Nur noch ein kleiner Schritt

Selbst das Bundesverfassungsgericht ist nicht davor sicher, sich von Angela Merkel instrumentalisieren zu lassen! Eines muss man unserer Bundes-Angie lassen: Sie hat das Kohl’sche Konzept des Aussitzens zur Perfektion weitergetrieben. Schon bei Helmut Kohl – erinnert sich noch wer an den?, Stichwort Birne – galt als oberste Regierungsdoktrin: Was ich heute nicht entscheiden kann, werde ich auch morgen nicht entscheiden, also reden wir besser gar nicht drüber. Konsequent schwieg er, wenn er nichts zu gewinnen hatte. Merkel schweigt wie er – doch während es bei Altvater Kohl darum ging, Krisen einfach irgendwie durchzustehen, ist dieses Schweigen bei Merkel vielsagend. Es hat Richtungen. Es kann sich sogar gegen ihre eigene Partei richten, die zu einem bestimmten Prozentsatz immer noch aus Altvorderen besteht. Und wieder einmal erfahren wir nicht, welcher Meinung Angela Merkel persönlich ist. Ich für mich kann sagen: Das ist nicht meine Mutti! Denn was ist das für eine Mutti, die das Bundesverfassungsgericht braucht, um ihre tumben Truppen zur Erneuerung zu zwingen?

Es soll da Abgeordnete aus dem schwärzesten Hessen oder dem dunkelsten Bayern geben, die bis heute glauben, dass Homosexualität  eine Krankheit ist. Sie sind damit nicht allein, es gibt auch FR-Leser, die das immer noch glauben. Ich zitiere aus einer Zuschrift, die mich dieser Tage im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts erreichte:

In Wahrheit jedoch ist jeder Mensch heterosexuell, selbst wenn er mit einem homosexuellen Problem zu kämpfen hat. Durch seelische Nöte in der Kindheit ist er in seiner Entwicklung zum Mann- bzw. Frausein blockiert und müht sich unterbewusst ab, seine mangelnde Selbstrepräsentanz durch homosexuelle Kontakte als Ich-Stütze zu kompensieren. Dabei könnte er unter verständnisvoller Begleitung Frieden mit seiner Biographie schließen und in eine Zukunft als Heterosexueller mit geheilter Identität starten. Doch wer dies betont, wird von der Homolobby als homophober Hetzer nieder gemacht.

Nachdem ich unter verständnisvoller Begleitung meines Mannes vor einem Vierteljahrhundert Frieden mit meiner Biographie geschlossen habe, die eigentlich nur so lange nicht friedvoll war, wie sie von intoleranten heterosexuellen Menschen infrage gestellt wurde, muss ich sagen: Von Wortmeldungen einzelner Mitbürgerinnen und Mitbürger abgesehen haben die Lesben und Schwulen es weitgehend geschafft. Der Marsch durch die Institutionen ist nun auch für diese Minderheit unserer Gesellschaft weitgehend durchgestanden. Ab jetzt gilt: Wer in einer Partnerschaft Verantwortung übernimmt, egal ob es sich um eine verschieden- oder gleichgeschlechtliche Partnerschaft handelt, der ist vor dem Gesetz gleichgestellt, ganz nach zwei Grundsätzen des Grundgesetzes:

Art. 2, Abs 1: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

sowie Art. 3, Abs. (1): Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Und das gilt eben auch für die Ehe. Es gibt keinen Grund mehr, einen Unterschied zu machen zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft. Man könnte also die Ehe, diesen alten Zankapfel, einfach abschaffen. Das wäre ein echter Fortschritt. Niemand würde Mann und Frau – oder sonstwem – noch vorschreiben, wie sie ihr Leben zu verbringen hätten, mit Staates Plazet. Meine ich. Leserbriefautorin Eva Kröcher aus Frankfurt ist entgegengesetzter Meinung. Sie sagt, dass es keinen Grund mehr gibt, das Institut der Lebenspartnerschaft beizubehalten. Hmm. Bedeutet dass, dass ich meinen Mann demnächst heiraten muss?

