Nichts darf für den Karikaturisten tabu sein
Was darf Satire? Offensichtlich ist es nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ nötig, dass wir uns einer Tatsache erneut versichern: Die Meinungsfreiheit ist ein unveräußerliches Menschenrecht. Sie ist Grundvoraussetzung für die Pressefreiheit und die Freiheit der Kunst. Die Satire als Literatur- und Kunstform ist also grundsätzlich frei. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in mehreren Urteilen (1982, 1994 und 1995), in denen es um den Tucholsky-Satz „Soldaten sind Mörder“ ging, uneingeschränkt zugunsten der Meinungsfreiheit geurteilt. Damit ist nichts darüber gesagt, ob dieser Satz gute oder schlechte Satire ist, ob er lustig oder dumm ist — er darf frei geäußert werden. Darauf allein kommt es an. Die Grenzen dessen, was Satire darf, sind also sehr weit gesteckt. Übertragen auf „Charlie Hebdo“ bedeutet das: Egal ob man deren Satire gut oder schlecht findet — sie darf so geäußert werden. Ob Satire unbedingt so gemacht werden muss, das steht auf einem anderen Blatt. Der Streit darüber wird im Zweifelsfall vermutlich eher ein Streit über unterschiedliche Geschmäcker und Toleranzbereiche sein. Dass darüber gestritten werden kann und soll, ist in meinen Augen jedenfalls ein dickes Plus für solche provozierenden Zeichnungen, denn Debatten sind immer gut.
Ich persönlich schätze feinere Formen der Satire, aber ich halte es mit Voltaire, der an dieser Stelle natürlich wieder einmal zitiert werden muss, auch wenn das ein wenig platt wirkt: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“ Grenzen findet Satire dort, wo sie zur persönlichen Beleidigung und / oder zur Volksverhetzung wird wie z.B. im Fall der antisemitischen Karikaturen des „Stürmer“. Diese Fälle sind in Deutschland wie in Frankreich mit Gesetzen geregelt; erst kürzlich etwa wurde in Frankreich der „Komiker“ Dieudonné wegen Terror-Verherrlichung und antisemitischer Äußerungen verhaftet. Aber die Grenzen sind weit gesteckt und geben der Satire damit die Möglichkeit, jederzeit mehr oder weniger fröhlich wider den Stachel zu löcken.
Und was ist mit der Beleidigung religiöser Gefühle? „Charlie Hebdo“ hatte beispielsweise eine Zeichnung veröffentlicht, in der der Gottessohn Gottvater anal penetriert, was beiden offenkundig gefällt, während ihm gleichzeitig der Heilige Geist hinten reinfährt. Ich für mein Teil kann über solche Respektlosigkeiten herzlich lachen. Andere Zeitgenossen wie die Leserbriefautor Georg Meusel oder Heide Reinhardt — siehe unten — verziehen das Gesicht und sagen: Man sollte unangetastet lassen, was anderen Menschen heilig ist. So, sollte man das? Bei „Charlie Hebdo“ gilt die redaktionelle Linie: Keinesfalls sollte man das! Dort werden religiöse Gefühle auf Teufel komm raus verletzt. Christen und Juden haben gelernt, mit dergleichen umzugehen und beispielsweise mit juristischen Mitteln dagegen vorzugehen, wenn sie es nicht mehr aushalten. Im Zweifelsfall lassen sich solche Karikaturen auch ganz wunderbar ignorieren. Muslime müssen das vielfach noch lernen.
Religiöse Gefühle sind eigentlich ein Witz
Ich möchte niemanden beleidigen, aber die Sache mit der Beleidigung religiöser Gefühle ist doch eigentlich ein Witz. Die Meinungsfreiheit ist ein durch und durch säkularer Wert, der in der Aufklärung gegen die Religionen und ihre Deutungshoheit über die Welt erstritten wurde — doch immer noch fordern Christen ihre Einschränkung, weil angeblich religiöse Gefühle beleidigt werden? Da bekomme ich den Eindruck, dass immer noch keine endgültige Klarheit über die Wertebasis des „Abendlandes“ besteht. Deutschland ist ein säkulares Land, in dem die Trennung von Staat und Kirche weitgehend (nicht vollständig) vollzogen ist. Es gibt zwar einen Blasphemie-Paragraphen (den die CSU kürzlich lächerlicherweise verschärfen lassen wollte), der aber nicht auf die Gotteslästerung selbst abhebt, sondern auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Es gibt sogar einen Gottesbezug im Grundgesetz, aber das Grundgesetz ist keineswegs im Namen Gottes erlassen. Welchen Gottes übrigens?
Religiöse Gefühle? Ich bekomme jedesmal „religiöse Gefühle“, wenn Kirchen mich die Reste ihrer einstigen Deutungshoheit spüren lassen, z.B. mit Glockengeläut am Sonntagmorgen. Ich stoße überall in diesem Land auf Relikte aus früheren Zeiten, auf Kirchen, die ich durchaus schätze — als Kunstwerke und Denkmäler. Als Kunstwerke wegen ihrer Architektur, der Bildhauerkunst, wegen ihrer oft wundervollen alten Glasfenster. Als Denkmäler, weil sie von Zeiten erzählen, in denen im Namen des Herrn unsägliches Leid verübt wurde. Ich rede nicht nur von Kreuzzügen, Judenpogromen, Inquisition und Hexenverbrennungen; das liegt lange zurück. Ich rede vor allem von der Anmaßung, im Besitz der allein glückselig machenden Weisheit zu sein. Noch heute beanspruchen die Kirchen als selbsternannte moralische Instanzen das Recht für sich, Debatten eine Richtung geben zu dürfen. Die Sache mit dem Alleinvertretungsanspruch hängen sie inzwischen ein bisschen tiefer. Dennoch diskriminiert die katholische Kirche bis heute Frauen, Geschiedene und Homosexuelle. Die evangelische Kirche ist hier zwar weiter, aber wenn man verfolgt hat, was in der EKD rund um das Orientierungspapier „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ los war, konnte man Zweifel an der Vernunftbegabtheit des Menschen bekommen.
Religiöse Gefühle? Damen und Herren, das bisschen an Satire über Religion, was in Deutschland existiert, würde fast schon eine Aufnahme in das UNO-Artenschutzprogramm rechtfertigen! Bitte viel, viel mehr davon!
Wo wir gerade bei Voltaire waren: Hier kommt der Leserbrief von Georg Meusel aus Werdau, der mehrere Erwiderungen nach sich zog, so dass ich diese Debatte nun auch hier aufmache. Georg Meusel schreibt:
„Das islamistische Gemetzel von Paris ist durch nichts zu rechtfertigen und schadet niemandem mehr als den Muslimen, die die Mörder vorgeben zu vertreten. Ich meine jedoch, auch eine Satirezeitschrift sollte sich Tabus auferlegen, die mit Menschenwürde zu tun haben. Ich kenne die Mohammed-angreifenden Karikaturen von „Charlie“ nicht. Doch ich habe eine Seite der Zeitschrift gesehen, auf der die kirchliche Dreieinigkeit von Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist als homosexuelle Inzest-Szene von Großvater, Sohn und Enkel dargestellt ist. Da hört für mich Pressefreiheit auf. Ich sehe einen Unterschied darin, ob eine Satire das Fehlverhalten eines Papstes oder eines Bischofs oder die Auswüchse einer fundamentalistischen religiösen Gruppierung aufgreift oder ob sie einen religiösen Glauben herabwürdigt, bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Laut deutschem Grundgesetz jedenfalls ist die Würde des Menschen unantastbar, und dazu gehört sein Glauben, seine weltanschauliche Identität. Falls „Charlie“ bezüglich Allah oder Mohammed so weit gegangen ist wie mit dem christlichen Gott, sehe ich die Menschenwürde der Muslime verletzt. Peter Scholl-Latour schildert in seinem letzten Buch „Der Fluch der bösen Tat. Das Scheitern des Westens im Nahen Osten“ eindringlich, wie der Westen in muslimischen Ländern durch nationale Arroganz und Einmischung, Herabwürdigung des Islam und dessen Glaubensanhängern, durch Rassismus, Pornografie und sexuelle Freizügigkeit, durch wirtschaftliche Ausbeutung und Rohstoffraub Terrorismus, Islamismus einschließlich Taliban, Al-Kaida usw. gefördert hat. Aus dieser Perspektive kann auch das Massaker von Paris als Fluch der bösen Tat gesehen werden. Es ist höchste Zeit, dass das so genannte Christliche Abendland dem Morgenland, aus dem die Drei Weisen kamen, mit Achtung, Würde und gerechtem Welthandel begegnet.“
Heide Reinhardt aus Maintal stimmt zu:
„Den Inhalten des Leserbriefes von Georg Meusel am Wochenende stimme ich voll zu. Natürlich ist Meinungsfreiheit ein ganz hohes Gut, das es zu verteidigen gilt – gegen jede Art von staatlicher oder institutioneller Zensur etwa. Aber welchen Verlust an Freiheit würde es für uns bedeuten, wenn wir auf Mohammed-Karikaturen z.B. verzichteten? Auch wenn man selbst keiner Kirche oder Sekte angehört, sollte man das, was anderen Menschen heilig ist, unangetastet lassen. Satire sollte da Halt machen, wo die wichtigsten Werte eines Menschen betroffen sind. Das hat für mein Verständnis mit Verantwortung und mit der Achtung vor anderen Menschen zu tun und nicht mit einem Einknicken vor Radikalen aus Kirchen, Synagogen oder Moscheen.“
Ebenso Hans Oette aus Neuenstadt:
„Vielen Dank dem Leserbrief-Schreiber Meusel. Der Text enthält Wahrheit im weitesten Sinn. Dazu gehört auch Ausgewogenheit. Und es müssen die historischen und politischen Zusammenhänge gezeigt werden. Man könnte das Höhe oder Niveau nennen. Die akute Gefahr geht nicht nur vom radikalen Islam aus. In einer Zeitung wurde der Verdacht geäußert, dass die Attentäter von Paris Anweisungen und Geld von Staaten erhielten, deren Geheimdienste auch den „Islamischen Staat“ und früher die Taliban (gegen Russland) aufrüsteten. Von Staaten, die alles stört, was links von Ihnen ist und ihre Vormacht gefährdet. Auch „Charlie Hebdo“ ist links, also kapitalismuskritisch. Könnten die Ermordeten noch reden, würden sie vielleicht sagen: Redet nicht so viel über unseren Tod. Versucht lieber, der Stadt Kobane gegen die Eroberung durch den „Islamischen Staat“ zu helfen und zu verhindern, dass weiterhin unzählige Armuts- und Bürgerkriegsflüchtlinge sterben.“
Edmund Dörrhöfer aus Flörsheim hingegen:
„In ihrem Leserbrief stimmte Heide Reinhardt dem Leserbrief von Georg Meusel zu. Bei Karikaturen, die mit dem (religiösen) Glauben zu tun haben, endet für beide die Meinungs- und Pressefreiheit. Sorry, aber dies ist albern. Nichts (!) darf für den Karikaturisten tabu sein. Wer eine Ausnahme macht, der öffnet die Büchse der Pandora. Nach Mohammed folgen Burka-Trägerinnen, islamistische Selbstmordattentäter und gleich danach die römisch-katholische Kirche. Und warum soll man andere Nationen ungestraft in einer Karikatur „veralbern“ dürfen? Und warum Minderheiten? Nein, soviel Freiheit muss sein. Da lobe ich mir den Leserbrief von Mohammad Dawood Majoka: „Sitzet nicht bei ihnen (den Spöttern) bis sie zu einem anderen Gespräch übergehen …“. Es liegt bei jedem selbst, ob er sich mit solchen Karikaturen abgibt oder nicht. Jeder kann solche Karikaturen als Schund, Dreck oder Abartigkeit bezeichnen. Aber die freie Meinungsäußerung soll unantastbar bleiben.“
Was mir auffällt:
a. „Religiöse Gefühle“ sind nicht unantastbar. Sie taugen nicht als letztes Argument. Sie sind sogar ein Widerspruch in sich.
