„Der Islam ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland. (…) Muslime gehören aber sehr wohl zu Deutschland. Sie genießen selbstverständlich als Staatsbürger die vollen Rechte, ganz klar.“
Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, am 19. April 2012 in der „Passauer Neuen Presse“ in Anspielung auf die Aussage des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der den Islam als Teil Deutschlands bezeichnet hatte. Zitiert nach dapd
Ob da die Bezeichnung „Zitat des Tages“ ausreicht?
Ich spar‘ mir mal die 1000 Zeilen, die nötig wären.
Die Frage ist nicht, welche Religion zu Deutschland gehört, auch nicht, zu welcher Religion Deutschland gehört.
Die Frage ist, ob es sich gehört, Religionen zu territorialisieren.
Ich würde dies Zitat mehr als Ausdruck der Dummheit der Jahrtausende bezeichnen.
Geradezu lustig bis lächerlich muß erscheinen, daß sich ein Vertreter des Namens „Kauder“, der im deutschen Territorium nur sporadisch vertreten ist, mit Bezug auf ein Territorium zusammengewürfelter Fürstentümer und Stammesflecken, das sich kaum ein paar Jahre als Staatsgebiet wahrnehmen läßt, dazu aufschwingt, jahrtausendealte Traditionen und Religionen als „zugehörig“ zu definieren. Da will die Maus wohl einen Berg gebären.
Ich denke, da wartet wohl eher ein großer Gedanke Darwins darauf, daß sich das kleine Kauderwelsche dareinfindet, daß es, aus alten Affen hervorgegangen, über die Menschwerdung in Afrika, aus Afrika heraus in das wilde Nordland eingewandert wurde und nicht das Kauderlein die Religionen gnädig akzeptieren darf, sondern es aus ihnen entsprungen ist und sich glücklich schätzen darf, einen Platz darin zu finden.
Die Religion ist nicht Teil Kauders (Deutschlands), das Kauderlein,(das Deutschchen) ist Teil der Religionen. Ein Teil von Religionen, die schon der menschlichere Affe größer gedacht hat, als das Kauderlein es heutigentags fertigbringt.
Herr Kauder ist ein führender Vertreter der Partei die wohl auch den nächsten Kanzler/in stellen wird. Daraus kann man schließen das seine Aussagen von einem nicht geringen Teil der Wahlberechtigten geteilt wird. Man kann ihn trotzdem kritisieren sollte aber zur Kenntnis nehmen das (leider) solche Äußerungen mehrheitsfähig in D. sind und dadurch anerkennen das er für viele einen Fakt beschreibt.
„Der Fußball ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland. (…) Fußballer gehören aber sehr wohl zu Deutschland. Sie genießen selbstverständlich als Staatsbürger die vollen Rechte, ganz klar.“
„Die Politik ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland. (…) Politiker gehören aber sehr wohl zu Deutschland. Sie genießen selbstverständlich als Staatsbürger die vollen Rechte, ganz klar.“
„Die Klugheit ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland. (…) Kluge Menschen gehören aber sehr wohl zu Deutschland. Sie genießen selbstverständlich als Staatsbürger die vollen Rechte, ganz klar.“
…
Ich finde es unverschämt, daß sich ein Kauder dahinstellt und definieren will, was zu „unserer Tradition“ gehört.
Wenn man es mal ganz genau nimmt, müsste der Herr Kauder erstmal nachweisen, daß er zu uns gehört, was vermutlich schon an dem Nachweis seiner Herkunft, spätestens aber an dem Nachweis eines „uns“ scheitern wird. Noch dazu müsste er in irgendeiner Weise nachweisen, daß er kompetent und berufen ist, „unsere Tradition“ zu definieren.
Wenn er sich darauf einließe, würde die ganze Einfalt seiner Äusserung schnell offenbar.
Erstaunlich und erfreulich, dass ein führendes Mitglied jener Partei, die für den Einwanderungsschlamassel und seine Folgen [1] wesentlich mitverantwortlich ist, so klare Worte findet. Statt dieses Versagen zuzugeben und – zumindest die übelsten – Auswüchse zu begrenzen oder gar rückgängig zu machen, praktizieren sie die Politik des Kniefalls und wirbeln ständig zwei Ebenen durcheinander, nämlich
a) die objektive Bedeutungsebene, die sich auf den Islam als subjektunabhängige Glaubens- und Normenvorgabe in Gestalt von Koran, Sunna und Scharia bezieht (d.h. „gnadenlose“ Religions- und Ideologiekritik).
b) die subjektive Einstellungs- und Verhaltensebene, die sich mit den konkreten Überzeugungen und der Lebenspraxis von MuslimInnen beschäftigt. Hierbei geht es um die „Alltagsinterpretation“ durch Laien und den Grad der Handlungsrelevanz im Alltag. Ggf. also auch um den evtl. Missbrauch als bequemen Rechtfertigungslieferanten für menschlich ganz verständliche Verhaltensweisen wie z.B.
– in der westlichen, materialistischen Welt den Sündenbock für eigenes Versagen zu finden
– sein schwaches Selbstwertgefühl durch besonders striktes Einhalten der (echten und vermeintlichen) religiösen Vorschriften aufzumotzen
– die Trägheit, sich kulturell umzugewöhnen und den Unwillen in Form von Agressionen gegen die oder Rückzug aus der Aufnahmegesellschaft zu wenden,
Kauder hingegen hat Recht, weil er eben differenziert: der Islam gehört nicht zu Deutschland, die hier lebenden Muslime sehr wohl (natürlich mit der Einschränkung: sofern sie sich gegenüber der Mehrheitsgesellschaft in Wort, Schrift oder Tat nicht feindlich verhalten oder ihren religiösen Fundamentalismus praktizieren.)
Viele Deutsche merken nicht, wie der grundlegende Unterschied zwischen dem, was in Deutschland unter Religion verstanden wird und dem, was den Islam ausmacht, von der Fraktion der unbedarften Islamophilen verwischt wird. Der Religionsbegriff des Grundgesetzes impliziert eine Religion, die in blutigen Kämpfen von der antifeudalen und antiklerikalen Revolution in ihre Schranken gewiesen wurde. 500 Jahre Kampf gegen die religiöse Bevormundung: vom Beginn der Reformation 1517 bis zum 30-jährigen Krieg 1648, vom Beginn der Aufklärung 1784 und der Französischen Revolution bis zur Säkularisierung im Reichsdeputationshauptschluss 1803, deren Vollendung kraft des Einflusses der Kirchen immer noch nicht erreicht ist. Deutschland ist weder durch den Islam noch durch den Kampf gegen den Islam gesprägt worden wie es für das Christentum gilt, ergo: „Der Islam ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland „.
