr Max: Nö, unmöglich! Mehr lässt sich zu diesem Unsinn nicht sagen.

    mfg
    Jutta Rydzewski

    PS: Übrigens, Herr Max, wollen Sie denn noch auf die wahren sozialen Schwächlinge eingehen? Einige hatte ich in meinem Beitrag ja bereits namentlich genannt.

  8. @ Max Wedell

    Ich will hier nicht die Diskussion, die wir bereits geführt haben, wiederholen. Nur so viel: Erneut unterscheiden Sie nicht zwischen der Mehrheit der konservativen Muslime, die ihre persönliche Lebensführung nach den religiösen Regeln des Islams richten, ohne dabei die staatliche Rechtsordnung in Frage zu stellen, und der Minderheit der Fundamentalisten, die eine „islamische“ Gesellschaftsordnung fordern.

  9. Der Kritik von Herrn Defense am Begriff „Islamismus“ (Einführung) wäre insofern zuzustimmen, als kein noch so gebräuchlicher Terminus sich kritischer Untersuchung entziehen darf. Allerdings geht seine Kritik in eine ganz andere Richtung:
    „Der Islam ist einer von vielen möglichen Wegen zur Vervollkommnung des Menschen. ‘Islamistisch’ ist eine demagogische Vokabel.”
    Auf diese Weise wird per definitionem der Islam und darüber hinaus alles, was sich selbst zur Religion erklärt, für sakrosankt und jegliche Kritik daran für illegitim erklärt.
    Herr Defense sollte sich vor Augen führen, wie der Diskurs ohne begriffliche Unterscheidung zwischen persönlicher religiöser Überzeugung und politisch-totalitärem Missbrauch von Religion verliefe. Es wäre ein „Diskurs“ im Stil von Kreuzzugs-Ideologie oder Huntingtons „Kampf der Kulturen“.
    Auch in seinem ahistorischen Vergleich mit Verfehlungen und Massakern im Namen des Christentums sitzt Herr Defense voll dem fundamentalistischen Diskurs auf: Weder die Zeit der Kreuzzüge noch der Glaubenskriege kannten eine Erklärung universaler Menschenrechte, schon gar nicht die Zeiten, als Christentum und Islam entstanden. „Demagogisch“ sind nicht Begriffe wie „Islamismus“, sondern der islamistische Versuch, Religion dazu zu missbrauchen, um die Gegenwart in gesellschaftliche Zustände zurück zu katapultieren, in denen ein Menschenleben keinerlei Wert besaß. (Ähnliche fundamentalistische Strömungen gibt es freilich auch im christlichen Bereich wie bei Evangelikalen, Opus Dei und Piusbrüdern, doch nicht annähernd mit der gleichen Aggressivität und dem gleichen totalitären Anspruch.)
    Demagogisch ist es, wenn „Islamforscher“ Menschen, die ihrer Angst vor solchen Strömungen Ausdruck geben, denunziatorisch zu „Islamfeinden“ erklären. Wenn eine Kommentatorin der FR, Frau Rüssmann, solche „Islamfeinde“ mit antisemitischen Straftätern gleichsetzt und ihre Überwachung durch den Verfassungsschutz fordert (FR, 25.11.2010, S.13: „Mehr Schutz für Moslems“). – Wer miterleben oder gar am eigenen Leib erfahren musste, wie in den 70er und 80er Jahren mit dem Begriff „Verfassungsfeind“ Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt, Hunderttausende von Beamtenanwärtern einem Generalverdacht ausgesetzt, kollektiver Hysterie ausgesetzt und teils ihrer Grundrechte beraubt wurden, dem dreht sich bei solchem „Schutz“ religiöser Überzeugungen der Magen um!

    Die Gretchenfrage des 21. Jahrhunderts lautet nicht mehr: „Wie hältst du‘s mit der Religion?“
    Sie lautet:
    1. Wie hältst du’s mit den Menschenrechten?
    2. Wie hältst du’s mit der Toleranz gegenüber anderen Überzeugungen?
    3. Wie hältst du’s mit dem Bild von Frauen und dem Respekt gegenüber dem anderen Geschlecht?
    4. Wie hältst du’s mit der Unterscheidung zwischen religiösen Überzeugungen und politischem Anspruch?
    5. Wie hältst du’s mit geschichtlichen Veränderungen und Entwicklungen und dem historischen Kontext, in dem auch Bibel und Koran entstanden?

    Diesen modernen Gretchenfragen kann keine Religion sich entziehen, auch nicht der Islam.
    Was religiösen Dogmatismus angeht, wurde schon vor 250 Jahren von Lessing in seiner Auseinandersetzung mit dem dogmatischen Pastor Goeze alles Wesentliche gesagt. Er war es auch, der im „Nathan“ die Scheinfragen pseudoreligiöser Schwärmerei entlarvt, die Notwendigkeit der Toleranz und ihrer offensiven Verteidigung deutlich gemacht und in der „Ringparabel“ die Basis für religiöse Toleranz aufgezeigt hat:
    „… Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
    Die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von
    Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
    So glaube jeder sicher seinen Ring
    Den echten. … – Wohlan!
    Es eifre jeder seiner unbestochnen
    Von Vorurteilen freien Liebe nach!
    Es strebe jeder von euch um die Wette,
    Die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an Tag
    Zu legen! …
    So lad ich über tausend tausend Jahre
    Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
    Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
    Als ich; und sprechen. Geht! – So sagte der
    Bescheidne Richter.“
    Und Goethes Faust stolpert schon beim ersten Satz aus dem Johannesprolog über die entscheidende Frage:
    „Geschrieben steht: ‚Im Anfang war das Wort.‘ –
    (…) Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
    ich muss es anders übersetzen.“
    Und er kommt schließlich zum Schluss:
    „Geschrieben steht: ‚Im Anfang war die Tat.‘“

    Angesichts solcher klarer und richtungsweisender Erkenntnisse ist es mehr als ernüchternd, wie weit der heutige Diskurs – auch in diesem Blog – dagegen zurückfällt, sachliche und klare Analysen durch bloße Bauchgefühle ersetzt.
    Mit welchen religiösen Motiven man sich den modernen Gretchenfragen stellt, kann mir und jedem anderen egal sein – wenn man es nur tut. Dazu gehört z.B. auch die Frage, worauf es zurückzuführen ist, wenn eine Karikatur aus einem kleinen Land weltweit Empörung und Mordaufrufe im Namen „religiösen“ Gewissens hervorruft, Massaker an Christen wie im Irak und in Pakistan eben dieses kaum anzusprechen scheinen. Und dazu gehört, sich nicht von „Islamvertretern“ in Talkshows mit Verweigerung gegenüber der Moderne, mit Eiertänzen und Gleichungen wie „Islam heißt Frieden“ abspeisen zu lassen. Kritik an ihren religiösen Positionen müssen diese ebenso ertragen wie Benedikt XVI. den Spott über seine Erklärungen zur Empfängnisverhütung, welche deutlich machen, in welche argumentative Bredouille Dogmatiker kommen, sobald sie sich zu Lebensfragen äußern.
    Was es heißt, auch religiöse Überzeugungen nicht an Worten, Selbsteinschätzungen und Wunschbildern zu messen, sondern an Taten, das hat die FR in ihrer beispielhaften Kampagne für die im Iran von Steinigung bedrohten Muhammadi Aschtiani gezeigt: Nicht einer der angesprochenen Vertreter von Islamorganisationen sah sich in der Lage, sein Wort gegen diese menschenverachtende Praxis zu erheben – für Günther Wallraff ein weiterer Hinweis auf die zunehmende Fundamentalisierung im Bereich des offiziellen Islam.
    Und in dieser Hinsicht ist wohl Herrn Wedell Recht (# 5) zu geben, wenn er die Grenzen zwischen Islam und Islamismus als fließend ansieht. Und die FR kann man nur ermutigen, in diesem Sinne mit Gretchenfragen fortzufahren, die darüber Aufschluss geben können, wo es sich um achtenswerte religiöse Überzeugungen handelt und wo um totalitäre Ideologie.

