Die Schlichtung in Stuttgart ist abgeschlossen, Schlichter Heiner Geißler bekam für seine Gesprächsführung viel Lob. Sein Schlichterspruch: Die Bahn muss einen Leistungsnachweis für S 21 beibringen und zusätzlich Gleise und Tunnel planen, falls das bisherige Konzept sich im Stresstest nicht bewährt; beim barrierefreien Zugang zum Tiefbahnhof und bei Fluchtwegen muss nachgebessert werden; die frei werdenden oberirdischen Flächen sollen durch eine Stiftung vor Immobilienspekulation geschützt werden; die Bäume des Schlossgartens sollen umgepflanzt werden; es gibt keinen Baustopp. Der Schlichterspruch ist nicht bindend, wird aber anscheinend von den Befürwortern akzeptiert. Die Gegner sind enttäuscht und demonstrieren bereits wieder. Sie hatten mit ihrem Konzept K 21 (K für Kopfbahnhof) eine Alternative vorgelegt, die die Leistungsfähigkeit des Stuttgarter Verkehrsknotens ebenfalls erhöht hätte, aber deutlich billiger zu haben gewesen wäre.
Über die Mehrkosten, die der Schlichterspruch verursacht, wird bereits heftig gestritten. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer geht von einer halben Milliarde aus, der Spitzenkandidat der Grünen, Winfried Kretschmann, sagte, es könne bis zu einer Milliarde mehr werden. Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner dagegen meint, rund 150 zusätzliche Millionen würden reichen. Bahnchef Rüdiger Grube geht davon aus, die Kostenobergrenze von 4,526 Milliarden Euro auch nach den geforderten Verbesserungen des Schlichters einhalten zu können. Die Diskrepanz hängt daran, ob zusätzliche Gleise und eine weitere Tunnelröhre nötig werden. Das wird der Stresstest erweisen, der Mitte nächsten Jahres fertig sein soll: Dabei wird der Verkehr im Tiefbahnhof im Computer simuliert. Besorgt wird dieser Stresstest von einer Schweizer Firma, die auf Fahrplanerstellung spezialisiert ist.
Stuttgart 21 wird also nicht mehr aufzuhalten sein. Bleibt noch die Frage, ob das Schlichterverfahren selbst nun einen Markstein in der Entwicklung der deutschen Demokratie darstellt oder ob es sich eher um eine Alibi-Veranstaltung handelte. Das Zauberwort ist „Bürgerbeteiligung“. Während der Schlichtung war viel vom „Schweizer Modell“ die Rede. Die Schweizer hatten zuletzt das „Ausschaffungsgesetz“ in einer Volksabstimmung angenommen und sich damit möglicherweise in Konflikt mit der europäischen Menschenrechtskonvention gebracht. Im Fall NEAT dagegen hatte sich das Schweizer Modell bestens bewährt: In mehreren Abstimmungen hatten sich die Schweizer mit dem gigantischen Tunnelbau durch das Gotthard-Massiv auseinandergesetzt und es letztlich befürwortet.
Geht sowas auch in Deutschland? Die Regierung scheint nicht dieser Ansicht zu sein, denn es gibt keine einzige Initiative ihrerseits für mehr Bürgerbeteiligung. Das wesentliche Problem der Mitsprache der Bürger an Großprojekten ist die Frage: Wer darf eigentlich mitsprechen? Wenn es um den Stuttgarter Hauptbahnhof geht, nur die Stuttgarter? Alle, die irgendwie von der Bahntrasse betroffen sind? Alle Baden-Württemberger? Oder wenn es um die Berliner Flugrouten geht: Alle Berliner? Nur die in betroffenen Stadtteilen? Die Anlieger des Flughafens? Und wie lassen sich die Ergebnisse solcher Befragungen verschränken mit den Rechten und Pflichten kommunaler Parlamente oder eines Landtages und der dazugehörigen Exekutiven? Der deutsche Föderalismus scheint mehr Bürgerbeteiligung im Weg zu sein.
