Niedersachsen-Wahl: Die Demokratie muss verteidigt werden

Was waren das noch für Zeiten, als Landtagswahlen die großen Aufreger waren, auch fürs FR-Blog. Jetzt aber gewinnt die SPD in Niedersachsen, es wird wohl Rot-Grün in Hannover geben, aber interessiert das irgendwen? Denn gleichzeitig haben wir Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Doppel-Wumms und – ja, wirklich, nicht zu vergessen: Klimawandel.

Doch man sollte die Dinge nicht kleinreden. Niedersachsen ist ein Bundesland, dem die Zukunft gehört. Das ist etwas, was man beispielsweise in Bayern noch immer nicht verstanden hat. In Niedersachsen gibt es Wind. In Bayern auch, aber im Gegensatz zu Niedersachsen fehlt in Bayern der Wille, diese Ressource zu nutzen. Niedersachsen ist in dieser Hinsicht ebenso vorbildlich wie mein Herkunftsbundesland Schleswig-Holstein. Man hat die Zeichen der Zeit erkannt und baut dementsprechend aus, während die Lederhosen aus dem Süden hinterhinken und der Atomkraft nachweinen. Was fast niemand so richtig versteht, denn die Nutzung der Kernkraft basiert auf Technologien von anno dunnemals. Wir sind längst weiter.

Der SPD-Ministerpräsident Stephan Weil, der bisher mit der CDU zusammen regiert hat, kann nun mit den Grünen regieren. Das wird gut sein für Niedersachsen. Ebenfalls gut ist, dass die FDP rausgeflogen ist aus dem Landtag. Die folgenden Zuschriften kommentieren dies angemessen. Nicht gut ist das Abschneiden der AfD. Auch dazu siehe unten.fr-debatte

Das AfD-Ergebnis lässt Böses erahnen

Das Ergebnis der niedersächsischen Landtagswahl mit dem eindeutigen Sieg der SPD unter Ministerpräsident Stephan Weil ist für Sozialdemokraten wie mich zwar eine Erleichterung aber andererseits stellt das katastrophal gute Abschneiden der rechtsradikalen AfD ein Menetekel dar. Offensichtlich ist mit dem zweistelligen Ergebnis der vom Verfassungsschutz beobachteten Partei aus dem braunen Sumpf die Gefahr einer Trendwende zugunsten der Demokratiefeinde vollzogen worden. Es lässt sich viel darüber spekulieren, welche Koalition, von mir wäre Rot-Grün bevorzugt, für das Land im Norden die beste ist und auch inwieweit Friedrich Merz aktiv dazu beigetragen hat, durch sein Gerede vom „Sozialtourismus“ der ukrainischen Flüchtlinge den rechten Anti-Demokraten der AfD noch Wählerinnen und Wähler zugeführt hat. Nun, ich meine, Merz hat den rechten Mob mobilisiert und kümmert sich durch seine wahlspekulative Augenwischerei und Flirten mit der AfD ganz erheblich darum, dass die Rechte wieder einen entsetzlichen Triumph vom Felde getragen hat. Das unanständig hohe zweistellige Ergebnis für die AfD lässt für die Zukunft Böses erahnen. Zum einen ist es richtig, dass viele Menschen sicherlich aus Angst über ihre Zukunft den rechten Rattenfängern nachgelaufen sind, doch für mich steht es fest, dass Verbrecher wie diejenigen aus der AfD die derzeitigen Krisen, sei es nun die in der Ukraine oder sei es die Pandemie oder sei es die Inflation, die noch mehr Armut und Unsicherheit erzeugt, andererseits zielgerichtet dazu zu benutzen, um diese Republik zu destabilisieren. Das Abschneiden der braunen Demokratiefeinde kann symbolhaft eines Tages dafür stehen, dass der Niedergang der Demokratie mit dem Comeback der AfD in Niedersachsen am 9. Oktober 2022 beschleunigt wurde und sich an diesem Tage auch ganz frisch an den Anschlag auf die Synagoge in Halle erinnert wird. Ich fühle mich jedenfalls, wie sicherlich viele andere Demokratinnen und Demokraten im Bundesgebiet, in diesen Tagen mal wieder veranlasst, darüber nachzudenken, was geschehen müsste, wenn viele Schönwetterdemokraten sich zur AfD hinbegeben würden und diese Gruppierung unterstützen würden. Seit vielen Jahren muss immer wieder ein Ansteigen des Rechtsradikalismus und damit der Inhumanität registriert werden und das Menetekel von Hannover zeigt deutlich, dass diese Demokratie mehr denn je verteidigt werden muss. Hierzu müssen die Sicherheitsbehörden und die Zivilgesellschaft gemeinsam aufstehen, um deutlich zu machen, dass rechte Verfassungsfeinde in ihrem Agieren mit Vollbremsung durch Demokraten zu rechnen haben.