Ein solches „modernes“ Religionsverständnis kann aber nicht unversehens auf den Islam übertragen werden. Denn den Religionswandel des Christentums in Richtung einer Privatisierung der Religion als Folge der Moderne, d.h. blutiger Kämpfe und der Säkularisierung, lassen selbst liberale Muslime für den Islam nicht zu. Letzterer ist eben nicht bloß ein privates Glaubenssystem, sondern vieles in einem: eine Religion, eine umfassende Weltanschauung, eine politische Doktrin und Kultur, eine Staatsordnung, ein Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell, ein Justizsystem. Kurz: eine aufklärungsfeindliche totalitäre Herrschaftsideologie, die Unterwerfung fordert – von jedem Einzelnen wie von der ganzen Gesellschaft. Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist die „Scharia“.
Hierzulande wird unter der Scharia meist nur eine Art Gegenstück zu unserer Rechtsordnung verstanden und die sich durch grausame Strafen auszeichnet. Es handelt sich jedoch um die in das irdische Leben projizierte Idealvorstellung eines göttlichen Gesetzes, das alle Bereiche menschlichen Lebens verbindlich regelt. Als allumfassende Pflichtenlehre beschränkt sich die Scharia nicht auf solche Sachverhalte, die in westlichen Rechtsordnungen geregelt werden – wie etwa das Straf-, Erb- und Familienrecht. Sie bestimmt vielmehr auch das religiöse, politische und persönliche Leben des Individuums – als von Allah vorgegebener Wegweiser im irdischen Dasein, der die Menschen zu ihm als Quelle allen Seins führen soll.
Die Inhalte der Scharia werden vor allem aus dem Koran und der Sunna (den in den Hadithen überlieferten Handlungen des Propheten Mohammed) hergeleitet. In der Fiqh (der islamischen Rechtswissenschaft) hat ausserdem das Prinzip der Idschma (der Konsens islamischer Rechtsgelehrter) besondere Bedeutung. Zu glauben, irgendwelche Auslegungen „liberaler“ islamischer deutscher Rechtsgelehrter oder gar deutscher „Islamwissenschaftler“ hätte irgendeinen Einfluss auf die Fiqh und die Gesamtheit der Muslime in der Welt (die Umma) ist einfach lächerlich. So, als würde man glauben, der Papst würde die Meinungen deutscher Reformkatholiken ernstnehmen und umsetzen.
Kurz: ein Islam ohne Scharia ist undenkbar. Die in der politischen Diskussion immer wieder eingebrachte Forderung, dass sich Muslime – bei Beibehaltung ihres Glaubens – von der Scharia distanzieren sollen, ist erschreckend naiv und völlig verfehlt, denn sie verkennt, dass sie direkt aus dem Koran (dem „unmittelbaren, unverfälschten, perfekten und widerspruchsfreien Wort Gottes“) und der Sunna abgeleitet wird.
Auch und gerade Moslems, die die Segnungen des real existierenden Islams am eigenen Leib erleben durften, verwenden den Begriff „Islamfaschismus“, da es – bei aller Unterschiedlichkeit – zumindest auf der phänomenologischen Ebene starke Ähnlichkeiten zur faschistischen Ideologie gibt, z.B.
– ein unbedingtes Führerprinzip (von Allah über Mohammed bis zur Idolisierung einiger islamischer Führer).
– eine Märtyrerideologie, die das Individuum der Gemeinschaft opfert („Dein Volk ist alles, du bist nichts!“, „Führer befiehl, wir folgen dir!“).
– die Notwendigkeit eines Sündenbocks („Volksschädling“) zu propagandistischen Zwecken (grundsätzlich Israel und die USA, allgemein „der Westen“).
– Antisemitismus (das schon von den Nazis als Kampfbegriff benutzte „Weltjudentum“)
– Fremdenfeindlichkeit (gegenüber dem Fremden und den Fremden, „Sie wollte leben wie eine Deutsche.“)
Für den Islamwissenschaftler Bassam Tibi [2] und die Frauenrechtlerin Ayaan Hirsi Ali ist der „Islamfaschismus“ eine weitere totalitäre Ideologie, die sich nun ausbreitet, nachdem die Welt den Faschismus und Stalinismus überwunden hat.
Das Streben des Islam nach alleiniger Geltungsmacht (das in Abhängigkeit von konkreten Kräfteverhältnissen ja auch tatkräftig umgesetzt wird, um es einmal freundlich zu formulieren) ist aber – wie jede nach totalitärer Deutungs- und Normierungsmacht strebende Weltanschauung – nicht durch Artikel 4 GG geschützt. Der kleine religiöse Kern wird im Grunde nur als Mäntelchen benutzt, um sich den Schutz des Grundgesetzes zu erschleichen und die Denkfaulen einzulullen.
Wulffs Begründung für seinen unsäglichen Ausspruch, dass der Islam inzwischen auch zu Deutschland gehöre, wurde von der rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner besonders klar ausgedrückt: „Natürlich gehört der Islam zu Deutschland. Das merkt man schon alleine daran, dass Millionen von muslimischen Gläubigen in Deutschland leben und arbeiten.“
Nur weil sich eine Gruppe Menschen mit einer bestimmten Ideologie irgendwo physisch aufhält, gehört diese dort noch lange nicht dazu. Wie der Herzog von Wellington sagt: „Being born in a stable does not mean being a horse“.
