Das hat sich der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulf wohl nicht so gedacht. Kaum hatte er bekannt gegeben, dass die Hamburger Anwältin Aygül Özkan neue Sozialministerin in Niedersachsen werden soll – es war dringend nötig, das wulfsche Kabinett aufzupeppen -, da machte selbige auch gleich von sich reden: Sie forderte ein Verbot von Kruzifixen an staatlichen Schulen. Was für ein Proteststurm in der niedersächsischen C!-DU! In Berlin dagegen hieß es, dieser Vorschlag sei so abwegig, dass er noch nicht mal eine Diskussion wert sei. MP Wulf pfiff die Neue darauf zurück. Jetzt wurde sie vereidigt – „so wahr mir Gott helfe!“ Ob das die erbosten C!-DU besänftigen kann? Bis zu diesen Einlassungen wurde die Berufung der türkischstämmigen Özkan nämlich als Coup des zuletzt eher blassen Wulf gewertet. Die erste Migrantin in einem deutschen Ministeramt!
Die FR-Leserinnen und -Leser diskutieren den özkanschen Vorstoß anhand des Kommentars von Joachim Frank „Özkan im Minenfeld„. So meint Irene Nickel aus Braunschweig:
„‚Die künftige Ministerin sollte schon mitbekommen haben‘, schreibt Kommentator Joachim Frank, ‚dass die Befürworter von Kreuzen in öffentlichen Räumen vor allem auf die sozio-kulturelle Symbolik abheben, weniger auf das streng religiöse Bekenntnis: Das Kreuz, so das Argument, kennzeichne eine durch christliche Werte geprägte Gesellschaft.‘ Herr Frank sollte schon mitbekommen haben, dass das bei Befürwortern des Kreuzes ein beliebter Trick ist, mit dem sie das Kreuz an den Gerichten vorbei in Schulen und Gerichtssäle zu schmuggeln versuchen – um dort möglichst ungeniert ihre Befürwortung eines bestimmten Glaubens demonstrieren zu können.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht so leicht täuschen lassen. Im Kruzifix-Urteil von 1995 stellte es fest: ‚Das Kreuz ist Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur. … Das Kreuz gehört nach wie vor zu den spezifischen Glaubenssymbolen des Christentums. Es ist geradezu sein Glaubenssymbol schlechthin.‘ So hat das Gericht zu Recht geurteilt: ‚Die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art. 4 Abs. 1 GG‘ (wörtliches Zitat des ersten Leitsatzes). Nach diesem Urteil hätte es keine Frage sein sollen: Kreuze gehören nicht in die Schulen.
Frau Özkan hatte völlig recht, als sie sich für ein Verbot aussprach. Eine Regelung, nach der ein Kreuz nur dann entfernt wird, wenn Eltern dies verlangen, ist unzureichend. Denn angesichts der heftigen Reaktionen von Kruzifix-Befürwortern würden viele Eltern lieber auf ihr Recht auf religiöse Neutralität im Klassenzimmer verzichten, als ihre Kinder feindseligen Reaktionen von Kruzifix-Befürwortern auszusetzen. Recht schaffen kann da nur ein Verbot.
Der ‚Verdacht, der weltanschaulich neutrale Staat solle auch historisch und kulturell neutralisiert werden‘, ist unbegründet. Die weltanschauliche Neutralität wird ja gerade deshalb gefordert, weil das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ein historisch gewachsener Wert unserer Kultur ist. Ja, wir brauchen das Gespräch darüber, was unsere Gesellschaft „als wertvoll erachten“ soll. Als wertvoll erachten sollten wir vor allem die Grund- und Menschenrechte, die in unserem Grundgesetz verankert sind. Nicht als wertvoll zu erachten brauchen wir hingegen jene Pervertierung von Werten wie ‚Liebe‘ und ‚Gerechtigkeit‘, für die das Kruzifix steht: für die christliche Lehre der Bibel, die eine äußerst grausame Hinrichtung als Erweis der ‚Liebe‘ Gottes feiert und die Bestrafung eines Unschuldigen als Erweis seiner ‚Gerechtigkeit‘ (Römer 5,8 bzw. Römer 3,25).“
Norbert Cobabus aus Rödermark:
„Aygül Özkan hat ein wichtiges Thema angestoßen, auch wenn ein Teil ihrer Forderung zu weit geht. Auch ich bin der Auffassung, dass aufgrund der Weltanschauungsfreiheit, die auch durch Art. 4 GG garantiert ist und damit auch Nicht-Religiöse neben allen anderen Religionsformen umfasst, Kruzifixe in staatlichen Schulen und staatlichen/öffentlichen Einrichtungen nichts zu suchen haben, weil sie für Nicht-Christen oder Nicht-Gläubige etwas ausdrücken, was sich der Staat eigentlich nicht anmaßen darf, nämlich Partei für eine bestimmte Religionsform zu ergreifen. Wenn jedoch eine Muslima ein Kopftuch trägt, so wie Christen zum Teil ein Kreuz, Juden zum Teil einen Davidstern usw., dann handelt sich das dabei um ein persönliches weltanschauliches Ausdrucksmittel und sollte daher – so verstehe ich Weltanschauungsfreiheit – auch an staatlichen Schulen und anderen staatlichen/öffentlichen Einrichtungen zugelassen werden, so wie dies auch für den privaten wie öffentlichen Raum gilt.