Manfred Kirsch, Neuwied

fr-debatteRegieren und gleichzeitig Opposition spielen

Dass die FDP in Niedersachsen Landtag nicht mehr vertreten ist, ist nicht verwunderlich, denn die Schuldenbremse von Herrn Lindner vehement verteidigt vor der Wahl und jetzt in Krisenzeiten, das passt nicht mehr zusammen. Regieren und gleichzeitig Oppostion zu spielen, wurde vom Wählerinnen hart bestraft.
Die selbsternannte Fortschrittsampel ist nicht mit einem erfolgreichen Krisenmanagement vertraut. Interner Streit ist notwendig, aber nicht beliebt im Volk und beeinflusst das Verhalten bei der Stimmabgabe. Die AfD wird so immer stärker werden!

Thomas Bartsch-Hauschild, Hamburg

fr-debatteMerz lässt sich nur bei schönem Wetter sehen

Am Wahlabend haben sich die Vorsitzenden aller Parteien zum Ergrbnis geäußert – mit einer Ausnahme: Friedrich Merz. Wo war er und warum schickte er andere vor, um die eigene Niederlage zu kommentieren? Kann es sein, dass er seine Aufgabe nur darin sieht, Siege zu verkünden, wie etwa in Kiel oder Düsseldorf? Ist Merz also nur ein Schönwetter-Vorsitzender?

Nikolaus Jöckel, Offenbach

fr-debatteWeg vom Dauerthema Schuldenbremse

Der Kapitalismus hat, gestützt auf Wettbewerb und Leistungswillen des Einzelnen, zu großen wirtschaftlichen Erfolgen, aber auch zu gesellschaftlicher Ungerechtigkeit geführt. Die liberale Reform des Kapitalismus erstrebt die Aufhebung der Ungleichgewichte des Vorteils und der Ballung wirtschaftlicher Macht, die aus der Akkumulation von Geld und Besitz und der Konzentration des Eigentums an den Produktionsmitteln in wenigen Händen folgen.“ Dies ist nicht etwa ein Zitat aus dem Programm der Linken oder der SPD, sondern ein Teil der Freiburger Thesen der FDP aus dem Jahr 1971. Zum damaligen Zeitpunkt waren der FDP im Gegensatz zu heute bessere Wahlerfolge beschert.
Deshalb sollten Lindner und seine Mitstreiter diese Freiburger Thesen mal studieren und in ihrer Regierungspolitik beherzigen, wenn diese nach der Landtagswahl in Niedersachsen immer noch meinen, ihre eigene Politik müsste in der Ampel-Koalition stärker vertreten werden. Somit verdient der Leitartikel von Kristina Dunz in der FR vom 11.10.2022 volle Zustimmung, indem sie der FDP empfiehlt, sich endlich von ihrem Dauerthema Schuldenbremse zu lösen. Auch sollte sie endlich entsprechend den Zielen des Koalitionsvertrages durch eine Zustimmung zu einem Tempolimit zu einem wirksamen Klimaschutz beitragen anstatt einen Weiterbetrieb der höchstgefährlichen Atomkraftwerke und einen Import des teuren und klimaschädlichen Frackings zu fordern. Schließlich merken diejenigen, die derzeit unter den aktuellen Krisen leiden, dass mit Gießkannenprinzip bei Entlastungspaketen und strikter Ablehnung einer gerechten Steuerpolitik vor allem die Reichen, die teilweise sogar von den Krisen profitieren, geschont werden. Die Folgen einer solchen Politik führen dann zu Wahlenthaltungen oder zu Erfolgen der Scheinalternative AfD, die im Prinzip die gleichen Forderungen wie die FDP stellt.
Aus diesem Grunde ist es doch sinnvoll, dass Olaf Scholz und die Bundesregierung zurückhaltend reagieren und nicht voreilig Dinge entscheiden, die sie dann zurücknehmen müssten. Insoweit mutet es seltsam an, wie die Medien z.T. auf diesen Wahlerfolg reagiert haben und auf die Bundespolitik mit fragwürdigen Umfrageergebnissen schimpfen!