b. Eine „Kultur des Wegsehens“ zu fordern ist das völlige Gegenteil jeder satirischen Auseinandersetzung. Wer eine solche fordert, der kann ebenso eine „Kultur des Nichtvorzeigens“ fordern.
c. Auch die Einschränkung der freien Wahrnehmung kann eine Grundrechtsverletzung sein. Niemand ist verpflichtet, Meinungsäusserungen anderer wahrzunehmen. Aufgedrängte Bilder sind auch ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und manchmal auch auf die körperliche Unversehrtheit. Dort, wo der Mensch sich nicht mehr vor Bildern schützen kann, ist dies der Fall.
d. In der gesamten Debatte fehlt Betonung der und die Rücksichtnahme auf demokratische Gefühle.
Nichts darf für den Karikaturisten tabu sein ja, das ist nach meiner Meinung so und soll auch so bleiben. Eine Karikatur ist eine überspitze Darstellung. So wird es übrigens an allen Schulformen auch heute noch gelehrt. Es bleibt dem Betrachter überlassen, des Pudels Kern zu erkennen und zu entscheiden, ob die Stilisierung angemessen war oder nicht. Der Karikaturist bedient sich dieses Mittel, um den Finger in eine Wunde zu legen. Um eine Sache ins Bewußtsein zu rücken, die ansonsten in breiten Kreisen der angesprochenen Leserschaft eher untergeht. Im Mittelalter hatte der Gaukler, der Hofnarr eine ähnliche Funktion. Er konnte, in kunstvolle Lieder Gedichte verkleidet, der Obrigkeit Beschwerden vortragen, auf Mißstände hinweisen. Lustig, verspottend und immer mit dem Hals in der Schlinge. Die Wahrheit schmeckt nicht jedem Und ist trotzdem wichtig.
Das genannte Beispiel der dargestellten Dreifaltigkeit ist heftig, läßt mich eher schmunzeln, spontan an die technische Machbarkeit und dann an die auch recht rüden Darstellungen im Simplicissimus denken. Auch eine Kunstform, Mißstände überspitzt anzuprangern. Satire.
Ich denke, die katholische Kirche, der ich auch nicht nur als Mitläufer sondern sehr wohldurchdacht, angehöre, hat im Laufe ihrer Geschichte so viele Wandlungen im Erscheinungsbild erlebt. So viele Konzile haben Neues verkündet, sich für Altes verkündetes entschuldigt, haben Dogmen gebrochen und aufgebaut. Diese Kirche ist lebendig und Karikaturen können ihr nur helfen lebendig zu bleiben. Gott als solches hat ein müdes Arschrunzeln für solche Bilder oder Diskussionen.
Zu den Muslimen kann ich nur sagen, Ihr dürft oder sollt euch kein Bild machen. Ihr, hallo ihr, nicht wir, sollt euren Gott nicht verspotten oder sonst noch was. Wenn es denn wirklich so im Koran steht Daran sind aber nicht alle anderen gebunden. Eure Religiosität kann nicht die Meinungsfreiheit anderer Menschen beeinträchtigen. Die Verdikte einer Religion, egal welcher, können und dürfen nicht die Gesamtheit der Menschheit daran hindern, sich über entsprechende Themen aus zu lassen. Ich akzeptiere jeden, der seinen Glauben privat lebt, aber übertrage dieses Leben nicht in das Privat- und schon gar nicht in das Alltagsleben deiner Mitmenschen.
Satire?
Da Müller dafür bekannt sind, ihren Profit nicht nur aus der Bezahlung ihrer Leistung, sondern auch aus dem Abzweigen von Mehl- und Getreidemengen zu erwirtschaften, liegt ein Mißtrauen gegen Müller sehr nahe. Es ist nicht bekannt, ob heute lebende Namensvettern sich von dieser Praxis losgesagt haben, insofern muß man unterstellen, so lehrt es die Erfahrung, daß Müller, so geheißen, sich moderner Methoden bedienen, ihre Kunden über’s Ohr zu hauen. Ersetzt man „Getreide“ durch „Ressourcen“, „Mehl“ durch „Endprodukt“, kann man vermuten, daß heutige Müller sowohl am Anfang, als auch am Ende der Produktionskette ihren Eigennutz klug in die Tat umsetzen, indem sie vorne und hinten betrügen. Beispiele ließen sich finden.
Nun will man den Müllern nicht pauschal solches unterstellen, aber „Nomen est Omen“, und schließlich behalten sie ihren Namen ja freiwillig. Ein gewisses Einverständnis zu Traditionen kann da nicht geleugnet werden und letztlich ist in Deutschland ja niemand gezwungen, Müller geheißen zu bleiben…
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Liebe Andrea Müller, ist nicht böse gemeint, nur ein Beispiel von Satire schlechten Stils.
Es wird halt nicht immer ein Schuh draus, wenn man etas herumdreht!
Die scheußlichen Terror-Morde von Paris, terroristische Attentate und Morde überhaupt und irgendwo in der Welt, sind durch nichts zu rechtfertigen und schon gar nicht durch religiöse Bezüge bzw. „Zwänge“. Menschenverachtung widerspricht dem Kern jedweder Weltreligion, ob Christentum oder Islam, Judentum oder Buddhismus. Wer im Namen „seiner“ Gottheit, „seines“ Propheten oder in wessen Namen auch immer Menschen umbringt, ist ein hundsgemeiner Mörder und Verbrecher.
Was mich aber an der aufgeregten aktuellen Diskussion irritiert, ist die unsägliche Arroganz, mit der die „christlich-abendländische Kultur“ unreflektiert als Hort von Moral und Menschenwürde den bösartigen Auswüchsen eines radikal-fanatischen Islamismus gegenüber gestellt wird. Als die Bezeichnung „Abendland“ noch offizieller Sprachgebrauch war, wurden im Namen der christlichen Nächstenliebe massenhaft „Ungläubige“ im Morgenland niedergemetzelt, wurden unter der Herrschaft der katholischen Kirche unzählige „Hexen“ bestialisch verbrannt, wurden Aufklärer wie Galilei von der Inquisition liquidiert. Auch heute noch trägt die katholische Moraltheologie in vielfacher Weise zur Missachtung von Menschenwürde und Selbstbestimmung bei. Da kann ein Papst um die halbe Erde jetten und vor noch so vielen Millionen Gläubigen in Manila seinen Hof halten, können die Gralshüter der abendländisch-christlichen Tradition ihre Nasen noch so hoch tragen: Gerade angesichts der mörderischen Auswüchse, die auch zur Tradition des Christentums gehören, würde etwas mehr Demut so manchem Moralapostel gut zu Gesicht stehen.
Übrigens sollten alle, die jetzt lauthals in das das Hohelied von Meinungsfreiheit und Journalisten-Ethos einstimmen, nicht vergessen, dass es grenzenlose Freiheit nicht gibt, dass Freiheit überhaupt nur möglich ist, wenn sie mit Verantwortung gepaart ist. Menschenwürde, auch absonderlich erscheinende religiöse Empfindungen anderer, setzen der freien Meinungsäußerung durchaus Grenzen. Karl Popper schreibt: „Die Freiheit der Bewegung meiner Fäuste endet an der Nasenspitze meines Nachbarn.“
Satire darf alles, aber es gibt eine Grenze. Ich kann nur nicht sagen, wo sie verläuft.
Mit anderen Worten. Satire ist grundsätzlich in der Lage, eine Grenze in jedem Kopf zu erzeugen, die zu übersteigen eben diesem Kopf unmöglich ist. Die Grenze ist nicht prognostizierbar.
Satire darf also nicht alles, weil niemand ausschließen kann, daß Grenzüberschreitungen möglich sind.
Wer die Aussage unterstützt, Satire dürfe alles, hat nur nicht die Vorstellungskraft davon, zu welchen „Grenzüberschreitungen“ Satire fähig ist.
Zugegeben eine schwierige Frage.
Denn der Haupteinwand gegen Satire ist ja immer „Beleidigung“. Was das auch heißen mag. Denn es muss sich jeder die Frage stellen wer beleidigt wurde und wie sich diese Beleidgung denn äußert.
Es kann also beim Bewertungsmaßstab um ethische oder juristische Einschätzungen gehen; die ethischen lasse ich mal außen vor.
Allgemein lassen sich natürliche oder juristische Personen beleidigen. Ein Umstand der an erfüllten oder nicht erfüllten Tatbestandsmerkmalen festgemacht wird.
Da steht jedem mutmaßlich Beleidigten, es ist ein Antragsdelikt, der Rechtsweg offen.
Kompliziert, und peinlich, wird es dagegen wenn „religiöse Gefühle“ als Beleidigungsgegenstand ins Feld geführt werden. Denn damit wird ein „Argument“ kreiert, das nach juristischer Methodik nicht überprüfbar ist, „religiöse Gefühle sind nicht objektivierbar“.
Das bedeutet, hier wird von einer Partei die unüberprüfbare Behauptung erhoben, das ein „Gefühl“ den Status eines unangreifbaren Schutzgutes habe. Das ist natürlich ein vordemokratisch autoritärer Unfug.
