40.000 Frankfurterinnen und Frankfurter haben im Sommer 2018 für den Radentscheid unterschrieben, ein Referendum für eine bessere Fahrradinfrastruktur in Frankfurt. In der Mainmetropole hat der Anteil Radfahrender am Gesamtverkehrsaufkommen im Jahr 2017 einen Wert von 17 Prozent erreicht und ist damit stark gestiegen. Verkehrsdezernent Klaus Oesterling (SPD) geht davon aus, dass dieser Wert im jahr 2018 wegen des radfreundlichen Wetters sogar auf 20 Prozent gestiegen sein könnte. Damit stellt der Radverkehr in Frankfurt einen erheblichen Anteil. Doch der Ausbau der Radwege hinkt hinterher – und damit auch die Sicherheit Radfahrender. Noch immer hat Autoverkehr in Frankfurt Vorrang. Dies ist zwar nicht mehr die einseitige Politik der 1960er Jahre ff., für die Radverkehr praktisch nicht vorkam, aber sie ist zugleich alles andere als eine Politik, wie sie auch im Sinne der Verkehrswende nötig wäre: Vorrang für jedwede Mobilität, die ohne oder die mit geringen CO2-Emissionen auskommt. Dezernent Oesterling steht jedenfalls auf der Bremse, als fürchte er den Zorn der Autofahrer: „Da in Frankfurt die Einfallstraßen baulich begrenzt und nicht zu erweitern sind, geht der Platzbedarf für den Fahrradverkehr meiner Ansicht nach nur zulasten des Autoverkehrs“, sagte er im FR-Interview.
15 Kilometer neue, sicher ausgebaute Radwege jährlich in der Stadt fordern die Initiatoren der Bürgerinitiative, die den Radentscheid auf den Weg gebracht hat. Das ist keine utopische Forderung. Diese Radler haben den Boden nicht unter den Füßen verloren. Doch der Stadtrat nimmt trotzdem eine ablehnende Haltung zum Radentscheid ein. Nach einem ersten Rechtsgutachten hat der Magistrat, dass der Radentscheid „voraussichtlich unzulässig“ sei. Oesterling hat sich dieser Einschätzung angeschlossen. Es werden also formale Gründe herangezogen, um das Referendum abzuwehren. Der Magistrat spielt auf Zeit. Der Dezernent erscheint nicht zu einer wichtigen Debatte des Verkehrsausschusses zu dieser anhängigen Frage. Die Grünen haben ein zweites Rechtsgutachten des Hessischen Städtetages angefordert. Die Initiatoren des Radentscheids haben bisher nichts schriftlich bekommen. Möglicherweise wird die Unterschriftenaktion – diesmal formal korrekt – wiederholt. Ähnlich ist die Situation in Kassel: Das Bürgerbegehren wurde aus formaljuristischen Gründen für unzulässig erklärt. In Darmstadt ist die Sache ähnlich in der Schwebe wie in Frankfurt.
Es sei zugestanden, dass Verkehrspolitik in einer Stadt wie Frankfurt, die ebenso kompakt wie verkehrs- und pendlerreich ist, alles andere als eine Kleinigkeit ist. Es ist praktisch unmöglich, Reformen durchzusetzen, ohne jemandem wehzutun. Trotzdem – oder deswegen – muss man der Politik mehr Mut wünschen. Liebe Frankfurter PolitikerInnen – Ihr werdet nicht von den Pendlern gewählt. 40.000 Menschen haben im Sommer 2018 für eine andere Verkehrspolitik unterschrieben. Für das Quorum hätten rund 15.000 genügt. Das ist ein klares Signal dafür, dass Ihr dieses Gebiet der Zukunftspolitik anpacken müsst. Formaljuristische Einwände verschaffen Euch vielleicht ein wenig Luft, sind aber gewiss nicht geeignet, Euch als Gestalter dastehen zu lassen. Vor allem passt dieses Verhalten nicht zu einer Politik, die ansonsten bei jeder Gelegenheit zu mehr Bürgerbeteiligung aufruft. Was sind 40.000 Unterschriften anderes als Bürgerbeteiligung?
