In der Schule wird mittels Noten sortiert. Gute Schüler, schlechte Schüler. Das ist eigentlich nichts Neues. Neu, jedenfalls für mich, ist aber die Erkenntnis, dass sich die vergebenen Noten nach dem Muster der gaußschen Glockenkurve verteilen sollen: viele durchschnittliche Schüler, wenige an den Rändern. Das ist offensichtlich politisch erwünscht. Dies zeigt der Fall der bayrischen Lehrerin Sabine Czerny, die es schaffte, ihre Schülerinnen und Schüler zu überdurchschnittlichen Leistungen zu motivieren: 91 Prozent ihrer Viertklässler qualifizierten sich für eine weiterführende Schule. Eigentlich ist das wunderbar. So sollte es sein. Aber was passierte? Sabine Czerny wurde mit der Begründung versetzt, sie störe den Schulfrieden.
Da fasst man sich an den Kopf. Eine engagierte Lehrerin schafft es, ihre Schutzbefohlenen zu Höchstleistungen zu bringen, und wird dafür bestraft? Natürlich stehen ihre Kollegen, die die Parallelklassen betreuen, ein wenig blöd da, denn warum schaffen sie sowas nicht? Doch schon an ihrer vorigen Schule hatte sich Frau Czerny den Tadel des Schulrates eingefangen: „Sie haben sich an das Niveau Ihrer Parallelkollegen anzupassen!“
Zu gute Note stellen offenbar unser Schulsystem in Frage. Klar, wenn 91 Prozent nach der Grundschule auf Realschule oder Gymnasium gehen, bleiben nur 9 Prozent für die Hauptschule. So offenbart sich der eigentliche Sinn der Schulnoten: Sie sollen sortieren und Bildungschancen zuweisen – jedoch nicht nach möglicher individueller Leistungsfähigkeit, sondern nach den Erfordernissen des Schulsystems. Ungefähr nach dem Motto: Bloß nicht zu viel Qualifikation. Mittelmaß ist gefordert!
Dazu FR-Leserin Michaela Bracher aus Frankfurt:
„Ich bin angehende Bildungswissenschaftlerin und Mutter einer Fünfjährigen, die gerade eingeschult wurde, und betrachte damit diese Thematik von mehreren Seiten. Je mehr ich mich mit den Bildungsstrukturen beschäftige, umso zorniger macht mich die ungleiche Chancenverteilung in unserem Bildungssystem. Geradezu ohnmächtig fühle ich mich aber angesichts der in Ihrem Artikel geschilderten Inkompetenz und pädagogischen Sinnlosigkeit der Praxis der Notenvergabe.
Ich möchte dazu bewusst provokant folgendes zu bedenken geben: Notenvergabe an sich ist völlig sinnlos, weil sie praktisch nichts über die Entwicklung und den Kenntnisstand eines Kindes aussagt, sondern nur einen Vergleichswert innerhalb einer Klasse zu einem willkürlichen gewählten Zeitpunkt darstellt. Gute Noten sagen überdies nichts Neues über die Leistungsfähigkeit aus, während mittelmäßige bis schlechte Noten häufig zu einer nachlassenden Motivation und einem schlechten Selbstbild und Selbstwert bei Schülern führen und einmal gefasste Meinungen wie ‚Ich bin schlecht in Mathe‘ möglicherweise für eine ganze Schullaufbahn zementieren.
Erst wenn Noten mindestens bis zur achten Klasse abgeschafft und individuelle regelmäßige Beurteilungen für jeden einzelnen Schüler eingeführt werden, können sich Lehrer nicht mehr bequem zurücklehnen und müssen Verantwortung für ihre Unterrichtsgestaltung übernehmen und sich damit eventuell auch unangenehmen Fragen seitens Kollegen, Vorgesetzten und nicht zuletzt auch Schülern und deren Eltern stellen.