Hier der Leserinbrief von Eva Kröcher aus Frankfurt:

„Das Verfassungsgericht setzt seine Rechtsprechung wie erwartet konsequent fort und stärkt gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften. Damit hat das Gericht die Lebenspartnerschaft praktisch für obsolet erklärt, denn mit Ausnahme des vollen Adoptionsrechts ist die Gleichstellung mit der Ehe vollzogen. Zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ist es jetzt nur noch ein kleiner Schritt.
Die CDU hat hingegen im März die Chance vertan, ein Urteil zu vermeiden und vor der Sommerpause und damit dem Ende der Legislaturperiode eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Merkel hat den durchaus freundlich gemeinten Hinweis Voßkuhles auf das anstehende Urteil vollmundig vom Tisch gewischt und bewusst eine neue Schlappe beim Reizthema Gleichstellung der Lebenspartnerschaft in Kauf genommen. Offensichtlich lässt sich diese Partei eher in höchst masochistischer Weise ihrer konservativ-reaktionären Klientel rechtsaußen zuliebe abwatschen, statt real die weltoffene Volkspartei zu sein, die sie gerne vorspielt.
Immerhin hat Merkel sich jetzt mit dem Karlsruher Beschluss einen Persilschein geholt, den sie ihrer Rechtsaußen-Minderheit präsentieren kann, wenn sie das Unerlässliche unter dem Zwang des Urteils tun muss, das ihr doch eigentlich herzlich egal ist. Eine billige Taktiererei um Wählerstimmen, bei der sich die Frage stellt, ob sich das nicht irgendwann rächt. Es gibt nun einmal Angelegenheiten, die aus taktischen Gründen auszusitzen unangenehm werden kann, wenn andere schon das Feuer unter der Sitzfläche vorbereiten.
Es steht allerdings zu erwarten, dass die Konservativen in der Union nun aus einer Trotzreaktion heraus nicht das Ehegattensplitting per Gesetz auf Lebenspartnerschaften erweitern, sondern gleich komplett abschaffen – Motto: Ehe wir denen was geben, bekommt es keiner. Es ist dabei noch die Frage, ob dann als sinnvolle Alternative ein Realsplitting für Familien eingeführt wird. In einem Anti-Sozialstaat, in dem die Großunternehmen alles bekommen und die BürgerInnen nur die Zeche zahlen müssen, ist das nicht zu erwarten. Die kommende Legislaturperiode, die – es steht zu fürchten – wahrscheinlich wieder die CDU/CSU in der Regierung sieht, wird es zeigen. Bis dahin hält sich die Union bedeckt, um bloß nicht WählerInnen zu verschrecken. Damit hätten sie allerdings noch weniger Gründe, die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare rational abzulehnen, es bliebe beim verstockten ‚Wir wollen das aber nun mal nicht!'“

Lothar Bundschuh meint Kleinheubach:

„Bisher war ein Beweis für Fortschritt, dass aus Einfachem ‚Kompliziertes‘ (als Beispiel: Einzeller zum Mensch) wurde, und in der Physik ist eine Option für das Ende der Welt die Entropie, die Allgleichheit, in der alles absolut gleich ist.
So gesehen ist dies kein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft, welche Solidarität, nicht aber Gleichheit benötigt, um zu funktionieren. Und so freue ich mich für die Menschen – in nennen wir dies mangels Begriffen „anderen“ Ehen –, dass sie Partner gefunden haben, welche sie lieben und ehren können. Frage mich aber, ob deren Glück nur perfekt sein kann mit Ehegattensplitting und ob dieses angesichts der Entwicklung noch in die Zeit passt?
Die Einnahmen des Gemeinwesens, der Gesellschaft, des Staates sind nicht beliebig vermehrbar, und so ist es an der Zeit, das Ehegattensplitting abzulösen zugunsten anderer Regelungen. Der Grund dieses Gesetzes sollte die Förderung von Nachwuchs von Staatsbürgern sein.“

