Wir brauchen eine "Wahrheitskommission Kalter Krieg"

Zum sechzigsten Geburtstag der Nato hat Davide Brocchi aus Köln einige kritische Anmerkungen:

„Einige Nato-Verträge binden die Mitgliedstaaten sehr stark – und darüber wissen die Bürger gar nichts. Schon deshalb halte ich die Nato für eine Begrenzung unserer Demokratie und nicht für ihren weltweiten Beschützer.
Wir reden immer über die Machenschaften der DDR und der Sowjetunion in Zeiten des Kalten Krieges – und das ist gut so. Aber wissen wir, was die USA unter dem Nato-Deckmantel oder Parallelstrukturen wie Gladio/Stay Behind in Ländern wie Italien angerichtet haben? Mit Silvio Berlusconi müssen die Italiener immer noch einen hohen Preis für jene Machenschaften zahlen.
Bis heute bleiben die Archive der Nato zu: Warum? Wie können wir so sicher sein, dass bestimmte Strukturen des Kalten Kriegs in der Nato nicht mehr existieren? Inwiefern greifen diese Strukturen immer noch in die Innenpolitik der Staaten ein? Es war interessant zu beobachten, wie koordiniert der Abbau der Bürgerrechte in den Nato-Staaten in den letzten Jahren ablief: Nur ein Zufall?
Es geht nicht um Verschwörungstheorien, sondern um Beobachtungen. Warum dürfen die Amerikaner in unseren Ländern immer noch Militärbasen halten? Über Frankfurt Gefangene nach Guantanamo fliegen? Warum hat man manchmal den Eindruck, dass der BND eher für die CIA arbeitet (s. Irak) als für die Bundesregierung? Wir brauchen eine ‚Wahrheitskommission‘ über den Kalten Krieg in Westeuropa. Es geht auch um Gerechtigkeit und Justiz, denn viele Menschen sind für die Nato gestorben.
Die Nato darf heute alles, ohne sich irgendwo verantworten zu müssen: Das sollten wir mal festhalten. Im Kosovo ist der Boden mit Uran verseucht, und sogar stationierte italienische Soldaten sind an den Folgen gestorben. Wenn die Nato unschuldige Zivilisten in der Welt tötet, dann ist es ein ‚demokratisch‘ legitimiertes Verbrechen, das mit unseren Steuergeldern finanziert wird. Die Terrorismusgefahren sind leider auch hausgemacht!
Ich bleibe der Nato gegenüber äußerst skeptisch. Sie hätte sich mit dem Ende des Kalten Kriegs auflösen müssen, um die Strukturen der UNO zu stärken. Das Gegenteil war aber der Fall. 1989 hatten die Amerikaner Gorbatschow versprochen, die Nato um keinen Zentimeter nach Osten zu erweitern: Das war eine wichtige Bedingung, um der deutschen Wiedervereinigung zuzustimmen. Gorbatschow plädierte für ein ‚Gemeinsames Haus Europas‘, aber sicher nicht unter der Obhut der Nato/USA. Heute ist er schwer enttäuscht, auch von den Deutschen.
Wir sollen Putin und Russland kritisieren, weil es dort keine Demokratie gibt (genauso wie in Italien übrigens). Doch: Wie viel Verantwortung tragen wir an dieser Entwicklung? Wie können wir diese schweren Fehler wieder gut machen?“

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6 Kommentare zu “Wir brauchen eine "Wahrheitskommission Kalter Krieg"

  1. Was Davide Brocchi zur Nato schreibt, hat mich sehr nachdenklich gestimmt und ich habe mich im Rahmen meiner Möglichkeiten ein wenig sachkundig gemacht. Es ist ja erschreckend, was alles hinter dem Rücken unserer Demokratie geschieht. So informiert kann ja gar kein normaler Bürger sein, um ein demokratisches System wirklich aufrechtzuerhalten. Gut, dass dieses Thema hier mal angeschnitten wurde. Transparenz ist gefordert und Öffentlichkeit ist wichtig, um diese geheimen Organisationen ins Bewusstsein zu rücken und ihnen ernsthaft auf die Finger zu schauen. Das „Celler Loch“ ist vielleicht noch harmlos gegen das, was ich zum Stichwort Gladio/stay behind gefunden habe. Muss nicht stimmen, fand ich bei Wikipedia, aber es stimmt mich doch sehr, sehr nachdenklich. Vielleicht recherchiert die FR hier mal verstärkt nach. Kritischer Journalismus ist in diesen Zeiten mehr gefragt, denn je. Wir sollten nicht nur auf die Wirtschaftskrise schauen und und damit unsere demokratischen Blicke vernebeln.

  2. Tatsächlich wäre es nicht schlecht nach vielen Jahren rechtsverbindlich über das damalige Treiben aufgeklärt zu werden. Unmengen an militärischen Kampfmitteln, Schusswaffen und Munition wurden an überwiegend rechte Gruppierungen verteilt. Ein geringer Anteil dieses Materials konnte mittlerweile sichergestellt werden, Das Meiste bleibt dem Zugriff der deutschen Behörden entzogen!