Leserbriefe
Ullrich Horstmann aus Gudensberg meint:
„Die Radentscheide der letzten Monate in Hessen sind Beispiele dafür, dass Stadtregierungen gleich welcher politischen Farben eine inhaltlich verpflichtende Bürgerbeteiligung nur scheinbar wollen: Radentscheide wurden in Darmstadt, Frankfurt/M. und nun auch in Kassel allesamt aus vorgeblich „formalen“ Gründen abgewehrt. Die geforderten Formalitäten sind aber überwiegend gar keine.
Die Mindestanzahl gültiger Unterschrift ist eine Formalität, die in allen drei Städten eingehalten wurde, ebenso die Vorlage eines Konzepts zur Umsetzung inklusive Finanzierung. Aber mit dem kleinen zusätzlichen Wort „tragfähig“ machte man in den Regularien für Bürgerentscheide aus den Formalitäten Finanzierungsplan und Umsetzungszeiträume inhaltliche Voraussetzungen. Und die werden ausgerechnet auch noch von denen geprüft, die mit einem Entscheid zu politischem Handeln aufgefordert werden sollen, nämlich die jeweiligen Stadtregierungen und Stadtverordnetenversammlungen.
Die Beurteilung einer tragfähigen Finanzierung ist eine ganz überwiegend politische Haushaltsentscheidung. Sie ist eine Frage des politischen Willens. Ebenso sind Kostenrechnungen, die die Bürger auch vorlegen sollen, in der Regel bestenfalls Annäherungen, wie die Kostensteigerungen bei so vielen zumeist öffentlichen Bauvorhaben zeigen.
Die reihenweise Ablehnung von Radentscheiden aus vorgeblich „formalen Gründen“ wegen nicht tragfähiger Finanzierungskonzepte ist der Beleg dafür, dass eine echte, d.h. inhaltlich verpflichtende Bürgerbeteiligung nicht gewollt ist. Es reichen den Parteien unverbindliche Bürgerversammlungen und Verhandlungen mit den engagierten, gestaltungswilligen Bürgern. Die Parteien nehmen die Aktiven der Zivilgesellschaft nicht wirklich ernst, was an weiteren Beispielen belegt werden könnte. Kein Wunder, dass es Wutbürger und Nichtwähler unter den Engagierten gibt.“
Volker Rapp aus Frankfurt:
„Der Bericht über den nicht anwesenden Stadtrat Oesterling im Verkehrsausschuss bestätigt leider das Rumlavieren und das ignorante Umgehen mit dem Anliegen von 40.000 Frankfurtern, die den Radentscheid unterschrieben haben – ich gehöre auch dazu. In einem Zeitraum seit vergangenem Sommer muss es doch seitens der Stadt möglich sein hier eine Position zu beziehen und eine Abstimmung parallel zur Europa-Wahl zu ermöglichen. Sonst drängt sich sehr der Verdacht auf, dass ein legitimes demokratisches Recht durch Blockade und Nichtstun ausgehebelt wird.
Den Hinweis des Verkehrsdezernats auf eine fehlende Finanzierungsvorlage der Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs finde ich absurd – auch wenn es in der hessischen Gemeindeordnung steht. Es ist doch ureigenste Aufgabe von Politik Anliegen der Bürgerschaft in konkretes Handeln umzusetzen – und auch Finanzierungen zu ermöglichen. Wer soll denn Umschichtungen in einem Haushalt vornehmen, die aufgrund aktueller Entwicklungen – wie der innerstädtischen Verkehrssituation, den verunglückten Fahrradfahrern und der gesamt Klimaproblematik – dringend notwendig sind, wenn nicht die gewählten Mandatsträger.
Ich habe den Eindruck, dass die Stadt auch hier wie bei von ihr selbst initiierten Vorhaben wie „Frankfurt fragt mich“ oder „Frankfurt 2030“ zwar proklamiert die Vorschläge und Anliegen der Frankfurter Bevölkerung umzusetzen oder zumindest einzubeziehen – die Antworten und Anliegen aber letzlich ignoriert, weil es nicht in die Politik passt.