Ich würde bei einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte, bei der ich auf einen Kirschkern beisse und mir ein Stück vom Zahn herausbreche, jedenfalls nicht behaupten, ein solcher Kirschkern gehöre allein schon deswegen zu der Torte, weil er „nun einmal da sei“. Wenn in Müller-Brot Spuren von Mäusekot, der an sich ja nicht gesundheitsgefährlich ist, gefunden werden, gehört der nicht zum Brot nur weil er halt drin ist. Wer so argumentiert, muss auch akzeptieren: „Zum Islam gehören Fundamentalismus und Fanatismus“. Der Rechtsextremismus gehört natürlich zu Deutschland, weil in Deutschland (Hundert-)Tausende leben, die dieser Ideologie anhängen oder ihr zumindest zustimmen. Als weitere Perlen für die Gebetsschnur des Gehört-zu-Mantras schlage ich vor: „Ausländerfeindlichkeit gehört zu Deutschland!“, „Islamkritik gehört zu Deutschland!“ und auch „Der Schimmelpilz gehört zum Badezimmer!“. [3]
Der Saarbrücker Islamwissenschaftler Gerd-Rüdiger Puin nennt eine solche unreflektierte Islamophilie in der Saarbrücker Zeitung „Wunschdenken“. „Die ganze Debatte ist weltfremd, weil es keine kritische Haltung gegenüber dem Islam in Deutschland gibt“. Im Koran stehe „kein einziges nettes Wort über die ‚Ungläubigen‘, aber 300 Verse, die ihnen das Schlimmste auf Erden und im Himmel androhen.“
[1] Angefangen bei der Auswahl von Einwanderern über den verschlafenen Übergang vom ursprünglich geplanten temporären Status zu einem dauerhaften Aufenthalt samt Familienzuzug bis zum Fehlen von Integrationsangeboten und der Bildung deutschenfeindlicher Ghettos.
[2] Unter http://de.wikipedia.org/wiki/Bassam_Tibi werden seine wichtígsten Positionen knapp und verständlich dargelegt.
[3] Zur Erinnerung: nach Untersuchungen des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer aus 2007 nimmt die Ablehnung von Muslimen in Deutschland immer mehr zu. 29 Prozent waren eher oder voll und ganz der Meinung, Muslimen solle die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. 39 Prozent stimmten eher oder voll und ganz der Aussage zu: „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land.“ Über 60 Prozent sagten, der Islam passe „überhaupt nicht“ oder „eher nicht“ in „unsere westliche Welt“ und lasse sich nicht mit europäischen Werten vereinbaren.
@ Schnippsel
Auch zu diese Problem hat Uri Avnery einen sehr bedenkenswerten Text geschrieben, der mit den Worten endet:
„Ist das Dr.Goebbels, den ich in der Hölle lachen höre?“
http://www.uri-avnery.de/news/148/17/Der-neue-Antisemitismus
@ Anna
Sie wollen doch nicht mit dem Verweis auf den (meiner Meinung nach recht oberflächlichen) Text von Uri Avnery andeuten, dass Sie Kauder (mit dem ich nicht einverstanden bin) oder Schnippsel (dessen verängten Sicht des Islams und seiner „fundamentalistischen“ Auslegung der Scharia ich schon an anderer Stelle des Blogs entschieden widersprochen haben – vielleich kann Bronski hier die Links einstellen, damit ich mich nicht wiederholen muss) auf gleiche Stufe mit den Antiislamisten von PI stellen?
@schnippsel
Was Sie schreiben ist nachvollziehbar, viele Details und Haltungen des Islam können oder müssen abgelehnt werden. Meine Kritik an Kauder geht dahin, daß er ganz unhistorisch argumentiert und durch sein Statement, etwas gehöre <nicht zur deutschen Tradition, behauptet, er sei einer derjenigen, die definieren, was deutsch ist und was nicht. Ganz nebenbei behauptet er eine „deutsche Tradition“, die es so nicht gibt, jedenfalls nicht in dem Zeitrahmen, den der Bezug auf Islam und Christentum nahelegen.
Noch dazu impliziert er, Deutschland oder Deutschsein hätte irgendwas mit Religion und (alter?) Tradition zu tun. Dem ist nicht so.
Der Gedanke eines Deutschland als „einiges Vaterland“ ist ein politischer, im Kern demokratischer Gedanke aus dem 18/19 Jahrhundert, er hat rein gar nichts mit Tradition und Religion zu tun.
Die Verbindung des Islam (und des Christentums) zur deutschen Geschichte sehe ich als einen geschichtlichen Einfluß aus der ständigen Auseinandersetzung und dem Austausch kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Wissens, das selbstverständlich „Teil unserer Kultur“ ist, einfach aus der Begegnung und vielbeschworenen gegenseitigen Entwicklung heraus. Nicht bloss, weil die Menschen da waren und sind, sondern weil das Wissen da ist.
Wenn man, wie Kauder, solchen Austausch ausblendet und eine Kultur herzuleiten versucht, die irgendwie rückverfolgbar, abgrenzbar und konservativ verengt etwas „traditionelles reines Deutsches“ postuliert, begibt man sich auf gefährliches Eis.
Die Abgrenzung von Kulturen und Religionen gegeneinander hat immer etwas machtpolitisches und hilfloses an sich und die Probleme, die man heute mit dem gegenseitigen Verstehen hat, bestünden vielleicht nicht, wenn es nicht auf allen Seiten immer wieder solche Verfechter der „reinen Leere“ gäbe.
Insofern war Wulffs Äusserung ebenso falsch wie Kauders.
Der Vollständigkeit halber:
„Die Verbindung des Islam (und des Christentums) zur deutschen Geschichte..“
Selbstverständlich sind auch alle anderen Einflüsse mitbedacht und mit zu bedenken.
@ Abraham
Ist für Sie im Ernst, einen Text als „bedenkenswert“ zu empfehlen gleichbedeutend mit „jemanden auf gleiche Stufe zu stellen“?
Mal von den realen Gefahren des radikalen Islamismus abgesehen, finde ich aber schon, dass Schnippsel mit seiner pauschalen „Islamkritik“ nicht nur daneben liegt sondern auch entschieden zu weit geht, wenn er sich folgendermaßen äußert:
“Das Streben des Islam nach alleiniger Geltungsmacht (das in Abhängigkeit von konkreten Kräfteverhältnissen ja auch tatkräftig umgesetzt wird, um es einmal freundlich zu formulieren) ist aber – wie jede nach totalitärer Deutungs- und Normierungsmacht strebende Weltanschauung – nicht durch Artikel 4 GG geschützt. Der kleine religiöse Kern wird im Grunde nur als Mäntelchen benutzt, um sich den Schutz des Grundgesetzes zu erschleichen und die Denkfaulen einzulullen.“
Aber deswegen stelle ich ihn noch lange nicht auf eine Stufe „mit den Antiislamisten von PI“ – wo denken Sie hin. (Obwohl die so etwas vermutlich nicht ungern lesen.)
