Was Steinbrück außer Acht lässt

Peer Steinbrück hat wieder zugeschlagen. Diesmal ging es aber nicht gegen „Alpenindianer“ oder Manager, die Bruchpiloten spielen, sondern gegen die Rentengarantie, maßgeblich mitverabschiedet von der eigenen Partei, der SPD. Dafür kriegt er jetzt Zuckerbrot und Peitsche aus der Politik. Aus dem Lager der FR-Leserinnen und -Leser überwiegt die Peitsche. So schreibt mir Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt:

„Finanzminister Peer Steinbrück lässt bei seiner Rentenkritik mindestens drei wesentliche Fakten außer Acht:
Erstens: Die heute 25- bis 35-Jährigen hatten überwiegend Zugang zu einem umfassenden Bildungssystem, das durch das Steueraufkommen breiter, auskömmlich verdienender Schichten finanziert wurde. Parallel zur Steuerleistung wurden auch hohe Pflichtbeiträge in die Rentenkasse eingezahlt und entsprechende Ansprüche erworben.
Zweitens: Wenn die von Steinbrück erwähnte jüngere Generation trotz relativ guter Bildungschancen Angst um ihre Zukunft hat und vielleicht sogar haben muss, dann liegt das vor allem am Deregulierungsfanatismus, der von ihm und seinen politischen Freunden propagiert wurde. Diese Deregulierung hat staatliche Betriebe und öffentliche Dienstleistungen ohne Not privatisiert und den Renditehaien überantwortet. Sie hat Bundesbahn und Bundespost sowie große Teile des öffentlichen Sektors ihrer volkswirtschaftlichen Funktion beraubt; nämlich in Zeiten hoher bis höchster Arbeitsproduktivität und einer nachlassenden Nachfrage nach Arbeitskräften beschäftigungsstabilisierend zu wirken. Die Leistungsfähigkeit unseres Rentensystems korrespondiert mit dem Grad an Beschäftigung zu reproduktionsfähigen Löhnen.
Drittens: Die Zeiten der Vollbeschäftigung sind jedoch vorbei; das war und ist auch der Grundirrtum der Agenda 2010. Länder mit höchster Arbeitsproduktivität wie Deutschland müssen die Arbeit neu verteilen und sich durch intelligente Besteuerungsverfahren (Vermögensteuer, strukturierte Konsumsteuer etc.) Einnahmen verschaffen, aus denen die notwendigen Sozialausgaben refinanziert werden können. Denn von ihrer Arbeit allein werden schon sehr bald immer weniger Menschen leben können. Allzu vielen ist das bereits heute nicht mehr möglich. Die Rente künftiger Generationen wird sich eher an einem bedingungslosen Grundeinkommen orientieren müssen. Aber dazu müssen grundsätzliche Systemfragen gestellt und beantwortet werden.
Durch seine jüngsten Äußerungen hat Steinbrück einen großen Teil der Rentner und viele nachdenkliche Menschen verärgert. Im Gegensatz zu Burkina Faso (Hauptstadt Ouagadougou), das er unlängst verunglimpfte, besitzen die zu Unrecht Gescholtenen das Wahlrecht in Deutschland. Und werden davon hoffentlich Gebrauch machen.“

Volkhard Bender aus Bruchköbel:

„Diese Woche war ja ein großes Interview über das Thema Renten und Garantie. Da ich selbst Rentner bin, nicht unzufrieden, habe ich das nun wirklich nicht zu ernst genommen, denn was heißt schon Garantie? Zudem halte ich das für ein reines Wahlkampfthema, denn Herr Steinbrück ist für seine Attacken bekannt, da ist es schon besser, im Nahen Osten ohne Ergebnis zu verschwinden.
Was allerdings zur Ehrlichkeit von Herrn Steinbrück auch gehören würde, wäre das Thema Pensionen. In der gleichen Ausgabe schreiben Sie von einer Durchschnittspension von 2670 Euro. Da höre ich keine Klagen, denn dies betrifft natürlich Beamte und damit auch Abgeordnete. Es ist nicht zu vertreten, dass derart hohe Pensionen bezahlt werden. Wo ist hier denn eine Gleichbehandlung? Das Heer an Beamten wird immer größer, wo leisten die ihren Beitrag, den muss auch die jüngere Generation tragen, auch für seine vielen Beamten im eigenen Ministerium.
Da könnte er sich doch einmal stark machen und sich über die durchschnittlichen Beamten Gedanken machen. Welchen Beitrag trägt der Beamte selbst?“