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7 Kommentare zu “Nur noch ein kleiner Schritt

  1. Es scheinen noch Zeichen und Wunder zu geschehen, die Union will tatsächlich noch vor der parlametarischen Sommerpause und damit dem Ende der Legislaturperiode ein Gesetz zum Steuersplittung einbringen. Damit hat es sich dann aber auch schon. Spätestens beim vollen Adoptionsrecht für Lebenspartnerinnen sperrt sich die Union wieder mit „einem gewissen Unbehagen“, wie sich Volker Bouffier nebulös und voller dumpfer Andeutungen ausdrückt, dabei beruft er sich einmal mehr auf eine vermeintliche Mehrheit in der Bevölkerung. Was er damit meint, sagt er nicht, aber es schwingen einmal mehr jede Menge unausgesprochene Vorurteile mit, was Kindern womöglich alles an Ungemach bei gleichgeschlechtlichen Paaren widerfährt. Bouffier versteift sich auf die durch nichts bewiesene und alle Realitäten im Lande ignorierende 1950er-Heile-Welt-Phantasie, daß die Mami-Papi-Kinderlein-Familie das einzig richtige sei.

    Folgerichtig verlautet die Union, daß sie die Linie zur Kinderadoption durch Lebenspartnerinnen nur unter Zwang aus Karlsruhe, d.h. per Urteil durch das Bundesverfassungsgericht überschreiten werde. Das hat Methode, denn das hatte die Union auch schon zur beamtenrechtlichen Gleichstellung von Lebenspartnern, zur sukzessiven Adoption bei Lebenspartnern, zum – s.o. – Steuersplitting bei Lebenspartnern und noch ein paar anderen Sachen verkündet. Jedesmal gab’s eine Watsche aus Karlsruhe, und die Union hat immer wieder auch noch die andere Wange hingehalten – und die Arschbacken gleich mit. Das ist, wie ich schon schrieb, politischer Masochismus pur in Konsequenz, die pure Lust am Schmerz aus reaktionäner Verbohrtheit jenseits jeglicher Logik und wider besseres Wissen.

    Und angesichts der deutlichen Ansagen „Kratz mich, beiß mich, schlag mich, gib mir Tiernamen“ aus dem Konrad-Adenauer-Haus Richtung Karlsruhe kommen dann immer wieder irgendwelche Leute her und tönen wutentbrannt, wie es das Verfassungsgericht wagen könne, solche Urteile zu sprechen und damit Politik zu machen – das ist nur noch ignorant gegenüber den Verhältnissen in der Union, die die Regierung stellt, aber das Gesetze machen schamlos und gegen den Geist der Verfassung nach Karlruhe delegiert.

    Web-Links zum Thema:

    http://www.fr-online.de/politik/ehegattensplitting-union-quaelt-sich-weiter-mit-homo-ehe,1472596,23192086.html
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/homo-ehe-unionspolitiker-wehren-sich-gegen-adoptionsrecht-a-904540.html

  2. “Die Einnahmen des Gemeinwesens, der Gesellschaft, des Staates sind nicht beliebig vermehrbar, und so ist es an der Zeit, das Ehegattensplitting abzulösen zugunsten anderer Regelungen. Der Grund dieses Gesetzes sollte die Förderung von Nachwuchs von Staatsbürgern sein.” (Lothar Bundschuh)
    Zuchtprämien haben zweifellos Geschichte in der Steuerpolitik. Aber es gibt einen allgemeineren Grundsatz, den wir nicht aus den Augen verlieren sollten, und das ist die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Und jemand, der eine Versorgungsverpflichtung für einen anderen eingeht, dem „gehört“ sein Verdienst nicht mehr vollständig, der verliert also aus Staatssicht an Leistungsfähigkeit.