Das „Religiöse Gefühl“ dient im Negativen allein dazu, Drohungen mit Gewalt oder einem empfindlichen Nachteil durch die Gefährdung des öffentlichen Friedens zu Rechtfertigen. Und natürlich Sanktionen gegen unliebsame Kritiker zu begründen!
Das „Religiöse Gefühl“ ist kein Rechtfertigungsgrund um die Freiheitsrechte Dritter damit zu beeinflussen, es ist lediglich eine Behauptung die unbeweisbar bleibt. Wer solchen willkürlichen Einlasungen nachgibt, handelt mindestens verfassungsfeindlich. Genau so verfasungsfeindlich wie Menschen die ernsthaft erwarten mit Tatsachenbehaupungen Respekt erlangen zu können, sobald sie sich auf ein unüberprüfbares Feld begeben, oder genügend Symathisanten beibringen die die gleiche Behauptung aufstellen.
Womit wir beim § 166 mit seiner perversen Beweislastumkehr angekommen sind. Einzigartig, da hier nicht der unautorisierte, mit rechtswidirger Gewalt Drohende, sondern der Kritiker mit Strafandrohung bedacht wird….
@ alle
Bronskis Einleitung, wonach „die Satire als Literatur- und Kunstform … grundsätzlich frei“ sei und Grenzen dort findet, „wo sie zur persönlichen Beleidigung und / oder zur Volksverhetzung wird“, ist eigentlich nichts mehr hinzufügen. Im diesem Rahmen müssen Betroffene auch die Verletzung ihrer religiösen Gefühle hinnehmen oder zur Klärung der möglichen Grenzüberschreitung die Justiz bemühen. Diese Zumutung der säkularen, pluralistischen Gesellschaft müssen auch Muslime hinnehmen.
Die andere Seite der Medaille der säkularen, pluralistischen Gesellschaft ist allerdings, dass auch die nicht-muslimische Mehrheit sichtbare Zeichen des Islams wie Moscheen, Minarette oder Kopftuch hinnehmen muss, auch wenn es mancher als Zumutung empfindet. Auch dies gehört zur Freiheit, die wir alle verteidigen wollen.
@ JaM,
stimmt schon; eigentlich könnte man es dabei belassen.
Wenn diese Problematik nicht in erschreckendem Umfang offen legen würde, wie erschreckend vordemokratisch das Rechts- und Staatsverständnis über alle Bevölkerungsgruppen weg „verankert“ ist.
Das erfüllt mich durchaus mit Sorge!
Satire darf alles, was nicht gegen geltendes Recht verstößt. Ob Charlie Hebdo bzw. seine Autoren einen Gesetzesverstoß begangen haben, kann ich nicht beurteilen. Meines Wissens hat niemand gegen sie geklagt. Ich denke, alle „Zustände“, denen wir uns freiwillig aussetzen (Religiosität, Tierfreund, Veganer, Übergewicht, etc.) dürfen durchaus Ziel satirischen Spotts sein. Unfreiwillige „Zustände“ (z. Bsp. eine Behinderung oder Krankheit) dagegen nicht. Wie auch immer, werden vermeintliche Grenzen überschritten, steht der Rechtsweg offen. Aber eben nur der. Eine Reaktion auf als Provokation empfundene Karikaturen, wie in Paris, ist absolut inakzeptabel.
Übrigens hat die deutsche Satirezeitschrift Titanic im Sommer 2012 eine Titelkarikatur veröffentlicht, die Papst Benedikt XVI. mit vollgep… Soutane zeigte („…die undichte Stelle ist gefunden…“). Auch damals wurden Empfindungen religiöser Menschen verletzt. Dennoch sind mir keine eingesetzten Rechtmittel dagegen bekannt. Schon gar nicht ein Angriff auf die Redaktion.
@BvG 🙂 eine gelungene Parabel, . Und endlich mal ein anderer Spruch als “ Alles Müller, oder was“ Ich kann aus den launigen Formulierungen nur leider keinen direkten Absatz zu meiner Argumentationsschiene erkennen. Doch dies kann durchaus an mir liegen. Ist dein Text nicht eher die Wenn….Dann Formulierung. ?
Wenn Uli Hoeneß ein verurteilter Steuerhinterzieher und Fc. Bayern Mitglied ist, dann folgere ich dass alle FC Bayern Mitglieder verurteilte Verbrecher sind? Dieses Niveau hat Satire denn wohl nicht nötig, dann müßte man sich ja tief bücken, um es zu erkennen. Satire kommt meist nicht platt und offensichtlich daher, Die Botschaften sind zwischen den Zeilen verpackt. Vielleicht ist es auch dies, was es manchen Menschen schwer macht, damit um gehen zu können. Bei der Karikatur kommen oft noch Wort und Bild zusammen. Text oder Bild für sich sind meist belanglos, die Schärfe erzeugt erst das Zusammenspiel. Nur ein Blick, wenige Worte hat die Karikatur zur Verfügung, um den Betrachter zum „Hintergucken“ zu verleiten. Auch hier muß dann überspitzt gearbeitet werden. Sonst reicht es nur für einen vielleicht netten Comic. Vielleicht versuche ich es mit noch einer Formulierung. Die Karikatur darf sich jedes Thema vornehmen. Da darf es keine Tabuthemen geben. Dabei hat der Künstler völlig freie Hand bei der Umsetzung seiner Botschaft. Doch auch die moralische Verpflichtung die imaginäre Grenze zu erkennen, wann eine Karikatur, eine Satire ihr Ziel weit verfehlt.
@ napez Doch, doch auch die katholische Kirche hat geklagt, ist wohl nicht durchgekommen und hat diesmal auf Hexenverbrennung und Folter verzichtet. Scheint im Laufe der Jahrhunderte gelernt zu haben.
Liebe Vorkommentatoren, ich tu mich schwer, mit dieser Diskussion – die ausschliesslich von hier lebenden „gebildeten“ , intellektuellen Deutschen bestritten wird. Schade, dass sich kein „gebildeter“ Moslem bisher eingeklinkt hat.
Ich war mir auch nicht sicher, ob ich (m)eine andere – persönlichere – Stellungnahme einbringen soll. Denn, einerseits habe ich mich spontan, bewusst und betroffen gleich nach dem Massaker in die „Wir sind Charlie“-Riege eingereiht, andererseits stellte ich mir aufgrund vieler Stellungnahmen vor allem von hier nicht bekannten Medien und durch Berichte, Telefonate und Gespräche mit in Afrika lebenden Freunden immer mehr Fragen eben zu „was darf Satire“.
Ja, Lutz , ich teile deine Meinung hinsichtlich mancher Karrikaturen. Sie sind nicht „mein Geschmack“, dennoch haben sie ihre Berechtigung hier in unseren „Kulturkreisen“.
A b e r , wo ist die Grenze des Geschmacks, des „Zumutbaren“. Ich bezeichne nicht pauschal alles als „Selbstzensur“, was aufgrund von unvorhersehbaren Ereignissen, ausufernder Gewalt (ob gesteuert oder aus Frust) praktiziert wird. Es hat m.E. auch etwas mit Respekt und Rücksicht zu tun und etwas mit „Verantwortung“. Man denke etwa an das abgesetzte Theaterstück in Paris.
Sicher ernte ich dafür Widerspruch. Aber mir geht es nicht um eine abgehobene Diskussion unter Insidern oder Besserwissern. Mir geht es auch um Betroffenheit. Kurzum, ich habe mit einigen (afrikanischen) Freunden in Niger telefoniert und sehr aufschlussreiche Hintergrundberichte von dort lebenden Europäern gelesen. Die „einfachen“ Nigrer (die ich seit Jahrzehnten kenne) wissen nicht einmal, was Satire ist, haben nie Charlie Hebdo gesehen, sind keine fanatischen (oder fanatisierten) Moslems. Aber notgedrungen haben sie angefangen zu überlegen, warum dieses Ereignis in Paris so einen Einfluss auf ihren Alltag hat. Auch sie spüren noch immer die modernen Folgen der französischen Kolonialzeit. Noch immer werden viele im Alltag von den Franzosen von oben herab behandelt – von Ausnahmen abgesehen. Laut Berichten aus nigrischen Quellen hat sich die Wut vor allem daran entzündet, dass ausgerechnet der nigrische Präsident zur Trauerdemo nach Paris geflogen ist. Das wurde von vielen als Verrat und nicht als Zeichen der Solidarität oder Toleranz gewertet – wer auch immer diese („Ein“-)Sicht gbesteuert hat. Warum in einem Randgebiet der Hauptstadt Niamey neben einer einfachen Grundschule zum Beispiel eine kleine christliche Kirche und dabei auch ein kleiner Pausen-Imbisstand für die Schüler – die Grundlage des Erwerbs einer Freundin – mit abgebrannt wurde, kann sie, meine nigrische Freundin überhaupt nicht verstehen. Es seien aufgestachelte Jugendliche gewesen. „Aber warum? Und wer kommt für den Schaden auf? Die Typen waren nicht von hier. Und die Franzosen, ersetzen sie mir meinen Stand?“, fragt sie mich ironisch.
Ein seit Jahrzehnten dort lebenden, engagierter Wissenschaftler beschreibt das Entsetzen und die Hilflosigkeit der aufgeschlossenen Europäer, die – auch sie – „nous sommes Charlie“ empfunden haben, nun aber mit einer Welle der Gewalt, der Untätigkeit der Regierung und der immer näher rückenden Bedrohung durch Boko Haram konfrontiert sind. Warum wird diese viel realere Bedrohung (als ein paar Mohammed-Karrikaturen) nicht Ernst genommen? Fragen über Fragen.
Ich habe jahrelang in Niger gelebt zu Zeiten, als es noch keine Anzeichen für einen Bürgerkrieg, für Gewalt in Nachbarländern gab. Ich habe mit unseren nigrischen Freunde sämtliche religiösen Feste gefeiert, ausgelassen, mit Musik, Essen, Softdrinks… Religion war nie ein Thema. Toleranz war selbstverständlich. Ich habe auch im Alltag viel Arroganz von Franzosen gegenüber Nigrern beobachtet. Und wenn die Paris-Dakar in Niameys Halt machte, brodelte es unter mancher Oberfläche. Aber insgesamt es war eine friedliche Zeitspanne, in der man sich auch abends frei und ohne Angst überall bewegen konnte…
Als ich vorübergehend wieder dort war, erlebte ich, wie ein junges Mädchen in Jeans am Busbahnhof von jungen Nigrern angepöbelt wurde. „Warum trägst du diese französischen Klamotten?“, warf man ihr vor… Ein kleines Indiz, dass das Kapitel „französische Kolonialzeit“ längst nicht abgehakt war und dass der Einfluss von strengeren Imamen zu wirken begonnen hatte.