Das ist ziemlich ärgerlich und die Sadt verspielt damit auch eine wichtige Ressource einer sich in großen Teilen artikulierenden Bürgerschaft.“
Werner Geiß aus Neu-Isenburg:
„Mit großer Selbstverständlichkeit verursacht der rollende und ruhende Autoverkehr in den Kommunen das größte Defizit aller Verkehrsmittel, da er den kostenintensiven öffentlichen Raum überwiegend beansprucht, aber nur einen minimalen Kostenbeitrag leistet. Gefördert vom Bundesverkehrsministerium hat daher die Uni Kassel eine kommunale Verkehrskostenrechnung entwickelt. Dieses von den Kommunen leicht zu bearbeitende Tool liefert stets die Erkenntnis des für die Kommunen so teuren Autoverkehrs. In vielen europäischen Metropolregionen hat man längst die Konsequenzen gezogen und mit angemessener Parkraumbewirtschaftung oder einer City-Maut nicht nur das Defizit des Autoverkehrs reduziert, sondern auch die Investitionen für die Verkehrswende finanziert, einschließlich Radwegenetz. Es irritiert schon, dass die Rhein-Main-Städte die Verkehrskostenrechnung ablehnen, stillschweigend das enorme Defizit des Autoverkehrs hinnehmen, sodann aber über die im Vergleich dazu minimale Finanzierung von Radwegen streiten.“
Herr Scheuer hat irgendwo verlauten lassen, dass er fürchtet, die Dieselfahrer könnten sich ein Beispiel an den Gelbwesten nehmen und auf die Barrikaden gehen.
Radfahrer werden nur von Fußgängern gefürchtet.
Als wenn das Thema Luftgüte in der Stadt nur ein Problem der Radler wäre.
Wie gefährdet Fahrradfahrer sind, scheint die breite Masse auch nicht zu interessieren.
Am besten steigen wir alle auf das Auto um und verursachen den völligen Verkehrskollaps. Ob es dann eine vernünftige Reaktion gibt?
Bürgerbeteiligung? Augenwischerei der Politik. Beteiligen darf sich der Bürger da, wo die Politik eklatant versagt, im sozialen Bereich, ansonsten wird er zwar gefragt, sein Begehr aber aus formalen Gründen abgelehnt.
Die Radwege die geschaffen werden, hab es in einem anderen Beitrag schon beschrieben – Elisabethenstraße – zum Beispiel, verschlimmern die Situation für die Radler noch.
Was ich mich inzwischen frage, fühlen sich nur die Unfähigen für die Politik berufen?
Grundsätzlich stimmt doch an diesem System etwas nicht. Jeder Arbeitnehmer übernimmt Verantwortung für die Arbeit die er leistet. Jeder Arbeitnehmer wird genau danach beurteilt. Politiker übernehmen für Nichts Verantwortung! Brauchen bei Versagen auch keine Konsequenzen zu fürchten. Ihr Auskommen ist sicher, ihre Rente auch.
Es sind auch nicht ihre Millionen die sie in den Sand setzen. Dafür gehen ja die Bürger arbeiten.
Sind wir wirklich so sehr Lemminge, dass wir nicht mehr in grossen Protesten einfordern, was gut und notwendig ist?
Wollen wir wirklich weiter zuschauen, an wie vielen Ecken und Enden diese Politik versagt zum Schaden Aller?
Nachsatz: Solidarität auch wenn’s den einzelnen nicht oder noch nicht betrifft – mit steigenden Mieten z.B. werden sich immer mehr Menschen auseinander setzen müssen, Solidarität, ist sie uns abhanden gekommen?
@ Anna Hartl
Ich finde Ihre engagierte Argumentation ja recht erfrischend.
Nun kenne ich die Situation in Frankfurt nicht und will mich daher auch nicht einmischen.
Aber ich bin öfter in Berlin, und da kann man schon auch andere Eindrücke bez. Radfahrer gewinnen.
Früher fuhr ich ja auch manchmal 8 km mit dem Rad quer durch die Stadt zur Schule nach Kreuzberg, und das war nicht immer ganz ungefährlich. Aber das ist schon lange her. Meine Töchter sind aber regelmäßig mit dem Rad unterwegs, wobei sie schon auch bestimmte Viertel meiden.