Und Kauder bedient mit seiner völlig absurden Äußerung zwar bestimmte Wählerschichten, aber für einen Rechtspopulist halte ich ihn deshalb natürlich nicht.
Allerdings sind sowohl Schnippsels überzogene Islamkritik als auch Kauders kontraproduktive und absolut unnötige Äußerung schon Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die ein mehr oder minder ausgeprägtes Problem mit muslimischer Zuwanderung haben, was sich eben leicht zu „gruppenbezogener Feindseligkeit“ auswachsen kann.
Und Avnerys teilweise sehr pointierter Text macht doch sehr schön deutlich welche Gefahren das birgt. Ebenso deutlich macht Avnery, dass mit „der Einwanderung aus dem armen Süden in den reichen Norden“ natürlich Probleme verbunden sind. Die können aber bestimmt nicht mit einer Pauschalkritik am Islam gelöst werden.
@ Anna #11
Eigentlich wollte ich zunächst auf Standorts Beitrag #9 eingehen, mache aber wegen der hier ungünstigen Internetverbindung zunächst nur einige Anmerkungen zu Ihnen.
Wenn man schon die Geschichtsschreibung nicht den Historikern überlässt, sondern der Politik, ist man ganz nah an einer politischen Geschichtsschreibung. Wer per Gesetz eine bestimmte Interpretation (und sei sie noch so richtig) der Geschichte einseitig herbeizwingt, tut der Wahrheit keinen Gefallen. Werden in Kürze neben der Holooaustleugnung auch die Leugnung des Genozids an den Armeniern, die Leugnung des Völkermords der Hutu an den Tutsi, die Leugnung des Massakers von Srebreniza usw. unter Strafe gestellt und verfolgt?
Wie wäre es, wenn man daran erinnerte, dass die Europäer zwar Sklavenhändler waren, die brutalen Sklavenfänger aber Muslime waren? Darf man daran erinnern, dass die Sklaverei in Europa bereits vor ca. 250 Jahren abgeschafft wurde, im islamischen Einflussbereich Afrikas heute noch praktiziert wird?
Darf man daran erinnern, dass im Einflussbereich des Real Existierenden Islams (und nicht in der romantischen Vorstellung deutscher Islam“wissenschaftler“) nicht nur die Angehörigen des eigenen Glaubens beständig kujoniert, vergewaltigt, getötet, verstümmelt werden, sondern gerne auch Anders- und Nichtgläubige. Dabei ist es egal, ob es sich um die Turkvölker bis hinein in den Kaukasus handelt, die arabischen Länder, den Iran, Afrika, die Janjaweed in Darfur [1], das angeblich ach so harmonisch funktionierende Zusammenleben in Malaysia und Indonesien, oder die Abu Sayyaf-Rebellen auf den Philippinen.
Wie wäre es, wenn man angesichts der Dutzende Millionen Todesopfer der islamischen Expansion – man denke nur an die fast komplette Ausrottung der wehrlosen, weil friedlichen Buddhisten auf dem indischen Subkontinent! – und der Hundertausende Zwangsislamisierter auf der Welt – die Propagierung des Satzes „Islam ist Frieden!“ oder „Islam führt zum Frieden!“ gleichermaßen unter Strafe stellte? Er ist eine offensichtliche, empirisch widerlegte, historisch belegte Lüge.
Warum nun ausgerechnet Deutschland das Labor sein soll, in dem sich eine „liberale“ Ausprägung des Islam entwickeln sollte, dafür habe ich bisher keine einigermaßen einleuchtende Erklärung gefunden – wo derlei Versuche doch seit Jahrhunderten überall auf der Welt gescheitert sind bzw. niedergemetzelt wurden. Und zwar realtiv egal, ob Muslime in der Mehrheit oder in der Minderheit sind.
Der Sowjetkommunismus hatte gerade nur ein sehr knappes Jahrhundert oder der Real Existierende Sozialismus der DDR gute 50 Jahre, um das Scheitern eindruckvoll zu demonstrieren. Wenn also der Islam tatsächlich „Frieden“ bedeutet und nicht „Unterwerfung“, wie die Wortbedeutung deutlich genug ausdrückt, hätte er Jahrhunderte gehabt (zugestanden: etwas weniger als das Christentum), um ein friedvolles und respektvolles Zusammenleben der Menschen zu organisieren. Das ist nach meiner Beobachtung aber nirgendwo auf der Welt der Fall.
Freie Gesellschaften beruhen auf kritischem Denken und dem kategorischen Imperativ (der „goldenen Regel“). Kritisches Denken ist sich seiner eigenen Bedingtheit und prinzipiellen Vorläufigkeit bewusst – also in der Lage, sich selbst in Frage zu stellen.
Islamische Gesellschaften beruhen, im Großen und im Kleinen, auf autoritärem Denken und ewigen, heiligen Werten. Autoritäres Denken basiert auf Zwang, Angst oder nicht hinterfragbarem Respekt und Gruppenhaftung. Infragestellung oder gar Abfall vom rechten Glauben (Apostasie) kann ein solches System nicht hinnehmen, ohne sich selbst als Ganzes aufzugeben.
Dabei ist es letztendlich völlig unerheblich, ob eine autoritäre, archaisch-patriarchalische Gesellschaft (Kultur) den Islam hervorgebracht hat oder anders herum der Islam solche Gesellschaften erzeugt hat. Nach mehreren Jahrhunderten, in denen sich der Islam nicht weiterentwickelt hat, lässt sich das nicht mehr trennen und damit ist die Frage müßig.
Mein abgrundtiefes Misstrauen gegen den Islam beruht sowohl auf ideologie- und religionskritischen Überlegungen (Abraham nennt das „fundamentalistische“ Koranauslegung) als auch aus der empirisch belegten und erfahrbaren Wirklichkeit des Real Existierenden Islam.