    # 1, Jutta Rydzewski:
    Frau Rydzewski spricht von „Sprachexperten“, die mit dem „Wörterbuch des Unmenschen“ aus den 50er Jahren ihrer Meinung nach die letzte Erkenntnis zum „Verderb des Menschen“ durch „Verderb der Sprache“ geliefert haben. In der Tat haben die Autoren Sternberger – Storz – Süskind eine für die Zeit beachtenswerte Sprachanalyse am Beispiel von NS-Terminologie geliefert, die allerdings in ihrer – aus der Zeit heraus verständlichen – Moralisierung von Sachfragen auch die typische Form von „hilflosem Antifaschismus“ (W.F. Haug) widerspiegelt. So ist hier auch vom „inhumanen Akkusativ“ die Rede, der vom Kontext abstrahiert und nicht zwischen humanitärer „Behandlung“ eines Patienten durch einen Arzt und zynisch-menschenverachtender „Sonderbehandlung“ im Sinne der NS-Terminologie unterscheidet.
    Gebrauchen Sie keinen Akkusativ mehr, Frau Rydzewski? Und wäre die deutsche Sprache „menschlicher“, wenn sie darauf verzichten würde?
    Sprachanalyse, die notwendigerweise vom Individuum abstrahiert und verallgemeinert, ist eben kein Mittel gesamtgesellschaftlicher Analyse – einem Irrtum, dem auch Sie aufzusitzen scheinen. Sie erhält ihren Erkenntniswert nur im Zusammenhang mit konkreter historischer Analyse. So etwa kann die Analyse quasi religiöser Metaphorik und Rhetorik in Nazi-Propagandareden Aufschluss geben auf das Verhältnis von Religion und Faschismus (ähnlich beim klerikalen Franco-Faschismus) und dem Missbrauch religiösen Denkens: So wenn Hitler Reden mit Wendungen aus dem „Vater unser“ beendet – einschließlich des „Amens“! – oder wenn Goebbels seine grässliche Sportpalastrede zum totalen Krieg nach dem Modell der 10 Gebote und analog zu Riten aus dem katholischen Taufgelöbnis aufbaut.

    Ein Wort noch zum ewigen Hick-hack mit „Herrn Max“:
    Ihre weltanschaulichen Positionen und Verallgemeinerungen sind jedem, der nur gelegentlich in den Blog reinschaut, hinlänglich und bis zum Überdruss bekannt. Vielleicht wäre es möglich, wenigstens gelegentlich beim Thema zu bleiben und auf die eingeübte Kaninchen -Schlange-Haltung, das permanente Starren auf die Lieblingsfeinde (BILD und Sarrazin hier – „68er“ und „Gutmenschen“ dort) zu verzichten, mit der Sie Scharlatane wie Herrn Sarrazin erst interessant machen und aufwerten, Ihre eigenen, auch interessanten Aussagen aber erheblich diskreditieren? – Dem Blog, der sich meiner Meinung nach nicht als Forum für weltanschauliche Bekenntnisse versteht, würde dies sicher gut tun.

    Nichts für Ungut und mit freundlichen Grüßen!
    Werner Engelmann

  10. Achja, Sinn und Henkel sind „sozial schwach“, weil sie:

    – Als Besserverdienende beträchtliche Teile ihres Einkommens auch für „sozial Schwache“ abgeben
    – Das vorhandene System der Unterstützung sozial Schwacher nicht ruinieren wollen, indem sie ein Schlaraffenland daraus machen.

    😀
    ———————————————-

    Herr Engelmann, Sie haben mich ertappt… die Behauptung, Menschen, denen der Partner abhanden kam, mit dem man ein Kind zeugte, wären deshalb Helden des sozialen Miteinanders, konnte ich einfach nicht links liegen lassen, obwohl das mit dem Thema hier nichts zu tun hat. Besserung für die Zukunft kann ich leider nicht versprechen, überlesen Sie es doch einfach. Ansonsten, bis auf den letzten Absatz natürlich, fand ich Ihren Beitrag sehr lesenswert.

    @Abraham,
    daß die Mehrheit der Muslime in D fundamental islamisch orientiert sind, habe ich nie behauptet. Auf der Bandbreite des religiösen Engagements jedenfalls gibt es einen Punkt, jenseits dessen es problematisch wird, ohne daß gleich islamistische Tendenzen vorliegen müssen… z.B. indem aus religiösen Gründen eine Abkapselung von der Mehrheitsgesellschaft vorgenommen wird, weil man sie ablehnt („Gottlosigkeit“ o.ä.). Nun ist es klar, daß jeder in D im Abstrakten erstmal die beliebige Freiheit der Abkapselung hat… im Konkreten ist der aber Grenzen gesetzt, was die Frage des Lebensunterhalts angeht. Muslime, die im Lotto gewonnen haben oder sonstwie legale Mittel zum Lebensunterhalt haben, können sich und ihre Angehörigen abkapseln, wie sie wollen… Sich aber die Abkapselung aus religiösen Gründen von der Solidargemeinschaft bezahlen zu lassen, das finde ich kritikwürdig. Das geschieht, aber leider ist nicht feststellbar, in welchem Ausmaß. Der weit überdurchschnittliche Anteil der Muslime bei den Arbeitslosen muß jedenfalls nicht nur Resultat von Wissens- bzw. Ausbildungsdefiziten sein oder einer Bevorzugung deutscher Bewerber im Einzelfall, was üblicherweise ausschließlich als Erklärung gegeben wird, sondern kann auch im Einzelfall aus einer Abkapselung eines islamisch fundamental orientierten Muslims herrühren, dem seine besondere Interpretation des Islam ja keine Wahl in dieser Hinsicht lässt.

    So las ich kürzlich in der Fatwa-Datenbank einer populären Webseite der arabischen Welt eine Fatwa, nach der die Begegnung von Männern und Frauen außerhalb der Familie zu minimieren sei (findet sie dennoch statt, sollten die Augen niedergeschlagen werden usw.). Was bedeutet das für die Chancen eines islamisch-fundamental orientierten Muslims auf dem Arbeitsmarkt, wenn er nicht in Situationen kommen möchte, in denen er wildfremden Frauen begegnen muß (oder diesen gar am Arbeitsplatz in die Augen sehen muß)? Mehr noch gilt dies aber für die Frau eines solchen islamisch-fundamental orientierten Muslims… der sind im Beruflichen ganz enge Grenzen gesetzt. Hartz IV aber darf auch sie erhalten, das verstößt nicht gegen den fundamentalinterpretierten Islam, und wenn dann der Sachbearbeiter der einzige fremde Mann ist, dem sie begegnen muß, so kriegt man das auch noch irgendwie hin…

    M.a.W. Integration, die ja immer zuerst eine Integration in die Arbeitswelt ist, wird hier von einer Seite gar nicht gewünscht.