Sabine Czerny bleibt wahrscheinlich nur, sich von einer Privatschule einstellen zu lassen, wo ihre Qualitäten nicht nur finanziell, sondern auch durch Anerkennung ihrer pädagogischen Leistungen honoriert werden. Ich wünsche ihr jedenfalls alles Gute!
Wilhelm Achelpöhler aus Münster meint:
Professor Weidenmann hält es für ‚unverständlich, dass unsere Wissensgesellschaft‘ die ‚folgenschwerste Fehlkonstruktion‘ des Schulsystems, den Sortierauftrag toleriert. Dabei bräuchte er sich doch nur die Effekte dieses Sortierauftrags anzuschauen, um dahinter zu kommen, weshalb es ihn gibt: Lehrer weisen mit den Noten Bildungs- und damit Lebenschancen zu. Schüler die nicht schnell genug gelernt haben, werden von weiterer höherer Bildung ausgeschlossen. Sie landen in der sozialen Hierarchie unten. Umgekehrt wird durch gute Noten scheinbar objektiv festgestellt, wer sich ein besseres Leben verdient hat. Noten legitimieren damit die soziale Ungleichheit hierzulande bestens und tragen bei den Aussortierten auch noch zu der Einsicht bei, dass sie selbst schuld an ihrem Schicksal sind: Hätten sie doch regelmäßig die Hausaufgaben gemacht.
‚Bildung für alle‘, das stiftet hingegen sozialen Unfrieden, ist zu teuer und kann auch gefährlich werden. Letzteres belegen die Lebenswege akademisch gebildeter Taxifahrer in den 70er Jahren. Und so darf man sich fragen, ob der Begriff der ‚Wissensgesellschaft‘ tatsächlich so treffend für diese Gesellschaft ist, basiert sie doch auf vermeidbarer Verdummung.
Dass die Gauße Normalverteilungskurve mit Vorsicht zu genießen ist, lernt man als Referendar in jedem Pädagogischen Seminar. Auch wenn es immer noch Kollegen gibt, die daran festhalten, muss man sich als Lehrer im Normalfall nicht dafür rechtfertigen, wenn der Notenspiegel einzelner Klassen von den Durchschnittsnoten der Kollegen abweichen. Wenn die eigenen Notenschnitte sich jedoch dauerhaft stark von denen der Kollegen in vergleichbaren Fächern unterscheiden, sollte einen Lehrer das schon mal stutzig machen. Sich einfach zu sagen: „Na, ich bin halt der bessere Lehrer oder ich habe einfach immer (!) so extrem begabte bzw. so extrem untalentierte Schüler“ wäre hier der falsche Weg.
Mögliche Gründe könnten sein, dass die eigenen Klassenarbeiten im Vergleich zu denen der Kollegen zu schwer oder zu einfach gewählt wurden oder sehr unterschiedliche Kriterien für die Benotung angelegt werden. So würde beispielsweise ein Schüler für die gleiche Arbeit bei Kollege X ein „sehr gut“ erhalten, bei Kollegin Y hingegen ein „gut bis befriedigend“. Auch wenn wir alle wissen, dass Noten niemals in einem objektiven Sinne gerecht sein können, so wäre es in dem Fall sinnvoll, sich mit den Kollegen abzusprechen (was häufig auch getan wird) und zum Beispiel mal zu fragen: Welche Note würdest du für diese Arbeit geben?, um zu überprüfen, ob ungefähr das gleiche Anspruchsniveau vorliegt. Der betreffende FR-Artikel ergreift leider von Vornherein für die Lehrerin Partei, ohne die Gründe zu beleuchten. Wir wissen immer noch nicht, ob die sehr guten Notenschnitte ihrer Klassen tatsächlich auf ihren herausragend guten Unterricht zurückzuführen sind oder ob es an oben genannten Punkten liegen könnte. Ich möchte in dem Fall zu Bedenken geben, dass gerade in der Grundschule das Unterrichtsgefälle zwischen den Klassen nicht so gravierend sein dürfte, da es sich um die Schulform mit der größten Methodenvielfalt handelt und es folglich üblich ist, die Kinder individuell zu fördern. Dadurch werden jedoch die Unterschiede nicht nivelliert. Im Gegenteil: Individuelle Förderung bedeutet immer, dass die Schere innerhalb einer Klasse noch weiter auseinandergeht. Einer der wichtigsten Faktoren für den Lernerfolg überhaupt ist nämlich das Vorwissen, das jemand mitbringt. Im doppelten Sinn also ein “Wer hat dem wird gegeben.“ Schüler, die schlechte Ausgangsbedingungen haben, müssten also schon viel früher gefördert werden, damit alle Kinder mit ähnlichen Voraussetzungen eingeschult werden können.
