Lobbyismus, das ist nichts Neues, ist nicht nur in Deutschland gang und gäbe. Es ist ja einerseits auch nachvollziehbar, dass die Industrie der Politik ihre Interessen zu vermitteln versucht, um mich mal ganz neutral auszudrücken. Ob das auch immer im Sinne des Allgemeinwohls ist, darf man dagegen bezweifeln. Lobbyismus – das stellt man sich gemeinhin als Kungelei beim Abendessen oder auf Empfängen vor. Anscheinend geht es aber in Deutschland viel handfester zur Sache. Gehen wir mal weg von prominenten Fällen wie Wolfgang Clement, hin zu verborgenen und trotzdem ganz konkreten Einflüssen.
Ein Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums schickt vertrauliche Daten an die DAK. Es stellt sich heraus: Der Mann wird nicht vom Ministerium bezahlt, sondern von der Krankenkasse. Dazu die DAK ganz unaufgeregt: Dass ins Ministerium entsandte „Experten“ ihre dort gewonnenen Erkenntnisse „rückkoppeln“, sei „nichts Schlimmes“. Ja, für die DAK vielleicht nicht.
Der Bundesrechnungshof ermittelte, dass zwischen 2004 und 2006 jeweils sind 100 „Externe“ in Ministerien eingesetzt gewesen seien – sicher nur sowas wie die Spitze des Eisbergs. Diese Lobbyisten arbeiten direkt an Gesetzesvorlagen mit oder sind mit Problemen befasst, die so speziell sind, dass niemand außer ihnen selbst die Materie durchdringt; folglich kann auch niemand ihre Arbeit kontrollieren. Manche dieser „Leihkräfte“ sitzen da bis zu fünf Jahre lang, ohne dass sie als „Externe“ zu erkennen wären.
In seinem Leitartikel „‚Blackwater‘ der Lobbyisten“ schreibt Thomas Kröter in Bezug auf den Bericht des Bundesrechnungshofes: „Man sei ’nicht auf Sachverhalte gestoßen, die einen konkreten Verdacht auf vorsätzlichen Missbrauch‘ begründen könnten, schreiben die Rechnungsprüfer – und häufen auf über 50 Seiten trotzdem Tadel über Tadel. Gemeinsamer Nenner: Zu wenig Transparenz.“
Darum startet LobbyControl die Aktion „Lobbyisten raus aus den Ministerien“.
FR-Leserin Mechthild Kock aus Stade meint:
„Da geht einem doch glatt der Hut hoch, wenn man von den vielen Verflechtungen der Politik mit der Wirtschaft liest! Dass Lobbyismus gang und gäbe ist, wundert mich als aufmerksame Zeitgenossin schon längst nicht mehr. Wenn ich jedoch die Details lese, wie weit die Verflechtung unbeanstandet schon gediehen ist, wird mir regelrecht schlecht. Wer sollte da noch Vertrauen in die Politik behalten, geschweige denn entwickeln? Unabhängigkeit der Urteilsbildung – bei Politikern wie den Ministerialbürokratien offenbar längst nur noch schöner Schein.“
Werner Geiß, Rentner, aus Neu-Isenburg:
„Sehr geehrte Frau von der Leyen,
hiermit bitte ich um eine ehrenamtliche Beschäftigung als Berater unserer überforderten Bundesministerien, die in ihrer Not sogar auf die Unterstützung von Wirtschaftslobbyisten angewiesen sind. Als Ruheständler habe ich mich aus schierer Langeweile intensiv mit Theorie und Praxis von Volkswirtschaft, Verkehr, Umwelt, Bildung und Kultur befasst. Ebenso wie Sie, verehrte Frau von der Leyen, betrachte ich es als „Leuchtturmprojekt“, unsere völlig überlasteten Ministerien bei der Verfassung von Gesetzestexten fachkundig zu unterstützen und von den profitorientierten Einflüssen mächtiger Konzerne zu befreien. Dank bisher noch auskömmlicher Altersversorgung stelle ich meine Dienste kostenfrei zur Verfügung, ohne jedes Ansinnen auf Protektion, Subvention und Steuervorteile. Daher bitte ich Sie um wohlwollende Beachtung meiner Bewerbung.“
Horst Trieflinger aus Frankfurt:
„Es ist zu begrüßen, dass der Bundesrechnungshof auf das Risiko von Interessenkonflikten aufmerksam gemacht hat, die durch die Entsendung von Mitarbeitern der Wirtschaft in Ministerien des Bundes entstehen könnten. Auf diesen für die Demokratie abträglichen Einfluss der Wirtschaft hat schon der Philosoph Karl Jaspers in seiner Rede anlässlich des an ihm verliehenen Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Jahr 1958 hingewiesen: ‚Wir dürfen nicht behaupten, dass die sog. Freie Welt wirklich frei ist. Sie hat vor der totalen Herrschaft nur den Vorzug dieser Chance, frei zu werden. … Die Idee der Demokratie droht verlorenzugehen in einer formal werdenden Demokratie, die zu einem Mittel von Manipula-tionen von Politikern und Wirtschaftsinteressen entartet.‘
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Risiko von Interessenkonflikten auch bei unserer Rechtsprechung gegeben ist. Eine beträchtliche Zahl von Richtern ist neben-her als Treuhänder für Banken und Versicherungen, als Leiter von betrieblichen Einigungs-stellen, als Schiedsrichter in Streitigkeiten zwischen Unternehmen und sogar als Abgeordnete in Kommunalparlamenten und Kreistagen tätig. Kann ein Richter, der für eine Versicherung nebenher als Treuhänder tätig ist und dafür eine Vergütung erhält, für die viele Arbeitnehmer ein ganzes Jahr arbeiten müssen, über Klagen von Versicherungskunden noch unbefangen und unparteiisch urteilen? Die Lebenserfahrung schließt dies aus. Diese richterlichen Neben-tätigkeiten gefährden den Rechtsstaat.