  11. @ Max Wedell

    „Auf der Bandbreite des religiösen Engagements jedenfalls gibt es einen Punkt, jenseits dessen es problematisch wird, ohne daß gleich islamistische Tendenzen vorliegen müssen… z.B. indem aus religiösen Gründen eine Abkapselung von der Mehrheitsgesellschaft vorgenommen wird, weil man sie ablehnt (”Gottlosigkeit” o.ä.).“

    Diesem Satz kann ich zustimmen, solche Haltungen – die noch kein Verstoß gegen unsere Gesetze bedeuten – stellen ein gesellschaftliches Problem dar. Für Ihre Schlußfolgerung, die „religiöse Abkapselung“ sein ein Grund für den „weit überdurchschnittlichen Anteil der Muslime bei den Arbeitslosen“, sehe ich allerdings keine Belege im täglichen Leben. Meines Wissens weisen die Statistiken nicht generell einen hohen Anteil Arbeitsloser für Muslime generell aus, sondern lediglich für Muslime bestimmter Herkunft (Türkei, Naher Osten), der sich deutlich durch niedrigeres Bildungsniveau als mit religiösen Einstellungen erklären lässt.

    Die sich abschottenden Fundamentalisten werden aber wahrscheinlich auch ihre Kinder von der „weltlichen“ Bildung und ihre Frauen vom Erwerb der deutschen Sprache fernhalten, was deren Chancen am Arbeitsmarkt mindert.

    Der besster Weg gegen den islamischen Fundamentalismus ist in meinen Augen ein offener, differenzierter Umgang mit dem Islam (wozu selbstverständlich auch eine kritische Auseinandersetzung gehört) und seine Integration in unsere Gesellschaft (einschließlich eines schulischen islamischen Reliunterrichts und der Ausbildung von Imamen sowie islamischen Religionslehrern an öffentlichen Universitäten). Wenn sich nicht-fundamentalistische Muslime mit ihrer Religion in unserer Gesellschaft willkommen fühlen, werden sie auch keinen Grund für falsche „islamische“ Solidarität haben.

  12. Hallo,

    Der hier erwähnte und oft geschmähte Sarrazin scheint beim Volke immer noch sehr gerne gesehen zu sein, wie folgende Online-Abstimmung zeigt:

    http://tinyurl.com/24kjg59

    Man könnte die ganzen Diskussion rund um das Thema Islam abkürzen wenn es in Deutschland Volksabstimmungen zum Thema wie in der Schweiz gäbe.
    Aber das traut sich die Politik nicht, dan wäre ja das Volk tatsächlich mal der Souverän.
    Das Thema wird irgenwann explodieren.
    „Die Freiheit“ hat sich ja schon in Hessen gegründet.

    Im übrigen war die FR bei der Berichterstattung über einen brutalen Raubüberfall wieder mal erzieherisch tätig und hat nicht Roß und Reiter benannt, man vergleiche nur die beiden Artikel

    http://tinyurl.com/35cy967
    http://novus.nox-nigra.com/?tag=raububerfall

    Solche Tatsachen bekommt aber mittlerweile der gemeine Bürger mit und hat eben ein anders Bild vom Islam im Kopf als es die Massenmedien mit ihrer einseitig positiven Darstellung des Themas Islam/Muslime zu verbreiten versuchen.

  13. @Abraham,

    zunächst einmal werte ich es als Erfolg, von Ihnen im Zusammenhang mit Muslimen den Satz gehört zu haben, daß bestimmte Haltungen, die noch kein Verstoß gegen Gesetze bedeuten, dennoch ein gesellschaftliches Problem darstellen, das gelöst werden sollte. Ihr Hinweis, daß eine von einem Oberhaupt einer Familie gewünschte Abschottung nicht nur Auswirkungen auf diese Person hat, sondern auf alle Familienmitglieder, ist sehr richtig.

    Bei den von Ihnen erwähnten Maßnahmen bin ich skeptisch. Es gibt nun mal die verschiedenen Deutungen und Auslegungen, und die Lehre einer ganz bestimmten etwas aufgeklärteren Ausdeutung, nennen wir sie Euro-Islam, an Schulen und Universitäten wird hierzulande genausowenig fundamentalistischere Deutungen ausrotten oder auch nur unattraktiver machen wie das in arabischen Ländern gelang. Ob hier Schulen eines nichtmuslimischen Landes höhere Autorität entwickeln können als z.B. der eigene eher fundamentalistischere Vater oder das, was man auf eher fundamentalistischeren Internetseiten aus der muslimischen Welt angeboten bekommt, ist doch die Frage.

    Was die Schulen angeht, sollte es allenfalls ein Fach „Weltanschauungen“ geben, in dem dann der Islam als eine Weltanschauung der Kategorie „Religion“ unter anderen behandelt wird. Ansonsten, ohne die Inrelationsetzung mit anderen Erzeugnissen der diesbezüglich reichen menschlichen Vorstellungskraft, besteht der Verdacht, daß dieser Euro-Islam auch zur „Einstiegsdroge“ werden könnte… die Schule legt einen Grundstein, und die Informationen über den „richtigen“ Islam, nicht den staatlich „weichgespülten“, holt sich der Schüler/Student dann übers Internet von den Fundamentalisten.

    Würde jemand in den USA die Frage stellen, wie man verbreiteten christlichen Fundamentalismus eindämmen könnte, so wäre ich jedenfalls auch sehr skeptisch, wenn jemand die Antwort gäbe: „Durch mehr Religionsunterricht!“.

  14. @ Max Wedell

    Offensichtlich haben Sie meine Diskussionsbeiträge bisher sehr selektiv gelesen. Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem konservativen und vor allem mit dem fundamentalistischen Islam habe ich immer befürwortet, nur halte ich Zwangsmaßnahmen (wie Kopftuch- und Minarettverbote) kein geeignetes Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

    Über Vor- und Nachteile eines schulischen Religionsunterrichts können wir lange diskutieren, wobei das nur einer der Aspekte der Integration des Islams ist. Ein „Weltanschauungsunterricht“ sehe ich als notwendige Ergänzung, nicht aber als Ersatz. Wie soll sich ein „außenstehender“ (womöglich noch atheistischer) Lehrer kritisch mit dem Islam auseinandersetzen? Wir in Bayern haben für Kindr, die nicht Reli besuchen, verpflichtenden Ethikunterricht, in dem auch die Weltreligionen durchgenommen werden. Was dort übers Judentum gelehrt wird (eine befreundete Lehrerin hat mich gebeten, mir die Oberstufen-Lehrmaterialien dazu anzuschauen) ist eine wohlmeinende Außenbeschreibung christlicher Autoren, die zwar die „Fakten“ (wie Feiertage) richtig widergeben, die „innere Struktur“ aber überhaupt nicht verstanden haben. Wie ein solch vorbereiteter Lehrer die Diskussion mit einem jungen islamischen Fundamentalisten bestehen soll, kann ich mir nicht vorstellen.

    Was die USA betrifft, halte ich tatsächlich die dort sehr formalistisch gepflegte strikte Trennung von Staat und Religion als einen Faktor, der die Fundamentalisten eher stärkt. Die ganze Debatte um Kreationismus kommt daher, dass über religiöse Ideen in der Schule nicht gesprochen werden darf. Deshalb machen die Fundamentalisten aus der Schöpfungslehre eine „Wissenschaft“. Nur ist die nordamerikanische Gesellschaft weit mehr vom Religiösen durchdrungen als die europäische, so dass man die dortigen Erfahrungen nicht auf Deutschland übertragen kann.

    Was sind den Ihre Empfehlungen zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Islam?

  15. # 11, Abraham

    @ Max Wedell
    Danke für Ihr offenes Zugeständnis. Ich meine, so diskutiert es sich besser.