Was die Lehrerin nun also so bewundernswert anders gemacht haben sollte als all ihre anderen Kollegen, würde mich jetzt schon mal interessieren.
Der arme Herr Gauß, er drehte sich im Grabe um sich selbst, wenn er das wüßte. Daß seine „Normalverteilung“ ganz unversehends zu einer Idee des Aufbaues einer „Normalgesellschaft“ wird, hätte er ganz weit von sich gewiesen.
Aber wenn man diese Normalverteilung schon als Modell hinnimmt, dann ist das Ziel jeder Gesellschaft, jedes Pädagogen und jeder Politk, den Nullpunkt auf der X-Achse stetig nach rechts zu verschieben.
Geradezu lustig ist, daß manche „Pädagogen“ den Zufall verteidigen. Ist es doch der Urgrund ihrer Profession, diesen zu besiegen.
@maat betr. Frau Cerny:
Alle Kinder desselben Jahrgangs hatten die gleichen Prüfungsaufgaben!
Und jetzt?
Und überhaupt: Die Normalverteilung ergibt sich immer (!) aus einer Datenbasis. Das sich irgentetwas – egal ob es Ereignisse sind, oder Schulnoten – nach der Gaußschen Normalverteilung zu richten habe, pervertiert das Prnzip der Gaußschen Normalverteilung und ist zutiefst unwissenschaftlich.
Danke, maat für ihren konstruktiven Beitrag, durch den hoffentlich jedem klar wird wie hochgeschaukelt die ganze Diskussion doch wiedermal ist…
Fakt ist, dass Noten nicht gerecht sind, denn neben der erbrachten Schülerleistung spielen eine Unmenge anderer Faktoren bei der Notengebung eine Rolle. Ein ganz entscheidender Faktor sind dabei die subjektiven Maßstäbe der einzelnen Lehrer; denn es gibt überall Lehrer, die sehr hart und solche die sehr milde benoten. Dann gibt es Lehrer, die einen ausgesprochenen Hang zur Mitte haben… und solche, die Noten sehr stark nach persönlicher Sympathie vergeben. Vereinzelt gibt es auch Lehrer sowohl mit ausgeprägtem „sozialem Gerechtigkeitssinn“ als auch mit „Standesdünkel“. Die bewerten dann auch noch die soziale Herkunft mit…
Mir hat sich deshalb gleich die Frage aufgedrängt, zu welcher Kategorie Lehrer wohl Frau Czerny gehört…und nicht wie sozial ungerecht doch das deutsche Schulsystem ist. Denn die Subjektivität der Noten ist sicher kein „deutsches Systemproblem“ sondern wohl überall zu finden. Dies ist zumindest meine persönliche Erfahrung, denn wir mussten berufsbedingt sehr oft umziehen – nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch ins Ausland. Somit haben wir eine Vielzahl von Schulen kennengelernt, nicht nur staatliche sondern auch private, solche in denen Schülerleistungen mit Noten bewertet wurden und solche die diese verbal beschrieben haben. Allen Schulen gemeinsam war vor allem eines: es gab überall Diskussionen über die Gerechtigkeit bzw. eher Ungerechtigkeit der Zeugnisse, egal ob diese in Noten oder Worten ausgedrückt waren.