Peter Kuhn aus Hemsbach meint zum Schlichterspruch:
„Normalerweise ersetzt man einen Gegenstand, wenn er seine Aufgabe nicht mehr befriedigend erfüllt. Dies ist im Fall Bahnhof Stuttgart nicht so. Ein bis heute funktionierender Bahnhof soll weg, weil man das riesige Gleisvorfeld ohne direkte Not anderweitig verwenden möchte. Dies ist die ursprüngliche Ausgangslage, nicht die Qualität des jetzigen Bahnhofs. Man kann davon ausgehen, dass es bei der Erfüllung des mit hohen weiteren Kosten und anderen Problemen verbundenen Schlichterspruchs nun bald zu heftigen Tricksereien der Befürworter und ebenso heftigen Gegenreaktionen der Gegner kommen wird. Dies alles ließe sich vermeiden, wenn man ohne Rücksicht auf bisherige Verluste und/oder Pseudo-Verluste einen Schlussstrich ziehen würde und alles bei dem beließ, wie es jetzt ist. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Die
Stadt Stuttgart wird trotzdem nicht abgehängt, das Land Baden-Württemberg wird weiterhin gedeihen und vorankommen und die Bahn wird wieder freie Mittel haben, um den Service für ihre Kunden in vieler Hinsicht zu optimieren.“
Wolfgang Lackinger aus Frankfurt:
„Der Schlichter hat für dieses „Jahrhundertprojekt“ nach 15 Jahren Planungszeit den fehlenden Nachweis der Leistungsfähigkeit, schwerwiegende Sicherheitsmängel sowie unklare finanzielle Risiken attestiert. Dies kann man für die im Schlichtungsverfahren teilweise arrogant aufgetretene Befürworterseite nur als Fiasko bezeichnen. Ob die von Geißler vorgeschlagenen Nachbesserungen wirklich diese gravieren Mängel beheben können, steht in den Sternen und muss kritisch betrachtet werden. Deshalb sollte in dieser Angelegenheit der Bürger im „Ländle“ das letzte Wort haben, zumal für von der Gegnerseite geschätzten Kosten für zusätzliche Investitionen in H.v. 500 Millionen € wegen der Mischfinanzierung ja auch das Land Baden-Württemberg zum Teil aufkommen müsste.“
Arnold Dietz aus San Fulgencio (E):
„Ob das, für das Heiner Geißler so gefeiert wird, eine Fortentwicklung unserer versteinerten Demokratie ist, wage ich zu bezweifeln.
Obwohl die Gegner kristallklar herausgearbeitet haben, dass Stuttgart 21 den Stresstest nicht bestehen kann, hat Heiner Geißler diesen Test ohne einen verbindlichen Termin gefordert. Die Bahn sagt heute, dass man im Sommer 2011 fertig sei, es kann aber ohne Weiteres auch Ende 2012 sein. Da Geißler keinen Baustopp gefordert hat, bis es sich herausstellt, ob Stuttgart 21 die Bauerweiterungen braucht oder nicht, kann die Bahn munter weiterbauen und unumkehrbare Fakten schaffen. Da es weiterhin keinen einzigen Fall gibt, in dem die Kosten bei einem öffentlichen Mammutprojekt eigehalten worden sind, werden wir am Ende mit etwa 7 Milliarden rechnen können, eine Summe weit jenseits der Wirtschaftlichkeitsgrenze.
Heiner Geißler hat also als alter Fuchs nur so getan, als ob er hier einen Faktencheck in Augenhöhe veranlasst hätte. Das hat er so gut gemacht, dass die ganze Republik mit Stolz auf ihr Heinerle schaut. Ein Blick in den Bundestag genügte, um zu sehen, wie sich die Abgeordneten von CDU/CSU nach dem Schlichterspruch auf die Schenkel klopften. Das Gesicht von Herrn Gruber bei seinem Interview nach dem Schlichterspruch sprach Bände.