    @ Abraham
    Zu: Zitat – Stellungnahme zu Max Wedell:
    “Auf der Bandbreite des religiösen Engagements jedenfalls gibt es einen Punkt, jenseits dessen es problematisch wird, ohne daß gleich islamistische Tendenzen vorliegen müssen… z.B. indem aus religiösen Gründen eine Abkapselung von der Mehrheitsgesellschaft vorgenommen wird, weil man sie ablehnt (”Gottlosigkeit” o.ä.).”
    Diesem Satz kann ich zustimmen, solche Haltungen – die noch kein Verstoß gegen unsere Gesetze bedeuten – stellen ein gesellschaftliches Problem dar. Für Ihre Schlußfolgerung, die “religiöse Abkapselung” sei ein Grund für den “weit überdurchschnittlichen Anteil der Muslime bei den Arbeitslosen”, sehe ich allerdings keine Belege im täglichen Leben. (…)
    Die sich abschottenden Fundamentalisten werden aber wahrscheinlich auch ihre Kinder von der “weltlichen” Bildung und ihre Frauen vom Erwerb der deutschen Sprache fernhalten, was deren Chancen am Arbeitsmarkt mindert.
    Der beste Weg gegen den islamischen Fundamentalismus ist in meinen Augen ein offener, differenzierter Umgang mit dem Islam (wozu selbstverständlich auch eine kritische Auseinandersetzung gehört) und seine Integration in unsere Gesellschaft (…). Wenn sich nicht-fundamentalistische Muslime mit ihrer Religion in unserer Gesellschaft willkommen fühlen, werden sie auch keinen Grund für falsche “islamische” Solidarität haben.

    Lieber Herr Abraham,
    Ihre Diskussion mit Herrn Wedell verfolge ich mit Interesse. Aufgrund bestimmter Erfahrungen sehe ich mich veranlasst, dabei an einigen Stellen einzuhaken.
    Zu Ihren oben zitierten Äußerungen:
    – Absatz 4: Ihrer Schlussfolgerung stimme ich voll zu, allerdings mit der Einschränkung, dass die Grenzlinien zu fundamentalistischen Einstellungen, wie schon Herr Wedell deutlich macht, eben nicht so klar verlaufen. Wie sieht also „offener, differenzierter Umgang mit dem Islam“ unter solchen Bedingungen konkret aus? Und wenn religiöse Abkapselung an sich keinen Verstoß gegen Gesetze darstellt, so verändert sie doch unsere Gesellschaft durch Schaffung von Ghettos und rechtsfreier Räume (im Sinne des Grundgesetzes). Und dies ist kein Problem, das nur fundamentalistische Moslems betrifft. So habe ich von einer Umfrage in Frankreich gelesen, dass „nur“ etwas weniger als die Hälfte der Muslime eine Einführung der Scharia in Europa befürworten. Und das wird als Erfolg angesehen! – Wie sieht also unter solchen Bedingungen eine sinnvolle Integrationsstrategie aus?
    – Absatz 1/2: Ich meine auch, dass der Anteil von Muslimen an Arbeitslosen generell nicht der entscheidende Ansatzpunkt ist, bezweifle aber Ihre Einschätzung (zumindest in dieser absoluten Gegenüberstellung), dass niedriges Bildungsniveau und nicht religiöse Einstellungen dafür maßgebend sind.
    – Absatz 3: Dies ist der entscheidende Punkt für meine Intervention. Es dürfte wahrscheinlich zutreffen, dass Fundamentalisten, die sich abschotten, ihre Frauen am Erwerb der deutschen Sprache hindern (das ist für sie ja eine Machtfrage). Ihre Vermutung, sie würden auch ihre Kinder von Bildung fernhalten, halte ich in dieser Allgemeinheit aber klar für falsch. Nach meinen Erfahrungen trifft dies nicht einmal auf Mädchen zu.
    Eine solche Einschätzung halte ich auch für gefährlich, da sie die entscheidenden Gefahren verkennt. Einem Muhammed Ata, Attentäter von New York, wird man mit Sicherheit keine Bildungsferne unterstellen können. Das Gleiche gilt auch für fundamentalistische Moslems in England und für deutsche Konvertiten (etwa die Ulmer Gruppe), die bereit waren und sind, sich zu Selbstmordattentätern ausbilden zu lassen.
    An dieses Problem kommt man m.E. nicht mit Statistiken und Mutmaßungen über Bildungsniveau und Arbeitslosigkeit heran, sondern nur durch klare psychologische Erkenntnisse, was für Menschen mit durchaus vorhandenem Bildungshintergrund den Fundamentalismus so interessant machen kann und welche psychische und soziale Strukturen dieser schafft, so dass ein Ausbrechen von innen heraus (vergleichbar etwa zu Sektengruppen wie Scientology) so gut wie unmöglich erscheint.
    Da ein „offener Umgang“ mit solchen Menschen praktisch ausgeschlossen ist, gewinnen Erfahrungen von vergleichsweise wenigen Menschen (etwa im schulischen Bereich), die damit beruflich konfrontiert sind oder waren, für die Beantwortung dieser Fragen an Bedeutung. Und ich halte es für sehr bedauerlich, dass gerade von einer Berufsgruppe wie der Lehrer, von denen viele mit konkreten Erfahrungen aufwarten können und deren Einschätzungen nicht von ideologisch vorgefassten Meinungen und Wunschdenken geprägt sind, so wenig in die öffentliche Diskussion gelangt – was sicherlich mit einer bis ans Äußerste angespannten Stresssituation zu tun hat.

    Daher im Folgenden ein Exkurs über meine persönlichen Erfahrungen aus einer Zeit (vorwiegend Ende 70er und 80er Jahre), als diese Problematik auf nur einige wenige „soziale Brennpunkte“ beschränkt war und darüber hinaus faktisch nicht zur Kenntnis genommen wurde, woraus sich andererseits Handlungsmöglichkeiten ergaben, die heute verbaut scheinen.