[1] http://peter-mueller.suite101.de/sudan-der-genozid-in-darfur-a50706 oder
http://www.gfbv.it/3dossier/africa/darfur-de.html
@ # 6 Schnippsel
„Der Islam ist nicht Teil unserer Tradition und Identität in Deutschland und gehört somit nicht zu Deutschland“, sagt Kauder und Sie stimmen ihm zu. Nun könnte man einwenden, dass die Tradition und Identität nichts Statisches ist, sondern sich dynamisch weiter entwickelt und auch neue Elemente integriert. Allerdings halte ich die Debatte darüber, was denn die deutsche Tradition und Identität überhaupt sei, für wenig ergiebig. Wichtiger erscheint mir, ob „der Islam“ in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und in unserer pluralistischen Gesellschaft einen Platz beanspruchen kann. Ihrer Meinung nach wohl nicht, denn Sie schreiben: „Der Religionsbegriff des Grundgesetzes impliziert eine Religion, die in blutigen Kämpfen von der antifeudalen und antiklerikalen Revolution in ihre Schranken gewiesen wurde.“ Das Bundesverfassungsgericht ist allerdings anderer Auffassung, wie Sie es z.B. in dem Urteil zu Zeugen Jehowas nachlesen können. Unstrittig genießen auch solche Religionsgemeinschaften, deren Lehren im Widerspruch zur Grundordnung stehen, den Schutz des Grundgesetzes, solange sie ihr Handeln im Rahmen der gültigen Gesetze bewegt. Dies gilt für antimoderne Religionsgemeinschaften wie die Pius-Brüder, fundamentalistische Evangelikale und auch die Salafisten.
Ihnen geht es aber nicht nur um eine „juristische“ Auseinandersetzung, sondern Sie sehen die grundsätzliche Gegnerschaft „des Islams“ zu unserer Grundordnung. Sie begründen dies mit der „objektiven Bedeutungsebene, die sich auf den Islam als subjektunabhängige Glaubens- und Normenvorgabe in Gestalt von Koran, Sunna und Scharia bezieht“, die Sie von der „subjektiven Einstellungs- und Verhaltensebene, die sich mit den konkreten Überzeugungen und der Lebenspraxis von MuslimInnen beschäftigt“, unterscheiden. Wenn Sie aber eine „subjektunabhängige Glaubens- und Normvorgabe“ postulieren, übernehmen Sie bereits die Sicht der Fundamentalisten, denn im Islam (wie in den anderen Religionen) gibt es nicht ein einziges, unveränderliches Verständnis der Offenbarungstexte, sondern eine Pluralität von Auslegungen, die außerdem einer geschichtlichen Entwicklung unterliegen. Diese Auslegungen sind von der Lebenspraxis der die jeweilige Richtung des Islams praktizierenden Menschen nicht zu trennen, zumal der Islam keine kirchliche Hierarchien oder Zentralinstanzen kennt. So ist auch ein „liberaler“ Islam möglich, der sich zur Demokratie und Moderne bekennt, wie er sich z.B. bereits in Bosnien zu Zeiten der KuK-Monarchie entwickelt hat. Dabei kommt es überhaupt nicht darauf an, ob ein entstehender Euro-Islam eine Minderheitsposition innerhalb der islamischen Welt hat. Für die Haltung der deutschen evangelischen Kirche zur Homosexualität ist ebenso wenig maßgebend, ob das eine Mehrheitsmeinung innerhalb der „Weltkirche“ ist.
Selbstverständlich ist Islam nicht ohne Scharia denkbar, so wie das Christentum nicht ohne Kirchenrecht und das Judentum nicht ohne Halacha denkbar sind. Und selbstverständlich gehört zu einer Religion, die mehr als Schwärmerei sein will, ein Wertesystem, dass alle Lebensbereiche umfasst. Dieses Wertesystem liefert die katholische Soziallehre oder eben Scharia. Dabei gibt es nicht „die Scharia“ (auch wenn es Fundamentalisten behaupten mögen), sondern unterschiedliche Wege ihres Verständnisses, also auch solche, die den Vorrang des staatlichen (säkularen) Rechtsystems als selbstverständlich anerkennen.
Meine Leseempfehlung: Ein Artikel von Muhammad Sameer Murtaza in Die Zeit „Töten in Allahs Namen“ http://www.zeit.de/2012/15/P-Muslime
@ Standort #9 und #10
Meine Antwort an Sie bzgl. Tradition und Identität ist bisher leider Bronskis Schere zum Opfer gefallen. Ich hatte Sie, anhand diverser Gesichtspunkte, nach möglichst konkreten Beispielen gefragt, in welcher Weise und in welchem Umfang der Islam während der, sagen wir mal, letzten 500 Jahre für Deutschland erkenntnisleitend, traditionsbildend und identitätsstiftend gewesen ist.
@ Abraham
Ich habe immer, auch in diesem Blog, zwischen der Ideologie (einschließlich der sog. „Organisierten Religion“, also z.B. Kirchen oder Verbandsislam) und der (privaten) Religiosität des Einzelnen unterschieden. Selbstverständlich kann ich den Nationalsozialismus – genauer: die Ideologie des Nationalsozialismus – kritisieren, auch wenn das schlimmste Verbrechen von Hunderttausenden braver BDM-Mädels darin bestand, zu Führers Geburtstag brav mit Hakenkreuzfähnchen zu wedeln. Und selbstverständlich lasse ich mich nicht davon abhalten, den Islam auch weiterhin als eine totalitäre Herrschaftsideologie zu kritisieren.
Um es noch einmal deutlich klarzustellen: beileibe nicht jeder, der an den Sommerlagern von HJ oder Jungen Pionieren teilnahm, war „schuld“ an den Vernichtungslagern der Nazis oder den Folterkellern der Stasi – ebenso wenig wie ein im Ramadan fastender Moslem in Deutschland an den Steinigungen im Iran oder den grausamen Christenmorden durch die Boko Haram „schuld“ ist. Und so wie es jede Menge laue Taufschein-Katholiken gibt, gibt es natürlich auch jede Menge laue, raki- oder biertrinkende Muslime.