Ob die Politik diesem Missstand abhelfen wird, ist fraglich, denn nicht wenige Abgeordnete stehen entweder auf der Gehaltsliste von Großunternehmen oder sind nebenher in diesen als Aufsichts- und Beiräten tätig.“
Nur der, der noch an den Weihnachtsmann glaubt, zweifelt an den Ursachen für die Gesetzeskrücken und -mißgeburten, die auf die Bundesbürger in den letzten Jahren niedergeprasselt sind. Der Grund für die Mißgeburten liegt vermutlich weniger in der (ungleichen) Verteilung der lobbyistischen Einflüsterungen und Beieinflussungen auf die Ressorts. Und der Grund liegt sicherlich auch nicht in der Unfähigkeit und dem Dilettantentum bei den Vorbereitung vor der Verabschiedung oder der politischen Ausrichtung der beiden großen „Volksparteien“. Hauptgrund dürfte eher sein, die Regierung nach den besten Zapfstellen für finanzielle Wohltaten (Subventionen) und andere Annehmlichkeiten abzusuchen und die Zapfhähne gleich mit zu installieren, falls noch nicht vorhanden (siehe Riester-Rente, Bahn-Privatisierung, Transrapid etc.). Man stelle sich z.B. vor, das Finanzministerium würde Beamte in die Finanzvorstandsabteilungen von Banken, Versicherungen und Industrie entsenden – zum „Erfahrungsaustausch“; sie kämen vermutlich noch nicht mal am Pförtner vorbei. Wäre es nicht ehrlicher, wir würden die Bundesregierung einfach durch die Vorstände der DAX-Unternehmen ersetzen – Ackermann als Finanzminister wäre grandios! – und anstelle des Bundes-Aufsichtsrates die Vorstände aus MDAX und TECDAX walten zu lassen. Zur Wahrung des schönen Scheins dürften sich dann im Bundesaufsichtsrat auch noch die Chefs der deutschen Einzelgewerkschaften tummeln. Hallelujah!
Übrigens – der Amtseid der Parlamentarier müßte noch nicht mal umgeschrieben werden, wird doch schon längst in den Vorstandsetagen der Wirtschaft entschieden, was dem deutschen Volke zum Nutzen gereicht.
Die Bundesregierung verharmlost die Tätigkeit von Wirtschaftslobbyisten in Bundesministerien als Beschaffung scheinbar interessenneutralen Sachverstands und kanzelt die Kritik sowohl des Bundesrechnungshofs als auch um Aufklärung bemühter Medien wie der FR und des Magazins „Monitor“ als „pubertär“ ab. Das ist schon Dreistigkeit der Sonderklasse. Sie zeigt, dass diese Regierung am System der institutionalisierten Korruption unbedingt festhalten will. Der Amtseid, den die Kanzlerin und die an der Wirtschaftsbedienungspraxis beteiligten Bundesministerinnen und Bundesminister bei Antritt ihrer Ämter geschworen haben, wird so zu einer wertlosen Floskel, an die keiner mehr glaubt, der seine Pubertät hinter sich hat. Wen wundern da noch wachsende Politikverdrossenheit und sinkende Wahlbeteiligung ?
Aber dennoch: Resignation und Abkehr von der Politik sind falsche Konsequenzen. Berichte wie die in der FR-Ausgabe vom 4. April sind ein Stück Kampf gegen demokratiewidrige und gemeinwohlschädliche Praktiken. Lassen wir uns davon anstecken ! Wählen wir keine Politikerinnen und Politiker, die auf solche Missbräuche nicht verzichten wollen !
Mit der Beschäftigung von externen Mitarbeitern aus Industrie und sonstiger Privatwirtschaft hätten doch wohl auch die Personalräte der Bundesministerien befasste werden müssen. Mir stellt sich da die Frage, warum die Personaltäte ihre gesetzliche Aufgaben nicht wahrgenommen haben. Sollte sich da ein zweiter Fall VW zusammenbrauen?
Zu den Lobbyisten in den Ministerien gesellen sich noch Tausende von offiziellen und nichtoffiziellen Lobbyisten in Berlin und Brüssel. Nicht zu vergessen sind diejenigen Bundestagsabgeordneten, die direkt oder indirekt auf der Gehaltsliste von Organisationen und Unternehmen stehen, ohne dass wir Bürger davon viel erfahren. Ein solches Thema taucht kurz in einigen Medien auf und verschwindet dann in der Versenkung, ohne dass Konsequenzen gezogen werden. Ähnliches gilt für das Thema Steuerhinterziehung. Über die schleppende Verfahrensweise bei den reichen Steuerhinterziehern müßte täglich berichtet werden. Wenn erst in zehn Jahren ein Urteil gefällt wird, kann das die Mehrheit der Bevölkerung nicht zufrieden stellen.
Werner Runde
Mönkeberg