    1. Ich war zu dieser Zeit Lehrer an zwei Gymnasien in Berlin-Kreuzberg mit sehr hohem „Ausländeranteil“, von Schulsenatorin Laurien für den gymnasialen Bereich durch Umverteilung von „Ausländerkindern“ künstlich auf 50% beschränkt. Meine Erfahrungen mit Kindern moslemischer Herkunft, vor allem mit Mädchen, waren in dieser Zeit hinsichtlich des Bildungsinteresses überwiegend positiv. Einige von ihnen (sicher nicht fundamentalistisch geprägt)gehörten sogar zur Spitzengruppe im Fach Deutsch.
    2. Integrationsbemühungen waren fast durchwegs erfolgreich. Fast immer ist es mir gelungen (oft durch Einbezug aufgeschlossener türkischer Eltern und mit Zugeständnissen wie Übernachtung von Lehrern/Lehrerinnen mit türkischen Schülern/Schülerinnen im selben Bungalow), nahezu alle zur Teilnahme an Klassenreisen zu bewegen. Diese organisierte ich aus Gründen möglichst schneller Integration regelmäßig in Klasse 9 (ca. 15 Jahre, also zur Pubertät) und in Klasse 7. Da für Berlin in Klasse 7 an Gymnasien ein Probehalbjahr gilt, nach dessen Ablauf über Verbleib oder Realschul- bzw. Hauptschulempfehlung entschieden wird, organisierte ich hier schon bald nach Schulbeginn einen ca. 4-tägigen Landschulaufenthalt in Berlin. Diese Erfahrungen waren – bis auf die im Folgenden geschilderten mit islamistisch geprägten Mädchen – durchweg positiv.
    3. Auch bei diesen islamistisch geprägten Mädchen war, abgesehen von offensichtlich fehlendem Integrationswillen (selbst mit anderen türkischen Mädchen hatten sie in der Pause keinen Kontakt) Bildungsbereitschaft durchaus vorhanden. Vor der Übernahme der Verantwortung als Klassenlehrer hatte mich die Grundschullehrerin „vorgewarnt“, für die als Frau ein Zugang zum Elternhaus so gut wie unmöglich war. Mir war sofort klar, dass ich nur dann eine Chance hätte, wenn ich voll auf die Karte als männliche Autoritätsperson setzte. Ich bestellte die Eltern ein, es erschienen ein Vater und ein älterer Bruder (sie sprachen beide recht gut Deutsch), die ich autoritär und wie Schulbuben behandelte. Dennoch war ich von ihrer geradezu unterwürfigen Haltung mir gegenüber überrascht.
    4. Da ich die Integration dieser Mädchen als pädagogische Herausforderung verstand, war ich in Bezug auf den Landschulaufenthalt auch zu außerordentlichen Zugeständnissen bereit. Ich erlaubte ihnen, abends nach Hause zu fahren, unter der Bedingung, morgens wieder im Landschulheim zu erscheinen. Ahnend, dass sie mich hintergehen würden, ertappte ich sie schon am ersten Tag vor ihrem Haus, als sie gerade verschwinden wollten. Am zweiten Tag erschienen sie natürlich nicht und wurden von mir (nach Übertragung der Klasse an die begleitende Referendarin) persönlich von zu Hause abgeholt. Befragt, warum sie mich betrügen wollten, bekam ich zur Antwort, dass Lügen gegenüber „Ungläubigen“ erlaubt seien.
    5. Die Situation eskalierte, da den Mädchen in der Grundschule das Tragen von Kopftüchern auch im Sportunterricht erlaubt worden war und ihnen dieses eingeforderte „Recht“ vom Sportlehrer (aus Sicherheitsgründen, wie er sagte) verweigert wurde. Der Rektor übertrug mir die Aufgabe, zu vermitteln und einen Modus vivendi zu finden. Ich war damals noch überzeugt, durch Einforderung von „Toleranz“ der anderen Schüler das Problem lösen zu können, in Fragen des Sportunterrichts gegenüber einem Kollegen waren mir jedoch die Hände gebunden. Ich befragte also die Mädchen über die Gründe für ihr Bestehen auf Kopftücher unter Verweis auf das Kopftuchverbot an türkischen Schulen und erwartete eine religiös motivierte Erklärung. Als Antwort hörte ich jedoch, dass sie ihre Kopftücher sofort abnehmen würden, wenn deutsche Mädchen keine Miniröcke mehr trügen. Ich verwies sie darauf entschieden in ihre Schranken und erklärte, dass ich bei einer solchen Begründung nichts für sie tun könne und würde. Am nächsten Tag erschienen sie ohne Kopftuch auch in meinem Unterricht. Das nahmen sie von da an auf eigene Initiative immer am Schultor ab. Natürlich hütete ich mich, in dieser Frage mit den Eltern in Kontakt zu treten.
    6. Da schnell klar wurde, dass ein Verbleib der Mädchen auf dem Gymnasium nach dem Probehalbjahr kaum möglich wäre, versuchte ich, sie aufgrund ihrer Leistungsbereitschaft wenigstens für die Realschule zu retten. Das aber bedeutete einen Wechsel des Bezirks, da die einzige Realschule in Kreuzberg keine Schüler mehr aufnehmen konnte. Ich erkundigte mich also an mehreren näher gelegenen Realschulen in Nachbarbezirken. Der Rektor einer Tempelhofer Realschule (sie liegt eine U-Bahn-Station außerhalb von Kreuzberg) versprach mir, ausdrücklich aufgrund meines Engagements, trotz Überfüllung eine Möglichkeit der Aufnahme für die Mädchen zu finden. Erfreut informierte ich sie über diese Lösung. Erst indirekt erfuhr ich später, dass die Eltern einen Besuch einer Schule außerhalb von Kreuzberg abgelehnt hatten.

    Mein Fazit in THESEN als Analyse des Phänomens „Islamismus“ anhand dieser und anderer Erfahrungen:

    1. (Zu 1./2./6.)
    Bildungschancen anzubieten ist zweifellos eine Grundvoraussetzung für die Überwindung fundamentalistischer Positionen. Die Zunahme „bildungsferner“ Schichten und Abnahme der Bildungsbereitschaft in muslimischen Bevölkerungskreisen ist nicht einlinig nur aus sozialen Ursachen (wie Benachteiligung am Arbeitsmarkt) zu erklären, sondern nur in der Wechselwirkung mit (anti-)kulturellen (oberflächlich gesehen „religiösen“) Momenten der Abkapselung und Ghettoisierung.
    2. (Zu 3.)
    Der Umgang mit fundamentalistischen Kreisen erfordert Einblicke in psychische Muster und Strukturen, welche das Verhalten von Fundamentalisten bestimmen. Grob gesehen, kann dieses mit den Grundmustern des autoritären Charakters beschrieben werden. „Religion“ kommt dabei die Rolle des Über-Ichs zu, welches nach Freud als Verinnerlichung von Normen, also Form der inneren Kontrolle und Verhaltenssteuerung (z.B. „Ehr“begriff)noch wirksamer ist als Außenkontrolle, die in Form massiver Drohung vor allem gegenüber Mädchen (z.B. „Ehren“mord) noch hinzukommt. Zusammen mit einer „moralischen“ Verteufelung des Es, insbesondere alles Sexuellen, verhindert dies die Ausbildung eines ausreichend starken Ich. Ein Ausbruch aus diesem System von innen heraus erscheint so gut wie unmöglich. Anders ausgedrückt: Die autoritären fundamentalistischen Charaktere in Form psychischer Abhängigkeit von „religiösen“ (Wahn-)Ideen – und damit auch die frauenverachtenden Strukturen – pflanzen sich quasi selbsttätig weiter. Dies gilt insbesondere in Ghettosituationen (was die gezielte Aussonderungsstrategie und Integrationsverweigerung von Islamisten erklärt) und bei falsch verstandener „Toleranz“, welche in fundamentalistischer Sicht als Schwäche ausgelegt wird und Verachtung hervorruft, die Islamisten in ihrem Selbstverständnis und ihren Zielen also bestärkt.
    3. (Zu 4./6.)
    Zugang zu Bildung ist bei islamistischen Kreisen vorwiegend bis ausschließlich taktisch bestimmt, und zwar in Hinblick auf Erlangung von Machtpositionen, welche eine Umformung der Gesellschaft in ihrem Sinn ermöglichen. Auch als „religiös“ ausgegebene Überzeugungen und der Umgang mit der „Wahrheit“ (siehe 4) sind vorwiegend taktischer Natur und von machtpolitischen Erwägungen bestimmt. Zugeständnisse in dieser Hinsicht sind Basis für weitergehende Forderungen, welche auf die (freiwillige) Preisgabe demokratischer Grundprinzipien in westlichen Ländern zielen.
    4. (Zu 5.)
    Ein Umgang mit dem Kopftuchgebot in islamistischen Kreisen hat den religiös-psychologischen, familiären und sozialen Zwangscharakter der Strukturen zu berücksichtigen, in denen Mädchen fundamentalistischer Herkunft leben. Diese lässt von vornherein keine „Freiwilligkeit“ zu: Für Mädchen, deren „Ehre“ als Nachweis der Familien„ehre“ benutzt wird, ist die Identifikation mit den im Über-Ich verankerten Normen Voraussetzung für den Erhalt eines letztes Restes von Selbstachtung und Bedingung für ein Überleben unter den genannten Strukturen. Von „freier Entscheidung“ kann hier keine Rede sein.
    Hinweis: Die wirklichen Beweggründe für Verhaltensweisen sind unter den genannten Voraussetzungen nicht ermittelbar und bestenfalls mit Hilfe tiefenpsychologischer Analyse zu erfassen.
    5. Hieraus resultiert:
    Staatliche Institutionen, insbesondere Schulen, stehen auch gegenüber Kindern aus fundamentalistischen Elternhäusern in Fürsorgepflicht, insbesondere Mädchen, und haben damit auch für die Durchsetzung der für die demokratische Schule maßgebenden Prinzipien notfalls gegen das Elternhaus zu sorgen. „Toleranz“ gegenüber intoleranten Grundeinstellungen unter Berufung auf „Elternrecht“ ist im Falle fundamentalistischer Elternhäuser gleichbedeutend mit Verletzung staatlicher Fürsorgepflicht bzw. Verweigerung von Grundrechten für ihre Mädchen.(Dementsprechend ist es Strategie vieler Schulen, bei minderjährigen Mädchen Entscheidungen bis zum 16. Lebensjahr hinauszuzögern, um wenigstens ein Minimum an Rechtsschutz für sie zu bewirken, vor allem bei drohender Zwangsheirat.)