Ich erlebe, wie die Kinder dieser Freundinnen, die zu meiner Zeit selbst Kinder waren, in einer anderen „Spannung“ aufwachsen. „Inshallah“ ist bei telefonischen Nachfragen längst ersetzt durch richtige Antworten… In den Schulen (nicht nur in den Koranschulen) spielt Allah längst eine wichtigere Rolle als früher. Diese Kinder sind (noch) naiv und harmlos. Aber wie das Beispiel der Ausbrüche nach den Charlie Hebdo-Karrikaturen zeigt, kann auch da der Funke überspringen. Das macht mir Angst und lässt mich fragen: wo ist die Grenze der Satire – aus der Sicht dieser Menschen, nicht aus unserer hier oben, betrachtet?
@ 11.
Ihre Frage ist nicht zu beantworten. Udn ganz ehrlich es ist mir relativ gleich, wenn andere Staaten ihre gewaltätigen Extremisten nicht unterKontrolle bekommen.
Das wird hier mit den „religös“ Motivierten schon schwer genug werden.
Immerhin hat die Wiederholung solcher Gewaltausbrüche auch abstrakte Vorteile:
-Es ruft in Erinnerung wie dünn die Haut der Zivilisation oft ist.
-Es erinnert daran das nicht alel Extremismusprobleme mit Bildung und guten Worten zu lösen sind.
@Andrea Müller
Ich fand Ihren Beitrag sehr gut, nur der Satz:
„Nichts darf für den Karikaturisten tabu sein ja, das ist nach meiner Meinung so und soll auch so bleiben.“
hat mich herausgefordert.
Es ist sehr einfach für Karikaturisten, keine Tabus zu haben, wenn sie selbst keine Tabus haben. Noch einfacher ist es, Tabus anderer Menschen zu übertreten, wenn man diese nicht versteht.
Man ist dann aber sehr in der Nähe von Haltlosigkeit und hat bald auch kein Thema mehr.
Der mindeste Anspruch, den man an Satire stellen muß ist, daß sie weiß, wovon sie redet und auch weiß, was sie erreichen will und daß sie, vor allem, nicht platt und dumm ist. Wenn Satire bloss zum Zeigen des Stinkefingers taugt oder Unwahrheiten verbreitet, dann ist sie keine mehr.
Es kommt halt immer darauf an, ob man sich selbst auch trifft.
Stellen sie sich folgende Karikatur vor:
Ein Karikaturist sitzt am Schreibtisch und versucht erfolglos, sich den Bleistift in’s Herz zu rammen.
Zwei Kollegen stehen abseits und kommentieren:
„Das versucht er seit Jahren, aber er findet den Spitzer nicht!“
„Oh‘,“, denkt der eine betroffen: „geliehene Sachen soll man ja zurückgeben!!“.
Ziemlich einfach… dieser Kommentar… „die da haben ja nix weit mit uns zu tun… wir sind so weit weg… wie gut… wir sind eh die guten… und klugen…so ist ’s eben… „betroffenheit“ = teilung…’s geht nicht..
@ #7, JaM, #8, Karl Müller
„Bronskis Einleitung, wonach ‚die Satire als Literatur- und Kunstform … grundsätzlich frei‘ sei und Grenzen dort findet, ‚wo sie zur persönlichen Beleidigung und / oder zur Volksverhetzung wird‘, ist eigentlich nichts mehr hinzufügen.“
Diese Äußerung könnte eigentlich den Schluss der Debatte darstellen. Wenn denn die Grundsätze demokratischer Auseinandersetzung von jedermann geteilt würden.
Da dem aber nicht so ist, werden wir uns wohl noch eine Weile streiten müssen. Darüber, was zu verteidigen ist und warum, und vor allem wogegen.
Da ist zunächst die – meist wohlgemeinte -. Einschätzung, dass es sich um einen Wertekonfliks zwischen dem Grundrecht freier Meinungsäußerung einerseits und „religiösem Empfinden“ andererseits handle. Bloß, dass ersteres justiziabel ist, durch demokratisch legitimierte Rechtsprechung Einschränkung erfahren kann, letzteres aber nicht. Schlimmer noch: Es ist undefinierbar, für willkürliche Interpretation offen – und damit (dem Leninschen Spruch vom „Opium fürs Volk“ vielleicht gerade entgegengesetzt) als Aufputschmittel für Massen, im Dienste religiöser „Führer“ oder „Staatslenker“ geradezu prädestiniert. Die von dem tschetschenischen Präsidenten und Putin-Freund Kasyrow inszenierte „spontane“ Empörung der Massen spricht da eine deutliche Sprache.
Und welches Gottes- und Menschenbild steht dahinter?
Andrea Müller hat es in #2 m.E. auf den Punkt gebracht – wenn auch kaum zu erwarten ist, dass gerade diejenigen, die es betrifft, ihrer Aufforderung Folge leisten:
„Zu den Muslimen kann ich nur sagen, Ihr dürft oder sollt euch kein Bild machen. Ihr, hallo ihr, nicht wir, sollt euren Gott nicht verspotten oder sonst noch was.“
Anders ausgedrückt: Natürlich ist es Blasphemie, im Namen eines „allmächtigen Gottes“ zu morden und ihm zu unterstellen, er bzw. sein Prophet gierten nach Rache für die „Beleidigung“ durch ein paar lächerliche Zeichnungen.
Das Darstellungsverbot ist keine rein muslimische Angelegenheit. Auch im Alten Testament heißt es: „Du sollst dir kein Bildnis machen!“ Ein Gebot, das auf die Abwehr von Götzendienst zielt, im Alten Testament symbolhaft dargestellt im „Tanz ums goldenen Kalb“.
Und es zielt auch auf ein vorurteilsgeladenes Bild vom Menschen. Eine Vorstellung, die sich gerade im muslimischen Bereich wiederfindet, etwa in der Abwehr, fotografiert zu werden.
Die Empörung über angebliche „Beleidigung des Propheten“ als Rechtfertigung für Terror stellt den Sinn des muslimischen Darstellungsverbots auf den Kopf. Sie huldigt ihrerseits einem Götzen, dem Götzen der Gewalt, ist demnach auch immanent als Perversion von Religion erkennbar: in der Gottesvorstellung wie auch im Menschenbild.
Die von maillimi (#11) angesprochenen Relikte kolonialer Erfahrung als Nährboden für Gewalt sind sicher für den Umgang mit solchen Menschen von Bedeutung. Ein Argument für Relativierung von Meinungsfreiheit sind sie nicht. Im Gegenteil: Dies würde sie selbst ernannten islamistischen Rachegöttern noch mehr in die Arme treiben.
Man kann manche Satire geschmacklos finden, sich vielleicht auch betroffen fühlen. Über Geschmack aber lässt sich nicht streiten. Noch weniger lässt er sich verordnen. Schon gar nicht nach dem irrationalen Maßstab „religiösen Empfindens“.
Resummé eines Gastkommentars/ Zitats eines anwesenden Freundes aus Mali mehr oder weniger verkürzt und übersetzt): „Erkläre mir bitte, was das mit uns zu tun hat! Ist es nur eine Provokation? Hat diese Auseinandersetzung etwas mit und zu tun? Warum muessen wir eure Diskussionen hier ausbaden???“
Zwei Dinge bewegen mich bei dieser Debatte: Während meiner Tätigkerit als Lehrerin habe ich immer versucht, meine Schülerinnen und Schüler zu rücksichtsvollem, mitfühlendem und solidarischem Verhalten zu erziehen. Wenn mir im Klassenzimmer eine Karikatur oder verbale Äußerung vom Niveau mancher Zeichnungen von Charlie Hebdo untergekommen wäre, die sich in derart hämischer Weise gegen die Nationalität oder Religion eines oder mehrerer Mitschüler gerichtet hätte,hätte ich das strengstens untersagt und den Schülern klargemacht, dass man mit anderen Menschen nicht so umgehen darf, und ich denke, jeder hätte mir recht gegeben. Ich verstehe nicht ganz, warum das, was im Kleinen als unsoziales Verhalten verurteilt wird, im öffentlichen Raum plötzlich zu einem von allen zu verteidigenden Wert wird. Satire hat für mich den Sinn, Ungerechtigkeiten und Missstände in der Gesellschaft anzuprangern,aber doch nicht, irgendwelche dämlichen Beleidigungen von sich zu geben und sich dann auf die Freiheit der Kunst (wenn es mal Kunst wäre!) zu berufen.
Noch etwas zur Dreifaltigkeit als schwule Gemeinschaft: Bitte erkläre mir mal einer, was daran lustig ist und was damit angeprangert werden soll. Ich selbst bin nicht gläubig, und ich verstehe, dass man die Vorstellung dreier Gottheiten, die dann aber doch eine Person sein sollen, für albern hält. Aber was hat das mit Homosexualität zu tun? Mir kommt es so vor, als steckte in dieser Karikatur auch eine versteckte Homophobie,so wie sie pubertierende Jungen an den Tag legen, die zu einem Gleichaltrigen sagen: „Bist du schwul, oder was?“, wenn sie meinen: „Bist du blöd, oder was?“ Also für mich hat diese Karikatur keine nachvollziehbare Aussage außer vielleicht der: „Schaut mal, wie mutig ich bin, dass ich mich über sexuelle Tabus hinwegsetze und mich doch tatsächlich traue, ein schwules Paar samt Sextoy bildlich darzustellen.“ Mir scheint dieses Bild weniger von satirischem Scharfsinn, sondern eher von der Verklemmtheit des Zeichners zu zeugen.
@ 14,
Ich bin nicht betroffen. Betroffen macht mich die ungezügelte Dummheit, sich dort wegen bemalten Papiers umzubringen.
Es geht nicht um sinnfreie Selbstüberhöhung, denn genau diesen Mechanismus benutzen „Gläubige“.
Ob ich „klug“ bin, weiß ich nicht; aber ich weiß welche meschlichen und rechtlichen Mindeststandards ich meinen Mitmenschen schulde.
Dazu gehört auch jede geheuchelt Betroffenheit zu vermeiden und das Treiben von Religionsfaschisten als solches zu benennen.
Hallo Herr Engelmann,
mir bleibt nur Ihnen da auch zuzustimmen.Diejenigen die es eigentlich betrifft, bei denen ist das gebotene Einsichtsvermögen nicht vorhanden! Spannend allerdings warum! Da auch Dummheit eher normalverteilt ist, muss es noch andere Faktoren geben. Es sind ja auch nicht alle so auftretenden Menschen geborene „Faschisten“?