    Konsequent umgesetzt hat man diesen Gedanken bisher leider nur im Ehegattensplitting, in dem die Leistungsfähigkeit, nach der besteuert wird, über die Ehegatten gemittelt wird. Und auch, wenn da von Familie geredet wird, ist es inhaltlich falsch, denn dieses Ehegattensplitting war nie auf Paare mit Kindern oder auch nur Paare mit der Möglichkeit zu Kindern beschränkt, es galt auch immer für gewählt Kinderlose wie auch für Zeugungsunfähige, sei es aufgrund eines persönlichen Schicksals oder einfach aufgrund des Alters.

    Insofern halte ich es auch für Unsinn, wenn das Ehegattensplitting als Steuererleichterung dargestellt wird. Es trägt einfach der Tatsache Rechnung, dass da kein einzelner Mensch ist, sonder der Steuerpflichtige als Teil einer Wirtschaftsgemeinschaft lebt, die man nicht anders besteuern sollte, wenn der Unterhalt nur von einem bzw. einer erwirtschaftet wird, als wenn er von beiden zu gleichen Teilen erwirtschaftet wird.

    Was noch fehlt, ist zu erkennen, wer sich noch in dieser Wirtschaftsgemeinschaft befindet, und das sind alle, deren Unterhalt durch die Gemeinschaft gesetzlich oder vertraglich, wie bei der Ehe, geregelt ist. In der Vergangenheit hat der Gesetzgeber so getan, als stünden z.B. Kindern nur der Minimalsatz zu. Hier sehe ich noch Handlungsbedarf, weil die Kinder normalerweise genauso das Leben der Familie teilen wie die Ehegatten. Was spricht also dagegen, sie komplett in das Splitting aufzunehmen? Dann hätten wir auch die gewünschte Zuchtprämie.

    Bei der Gelegenheit sollte man dann auch vielleicht gleich die Familie umdefinieren als als Netzwerk gesetzlicher oder vertraglicher Unterhaltsverpflichtungen. Dann klappt’s auch mit dem Grundgesetz.

    Und für die Steuerausfälle, die daraus entstehen, gibt es Möglichkeiten: Ein Familiensplitting verringert die Härten der Progression in ihren unteren Bereichen (in die sie historisch nie gehörte, sondern nur die Geldentwertung gelangt ist). Es wäre also möglich, die Progression wieder steiler zu machen und das Hochsetzen des Höchstwertes ist schon lange überfällig.

    Was man mit Sicherheit nicht machen sollte, ist, eine lange überfällige Reform deshalb zurückstellen, weil sie im ersten Ansatz Geld kostet.

  3. Lieber Bronski, da werde ich wohl mal einen kleinen Exkurs über die Ehe machen.

    Die verfassungsrechtliche Argumentation, die Sie per Art. 2 und 3 GG anführen, ist bezgl. der Ehe zweischneidig. Im zitierten Art. 2 steht der schwammige Begriff des Sittengesetzes, zum dem Wikipedia ausführt, es sei „keine ausformulierte, schriftlich niedergelegte Norm, sondern ein Ausdruck dessen, was in der Allgemeinheit und dem allgemeinen Rechtsempfinden nach, d. h. der Mehrheit der Mitglieder einer Gemeinschaft, als sittengemäß bzw. anstößig gilt. Insofern wird es als eine quasi kollektive Übereinkunft darüber, was für das Zusammenleben gesitteter Wesen verbindlich sein soll, stark durch die Ansichten der Gesellschaft und die dort vorherrschenden Moralvorstellungen geprägt. Es ist also einem steten Fluss unterworfen.“ Mit diesem Gummibegriff läßt sich also alles und nichts rechtfertigen, damit haben Gerichte auch schon das unverheiratete Zusammenleben zweier Erwachsener als Paar für sittenwidrig erklärt und z.B. Partnerschaftsverträge verworfen. U.a. auf dieser Basis wurde auch die „Aktion Standesamt“ 1992/93 abgewiesen, die bis vor das Bundesverfassungsgericht ging.

