Deutschland hat keine Druckmittel

Während des Kalten Kriegs waren sie ein übliches Mittel zur „Interessenvertretung“: Stellvertreterkriege. Schönes Beispiel: Afghanistan. „Der Westen“ rüstete Mudschaheddin auf, um gegen die kommunistische „Demokratische Volkspartei Afghanistans“ Front zu machen. Das Land wurde destabilisiert, die Sowjets marschierten schließlich ein und erlebten ein militärisches Desaster. Die Folgen sind bekannt. Afghanistan lag an der Flanke der Sowjetunion, „der Westen“ hatte ein Interesse daran, diese Flanke zu destabilisieren. Es ging um Geostrategie. Ein Wort von gestern?

Heute: Syrien. Statt um Geostrategie geht es um Märkte und Rohstoffe, und dieser Konflikt spielt sich, wie sich jüngst zeigte, ebenfalls im UN-Sicherheitsrat ab: Russland und China legten ihr Veto gegen eine UN-Resolution ein, mit der der syrische Diktator Assad, der täglich Untertanen schlachten lässt, in die Knie gezwungen werden sollte. Das Schicksal der Assad-Untertanen war Russland und China offenbar gleichgültig; es geht ja nur um ein paar hundert Menschen. Syrien ist gerade für Russland ein Absatzmarkt für Rüstungsgüter. Ebenfalls ein Stellvertreterkrieg?

Lolo Sanchez aus Frankfurt:

„Und wo schaut die Weltgemeinschaft hin, wenn es um Qatar, Bahrein und Saudi Arabien geht? Als ob dort nicht Opositionelle ermordet werden. Dort bewegt sich kein Blatt. Entschuldigung, es handelt sich um Mörder, und außerdem liefern sie unser Öl. Sehr glaubhaft unser Eintreten für Demokratie zuerst in Libyen und jetzt in Syrien – finden Sie nicht auch?“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:

„Die völkerrechtlich festgefahrene Situation – Russland und China blockieren im UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die das weitere Ermorden von Zivilisten in Syrien unterbindet und den Präsidenten Assad zur Aufgabe seines Amtes zwingt – gibt Veranlassung, über die deutsche außenpolitische Haltung in Sachen internationaler Interventionen nachzudenken. Im Falle von Libyen hatte sich Berlin viel Kritik zugbezogen, weil es nicht bereit war, im Rahmen der Nato an der Seite von Franzosen, Briten und US-Amerikanern zu intervenieren. Diese Entscheidung ist aber nicht allein von Außenminister Guido Westerwelle getroffen worden, sondern hatte die Unterstützung der Kanzlerin und womöglich des ganzen Kabinetts. Im Kern bedeutet dies, dass Berlin faktisch eine realpolitische Linie verfolgt, sich – ähnlich wie etwa die Schweiz – aus internationalen Interventionen herauszuhalten, es sei denn, sie seien vom UN-Sicherheitsrat und der UNO-Vollversammlung ausdrücklich gebilligt worden.
Die Erfahrungen mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr scheinen der neuen Haltung Berlins recht zu geben. Dies bedeutet auch, dass der völkerrechtliche Grundsatz der Nicht-Einmischung in die Angelegenheiten anderer Länder für Berlin den Vorrang vor der Einhaltung der Menschenrechte hat. Man mag dies bedauern, aber Deutschland hat – sieht man einmal von der Keule der zeitweiligen Verweigerung der Beitragszahlungen Deutschlands an die UNO ab – keine Druckmittel, um den Menschenrechten in anderen Ländern mehr zur Geltung zu verhelfen. Unbefriedigend ist, dass über das Verhältnis von Völkerrecht und Menschenrechten nicht einmal ausführlich im Bundestag diskutiert wird. Die Realpolitiker wie die „Menschenrechtler“ müssten nämlich dann einmal aus ihrer Deckung kommen.“

Roland Klose aus Bad Fredeburg:

„Wovon lebt der Mensch? Von Luft und Liebe? Nein, von Arbeit und Wirtschaft, von Vorteilsnahme und Korruption, von wichtigen Rohstoffen, Öl, Gas, Lebensmitteln etc., Ausbeutung und kriegerischen Waffengeschäften. Deshalb hat Russland gegen die Syrien-Resolution gestimmt, deshalb klebt Bundespräsident Christian Wulff an seinem Amt und deshalb hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in China nicht die Menschenrechtsverletzungen angeklagt. Wie folgert schon Bert Brecht in der Dreigroschenoper: ‚Erst kommt das Fressen, dann die Moral!'“