@ 17.,
aufgrund Ihres Beschäftigungsverhältnisses waren Sie verpflichtet offenkundig rechtswidrige Einlassungen oder Darstellungen anzuzeigen!
Ob Sie mit dem MAßstab Ihrer begrenzten Einsicht beurteilen könne wann ein Beleidigungstatbestand erfüllt war? Eher nicht. Meine Töchter wären wohl bei Ihrer Einstellung den letzten Tag in Ihrem Unterricht erschienen, von dienstrechtlichen Folgen für Sie ganz schweigen
@ maillimi, #16
„Resummé eines Gastkommentars/ Zitats eines anwesenden Freundes aus Mali (…) “Erkläre mir bitte, was das mit uns zu tun hat! Ist es nur eine Provokation? Hat diese Auseinandersetzung etwas mit und zu tun? Warum muessen wir eure Diskussionen hier ausbaden???”
Bei allem Respekt für Weltoffenheit: Nicht alles, was von außen kommt, ist der Weisheit letzter Schluss. Ich verstehe diese Fragen nicht. Wer zwingt diesen malischen Freund, unsere „Diskussionen auszubaden“? Wer hindert ihn daran, einfach „Mist“ zu sagen, die Konsequenzen daraus zu ziehen, dass er nichts damit zu tun hat, und einfach seinen Geschäften nachzugehen, statt sich in Betroffenheit hineinzusteigern? – Es wird wohl eher umgekehrt ein Schuh daraus!
@ Brigitte Ernst, #17
„Ich verstehe nicht ganz, warum das, was im Kleinen als unsoziales Verhalten verurteilt wird, im öffentlichen Raum plötzlich zu einem von allen zu verteidigenden Wert wird.“
Die Antwort erscheint doch recht einfach: Wir haben – zum Glück! – keine Erziehungsgesellschaft, bei der nur zulässig ist, was man Schülern guten Gewissens vermitteln kann. Und weil „Moral“ – so schön sie sein mag – nicht justiziabel ist, kein Kriterium dafür sein kann, was zulässig ist und was nicht, sondern allein die Respektierung der Verfassung und der Gesetze des Landes.
Genauso, wie Sie das Recht haben, eine Zeichnung als Ausdruck von „Verklemmtheit“ zu bezeichnen, hat der Zeichner (der das wohl anders sieht) das Recht, ihr seinen Ausdruck zu verkeihen, wie er es für richtig hält.
„Moral“ als Grundprinzip einer Gesellschaft sollten wir lieber denen überlassen, die Verstöße dagegen (aus ihrer Sicht) mit Peitschenhieben ahnden. Mit der Einsicht eines Voltaire, sich entschieden dafür einzusetzen, dass ein anderer das äußern darf, was man für sich selbst entschieden ablehnt, sind wir wohl wesentlich besser bedient.
@ # 15 Werner Engelmann
Sie meinen, dass „wir uns wohl noch eine Weile streiten“ werden müssen, „darüber, was zu verteidigen ist und warum, und vor allem wogegen“. Dies halte ich für keine schlechte Perspektive: Streit, die verschärfte Form des Gesprächs, kann produktiv zur Klärung von Positionen beitragen. Die in jedem Streit enthaltene Absicht, die Gegenposition zu widerlegen oder ihr zumindest zu widersprechen, zwingt zum Zuhören und zum Abwägen. Der Streit zeigt auch, dass es unterschiedliche Sicht gibt, dass die Welt zu komplex für einfache Antworten ist.
Auch der „Wertekonflikt zwischen dem Grundrecht freier Meinungsäußerung einerseits und ‚religiösem Empfinden‘ andererseits“, erscheint mir komplexer als ihr Diktum zu sein, wonach „ersteres justiziabel ist, durch demokratisch legitimierte Rechtsprechung Einschränkung erfahren kann, letzteres aber nicht“. Das „Empfinden“, nicht nur das religiöse, lässt sich – anders als es der Rechtstechniker Karl Müller immer wieder fordert – aus der Rechtsprechung und der Rechtspraxis nicht ausklammern, gerade bei den für die Grenzen der Kunst entscheidenden Straftatbeständen Beleidigung und Volksverhetzung.
Mit anderen Worten: In der Rechtsprechung und in der Rechtspraxis wird das religiöse (oder andere) Empfinden justiziabel gemacht. Dies ist kein Zustand, sondern ein Prozess, in dem die Grenzen immer wieder, und in jeder Gesellschaft auf unterschiedliche Art, immer wieder neu ausgehandelt werden. Ein Beispiel dafür ist die Türkei: Das Verbot der Veröffentlichung und der Verbreitung der Charlie-Hebdo-Karikaturen erfolgte durch die Justiz, die Verletzung der religiösen Gefühle durch eine Darstellung des Propheten Mohamed ist eben justiziabel gemacht worden. Wir können sicher diskutieren, was dies über die türkische Gesellschaft aussagt (meiner Meinung nach ist es ein weiterer Hinweis auf eine zunehmende Einschränkung der „kemalistischen“ Demokratie), die Legitimität der Entscheidung steht außer Zweifel. Außer Zweifel steht auch, dass die Ausschreitungen im Niger als Mord, Körperverletzung und Brandstiftung justiziabel sind. Kein Gesetz des Landes erlaubt diese Taten, auch wenn sie aus „verletzten religiösen Gefühlen“ begangen wurden. Auch in den islamischen Ländern, deren Rechtssystem sich an der Scharia orientiert, ist die Bestrafung der „Beleidigung des Propheten“ der Justiz vorbehalten, die z.B. in Ägypten anders als die in Saudi-Arabien entscheidet.
Meines Wissens gab und gibt es auch im Islam unterschiedliche Meinungen über das Bilderverbot –siehe zum Beispiel den Roman von Orhan Pamuk „Rot ist mein Name“. Was das Bilderverbot der Bibel betrifft: Es ist zentral im Dekalog enthalten, aber ich kann mich nicht erinnern, dass in der Bibel eine konkrete Strafe für die Übertretung dieses Verbots angedroht wird – anders als für viele andere Verbote. „Theologisch“ halte ich das Bilderverbot für keine entscheidende Frage in der Auseinandersetzung mit dem Islam. Wesentlich problematischer erscheint mir die „Vergötterung“ des Propheten Mohamed, der im Islam nicht kritisch betrachtet werden darf.
Satire darf nicht alles!
Vor allem darf sie nicht darauf abzielen, von allen Rezipienten in einer bestimmten Weise verstanden zu werden oder gar Applaus zu bekommen: ein Fehler, der den Übriggebliebenen der Charlie-Hebdo-Redaktion beim Titel der ersten Ausgabe nach dem Attentat unterlaufen ist.
Der Zeichner Luz, der israelische Extrembergsteiger Charlie Zylberstein, der immer als Mohammed Modell saß, und der indische Redaktionsbote Joe Singh, der seinen Turban zur Verfügung stellte, hatten die Idee, ein unmißverständliches Zeichen der Versöhnung zu setzen. Um eine Verwechslung mit dem Propheten unmöglich zu machen, hält Charlie Zylberstein ein Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ in den Händen; als Zeichen der Reue für das Verletzen islamischer Gefühle quillt eine Träne aus seinem linken Auge; und daß man bereit ist, das Massaker zu verzeihen, zeigt die Überschrift „Tout est pardonné“ – alles ist vergeben.
Womit man bei Charlie Hebdo unbegreiflicherweise nicht rechnete, ist, daß sich in der islamischen Welt mittlerweile ein feines Gespür für Satire herausgebildet hat, und daß man aufrichtig Gemeintes in diesem Satireblatt nicht als aufrichtig gemeint für möglich hält. Über die weltumspannende Reaktion der Muslime wurde in den Medien berichtet.
@ JaM, #22
„Streit, die verschärfte Form des Gesprächs, kann produktiv zur Klärung von Positionen beitragen.
Volle Zustimmung. Man sollte dabei nicht vergessen, dass Streit, sofern er in zivilen Bahnen verläuft, gemeinsame Grundeinstellungen voraussetzt. Gerade das ist bei den hier thematisierten Reaktionen auf Satire aber nicht der Fall.
„In der Rechtsprechung und in der Rechtspraxis wird das religiöse (oder andere) Empfinden justiziabel gemacht.“
Hier muss man wohl präzisieren:
Justiziabel gemacht wird nicht das (vorwiegend im „Es“ angelegte) Empfinden an sich, sondern eine Verhaltensweise, die daraus folgen (kann). Empfinden muss erst bewusst gemacht werden bzw. aus dem Individuum heraustreten, um überhaupt fassbar zu sein. In Ihren Beispielen sprechen Sie ja auch von „Taten“, die verfolgt werden, nicht die zugrundeliegenden Empfindungen.
Das Beispiel Türkei macht deutlich, was ich meine: Mit dem Verbot der Verbreitung der Satiren als angebliche „Verletzung religiöser Gefühle“ hat die türkische Justiz diese nicht „justiziabel“ gemacht, sondern Gesinnungsjustiz geübt: Hier offenbart sich ein totalitäres Gesellschafts- und Menschenbild, dem es nicht um Regelung des gesellschaftlichen Lebens geht, sondern um totale Formierung oder Ausrichtung der Individuen entsprechend einer Ideologie.
„Religiöse Gefühle“ sind in diesem Zusammenhang nichts als Chiffren für diese Ideologie: Sie sollen den Anschein erwecken, dass das, was in Wirklichkeit totalitär aufoktroyiert wird, in Innern der Individuen selbst angelegt sei.
Daher meine Ablehnung, von einem „Wertekonflikt“ zu sprechen.
Das Recht der freien Meinungsäußerung garantiert ein individuelles Recht auf gesellschaftlicher Ebene. Religiöses Empfinden „justiziabel“ zu machen, bewirkt genau das Gegenteil. Dies nicht gleichzusetzen, ermöglicht erst den Respekt vor echten religiösen Empfindungen.
Ich erlaube mir an dieser Stelle eine persönliche Episode.
Meine Vorfahren, aus Nordböhmen stammend, waren schon sehr früh zum Protestantismus konvertiert. Nach dem Augsburger Religionsfrieden („cuius regio – eius religio“) waren sie gezwungen, entweder zum Katholizismus zurückzukehren oder das Land zu verlassen. Sie taten letzteres, ihr Hof galt über ein Jahrhundert als „wüster Hof“. Bis ein Teil der Familie (von dem ich abstamme) wieder zurückkehrte (mein Onkel sprach von „Heimatliebe“), um den Preis der Rekonversion zum Katholizismus. Was verständlich macht, warum sich in der Folge das Verhältnis von deren Kindern und Kindeskindern zum Katholizismus als höchst zwiespältig erwies.