    Auf der gleichen Basis haben auch gleichgeschlechtliche Paare beim Europ. Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Klage wegen Verletzung ihrer Verfassungsrechte erhoben und wurden abgewiesen. Der EGMR argumentierte regelmäßig, daß es den Mitgliedsstaaten des Europarates überlassen ist zu definieren, was eine Ehe ist und wer sie eingehen darf. Somit darf Deutschland auch die Anerkennung einer in den Niederlanden oder Spanien geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehe verweigen und den Ehegatten bestenfalls den Status einer Lebenspartnerschaft zubilligen. In anderen Ländern werden diese Ehen überhaupt nicht anerkennt und die Ehegatten als unverheiratet behandelt. Die Art. 2 und 3 GG sind somit nicht unbedingt eine Hilfe, wenn auch richtungweisend, wie die aktuellen Urteile aus Karlsruhe beweisen – sie sind allemal das höherwertigere Verfassungsgut als der Art. 6 GG.

    Sie sehen die Ehe als Zankapfel, als rückschrittlich, als staatliche Bevormundung der Lebensgemeinschaft zweier Erwachsener. All das ist die Ehe, kann sie sein, und doch nicht. Es geht auch anders.

    Zankapfel war sie schon mit dem gesellschaftlichen Umbruch nach der französischen Revolution und der Einführung der staatlichen Zivilehe incl. Scheidung in den Zivilgesetzbüchern. Die Kirchen liefen Sturm dagegen, sahen einen Eingriff in ihr Monopol, genützt hat der Widerstand nichts. Seit dem 19. Jahrhundert schließen Standesbeamte die Ehen und nicht mehr Priester, die Personenstandsbücher haben die Kirchenbücher abgelöst. Der Zankapfel ist das zumindest aus Sicht der RKK bis heute geblieben, auch wenn sie sich im Rahmen des Konkordats dem beugt und schweigt.
    Rückschrittlich ist die Ehe dort, wo sie entsprechend gestaltet wird, dafür sind aber allein die Ehegatten und ggf. ihr Umfeld verantwortlich. Wir haben nicht mehr 1949, sondern 2013 – dazwischen liegen lange Jahre einer gesellschaftlichen Entwicklung und mehrere Reformen des Eherechts. Ein Grundsatz des Eherechts ist, daß die Führung der häuslichen Gemeinschaft Angelegenheit der Ehegatten, d.h. reine Privatsache ist. Der Staat mischt sich grundsätzlich nicht ein, „eheliche Pflichten“ als unabdingbarer Rechtsanspruch sind passé. Tatsächlich schreibt also niemand Frau und Mann vor, wie sie ihr Leben verbringen zu haben. Das staatliche Plazet bedeutet etwas anderes.

    Lesen Sie den Abschnitt des BGB über die bürgerliche Ehe, steht da nichts von Liebe und Hiebe, Lust und Frust. Da finden Sie nur trockenes Juristendeutsch über Geld und Vertragswesen, denn mehr ist die Ehe im Sinne des BGB nicht: Der formale (!) Vertrag zwischen zwei Erwachsenen über eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft. Die Ehe als solche hat kaum Innenwirkung auf die Beziehung der Ehegatten, sie hat hauptsächlich signalisierende Außenwirkung für Dritte, daß hier eine Gemeinschaft auftritt.

    Eigentlich ähnelt die Ehe, abgesehen von der Formvorschrift, einer GbR, und letztlich können die Ehegatten per notariellem Ehevertrag weitreichende Vereinbarungen jenseits der Unterlassungswerte des BGB treffen, solange diese nicht rechts- oder sittenwidrig – da haben wir wieder das Sittengesetz – sind. Letztlich können sich die Ehegatten damit von fast allen Bestimmungen des BGB befreien und ihre Ehe so frei gestalten, wie es möglich ist. Da können Sie kaum noch von Zwängen schreiben und einem staatlichen Erlaubnisschein für Partnerschaft. Das war einmal, und Partnerschaft als aktiver Prozeß läßt sich sowie nicht durch ein amtliches Papier produzieren, dazu gehören zwei gewillte Personen. Das war und ist aber immer unabhängig von der Ehe.