Jutta Stoll aus Frankfurt:

„Entgegen der Darstellung der „westlichen“ Mainstream-Medien entspricht die Haltung Chinas und Russlands dem Völkerrecht und der politischen Klugheit: Die USA, Großbritannien, aber auch die Nato haben in der vergangenheit, insbesondere im Fall Libyens (30000 Tote!) verabschiedete UN-Resolutionen missbraucht und unter dem Vorwand, lediglich Gewalt abwenden zu wollen, völkerrechtswidrige Ziele wie den Regimewechsel verfolgt. Andererseits waren sie es, insbesondere im Fall Israels, die durch ihr Veto schlimmstes und rechtswidriges Blutvergießen (etwa in Gaza) noch gefördert haben! Insgesamt haben die USA etwa 30 UN-Resolutionen gegen Israel im Sicherheitsrat blockiert. Da handeln China und Russland jetzt nur konsequent!“

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4 Kommentare zu “Deutschland hat keine Druckmittel

  1. Ich denke mal, unter (Link abgelehnt, Anm. Bronski, siehe Blog-Regel Nr. 8 ) ist die übliche, widerliche Doppelmoral der westlichen Wertegemeinschaftler umfassend und trefflich geschildert: Syrien und die Scheinheiligkeit des Westens.

    mfg
    Jutta Rydzewski

  2. Syrien – ein „Schurkenstaat“? Syrien – ein Land, in dem angeblich friedliche Demonstranten abgeschlachtet und zusammengeschossen werden? Sicher ist bislang nur, dass das Land von Assad und dessen Baath-Partei mit eisener Faust regiert wird.

    Man stelle sich vor, die Franken streben nach Unabhängigkeit und würden die Herauslösung aus der BRD betreiben. Oder Freischärlerkorps – verstärkt durch ausländische Söldner und unterstützt durch ausländische Mächte – würden auf Berlin marschieren, um die schwarz-gelbe Regierung (samt Bundespräsidenten?) zu stürzen. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dagegen würde nicht eingeschritten? Vielleicht wissen heutzutage viele nicht mehr, dass für derlei Fälle die sog. „Notstandsgesetze“[1] schon in der Schublage liegen.

    Zurück zu Syrien. Während der Vordere Orient als Konfliktregion wahrgenommen wird, lebten in Syrien – zumindest noch bis ins Jahr 2009 – bereits seit langer Zeit eine Vielzahl von Völkern und Religionsgemeinschaften friedlich miteinander. Mit „Syrien – Heimat verschiedener Sprachen, Religionen und Kulturen“ befasste sich im Sommer 2009 ein Kolloquium im Internationalen Wissenschaftsforum der Universität Heidelberg. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob das syrische Modell friedlicher Koexistenz ein Beispiel für andere Länder des Vorderen Orients sein kann.

    „In keinem anderen Land dieser Region leben so viele verschiedene Völker mit unterschiedlichen Religionen und Sprachen wie in Syrien“, erklärt Prof. Dr. Werner Arnold, Inhaber des Heidelberger Lehrstuhls für Semitistik und Organisator des Kolloquiums. Dass das Zusammenleben auf friedliche Weise funktioniert, liegt, so Werner Arnold, „nicht zuletzt an der überkonfessionellen Doktrin der arabisch-nationalistischen Baath-Partei, die in der Hauptstadt Damaskus regiert.“ [2]

    Nun stellt sich die Frage, wie und warum die Lage in Syrien derart gekippt ist oder sein soll.

    Der Orientexperte der Uni Mainz, Prof. Dr. Günter Meyer [3], erzählt im Radiosender Bayern2 [4], was derzeit wirklich in Syrien abgeht. Demnach berichten die Medien völlig falsch und voreingenommen. Sie stellen die Situation in Syrien so dar, als würde Assads Armee auf harmlose, friedliche Demonstranten schießen. Die Demonstranten bestehen allerdings zum Großteil aus „bewaffneten terroristischen Organisationen“, die vielmehr Tote zu verbuchen haben als die syrische Armee. Es geht den westlichen Mächten vor allem darum, die Achse Iran-Syrien-Hisbollah auszuschalten. Prof. Meyer berichtet, dass aus Libyen 600 Mujahedin eingeflogen wurden, die von den USA, Frankreich und Großbritannien ausgebildet und ausgerüstet wurden. Dies wurde von der CIA initiiert um einen Bürgerkrieg zu forcieren und Syrien zu destabilisieren. Er erwähnt auch, dass die Mehrheit des syrischen Volks hinter Assad steht, wie aus einer Umfrage ausgerechnet aus Katar (immerhin Verbündeter der USA und schon in Libyen Unterstützer der Rebellen!) hervorgeht.