    Die voranstehenden Thesen, die sich vorwiegend auf den Schulbereich beschränken, verstehen sich als Ergänzung zu anderen Strategien (etwa im interreligiösen Dialog). Sie sollen aber auch die Aufmerksamkeit auf die realen Bedingungen lenken, unter denen Integrationsbemühungen sich in diesem Bereich vollziehen, sowie auf die psychischen Strukturen, auf welche die jeweils Verantwortlichen dabei treffen. Sinnvolle Strategien sind m.E. nur in enger Zusammenarbeit mit diesen (und Einbeziehung ihrer Erfahrungen) und nicht vom grünen Tisch aus und anhand von Statistiken zu entwerfen.
    Statistische Erhebungen im Stile des „Nachweises“ von „Islamfeindlichkeit“ in der deutschen Bevölkerung mit, wie mir scheint, höchst problematischen Umfragemethoden (vgl. Hinweis unter 4), sind nicht nur kontraproduktiv. Sie schüren gegenseitiges Misstrauen und sind Wasser auf die Mühlen islamistischer Strategien. Es erscheint mir nicht nur als unfreiwillige Ironie, sondern auch als Akt der Selbstentlarvung, wenn ausgerechnet die FR-Kommentatorin Frau Rüssmann (siehe den unter # 9 angesprochenen Kommentar in FR, 25.11.2010, S.13), welche vorgibt, sich so für den „Schutz der Moslems“ einzusetzen (wobei sie die wirklich Schutzbedürftigen, die minderjährigen Mädchen, offenbar vergisst!) repressive Maßnahmen gegen die bösen „Islamfeinde“ in Form von Überwachung durch den Verfassungsschutz predigt.
    Islamisten können sich freuen!
    P.S. : Ich wäre sehr erfreut, Stellungnahmen zu den oben genannten Thesen zu erhalten.

    Mit freundlichen Grüßen
    Werner Engelmann

  16. @Abraham,

    mir scheint es unmöglich, eine Denkschule A einer Religion mit ihren spezifischen Ausdeutungen (z.B. fundamentalistischer Islam) durch eine Konfrontation mit Denkschule B dieser Religion mit deren spezifischen Ausdeutungen (z.B. Euro-Islam oder „Islam light“) bekämpfen zu können, z.B. in einem schulischen Islamunterricht. Aus der Religion selbst heraus ist weder die eine noch die andere „widerlegbar“. Den absoluten Wahrheitsanspruch gepachtet zu haben ist ein leichtes, ihn zu widerlegen, unmöglich. Mit Islamunterricht wird man also wohl kaum etwas erreichen können, wenn eine fundamentalistische Orientierung schon angelegt ist.

    Viel erfolgversprechender ist da der Ansatz von Herrn Engelmann, der in seinem auch ansonsten durchgehend hochinteressanten Beitrag schrieb: „Der Umgang mit fundamentalistischen Kreisen erfordert Einblicke in psychische Muster und Strukturen, welche das Verhalten von Fundamentalisten bestimmen.“ Das kann ja verallgemeinert werden: „Den Umgang mit mir selbst erleichtert der Einblick in psychische Muster und Strukturen, welche mein Verhalten bestimmen.“ Wenn Ziel von Erziehung die mündige, eigenständig handelnde und emanzipierte Person ist (und zuallererst vom eignen Über-Ich muß das Ich sich emanzipieren können), dann sollte doch vor jeglichen Lehrstoff, der die Mündigkeit eher einschränkt, wie z.B. Religionsunterricht, der Lehrstoff gelegt werden, der sie verstärkt. Den von mir geforderten „Weltanschauungsunterricht“ würde ich also nicht nur als Auflistung von Weltanschauungen nebst ihrer Phänomenologie verstehen wollen (sozusagen als Hochglanzprospekt, aus dem man wählen kann), sondern er müsste auch erstmal die individualpsychologischen sowie gesellschaftlichen Funktionen beleuchten und damit bewußt machen, die diese Weltanschauungen, z.b. die der Klasse „Religion“, haben bzw. menschheitsgeschichtlich hatten.

    Die Reihenfolge wäre also:

    Vom Elternhaus vorbelastetes Kind -> lernt erfolgreich, sich geistig von der Vorbelastung zu emanzipieren -> entscheidet sich DANN als mündiger Mensch persönlich für Religiosität (z.B. Islam) -> Islamunterricht

    und nicht

    Vom Elternhaus vorbelastetes Kind -> Islamunterricht, der die Vorbelastungen verstärkt bzw., wenn fundamentalistische Orientierungen vorliegen, auf gesellschaftskompatiblere Orientierungen umzubiegen versucht.

    Erst ein Glauben, der nicht deshalb besteht, weil die anderen ihn auch glauben, sondern der besteht, OBWOHL die anderen ihn glauben, kann mehr sein als ein konditionierter Reflex. Islamunterricht hingegen verstärkt erstmal nur die Konditionierung, bzw. zementiert die starken elterlichen Vorgaben im Über-Ich, statt dem Ich Mittel an die Hand zu geben, diese zu analysieren, zu hinterfragen, sie abzulehnen, oder aber auch natürlich sie anzunehmen, dann aber bewußt.

    Daß eine emanzipierte Persönlichkeit sich letztendlich dann bewußt für einen Fundamentalismus egal welcher Art entscheidet, ist nicht auszuschließen, es wird aber seltener der Fall sein als im reinen Indoktrinationsfall.

    Einen „offeneren Umgang“ mit dem Islam halte ich für unnötig, denn der hiesige Umgang mit dem Islam ist offen genug… ein im Privaten ausgelebter moderater Islam ohne Dschihad, Scharia und Geschlechter-Apartheid oder besonderen Kleiderordnungen hat überhaupt keine Probleme in Deutschland, er genießt den Schutz der Religionsfreiheit, er eckt nirgends an, weil er keine bombastischen Moscheen bauen muß und weil er auch sonst keine Absonderung aus der oder Konfrontation mit der Mehrheitsgesellschaft anstrebt… wenn er vielleicht nicht allgemein ausgesprochen willkommen ist, so ist er jedenfalls auch nicht ausgesprochen unwillkommen. Gegenüber dem Fundamentalismus hingegen ist eine Öffnung abzulehnen.