    Warum sollten Sie unter diesem Aspekt nicht überlegen, Ihren Mann zu heiraten? Sie haben als zwei Erwachsene, die wissen, was sie wollen, die volle Gestaltungsmöglichkeit.

  4. Immerhin sind „Sitten“ Variable, die gestaltet werden können.
    Eine Festschreibung ist deshalb unmöglich. Gerade die „Schwammigkeit“ eröffnet die Möglichkeit, „Unsittliches“ zu „Sittlichem“ zu machen, soweit es nicht die Rechte anderer verletzt. Es gestattet aber nicht,“Unsittliches“ zu „Sittlichem“ zu machen, wenn es die Rechte anderer verletzt.
    Mit diesem „Gummibegriff“ läßt sich also alles Befreiende, aber nichts Unterdrückendes rechtfertigen. Die befreienden Aktivitäten der Minderheiten sind demnach sittlich, die unterdrückenden Aktivitäten der konstruierten „Mehrheit“ aber sind unsittlich.

    Den zitierten Wiki-Artikel halte ich für nicht schlüssig.

  5. @ Eva

    „Warum sollten Sie unter diesem Aspekt nicht überlegen, Ihren Mann zu heiraten? Sie haben als zwei Erwachsene, die wissen, was sie wollen, die volle Gestaltungsmöglichkeit.“

    Ich muss ihn nur dann heiraten, wenn die Lebenspartnerschaft wieder abgeschafft werden sollte, denn wir sind seit 2002 „verpartnert“ (wie ich dieses Wort liebe!). Meine Bemerkung in der Anmoderation ist daher augenzwinkernd zu verstehen, kleiner Scherz am Rande in all der Ernsthaftigkeit.

    Irgendetwas wird sich der Gesetzgeber nun ja ausdenken müssen, um Ehe und Lebenspartnerschaft begrifflich voneinander zu unterscheiden, wenn er sich nicht dazu durchringen kann, eine Verbindung zweier Menschen vor dem Gesetz grundsätzlich einfach als Ehe zu bezeichnen, egal ob es sich um verschieden- oder gleichgeschlechtlich Liebende handelt. Oder beispielsweise auch – und da wird es ja richtig kompliziert, nicht nur für die Konservativen – um Lebenspartnerschaften/Ehen, in denen Transsexualität eine Rolle spielt. Ich bin gespannt, was uns da erwartet. Die entsprechenden Änderungen werden ja noch vor der Bundestagswahl zu erwarten sein.

  6. @Bronski: Selbst bei Abschaffung der Lebenspartnerschaft zugunsten einer Öffnung der Ehe für gleichgeschlchtliche Paare müßten Sie nicht noch einmal zum Standesamt. Freundlicherweise gibt es so etwas wie rechtliche Besitzstandswahrung, oder die bisherigen Lebenspartnerschaften würden zukünftig einfach als Ehe geführt und behandelt. So schnell kann aus einem „verpartnert“ ein „verheiratet“ werden. „Verpartnert“ ist eh ein so verbabbter Begriff wie „meine Bekannte“, den manche heute immer noch für Lebensgefährtinnen benutzen, mit denen sie in „wilder Ehe“ leben. Alles Restbestände überkommener Vorstellungen und Lebenskontrolle durch Gesellschaft und Gesetzgebung.

    http://forum.spiegel.de/f22/merkels-homo-ehe-wende-rosa-anstrich-fuer-die-cdu-83737-7.html#post12103595

    Dabei erinnere ich mich noch an den dümmlichen Zank um Begrifflichkeiten bei Wikipedia, als ich im Artikel über Holger Weinert schrieb, daß er seit 2006 mit seinem Mann verheiratet sei. Es waren vorzugsweise die Leute, die rabiat auf „verpartnert“ bestanden, die bei verheirateten Frauen immer noch „Mädchename“ statt „Geburtsname“ verwenden, wenn sie den Namen des Mannes als Ehenamen angenommen hat. Im umgekehrten Fall kommt niemand auf den Gedanken, bei einem Mann vom „Jungennamen“ zu sprechen.