    Dass hinter der „Arabellion“ eine konsequente US-Strategie steht, hatte ich bereits im Libyen-Thread angemerkt.

    1. Das „Greater Middel East Project“ (bzw. -„Plan“). [5]

    2. Die Umsetzung dessen, was der US Think Tank „The Brookings Institution“, insbesondere dessen „Saban Center“, formuliert. [6] Dabei werden folgende Alternativen diskutiert:

    – Part I Dissuading Tehran: The Diplomatic Options
    – Part II Disarming Tehran: The Military Options
    – Part III Toppling Tehran: Regime Change
    – Part IV Deterring Tehran: Containment
    Conclusion Crafting an Integrated Iran Policy: Connecting the Options

    3. Gene Sharps Buch: Von der Diktatur zur Demokratie: Ein Leitfaden für die Befreiung [7]
    Bereits bei den Umsturzbewegungen Osteuropas spielte es eine wichtige Rolle. So wurde es u.a. als Anleitung von folgenden Bewegungen benutzt:

    – „Otpor“ in Serbien,
    – „Kmara“ in Georgien,
    – „Pora!“ in der Ukraine,
    – „KelKel“ in Kirgistan,
    – „Subr“ in Weißrußland.

    Allein im Kapitel ‚Gewaltlose Waffen und Disziplin‘ werden über 200 Methoden gewaltlosen Handelns aufgeführt:

    – Protest und Überredung,
    – Nichtzusammenarbeit und Intervention,
    – Protestmärsche und Mahnwachen (54 Methoden),
    – Gesellschaftliche Nichtzusammenarbeit (16 Methoden),
    – Wirtschaftsboykotte (26 Methoden),
    – Streiks (23 Methoden),
    – Politische Nichtzusammenarbeit (38 Methoden).

    Natürlich bleibt es nicht bei gewaltlosem Handeln, denn das Ganze ist auf Eskalation ausgelegt. Das Eingreifen der Sicherheitskräfte wird konsequent provoziert, daraus resultierende Solidarisierung wird angestrebt, Märtyrer werden produziert.

    Dass dazu natürlich auch die Produktion gefakter Videos gehört, ist offensichtlich. Diese werden z.B. auf Youtube hochgeladen, aber auch an Al Jazeera und Al Arabiyah gesendet. Letztere verbreiten sie dann weltweit und geben ihnen damit eine Aura der Authentizität. Die westlichen Medien übernehmen diese „Informationen“ meist blind.

    Ebenso natürlich die – zum Glück oft sehr plumpe! – Fälschung von Bildern. Beispiele siehe [8], wobei ich natürlich nicht ausschließen kann, dass es sich ihrerseits um gefakte Fakes von Fakes, die gefakt sind, handeln könnte.

    Fazit: immer wieder wird mit plumpen Lügen, manipulierten Nachrichten, moralischem Druck und dem Ausnutzen einer echten humanitären Haltung der Bundesbürger versucht, die Bevölkerung in einen Krieg hineinzuquatschen. [9]

    [1] Weiterführende Hinweise durch Benutzung einer handelsüblichen Internet-Suchmaschine.

    Nach Art. 87a darf die Bundeswehr von der Bundesregierung unter bestimmten Bedingungen auch eingesetzt werden „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“.

    [2] http://www.uni-heidelberg.de/presse/news09/pm290710-2syr.html aber auch z.B.:
    http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/kulturwelt/stefan-weber-syrien-kultur100.html

    [3] Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt (ZEFAW)
    Vorsitzender der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient für gegenwartsbezogene Forschung und Dokumentation (DAVO)
    Präsident der European Association for Middle Eastern Studies (EURAMES)
    Präsident der International Association for Middle Eastern Studies (IAMES)
    Vorsitzender des International Advisory Council of the World Congress for Middle Eastern Studies (WOCMES)
    Vorstandsmitglied des Parliament of Cultures

    [4] http://www.youtube.com/v/ZU1_7rCUUwk
    Allerdings ist dieses Interview weder direkt beim BR zu finden, noch taucht es in Prof. Meyers Pressespiegel (http://www.geo.uni-mainz.de/meyer/pressespiegel.html) auf.