Das Problem existiert aber auch für Autofahrer, da – wie immer wieder zu beobachten ist – für viele Radfahrer offenbar gar keine Verkehrsregeln existieren, nicht einmal Ampeln. Mit dem Auto rechts abzubiegen wird zum Riesenproblem, weil man immer gewärtig sein muss, dass von hinten ein Radfahrer angerast kommt.
Und das ist nicht vorwiegend ein Problem fehlender Radwege, sondern schlicht und einfach der Disziplin. Denn gerade bei gut ausgebauten Radwegen ist dies am schlimmsten. Da wird schon gar nicht auf den Verkehr in Querstraßen geachtet. Mein Eindruck ist der, dass mehr und mehr Radfahrer auch vor sich selbst geschützt werden müssen.
Nun weiß ich freilich kein Rezept, wie dies zu bewerkstelligen wäre. Es scheint aber ein Problem zu sein, das mit der Masse zu tun hat, aber auch (wie wir es in der Diskussion über Tempolimit sehen können) mit verqueren Vorstellungen von „Freiheit“ – die eher mit „Rücksichtslosigkeit“ zu übersetzen wären.
Von Amsterdam etwa habe ich gehört, dass man sich da als Autofahrer nicht hineinwagen sollte, denn bei einem Unfall mit Radfahrern sei prinzipiell der Autofahrer schuld. Nun war ich da zwar mit dem Auto kaum in der Stadt, doch auch als Fußgänger habe ich mich schon etwas bedroht gefühlt.
Ähnliches, habe ich vor wenigen Wochen in Vietnam erlebt, hier aber noch gesteigert, da man da auch auf dem Trottoir riskiert, von Motorradfahrern umgefahren zu werden. Und einem aus unserer Gruppe wäre das in Saigon auch fast passiert.
Ähnliche Erinnerungen habe ich an Budapest 1990, also unmittelbar nach dem Mauerfall. Das ist offenbar ein Phänomen, das von politischen Entwicklungen nicht unabhängig ist: Individuelle „Freiheit“ nach dem Motto: „Wehe, wenn sie losgelassen!“
@Werner Engelmann
Ich gehöre eher zu den langsameren Fahrradfahrern und setze dabei auf ein miteinander im Strassenverkehr.
Schwierig hier in Frankfurt finde ich die mangelnde Akzeptanz der Fahrradwege sowohl von Autofahrern als auch Fußgängern. Dort, wo sie als solche ausgewiesen sind, tummelt sich alles. Neuerdings fahren auch Motorroller auf dem Radweg.
Kein Fußgänger käme auf die Idee, auf der Straße zu laufen, auf dem Radweg gibt es da keine Skrupel.
Mein Eindruck ist, dass ich täglich darum kämpfen muss, überhaupt irgendwo mit dem Rad fahren zu können.
Ich weiß, dass sich so einige nicht an die Regeln halten. Leider trifft das auch auf die anderen Verkehrsteilnehmer zu. Der „alten Generation“ scheint es sogar Spaß zu machen, bei Rot über die Ampel zu gehen.
Aber das Thema war die Bürgerbeteiligung und was letztendlich davon umgesetzt wird und ein evtl. Umdenken hin zu weniger Autofahrten sondern mehr umweltfreundliche Fortbewegungsmittel.
Ich teile Ihre Meinung nicht, dass die Situation schlimmer wird, wenn es mehr und besser ausgewiesene und vor allem geschützte Fahrradwege gibt. Die Fahrspuren werden entzerrt, sodass sich jeder in seinem Bereich fortbewegen kann.
Sorge bereiten mir da nur die künftig hinzukommenden E-roller. Erstens sind sie schneller und zweitens sind die Straßen so marode, dass die Löcher im Belag ganz sicher den ein oder anderen zu Fall bringen wird. Da wäre ich ungern auf der selben Spur unterwegs.
Leider interessiert auch das die Stadt wenig. Sie bekommen die jetzigen Probleme nicht gelöst, warum nicht noch ein weiteres auf die Straße bringen.