Die zum Teil völlig unsachliche und auch rechtliche unrichtige Debatte zeigt in ihrer damit vielfach verbundenen Dümmlichkeit, dass an den Kirchen und an entsprechend geprägten gesellschaftlichen Schichten und Politikern das Zeitalter der Aufklärung spurlos vorbeigegangen ist. Außerdem zeigt dies aber auch, dass Deutschland leider kein laizistischer Staat, sondern nach wie vor ein von den beiden christlichen Kirchen geprägter christlich-abendländischer Tendenzstaat ist, in dem diese beiden Kirchen nach wie vor quasi die Rolle von Staatskirchen haben und eindeutig aufgrund des Artikel 140 GG gegenüber anderen Weltanschauungsformen bevorzugt werden, wobei Artikel 140 GG außerdem eindeutig zu Artikel 4 GG in Widerspruch steht. Leider hat das Bundesverfassungsgericht diesen Widerspruch bisher nicht gerügt.“
Dr. Thomas Henne aus Magdeburg:
„‚Was dieser Schritt‘, die Ernennung von Frau Özkan zur Ministerin in Niedersachsen, ‚für die türkische Gemeinde in Deutschland bedeutet, kann ein Nichttürke gar nicht erfassen‘, schreibt Bernhard Honnigfort. Diese Konstruktion gegenseitig unverstehbarer Gefühlswelten von ‚Nichttürken‘ und ‚Türken‘ ist aus meiner Sicht indiskutabel, ausgrenzend und tendenziell rassistisch. Der Autor liefert in seinem Text auch keine Belege für Gefühle, die für ‚Nichttürken‘ nicht bestens nachvollziehbar wären. Auch die von Honnigfort angenommene Homogenität von ‚Türken‘ und ‚Nichttürken‘ ist nicht begründet. Als – im Sinne von Herrn Honnigfort – ‚Nichttürke‘ begrüße ich die Ernennung von Frau Özkan ausdrücklich. ‚Nichtungar‘, ‚Nichtspanier‘ etc. bin ich im übrigen auch.“
Schön inzeniert.
„Der Widerspenstigen Zähmung“ so gefällig in Szene gesetzt, von der FR treffend betitelt.
Die Wahrheit ist: In der Schule hat keine Religion was zu suchen, nicht im Unterricht und nicht mit Symbolen.
Die Information über die Erkenntisfähigkeit des Menschen, seine Fähigkeit zu lügen und seine Unfähigkeit zu trauern und, ganz zum Schluss, über seine Unfähigkeit zu lieben, bleibt besser in der Verantwortung der Wissenschaft.
Dieser Meinung schließe ich mich gerne an.
Frau Özkans erste Aussage, ohne göttlichen Hilfsanspruch getroffen, war richtig.
Schade, das so eine schlimme Verbiegung erfolgen musste.
Die Frau hat eine ganz korrekte Aussage getroffen bzw. ihre Meinung geäussert.
Ich finde es schade, dass der MP in einer
Art *Maulkorb-Erlaß* ihr den Mund
verboten hat.
Auch ich bin der Auffassung, dass religiöse
(Kopftuch, Burka, Kreuz usw.) und auch
politische (Hammer und Sichel;
SS-Runen usw.) Sympole nichts
in staatlichen Schulen,
zu suchen haben.