    [5] Weiterführende Hinweise durch Benutzung einer handelsüblichen Internet-Suchmaschine. U.a. z.B. hier:
    http://www.heise.de/tp/artikel/19/19379/1.html

    [6] http://www.brookings.edu/~/media/Files/rc/papers/2009/06_iran_strategy/06_iran_strategy.pdf

    [7] http://www.amazon.de/Von-Diktatur-zur-Demokratie-Leitfaden/dp/3406568173/

    [8] http://tunisianquestfortruth.wordpress.com/2012/02/06/samples-of-media-distortion-of-facts-about-syria-1-fake-pictures/

    [9] Zur Bereitschaft, den Krieg als Mittel der Politik zu betrachten, wurden und werden die Deutschen und ihre Parteien systematisch und mit Lug und Trug getrimmt.
    http://www.nachdenkseiten.de/?p=11963

  3. Das jetzige Veto Russlands und Chinas zur Syrien-Resolution im UN-Sicherheitsrat hängt mit der Entwicklung in Libyen zusammen, wo beide Mächte kein Veto gegen die UN-Resolution einlegten. Anstatt aber sich gemäß der Resolution darauf zu beschränken, die Einhaltung des Flugverbots gegenüber der libyschen Luftwaffe durchzusetzen, intervenierten die USA, GB und Frankreich massiv militärisch mit dem Ziel, Gaddafi durch ein willfähriges und abhängiges Marionetten-Regime zu ersetzen. Heute herrschen Anarchie und Chaos in Libyen, konkurrierende War-Lords und Milizen bekämpfen sich gegenseitig auf dem Rücken der Bevölkerung und wie man Presse-Berichten entnehmen konnte, ist auch unter den neuen Machthabern Folter in Gefängnissen an der Tagesordnung.

    Russland und China machen im Weltsicherheitsrat nichts anderes als die USA auch, sie nehmen ihre geostrategischen Interessen wahr und wollen die Errichtung eines weiteren neo-kolonialen Marionetten-Regimes in Syrien verhindern. In der Tat ist die Frage berechtigt, inwieweit das Veto-Recht von fünf Staaten im Sicherheitsrat noch zeitgemäß und sinnvoll ist. Jedoch ist die „moralische“ Empörung von US-Diplomatinnen wie Rice und Clinton über das Veto reichlich scheinheilig: Auch die USA haben bisher noch immer rigoros von ihrem Veto-Recht Gebrauch gemacht, wo es um die Durchsetzung ihrer Interessen ging.

    Doch hilft diese Erkenntnis nicht den Menschen in Syrien. M.E. verbietet sich jede militärische Intervention durch die NATO. Neben wirtschaftlichem und diplomatischem Druck auf das Assad-Regime durch die EU sollten am ehesten die arabischen Staaten den Schutz der Bevölkerung in Syrien übernehmen. Das Dilemma ist nur: Die nordafrikanischen Staaten (Ägypten etc.) haben z.Zt. genug mit sich selbst zu tun, um sich auch noch um Syrien kümmern zu können. Und Saudi-Arabien oder die Golf-Emirate, die finanziell am ehesten zur Ergreifung von Schutzmaßnahmen in der Lage wären, haben überhaupt kein Interesse an der Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten in Syrien, da sie dies innenpolitisch destabilisieren könnte (und wahrscheinlich auch würde).

  4. Es geht auch anders: in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 19.02.2012 erschien ein Text von Jürgen Todenhöfer mit dem Titel „Die syrische Tragödie“. Auch dieser Text ist wieder – gestützt durch persönliche Recherchen vor Ort – gleichermaßen fundiert und einfühlsam. Todenhöfer belegt auch dieses Mal differenziert: vieles, was in und um Syrien geschieht, entspricht mitnichten den platten, einseitigen, parteiischen Darstellungen mit denen uns die Mainstream-Medien – darunter leider auch die Frankfurter Rundschau! – zu füttern belieben.

    Bei der FAS ist der Artikel nur gegen Entgelt abzurufen. Aber Todenhöfer wäre nicht Todenhöfer, wenn seine Ideen nicht auch kostenlos verbreitet würden. Schaust du hier:

    http://www.facebook.com/notes/jürgen-todenhöfer/die-syrische-tragödie/10150561001190838

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