Reiner Wolf aus Kastellaun:

„Was ist bloß in Peer Steinbrück gefahren, seinem Parteikollegen Olaf Scholz so in den Rücken zu fallen? Möchte sich Steinbrück profilieren, um gegen den von schlechten Umfragen geplagten Kollegen Steinmeier zu punkten? Dieses Verhalten kann doch nur die Einigkeit der SPD stören.
Vor der Wahl sind alle auf die Gunst der etwa 20 Millionen Rentner in Deutschland angewiesen und keiner sollte sich leichtfertig diesen Bonus verscherzen.“

Dr. Werner Rossade aus München:

„Eine Unverschämtheit wie die gestrige Aussage Steinbrücks zu den Rentnern und der Jugend hat sich bisher keine Regierung geleistet, nicht einmal die von G. Schröder, dem Einsetzer von ‚Hartz IV‘ und anderen antisozialen Maßregelungen, und dessen Finanzminister. Die Rentner haben über Jahre hinweg Realeinkommen verloren, und die jetzige Erhöhung reicht nicht einmal entfernt aus, diese Verluste auch nur annähernd auszugleichen. Will der SPD-Finanzminister einen alten Regierungstrick aufwärmen, Herrschaft zu sichern, indem er verschiedene Gruppen der Beherrschten gegeneinander ausspielt? Die Rentner sind weder schuld an der Misere der jungen Menschen im Lande noch ist bei ihnen für die Jugend etwas zu holen, es sei denn für Enkel und andere Anverwandte der einzelnen. Ausbildungs- und Studienplätze, Stipendien, Bildungsmöglichkeiten und Verbesserungen der sozialen Lage der Jungen, perspektivreiche Arbeitsplätze für sie sind Sache der öffentlichen Hände, zuvörderst von Parlament und Regierung. Vorgeschobener Geldmangel ist ein Hohn. Eine Gesellschaft wie die deutsche und dieser analoge hatte in der Vergangenheit genug „Geld“ für alle und hätte es auch heute – wenn nicht Gauner und Gierige einen zunehmend größeren Teil für sich abschöpfen und dann noch staatlich=durch die Steuerzahler finanziert würden, im Falle sie sich verspekulieren; wenn nicht vom verbleibenden Rest ein stupend großer Teil verschwendet würde (s. die Berichte des Bundesrechnungshofes), für in Permanenz erklärtes Organisationschaos allerorten, für hanebüchene Bürokratie, für dilettantisch ausgewählte Schwerpunkte und dergleichen, nicht zuletzt und bedrohlich zunehmend auch für absolut überflüssige und sinnleere Kriegsabenteuer, sei es direkt oder als Subsidien für den oder die Hauptkriegführenden.
Die heutigen Rentnerinnen und Rentner und deren Voreltern haben in Jahrzehnten hartnäckiger Auseinandersetzungen das auf sozialem Gebiet erreicht, was jetzt seit geraumer Zeit mehr und mehr abgebaut wird, eingeschlossen die Alters- und sonstigen Renten. Die heutigen Jugendlichen werden mit den kümmerlichen Renten leben müssen, die ihnen die heute Regierenden zugedacht haben, wenn sie sich nicht bald ebenso zur Wehr setzen, statt sich auf die Verkehrten ablenken zu lassen. Die Rentner, selbst Opfer der allgemeinen Regradation in den reichen und erst recht in den armen Ländern, sind ganz gewiss nicht verantwortlich für die derzeitige Lage der Kinder, der jungen Frauen und Männer.“

Carsten Wagner aus Duisburg:

„Wenn Sie schon der Meinung sind, eine Gestalt wie Bernd Raffelhüschen zu Wort kommen lassen zu müssen, dann erwähnen sie doch bitte das er nicht nur ‚Rentenexperte‘ ist sondern bei einem privaten Versicherungskonzern arbeitet und mit der Zerstörung der gesetzlichen Rente seinen Lebensunterhalt verdient. Aber solche Feinheiten interessieren die FR ja schon lange nicht mehr.“

Hildegard Bauer aus Großkrotzenburg:

„Wenn man erst die Staatsfinanzen mit den Geldern der Rentenversicherung saniert, kann man hinterher nicht so tun, also sei das ein Problem der Rentenversicherung. Schon Adenauer begann mit der Enteignung der Rentenbeiträge. Er führte vor der Wahl 1957 die Bauernrente ein für Leute, die niemals Beiträge gezahlt hatten, oder Kohl, der die Ostrentner, die genauso eine müde Mark eingezahlt hatten, aus dem Rentensäckel bediente anstatt Steuergelder einzusetzen. Für wie blöde wird man von diesen Politikern eigentlich gehalten?“

Stefan Otto aus Rodgau:

„Ich bin Rentner – und das ist gut so. In den zurückliegenden Jahrzehnten wurde mit zahlreichen ‚Reformen‘ die Rente erheblich gekürzt. Wäre ich vor zehn oder fünfzehn Jahren in Rente gegangen, dann hätte ich mehrere hundert Euro mehr erhalten. So ist es auch in der Lohnpolitik geschehen. Systematisch wurden die einst stabilen Arbeitsverhältnisse marode gemacht, indem geringfügig Beschäftigungsverhältnisse und befristete Arbeitsverträge inflationiert wurden. Und das unter der plumpen Propaganda der globalen Wettbewerbsfähigkeit.
Es ist doch pervers, wenn arbeitende Menschen nicht mehr von dem Lohn, den sie verdienen, leben können und deshalb ‚Unterstützung‘ vom Staat erbetteln müssen. Gäbe es da nicht die sogenannte Retengarantie, dann erginge es zunehmend mehr Rentnern ebenso. Was ist das für ein abartiges System? Da hat doch Norbert Blüm Recht, wenn der von ‚Pfusch‘ spricht.
Ich habe auch nichts gegen eine Verminderung, wenn die entsprechenden Basisdaten das verlangen. Doch dann bitte von dem ursprünglichen System und unter der Voraussetzung, dass jene Politiker, die das letztlich entscheiden eine ebensolche Verminderung erfahren.“

Die einzige Zuschrift, die mich bisher erreichte dem Finanzminister Recht gibt, stammt von Rasmus Ph. Helt aus Hamburg:

„Peer Steinbrück hat Recht mit seiner Position, auch wenn die Rentenfrage nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Politik muss sich mehr um die 25- bis 35-Jährigen kümmern. Denn jene Generation ist es, die am Stärksten von der Krise betroffen ist, da bei ihr die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr der Norm vergangener Jahre entspricht. Von Kündigungsschutz und sozialen Errungenschaften wie der Übernahme der Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge können die Betroffenen oftmals nur träumen, ganz zu schweigen von einem fairen Gehalt. Eine Folge der Deregulierung der Arbeitsmärkte, die genauso wie im Finanzsektor zu einem schlechten Ergebnis geführt hat: dem Recht des Stärkeren anstatt der Förderung des Gemeinwohls!“

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5 Kommentare zu “Was Steinbrück außer Acht lässt

  1. Allmählich erzeugt die immer wieder aufflammende Debatte über die auf Kosten kommender Generationen schmarotzenden Rentner bei mir äußerste Übelkeit. Meine Rente erhöhte sich netto seit 2005, dem Beginn der Altersrente, von 1040 auf jetzt neu 1080 Euro, das sind rund 4%. Da weiß ich vor Übermut gar nicht, wie viele Fässer ich aufmachen soll. Wie war das noch mit den Preissteigerungen in den letzten Jahren, mit den immer höheren Zuzahlungen bei KV und sonst für die „tollen“ Leistungen im Gesundheitssektor, wie mit gestiegenen Kosten für Strom, Gas, Müllabfuhr, (auch staatl.) Dienstleistungen? Nein, hier wird ein Nebenkriegsschauplatz errichtet, um vom wahren Hauptkriegsschauplatz abzulenken, nämlich der Umverteilung von unten nach oben und von arm zu reich. Wer zur Generation Praktikum gehört, und sich von Billigjob über Teilzeitjobs zu befristeten Verträgen hangelt, kann natürlich von seinem kargen Einkommen sich keine Alterssicherung aufbauen, geschweige denn einer Familie eine einigermaßen stabile Zukunft sichern. Doch anstelle sich der Frage zu stellen, warum so viele nicht in das staatliche System einzahlen bzw. eingezahlt haben, und trotzdem von einer staatl. Versorgung profitieren, oder warum Leistungen für Ost-Rentner, Rußland-Deutsche und Andere nicht über höhere (Spitzen-)Steuern gesamtgesellschaftlich getragen werden (Der Staatszuschuß in die Rentenkasse deckt das nicht ab!), werden wieder einmal Junge und Alte aufeinander gehetzt. Werden demnächst Rentner erschlagen, als Blutsauger am jungen Volk? Und warum geifern immer gerade diejenigen am lautesten, die nie einen Cent für die eigene Altersvorsorge eingezahlt haben? Ich hoffe nur, daß auch die ältere Generation nicht aus falschem Traditionsbewußtsein wieder genau die Parteien wählt, die sie schon seit Jahrzehnten verarschen.