Ideologien setzen sich (meist?) hinter dem Rücken des Einzelnen durch, ja manchmal sogar gegen den Willen des Einzelnen. Egal ob es um den Kapitalismus, den Islam oder den DDR-Sozialismus geht. Bei derlei Systemen handelt es sich – ausgehend von grundlegenden Texten – nicht nur um abstrakte „Denk“systeme, also eine Art intellektueller Gehirnsportaufgabe, sondern sie streben nach Deutungshoheit und realer Macht. Sie verbreiten sich über
– Träger (Menschen, oft im Sinne von Führern und Verführten, Chefideologen, Tugendwächter, Mitläufer und Profiteure usw.),
– Strukturen (z.B. Bet- oder Konsumtempel, Institutionen oder Vereine als „Transmissionsriemen“),
– Verfahren, Regeln und Rituale (z.B. Gebote und Verbote, Beeinflussung durch Medien, frühkindliche Indoktrination durch Unterweisung oder Werbung, Versammlungen, Sanktionen, Symbole usw.)
Ein bequemes dichotomisches Weltbild (rechts/links, oben/unten, männlich/weiblich usw.), einfachste Parolen („Geiz ist geil!“, „Islam ist Frieden!“, „Es lebe die Arbeiterklasse!“, „Nazis raus!“) und tägliche Rituale (Einkaufs“erlebnisse“, Unterwerfungsgesten beim Beten oder die Gehirnwäsche durch formelhaftes Wiederholen von Kernaussagen) helfen dabei. All das entlässt den Einzelnen aber doch nicht aus der Verantwortung! Hinterher, wenn die ganze Sache in die Hose gegangen ist, will’s immer keiner gewesen sein. [1]
Ein wesentlicher Bestandteil meines Menschenbildes ist dabei, dass die Religion(szugehörigkeit) kein unveränderlicher Teil des Menschen ist wie es z.B. Geschlecht, Körpergröße, sexuelle Orientierung oder Hautfarbe sind. Der Mensch ist nur Träger von Ideologien, wobei letztere in mehr oder weniger kurzen Abständen wechseln können.[2]
Wer hingegen Ideologie und Person als untrennbare Einheit betrachtet [3], begibt sich damit auf ein äusserst gefährliches Pflaster, vielleicht ohne es selbst zu merken: eine solche Sichtweise ist rassistisch und widerspricht dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Für seine Hautfarbe kann man nichts, für seine Überzeugungen oder sein Verhalten schon. Unser westliches Werte- und Rechtssystem beruht ja gerade, ob zu Recht oder nicht sei einmal dahingestellt, auf dem Gedanken der Willensfreiheit. Also dass ein Mensch sich eben auch hätte anders entscheiden können.
Es geht nicht darum, ob oder wie ich den Koran interpretiere oder wie irgendein anderes Individuum es tut. Was jede(r) tun kann, egal ob gläubig oder nicht, ist jedoch zumindest dreierlei:
1. man kann sich einen allseits anerkannten Grundlagentext (das „Glaubensbekenntnis“) einer Bewegung anschauen
2. man kann sich die Auslegung dieses Grundlagentextes durch mehrheitlich anerkannte oder einflussreiche Autoritäten anschauen („mainstream“)
3. man kann sich den Alltag dort anschauen, wo dieser Grundlagentext zum Maßstab des Handelns gemacht wurde oder wird
Ganz ohne eigene Koranexegese lässt sich dann erkennen, dass z.B. die selbsternannten deutschen Moslemvertreter in ihren Lobbyvereinen einer fundamentalistischen Koranauslegung folgen.
„Fundamentalismus ist die Bezeichnung für das Beharren auf festen politischen und vor allem religiösen Grundsätzen, i.d.R. auf der Basis einer buchstäblichen Interpretation göttlicher Überlieferungen (z.B. Bibel, Koran). […] Der islamische Fundamentalismus fordert die wörtliche Befolgung der Vorschriften des Korans.
Fundamentalistisch verstandene Religionen und daraus entspringende soziale Bewegungen betrachten ihre Überzeugungen und Vorstellungen als umfassende, absolute Lösung für alle (politischen, wirtschaftlichen und sozialen) Lebensfragen. Der Fundamentalismus birgt somit immer die Gefahr eines religiösen oder politischen Fanatismus in sich.“ Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
[1] So arbeiten halt offizielle und informelle Mitarbeiter der Stasi in genau der Behörde, die deren Schandtaten aufklären und aufarbeiten soll! Auch wenn die kapitalistische Wirtschaftsweise Armut und Umweltzerstörung produziert: Hauptsache, ich habe das neueste iPhone!
[2] Ein Pierre Vogel, einer der bekanntesten salafistischen Konvertiten, ist genau dafür ein bekanntes Beispiel. Nämlich, dass man die Ideologie, der man anhängt, wechseln kann. Oder die Wandlung eines polizistenprügelnden Taxifahrers zu einem staatstragenden Politiker. Oder die Geschichte vom überzeugten RAF-Anwalt, der ein überzeugter Holocaust-Leugner wurde. Der ehemalige Topmanager, der jetzt Bio-Regenwürmer züchtet.
[3] In der sunnitischen Orthodoxie ist dies gang und gäbe ist und in Deutschland auch im Bewusstsein vieler, mehrheitlich sunnitischer Muslime verankert. Vielen ist nicht klar, dass man auch als Nicht-Moslem ein guter Mensch sein kann oder dass man auch ohne demonstratives Kopftuchtragen eine gute Muslima sein kann.
@ schnippsel
Unser Disput wiederholt sich: Sie beharren darauf, Pauschalurteile über DEN Islam zu fällen, während ich immer wieder darauf hinweise, dass unterschiedliche Richtungen des Islams unterschiedlich bewertet werden müssen. Sicher ist es zutreffend, z.B. den salafistischen (oder auch den wahabitischen) Islam „auch weiterhin als eine totalitäre Herrschaftsideologie zu kritisieren“. Viele islamischen Gruppierungen (man könnte auch von „Schulen“ sprechen) in Europa und den USA vertreten aber keine „totalitäre Herrschaftsideologie“, auch wenn sie sich wie die Salafisten auf den Koran als „Grundtext“ beziehen. „Ihr“ Islam kann nur nach deren eigener „Auslegung des Grundtextes“ und deren eigenen Religionspraxis beurteilt werden, nicht nach der von „mehrheitlich anerkannten oder einflussreichen Autoritäten“.
Sie kämen doch nicht auf die Idee, z.B. die „Ideologie“ der Altkatholiken mit der der römisch-katholischen Kirche gleichzusetzen, obwohl sie beide auf den gleichen „Grundtext“ der Evangelien beziehen und die Papstkirche sicherlich der „Mainstream“ ist.