Umso erfreulicher finde ich, dass z.B. in Baden-Württemberg, wo unsere Tochter dieses Jahr Abitur gemacht hat, eine kleine Kontrollinstanz ins System eingebaut ist: Dort werden anders als scheinbar in den meisten anderen Bundesländern die Prüfungsarbeiten nicht an der gleichen Schule zweitkorrigiert, sondern extern und völlig annonym, d.h. der Zweitkorrektur einer fremden Schule muss eine Schülerarbeit korrigieren, von der er weder weiss von welcher Schule diese kommt noch ob der Schüler weiblich, männlich, Arztsohn oder Migrantentochter ist.
@dante
Wenn alle Kinder desselben Jahrgangs tatsächlich die gleichen Prüfungsaufgaben hatten und die Schüler von Frau Cerny die besseren Ergebnisse erzielten im Vergleich zu ihren Kollegen, kann man ausschließen, dass es am unterschiedlich hohen Anspruch lag und das gute Abschneiden der Schüler ist tatsächlich auf Frau Cernys hohe Unterrichtsqualität zurückzuführen. Es wäre daher interessant, zu erfahren, auf welche konkreten Argumente sich ihre Vorgesetzten stützen, da jahrgangsübergreifende Prüfungen eine Ebene der Objektivierung darstellen. Selbstverständlich ist die Argumentation, die Notenverteilung innerhalb einer Klasse habe sich nach der Gaußen Normalverteilung zu richten absoluter Blödsinn. Wenn 20 Kinder in einer Klasse fehlerfrei einen Diktat-Text schreiben können, erhalten sie dafür auch die gleiche Bewertung. Dass ein Schulleiter jedoch hellhörig wird, wenn ein Kollege extrem bessere Ergebnisse erzielt als alle anderen Kollegen (auch an anderen Schulen) finde ich erst mal nicht verwerflich. Da man davon ausgehen muss, dass es auch noch andere fähige Grundschullehrer in Bayern gibt außer Frau Cerny, müsste es theoretisch auch noch andere Kollegen geben, die ähnlich gute Ergebnisse erzielen.
Ich denke, es gab einmal eine Zeit, in der schlechte Noten eben nicht zu einer nachlassenden Motivation führten, sondern (auch im Zusammenhang mit Begleitumständen wie z.B. elterlicher Erwartungshaltung usw.)im Gegenteil eine Motivation darstellten, die Anstrengungen zu intensivieren (was sicher nicht in jedem Einzelfall funktionierte, aber eben doch häufig). In einer Gesellschaft, die mehr und mehr die Anstrengungsvermeidung fördert, ist diese Funktion der Noten zusehends abhandengekommen, schlechte Noten „frustrieren“, aber es dient der „Frust“ eben nicht mehr als Antrieb fürs Bessermachen, sondern eher als Antrieb, sich dem schulischen Geschehen als Ort des „Frustes“ weiter zu entziehen. Insofern ist natürlich „Benotung“ als Mittel der Pädagogik unter diesen veränderten Umständen in Frage zu stellen, wenn es ums Erzielen von erwünschten Bildungsergebnissen geht.
Sehr schön ist auch die Bemerkung des Schulleiters,“Sie haben sich an das Niveau Ihrer Parallelkollegen anzupassen!”
Das macht er selbst bestimmt auch so, mit seinen Parallelschulleitern. Deswegen ist die Schullandschaft so gleichförmig gestreift.
Aber dann sollte er doch logischerweise verlangen, daß die Schüler sich auch den Parallelschülern anpassen und alle dieselbe Leistung zeigen.
Quadratur des Teufelskreises.