Auch der Islamismus versucht nur zu verdrängen, was als fundamentaler Widerspruch in ihm selbst angelegt ist. Daher handelt es sich m.E. auch im Kern um keinen religiösen, sondern um einen gesellschaftlichen Konflikt.
„Theologisch“ halte ich das Bilderverbot für keine entscheidende Frage in der Auseinandersetzung mit dem Islam. Wesentlich problematischer erscheint mir die „Vergötterung“ des Propheten Mohamed, der im Islam nicht kritisch betrachtet werden darf.
Volle Zustimmung. Aus eben diesem Grund erachte ich – nach religiösem Sprachgebrauch – Islamismus auch als eine Art von Götzendienst, der den eigenen Ansprüchen des Islam in extremer Weise zuwiderläuft.
Und hier erweis sich m.E. auch die aufklärerische Funktion von Satiren, und damit ihre Berechtigung – selbst wenn sie nicht strengen moralischen oder ästhetischen Kriterien genügen.
@ all
JaM hat verschiedentlich auf längst schon laufende Diskussionen innerhalb „des“ Islam verwiesen. Hier ein Beispiel dazu aus der neuesten Ausgabe des französischen Magazins „L’Express“:
„Le monde musulman, grand corps malade“ (Die muslimische Welt, ein großer kranker Körper), von Abdennour Bidar, Philosoph, L’Express,nr.3316, 21.-27.1.15, S.66 (Übersetzung von mir).
Veröffentlichung: „L’Islam sans soumission. Pour un existentialisme musulman.“ Anbin Michel, 2008 („Islam ohne Unterwerfung. Für einen muslimischen Existentialismus.“)
Auch in Frankreich werden Thesen vom „naturgemäß gewalttätigen“ Islam verbreitet, so auch von Professor Rémi Brague, der behauptet: „Intoleranz liegt in den Genen des Islam“.
Bidar wendet sich entschieden gegen solche pauschalisierenden Behauptungen, ebenso wie gegen eine von Muslimen oft eingenommene Opfer-Attitüde, um sich der Mitverantwortung zu entledigen. Er geht den „Übeln“ sowohl der meisten muslimischer Gesellschaften wie auch der Religion nach, die diese „in sehr gefährlicher Weise destabilisieren“. Dazu zählt er alle obskuren „Ismen“: so Dogmatismus, Buchstabenglaube, Machismus, Intoleranz gegenüber religiösen Minderheiten. Dazu die Verwechslung von „Heiligem“ und „Unberührbarem“, „über das nicht diskutiert und gelacht werden darf“.
Er sieht in den Reaktionen auf kritische Satiren den „empörten Reflex von Menschen, die sich weigern, diesen Krankheiten des Islam ins Auge zu schauen“. Als Hauptgrund dafür sieht er die „innere Zerrissenheit“, die „im arabischen Frühling 2011 offenbar geworden ist“, worin er im Kern eine „Krise religiöser Autoritäten als Fundament politischer Macht“ erkennt:
„Muslimische Gesellschaften und muslimisches Selbstverständnis sind heute zerrissen zwischen der Neigung zur Rückkehr zu einer – weitgehend zusammenfantasierten – Tradition einerseits und Sehnsucht nach Moderne andererseits. (…) Tiefe Risse zeigen sich zwischen dem offiziell vom Wahabismus beherrschten Saudi-Arabien und einem Land wie Tunesien, wo die Verfassung seit 2013 die Gewissensfreiheit anerkennt. Tiefgehende Risse in einer inkohärenten Einheit, die weder ihren Platz in der menschlichen Zivilisation noch ihr eigenes Gleichgewicht zwischen Tradition, Anpassung an die Gegenwart und Zukunftsorientierung finden kann. (…)
Der Islam gewinnt nichts dabei, sich seiner eigenen Verantwortung zu entledigen. Er soll nicht seine Zeit damit verschwenden, ständig den Westen anzuklagen und Ausreden zu suchen. (…) Wenn unsere muslimischen Mitbürger in Europa sich zurecht gegen die Rolle des Sündenbocks für alle gesellschaftlichen Probleme auflehnen, (…) so müssen sie doch weg vom Reflex der Selbstverteidigung hin zu einer verantwortungsvollen Selbstkritik finden, indem sie damit beginnen, ernsthaft die Erziehung ihrer Kinder in Hinblick auf Toleranz und Brüderlichkeit in die Hände zu nehmen.“
So weit Abdennour Bidar.
Nun kann und muss man sicher bezüglich der Terminologie die – wenig reflektierte – Übertragung von Begriffen wie „Krankheit“ aus der individuellen Sphäre auf den gesellschaftlichen Bereich hinterfragen. Ziemlich voluntaristisch erscheint auch die im letzten Satz ausgedrückte Hoffnung auf Erziehung zu „Toleranz und Brüderlichkeit“. Das pädagogische Versagen vieler muslimischer Eltern, das nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ in der Weigerung der Ehrerbietung vieler muslimischer Schüler gegenüber den Opfern offenbar wurde, ist wohl weniger auf mangelnden Willen als auf mangelnder Fähigkeit zur Wertevermittlung zurückzuführen. Das wiederum ist Folge der genannten Widersprüche. Und erfolgreiche Wertevermittlung hat zur Voraussetzung, sich diesen Widersprüchen zu stellen.
Dennoch erscheint eine solche Analyse von muslimischer Seite bemerkenswert. Auch deshalb, weil man mit ganz anderen Ansätzen zu ähnlichen Ergebnissen kommen kann. So etwa dem der Psychoanalyse.
Diese spricht von Verdrängung, wenn die Bereitschaft fehlt, sich mit intuitiv gefühlten oder erahnten Widersprüchen und Problemen auseinandersetzen, diese vom „Ich“ ins Unterbewusste zurückgedrängt werden. Sie erscheinen dadurch nur umso bedrohlicher. Die ominösen „72 Jungfrauen“, die den Selbstmordattentäter im Jenseits erwarten sollen, sind, so gesehen, Ausdruck extrem verdrängter Sexualität in einer Machogesellschaft. Zugleich zeigt sich hier die schon von Freud konstatierte Nähe von Sexual- und Todestrieb.
Der von JaM festgestellte „Vergötterung des Propheten Mohamed“, seiner Unberührbarkeit, über jeder menschlichen Erfahrung stehenden Macht bedarf es, um der derart verschärften eigenen Triebhaftigkeit „Herr“ zu werden.
Ein solches „System“ lässt nicht die geringste Kritik, nicht den geringsten Zweifel zu. Denn – das Unbewusste vermeldet es sehr wohl (zu „religiösen Gefühlen“ umgetauft) – dies würde das gesamte System zum Einsturz bringen. Verständlich, dass der geballte, unkontrollierte Hass sich gegen die richtet, welche solche Zweifel nähren. – Mit ernsthaften religösen Überzeugungen hat das wenig zu tun.
So weit der psychoanalytische Ansatz, der als individuelle Widerspiegelung dessen erklärt, was Abdennour Bidar „innere Zerrissenheit“ und „Krankheiten des Islam“ nennt.
Ob man vom soziologischen oder vom psychoanalytischen Ansatz ausgeht, eine Konsequenz teilen sie beide:
Falsche Formen von „westlicher“ Selbstkritik, die in Aufgabe oder Einschränkung fundamentaler demokratischer Werte wie Meinungsfreiheit münden, senden falsche Signale auch in Richtung der muslimischen Welt. Sie verstärken Tendenzen der Verdrängung, fördern die Rechtfertigung von Ausbrüchen atavistischer Triebe durch Versatzstücke pseudoreligiöser Bewusstseinsformen, behindern die notwenige Auseinandersetzung mit den genannten Widersprüchen auf gesellschaftlicher wie individueller Ebene.
Und Toleranz gegenüber anderen Überzeugungen und Glaubensrichtungen erweist sich nicht in der Geringschätzung eigener Werte.
Herr Engelmann,
bedanke mich herzlich für die ungemein sachliche Antwort! Jemanden. der sich in einer Gesellschaft solidarisches und faires Verhalten wünscht, mit denen zu vergleichen, die andere mit Peitschenhieben bestrafen, halte ich für völlig daneben. Und warum soll etwas, was ich Schülern vermittele, nicht für mich und alle anderen auch gelten? Oder ist die Schule ein künstlicher Raum, der mit dem Rest der Gesellschaft nichts zu tun hat?
„Religiöse Gefühle? Ich bekomme jedesmal “religiöse Gefühle”, wenn Kirchen mich die Reste ihrer einstigen Deutungshoheit spüren lassen, z.B. mit Glockengeläut am Sonntagmorgen. Ich stoße überall in diesem Land auf Relikte aus früheren Zeiten …“ Zitat @Bronski.
Dann sind natürlich auch „religiöse Gefühle“ ein Witz, Bronski. Eigentlich sind ja schon Gefühle selbst ein Witz. Gefühle sind doch anti-säkulare Relikte aus einer Welt der Dinosaurier. Bald soll ja das erste Mammut per säkularer Technik wiedergeboren werden. Das sakulare Mammut fragt nicht nach Sinn im Leben. Das würde auch Frankenstein´s Monster nicht tun. Es existiert und damit basta. Neuartige Deutungshoheiten drängen sich jeden Tag in unser Leben, ob gebeten oder nicht. Nicht mit Glockengeläut vergleichbar, aber mit Lärm auf jeden Fall. Haben Sie schon die App geladen, die Sie außerhalb der Hörweite von Glocken zum Arbeitsplatz führt ? An säkularen Lärmquellen vorbei ?
Satire darf eben kein Tabu kennen. Kommt nur darauf an, wie man sie macht. Schön, daß die „Relikte“ Ihre Satirefähigkeit als Säkularist testen. Ist schon hart, nicht wahr ? Da kann man schon auf falsche Gedanken kommen. Wie in England, wo per Gericht erzwungen wurde, daß die Glocken in der Nähe zu verstummen hatten. Da war doch einer in die Nähe der Kirche gezogen, und die Glocken mußten schweigen.
Wir merken – die Freiheit kann von überall her bedroht werden. Auch die Freiheit der Satire. Denn die „Relikte“ sind doch schon Satire, nicht wahr ? Oder darf Satire doch nicht alles, Bronski ?
Ich höre gerade Orgelmusik und denke, daß die Orgelpfeifen auch nur Schallwellen entlassen. Und was ist schon die Bach-Kantate, die danach kommt ? Auch nur Schall. Und würde die Orgel brennen, auch noch Rauch.