@ Abraham #16
Zwei schwache Argumente, die Sie hier anbringen.
1. Haben Sie schon mal ein Kind oder einen Baum gesehen? Sollten Sie darauf mit „Ja“ antworten, müsste ich Ihnen nach derselben Logik entgegnen „Ein Kind oder einen Baum gibt es nicht. Es gibt nur kleine Jungen und kleine Mädchen und davon jeweils eine schier unbegrenzte Zahl völlig unterschiedlicher Individuen. Und es gibt nur, grob gesprochen, Laub- und Nadelbäume, von denen es jeweils viele verschiedene Arten gibt und innerhalb dieser Arten Abermillionen ganz unterschiedlicher Einzelgewächse.“
Wenn es „den“ Islam nicht gibt,
– ist natürlich auch Wulffs – vom Verbandsislam lautstark beklatschte – Aussage unsinnig, der Islam gehöre zu Deutschland. Dem würde ich, wenngleich aus anderen, bereits mehrfach dargelegten Gründen, zustimmen.
– müssten Leute wie Mazyek und Kizilkaya ihre Aussagen stets mit dem Satz einleiten „Nach meiner ganz persönlichen und völlig unmaßgeblichen Interpretation von Koran, Sunna, Fiqh und Idschma…“. Ihre Lobbyarbeit sollten sie aufgeben, ihre Selbstdarstellung braucht kein Mensch, Politiker und Medien sollten sie folglich konsequent ignorieren.
– kann es in deutschen Schulen keinen bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht geben
Egal ob mit oder ohne Artikel: Aussagen der Art „Wetter ist…“, „Kultur ist…“, „Islam ist…“, „Philosophie ist…“, „Rassismus ist…“ bleiben zulässig und in der Regel zutreffend.
2. Wenn eine kleine Gruppe von Fußballfans oder Religiösen Stunk macht, ist es stets eine winzige, unbedeutende Minderheit, die mit dem Verein eigentlich überhaupt nichts zu tun hat (Hooligans, Salafisten, Pius Brüder usw.).
Gibt es aber z.B. unter den weltweit 1.300 Millionen Moslems irgendwo ein winziges Grüppchen von 50.000 – meinetwegen auch 2 Millionen – Anhängern, das auch Mädchen ein Recht auf Bildung zugesteht, wird triumphierend gerufen „Seht her! Der Islam ist überhaupt nicht frauenfeindlich!“
Die FR hatte vor längerem ganz stolz irgendeine islamische Gemeinde irgendwo im Kaukasus ausgegraben und darüber einen Artikel veröffentlicht, in welchem genau dies propagiert wurde. Leider finde ich im Moment den Link nicht.
Dass es z.B. in Tschetschenien eine „liberalere“ Form des Islam gibt, liegt aber nicht an einer irgendwie gearteten Liberalität des Islam, sondern an der – auch militärischen! – Stärke der Tschetschenen (Priorität des Adats [1] – d.h. die Gesamtheit der Sitten, Bräuche und Traditionen – über das Schariat). Gleich in der Nachbarrepublik Dagestan findet sich übrigens die sattsam bekannte „aggressive“ Spielart des Islam, die seit den 90-er Jahren in einer neuen Islamisierungswelle versucht, ihren Einfluss in Tschetschenien zu verstärken.
[1] Als ersten Einstieg dazu möge man bei Wikipedia reinschauen
@ schnippsel
1. Es gibt Mädchen, es gibt Kinder, es gibt Bäume und es gibt den Islam als eine Religionsgemeinschaft, die sich auf den Propheten Mohamed und den Koran als göttliche Offenbarung bezieht. Es ist aber falsch, das „die“ Mädchen rothaarig, „die“ Kinder frech, „die“ Bäume weiße Blüten haben, obwohl es rothaarige Mädchen, freche Kinder und weiße Blüten tragende Bäume gibt. Genauso falsch ist es, dass „der“ Islam eine „totalitäre Herrschaftsideologie“ ist, obwohl der salafistische Islam eine solche Ideologie ist.
2. Selbst wenn weltweit die Mehrheit der Fußballfans Rassisten wären, müssen deutsche Fußballfans in ihrer Gesamtheit noch lange keine Rassisten sein. Fast alle muslimischen Verbände in Deutschland bekennen sich ausdrücklich zum Recht der Mädchen auf Bildung. Ausweislich aller Statistiken, nach denen muslimische Mädchen bessere Schulabschlüsse als muslimische Jungen erreichen, wird dieses Recht tatsächlich in Anspruch genommen. Welche Relevanz hat für „den“ Islam in Deutschland dann die Einstellung der muslimischen Mehrheit in Saudi-Arabien oder in Pakistan?
@ Abraham #18
1. Die Attribut „Haarfarbe“, „Frechheit“ und „Blütenfarbe“ sind aber keine konstituierenden Merkmale für die Kategorien „Mädchen“, „Kind“ und „Baum“. „Rassistisch“ ist kein Wesensmerkmal eines Fußballfans, „CD-Player“ ist kein Wesensmerkmal eines Automobils.
Die konstituierenden Merkmale des Islam, zu denen natürlich auch noch die sog. „5 Säulen des Islam“ gehören, habe ich genannt. Auch ein sog. „moderater“ Islam – was immer das auch sein soll – ist Islam.
Kaum jemand käme wohl ernsthaft auf die Idee, Kritik am Kapitalismus (als ökonomischer Grundstruktur einer Gesellschaft) durch das Argument abzuweisen, es gäbe schließlich unterschiedliche kapitalistische Länder, die sich in vielen historischen, sozialen, kulturellen etc. Aspekten voneinander unterscheiden. Wie der Mainstream der Islamapologeten versuchen Sie, die Kernaussagen des Islam, also seine Ideologie und Dogmatik, dadurch zu relativieren, dass Sie auf die jeweils subjektiven Einstellungen und Verhaltensweisen konkreter Muslime abstellen. (Über diesen Trick werden dann Kritiker des Islam zu Moslemfeinden umgemünzt.) Das ist so, als würde man die Schreckensherrschaften von Nationalsozialismus oder Kommunismus mit Hinweis auf die vielen netten BDM-Mädels oder die „ehrlichen Kommunisten aus der Nachbarschaft“ kleinreden.