Peter Boettel, Göppingen

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3 Kommentare zu “Niedersachsen-Wahl: Die Demokratie muss verteidigt werden

  1. Umfragen berichten von wachsenden Zweifeln in der Bevölkerung an der (repräsentativen) Demokratie. Leserbriefschreiber Herr Just versteht diese Zweifel angesichts der Zurückweisung von Volksbegehren wie zum Thema Verkehrswende in Hessen und Ungerechtigkeiten im Steuersystem wie im Bereich Erbschafts- und Schenkungsteuer. Es ließen sich weitere solcher Ungerechtigkeiten und Abwehrreaktionen bzgl. unserer direkten Demokratie aufzählen.
    Rechtfertigt dies aber die Zweifel am politischen System? Gibt es in anderen Herrschaftssystemen weniger oder keine Ungerechtigkeiten? Geht es in der Schweiz mit einer starken direkten Demokratie gerechter zu? Welches System ist gerechter und volksnäher, schlichtweg besser? Wer „grundsätzliche“ Kritik äußert, sollte m.E. auch eine bessere Alternative benennen.
    Ich sehe unseren und die meisten Staaten der Welt so organisiert: „Geld regiert die (kapitalistische) Welt!“. Das kommt auch in der Überschrift „Wer hat, dem wird gegeben“ zu Herrn Just Leserbrief zum Ausdruck. Ja, wir sollten in unserer Demokratie mehr direkte Formen ermöglichen. Und vor allem: Wir sollten unser Wirtschaftssystem so ändern, dass es stärker dem Gemeinwohl verpflichtet wird und Formen wie Genossenschaften, Baugemeinschaften usw. gestärkt werden – vor allem in den lebenswichtigen Bereichen wie Grund und Boden, Wohnen, Energie, Lebensmittel, Mobilität.
    Dazu braucht es ein klares Votum und möglichst auch ein Engagement für Parteien, dies umsetzen wollen, durch die Wähler und nicht einen Rückzug im Groll, die Enthaltung bei Wahlen oder gar die Protestwahl der AfD.

  2. Wie die FDP auf die Idee kommen kann dass das Ergebnis der Wahl für sie ein Zeichen ist das sie auf jeden Fall AKW durchsetzen sollte wissen die auch nur selbst.

  3. Die eigentlichen Gewinner der Wahl in Niedersachen sind doch – wie zunehmend in fast allen Wahlen – die Nichtwähler. Knapp 40 % haben ihre Stimme in Niedersachsen nicht abgegeben. Die gewählten Parteien vertreten dort aktuell nur 60,3 % der Wähler. Ich halte diese Situation für sehr bedenklich, zumal sie medial und im politischen Diskurs so gut wie nicht thematisiert wird. Denn ich bin überzeugt: Nichtwähler lehnen nicht die Wahl an sich ab. Eher schon die sich bewerbenden Parteien. Das kann ich verstehen. Fast alle Parteien tummeln sich in der Mitte. Sind im Wesentlichen einig und im Jeder-kann-mit-Jedem-Modus. (Ausgegrenzt wird – mit Recht – die rechte Partei.) Die Wahl entscheiden dann – wie es ja der Fall ist – die Personen und nicht mehr die Inhalte. Hier, glaube ich, müssen die Parteien ansetzen. Sie müssen sich wieder unverwechselbar machen und dann auch bleiben. Und nicht, wie aktuell die Grünen, um der Macht Willen Parteitagsbeschlüsse von gestern, heute auf den Müll werfen. Das Ringen um Positionen und dann dafür einzustehen ist – für mich – wesentliches Elemente der Parteiendemokratie. Ich bin überzeugt dies ist ein scharfes Schwert zur Verteidigung des demokratischen Handelns und wird vielen Nichtwählern wieder Grund geben, zur Wahl zu gehen.

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