Und was passiert, wenn ich in Zukunft fordere,im Interesse der Meinungsfreiheit behaupten zu dürfen, der Holocaust habe nie stattgefunden? Das beleidigt noch nicht mal irgendwelche religiösen Gefühle, ist aber trotzdem in Deutschland verboten. Jetzt sollen doch mal diejenigen aufstehen, die dieses Verbot im Interesse der Meinungsfreiheit aufheben möchten. Na, wie ist es, Herr Büge und Herr Engelmann?
@ Brigitte Ernst
Sie vermischen ein paar Dinge. Die Leugnung des Holocausts ist keine Meinungsäußerung, sondern Geschichtsfälschung, die meist in dem Bestreben vorgebracht wurde, die Geschichte zu relativieren. Daraus hat der Gesetzgeber Konsequenzen gezogen. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Weiterhin: Was gute und was schlechte Satire ist, wird normalerweise vom persönlichen Geschmack definiert. Darüber lassen sich keine Standards ableiten, die als Grundlage von Gesetzen vereinheitlicht werden könnten. Insofern ist es schön und ehrenwert, dass Sie Ihre Schülerinnen und Schüler zu Respekt und einem aufs Miteinander ausgerichteten Verhalten zu erziehen versucht haben, aber das hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was Satire darf oder nicht darf, sondern nur damit, was vor dem persönlichen Hintergrund noch hingenommen werden kann (oder eben nicht). Für viele Menschen sind Satire und Kabarett das einzige Mittel, sich gegen Übergriffe der Politik zu wehren — oder auch der Religionen. Übergriffe meint hier: die Versuche, das Leben, das Denken und die Wertvorstellungen von Menschen zu dominieren. Dies im Fall der Religionen mit der Macht von jahrtausendealten Glaubensinstitutionen im Rücken. Manche Menschen empfinden das als Anmaßung und wehren sich auf scharfe und zugleich gewaltfreie Weise dagegen. So gesehen liefert Satire und liefern die „Charlie Hebdo“-Karikaturen einen Beitrag zum Diskurs über die Freiheit der Köpfe und regen zum eigenständigen Denken an. Dabei wird keiner der Zeichner von sich behaupten, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben (was sie von den Religionen unterscheidet), auch wenn sie provozierend auftreten. Diese Karikaturen sind eine Einladung zum Streit in dem Sinn, der hier von Werner Engelmann und JaM angesprochen wurde.
Satire darf alles, muss aber grundsätzlich auf Tatsachen beruhen, z.B. gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen oder religiösen Interpretationen oder Problemen die uns Medienkonsumenten unter Umständen nicht gefallen. Satire auf Lügen (z.B. Leugnung Holocaust)ist keine Satire sondern dummes Geschwafel. Satire ist das letzte Mittel von Minderheiten sich Gehör zu verschaffen und sich gegen ungerechte Behandlung von Mehrheiten zu wehren. Satire kann nicht beleidigen, Satire ist das letzte Mittel gegen Bevormundung und ein Gradmesser für die Meinungsfreiheit in einem Staat. Wenn in einer türkischen Zeitung eine Karikatur von Erdogan mit einem Text über Korruption erscheinen würde, wird der Karikaturist wohl die nächste Nacht nicht in seinem Bett übernachten.
Religion ist ein Sonderfall. Es gibt sie, aber keiner kann sicher sagen wie viel Wahrheit in ihnen steckt. Mohamed hat, wie Jesus, gelebt und beide haben versucht das Leben der Menschen zu verbessern (später haben dann geschäftstüchtige Mitmenschen mit deren Ideen Religionen gegründet). Der eine Prophet wird in jeder Kirche ans Kreuz genagelt und der andere darf nicht dargestellt werden. Mit den heutigen Mitteln zur damaligen Zeit würden von beiden Propheten Millionen von Bildern existieren.
Wir nicht Moslems haben in den letzten Jahren gelernt dass man Mohamed, den wohl viele Menschen von Angesicht zu Angesicht gesehen haben, nicht bildlich darstellen darf denn es beleidigt die Anhänger des Propheten. Karikaturisten rate ich deshalb Allah(auch Gott oder Jahwe genannt)zu zeichnen der den nicht dargestellten Mohamet belehrt. Vielleicht ist auch die Darstellung von Allah nicht erlaubt, darüber hat man mich noch nicht aufgeklärt. Als nicht Moslem kann ich ja nicht alle Verbote dieser Religion kennen!
„Satire darf alles“ wird ja nun schon zu einem unreflektierten Credo.
Wie gesagt: Satire darf nicht alles und nicht alles darf sich Satire nennen. Es darf sich aber auch nicht Hinz und Kunz über Satire aufregen. Satire gehört zu einem bestimmten Kulturkreis, sie spielt mit dem Verstehen, aber Verstehen gehört schon auch dazu.
Das eigentliche Problem ist die Vereinnahmung. Ich bin durchaus nicht einverstanden mit jedem Quark, den sich die Satiriker leisten, und ich bin durchaus nicht damit einverstanden, für jeden Quark, den sich Satiriker oder Religiöse leisten, mit meinem Leben einzustehen. Die Bekenntnissüchtigen und die Kritiksüchtigen sollen sich von mir aus bekriegen, ich darf erwarten, in Ruhe gelassen zu werden. Eure Glaubenskriege interessieren mich nicht die Bohne. Die Realität ist nicht in Stiften und Gewehren zu finden, wenn ihr die Zeit habt, euch damit zu befassen, geht es euch noch viel zu gut.
Die Not ist nebenan, ich lindere sie, nach Kräften und mit so viel Geld, wie mir übrig bleibt.
Ihr Meinungskrieger seid dagegen bloß ärmliche Versager.
Die Argumentation von Bronski und Gerhard Sturm überzeugt mich überhaupt nicht. Natürlich handelt es sich beim Holocaust um ein Verbrechen und seine Leugnung ist Geschichtsverfälschung.Aber wenn es sich um andere Themen handelt,darf jeder ungestraft das Blaue vom Himmel herunter erzählen, ohne dass es ihm verboten wird. Wenn ich mich zum Beispiel morgen auf den Marktplatz stellen und behaupten würde, John F. Kennedy sei gar nicht ermordet worden, sondern habe noch 30 Jahre lang fröhlich auf einer einsamen Insel überlebt, würde sich wahrscheinlich jeder an den Kopf fassen, aber keiner würde es mir verbieten, obwohl ich hier ein Verbrechen leugnen und die Geschichte verfälschen würde. Dummheit und Unbildung sind schließlich nicht verboten. Worauf ich hinauswill: Im Falle des Holocaust werden keine juristischen, sondern moralische Maßstäbe an das gelegt, was man sagen darf, und das mit Recht, denn wir Deutsche als Tätervolk sind verpflichtet, diesen Schandfleck in unserer Geschichte aufzuarbeiten. Deshalb werden Holocaustleugner in anderen Ländern ja auch nicht an der Verbreitung ihrer irrigen Auffassung gehindert.
Was die Satire betrifft: Sie hat die Aufgabe, Herrschaftsstrukturen zu hinterfragen und gesellschaftliche Missstände anzuprangern.Wenn das nicht erkennbar ist wie bei der Zeichnung von der schwulen Dreifaltigkeit,bewegt sie sich sie auf dem Niveau von billigen Zoten.
Wenn hier schon so viel über Satire geschrieben wird, sollte Kurt Tucholsky, der Meister der Satire, nicht fehlen. Hier eine Satire von 1931. Könnte auch ein Kommentar zu „Charly“ sein.
(in: Zwischen gestern und morgen, Rowohlt 1991, S.95):
An das Publikum
O hochverehrtes Publikum,
sag mal: bist du wirklich so dumm,
wie uns das an allen Tagen
alle Unternehmer sagen?
Jeder Direktor mit dickem Popo
spricht:“Das Publikm will es so!“
Jeder Filmfritze sagt: „Was soll ich machen?
Das Publikum wünscht diese zuckrigen Sachen!“
Jeder Verleger zuckt die Achseln und spricht:
„Gute Bücher gehn eben nicht!“
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
So dumm, daß in Zeitungen, früh und spät,
immer weniger zu lesen steht?
Aus lauter Furcht, du könntest verletzt sein;
aus lauter Angst, es soll niemand verhetzt sein;
aus lauter Besorgnis, Müller und Cohn
könnten mit Abbestellung drohn?
Aus Bangigkeit, es käme am Ende
einer der zahllosen Reichsverbände
und protestierte und denunzierte
und demonstrierte und prozessierte…
Sag mal, verehrtes Publikum:
bist du wirklich so dumm?
Ja dann…
Es lastet auf dieser Zeit
der Fluch der Mittelmäßigkeit.
Hast du so einen schwachen Magen?
Kannst du keine Wahrheit vertragen?
Bist also nur ein Grießbrei-Fresser – ?
Ja dann…
Ja dann verdienst du es nicht besser.
Ich frage mich, Frau Ernst, was Sie gegen die Zeichnung von der schwulen Dreifaltigkeit haben. Ich finde sie großartig, mit das Beste von „Charlie Hebdo“ überhaupt. Sie nimmt die Haltung der katholischen Kirche zur Homosexualität schonungslos aufs Korn. Nach deren Lehre sind Homosexuelle willkommene Mitglieder im Schoß von Mutter Kirche, wenn sie ihre Sexualität nicht leben. Das ist eine These – albern, weltfremd, scholastisch -, der man meines Erachtens nur mit Satire begegnen kann. Leider gibt es immer noch Menschen, die mit derlei Unsinn aufwachsen, diesen Mist ernst nehmen und sich mühsam davon emanzipieren müssen. Ich kenne persönlich Fälle, in denen die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit — die Macht der Lehre hier, das persönliche Gefühl da — zu Suizidversuchen (und -erfolgen) geführt hat. Da liegt es doch nahe, so eine „Männerkiste“ — Gottvater, Gottessohn und Heiliger Geist — auf derbe sexuelle Weise zu karikieren. Das Subversive und damit Großartige der Karikatur liegt dabei gerade darin, dass diese (sexuelle) Vereinigung der drei theologischen Instanzen lustvoll dargestellt ist, denn alle Beteiligten mögen es sichtlich. Das ist alles andere als eine billige Zote, das ist ganz große Satire.
Was JFK betrifft: Niemand hält Sie davon ab, so was zu behaupten. Sie dürfen das.