  2. Dieses Theater mit den „jüngeren Generationen“ kann ich schon nicht mehr hören. Und wieso zu deren Lasten? Diese Generationen kommen ja später auch in den Genuß einer nicht sinkenden Rente.

    Aber die Politiker scheinen schon zu ahnen, dass ihre Weigerung Mindestlöhne einzuführen, die (durch das sogenennte Aufstocken) staatlich subventionierten Dumpinglöhne in den Keller treiben wird und wer nichts verdient kann auch nichts in die Rentenkasse einzahlen. So einfach ist das.
    Wie könnte es sein, dass die Löhne über dem hartz4 Niveau liegen? Das kann sich die Wirtschaft nicht leisten. Da muss der Staat aufstocken. Unglaublich. Und keiner merkt was.Sind dieses Jahr nicht Wahlen?

  3. Ich muß es noch deutlicher sagen. Schuld an sinkenden Renten sind nicht die nimmersatten Rentner, sondern die durch alle möglichen „Reformen“ (Riester, Rürup, irgendwelche demografischen Faktoren etc.) gesunkenen realen Auszahlungen. Dazu kommt dann die weiter wachsende Tagelöhner-Entlohnung für Zeitverträge, Geringverdiener, Leih- und Zeitarbeiter, begleitet von gestrichenen Sonderzahlungen und steigenden Zuzahlungen (FDP nennt dies: Eigenbeteiligung) für die entkernten Sozialversicherungen. Jetzt kommt das Ablenkungsmanöver, das nicht die stets steigenden Vermögen all derer, die sich schon lange aus der Sozialstaats-Solidarität verabschiedet haben, übertüncht werden sollen von den angeblich ach so unverschämten Ansprüchen der Rentner. Wie ist das eigentlich mit den Ansprüchen all derer, wie Ärzte, Architekten, Anwälte, welche eigene Alterssicherungen für ihren Berufsstand haben. Und warum erhalten Beamte, die nie einzahlen (bitte nicht wieder das Totschlagsargument mit den niedrigen Bruttolöhnen – netto zählt!), nach weniger Berufsjahren höhere Pensionen als BfA-Rentner? Hat jemand schon mal von der Pension mit 67 gehört? Das Rentner inzwischen ihre Rente versteuern müssen, genauso wie Beamte, dürfte sich langsam herum gesprochen haben.

    Aber vielleicht möchte Herr Steinbrück, welcher diese Diskussion jetzt wieder losgetreten hat, ja unbedingt die SPD auf den Stand der Möllemann-FDP bringen: 18% bei der Wahl?

    Merke: unverschämt sind nicht die Rentner – unverschämt sind all die Politiker, Wirtschaftsschwachmatikusse und sonstigen neoliberalen Sprücheklopfer, welchen als Vorbild wohl das von Millionen verarmten Alten in den USA vorschwebt, die sich ihr Abendessen aus der Mülltonne zusammen suchen.

    Rentner aller Bundesländer, vereinigt Euch! Und zeigt ihnen bei den Wahlen, wo der Hammer hängt!

  4. Sorry, war ein Wort zuviel im letzten Beitrag. Muß heißen: „…Ablenkungsmanöver, das die stets steigenden Vermögen all derer, die sich schon lange aus der Sozialstaats-Solidarität verabschiedet haben, übertüncht werden sollen von den angeblich ach so unverschämten Ansprüchen der Rentner.“

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