„Dort werden anders als scheinbar in den meisten anderen Bundesländern die Prüfungsarbeiten nicht an der gleichen Schule zweitkorrigiert, sondern extern und völlig annonym, d.h. der Zweitkorrektur einer fremden Schule muss eine Schülerarbeit korrigieren, von der er weder weiss von welcher Schule diese kommt noch ob der Schüler weiblich, männlich, Arztsohn oder Migrantentochter ist.“
Eine kleine aus dem Leben gegriffene Anekdote meinerseits dazu, die illustriert, das obiges System wirklich Vorteile hat:
In meiner Schulzeit, den üblichen jugendlichen Blödsinn im Kopf, zündelte ich in einer Freistunde, zusammen mit anderen „Spezialisten“, mit besonderen chemischen Substanzen und viel Rauchentwicklung vor einem Klassenzimmer herum, in dem Unterricht stattfand. Die Lehrerin der Klasse versetzte der plötzliche massenhafte Rauch in helle Panik, sie dachte, die im Keller befindliche Heizung wäre explodiert und stünde in Flammen. Wir wurden dingfest gemacht und in Folge einzeln erst vor den strengen Direktor, dann vors versammelte Lehrerkollegium zitiert. Dort hielt ich mich im Kreuzverhör so tapfer, daß die Mehrheit der Lehrer nach kurzem schon feixte und die pädagogischen Absichten damit untergruben. Die Lehrerin, die sozusagen das Opfer war, konnte mir dies jedoch nie verzeihen, kuckte auch weiter böse, sobald ich ihr über den Weg lief usw. In der mündlichen Abiturprüfung in „Gemeinschaftskunde“ saß dann diese Lehrerin auf einmal unversehens vor mir, und wollte von mir etwas wissen. Unnötig zu sagen, das konnte irgendwie nur eine 5 ergeben, was es dann auch tat (die Jahre vorher pendelte ich im Fach zwischen 2 und 3).
Ich will damit sagen: Die Welt ist voller Ungerechtigkeiten, das muss nicht immer „Standesdünkel“ sein… oder bin ich immer noch der trotzige Junge und das war eigentlich die gerechte Strafe, ich hab es nur nicht begriffen? 😀
Zur Ergänzung möchte ich noch Folgendes anmerken. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Leistungen von Schülern zu messen. Bei den Zensuren spielt erst mal die Bezugsnorm eine Rolle, also z.B. die der Klasse oder die individuelle Bezugsnorm, d.h. dass der Schüler an seinem eigenen Fortschritten gemessen wird. Eine andere Möglichkeit ist die kriteriumsorientierte Benotung, bei der lediglich über „Lernziel erreicht“ und „Lernziel nicht erreicht“ rückgemeldet wird (ohne weitere Noten). Praktiziert wird im deutschen Regelschulsystem fast ausschließlich die Notenvergabe mit der Bezugsnorm der Klasse. Die Nachteile liegen auf der Hand: Ein eher schwacher Schüler bekäme im Diktat eine sehr schlechte Note trotz enormer Lernfortschritte.(also z.B. 20 statt 30 Fehler oder wenn man weniger defizitär an die Sache rangeht: wesentlich mehr richtig geschriebene Wörter als im Diktat zuvor). Das Kind müsste also ein Lob für seinen Fortschritt erhalten statt dessen bekommt es aber ein „ungenügend“. Das löst natürlich Frust aus. Gerade in der Grundschule wäre daher die individuelle Bezugsnorm pädagogisch gesehen der bessere Weg oder die kriteriumsorientierte Beurteilung. Erst später fangen die Schüler an, sich gegenseitig miteinander zu vergleichen, weshalb sie häufig auch dann frustriert sind, wenn man sie für ihre Fortschritte lobt, sie aber sehen, dass ihre Arbeit wesentlich schlechter ist als die des begabten Freundes. Insbesondere die Jungen können nach meiner Beobachtung damit sehr schlecht umgehen. Kinder im