Herr Geißler saß heute in „Hart aber fair“ und wurde von dem neuen Focus-Chefredakteur als der gabenbringende Nikolaus der Politik tituliert, als Erfinder einer neuen Art der Politik des 21. Jahhunderts. Er saß da, unser Bundesheinerle und war von sich selbst ebenso überwältigt, wie damals der Guido nach der Bundestagswahl.“
Rudolf Wenz aus Steinbach:
„Stuttgart kann international durch einen Durchgangsbahnhof aufgewertet werden. Aber braucht man dazu ein Tunnel unter der Stadt? Frankfurt/Main hat ähnliche Verkehrsströme wie Stuttgart. Aber die Frankfurter haben eine Lösung gefunden, welche ihre Region aufwertet. Hier bündelte man die internationalen Verkehre von Straße, Schiene und Luft am Flughafen. Der neue Fernbahnhof optimierte die Durchlässigkeit der Verkehre und machte so den Flughafen zum Frankfurter Tor in die Welt. Das AirrailCenter und viele andere Firmen in der Flughafengegend zeigen, daß dieses Konzept aufgeht. Nicht mehr genutzte Bahnflächen in der Innenstadt schufen Platz für attraktive Flächen in der Stadt und der neu renovierte Kopfbahnhof bleibt wo und wie er war. Und wie früher ist der Flughafen und die Stadt durch Schiene und Straße gut erreichbar. Ein ähnlich schlüssiges Konzept für Stuttgart fehlt auch nach der Schlichtung.“
Es sieht wohl so aus, als ob die Schlichtung bei Stuttgart 21 keine Kostenersparnis zur Folge hat, sondern wieder mal Mehrausgaben in Höhe von 1 Milliarde Euro. Die Schlichtung ist rum und der einzigste Gewinner ist wohl Heiner Geissler. Auch Geißlers Schlusswort hat nicht für Ruhe in Stuttgart gesorgt. Schnell haben Gegner und Befürworter von Stuttgart 21 ihre Reihen wieder geschlossen, und auch die Streitfragen sind die alten die Kosten zum Beispiel. Was hat es also gebracht, ich glaube gar nix, nur eine Beschädigung der Demokratie. Wenn sich schon die Grünen wieder dagegen aussprechen, frage ich mich, warum sie die Schlichtung überhaupt mitgemacht haben. Das sind so richtige Politiker geworden. Für mich auch nicht mehr wählbar.
Daß der Schlichterspruch zu Gunsten von Stuttgart 21 ausfiel mit der
Begründung, die Planungen seien schon so weit fortgeschritten und der
Kopfbahnhof „K21“ müsse ganz von vorn anfangen, wirkt wie eine Bestrafung
der Projektgegner. Sie aber zu bestrafen, nachdem sie seit dem Anfang vor 15 Jahren nicht angehört worden sind, ihre Vorschläge beiseitegewischt worden sind, ist zynisch!
In den Medien wird jetzt die Meinung vertreten, große Projekte müßten von
Anfang an besser erklärt werden. Danke! Glaubt etwa jemand, das tumbe Volk
würde sich schon überzeugen lassen, wenn man wieder und wieder ganz langsam, damit es auch der Letzte versteht, dieselben Halbwahrheiten und
Falschdarstellungen herunterbetet? Wir haben vor 15 Jahren schon nach
Bemerken der ersten offensichtlichen Schwachstellen nachgeforscht und haben gesehen, wo überall geschönt dargestellt und schöngerechnet worden war. Das Bündnis der Projektgegner hat schon sehr früh Gegenvorschläge gemacht. Nicht dem Volk mußte etwas erklärt werden, sondern umgekehrt hätten die Projektbefürworter zulassen müssen, sich die Gegenvorschläge erklären zu lassen. Sie haben sich als extrem beratungsresistent erwiesen.
Mehr direkte Demokratie ist zu befürworten. Ob die Schlichtung das war,da habe ich meine Zweifel. Einige Wochen zu debatieren und dann mit der Begründung das die eine Alternative schon weiter fortgeschritten ist sich dafür zu entscheiden ist schon etwas dünn.
Auch Geißler ist eben CDU-Mitglied.
Geißler fand ich bei der Schlichtung großartig. Er hat sich fair verhalten und nur die Sachargumente gelten lassen. Ich habe die einzelnen Debatten mit großem Interesse verfolgt. Das Entscheidende ist ja, dass sich nun die Bevölkerung ein Urteil bilden kann, da alle Fakten auf den Tisch kamen und erschöpfend diskutiert wurden. Was will man mehr?
Mir gehen die Dauer-Nörgler langsam echt auf den Nerv!