In der Debatte über die Holocaust-Leugnung bleibe ich dabei: Leider vermengen Sie Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Auschwitz ist historische Realität. Wer Auschwitz leugnet, verfolgt ein politisches Interesse, dem der Gesetzgeber einen Riegel vorgeschoben hat. Andere europäische Länder mögen sich in dieser Sache andere Gesetze gegeben haben, aber es war Deutschland, das Auschwitz ermöglicht hat, und so ist Deutschland in besonderer Weise in der Pflicht, eine Wiederholung unmöglich zu machen. Die Heilige Dreifaltigkeit dagegen ist keine historische Realität, sondern ein theologisches Konstrukt.
Und statt einer Antwort nochmal Tucholsky (Panter, Tiger & Co, Rowohlt 1992):
„(…) Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten. (…)
Wir sollten nicht so kleinlich sein. (…) Und wir müssen nun nicht immer gleich aufbegehren („Schlächtermeister, wahret eure heiligsten Güter!“), wenn einer wirklich mal einen guten Witz über uns reißt. Boshaft kann er sein, aber ehrlich soll er sein. Das ist kein reichter Mann und kein rechter Stand, der nicht einen ordentlichen Puff vertragen kann. Er mag sich mit denselben Mitteln dagegen wehren, er mag niederschlagen – aber er wende nicht verletzt, empört, gekränkt das Haupt. (…)
Was darf Satire? Alles.“
-> „Was darf die Satire?“, veröffentlicht unter Pseudonym Ignaz Wrobel, 1919
„Lieber Gott, gib mir den Himmel der Geräuschlosigkeit. Unruhe produzere ich allein. Gib mir die Ruhe, die Lautlosigkeit und die Stille. Amen.“
-> „Ironie und tiefere Bedeutung“, veröffentlicht unter Pseudonym Peter Panter, 1927
„Weiterhin: Was gute und was schlechte Satire ist, wird normalerweise vom persönlichen Geschmack definiert.“ Widerspruch! Es gibt gute Satire und schlechte Satire, wie es gute Literatur und schlecthte Literatur, gute Musik und schlechte Musik, gute Filme und schlechte Filme gibt und das hat nichts mit Geschmack zu tun. Wer jedoch schlechte Dinge mag, hat einfach einen schlechten Geschmack. Aber das ist natürlich erlaubt. Wenn alles nur eine Frage des Geschmacks wäre, könnte man das Feuilleton gleich abschaffen.
Die Diskussion des Themas „Satire“ nimmt so langsam merkwürdige Züge an.
Opfer sind grundsätzlich tabu !
Die Opfer der nationalsozialistischen Gewalt zum Beispiel. Alle beteiligten Ethnien, Religionen und Gruppen im Zusammenhang mit ihrer Verfolgung und Ermordung. Aus Feingefühl verbietet es sich daher, jemanden vermittels Satire zum Opfer zu machen, der schon vorher Opfer war. Selbst dann, wenn man selber vorher Opfer war. Jedoch, Feingefühl kann nicht per Gesetz verordnet werden. Auch nicht ein Bekenntnis zum christlichen Ideal der Feindesliebe und des daraus resultierenden Gebotes, es nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. Und wenn die Dreifaltigkeit als schwuler Dreier dargestellt wird und gleichzeitig ins Bewußtsein rückt, daß die Pädophilie von Priestern nicht wenige Knaben hat zu Opfern werden lassen, dann erhebt sich die Frage, ob man das, was man tun darf, auch wirklich tun sollte. Satire, vor der die Menschen angeekelt die Augen verschließen, hat ihren Zweck schon von vornherein verfehlt.
Die Satiriker werden umso weniger geliebt, je mehr sie als Grobklotze, Trampeltiere und Dumm(te)bartze in Erscheinung treten. Als hohle Phrasendrescher, unweise Schwadroneure, und zwar heraus ais einer Haltung der Provokation an sich und ohne eine dahinterstehende und den Tabubruch begründende eigene Betroffenheit. Und es ist auch richtig, daß die Grenze zwischen Satire und Zote fließend ist.
Satire ist immer Einzelfallbetrachtung. Satire sollte intelligent sein und Esprit besitzen. Satire sollte immer um den kleinst- und nicht größtmöglichen Effekt bemüht sein. Denn der größtmögliche Effekt kann Opfer zu doppelten Opfern machen.
36 u. 37: Danke, ich bin ganz Ihrer Meinung.
Danke, lieber Bronski! Ich stimme ihnen komplett zu. Das Christentum ist in Teilen immer noch eine unterdrückerische Ideologie und überhaupt nicht besser als der Islam. Diese Kleriker sind Täter und keine Opfer. Ich bin schon vor vielen Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten wegen der Haltung zu Frauen aber immer noch bekomme ich Aggressionen, wenn diese Typen mit so tun, als hätten sie die Weisheit gepachtet. Warum auf solche Leute Rücksicht geommen werden soll, begreife ich nicht. Wir brauchen noch viel mehr Satire von dieser bösen Art wie in Charlie Hebdo. Der Einfluss der Kleriker auf die Köpfe ist immer noch viel zu groß. Das sieht man besonders gut an den Kommentaren von Brigitte Ernst. Ihnen kann ich nur sagen, Frau Ernst, ich bin sehr froh, dass Ihr persönlicher Geschmack nicht die Messlatte für die Meinungsfreiheit in diesem Land ist.
Vom bürgerlichen Standpunkt aus gesehen , ist es sehr lästig, wenn so ein paar Meinungsextreme den Frieden stören. Der Wahrheit sind sie alle nicht inne, und genaugenommen produzieren sie ja nichts.
Sie sind nur ein Fisch Fasch im Teich und zeigen bloß ihren weißen Arsch.
Sie echauffieren sich, mit der Attitüde, Not anzuprangern oder grundsätzliche Lösungen herbeizuführen oder ihr grenzenloses Wohlergehen zu zementieren, aber wirksame Ergebnisse erzielen sie nicht.
Das bißchen Erkenntnis, sei sie sozialistisch oder islamistisch oder katholizistisch und sonstwie – zistisch, haben gebildete Bürger längst überwunden, das bißchen Marx und Engels haben sie auch längst verstanden und Keynes und was der Besserwisser auch alle sein mögen…haben sie längst in Praxis umgesetzt.
Es ist lange schon an der Zeit, zu erkennen, daß der Kapital- und Glaubenskonflikt nur noch zwischen Extremisten besteht. Der wichtigere Rest lebt in Ruhe und gedenkt des Nächsten.
Es ist Zeit, den Popanzen die Luft abzulassen. Man braucht sie nicht mehr.
Mich erstaunt es, mit welch unsatirischem Ernst sich der Frage Kurt Tucholskys, was die Satire darf, im Zusammenhang mit (anti)religiösen Karikaturen angenommen wird.
Der religiösen Hintergründe, die hier zur Debatte stehen, dürfte es viele geben, um sich als Christ, Moslem, Jude oder Angehöriger einer anderen Religion bei jeder passenden Gelegenheit be- oder getroffen oder beleidigt zu fühlen. Die Diskussion hierüber, insbesondere, in welcher Verbissenheit sie teilweise geführt wird, halte ich für müßig. Nicht nur bei dem, was wir Islamismus nennen, sondern leider auch im von mir hochgeschätzten Islam, werden viele aus nicht religiösen Gründen aufgestaute Ressentiments situationsgerecht kanalisiert, was zu dem einen oder anderen Dammbruch führt.
Herrn Werner Engelmann bin ich dankbar dafür, daß er, noch nicht ganz des Dozierens müde, wenn schon keine eigene satirisch ernste, so doch Theobald Tigers Ansprache „An das Publikum“ zum Besten gibt. (S. Pkt. 33)
„Keine Befriedung der Menschheit“ erwartet Leserbriefschreiberin H. Weidemann von Papst Franziskus und interpretiert dessen – zugegeben etwas hemdsärmelige – Formulierung aus einem Interview bewusst so, wie er es mit Sicherheit gerade nicht gemeint hat.
Ich bin da völlig anderer Ansicht. Wer Franziskus nicht von vornherein missverstehen will, (vielleicht weil man sich durch diesen Mann in seinen Ansichten oder Vorurteilen verunsichert fühlt), der müsste eigentlich verstehen, worum es diesem Kirchenführer geht: Er will nichts anderes, als dass das gegenseitige Beleidigen und Provozieren endlich aufhört. Und er wählt dazu Formulierungen und Denkmuster, die gerade bei jungen Leuten in vielen Ländern und Kulturen fest verankert sind: Beleidigst Du meine Mutter, dann ziehst Du ihre Ehre in den Dreck und verletzt auch mich zutiefst; wundere Dich nicht, wenn Du von mir eins auf die Nase bekommst! Papst Franziskus wählt dieses „Bild“ und wendet es auf diejenigen an, die sich über Religionen lustig machen oder religiöse Menschen provozieren – ihnen könne das gleiche passieren.
Das heißt doch nicht, dass er zur Anwendung von Gewalt aufruft oder dass er die Anwendung von Gewalt jedem zubilligt, der zuvor beleidigt oder provoziert wurde! Oder dass ihm der friedfertige Dialog und die Achtung der Menschwürde nichts bedeuteten! Im Gegenteil, er fordert Einfühlung in den anderen, woraus im besten Fall Verständigung und Versöhnung entstehen kann. Er versetzt sich in die Lage der Provozierten und versucht, deren Gefühle zu verstehen. Denn anders als die Christen und ihre Kirchen, die seit Jahren unter kritischer Beobachtung stehen und an Spott und Häme gewöhnt sind, reagieren andere Kulturen – nicht nur im Islam – in dieser Hinsicht weitaus empfindlicher. Wir wissen das, und trotzdem tun viele bei uns so, als ob unsere mitteleuropäischen Denk- und Verhaltensmuster für die ganze globalisierte Welt absolut gültig seien.
Gibt es ein Grundrecht auf Provokation? Muss man Konflikte um die angebliche Freiheit der Satire schüren – auch und erst recht dann, wenn mit empfindlichen Reaktionen der Provozierten zu rechnen ist? Endet die Würde des Menschen da, wo der Satiriker seinen Stift ansetzt? Oder sollte es nicht besser umgekehrt sein? „Befriedung der Menschheit“ ist jedenfalls nicht das oberste Ziel satirischer Zeitschriften, die regelmäßig und mit Wonne andere Menschen und ihre Werte in den Schmutz ziehen. Wir brauchen ein anderes Denken, einen anderen Umgang miteinander. Darauf wollte Franziskus aufmerksam machen. Eigentlich nicht schwer zu verstehen, oder?
Liebe Frau Meister, Sie haben mich wohl missverstanden. Ich bin nicht für Verbote,aber freiwillige Tabus fände ich bisweilen im Interesse des friedlichen Zusammenlebens durchaus angebracht.