    Dann sollte sich Deutschland klarmachen, daß Integrationsprobleme natürlich umso schwieriger zu lösen sind, je größer die zu integrierenden Gruppen sind. Fundamentalismus mag Ursache für eine aktive Abkapselung sein, aber die Geborgenheit in einer Zuwanderergemeinschaft kann auch eine passive Abkapselung (in Ghettos) bewirken, die keiner bewußt anstrebt, die sich aber durch die Haltung „Gleich und gleich gesellt sich gern“ ganz natürlich ergibt. Um also in der jetzigen Phase, in der überhaupt noch unklar ist, ob die Integrations-„Altlasten“ noch eine bewältigbare Dimension haben, die Probleme nicht auch durch beständigen Neuzuzug fortwährend zu vergrößern (durch bes. Geburtenreichtum der betreffenden Gruppen vergrößern sie sich sowieso schon stetig), ist ein weitgehender Immigrationsstop aus muslimischen Ländern anzustreben, insbesondere wenn die Einwanderer genau die sozialen oder anderen Merkmale aufweisen, mit denen wir hierzulande Probleme haben… d.h. bei hochqualifizierten Fachleuten oder Wissenschaftlern kann es dann selbstverständlich Ausnahmen geben. Es wird ständig abgewiegelt, daß es ja mittlerweile „nur“ 30.000 Einwanderer im Jahr aus der Türkei gäbe… es ist aber nicht einzusehen, warum eine Gesellschaft, die mit der Integration bestimmter Einwanderergruppen Probleme hat, überhaupt nur 30 Personen einwandern lassen sollte, damit die sich der Problemgruppe hinzugesellen können. Das wäre eine ganz normale Haltung jedes Landes, das Aufenthaltstitel nicht einfach verschenkt, um anderen Gutes zu tun, sondern Erwartungen mit der Vergabe verknüpft. Das als „ausländerfeindlich“ zu diffamieren ist in D zwar leider allgemein üblich, aber das darf nicht dazu führen, daß diese Erwartungshaltung bzw. Priorisierung des eigenen Nutzens aus Feigheit aufgegeben wird.

    @Werner Engelmann,

    bei anderen Themen habe ich Ihnen ja hier schon mal Kontra gegeben, aber in Ihrem obigen Beitrag kann ich merkwürdigerweise nichts finden, dem ich nicht (meistens sehr) zustimmen kann.

  17. @9 Werner Engelmann

    Obwohl Sie sich, Herr Engelmann, sehr umfänglich ein- bzw. ausgelassen haben, so richtig wirklich weiß ich jetzt nicht, ob Sie überhaupt eine Antwort von mir erwarten. Da Sie mich aber, im zweiten Teil Ihrer Zuschrift, namentlich erwähnt haben, reagiere ich sozusagen vorsorglich schon aus Höflichkeit, wenn auch etwas verspätet. Die „philosophische“ Ausrichtung, oder überhaupt die Ausrichtung dieses Blogs wissen Sie sicherlich besser einzuschätzen, wie Sie das auch in Ihrem letzten Satz „weltanschaulich“ zum Ausdruck gebracht haben. Ich sehe das ganz unkompliziert, um nicht zu sagen simpel. Wer etwas von mir möchte, soll es klipp und klar zu erkennen geben. Deshalb schlage ich vor, sofern Sie etwas von mir möchten, zitieren Sie mich (aber bitte wörtlich), schreiben Ihre Anmerkungen darunter, stimmen zu, lehnen ab, und/oder stellen ggf. Fragen, wenn Sie etwas meinen nicht verstanden zu haben, weil ich mich u.U., was allerdings erfahrungemäß eher selten vorkommt, nicht deutlich genug ausgedrückt habe. Machen Sie es doch so, wie ich es immer mit Herrn Max mache. Aber machen Sie es NICHT so, wie es Herr Max umgekehrt macht. Herr Max neigt dazu, Zitate seinen Beliebigkeiten zu unterwerfen, in dem er sie verkürzt, abändert, entstellt usw.. Entsprechend fallen dann natürlich auch seine Antworten bzw. Kommentare aus, wobei Herr Max ohnehin so gut wie nie Antworten gibt, zumindest mir nicht. Außerdem verzichtet Herr Max darauf, offenkundig aber auch nur bei mir, mich direkt anzusprechen, obwohl ich ihm schon öfters zu verstehen gegeben habe, dass er sich vor mir nicht ängstigen muss. So viel zu dem von Ihnen beklagten Hick-Hack Herrn Max betreffend. Es mag sein, Herr Engelmann, dass Ihnen das nicht gefällt, und Sie dessen überdrüssig sind. Dennoch, auch wenn es mir für Sie leid tut, beabsichtige ich nicht meinen Diskussionsstil zu ändern, zumal ich damit immer sehr gut zurecht komme, und das völlig unabhängig von diesem Blog. In einem Satz: Zitieren und nicht interpretieren, Kommentare/Fragen/Anmerkungen dazu, und es wird Antworten von mir geben. Das hat auch nichts mit weltanschaulichen Positionen, und schon mal gar nichts mit Verallgemeinerungen zu tun. Es geht schlicht um den Austausch von Standpunkten, was Sie doch, Herr Engelmann, z.B. mit Ihren modernen Gretchenfragen und sonstigen Implikationen auch tun. Mit meinem Standpunkt, da können Sie sicher sein, halte ich nie hinterm Berg, wie mir immer wieder auch bei „echten“ und nicht nur virtuellen Diskussionen versichert wird. Wenn ich mal wieder etwas zu ausführlich geworden bin, bitte ich mir das nachzusehen. Allerdings müsste spätestens jetzt jeder wissen, wie ich über die „Dinge“ denke und woran man(n) oder auch frau bei mir ist.

    Nix für Ungut.