    Was der Gesetzgeber, in diesem Fall die schwarz-gelbe Koalition, zukünftig für verbale und rechtliche Klimmzüge macht, um die Lebenspartnerschaft von der Ehe zu unterscheiden, d.h. zu diskriminieren, wird sich zeigen. Es ist durchaus möglich, daß die Koalition das stillschweigend unter den Tisch fallen läßt und nicht hindenkt, wie es die schwarz-rote Koalition 2008/2009 schon einmal getan hat. Nur wenige wissen, wie ich es in einem Artikelforum beim Spiegel oder Telepolis schon mal ausführte, daß wir die gleichgeschlechtliche Ehe de facto schon seit 2008 haben, als das Verfassungsgericht die gesetzkliche Bestimmung kippte, daß transgeschlechtliche Personen als Voraussetzung der Personenstandsanpassung unverheiratet sein müssen. Das bedeutete für davon Betroffene ggf. eine ungewollte Scheidung, was dem Art 6. GG widerspricht.

    Das Gericht baute der schwarz-roten Koalition eine goldene Brücke, die bestehende Ehe in eine Lebenspartnerschaft umzuwandeln, bestimmte aber, daß diese rechtlich nicht schlechter gestellt sein dürfe als die Ehe. Da wären wir wieder bei der rechtlichen Besitzstandswahrung. Das war zumindest für die Union untragbar, und so wurde 2009 der verfassungswidrige Passus klammheimlich gestrichen und damit die gleichgeschlechtliche Ehe durch die Hintertür eingeführt. Daher bekomme ich immer wieder einen Lachanfall, wenn Erzkonservative und Reaktionäre gegen die gleichgeschlechtliche Ehe wüten, aber längst miteinander verheiratete Frauen- und Männerpaare deutsche Realität sind.

    Davon ist weder das Abendland untergegangen noch ist Deutschland mit Feuer und Schwefel vernichtet worden. Und Frankreich existiert trotz gleichgeschlechtlicher Ehe auch noch. Insofern bin ich der Ansicht, daß das alles Rückzugsgefechte der Konservativen sind, die in ein paar Jahren keinen mehr interessieren und bestenfalls Gelächter provozieren. Hoffen wir das beste, liebe Leserin.

  7. Selbst wenn man davon ausgeht, dass nur 3% der Bevölkerung homosexuell sind, so sprechen wir hier von rund 2,5 Millionen Menschen. Hinzu kommt eine große Zahl von Familienangehörigen und Freunden. Ein großer Teil dieser Gruppe ist konservativ. Dennoch ist die Union für viele auf Grund ihrer diskriminierenden Haltung unwählbar. Es ist deshalb kaum verwunderlich, dass die FDP in dieser Gruppe viele Wähler hat. Aber: Bisher sind die Liberalen in Sachen Gleichstellung in dieser Legislaturperiode ein Totalausfall! Alle wichtigen Fortschritte basieren auf Forderungen des Bundesverfassungsgerichts und so nehmen es Schwule und Lesben auch wahr. Versagt die FDP jetzt trotz eindeutiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts und trotz getroffener Vereinbarungen im Koalitionsvertrag, dann werden ihnen vielleicht genau die entscheidenden Stimmen zum Wiedereinzug in den Bundestag fehlen. Mal sehen, ob die FDP realisiert hat, wie elementar diese Frage für sie ist.

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