Grundschulalter freuen sich in der Regel, wenn ihnen etwas gelingt und sind grundsätzlich altersbedingt ausgesprochen begeisterungsfähig und motiviert. Man muss sie nicht mit Noten motivieren. Es sind die Eltern, die schon in der zweiten Klasse auf der Matte stehen und wissen wollen, ob das Töchterlein denn auch aufs Gymnasium kommen wird. Teilweise wird ein enormer Druck auf die Grundschullehrer ausgeübt von durchgedrehten Mittelschichtseltern. Es scheint einen Konsens darüber zu geben, dass alle Menschen, die in ihrem Leben keine Hochschulzugangsberechtigung erwerben, sowieso in der Gosse landen werden und als Totalversager auf ihr Lebensglück verzichten müssen. Die Zensuren in der Grundschule drehen sich also in erster Linie darum, auf welcher Schule das Kind einmal landen wird, verbunden mit Zukunftschancen, Arbeitsplatzsicherheit und Glücksversprechen. Da im Bereich der Bildungspolitik viele ihr parteipolitisches Süppchen kochen, wird das Thema Schule in den Medien, wo es als Dauerthema auf und nieder wabert auch selten ideologiefrei diskutiert. Trotz berechtigter Kritik an unserem Schulsystem insbesondere an der mangelnden Chancengleicheit, möchte ich zu bedenken geben, dass es natürlich heute auch schon verschiedene Wege gibt a) zum persönlichen Glück und b) zum Abitur. Gerade für technische Berufe, ist ein Realschulabschluss mit anschließendem technischem Gymnasium oder eine Lehre und anschließender technischer Oberschule sinnvoller als ein altsprachliches Gymnasium. Die ganze Übergangsproblematik von der Grundschule auf weiterführende Schulen würde sich wesentlich dadurch entschärfen, wenn das Abitur nicht die einzige Zulassungsberechtigung zum Studium wäre, d.h. dass auch andere berufliche Qualifikationen dazu berechtigen würden. So könnte eine Krankenschwester, Medizin studieren, ohne vorher noch langwierig neben dem Beruf das Abitur nachholen zu müssen. Ein Schüler mit Hauptschulabschluss und einer Ausbildung als Mechaniker könnte mit entsprechender beruflicher Qualifikation und begleitenden Fortbildungen ein Maschinenbaustudium absolvieren. Solche Modelle gibt es teilweise schon versuchsweise, ich weiß leider nicht mehr in welchem Bundesland. Ausgebaut würde dies ein wesentlicher Schritt zur sozialen Gerechtigkeit darstellen. Es würde auch endlich der Verklärung des Gymnasium als Schlüssel zum privaten Glück, Reichtum und Schönheit ein Ende setzen.
Eine Benotung ist nach Lernzielerreichung oder nach Gaußscher Normalverteilung möglich. Beides aber widerspricht sich. Dazu die Lektüre:
Jürgen Wendeler: Standardarbeiten, Beltz.
Eine Klassenarbeit, in der alle Schüler gute Noten habe, ist definitiv zu leicht.
Eine Klassenleistung, die in einem Vergleichstest über dem Durchschnitt liegt, ist nicht seriös! Das weiß jeder, der den Schulalltag kennt. Zitat Brügelmann:
( AKS-Tagung Hanau) Aus Ländern mit Vergleichsarbeiten ist bekannt, dass zum Anfang des Schuljahres die Besten zu Hause, am Ende die Schwächsten zu Hause bleiben !
Es ist schon seltsam : überall wird von Wettbewerb gesprochen , die Olympiade boomt ,
Konkurrenz ist geil, Pisa die pädagogische Bibel.
Solange der Zeitgeist eine Konkurrenz-
Gesellschaft favorisiert, wird sich die auch in der Schule fortsetzen. Die Auslese erfolgt im Berufsleben, die Schule wird immer mehr zum Zulieferer dafür degradiert. Beklagt wird hier lediglich die Spielregel, Wettbewerb ist doch gewollt!