Gerade der Islam als offenbarungsreligiöses Behauptungssystem lässt keine beliebige Interpretation zu. Zunächst gelten die auf Mohammed herabgesandten Suren des Korans als unmittelbares, ewig und überall gültiges Gotteswort. Bereits daraus leitet sich ab, dass „eigenmächtige“ Textauslegungen kategorisch ausgeschlossen werden. Gleiches gilt auch für Neuerungen in Brauch und Gesetz (Sunna).
Hinterfragendes und situativ relativierendes (historisch-kritisches) Interpretieren gilt im vorherrschenden orthodoxkonservativen Gesetzes-Islam als Blasphemie. Ändert eine (individuelle) Neuauslegung von grundrechtswidrigen bzw. antimenschenrechtlichen Aussagen, Normen, Vorschriften etc. irgendetwas am Wesen solcher Aussagen? Dazu wäre nicht eine Neuinterpretation, sondern eine grundsätzliche Änderung des Bedeutungsgehalts – also eine Außerkraftsetzung – notwendig. Die Aussicht auf eine mehrheitliche Anerkennung (oder gar Durchsetzbarkeit) einer solchen Neuinterpretation halte ich für sehr unwahrscheinlich, für eine Außerkraftsetzung so gut wie ausgeschlossen.
2. Dass die islamische Herrschaftskultur in jeweils landesspezifischer Form auftritt, ist eine Binsenwahrheit – auch wenn in deutschen Moscheen nicht auf Deutsch „Allah ist groß“ gerufen wird, sondern das weltumspannende „Allahu akbar!“. Ich selber habe ja die Beispiele Indonesien oder Tschetschenien genannt.
Der weltanschaulich-normative Kern (die Ideologie) bleibt erhalten, es erfolgt – wenn überhaupt – eine kleinstmögliche und meist taktisch begründete Anpassung an die ökonomischen, sozialen und politischen Gegebenheiten des jeweiligen Landes. Dass die Herren Mazyek oder Kizilkaya keinen Kaftan, keine weiße, gehäkelte Hadsch-Kappe und keine langen Bärte tragen, sondern in Anzug und Schlips daherkommen, macht sie noch lange nicht zu Anhängern eines irgendwie gearteten „Reform-Islam“.
Bei den innerislamischen Rivalitäten um Deutungs- und Normierungshegemonie handelt es sich im Grunde vorrangig und hauptsächlich um einen Wettbewerb hinsichtlich der „richtigen“ Form der Unterwerfung unter das Gesetz Allahs. Dass nun ausgerechnet den fundamentalistisch orientierten Berufsmoslems des deutschen Verbandsislams von sozialromantisch geblendeten Politikern und Multikulturalisten soviel Verständnis entgegengebracht wird, ja ihnen sogar die Definitionsmacht über einen islamischen Religionsunterricht zugestanden wird, halte ich für äußerst bedenklich.
Die Finanzierung und logistische Unterstützung deutscher Salafisten durch Saudi-Arabien, die Ausbildung deutscher home-grown-terrorists in Pakistan, die Finanzierung und Steuerung in Deutschland lebender türkischstämmiger Moslems durch staatliche türkische Stellen, der Einfluss der fundamentalistischen Moslembrüder, eine Vielzahl deutschsprachiger fundamentalistischer Websites – all das hat sehr wohl Relevanz. Und zwar nicht nur für „den“ Islam in Deutschland und seine innerislamischen Rivalitäten, sondern noch mehr für „die“ Deutschen.
@ Schnippsel
Sie schreiben erneut: „Gerade der Islam als offenbarungsreligiöses Behauptungssystem lässt keine beliebige Interpretation zu. Zunächst gelten die auf Mohammed herabgesandten Suren des Korans als unmittelbares, ewig und überall gültiges Gotteswort. Bereits daraus leitet sich ab, dass “eigenmächtige” Textauslegungen kategorisch ausgeschlossen werden. Gleiches gilt auch für Neuerungen in Brauch und Gesetz (Sunna).“ Damit übernehmen Sie als einzig verbindliche die Position der fundamentalistischen Richtungen, wie es die Salafisten oder in leicht abgeschwächter Form die Wahabiten sind. Andere Richtungen und Gruppierungen im Islam delegitimieren Sie als „länderspezifische Form“ oder relativieren sie als „subjektive Einstellungen und Verhaltensweisen konkreter Muslime“. Sie sind nicht die oberste Autorität des Islams und können es ruhig den einzelnen Religionsgruppen überlassen, wie sie sich definieren. Und wie sie ihre Religion leben wollen.
Ich stimme Ihnen zu, wenn Sie schreiben: „Die Finanzierung und logistische Unterstützung deutscher Salafisten durch Saudi-Arabien, die Ausbildung deutscher home-grown-terrorists in Pakistan, die Finanzierung und Steuerung in Deutschland lebender türkischstämmiger Moslems durch staatliche türkische Stellen, der Einfluss der fundamentalistischen Moslembrüder, eine Vielzahl deutschsprachiger fundamentalistischer Websites – all das hat sehr wohl Relevanz.“ Eine produktive und kritische Diskussion darüber (und über die Haltung der islamischen Verbände), die beispielsweise Muhammad Sameer Murtaza leistet (siehe Link unter # 14), kommt aber ohne eine Differenzierung nicht vorwärts.
Wulffs Satz, wonach auch der Islam zu Deutschland gehört, ist genauso falsch oder richtig wie die Behauptung, Christentum gehört zu Deutschland. Er ist richtig, weil Religionsfreiheit zu Deutschland gehört und Islam die Religion eines Teiles der Bevölkerung Deutschlands ist. Er ist falsch, wenn damit ausgeblendet wird, dass es christliche und islamische Gruppierungen gibt, die nicht bereit sind, den Vorrang der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu akzeptieren oder diese sogar bekämpfen. Es ist aber genauso falsch, daraus zu folgern, Islam gehöre nicht zu Deutschland, weil damit aller Richtungen des Islams für die Fundamentalisten in Haftung genommen werden.
@schnippsel, abraham
Man kann viel hin und her reden, mir verbleibt nur ein Maßstab, den ich für allgemeingültig halte:
Wenn ich mich inmitten meiner Gegner zu mir bekennen kann, dann haben sich meine Gegner bewährt.