    Leider werden die Partikualinteressen der NATO höher eingschätzt als das GG, ansonsten hätten die entsprechenden „Zusatzverträge“ längst veröffentlich gehört um eine ehrhebliche Gefhar a la Bologna-Anschlag vermeiden zu können.

    Gruß Karl

  3. @ Karl

    Das damalige Treiben ist das eine. Mich interessiert vor allem, was heute getrieben wird, vorbei am öffentlichen Bewusstsein und an der Demokratie. Ich selber habe nicht die Möglichkeiten und Fähigkeiten hinter die Kulissen zu schauen. Ein guter Journalist kann das vielleicht schon eher. Und ich hoffe, dass er in Deutschland dafür nicht mit dem Leben bezahlen muss, wie in Russland.

  4. @ I. Werner

    Da sich an den entsprechenden NATO-Absprachen wohl nicht geändert hat bleibt zu klären wie die alten Kanäle Heute genutzt werden. Es widerspricht jeder Lebenserfahrung das solche unkontrollierbaren Einflussmöglichkeiten brachliegen. Wer solche Sachverhalte untersucht hat sehr wahrscheinlich ein erhöhtes Herzinfarktrisiko. Grundsätzlich müsste soetwas Gegegenstand von Ermittlungsverfahren sein.

    Und zu dem was heute getrieben wird:

    Achten Sie einmal auf gelegentliche Pressemeldungen in denen die Sicherstellung tatsächlicher Kriegswaffenarsenale erwähnt wird. Das, genau wie so manche unerklärliche Detonation, sind auch rezente Auswirkungen der damals angelegten Strukturen. Als vordergründige Erklärung dient meist das „Treiben rechter Waffennarren“ was de facto auch stimmt, nur wird so vermieden über Hintergründe nachzudenken.
    Auch ein Ansatzpunkt wäre mal nachzusehen was für Personen die NATO-Schule in Sonthofen so trainiert…

    Gruß Karl

  5. Anfürsich muß man Davide Brocchi zustimmen. Man weiß viel zu wenig über die Machenschaften der Nato im Kalten Krieg.

    Ganz markant sind mir folgende Dinge im Gedächtnis haften geblieben:

    1. Die Russen kommen.
    Die Russen sind fast tagtäglich zu uns unterwegs gewesen.

    2. Hochverrat an Helmut Schmidt

    Das heutige Bündnis Nato ist für mich sowieso sehr seltsam. Die Rolle der Amerikaner im Kosovo eine sehr fragwürdige Geschichte. Was den Einsatz neuer Waffen angeht – Testbetrieb – erst recht.
    Die Rolle der Bundeswehr innerhalb der Nato-Struktur sehr fragwürdig. Ich kann mich nicht hinstellen, dem Volk erklären, die Verteidigung fängt am Hindukusch an, und wenn unseren Nachbarn, Freunde, Bündnispartner, der Hintern weggeschossen wird (im Süden) mich hinstellen und sagen: Wir überlegen, ob wir ein Flugzeug zur Aufklärung schicken. Wenn ich General der Niederlande gewesen wäre, hätte ich dem Struck gesagt, behalte mal deine Soldaten, deine maroden Flugzeuge (müssen drei hinschicken, weil immer zwei kaputt sind, fliegendes Ersatzteilager). Struck soll aber nicht glauben, die Niederlande kommen aus der Deckung, wenn DE abgeschossen wird.

    Unsere Soldaten kriegen nur Schrott mit. Es gab ja mal die Satire, daß Tschibo im Hindukusch kleine Lädchen aufmacht, damit DE-Soldaten dort Nachtsichtbrillen und anderes wichtiges Zubehör kaufen können – billiger als DE-Wehrführung besorgen kann.

    Ich frage mich heute oft, mit was die Nato damals die Russen hätten aufhalten wollen? In Afrika bekommen DE-Soldaten die Hütte/den Auftrag mit maroden DDR-Panzern weggeschossen. Der Auftrag lautet, die Menschen schützen… mit was dann? Mit einem Schiff draußen auf dem Atlantik? Da schwimmt Afrika nicht hin, um das Schiffchen zu versenken. Genauso die Geschichte mit Israel. Ganz doll winken, wir sind bereit, dann Schiffchen hinschicken und ganz weit außerhalb der Reichweite der Raketen bleiben. Und weil in der Ostsee nicht mal mehr ein Finnwal sich verirrt, hat unsere Marine keine Erfahrung, was das bedeutet „Raketen“ vor der Nase zu haben. Sinngemäß haben sie es dann so erklärt.

    Deutsche sind für den Aufbau gut, aber bei allem anderen sollten sie die Finger unten lassen, am besten gleich aus der Nato austreten, in den Aufbauverein der UNO eintreten. Da brauchen auch die Niederländer keine Anfrage loszuschicken, ob DE ihnen helfen kann… Sind die Fronten geklärt.

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