Eine humane Pädagogik braucht überhaupt keine Noten. Dies hatten wir auch in Ansätzen in den zur Zeit verteufelten 68 ern und Folgejahren.
Das Problem ist, dass keiner eigentlich wirklich weiß , was Lernen ist.
Zitat Thenort:
Die Pädagogik ist die einzige Wissenschaft, die den Gegenstand ihrer Forschung nicht definieren kann. Bleibt die Frage, wofür der Mensch was wie lernt.
bärenstark,
die praktizierte Pädagogik eines Jahrzehnts ist verantwortlich, ich würde fast schon sagen hauptverantwortlich für die gesellschaftlichen Grundstimmungen zwei oder drei Jahrzehnte später (alles ganz durchschnittlich gesehen und pi mal Daumen).
Wenn eine „humane Pädagogik“ in den 70ern des letzten Jahrhunderts die gesellschaftlich zu beobachtenden Stimmungen des vorigen und dieses Jahrzehnts hervorbrachten, dann war entweder die humane Pädagogik nicht so human wie Du meinst, oder wurde eigentlich nicht angewendet, oder, auch das ist möglich, hat VERSAGT… oder der heutige „Zeitgeist“ ist nicht so inhuman und auf ein Gegeneinander ausgerichtet wie Du meinst.
Es ist ein Armutszeugnis für das deutsche Schulsystem, wenn engagierte LehrerInnen ausgebremst und zwangsversetzt werden und Elternmeinungen nicht gehört bzw. übergangen werden. Eine solche Entscheidung dient nicht dem Wohl der Kinder, um die es in unserem Schulsystem vorrangig gehen sollte.
Hier werden Entscheidungen von oben herab gemacht, ohne die Menschen einzubeziehen, um die es geht. Wo kämen wir auch hin, wenn Schule mal wieder Spaß machen würde und Kinder endlich einmal individuell so gefördert würden, wie es im Schulgesetz der einzelnen Bundesländer verankert ist.
„Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und sein Geschlecht ein Recht
auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung“
*Schulgesetz NRW Paragraph 1, Abs.1*
Wozu gibt es einen solchen Paragraphen, wenn Lehrer ihn nicht umsetzen dürfen bzw. ihre Arbeit verurteilt und der schulische Erfolg der SchülerInnen durch effektive Förderung angezweifelt wird?
@bärenstark
„Eine humane Pädagogik braucht überhaupt keine Noten.“
Da möchte ich Ihnen widersprechen. Ob es Noten gibt oder keine, lässt erst mal keine Rückschlüsse darüber zu, wie human die betreffende Schulform ist. Schule wird von Menschen gemacht und die entscheidende Frage ist, wie mit den Schülern in dieser Schule persönlich umgegangen wird. Erfährt jemand Trost und Zuwendung bei Misserfolgen, Lob und Anerkennung, wenn etwas gelingt und haben die Lehrkräfte Verständnis für die Sorgen und Nöte ihrer Schüler, kurz gesagt nehmen sie diese als Menschen in ihrer Gesamtheit wahr. Entscheidend ist also wie viel Raum den Noten im persönlichen Umgang eingeräumt wird. Das Problem ist, dass Noten einen Stellenwert bekommen haben, der ihnen nicht zukommen dürfte. Sie entscheiden zu stark über den Lebenslauf, wodurch häufig von Eltern sehr starker Druck auf ihre Kinder aufgebaut wird. Wenn der Schüler weiß, dass die Mutter durchdreht, wenn er eine 3-4 nach Hause bringt, sieht er die Sache natürlich nicht entspannt. Abiturienten, die ein bestimmtes Fach mit hohem NC studieren wollen, sind auf jeden Notenpunkt bedacht, um die betreffende Durchschnittsnote zu erreichen. Gäbe es z.B. genügend Studienplätze wäre dieses Problem entschärft.