    mfg
    Jutta Rydzewski

  18. @ Max Wedell
    Danke für Ihre Anmerkung zu meinen Überlegungen. Zum Glück widerspricht es nicht den Blogregeln, auch mal vorbehaltlos übereinzustimmen. Und wenn das unerwartet ist, dann umso besser.
    Bei meiner Forderung nach Beschäftigung mit psychischen Mustern und Strukturen in fundamentalistischen Kreisen hatte ich den – gerade in diesem Zusammenhang oft zu beobachtenden – Fehler vor Augen, eigene Denkmuster auf Menschen mit völlig anderem kulturellen, sozialen u. a. Hintergrund einfach zu übertragen und zur Grundlage der Beurteilung zu machen. Aber natürlich kann es auch in Ihrer Interpretation als selbstkritische Reflexion verstanden werden. Das entspricht dann in gewisser Weise der Vorstellung von Selbstvervollkommnung des Menschen als Kriterium für die Beurteilung von Religionen bei Lessing, der ja keine psycho-analytischen Kenntnisse in unserem Sinn haben konnte. Und es geht auch in die Richtung der Formulierung von „Gretchenfragen“ an jede Religion, wie ich es in # 9 angesprochen habe, und zwar in der Weise, ob und in welcher Weise eine bestimmte Religion bzw. welche Interpretation von ihr für solche Selbsterkenntnis förderlich oder gar hinderlich ist.
    Beispiel: Gegen eine Religion, welche ermahnt, nicht auf den Splitter im Auge des andern zu starren, sondern erst den Balken im eigenen zu beseitigen, habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Dies ist ja auch eine Grundlage des Toleranzgebots. Und meines Wissens zielt das Verständnis vom „großen Djihad“ im Islam in eine ähnliche Richtung. Allerdings – und hier beginnen meine Bedenken – darf dann nicht das aggressiv-totalitäre Verständnis von „Djihad“ als gleichberechtigt daneben stehen bleiben und man sucht sich dann (zur „klammheimlichen“ oder vielleicht auch offenen Identifikation mit fundamentalistischen Zielen – siehe Mohammed-Karikaturen) bald die eine und (zur Beschwichtigung in Talkshows) dann wieder die andere Version heraus. „Interreligiöser Dialog“ beinhaltet m. E. notwendigerweise die Forderung nach unbedingter Klarheit in elementaren, den Respekt vor dem Leben anderer und ihre Sicherheit betreffenden Fragen mit den entsprechenden Konsequenzen (so gegen „Hassprediger“ in Moscheen). Nach meinem Eindruck sind solche Ambivalenzen die entscheidenden Ursachen für Verunsicherungen, die dann wieder in perfider Weise zu „Islamfeindlichkeit“ umgedeutet werden.
    Ich meine, dass es in erster Linie Aufgabe der muslimischen Gemeinden ist, den fundamentalistischen Tendenzen in den eigenen Reihen nicht nur zu begegnen, sondern sie auch in ihre Schranken zu verweisen. Ich bin mir sicher, dass sie dabei mit der vollen Sympathie und Unterstützung in weiten Teilen der Bevölkerung rechnen können. Nur deren entschiedene Haltung kann dem Islamismus den Boden entziehen. Allerdings hat dies die Einsicht zur Voraussetzung, dass sie selbst von Islamisten nicht nur benutzt und missbraucht, sondern mindestens im gleichen Maße wie wir „Ungläubigen“ von ihnen bedroht werden. (Die gegenseitigen Massaker im Irak sprechen da eine deutliche Sprache). Da habe ich aber leider meine Zweifel.
    Ihrer Bemerkung, dass es keines besonderen „offenen Umgangs“ mit dem Islam bedürfe, stimme ich unter der Voraussetzung zu, dass es auf einen völlig gleichberechtigten, einfach mitmenschlichen Umgang miteinander ankommt. So etwa hat bei unserem ausgezeichneten Verhältnis zu unseren türkischen Nachbarn Religion nie eine Rolle gespielt. Die emphatische Betonung des „offenen Umgangs“ stellt ja selbst schon wieder die Unterschiede in den Vordergrund. Und es zeigt sich (vielleicht um sich selbst die eigene „Offenheit“ zu beweisen) die Tendenz, den anderen quasi als seinen Mündel zu betrachten und sich zum Tutor und Beschützer über ihn aufzuschwingen. Und das bedarf dann wiederum des Feindbilds, vor dem man diesen zu bewahren hat. Ein abschreckendes Beispiel in dieser Hinsicht stellt der von mir in meinem Beitrag zitierte Kommentar von Frau Rüssmann dar.
    Nun doch noch zu einem Wermutstropfen: Mit Äußerungen zu einem „Immigrationsstop“, der von falschen oder zumindest unbewiesenen Behauptungen ausgeht, wäre ich sehr vorsichtig – besonders, wenn selektive und diskriminierende Kriterien wie „muslimische Länder“ angelegt werden. Die Annahme, dass Zuzug aus anderen Kulturkreisen (früher sagte man: ein hoher Ausländeranteil) Integration bedrohe, ist in dieser Weise falsch. Es kommt ganz auf die Bedingungen an.
    Zu meiner aktiven Zeit habe ich mit meinen Schülern eine ziemlich umfassende Befragung zum Thema „Ausländerfeindlichkeit“ (jeweils gut 200 Fragebögen) in zwei sozial völlig unterschiedlich strukturierten Bezirken Berlins (Kreuzberg und Zehlendorf) unternommen. Die Auswertung ergab eindeutig, dass Vorbehalte in dem „gut bürgerlichen“ Bezirk Zehlendorf (fast ohne „Ausländer) erkennbar größer waren als in dem sozial deutlich unterprivilegierten Kreuzberg mit einem Ausländeranteil von gut 50 %. Dies liegt zweifellos daran, dass die Integration in Kreuzberg schon damals ziemlich erfolgreich war (anders als in Neukölln) und sich schon so etwas wie eine eigene Kultur herausgebildet hatte. Diese Ergebnisse wurden vom Stadtrat (dessen Tochter an der Umfrage beteiligt war) voll durch eigene Ermittlungen bestätigt (was mich zur Gegenfrage veranlasste, warum diese dann nicht an die Öffentlichkeit gelangten). Auch vergleichende Untersuchungen in den „neuen Bundesländern“ zeigen das gleiche Ergebnis. Nach meinem Eindruck geht es bei der Diskussion um „Integrationsstop“ eher darum, mit populistischen Forderungen sein politisches Süppchen zu kochen.
    Freilich muss ich einschränken, dass bei misslungener Integration (wie beispielsweise in Pariser Vororten) die Situation ganz anders sein kann. Um eine (an sich schon ziemlich komplexe) Klassensituation als Modell heranzuziehen: Auf einige Schüler begrenzte Verhaltensprobleme lassen sich in den Griff bekommen, wenn dies auf einen großen Teil oder gar die Mehrheit zutrifft (wie in vielen Hauptschulen), hat ein Lehrer (und noch mehr eine Lehrerin) so gut wie keine Chance. Er /Sie steht dann vor der Wahl, auf „autoritäre“ Weise für Ordnung zu sorgen oder „freundlich“ im Chaos unterzugehen. Und er/ sie tut gut daran, es zuerst mit dem ersten zu versuchen, denn ein solches „Chaos“ entwickelt seine Eigendynamik, die den Hass gegen Autoritäten sich immer erst gegen den richtet, der freundlich zu sein versucht. Freilich ist zu berücksichtigen, dass dieses Modell eine asymmetrische Kommunikation widerspiegelt – was bei Fundamentalisten aber auch, und zwar in extremer Form, zutrifft.
    Es könnte – als Schlussfolgerung – also durchaus zutreffen, dass sich als Zwischenschritt Einschränkungen als notwendig erweisen, um diese Eigendynamik zu unterbinden und die Situation nicht eskalieren zu lassen. Allerdings wären solche Schritte unter dem längerfristigen Ziel der Integration sorgfältig zu erwägen, dürften keinesfalls Vorurteilen Vorschub leisten und sind demnach auch nicht populistisch auf dem Markt abzuhandeln. Und da habe ich in der gegenwärtigen Debatte meine Zweifel.

    Soweit meine Überlegungen hierzu, die sich unbeabsichtigt doch wieder etwas ausführlicher entwickelt haben.
    Da ich in den nächsten Tagen in Urlaub bin, wird bis Januar voraussichtlich nichts mehr von mir zu hören sein.
    Ich wünsche allen Blog-Diskutanten ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Start für 2011!

    Werner Engelmann

  19. @ Werner Engelmann/Max Wedell

    Sorry, dass ich mich im Augenblick mangels „Freizeit“ nicht an der Diskussion beteiligen kann, auch wenn ich gerne manches anmerken möchte. Aber ich bin sicher, dass uns Bronski auch im neuen Jahr das Thema Islam vorsetzen wird.

  20. In der Ostzone durfte man nie zu den Russen Russen sagen. Das waren Sowjetbürger oder Freunde. Heute in Zeiten der Presse und Meinungsfreiheit, wo der Sarottimohr weiß ist, darf ein Zwerg nicht Zwerg genannt werden und Othello, er wird nicht geschminkt, er ist ein Weißer! Und wie schön das die Russen heuite wieder Russen sein dürfen. Nur die Polen sind heute keine Polen mehr, sie sind jetzt nur noch Nachbarn. Vielleicht ist es einfach auch nur mangelnde Bildung wenn man in jedem Begriff etwas negatives und diskriminierendes sieht. Die Medien mit ihren Praktikantenniveau machen da zu gern mit. Wie lange gibt es eigentlich das Fernsehen? Seit den NEUNZEHNHUNDERT 90`er Jahren?

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