Also so ganz unhinterfragt möchte ich aber, was hier und auch gern anderswo über Frau Czerny gesagt wird, nämlich daß entweder sie den Stein der Weisen der Schulpädagogik gefunden hat, oder so engagiert für die Kinder ist wie eben sonst kaum ein anderer Lehrer, auch nicht übernehmen.
Das Problem ist, daß man aufgrund der mageren Informationslage im Grunde keine Urteilsbasis hat, wenn man Behauptungen der Medien erstmal kritisch hinterfragen will, soweit sie die Qualitäten der Frau Czerny als Lehrerin angehen (was nicht unbedingt heißt, daß sie keine hat, ich hätte nur gern Beweise, der hohe Notendurchschnitt der Kinder sind mir nicht Beweis genug, denn auch ein schlechter Lehrer kann problemlos gute Noten vergeben).
Laut taz hat das Rektorat der Lehrerin vorgeworfen: „Entweder sage sie Ergebnisse vor oder sie korrigiere falsch“. Frau Czerny selber sagte in einem Monitorbeitrag auf die Fragestellung hin, wie denn ihr Erfolg zustandekommt: „Ich kann jedem Kind die Frage geben oder so formulieren, dass das Kind gut antworten kann, erfolgreich antworten kann, für sich die Rückmeldung kriegt, ich mach das richtig.“
Statt also unabhängig von den Fähigkeiten des Kindes für alle Kinder gleiche Fragen zu stellen, passt sie die Fragen auf die Kinder an, sodaß die Wahrscheinlichkeit, eine richtige Antwort zu erhalten, dann bei allen Kindern gleich hoch ist, egal wie das individuelle Können ist.
Einem intelligenten Kind könnte man z.B. die Frage stellen: „Was ist 10 mal 2?“ Einem Kind, das nicht so weit ist, könnte man dieselbe Frage stellen: „Was ist 10 mal 2, schau mal, das ist doch dasselbe wie 10 und 10, zusammenzählen kannst du doch schon.“ Ist vielleicht ein schlechtes Beispiel, aber so in etwa.
Nun ist es in meinen Augen so, daß natürlich diese differenzierte Herangehensweise im Unterricht, also wenn gelernt wird, genau die Richtige ist. Sie motiviert die Kinder, sie ermöglicht auch Lernschwächeren, zu motivierenden Erfolgserlebnissen zu kommen usw.
Eine solche Herangehensweise in Prüfungssituationen ist aber GRUNDFALSCH wäre tatsächlich so etwas wie „Vorsagen des Ergebnisses“. Wenn die guten Prüfungsergebnisse der Kinder von Frau Czerny durch solche Differenzierungen BEIM PRÜFEN zustandekommen, stehe ich allerdings eher auf Seite der Schulleitung und ihrer Kollegen und meine dann: Gute Ergebnisse, die durch teilweises und mehr oder minder ausgeprägtes Vorsagen zustandekommen, sind nicht viel wert, mit sowas lügt man sich in die Tasche.
Liebe Leute,
ein paar Worte in eigener Sache, off topic.
Euer aller Bronski ist krank. Deshalb geht das hier mit der Moderation eurer Beiträge so schleppend. Hinzu kommt, dass euer Bronski ab kommendem Samstag in seinen wohlverdienten großen Jahresurlaub startet. Ich werde erst am 28. September wieder da sein. In dieser Zeit wird das Bronski-Blog ruhen.
Im Grunde ruht es jetzt schon, denn ich kann mich ja kaum drum kümmern. Aber bis kommenden Freitag, also übermorgen, sind die Diskussionen noch offen, und es kann diskutiert werden. Und glaubt bitte nicht, dass das sinnlos ist, wenn die Schließung der Threads hier absehbar ist: Die Atomenergie-Diskussion werde ich nach meinem Urlaub sicher wieder anstoßen – auch mit dem Input, den ihr hier jetzt noch leistet.
Es grüßt euch alle herzlich
euer Bronski